Volle Breitseite – keine Bewegung

Was erbrachte das heutige Hearing zum Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) im Landtag zu Düsseldorf? Eine volle Breitseite – abgefeuert von den die Gesetztesnovelle ablehnenden vortragenden Experten und in der Folge zumindest zur Schau gestellte Nachdenklichkeit bei den von den von Teilnehmern gezählten 22 zuhörenden Abgeordneten.

Kindernet im Jugendstaat - Bild: Spreeblick
Kindernet im Jugendstaat - Bild: Spreeblick

„Wir wollen uns dem Prozeß der Argumente unterziehen“, stellte der Versammlungsleiter zu Beginn um 11.15 Uhr klar. Und gegen Ende des Hearings, um Viertel vor Zwei, schien dann auch der Rüttgersspezi Andreas Krautscheid (CDU) eine Spur nachdenklicher.

„Als Vater von zwei Kindern“ frug der Landtagsabgeordnete nach der jugendschützerischen Verantwortung der Gesetzesgegner, die ihm bewiesen, daß die im Gesetz vorgesehenen Altersabstufungen für Websites Mumpitz sind. Daß Filtersoftware nicht funktionieren würde. Und daß eine Abmahnwelle zu befürchten sei.

Wie etwa der Wirtschaftsinformatiker Prof. Hannes Federrath, der auf der die Frage, ob das Gesetz tragfähige technische Grundlagen zum Jugendmedienschutz böte, schlicht antwortete: „Nein“.

Laut Federath wäre nämlich „das technische Niveau der geplanten Filterungen amateurhaft.“ Diese wären auf Seiten der Provider technisch kaum implementierbar. Und auf Seiten der Nutzer scheiterten die Filterungen an ihren technischen Umgehungsmöglichkeiten.

Was die ab nächstem Jahr vozunehmenden Altersabstufungen angeht, so frug Alvar Freude vom AK Zensur die NRW-MdLs, ob sie denn schon mal für ihre Websites eine Einstufung hätten vornehmen lassen. Daß in der Folge eine Einstufung ab 16 oder 18 schnell erreicht werden könne, wenn sie etwa auf Bewertungsstellen für Sexualaufklärung oder Drogen verlinkten.

Und dann die Jugendschutzprogramme, die für die ums Kindeswohl besorgten Eltern vorgehalten werden sollen. „Schwierig bis unmöglich“, wie Jörg Heidrich vom Heise-Verlag findet – schließlich muß das Programm für alle Plattformen und Devices mit Internetzugang funktionieren. Für Kisten und Konsolen, für Handys und Fernseher: „Auf diese eiermilchlegende Wollmilchsau bin ich gespannt.“

Eine Abmahnwelle hält der IT-Anwalt Dominik Boecker (AK-Zensur) für eine wahrscheinliche Folge der Novelle: Anbieter, die ihre Altereinstufung wie gefordert vornähmen, würden zuwiderhandelnde Konkurrenten von ihren Anwälten mit vierstelligen Kostennoten abmahnen lassen.

Soweit von der Kanonade der Argumente, die gegen den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag sprechen – der Landtag wird demnächst über diesen abzustimmen haben.

Doch wurden irgendwelche Festlegungen dafür oder dagegen bei den vier Fraktionen heute im Hearing klar?

Klar: Nein.

Die SPD-Fraktion erklärte, sie würde ergebnisoffen in die Anhörung gehen, einen kritischen Frageansatz habe ich in dem Teil des Hearingstreams, den ich hören konnte, nicht feststellen können.

Für die Grünen im Landtag stichelte deren innenpolitische Sprecher Matthi Bolte. Er fragte etwa basisnah, inwieweit es „dem einfachen Blogger mit zehn Zugriffen am Tag überhaupt möglich sei, die Altersabstufungen vorzunehmen“.

Ralf Michalowsky, der medienpolitische Sprecher der Linken, befand im Hearing, daß die Altersabstufung nicht realitätstauglich sei.

