Update: Loveparade Krisen-PR: Setzt Duisburg auf externen Medienberater?

In der medialen Aufbereitung der Loveparade Katastrophe soll Duisburg auf das Können eines Medienberaters setzen.

Die Pressestelle darf kaum Auskünfte geben, der persönliche Pressesprecher von Oberbürgermeister Adolf Sauerland weilt im Urlaub. Kommuniziert wird trotzdem. In der Krisen-PR soll die Stadt Duisburg nach den Ruhrbaronen vorliegenden Informationen auf einem externen Medienberater setzen. Engagiert worden sein soll der  Berater über die Anwaltskanzlei Heuking Kühn Lüer Wojtek. Heuking Kühn Lüer Wojtek haben in der vergangenen Woche auch einen Bericht über die Geschehnisse rund um die Loveparade verfasst, der die Stadt und OB Sauerland entlastete. Die Kanzlei war in den vergangenen Jahren häufig für die Stadt tätig. Unter anderem beriet sie Duisburg in Fragen des Vergaberechts. Update: Eine Anfrage der Ruhrbarone zu diesem Thema beantwortete die Pressesprecherin von Heuking Kühn Lüer Wojtek knapp: „Leider kann ich Ihnen die Fragen nicht beantworten, da ich nicht weiß, wen die Stadt als Medienberater angestellt hat.“ Die Stadt Duisburg hat bislang nicht reagiert.

Der für Heuking tätige Journalist, dessen Name uns vorliegt, soll bis in das vergangene Jahr hinein für ein bundesweit erscheinendes Medium tätig gewesen sein und gilt in der Medienszene  NRWs als gut vernetzt.

Metropole Ruhr – „A hot place to pee”

Das Ruhrgebiet leuchtet, so stark, dass man es aus dem Weltall sehen kann, neben Paris und London. Ansonsten wird Europa seinem Ruf als der dunkle Kontinent gerecht.

Das soll uns ein vermeintliches Satellitenbild weismachen, eine eigentlich lustige Grafik der Agentur cp/compartner, die immer wieder verbreitet wird von Ruhrgebietsliebhabern, denen dabei Freudentränen und Lobeshymnen aus dem Kopf quellen. Vor ein paar Tagen noch druckte die WAZ die Grafik als „Foto“ ab und verlieh damit dem PR-Gag einen Echtheitsbonus, der eines endlich erklärte: Warum Außerirdische gerne mal im Schrebergarten von Bottroper Hausfrauen gesichtet werden, aber nie bei Frau Merkel im Bundeskanzleramt. Ließ das bislang an der Intelligenz des Lebens im Weltall zweifeln, wird nun klar: Die sind gar nicht doof, die sehen Berlin da oben einfach nicht, weil die Hauptstadt die Lampen nicht an hat. Vielleicht sollen Außerirdische mit dem Leuchtbild auch nur eingeladen werden, ihren nächsten Betriebsausflug auf Zeche Zollverein zu verbringen statt schon wieder auf Alpha Centauri.

Drei heftige Lichtdetonationen sehen wir, so als feierten zeitgleich Paris den Nationalfeiertag, London das Thronjubiläum und das Ruhrgebiet Cranger Kirmes mit Höhenfeuerwerk. Schon ein Blick in den Kalender hätte genügt, den Schwindel zu entlarven. Die drei feiern nämlich nie zusammen an einem Tag. Aber der Wunsch nach Bedeutung ist größer als ein Restbezug zur Wirklichkeit.

Dass Oliver Scheytt lächelnd diesen Drei-Metropolen-Unfug verbreitete auf seiner von Dinslaken bis Unna führenden Roadshow für die Ruhr.2010, dass eine stolze Regionalzeitung den Quatsch wiederholt druckt – geschenkt. Aber als der Rektor der Ruhruni Bochum, Professor Dr. Elmar Weiler, immerhin ein Naturwissenschaftler, diese Lüge Kollegen in den USA auftischte und anschließend in der reflexstolzen Regionalzeitung davon berichtete, kamen mir zwei Gedanken: Amerikaner sind doch sehr höfliche Menschen und es gibt doch Gründe dafür, dass es Bochum nie zur Elite-Universität geschafft hat.

Ein Anruf beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, und ein freundlicher Physiker schickt dir ein hochaufgelöstes Nachtbild von Europa, auf dem selbst die Metropole Ballermann mit der Metropole Ruhr mithalten kann.

