Jetzt ist schon wieder was passiert. Nein, keine Sorge. Der „Berlin-Brandenburgische Bullterrier der anthroposophischen Öffentlichkeitsarbeit“, Detlef Hardorp, hat kein Kind tot gebissen. Obwohl. Beschwören möchte ich das nicht– Von unserem Gastautor Andreas Lichte.
Waldorfschule. So wie „kreativ“. Spiel ganz wichtig:
– Helmut Meisenburg, Waldorflehrer, spielte mit seinen Schülern „Mundzukleben“, wenn es mal zu laut wurde. Kam gut an, sagt er selber.
– Angelika Gilde, ehemalige Leiterin der Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung
Alte Ziegelei Rädel, führte als Schulsport Freistil-Ringen ein. Ihre Erfindung: der „Gilde-Griff“. Der Sieger stand schon vorher fest.
– „Kinder spielen im Asbest“. Muss man erst mal drauf kommen. Findet auch die Berliner Morgenpost.
Manche Eltern natürlich Spielverderber. Dann erklärt ihnen Detlef Hardorp noch mal die Regeln. Seine Freunde, die Anwälte, helfen ihm dabei. Und danach ist wieder Ruhe. Ich persönlich finde ja, Hardorp sollte mal die Mafia coachen, Omertà durchaus noch verbesserungsfähig.
Jetzt hat sich Hardorp erst mal selber zum Schweigen gebracht. Da hatten doch Kommentatoren geschrieben, Hardorp sei „rechts“. Und als Beleg dafür einen Artikel von Hardorp verlinkt: „Unzeitgemäßes Vokabular“. Lieber Leser, klicken sie mal drauf … sorry, ich sage Ihnen jetzt nicht, wo Sie den Artikel doch noch finden können. Nichts gegen Anwälte, aber muss ja nicht sein, dass die Ruhrbarone noch mal die Regeln erklärt bekommen.
Was sagt Hardorp in „Unzeitgemäßes Vokabular“? Darf ich das jetzt ausplaudern? Fange ich doch mal mit dem SPIEGEL an, der SPIEGEL kennt bestimmt die Regeln, Zitat:
„Der umtriebige Steiner (1861 bis 1925) hat die umstrittene Anthroposophie erdacht, jene »Weisheit vom Menschen«, auf der die Waldorfpädagogik gründet. Vorwürfe, der Guru der Bewegung verbreite auch Rassismus, hat es in der Vergangenheit immer wieder gegeben. Dass sich nun aber die Bundesprüfstelle der Kritik annimmt, zeigt, dass die Waldorfanhänger zu lange in der Defensive verharrten und die Vorwürfe herunterspielten. Detlef Hardorp etwa, deutscher Vertreter beim »European Council for Steiner Waldorf Education«, kann im Werk des Ahnherrn höchstens »unzeitgemäßes Vokabular« entdecken.
Dabei spricht die Diktion für sich selbst: »Die Menschen, welche ihr Ich-Gefühl zu gering ausgebildet hatten, wanderten nach dem Osten, und die übriggebliebenen Reste von diesen Menschen sind die nachherige Negerbevölkerung Afrikas geworden«, schreibt Steiner in der »Geisteswissenschaftlichen Menschenkunde«, die nun auf den Index soll. Darin schwadroniert er auch von der »passiven Negerseele«, die »völlig ihrer Umgebung, der äußeren Physis hingegeben« sei. Die »kaukasische Rasse« dagegen soll »den Weg machen durch die Sinne zum Geistigen, denn sie ist auf die Sinne hin organisiert«.“
Was will uns der SPIEGEL damit sagen? In seinem Artikel „Unzeitgemäßes Vokabular“ bemängelt Hardorp Steiners Wortwahl, findet aber Steiners Ideen nach wie vor zeitgemäss und „interessant“. Mich erinnert das an das Politikersprech: „Wir haben unsere Ziele nicht klar genug kommuniziert.“ Ich finde ja auch, Ziele sollten so klar wie möglich formuliert werden:
„Die weiße Rasse ist die zukünftige, ist die am Geiste schaffende Rasse.” Rudolf Steiner
P.S.: Lieber Leser, ich möchte mich dafür entschuldigen, dass ich nicht deutlicher geworden bin. Hoffe aber auf Ihr Verständnis. Ich hab‘ schon Respekt vor dem „Berlin-Brandenburgischen Bullterrier der anthroposophischen Öffentlichkeitsarbeit“, Detlef Hardorp. Ich hätte mich auch nie getraut, den „Bildungspolitischen Sprecher der Waldorfschulen in Berlin-Brandenburg“ „Bullterrier“ zu nennen. Aber das ist ein Zitat des Anthroposophen Christian Grauer, hier. Da darf ich das doch, oder? Mal sehen, was mein Anwalt sagt.