Nur CDU-Krautscheid überraschte mit der Erkenntnis: „Die Politik sollte möglichst wenig Unsinn anrichten.“

Und die Pünktchen-Partei-FDP? Die liegt im Bindestrich-Land bei drei Prozent.

Update.

Andere Quellen zum heutigen Hearing:

Guido Brombach

Jusos-NRW

Michael Krause

LAG Medien der Grünen NRW

Ernesto Ruge

Videoaufzeichnung des Landtagshearings (via Netzpolitik)

Carlos‘ Kumpel, homegrown Terror

Seit heute läuft im Kino der Film über Carlos, den legendären venezuelanischen Terroristen, in Frankreich inhaftiert. Immer an seiner Seite war ein Kind des Ruhrgebiets.

Für Johannes Weinrich (Filmfoto) wird wohl eine der obskursten deutschen Webseiten geführt, das Sozialnetz in Berlin befasst sich mit dem Schicksal des Leidensgenossen. Listet dabei seine Lebensstationen auf. Brakel, Schwerte, Bochum. Und in Bochum hat sich der spätere Helfer von Carlos ziemlich lange aufgehalten. Und eingebracht. Weinrich gründete als SDS- und AStA-Mitglied meines Wissens ein örtliches Studentenwerk, eine der Vorgängerorganisationen des heutigen Akademischen Förderungswerks (Akafö).

Übrigens – das Akafö ist heute zuständig für Wohnheime, auch das, in dem einer der Selbstmordpiloten des 11. September bei seiner Freundin wohnte, kitschige Liebesbriefe austauschte, die so gar nicht an globalen Terror erinnern, der gleichwohl aber auch in Bochum in radikalen islamistischen Kreisen verkehrte.

Aber das ist natürlich nur ein seltsamer Zufall der Geschichte.

Bevor Johannes Weinrich in den Kampf für ein freies Palästina, gegen PLO und Weltimperialismus eintauchte, hatte er jedenfalls ein großes Herz für Mit-Studenten, der Akafö-Kindergarten an der Fachhochschule auch die Sozialbeiträge und einiges mehr gehen wohl auf das Wirken des heutigen Langzeitknackis zurück. Außerdem gründete Weinrich in Bochum eine politische Buchhandlung. Herausgegeben wurden an der Unistraße später Schriften gegen Zensur, für Gewalt und Solidarität mit politischen Gefangenen. Auch diesen Laden gibt es heute noch, seit genau 25 Jahren macht sich hier das Antiquariat Ubu breit, eher was für Freaks, Kiffer, Spontis, nichts für die radikale Sperrspitze der Bewegung.

Weinrich verstand sich, versteht sich vielleicht noch heute, als Mitglied der Revolutionären Zellen, die im Ruhrgebiet einige Spuren hinterlassen haben. Es ist heute nur noch schwer zu begreifen, aber der Terrorismus von RAF oder RZ hatte viele Anhänger. Ich habe 1986 mit einer Reihe von erklärten Sympatisanten das Studium begonnen. Die hatten ihr Abi am Dortmunder Kolleg im zweiten Bildungsweg gemacht, trugen sehr lange, wüste Haare, karierte Hemden, Zimmermannshosen, sahen ein bisschen aus wie Curt Cobain und führten in der Einführungsübung in die Politischen Wissenschaften eindrucksvoll vor, wie aus einem Seminar ein Tribunal wird.

Ich glaube, es ging um die Frage, ob Rauchen erlaubt sein darf, wenn es Anwesende gibt, die der Qualm stört. Klare Antwort: Natürlich! Die genaue Begründung der autonomen Radikalen habe ich vergessen, es wurde viel Gramsci zitiert – aber vielleicht erinnert sich Politikprofessor Klaus Schubert noch daran. Er resignierte irgendwann angesichts der genauso mitreißenden wie überlangen Wortbeiträge – und zündete sich eine an. Dabei wurde die Übung eigentlich meines Wissens nur gesprengt, weil einige die Hausaufgaben nicht gemacht hatten.