Wirklichkeit passt den Pott-Metropoliten nicht ins Konzept. Einrichtungen wie die Ruhr Tourismus GmbH setzen lieber auf die These, nicht mehr Paris, London oder Barcelona, das Ruhrgebiet sei nun „a hot place to be“. Wo doch jeder weiß, „a hot place to pee“ käme der Sache näher. Ernst nehmen kann ich die Ruhrtouristen nicht mehr, seit sie damit begannen, Gewinnern von Preisausschreiben Reisegutscheine in die Hand zu drücken – für ein Musical in Hamburg. Andererseits lassen die sich manchmal auch pragmatische Sprüche einfallen, etwa um holländische Touristen anzulocken. Dann leuchtet auf dem Weltall-Bild der Broschüre der gesamte Benelux-Raum kaum dunkler als das Ruhrgebiet, begleitet von dem Satz: „Het Ruhrgebied – geen kust, geen bergen, geen problem!“

Nein, das Ruhrgebiet ist keine Metropole. Das Ruhrgebiet gibt es gar nicht. Wir bleiben zersplittert: Wir haben zwei Landschaftsverbände, drei Regierungspräsidenten, vier katholische Bistümer, fünf Universitäten, sechs Profifußball-Mannschaften (wenn man Ahlen mitzählt), 13 Großstädte und 40 weitere Gemeinden, macht 53 Städte. Demnächst haben wir 178 citynahe Shopping Malls und müssen feststellen, dass es auf der ganzen Welt nicht genügend Holländer gibt, die auch mit Kunden zu versorgen. Selbst die Grenze zwischen Aldi-Nord und Aldi-Süd geht mitten durchs Revier, wobei Aldi-Süd bei uns im Westen und Aldi-Nord im Osten liegt. Wahrscheinlich verläuft auch irgendwo zwischen Dortmund und Bochum die Datumsgrenze, und demnächst führt Gelsenkirchen den Linksverkehr ein.

Immerhin: Die Lichtverschmutzung ist selbst im Ruhrgebiet schon heute so stark, dass man den Sternenhimmel von hier aus nur höchst selten beobachten kann.

Der Ruhrpilot

Ruhrgebiet: Deutschland verschläft Kohle-Absprache mit der EU…Welt

NRW: CDU-Abgeordnete fordern Kandidatur Röttgens…Ruhr Nachrichten

NRW II: Linke mit Fake-Zahlen?…DL

WDR: Intendantin Monika Piel verdiente 2009 mehr als die Bundeskanzlerin…Carta

Loveparade: „Es war Funkstille“…Spiegel

Campusradios: Hier spielt die Musik…Welt

Dortmund: Nazi-Aufmarsch unter Auflagen…Ruhr Nachrichten

Bochum: Stadttheater kann sexy sein…Der Westen

Essen: Scheich kauft ein Stück Zollverein…Der Westen

Steuerhinterziehung: Der Tatsachenbericht des Verkäufers der Steuer-CDs…Pottblog

Gratulation: Sechs Jahre netzpolitik.org….Netzpolitik

Auto: Tesla Test…Frontmotor

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Die Angst des Knipsers beim Elfmeter

Die Angst des Tormannes vor demselben ist zum geflügelten Wort geworden. Aber wie ist das eigentlich mit der Angst dessen, der frei vor dem Tor steht und einen ruhenden Ball nur noch irgendwie reinsemmeln muss? Ein Geschichtchen zum Bild.

Traditionell stellt man diese Frage natürlich einem Engländer, Stuart Pearce zum Beispiel… aber ich will nicht hämisch sein, nicht nach dem gestrigen Tag. O.K. es geht hier nicht wirklich um Fußball, wenn überhaupt, dann irgendwie um Radsport.

Gestern soll in Bochum der Sparkassen-Giro unter dem Wetter gelitten haben. Was soll ich sagen, mir war es ziemlich recht so, zuerst ersparte mir der Regen einen nachmittäglichen Spaziergang durch die Wallachei und tat mir dann noch den Gefallen, früh genug aufzuhören, um doch noch das Finale des Rennens mitzubekommen.