Info: Die Waldorfschule, Rudolf Steiner, und die Anthroposophie
Die erste Waldorfschule wurde 1919 in Stuttgart vom Anthroposophen Emil Molt, Besitzer der Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik, als Betriebsschule gegründet. Molt beauftragte Rudolf Steiner mit der pädagogische Leitung der neuen „Waldorf“-Schule.
Rudolf Steiner (1861–1925) promovierte 1891 mit der schlechtmöglichsten Note „rite“ in Philosophie; die 1894 versuchte Habilitation scheiterte. Um 1900 kam er in Kontakt mit Helena Petrovna Blavatskys esoterischer „Theosophie“. Von 1902 bis 1912 leitete Steiner die deutsche Sektion der „Theosophischen Gesellschaft“, die er 1912/13 abspaltete und unter dem Namen „Anthroposophie“ neu gründete.
Steiner ist nach eigener Aussage Hellseher. Er behauptet, in der „Akasha-Chronik“, einem allumfassenden „Geistigen Weltengedächtnis“ im „Äther“lesen zu können. Steiner erklärt: „Erweitert der Mensch auf diese Art [d.h. durch Steiners Anthroposophie] sein Erkenntnisvermögen, dann ist er (…) nicht mehr auf die äußeren Zeugnisse angewiesen. Dann vermag er zu S C H A U E N, was an den Ereignissen nicht sinnlich wahrnehmbar ist (…).“Die Anthroposophie schöpft damit aus esoterischen, okkulten Quellen, die für Nicht-Anthroposophen reine Fiktion sind.
Die Waldorfschule war für Steiner von Beginn an ein wirksames Instrument zur Verbreitung seiner esoterischen Heilslehre „Anthroposophie“. Und die „Anthroposophie“ ist bis heute verbindliche Grundlage des Unterrichts jeder Waldorfschule, Rudolf Steiner deren unangefochtene Autorität. Wie weit die Verehrung geht, mag man am Umfang der Rudolf-Steiner-Gesamtausgabe ermessen: Sie hat zurzeit 354 Bände.
Zum Autor: Andreas Lichte ist ausgebildeter Waldorflehrer und Grafiker, lebt in Berlin. Er ist Autor kritischer Artikel zur Waldorfpädagogik und Anthroposophie. Er erstellte für die „Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien“ (BPjM) ein Gutachten zur Indizierung zweier Werke Rudolf Steiners, die fortan nur noch in kommentierter Form erscheinen dürfen.
Dieter Gorny sitzt für die CDU in der Internet-Enquetekommission des Bundestages. Das European Center for Creative Economy, mit dem Gorny die Kreativwirtschaft fördern will und dessen Direktor er ist, ist hingegen offline. Mit der Arbeit aber hat man angeblich längst bekommen.
Der Platz im Internet würde knapp werden, wenn man alle Ämter aufzählen wollte, die Dieter Gorny sein eigen nennt. Nur ein paar wichtige: Er sitzt für die CDU in der Internet Enquete Kommission des Bundestages, ist Funktionär der Musikindustrie, Künstlerischer Direktor des Kulturhauptstadtveranstalters Ruhr2010 GmbH und ebenfalls Künstlerischer Direktor des wohlklingen European Centers für Creatice Economy (ECCE). Das ist in Dortmund beheimatet und hat seine Arbeit längst aufgenommen. Zumindest erhalte ich seit Wochen Einladungen und Pressemitteilungen in denen Leute als ECCE -Mitarbeiter bezeichnet werden. Auch eine Agentur für die ECCE-Pressearbeit gibt es schon. Schade nur, das man nur eine grobe Vorstellung davon erhält, was denn das ECCE so macht, denn über eine eigene Internetseite verfügt dieses Europäischen Zentrum nicht. Zu den Aufgaben von ECCE könnte die Stärkung der Kreativwirtschaft gehören. Das zumindest legen die Seiten der Ruhr2010 nahe, auf die man gerät, wenn man www.e-c-c-e.com anklickt. Für dieses noble Unterfangen wären eine Internetseite sowie eine Telefonnummer sicher hilfreich. Auch unter den „Kreativen“ wird der eine oder andere sicher Computer und Telefon besitzen. Sogar die Existenz eines Internetzugangs ist nicht auszuschließen.