Während wir an der Ruhr-Uni in GC ziemlich wirre Nachmittage erlebten, wurde gleichzeitig eine Bochumer taz-Mitarbeiterin in der Innenstadt vor der Polizei gewarnt. Corinna Krawaters tauchte jahrelang unter, eine Odyssee durch Europa, schließlich stellte sie sich, bekam eine relativ milde Haftstrafe. Sie war wohl Mitglied der Roten Zora, die feministische Ausgabe der Roten Zellen, gab zu, einen Wecker der Marke besessen zu haben, die auch bei Sprengstoffattentaten zum Einsatz kam.

Die Rote Zora war im Ruhrgebiet stark, plante Anschläge auf einen Textilgroßhandel, fälschte Busfahrkarten und verschwand irgendwann von der Bildfläche wie auch die Revolutionären Zellen.

Terrorismus-Unter-Uns begegnete mir ein letztes Mal im AStA der Ruhr-Uni – ich war dort Nach-Nach-(…)-Nachfolger von Johannes Weinrich als Sozialdezernentreferent. Meine Kommilitonen aus der Erstsemesterübung saßen plötzlich auf der anderen Seite. Der AStA wurde für besetzt erklärt, gefordert wurde die „Zusammenlegung der politischen Gefangenen“, für die der verdreckte, zwischen autonomen, sponti- und gewerkschaftlichen Linken aufgeteilte AStA nicht ganz der richtige Ansprechpartner war. Trotzdem zog sich die Besetzung in die Länge.

Ich erinnere mich noch an die echte Verzweifelung der Sympatisanten, an ihre Todesangst um die inhaftierten Genossen und an diese tiefe Abscheu gegenüber uns Pseudo-Linken, die sich mit Dingen wie der Beibehaltung des Nachschlags in der Mensa befassten und nicht mit der Bekämpfung des Schweinesystems.

Dabei hatte selbst Johannes Weinrich mal so angefangen.

Allerbeste Infos zum Terrorismus Marke Carlos, mit O-Tönen vom Schakal, heute noch mal um 14 Uhr auf arte, hier der trailer. Danach in den unermesslichen Weiten des Netzes.

Richtungsding: Lesung und Releaseparty im Ringlokschuppen

Die zweite Ausgabe der kleinen aber feinen Literaturzeitschrift Richtungsding kommt heute heraus. Mit 126 Seiten hat sie gegenüber der ersten Ausgabe deutlich zugelegt. Zu lesen gibt es Kurzgeschichten und Gedichte. Und gefeiert wird das Erscheinen heute um 19.00 Uhr mit einer Lesung und einer Preisverleihung im Ringlokschuppen im Mülheim.

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Der Ruhrpilot

Folklore: Merkel dämpft Hoffnung auf Kohlekompromiss…Der Westen

Energie: Der neue Traum vom deutschen Erdgaswunder…Welt

Kultur: Musik in den Häusern der Stadt…RP Online

NRW: JMStV-Vorgespräch mit den Grünen in NRW…Netzpolitik

NRW II: Stadtwerke sollen mehr Freiheit bekommen…RP Online

NRW III: Superbehörde soll Superstaus verhindern…Welt

Dortmund: U-Turm Kosten explodieren…Ruhr Nachrichten

Dortmund II: Schwarz-Rot in Dortmund einig bei Flugzeiten…Der Westen

Kamen: Kritik an Polizei nach rechter Attacke in Kamen…Der Westen

Bochum: …will kein abgeschottetes Einkaufs-Center…Der Westen

Umland: Gemeinschaftsschule im Sauerland…Zoom

Stoppt Landesregierung in NRW Kraftwerk Datteln?