Wenn man ehrlich ist, dann sind Radrennen auf größeren Runden, ohne Werbekarawane und ordentlich Kamelle, direkt an der Strecke ziemlich langweilig. Es macht ein paar mal „Wusch“, das Feld knistert vorbei und das war es dann für lange Zeit. Am besten verfolgt man eine solche Veranstaltung am Fernsehgerät. Da reicht es in der Regel echt, wenn man zum Finale erscheint.

spektakuläre C-Klasse, Bild: Ruhrbarone

Interessanter und spektakulärer für den Zuschauer an der Strecke ist eh ein Kriterium, wie es am Vorabend des Hauptrennens von Amateuren der C-Klasse durchgeführt wurde. Enthusiasten und hoffnungsvolle Amateure knechten für die Ehre ca. 50 mal im Kreis, bieten spektakulären Sport, während man selbst von Bierstand zu Bierstand schlendert und das Rennen von jeder Ecke aus erleben kann. Vom nachfolgenden Derny-Rennen ganz zu schweigen, das allein wäre schon fast eine Geschichte für sich wert. Das machte sogar der vom Radsport unbeleckten angenehmen Begleitung Spaß, auch weil sie dem Drittplatzierten der Raserei hinterm Mopped, Michael Schweizer, die Hand zur Gratulation schütteln durfte. Hochklassiger Sport zum Anfassen. Gewonnen hat das C-Klasse Rennen übrigens ein Fahrer aus Essen, Franz Labbé.

Ausgestattet mit einem Equipment, gegen daß eine Ritsch-Ratsch-Klick Kamera professionell ist, pimperte ich in angenehmer Begleitung um den innerstädtischen Kurs.

Eindrücke und Bilder von der Strecke sind ja ganz nett und auch eindrucksvoll, aber eigentlich will man dann ja doch mal dorthin, wo es schmerzhaft ist, in den Strafraum, in den Zielbereich, wenn schon, denn schon. Wie schon gesagt, bis kurz vor Schluss sind solche Rennen irgendwie ziemlich langweilig, wenn man dann noch das Stundenmittel falsch einschätzt oder mit der Rundenzahl durcheinanderkommt (also mal ehrlich, der Teufelslappen gehört echt erst in der letzten Runde ausgerollt), tscha, dann hat man schon mal ein Stündchen oder so zu überbrücken…

klappt doch
klappt doch, Bild: Ruhbarone

Wenn man nicht gerade die angenehme Begleitung vertrösten muß, daß es bestimmt gleich vorbei ist und man echt auch gar nicht mehr lange rumstehen und Karsten Migel zuzuhören braucht (ich mag mich ja echt gerne über drei Wochen stundenlang von ihm durch Frankreich quatschen lassen, ich bewundere ihn geradezu dafür, aber aus einer schräpigen Lautsprecheranlage direkt am Ohr… das ist echt nicht vergnügungssteuerpflichtig), dann kann man einiges tun. Leute gucken zum Beispiel. Oder man lässt sich organisiert bespaßen.

Am besten ist es natürlich, man tut das, was Knipser auch im Training tun, einfach mal vom Punkt aus den Ball auf das Tor dreschen…

Klappt doch, wenn die falsche Rundenzahl nicht wäre und würde der Fahrer sich wenigstens im Ansatz freuen, dann ginge das glatt als Siegerphoto durch.

Ich will hier gar nicht die Geschichte erzählen, daß gut drei Viertel der Fahrer wegen etwas aus dem Rennen genommen wurden, was ein Typ im grünen Parka neben mir als „Arbeitsverweigerung“ bezeichnet hat. Irgendwann kommt der Moment, da pfeift der Schiri Elfmeter, äh… ne… falsch, das Rennen geht auf die letzten Meter… Ball… also in diesem Fall natürlich die Kamera nehmen, konzentrieren, ein Blick, hat im Training doch auch geklappt… Anlauf… Klick…

gehalten
Bild: Ruhrbarone

… und die Erkenntnis, daß der Kerl im grünen Parka nicht nur Radsportkenner und Fan ist… sondern auch mein ganz persönlicher Torwart! Nun weiß ich, wie Pearce sich gefühlt haben könnte.

Der Artikel ist mir leider fürchterlich cheauvinistisch geraten, denn natürlich sind auch die Elite-Damen gefahren und haben bestimmt dollen Sport gezeigt, gar nicht zu reden von den Jugendlichen. Schulligung, kann ich echt nix zu, in der Zeit habe ich für die angenehme Begleitung am Herd gestanden oder Einkäufe geschleppt, kann man nix machen.

