Das Paket steht ungeöffnet rum, ein Meter zehn hoch, seit Januar. Ich muss es nicht aufmachen um zu wissen, was drin ist: Ein Regenschirm, eine Faktentasche und eine Uniform. Die ist offiziell türkis, inoffiziell babyblau, und ehrlich gesagt sieht sie einfach scheiße aus.
Ich bin Volunteer der Ruhr.2010. In der freien Wirtschaft heißen junge Menschen in gleicher Funktion Praktikant. Ich bin zertifiziert, mit Urkunde, inklusive schlecht kopierter Unterschriften von Oliver Scheytt und Fritz Pleitgen. Irgendwo muss auch mein Volunteer-Plastikausweis rumliegen, und wenn ich suche, finde ich auch den Zahlen-Buchstaben-Code, mit dem ich mich endlich mal online zum Freiwilligeneinsatz melden könnte. Ja, ich bin Fan und Unterstützer der Kulturhauptstadt, einer großartigen Idee, theoretisch bislang.
Angefangen hat alles mit der Internationalen Bauausstellung Emscherpark, der IBA, die hat damals auch ein paar Millionen gekostet. Da war ich noch skeptisch. Bauausstellung, dachte ich, so was hast du bei OBI für lau. Aus jeder abgesoffenen Zeche haben die ein Museum gemacht, einen Place of Event. Haben die zu viel Emscherwasser gegurgelt? Ich nehme doch auch nicht meinen toten Oppa, stopfe den aus, drapiere den nett auf dem Sofa und kassiere ´nen Fünfer Eintritt. – Der Mann war auch auf Zeche und hat gesoffen. Das Ergebnis dieses Wandels durch Kultur: Viele müssen mittlerweile Eintritt bezahlen, wenn sie ihren alten Arbeitsplatz noch mal wieder sehen wollen.
Nie wieder sollte der Spiegel kommentierten: „Glückliches Bochum. Wer hier einen Mantel trägt statt eines Anoraks, geht schon als Kulturereignis durch.“ Der Kulturtourismus war entdeckt. Der schafft Arbeitsplätze, das kapiert auch einer wie ich. Für Touristen könnten wir auf Folklore machen. Ehemalige Bergleute auf ABM, nicht auf Koks, tanzen, nur mit dem Arschleder bekleidet, am Schalker Markt um Miniatur-Hochöfen herum und kloppen dabei mit einem großen Mottek (Für Auswärtige: Hammer) auf kleinen Kohlebrocken herum, umtatata, umtatata. Der Japaner wird aus dem Häuschen sein. Aber wir machen auf Kulturhauptstadt.
Als Fan von Hochhaussprengungen, Aldi, Buntbarsch-Tauschbörsen und anderem Abgelegenem wusste ich: Ich muss bei der Kulturhauptstadt dabei sein, da tut sich was. Ich träumte von richtigen Events. Höhepunkt meiner Kulturhauptstadt wären die Titanic-Festspiele auf dem Rhein-Herne-Kanal geworden. In der Rolle der Titanic: Das Fahrgastschiff MS Santa Monica. In der Rolle des Eisbergs: Fünf frisch versenkte schneeweiße Opel Omega, die kurz zuvor noch einer als gestohlen gemeldet hat.
Aber auch die Wirklichkeit haut Geld raus. Was allein für neue Museen ausgegeben wird. Fünf Millionen für den Schwarzen Diamanten am Bergbaumuseum Bochum. Fünfzig Millionen für das Folkwangmuseum in Essen und 1,2 Milliarden für das neue EON-Energiemuseum in Datteln. Um so viel Kultur mitzunehmen, hätte ich mich eigentlich gleich am 4. Januar dauerarbeitslos melden müssen. Ich habe mich dann doch lieber beim ZK der Kulturhauptstadt gemeldet, als Freiwilliger.
Beim Vorstellungsgespräch war ich hoch motiviert. Was ich denn gerne beitrüge zum Gelingen, wollte man wissen. Demütig wollte ich sein, unter den Geringen der Geringste. Ich würde gern Oliver Scheytt die Tür aufreißen oder dem persönlichen Referenten von Oliver Scheytt, notfalls dem Assistenten des persönlichen Referenten Oliver Scheytts erklären, wie man stilvoll dem Chef die Tür aufreißt. Meine Haltung kam an. Alternativ wollte ich als „Welcome Volunteer“ an Flughäfen und Bahnhöfen die Gäste aus aller Welt begrüßen. Ich sah mich schon als die Bahnhofsmission in Sachen Kultur. Sollten wider Erwarten die Massen aus Paris, London und Bratislava ausbleiben, ich würfe mich im Hauptbahnhof Essen an Gleis 9 den Pendlern aus Bottrop um den Hals, wenn sie nur einen Mantel trügen.
Dann kam das Tagesseminar. Es begann schlecht. Unsere Referentin, eine Diplomlehrerin, wies auf einen Karton: „Da sind Kugelschreiber drin, bitte geben Sie die nach der Veranstaltung zurück – auch an der Kulturhauptstadt ist die Wirtschaftskrise nicht spurlos vorbei gegangen.“ Eine Ossi bringt mir Ruhrgebiet bei, prima. Hätte die vorher mal was gesagt, ich hätte bei der örtlichen Sparkasse problemlos einen Sack Kulis geschnorrt, notfalls geklaut.
Neunundneunzig Power-Point-Folien später, nach einer Runde Käsebrötchen, die trotz Krise weder bezahlt noch zurück gegeben werden mussten, nach einem Crashkurs in Barrierefreiheit, in dem ich lernte, Menschen mit Behinderung nie zu diskriminieren („Sprechen Sie Kleinwüchsige nie als Zwerg an!“ – (Wie denn sonst? Gnom etwa?!)), nach dem Überfall der Kursmehrheit auf einen jungen Bottroper Bergmann, der sich dafür entschuldigen sollte, dass seine Pleitefirma noch (unser Steuer-)Geld für Auszubildende ausgibt, bin ich fit für die Kulturhauptstadt.
An einer Aufgabe bin ich gescheitert. Vielleicht kommt jemand bei der nächsten Scharade anlässlich eines Kindergeburtstages auf die Lösung. Die Herrscherin über Power-Point hatte sie nicht auf der Folie. Machen Sie einem gehörlosen rumänischen Kulturfreak klar, also ohne Reden: „Das WC ist kaputt, bitte gehen Sie 200 Meter weiter. Dort ist eine Toilette, die funktioniert.“ Bis ich dem das erklärt habe, krempele ich die Ärmel hoch und bring das Klo wieder in Ordnung.
Das ist auch meine Haltung für den Rest der Ruhr.2010. Die hängt ja etwas durch nach den Großevents Luftballons über Zeche, Fußgängerstau auf Autobahn und Grölen auf Schalke. (Noch mal: Duisburg war nie Kulturhauptstadt!) Meine PIN – 34s22kQc – habe ich wiedergefunden. Mein Ersteinsatz kann kommen. Wenn da jemand einen Vorschlag hätte…