RVR-Planungsdzernent Thomas Rommelspacher hat sich durchgesetzt. Das Land NRW hat begonnen, den rechtlichen Rahmen zu schaffen, um das Kraftwerk Dattel zu verhindern oder zu verzögern.
In einer Pressemitteilung heisst es:
Kabinett verabschiedet Eckpunkte des Klimaschutzgesetzes Nordrhein-Westfalen
Das Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz teilt mit:
Nordrhein-Westfalen wird Vorreiter beim Klimaschutz. Das Landes kabinett hat in seiner gestrigen Sitzung Eckpunkte für das neue Klima schutzgesetz NRW verabschiedet. „Die Folgen der Klimaveränderungen sind weltweit und auch in Nordrhein-Westfalen bereits deutlich sicht- und spürbar“, sagte Klimaschutzminister Johannes Remmel. Um die Folgen des Wandels zu begrenzen, sei es daher notwendig, den globalen Temperaturanstieg insgesamt auf zwei Grad zu begrenzen. Remmel: „Nordrhein-Westfalen kommt bei der Erfüllung der Klima schutzziele eine besondere Verantwortung zu, da hier etwa ein Drittel aller in Deutschland entstehenden Treibhausgase emittiert werden.“
In Nordrhein-Westfalen soll jetzt ein Klimaschutzgesetz auf den Weg gebracht werden, durch das die Ziele rechtsverbindlich und verbindliche Mechanismen und Vorgaben für die Erarbeitung, Umsetzung, Über prüfung, Berichterstattung und Fortschreibung der klimapolitisch not wendigen Maßnahmen festgeschrieben werden. Die Verabschiedung der Eckpunkte durch das Kabinett ist nun der erste Schritt und skizziert die zentralen Inhalte des zu erarbeitenden Klimaschutzgesetzes. Auf der Basis des Gesetzes legt die Landesregierung dem Landtag in 2011 einen Klimaschutzplan vor, der die erforderlichen Maßnahmen zur Erreichung des Klimazieles sowie Zwischenziele festlegt.
Eckpunkte des Klimaschutzgesetzes NRW sind unter anderem:
– die verbindliche Verminderung der Treibhausgasemissionen in Nordrhein-Westfalen bis 2020 um mindestens 25 Prozent und bis 2050 um 80 bis 95 Prozent gegenüber 1990;
– die Steigerung der Energieeffizienz, die Energieeinsparung und der Ausbau der Erneuerbaren Energien sowie
– die Begrenzung der negativen Auswirkungen des Klimawandels;
– die Einrichtung eines Klimaschutzrates;
– die Einführung von Klimaschutzzielen als Ziele der Raumordnung
– und eine CO2-neutrale Landesverwaltung bis 2030.

Kabinett verabschiedet Eckpunkte des Klimaschutzgesetzes Nordrhein-Westfalen
Das Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz teilt mit:
Nordrhein-Westfalen wird Vorreiter beim Klimaschutz. Das Landes kabinett hat in seiner gestrigen Sitzung Eckpunkte für das neue Klima schutzgesetz NRW verabschiedet. „Die Folgen der Klimaveränderungen sind weltweit und auch in Nordrhein-Westfalen bereits deutlich sicht- und spürbar“, sagte Klimaschutzminister Johannes Remmel. Um die Folgen des Wandels zu begrenzen, sei es daher notwendig, den globalen Temperaturanstieg insgesamt auf zwei Grad zu begrenzen. Remmel: „Nordrhein-Westfalen kommt bei der Erfüllung der Klima schutzziele eine besondere Verantwortung zu, da hier etwa ein Drittel aller in Deutschland entstehenden Treibhausgase emittiert werden.“

In Nordrhein-Westfalen soll jetzt ein Klimaschutzgesetz auf den Weg gebracht werden, durch das die Ziele rechtsverbindlich und verbindliche Mechanismen und Vorgaben für die Erarbeitung, Umsetzung, Über prüfung, Berichterstattung und Fortschreibung der klimapolitisch not wendigen Maßnahmen festgeschrieben werden. Die Verabschiedung der Eckpunkte durch das Kabinett ist nun der erste Schritt und skizziert die zentralen Inhalte des zu erarbeitenden Klimaschutzgesetzes. Auf der Basis des Gesetzes legt die Landesregierung dem Landtag in 2011 einen Klimaschutzplan vor, der die erforderlichen Maßnahmen zur Erreichung des Klimazieles sowie Zwischenziele festlegt.