Bleiben für mich noch ein paar Erkenntnisse. Schade ist, daß von ursprünglich mehr als 50 solcher Veranstaltungen in der Region nur noch eine Hand voll übriggeblieben sind (bekannt dürften z.B. die Six-days sein, die es nicht mehr gibt), da ist mehr als nur ein Stück Kultur und Tradition verlorengegangen und das sogar überregional, aber das ist ja gerade in diesem Jahr nix neues. Ich halte solche Dinge für erhaltenswert, deshalb am 5. September, ab nach Dortmund… ich krieg mein Zielphoto, diesmal mach ich ihn rein

Mehr Pranger!

Die Politik beginnt, die Möglichkeiten des Internets zu entdecken: Eine CDU-Experte fordert Online-Pranger für Sextäter. Das kann nur der Anfang sein.

Erst hat sich die Politik überhaupt nicht für dieses neue Interdings interessiert. Dann, als sie es bemerkt hatte, kam der verzweifelte Schrei das Internet dürfe kein rechtsfreier Raum sein.  Mittlerweile sind wir beim  Versuch,  über Gesetze wie den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) das Internet so langweilig wie eine Ortsverbandssitzung werden zu lassen.

Aber Hoffnung ist in Sicht. Die ersten Politiker beginnen sich kreativ mit dem Internet auseinanderzusetzen und haben mittlerweile sogar eigene Ideen. Zum Beispiel Reinhard Grindel, der Innenpolitische Experte der CDU-Bundestagsfraktion. Der will Pranger für Sextäter im Internet installieren. Eine schöne Idee um den Leuten im Wahlkreis zumindest im Sommer zu zeigen, dass man nicht den ganzen Tag in Berlin besoffen auf Parties herumhängt. Nein, man kommt sogar mit Schnapsideen in die Zeitung.

Und jetzt, wo die Politik den Online-Pranger entdeckt hat, sollte man weiter machen: Pranger für Steuerhinterzieher, Raubkopierer,  Raser, notorische Wildpinkler, Suffköppe Rauchverbotsverstosser und Abgeordnete, die Sitzungen schwänzen sollten folgen. Pranger für alle!

Kreativquartiere: Viel Lärm um nichts

Für Stadtplaner und Wirtschaftsförderer im Ruhrgebiet sind Kreativquartiere vor allem ein Immobilienthema. Kritiker des Konzepts fürchten die Vertreibung sozial Schwacher aus ihren traditionellen Wohnquartieren. Beide liegen daneben: Im Ruhrgebiet wird das Konzept der Kreativquartiere nicht funktionieren.

Richard Florida stammt aus Newark, dem Arbeitervorort New Yorks. Das arme New Jersey vor den Toren der Stadt der Städte wurde von Philip Roth in zahlreichen Büchern liebevoll beschrieben. Sein Vater: Ein einfacher Arbeiter in einer Fabrik für Brillengestelle, die es längst nicht mehr gibt. Florida erlebte den wirtschaftlichen Niedergang New Jerseys, studierte und arbeitete als Politikprofessor an der Uni in Pittsburgh. Dort erlebte er, wie die alte Industriestadt um ihre Zukunft kämpfte: Die Uni wurde ausgebaut, ein Konzerthaus errichtet, Museen erweitert, Parks angelegt… nichts sollte mehr an Kohle und Stahl erinnern. Pittsburg machte alles richtig. Man hoffte auf neue Unternehmen und neue Jobs, und dann war da das Suchmaschinenunternehmen Lycos: Es war ein Hoffnungsträger für Pittsburg. Endlich hatte man auch eines dieser coolen Startups, war ein hipper Standort geworden – doch dann passierte es: Lycos zog nach Boston. Gut, es stellte sich im Falle Lycos heraus, dass man als Unternehmen auch in Boston scheitern konnte, aber erst einmal stellte man sich in Pittsburgh die Frage: Wie konnte das geschehen? Florida fragte nach und fand das Thema, das ihn als Wissenschaftler berühmt und reich machen sollte: Die kreative Klasse. Florida sprach mit Lycos-Bossen und Mitarbeitern, warum sie trotz höherer Mieten nach Boston gegangen waren. Ihre Antworten überraschten ihn: Boston war einfach die spannendere Stadt, hatte das bessere Nachtleben, die cooleren Clubs, und: hier wohnten die Leute, die Lycos gerne als Mitarbeiter gewinnen wollte. Ins dröge Pittsburgh würden die ohnehin nicht kommen.