Selbst die Domain ist nicht auf ECCE oder die Ruhr2010 GmbH eingetragen, sondern auf den Namen des stellvertretenden ECCE-Direktors Bernd Fesel. Der ist bei der Ruhr2010 GmbH für gleich zwei Flop-Projekte zuständig: Sowohl die nicht funktionierende Vermittlung von Büros und Wohnungen an Kreative als auch das peinliche 2010lab fallen in seinen Verantwortungsbereich. Und das könnte so bleiben: Beide Projekte sollen von ECCE weiter betrieben werden. Klar, wenn das genauso intensiv und erfolgreich läuft wie bisher, braucht ECCE keine Internetseiten.
Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland will im Amt bleiben. Im gestrigen N24 Interview sehen wir einen Politiker in einer unvorstellbaren Erbärmlichkeit.
21 Tote gab es am vergangenen Samstag bei der Loveparade in Duisburg. Heute war die Trauerfeier. Merkel war da. Wulf war da. Kraft hielt eine wirklich beeindruckende Rede.
Einem ist das egal: Duisburgs Oberbürgermeister will im Amt bleiben. Auf N24 sagte Sauerland, er wolle im Amt bleiben, bis die Vorfälle rund um die Loveparade geklärt seien. Mit seiner Pension habe das nichts zu tun. Gestern stand er wohl kurz vor dem Rücktritt. Er hat es sich anders überlegt. Menschen, die ihm in der vergangenen Woche begegnet sind, berichten von Sauerland als einem Betroffenheitsdarsteller. Seine Hauptsorge: Sein Amt. Nur kurz mimt er in Gesprächen den Trauernden. Er ist aggressiv. Uneinsichtig. Wütend. Ein Egozentriker ohne Moral.
Diesen Sommer erlebe ich in Dortmund meinen Sommer der Langeweile. Dortmund hat es geschafft, das jede Gastronomie, die ich als Lofibos bisher besucht habe, geschlossen ist. Ein Leidensbericht von unserem Gastautor Thorsten Stumm.
Auf dem ehemaligen Thiergelände hat eine Shoppingmall , die Sixpm, das Mendoza und die Liquid Lounge planiert. Die Livestation ist dem Bahnhofsumbau zum Opfer gefallen. Gut, habe ich mir gedacht, gehst Du erstmal nicht mehr feiern. Ausserdem ist mit der Eröffnung des FZW da eine gewisse Entlastung geschaffen.
Allerdings kommt es diesen Sommer knüppeldick. Das Solendo, mein Strand, geschlossen. Im Brückstrassenviertel haben in Juli das CHill’Ar und die Q-Bar endgültig geschlossen.
Nun schliesst auch mein letztes Refugium. Das Edwards in der Berswordthalle macht zum 31.07. zu. Nicht wegen wirtschaftlichem Misserfolg sondern der Besitzer Holger Lente gibt entnervt vom Kleinkrieg mit der Stadt Dortmund auf. Die Liste der Ärgernisse ist lang. Mal sperrt die Stadt einfach die Berswordthalle und damit alle Zugänge zum Edwards. Oder verweigert eine notwendige Sanierung der Abwasserrohre.
Als ich Bochumer in den 90’er nach Dortmund zog, war ich anfangs entsetzt über die Szenewüste Dortmund. Der Mettbrötchen-Stammtisch-Durch-und-Korn-Stösschen-Steppe entzog ich mich und fuhr öfter nach Bochum. Anfang des 21. Jahrhunderts schien es auch in Dortmund so zu sein, das sich immer mehr Menschen mit der Langeweile in Dortmund nicht abfinden wollten.
Passe, die Mettbrötchen haben gewonnen.