Eckpunkte des Klimaschutzgesetzes NRW sind unter anderem:

– die verbindliche Verminderung der Treibhausgasemissionen in Nordrhein-Westfalen bis 2020 um mindestens 25 Prozent und bis 2050 um 80 bis 95 Prozent gegenüber 1990;

– die Steigerung der Energieeffizienz, die Energieeinsparung und der Ausbau der Erneuerbaren Energien sowie

– die Begrenzung der negativen Auswirkungen des Klimawandels;

– die Einrichtung eines Klimaschutzrates;

– die Einführung von Klimaschutzzielen als Ziele der Raumordnung

– und eine CO2-neutrale Landesverwaltung bis 2030.

Da sich nun der Rechtsrahmen für die Genehmigung des Kraftwerkstandortes Datteln ändert, hat Rommelspacher gute Argumente das Verfahren zeitlich auszudehnen oder den Kraftwerksstandort ganz zu verhindern.

Streit um Kraftwerk Datteln

Die Grünen eilen von Umfragehoch zu Umfragehoch. Das in Bau befindliche Kohlekraftwerk in Datteln hat die Partei jedoch in Schwierigkeiten gebracht. Genehmigen sie den Bau, droht ein Imageschaden mit bundesweiten Auswirkungen.

Das Eon-Kraftwerk in Datteln hat das Zeug zur Landmarke: Man sieht es schon aus weiter Entfernung. 187 Meter hoch ist der Kühlturm. 1100 Megawatt Strom soll das Werk einmal produzieren. Strom für die Bahn und den Eon-Konkurrenten RWE, in dessen Netzbereich es liegt. Doch im Augenblick liegt die Baustelle weitgehend still. Das

Oberverwaltungsgericht Münster hat im September vergangenen Jahres entschieden, dass der Bau gegen die Ziele der Landesplanung verstößt. Für Eon ein Desaster: 1,2 Millionen Euro kostet die Anlage, die von Eon-Ingenieuren in Gelsenkirchen entwickelt wurde.

„Eon hat auf Risiko gespielt und verloren“, sagt Dirk Jansen, Geschäftsleiter beim BUND in NRW. Das Kraftwerk sei ein Schwarzbau. Zum Abriss gäbe es keine Alternative. Was Jansen aber auch sieht: „ Es gibt starke Kräfte aus der Ruhrgebiets-SPD, die noch nicht die Zeichen der Zeit erkannt haben und versuchen, das Kraftwerk durch die Hintertür zu genehmigen.“ Der Weg dazu nennt sich Zielabweichungsverfahren. In ihm wird festgestellt, ob trotz aller in der Vergangenheit gemachten Fehler, die zum Baustopp durch das Oberverwaltungsgericht geführt haben, das Kraftwerk doch noch gebaut werden kann. Verantwortlich für dieses Verfahren ist der Regionalverband Ruhr. Der zuständige Bereichsleiter ist ein grünes Urgestein: Thomas Rommelspacher, ehemaliger Landtagsabgeordneter und Essener Ratsherr. Dass er dem als Regionalrat für die Planung in Datteln zuständigen Ruhrparlament einen Entwurf vorlegen wird, der den Bau eines Kraftwerks an dem Standort als möglich erklären wird, gilt als sicher. Seit August kursiert im RVR ein entsprechendes Papier. Rommelspacher wird nicht anders können, als den Bau des Eon-Kraftwerks zu genehmigen. Bis zur Entscheidung im RVR wird die Landesregierung kaum die gesetzlichen Grundlagen schaffen, die ihm ein Verbot ermöglichen. Zumal es nicht nur in der Ruhrgebiets-SPD mächtige Befürworter des Kraftwerks Datteln gibt. Schon im Sommer hat sich der Fraktionsvorsitzende der SPD im Landtag, Norbert Römer, für den Bau ausgesprochen. In der vergangenen Woche plädierte dann auch noch Wirtschaftsminister Harry Voigtsberger für das Kohlekraftwerk.