Florida erkannte, dass es eine Gruppe von Berufstätigen gab, die Wert darauf legten, in einer Stadt zu leben, die eine tolerante Atmosphäre hatte. In denen Minderheiten respektiert und nicht nur geduldet wurden. Zu dieser Gruppe zählte er Ingenieure, Softwarentwickler, aber auch Künstler, Musiker und Journalisten. Beide Gruppen brauchten einander: Die einen wollten in einer anregenden Umgebung leben, auf Konzerte gehen, Clubs besuchen und vielleicht am Wochenende Mountainbiken. Die anderen konnten die gut verdienenden Techniker als Kunden gut gebrauchen – oder für die Zusammenarbeit bei Projekten. An drei Ts, so folgerte Florida, würde sich die Zukunftsfähigkeit von Standorten künftig entscheiden: Technologie – gibt es genug Jobs in den boomenden High-Tech Branchen? Toleranz: Können die Menschen ihr Leben selbstbestimmen, unabhängig ob sie schwul, tätowiert, Moslem, Jude oder Punker sind? Und Talent: Zieht die Stadt kreative Köpfe, die Ideen haben, an? Querdenker, die nicht mitschwimmen sondern machen?

Städte, die in diese drei Kategorien gut aussehen – so Florida – hätten eine Zukunft. Die anderen? Siehe Pittsburgh. Ein Konzerthaus? Alte, langweilige Kultur. Gute Clubs, Kneipen in denen man Leute kennen lernen kann oder gute Mountainbikestrecken sind wichtiger. Und auf der Straße will man nicht schräg angeschaut werden.

Die Stadtplaner und Wirtschaftsförderer auf der ganzen Welt hatten nach Erscheinen von Floridas Buch „The Rise of the Creative Class“ ein neues Thema – auch wenn kaum einer von ihnen es wirklich gelesen haben dürfte: Dass Florida die Sicherheitsgesetze der Bush-Administration, die Zuwanderung beschränkten, geißelte und die Verbesserung der Lebensverhältnisse von Menschen in McJobs zur neuen sozialen Frage erklärte, scheint zumindest in Deutschland kaum jemand mitbekommen zu haben.

Mit der üblichen Zeitverzögerung von mehreren Jahren – Floridas Buch erschien 2002 – erreichte das Thema Nordrhein-Westfalen und das Ruhrgebiet.

Noch vor ein paar Jahren waren zum Beispiel die Betreiber der kleinen, phantasievollen Läden und Galerien, die sich im „Viertel vor Ehrenfeld“ angesiedelt hatten und eine eigene Werbegemeinschaft gegründet hatten, der Stadt Bochum noch nicht einmal einen Termin wert. „Wir wollten“, erinnert sich einer der Gründer der Werbegemeinschaft, „kein Geld von der Stadt sondern uns nur einmal vorstellen. Niemand hatte Interesse.“ Das ist jetzt anders: „Seit wir ein Kreativquartier sind, interessieren sich alle für uns.“

Denn Kreativquartiere, das wissen Immobilienleute auf der ganzen Welt, sind die Goldgruben von morgen. Auch …., beim Wirtschaftsministerium für Kreativwirtschaft zuständig, weiß: „Kreativwirtschaft ist ein Immobilienthema.“

Und das geht so und nennt sich Gentrifizierung: Irgendwo in der Stadt gibt es ein Quartier mit einer eigentlich attraktiven Bausubstanz, vielen Migranten, billigen Wohnungen und preiswerten Gewerbeflächen. In das ziehen irgendwann einmal junge Leute mit vielen Ideen ein. Leben dort genug von ihnen, eröffnen die ersten Kneipen und Cafés – das hippe Publikum ist ja da. Auch Galerien, Bio-Läden eröffnen, und in den Hinterhöfen machen sich kleine Agenturen breit. Das Viertel ist jetzt hip, immer mehr Leute mit Geld kommen um hier ihren Kaffee zu trinken. Und dier ersten denken sich: Nette Ecke, preiswerte Wohnungen – hier zieh ich hin. Nun werden die Mieten teurer, die Häuser für die nun anspruchsvollere Klientel aus den teuren Stadtteilen renoviert. Die Cafés werden edler und die Pionieren wachsen mit oder weichen aus in ein anderes Quartier mit preiswerten Mieten, einer eigentlich schönen Bausubstanz… .