Natürlich muss Adolf Sauerland zurücktreten. Der Duisburger Oberbürgermeister war verantwortlich für ein Spaßevent, bei dem mehr als 20 Menschen ihr Leben verloren. Unvorstellbar, dass der Christdemokrat in seiner Stadt bald wieder einen Kindergarten eröffnet und launige Reden auf Schützenfesten hält. Trotzdem ist Sauerland letztendlich eine tragische Randfigur im großen Drama der Loveparade. Denn das Stück geschrieben haben die Strippenzieher des gesamten Ruhrgebietes.
21. Februar 2007 Veranstalter Rainer Schaller verkündet das Aus für die Loveparade in Berlin. In den folgenden Monaten werben München, Leipzig, Köln und das Ruhrgebiet um das Event. Im Revier bricht in der regionalen Presse Jubel über das „Großereignis, das wir uns nicht entgehen lassen dürfen“ aus.
11. Juni 2007 Überstürzt spricht sich Duisburg für eine Loveparade in der Stadt aus. Der Rat der Stadt Duisburg ermächtigt CDU-Oberbürgermeister Adolf Sauerland, einen Rahmenvertrag mit dem Veranstalter Lopavent über die Loveparade im Jahr 2010 abzuschließen. Die Linksfraktion enthält sich. Der Rat soll laut dem Geschäftsführer der Duisburger Marketing-Gesellschaft Uwe Gerste „noch vor der Sommerpause“ abstimmen, weil das gesamte Ruhrgebiet mit der Entscheidung an die Presse gehen wolle. Zeit für eine Debatte bleibt nicht.
16. Juni 2007 Das Ruhrgebiet erhält von den Veranstaltern Lopavent den offiziellen Zuschlag für die kommenden 5 Loveparades. Schon zwei Monate später, am 25. August, die Loveparade erstmals durch Essen ziehen. 2008 soll Dortmund folgen, in den Jahren darauf die Party in Bochum, Duisburg und Gelsenkirchen statt finden.
20. August 2007 Veranstalter Rainer Schaller legt die Messlatte für die Revier-Paraden hoch. Der Fitnessstudio-Betreiber kündigt an, Berlin im Ruhrgebiet „in mehreren Faktoren zu schlagen“. Es sollen Events der Superlative werden.
25. August 2007 Die erste Loveparade im Ruhrgebiet findet in Essen statt. Die Raver haben das Zentrum für sich. Wegen Überfüllung wird zeitweilig der Bahnhof geschlossen.
19. Juli 2008 Mit der zweiten Loveparade im Revier beginnt der Wettlauf um die höchsten Teilnehmerzahlen. In Dortmund nehmen nach amtlichen Angaben 1,6 Millionen Raver teil, 100 000 mehr als 1999 in Berlin. Diese „Rekordzahl“ nennt ein Sprecher der Stadt. Später zweifeln Polizei und Feuerwehrleute die Zahlen an, es sollen doch nur 850 000 Menschen gewesen sein. Sie ravten ohne Zwischenfälle auf der gesperrten Autobahn 40. Der Bahnhof erwies sich aber schon damals als kritischer Punkt: Er wurde zeitweilig geschlossen, viele Besucher konnten erst Stunden nach Veranstaltungsende einen Zug nehmen.
15. Januar 2009 Die Loveparade in Bochum wird abgesagt. „Wir haben nicht die Infrastruktur für so ein großes Ereignis“, sagt Oberbürgermeisterin Ottilie Scholz (SPD). Medien und die CDU_Opposition reagieren empört. Die Entscheidung sei „eine Schande für das Ruhrgebiet“, die „Metropole hätte sich blamiert“. Ein alternativer Austragungsort ist für 2009 nicht vorgesehen. Heute wird Scholz für ihre damalige Chuzpe gefeiert.
19. Januar 2009 Trotz fieberhafter Suche der politischen und wirtschaftlichen Interessengruppen im Ruhrgebiet wird kein alternativer Austragungsort gefunden. Auch die Autobahn 40, die schon in Dortmund genutzt wurde, sei laut dem Veranstalter „lopavent“ keine Alternative. Sie sei in Bochum zu weit von der Innenstadt und dem Bahnhof entfernt. Wie immer drängt Lopavent darauf, im direkt durch das Zentrum zu ziehen, wie es später auch in Duisburg sein wird.
6. Februar 2009 Nach dem Aus für die Loveparade in Bochum kommen Zweifel für die Veranstaltung im Kulturhauptstadtjahr 2010 in Duisburg auf. Bislang sei keine geeignete Strecke für das Großfest der Techno-Fans gefunden, sagt Duisburgs Stadtsprecher Frank Kopatschek. „Wir warten jetzt auf einen Antrag der Veranstalter“, sagte Kopatschek.
