Für Stadtplaner und Wirtschaftsförderer im Ruhrgebiet sind Kreativquartiere vor allem ein Immobilienthema. Kritiker des Konzepts fürchten die Vertreibung sozial Schwacher aus ihren traditionellen Wohnquartieren. Beide liegen daneben: Im Ruhrgebiet wird das Konzept der Kreativquartiere nicht funktionieren.
Richard Florida stammt aus Newark, dem Arbeitervorort New Yorks. Das arme New Jersey vor den Toren der Stadt der Städte wurde von Philip Roth in zahlreichen Büchern liebevoll beschrieben. Sein Vater: Ein einfacher Arbeiter in einer Fabrik für Brillengestelle, die es längst nicht mehr gibt. Florida erlebte den wirtschaftlichen Niedergang New Jerseys, studierte und arbeitete als Politikprofessor an der Uni in Pittsburgh. Dort erlebte er, wie die alte Industriestadt um ihre Zukunft kämpfte: Die Uni wurde ausgebaut, ein Konzerthaus errichtet, Museen erweitert, Parks angelegt… nichts sollte mehr an Kohle und Stahl erinnern. Pittsburg machte alles richtig. Man hoffte auf neue Unternehmen und neue Jobs, und dann war da das Suchmaschinenunternehmen Lycos: Es war ein Hoffnungsträger für Pittsburg. Endlich hatte man auch eines dieser coolen Startups, war ein hipper Standort geworden – doch dann passierte es: Lycos zog nach Boston. Gut, es stellte sich im Falle Lycos heraus, dass man als Unternehmen auch in Boston scheitern konnte, aber erst einmal stellte man sich in Pittsburgh die Frage: Wie konnte das geschehen? Florida fragte nach und fand das Thema, das ihn als Wissenschaftler berühmt und reich machen sollte: Die kreative Klasse. Florida sprach mit Lycos-Bossen und Mitarbeitern, warum sie trotz höherer Mieten nach Boston gegangen waren. Ihre Antworten überraschten ihn: Boston war einfach die spannendere Stadt, hatte das bessere Nachtleben, die cooleren Clubs, und: hier wohnten die Leute, die Lycos gerne als Mitarbeiter gewinnen wollte. Ins dröge Pittsburgh würden die ohnehin nicht kommen.
Florida erkannte, dass es eine Gruppe von Berufstätigen gab, die Wert darauf legten, in einer Stadt zu leben, die eine tolerante Atmosphäre hatte. In denen Minderheiten respektiert und nicht nur geduldet wurden. Zu dieser Gruppe zählte er Ingenieure, Softwarentwickler, aber auch Künstler, Musiker und Journalisten. Beide Gruppen brauchten einander: Die einen wollten in einer anregenden Umgebung leben, auf Konzerte gehen, Clubs besuchen und vielleicht am Wochenende Mountainbiken. Die anderen konnten die gut verdienenden Techniker als Kunden gut gebrauchen – oder für die Zusammenarbeit bei Projekten. An drei Ts, so folgerte Florida, würde sich die Zukunftsfähigkeit von Standorten künftig entscheiden: Technologie – gibt es genug Jobs in den boomenden High-Tech Branchen? Toleranz: Können die Menschen ihr Leben selbstbestimmen, unabhängig ob sie schwul, tätowiert, Moslem, Jude oder Punker sind? Und Talent: Zieht die Stadt kreative Köpfe, die Ideen haben, an? Querdenker, die nicht mitschwimmen sondern machen?
Städte, die in diese drei Kategorien gut aussehen – so Florida – hätten eine Zukunft. Die anderen? Siehe Pittsburgh. Ein Konzerthaus? Alte, langweilige Kultur. Gute Clubs, Kneipen in denen man Leute kennen lernen kann oder gute Mountainbikestrecken sind wichtiger. Und auf der Straße will man nicht schräg angeschaut werden.
Die Stadtplaner und Wirtschaftsförderer auf der ganzen Welt hatten nach Erscheinen von Floridas Buch „The Rise of the Creative Class“ ein neues Thema – auch wenn kaum einer von ihnen es wirklich gelesen haben dürfte: Dass Florida die Sicherheitsgesetze der Bush-Administration, die Zuwanderung beschränkten, geißelte und die Verbesserung der Lebensverhältnisse von Menschen in McJobs zur neuen sozialen Frage erklärte, scheint zumindest in Deutschland kaum jemand mitbekommen zu haben.