Und nun auch im Ruhrgebiet. Über viele Jahre hinweg haben sich die Planer und Wirtschaftsförderer nicht um die Entwicklung von Stadtteilen gekümmert, sondern wollten auf der grünen Wiese und in alten Zechenbrachen neue Zentren entstehen lassen: Bochum baute sein kulturwirtschaftliches Gründerzentrum mit Millionen vom Land auf einem alten Zechgelände in Gerthe, und Essen träumte davon, die Zeche Zollverein zu einem Kreativzentrum zu machen. Heute wirkt Zollverein mit all seinen Attraktionen wie dem neuen Ruhr Museum und der gehobenen Küche im Casino wie ein in Stoppenberg gelandetes Raumschiff. Kontakte zum Stadtteil? Gar ein Wirken ins umgebende Quartier hinein? Fehlanzeige. Fast das geiche Bild in Bochum: Das kreative Gründerzentrum in Gerthe funktioniert und ist vollständig vermietet – aber um das Zentrum herum hat sich kaum etwas geändert. Die Kreativen steigen nach Arbeitsende in ihre Autos und fahren nach Hause.
Nun soll alles anders werden: Die Kreativen sollen, möglichst auch noch aus dem Ausland, ins Ruhrgebiet gelockt werden. Sie sollen sich hier in den Kreativquartieren niederlassen und für bunte Städte und mittelfristig steigende Immobilienpreise sorgen.

Die Zahl der Quartiere, die sich als Kreativquartiere bezeichnen und auch von der von Rüttgers versprochenen Hilfe in Höhe von 15 Millionen profitieren wollen, ist lang: Von Dinslaken bis Unna sollen jetzt überall Kreativquartiere entstehen: Die Flächen, die das Ruhrgebiet bietet, dürften an Zahl und Fläche locker die zusammengezählten Flächen New Yorks und Berlins übertreffen. Nicht, dass jemand wirklich will, dass sich überall dort schlechtverdienende Kreative ansiedeln, die wohlmöglich auch noch Krach machen, komisch aussehen und vielleicht sogar Hasch rauchen. Alle Städte hoffen auf den Prozess der Gentrifizierung, eine Verbürgerlichung der Quartiere, angestossen durch kreative Pioniere, auf die Steigerung der Immobilienpreise und die Kritiker dieses Prozess, organisiert in der Kulturhauptstadt von unten befürchten genau dies.

Das ist natürlich, was das Ruhrgebiet betrifft, kaum mehr als Wunschdenken: Zum einen gibt es nur in drei, vielleicht vier Städten, Szenen von einer relevanten Größe und die meisten ihrer „Mitglieder“ leben in Bochum-Ehrenfeld, Essen-Rüttenscheid oder dem Kreuz-/Klinikviertel in Dortmund. Schöne Altbauten, Citynahe Lage, gute Kneipen und vor allem kostengünstige Mieten – und das Schönste: es gibt noch genug Platz für alle, die dorthin wollen. Und billige Gewerbeflächen hat fast jeder Statteil im Ruhrgebiet. Warum sollte jemand nach Unna?

Was in London, Berkin oder New York funktioniert, die Revitalisierung von Stadtteilen durch Kreative, liegt daran, dass diese Städte wachsen. Durch die Zuzüge steigen die Preise und die traditionell schlecht verdienenden Kreative werden in schlechte Wohnbezirke verdrängt, die sie dann attraktiv machen, bis sie wieder verdrängt werden. Aber im Ruhrgebiet wird niemand verdrängt. Hier zieht kaum jemand hin – im Gegenteil: In den kommenden Jahren wird das Ruhrgebiet noch einmal gut 400.000 Einwohner verlieren – mehr als Bochum Einwohner hat. Wer Kreativwirtschaft als Immobilienthema sieht, hat also schon verloren, bevor er so richtig angefangen hat die Steuergelder zu verschwenden.

Und er hat Florida nicht verstanden. Denn natürlich müssten die Städte sich Gedanken machen, wie sie für die Kreativen, die das Ruhrgebiet seit Jahrzehnten verlassen, attraktiver werden können. Zum einen, eine meist ignorierte Binsenweisheit, geht das über eine ganz normale wirtschaftiche Erholung des Ruhrgebiets: Mehr Wohlstand – mehr Aufträge. Das gilt auch für die Kreativwirtschaft. Die Ruhr2010 GmbH, der große Propagandist der Kreativwirtschaft im Ruhrgebiet, ging da mit schlechtem Beispiel voran: Unternehmen aus dem Ruhrgebiet wurden bei der Vergabe von Aufträgen weitgehend ignoriert.