8. Februar 2009 Die traditionell konkurrierenden Ruhrgebietsstädte wetteifern um die Loveparade. Ein Wettlauf der Zugeständnisse an die Veranstalter beginnt. Sollte die weltgrößte Tanzveranstaltung in Duisburg 2010 aus Sicherheits- und Platzgründen nicht stattfinden können, sei ein erneutes Gastspiel im benachbarten Essen denkbar, so der Stadtdirektor Christian Hülsmann.“ Er betont: „Die Loveparade ist keine Katzenkirmes. Das ist ein Riesenaufwand und erfordert zudem hohe Investitionen im mittleren sechsstelligen Bereich.“ Allerdings müsse man schon allein im Hinblick auf das Kulturhauptstadtjahr um die Parade kämpfen. Ansonsten wäre es sehr schlechte Werbung für das Ruhrgebiet.“ Eine Sprecherin der „Wirtschaftsförderung metropoleruhr GmbH“ sekundiert: „Das Ruhrgebiet braucht solche weltweit wahrgenommenen Veranstaltungen, um sein Image als offener und toleranter Lebensraum zu festigen.“
9. Februar 2009 Kritiker der Loveparade werden eingeschüchtert. Der Duisburger Bundestagsabgeordnete Thomas Mahlberg fordert in einem Brief an den damaligen NRW-Innenminister Ingo Wolf die Absetzung des Duisburger Polizeichefs Rolf Cebin. Dieser hatte wenige Tage zuvor geäußert, „eklatante Sicherheitsmängel“ stünden dem Ereignis in Duisburg entgegen. „Dies veranlasst mich zu der Bitte, Duisburg von einer schweren Bürde zu befreien und den personellen Neuanfang im Polizeipräsidium Duisburg zu wagen“, heißt es in Mahlbergs Brief. Er ist noch heute auf der Homepage der Duisburger CDU zu finden. Cebin ist im Frühjahr pensioniert und sein Stellvertreter Detlef von Schmeling wurde für die Loveparade verantwortlich.
10. Februar 2009 Hinter den Kulissen haben sich die Städte darauf geeinigt, doch Duisburg den Vortritt zu lassen. Trotz „Platz- und Sicherheitsbedenken“ soll die Loveparade 2010 in Duisburg stattfinden. Diese Meinung verträten alle großen Ruhrgebietsstädte, teilt die Wirtschaftsfördergesellschaft Metropoleruhr mit. Der point of no return für Duisburg.
29. Oktober 2009 Die Veranstalter der Loveparade geben ihr „Go“ für das Technospektakel in der Stadt am Rhein gegeben. Sie haben sich das Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs ausgesucht. Bisher ist auf dem Brachland nahe der Innenstadt nicht viel außer grünem Gestrüpp. Überwachsene Schienen, eine alte Bahnhofshalle – das noch unbebaute Land ist der einzige freie Fleck, der den Veranstaltern zentrumsnah genug ist. Für die Loveparade muss das Gelände noch gerodet werden. Die Organisatoren arbeiten angeblich schon am Konzept und an den Streckenplänen. Anfang 2010 wollen sie Planungsdetails bekanntgeben. Dazu wird es nicht kommen, detaillierte Pläne wurden der Öffentlichkeit nie vorgestellt
15. Dezember 2009 Der Kulturausschuss wird per Power-Point-Präsentation über den Stand der Planungen für die Loveparade informiert. Die Präsentation bleibt oberflächlich. „Anhand einer Folie wurde dargestellt, dass viele Bahnlinien über Duisburg führen und damit eine gute Erreichbarkeit Duisburgs gegeben sei“, heißt es zum Beispiel im Protokoll der Sitzung. Es werde mit einer Millionen Gäste gerechnet. Die CDU-Fraktion betont, es käme Geld nach Duisburg – allein der Veranstalter würde mit mehreren hundert Leuten ja einige Tage in der Stadt übernachten müssen. Am Rande geäußerte Zweifel an den Einnahmen werden von der CDU-Ratsfraktion weggewischt.