Mit der üblichen Zeitverzögerung von mehreren Jahren – Floridas Buch erschien 2002 – erreichte das Thema Nordrhein-Westfalen und das Ruhrgebiet.
Noch vor ein paar Jahren waren zum Beispiel die Betreiber der kleinen, phantasievollen Läden und Galerien, die sich im „Viertel vor Ehrenfeld“ angesiedelt hatten und eine eigene Werbegemeinschaft gegründet hatten, der Stadt Bochum noch nicht einmal einen Termin wert. „Wir wollten“, erinnert sich einer der Gründer der Werbegemeinschaft, „kein Geld von der Stadt sondern uns nur einmal vorstellen. Niemand hatte Interesse.“ Das ist jetzt anders: „Seit wir ein Kreativquartier sind, interessieren sich alle für uns.“
Denn Kreativquartiere, das wissen Immobilienleute auf der ganzen Welt, sind die Goldgruben von morgen. Auch …., beim Wirtschaftsministerium für Kreativwirtschaft zuständig, weiß: „Kreativwirtschaft ist ein Immobilienthema.“
Und das geht so und nennt sich Gentrifizierung: Irgendwo in der Stadt gibt es ein Quartier mit einer eigentlich attraktiven Bausubstanz, vielen Migranten, billigen Wohnungen und preiswerten Gewerbeflächen. In das ziehen irgendwann einmal junge Leute mit vielen Ideen ein. Leben dort genug von ihnen, eröffnen die ersten Kneipen und Cafés – das hippe Publikum ist ja da. Auch Galerien, Bio-Läden eröffnen, und in den Hinterhöfen machen sich kleine Agenturen breit. Das Viertel ist jetzt hip, immer mehr Leute mit Geld kommen um hier ihren Kaffee zu trinken. Und dier ersten denken sich: Nette Ecke, preiswerte Wohnungen – hier zieh ich hin. Nun werden die Mieten teurer, die Häuser für die nun anspruchsvollere Klientel aus den teuren Stadtteilen renoviert. Die Cafés werden edler und die Pionieren wachsen mit oder weichen aus in ein anderes Quartier mit preiswerten Mieten, einer eigentlich schönen Bausubstanz… .
Und nun auch im Ruhrgebiet. Über viele Jahre hinweg haben sich die Planer und Wirtschaftsförderer nicht um die Entwicklung von Stadtteilen gekümmert, sondern wollten auf der grünen Wiese und in alten Zechenbrachen neue Zentren entstehen lassen: Bochum baute sein kulturwirtschaftliches Gründerzentrum mit Millionen vom Land auf einem alten Zechgelände in Gerthe, und Essen träumte davon, die Zeche Zollverein zu einem Kreativzentrum zu machen. Heute wirkt Zollverein mit all seinen Attraktionen wie dem neuen Ruhr Museum und der gehobenen Küche im Casino wie ein in Stoppenberg gelandetes Raumschiff. Kontakte zum Stadtteil? Gar ein Wirken ins umgebende Quartier hinein? Fehlanzeige. Fast das geiche Bild in Bochum: Das kreative Gründerzentrum in Gerthe funktioniert und ist vollständig vermietet – aber um das Zentrum herum hat sich kaum etwas geändert. Die Kreativen steigen nach Arbeitsende in ihre Autos und fahren nach Hause.
Nun soll alles anders werden: Die Kreativen sollen, möglichst auch noch aus dem Ausland, ins Ruhrgebiet gelockt werden. Sie sollen sich hier in den Kreativquartieren niederlassen und für bunte Städte und mittelfristig steigende Immobilienpreise sorgen.