Aber auch Städteplaner und Immobilienbesitzer, im Fall der alten Industriegebäude sind das häufig die Kommunen oder am Tropf der öffentlichen Finanzierung hängende Unternehmen, können den Kreativen etwas Gutes tun: Raum geben, nicht planen, abwarten, was passiert.
Also genau das, was den Stadtverwaltungen im Ruhrgebiet schwer fällt. Tendenziell wird hier das zerstört, was gerade erst entstanden ist, wie die Club-Landschaft auf dem Thier-Gelände in Dortmund, die einem Einkaufszentrum weichen musste. Im Nachtleben in Dortmund sind seitdem die Lichter weitgehend ausgegangen.

Die vielen Industriegebäude müssten zu Spielplätzen werden: Nicht nur für die Kreativwirtschaft, sondern für all diejenigen, die mit wenig Geld etwas ausprobieren wollen: Ateliers, Gemeinschaftsbüros aber auch KFZ-Werkstätten oder türkische Basare. Das Neue entsteht nicht im perfekt geplanten Umfeld, es entsteht aus dem Chaotischen, Ungeplanten. Und ganz vielleicht könnte dann das Ruhrgebiet mit seinen Freiräumen nicht nur mehr Leute hier halten, sondern sogar ein paar Menschen für sich gewinnen.

Die Immobilienpreise werden dann noch immer nicht steigen, aber es könnte hier etwas netter werden.

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Der Ruhrpilot

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Loveparade und Kulturhauptstadt

Herbst 2007 in Athen. Ein Forum über Kreativwirtschaft, Es wird viel geredet. Mit dabei: Bernd Fesel von der Ruhr2010 GmbH. Er erklärt, warum die Loveparade Teil der  Strategie der  Ruhr2010 GmbH zur Förderung der Kreativwirtschaft ist.

Ein paar hunderttausend Leute, laute Musik, Alkohol und ein paar Drogen: Für die meisten war die Loveparade in den vergangenen Jahren nicht mehr als eine große, auf den Hund gekommen Party. Ihr Hip-Status war so groß wie der des McFit-Bananenmännchens.

Für Bernd Fesel war sie Teil einer ausgeklügelten Strategie zur Förderung des Segments Music/Live Entertainment als wichtigem Sektor der sagenumwobenen Kreativwirtschaft. Und ein Erfolg der Arbeit der Ruhr2010 GmbH, mit der man auf der Konferenz in Athen gerne etwas angab. Im besten Marketingdeutsch erklärte Fesel, man setze bei der Entwicklung der Kreativwirtschaft sowohl auf eine bottom-up als auf eine top down Strategie.  Vor dem inneren Auge sieht man die Experten aus  ganz Europa  schonnervös auf ihren Stühlen herumrutschen.

Ruhr2010 is aiming to promote the approximately 20.000 creative entrepreneurs in 52 cities of the Metropol Ruhr by

a.) strengthening its inherent market principles, focusing the European Market

b.) initiating an-going cultural and economic process

To reach these aims we are adopting a bottom up as well as a top down strategy which is sector specific as well as sector-integrating. Here are some examples:

Top-Down: The Love Parade moved from Berlin to the Metropol Ruhr. More than 1,0 Million visitors joined the Love Parade and the Love Weekend in August 2007 and generated business with a spending of almost 100 Euros per visitor.

Bottom-Up: A forum of all music clubs in the Metropol Ruhr was established and a hearing on the music market started. Now the music entrepreneurs and the music market start re-organizing marketing, European exports and local communication – being coached and “networked” by the team Creative Industries at Ruhr2010.
Currently a European export strategy is worked on.
This is example is almost a blue-print for increasing market efficiency: The costs of information are reduced by market hearings and commissions. The actors are acting – and are thus automatically planning for more than a single event in 2010. Creative Industries Ruhr2010 is acting as a moderator and information-broker – not only in the music sector, but also in other sectors of the creative industries; not only in the field of finance, but also in others fields such as digital communication and journalism.
Sicher, die Loveparade wurde nie von der Ruhr2010 GmbH organisiert – aber zumindest 2007 tat man so, als ob ihre Umzug ins Ruhrgebiet ein strategischer, wirtschaftlicher Erfolg sei, an dem man beteiligt war. Man warb mit diesem Erfolg, mit dem man nichts mehr zu tun haben wollte, als er zur Tragödie wurde.