Dezember 2009 Der Nothaushalt von Duisburg wird zum größten Hindernis für die Loveparade. Die bankrotte Stadt darf nur noch Geld für Pflichtaufgaben wie Kindergärten ausgeben, freiwillige Projekte muss sie genehmigen lassen. Die Bezirksregierung Düsseldorf als oberste Finanzaufsicht teilt der Rheinkommune in „informellen Gesprächen“ mit, dass die Stadt kein Geld für die Loveparade ausgeben darf, so Sprecher Bernd Hamacher. Dennoch schafft die Stadt Fakten: Nach Aussagen von Sprecher Frank Koptaschek werden zeitgleich Arbeitsgruppen mit Vertretern der Feuerwehr, Polizei, Ordnungsamt und Veranstalter gebildet, die in einem festen Turnus tagen sollen.
21. Januar 2010 In einer Ratssitzung stellt OB Sauerland in wenigen Minuten die vagen Planungen für die Loveparade vor. Insgesamt stehen mehr als 90 Punkte auf der Tagesordnung, einer davon ist das Großereignis. Die Opposition zweifelt. So sagt der SPD-Fraktionsvorsitzende Herbert Mettler laut einem schriftlich vorliegendem Protokoll: „Die Beschreibungen zu dieser Veranstaltung haben mich sehr erschrocken. Ich frage mich, wie die Risiken beherrscht werden sollen.“ Mettler sagte, es seien viele Fragen ungeklärt. „Wenn man viele junge Menschen nach Duisburg einlädt, dann muss ein reibungsloser Ablauf allein aus Sicherheitsgründen garantiert werden“, so der Sozialdemokrat damals. Worte, die heute fast prophetisch klingen. Doch der Duisburger Rat ist mehrheitlich den Verheißungen der Kulturhauptstadt erlegen. In derselben Sitzung äußert sich ein FDPler, Duisburg könne es sich aus „Imagegründen kaum leisten, die Loveparade abzusagen. Das würde insbesondere im Kulturhauptstadtjahr sehr schlecht in der Außendarstellung wirken.“
28. Januar2010 In den Medien wird Druck aufgebaut, die Loveparade unbedingt statt finden zu lassen. Via der Monopol-Zeitung im Revier WAZ warnt Dortmunds Kämmerer und Kulturdezernent Jörg Stüdemann vor einem „riesigen Imageschaden für das Ruhrgebiet“, falls die in Duisburg geplante Loveparade wegen der hohen Verschuldung der Stadt ausfallen sollte. Auch Kommentatoren im WDR, der gleichzeitig Kooperationspartner der Kulturhauptstadt 2010 ist, erhöhen den Druck, die Veranstaltung statt finden zu lassen. Der künstlerische Direktor der Kulturhauptstadt 2010, Dieter Gorny, sagt: „Es gibt keine bessere Gelegenheit, sich international zu blamieren, als wenn man diese Chance verpasst. Eine richtige Metropole kann das stemmen.“ Auch die heutige Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) forderte damals, diese „Stück Jugendkultur“ nicht sterben zu lassen. „Oberstes Ziel für NRW ist: Die Loveparade gehört ins Ruhrgebiet“, so die SPD-Landesvorsitzende
29. Januar 2010 Die Loveparade wird politisches Streitobjekt in Düsseldorf. Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland sucht bei der Landesregierung finanzielle Unterstützung für seine Loveparade. Der Christdemokrat stößt beim damaligen Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers (CDU) auf offene Ohren. Ein erster offizieller Gesprächstermin zwischen Bezirksregierung, Innenministerium und Stadt wird aber aus „Termingründen“ verschoben. Hintergrund ist ein Zerwürfnis des damaligen Innenministers Ingo Wolf (FDP) mit Rüttgers. Der Liberale fordert klamme Kommunen generell zum sparen auf und will für die Stahlstadt keine Ausnahme machen
3. Februar 2010 Der Veranstalter Lovapent stellt erstmals einen offiziellen Antrag bei der Stadt, die Loveparade auf dem alten Bahngelände durchführen zu können