Die Zahl der Quartiere, die sich als Kreativquartiere bezeichnen und auch von der von Rüttgers versprochenen Hilfe in Höhe von 15 Millionen profitieren wollen, ist lang: Von Dinslaken bis Unna sollen jetzt überall Kreativquartiere entstehen: Die Flächen, die das Ruhrgebiet bietet, dürften an Zahl und Fläche locker die zusammengezählten Flächen New Yorks und Berlins übertreffen. Nicht, dass jemand wirklich will, dass sich überall dort schlechtverdienende Kreative ansiedeln, die wohlmöglich auch noch Krach machen, komisch aussehen und vielleicht sogar Hasch rauchen. Alle Städte hoffen auf den Prozess der Gentrifizierung, eine Verbürgerlichung der Quartiere, angestossen durch kreative Pioniere, auf die Steigerung der Immobilienpreise und die Kritiker dieses Prozess, organisiert in der Kulturhauptstadt von unten befürchten genau dies.
Das ist natürlich, was das Ruhrgebiet betrifft, kaum mehr als Wunschdenken: Zum einen gibt es nur in drei, vielleicht vier Städten, Szenen von einer relevanten Größe und die meisten ihrer „Mitglieder“ leben in Bochum-Ehrenfeld, Essen-Rüttenscheid oder dem Kreuz-/Klinikviertel in Dortmund. Schöne Altbauten, Citynahe Lage, gute Kneipen und vor allem kostengünstige Mieten – und das Schönste: es gibt noch genug Platz für alle, die dorthin wollen. Und billige Gewerbeflächen hat fast jeder Statteil im Ruhrgebiet. Warum sollte jemand nach Unna?
Was in London, Berkin oder New York funktioniert, die Revitalisierung von Stadtteilen durch Kreative, liegt daran, dass diese Städte wachsen. Durch die Zuzüge steigen die Preise und die traditionell schlecht verdienenden Kreative werden in schlechte Wohnbezirke verdrängt, die sie dann attraktiv machen, bis sie wieder verdrängt werden. Aber im Ruhrgebiet wird niemand verdrängt. Hier zieht kaum jemand hin – im Gegenteil: In den kommenden Jahren wird das Ruhrgebiet noch einmal gut 400.000 Einwohner verlieren – mehr als Bochum Einwohner hat. Wer Kreativwirtschaft als Immobilienthema sieht, hat also schon verloren, bevor er so richtig angefangen hat die Steuergelder zu verschwenden.
Und er hat Florida nicht verstanden. Denn natürlich müssten die Städte sich Gedanken machen, wie sie für die Kreativen, die das Ruhrgebiet seit Jahrzehnten verlassen, attraktiver werden können. Zum einen, eine meist ignorierte Binsenweisheit, geht das über eine ganz normale wirtschaftiche Erholung des Ruhrgebiets: Mehr Wohlstand – mehr Aufträge. Das gilt auch für die Kreativwirtschaft. Die Ruhr2010 GmbH, der große Propagandist der Kreativwirtschaft im Ruhrgebiet, ging da mit schlechtem Beispiel voran: Unternehmen aus dem Ruhrgebiet wurden bei der Vergabe von Aufträgen weitgehend ignoriert.
Aber auch Städteplaner und Immobilienbesitzer, im Fall der alten Industriegebäude sind das häufig die Kommunen oder am Tropf der öffentlichen Finanzierung hängende Unternehmen, können den Kreativen etwas Gutes tun: Raum geben, nicht planen, abwarten, was passiert.
Also genau das, was den Stadtverwaltungen im Ruhrgebiet schwer fällt. Tendenziell wird hier das zerstört, was gerade erst entstanden ist, wie die Club-Landschaft auf dem Thier-Gelände in Dortmund, die einem Einkaufszentrum weichen musste. Im Nachtleben in Dortmund sind seitdem die Lichter weitgehend ausgegangen.
Die vielen Industriegebäude müssten zu Spielplätzen werden: Nicht nur für die Kreativwirtschaft, sondern für all diejenigen, die mit wenig Geld etwas ausprobieren wollen: Ateliers, Gemeinschaftsbüros aber auch KFZ-Werkstätten oder türkische Basare. Das Neue entsteht nicht im perfekt geplanten Umfeld, es entsteht aus dem Chaotischen, Ungeplanten. Und ganz vielleicht könnte dann das Ruhrgebiet mit seinen Freiräumen nicht nur mehr Leute hier halten, sondern sogar ein paar Menschen für sich gewinnen.
Die Immobilienpreise werden dann noch immer nicht steigen, aber es könnte hier etwas netter werden.