Bei Eon ist die Stimmung im Moment gut. „Wir sind sicher, die nötigen Genehmigungen zu bekommen“, sagt Eon-Sprecherin Franziska Krasnici. Man habe alle offenen Fragen beantwortet.

Dass Eon Grund zum Optimismus hat, glaubt auch Lars Holtkamp von den Waltroper Grünen. Die fühlen sich von ihren Vertretern im RVR verkauft. Der Vorwurf: Anstatt offensiv Druck gegen den Kraftwerksbau zu machen, habe man in erster Linie die Versorgung der eigenen Leute im Blick gehabt: „Die Grünen im RVR haben den ehemaligen Eon-Vorstand Christoph Dänzer-Vanotti als künftigen Regionaldirektor akzeptiert, damit der jetzige Grünen-Fraktionsvorsitzende Martin Tönnes zum RVR-Chefplaner gewählt wird.“ Für Holtkamp und seine Parteifreunde in Waltrop, die täglich auf den 187 Meter hohen Kühlturm des Kraftwerks blicken, ist Dänzer-Vanotti als Kernkraftbefürworter und ehemaliger Eon-Mitarbeiter nicht wählbar. Sie wollen, dass sich die Grünen klar gegen Dänzer-Vanotti und den Bau des Kraftwerks in Datteln positionieren – auch wenn der Preis dafür wäre, dass Tönnes nicht auf den lukrativen Posten des Bereichsleiters Planung wechseln kann.

Martin Tönnes denkt nicht daran, sich klar zu positionieren. „Wir stehen am Beginn eines Verfahrens. Ich weiß nicht, was in dem Papier stehen wird, das uns im November präsentiert wird. Wir werden es lesen, analysieren, Fragen formulieren und mit unserem Koalitionspartner, der SPD diskutieren, wenn es Diskussionsbedarf gibt.“ Auf die Frage, ob eine Zustimmung der Grünen zu Datteln denkbar wäre, mag Tönnes nicht antworten. Auf die Frage, ob seine Fraktion das Kohlekraftwerk Datteln in jedem Fall ablehnen wird, auch nicht. Datteln ist für Tönnes eine Verfahrensfrage. Kein Anlass für einen politischen Konflikt – dessen erstes Opfer er selbst werden könnte.

Hinter den Kulissen brennt es bei den Grünen. Denn während die Waltroper ihren Parteifreunden vorwerfen, grüne Ideale für ein paar Pöstchen verschachert  zu haben, greift der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Dortmunder Rat, Mario Krüger, Thomas Rommelspacher an. In einem Briefwechsel gibt er ihm die Schuld am Datteln-Streit: „ Seit Sommer dieses Jahres hat Thomas Rommelspacher sich in der fixen Idee eines Koppelgeschäfts mit EON (Stichwort: EON nimmt einige Kohleheizkraftwerke älterem Baujahrs außer Betrieb; dafür wird im Gegenzug das Planrecht für die in Bau befindliche Dattelner Anlage geheilt) verrannt.“

Holtkamp kann die Attacke von Krüger gegen den RVR-Planer nicht nachvollziehen: „Das Problem heißt Tönnes.“ Dass Krüger ihm beispringt sei allerdings nachvollziehbar – immerhin sitze man ja in Dortmund in einer Ratsfraktion.

Während bei den Grünen die Fieberkurve steigt, verweisen die Sozialdemokraten gelassen auf den Koalitionsvertrag der beiden Parteien im Ruhrparlament: „Dort steht“, sagt ein führender Sozialdemokrat, „dass wir nach Recht und Gesetz entscheiden. Wenn in der Vorlage des RVR stehen wird, dass Datteln kommen kann, erwarten wir die Zustimmung der Grünen. Steht drin, es kann nicht gebaut werden, werden wir uns dieser Auffassung anschließen.“

Klar ist: Lassen die Grünen an der Frage Datteln die Koalition krachen, wird Martin Tönnes nicht mit den Stimmen der SPD zum Regionalplaner gekürt. Und auch wenn die Grünen, wie von ihren Waltroper Parteifreunden gefordert, den Ex-Eon-Mann Dänzer-Vanotti durchfallen lassen, bleibt Tönnes weiterhin Mitarbeiter der Landtagsfraktion. Dort ist man bemüht den Konflikt einzudämmen. Allein den richtigen Dreh hat man noch nicht gefunden. Bei Datteln gibt es nur ein Ja oder ein Nein. Man ist bemüht, den Konflikt herunterzuspielen. Man weiß um das Konfliktpotential: Das Kraftwerk in Datteln könnte der erste große Streit der rot-grünen Koalition der Harmonie in Düsseldorf bedeuten. Und wäre spätestens dann bundesweit in den Schlagzeilen.

Indes wittert die Ruhrgebiets CDU Morgenluft. Dänzer-Vanotti hat sich in der vergangenen Woche den Revier-Christdemokraten vorgestellt und mit seinem klaren Bekenntnis zum Industriestandort Ruhrgebiet gepunktet. Und für den Bau des Eon-Kraftwerks in Datteln ist die CDU sowieso. „Wir werden alles tun, um Datteln zu ermöglichen,“ sagt RVR-Unions-Fraktionsvorsitzender Roland Mitschke. „Ein Aus wäre ein verheerendes Signal. Nicht nur für das Ruhrgebiet sondern für den Industriestandort Deutschland.“

Eine Mehrheit für den Bau des Kraftwerks Datteln im Ruhrparlament steht also – mit oder ohne die Grünen.

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Der Ruhrpilot

Ruhrgebiet: Große Umweltzone kündigt sich an…Der Westen

Ruhr2010: „Herkules“ von Lüppertz wird abtransportiert…Welt

Energie: Stadtwerke wollen Evonik-Tochter kaufen…Spiegel

NRW: will riesige Erdgasfelder anzapfen…Der Westen

Bochum: Programmkinos hoch prämiert…Der Westen

Duisburg: Das Goldengrün…Xtranews

Debatte: Nachgedacht…Hometown Glory

Medien: WAZ bietet Android-App mit Lokalnachrichten an…Pottblog

Google: Don gegen Streetview-Handlanger…Blogbar

Blogs: Das 5000. Posting…Kueperpunk

IT: RIM knickt auch vor Indien ein…Netzpolitik

Polizisten mit kleinen Nummern dran

Die Staatsgewalt geht vom Volke aus. Das ist zumindest an guten Tagen in diesem Lande so. Wer schon mal sein Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit wahrgenommen hat, der hat eine sehr klare Vorstellung vom staatlichen Gewaltmonopol. Schon das massive Auftreten der Polizei als Variante der Klonkrieger nach George Lucas macht nachhaltig Eindruck. Richtige Gewalt ist das noch nicht, aber von struktureller Gewalt darf man bereits sprechen.

Manchmal greift die Ordnungsmacht „richtig durch“, auf der Suche nach vermeintlichen Gewalttätern und möglicherweise Vermummten. Das führt regelmäßig zu „Kollateralschäden“ in Form von verletzten Demonstranten und Bürgern. Die staatliche Reaktion auf die Proteste gegen den Bahnhof in Stuttgart hat die Polizeigewalt zu einem Thema in den Medien gemacht. In der letzten Woche wurde in Stuttgart ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss zum Einsatz im Schlossgarten ins Leben gerufen. Dabei ist staatliche Gewaltanwendung auf Demonstrationen eher die Regel – auch wenn es in den letzten Jahren auf der Straße etwas ruhiger geworden ist.

Wer gegen Übergriffe der Polizei vorgehen will, der erlebt nicht selten seine zweite Überraschung. Die Kollegen der beschuldigten Polizisten haben plötzlich eine völlig andere Erinnerung an den Vorfall und aus dem Betroffenen manchmal ein Beschuldigter. Soweit kommt man zumindest dann, wenn der einzelne Beamte identifiziert werden kann. In den meisten Fällen ist das schon die erste Schwierigkeit, da unsere staatlichen Klonkrieger kaum auseinanderzuhalten sind. Moderne Handys und youtube haben hier für etwas Abhilfe gesorgt – die Polizei filmt also nicht mehr alleine. Da liegt die Forderung nach einer Kennzeichnung mit einer Identifizierungsnummer eigentlich auf der Hand. Viele Bürgerrechtsgruppen und Amnesty International fordern das schon seit langem.

Die Interessenvertretung der Polizei lehnt das grundsätzlich ab: Man will die Kollegen nicht unter Generalverdacht stellen. „Wir befürchten, dass dies nur darauf abzielt, einzelne Beamte mit Verfahren zu überziehen“, erklärt Frank Richter, NRW-Chef der Gewerkschaft der Polizei. Dieser Logik kann der gesunde Menschenverstand selbst mit viel Anstrengung kaum folgen. Wenn durch die Kennzeichnung nur eine einzige unangemessene Gewaltanwendung gegen Menschen verhindert werden kann, dann ist das schon ein großer Erfolg. Im Programm der Grünen zur Landtagswahl 2010 in NRW findet sich die Forderung nach einem Beschwerdemanagement für die Bürger und nach einer Kennzeichnung der Beamten: „ „Dazu gehört auch eine Dienstnummer, die deutlich sichtbar an der Uniform getragen werden soll“. Im Koalitionsvertrag mit den Sozialdemokraten ist davon nichts mehr zu lesen. Es bleibt also abzuwarten, wie engagiert die Koalition in NRW für die Bürgerrechte eintritt.

Der Bochumer Kriminologe und Polizeiwissenschaftler Professor Thomas Feltes fordert externe Kontrollgremien für die Polizei und unabhängige Untersuchungskommissionen: „Die Ereignisse in Stuttgart zeigen erneut, dass solche Gremien unbedingt notwendig sind.“ Vergleichbare Einrichtungen gibt es bereits seit einigen Jahren in anderen Ländern. Nachprüfbare Zahlen zu polizeilicher Gewalt gibt es dagegen kaum. Nach Angaben von Amnesty International hat es zum Beispiel 2008 in Berlin 548 Fälle gegeben, bei denen wegen Körperverletzung im Amt ermittelt wurde. Bisher ist es hier zu keiner einzigen Verurteilung der verdächtigten Beamten gekommen. Der aktuelle Bericht „Täter unbekannt – Mutmaßliche Misshandlungen durch die Polizei“ von Amnesty International listet exemplarisch eine Reihe von Vorfällen auf – mit Solingen und Duisburg sind zwei Städte in NRW vertreten. „Mehr Verantwortung bei der Polizei“ fordert die aktuelle Kampagne von Amnesty. „Überall in Deutschland wird momentan die Frage diskutiert, wie rechtswidrige Polizeigewalt verhindert werden kann“, sagt Katharina Spieß, Polizeiexpertin von Amnesty in Deutschland,. „Nicht zuletzt die Empörung vieler Menschen über den Polizeieinsatz gegen die Stuttgarter Demonstranten hat dazu beigetragen.“ Die Organisation will mit einer Online-Aktion den Vorsitzenden der Innenministerkonferenz(IMK), den Hamburger Innensenator Heino Vahldieck, dazu auffordern, in der nächsten IMK-Sitzung am 18. und 19. November in Hamburg das Thema rechtswidrige Polizeigewalt auf die Tagesordnung zu setzen.