4. Februar 2010 Die Zahlentrickserei beginnt. Sauerland und die CDU suchen Finanzquellen. Raver und Unternehmen sollen jetzt die Finanzierung der Loveparade in Duisburg sichern. Die Duisburg Marketing GmbH hat einen Rettungsfonds eingerichtet, damit der Liebeszug nicht an den klammen städtischen Kassen scheitert. Später sollen darin rund 100 000 Euro eingehen. Offiziell. Denn in Wahrheit sind mehr als die Hälfte davon nicht näher spezifizierte „Sachspenden“ oder Geld, das durch Fanartikel wie T-Shirts erst noch verdient werden muss
8. Februar 2010 In Briefen, im Internet und öffentlich kritisieren Bürger die Loveparade. Denn der Rat verkündet zeitgleich eine lange Sparliste für die ärmsten und jüngsten der Stadt – so wird bei Jugendzentren, der Prostituiertenhilfe und dem Sozialticket für den Nahverkehr gespart. Der evangelische Pfarrer Friedrich Brand aus Duisburg fordert in einem offenen Brief an die Stadt, die Loveparade abzusagen. „Die Stadt soll auf eine überflüssige Party verzichten die zu nichts anderem dient als einem zweifelhaften Imagegewinn der Stadt.“
9. Februar 2010 Gegen die kritischen Bürger wendet sich sofort die Phalanx der Kulturhauptstadt. Ihr Chef Fritz Pleitgen sagt, es müssten „alle Anstrengungen unternommen werden, um dieses Fest der Szenekultur auf die Beine zu stellen.“
Am selben Tag lehnt der Chef der Bezirksregierung Düsseldorf, Jürgen Büssow, offiziell die Planungen für die Loveparade ab. Der Kommunalaufseher muss die Ausgaben der Kommune genehmigen, die im Nothaushalt steckt und in den kommenden Jahren 160 Millionen Euro einsparen muss. Knapp eine Millionen für ein Spaß-Event seien da nicht drin.
20. Februar 2010 Der Rat tagt an einem Samstag in einer Sondersitzung von 8 Uhr morgens bis 8.42 Uhr. Wieder geht es nur um Finanzen. Es fehlen drei Christdemokraten, 70 Ratsherren- und frauen von CDU, SPD; Grüne, der Linken und der Wählergemeinschaft stimmen ohne Ausnahme für folgenden Antrag: „Der Rat der Stadt begrüßt die Durchführung der Loveparade in Duisburg. Die aktuelle Haushaltslage erlaubt keine Haushaltsbeteiligung an den entstehenden Kosten, daher konkretisiert der Rat der Stadt seinen Beschluss vom 11.06.2007 um folgende Festlegungen: Erstens dürfen für die Loveparade keine Haushaltsmittel der Stadt eingesetzt werden. In der kurzen Sitzung fragt niemand nach der Organisation.
25. März 2010 Laut Teilnehmern soll es an diesem Donnerstag zu einem Treffen im Innenministerium mit OB Sauerland und Regierunsgvertretern gekommen sein. Wieder geht es u die Finanzierung. Die Beteiligten wollen die Loveparade unbedingt – es geht nur darum, wie es trotz der strengen Auflagen für bankrotte Städte genehmigt werden kann
30. März 2010 Die Stadt Duisburg beantragt beim NRW-Verkehrsministerium, was schon lange in Hinterzimmern ausgekungelt wurde: Die Stadt Duisburg will 150 000 Euro für den Verkehrsverbund Rhein Ruhr (VRR), um die erforderlichen Sonderbusse zu finanzieren. Die Deutsche Bahn stellt ihre Anträge erst Anfang Juni, erhält das Okay dann wenig später. Begründet wird dies laut der Sprecherin Heike Dongowski des nach der Landtagswahl im Mai neu besetzten Ministeriums mit dem öffentlichen Transportauftrag. Dies sei üblich bei Großveranstaltung. Finanziert wird das Ganze nach dem ÖPNV-Gesetz aus dem Programm Service und Sicherheit. Allerdings ist die Summe, insgesamt werden 450 000 Euro an Bahn und VRR fließen, ungewöhnlich hoch.
14. April 2010 Das Innenministerium genehmigt auf Druck der Landesspitze die öffentlichen Aufgaben der Stadt Duisburg. Übermittler der Nachricht ist offiziell die Bezirksregierung Düsseldorf, die Duisburg mitteilt es gebe „keine haushaltsrechtlichen Bedenken“ mehr. Laut dem Sprecher Hamacher gibt das NRW-Verkehrsministerium insgesamt 450 000 Euro, die Firma des Veranstalter, Mc Fit, investiert 105 000 Euro und zwei Sponsoren insgesamt 100 000. Durch Merchandising, also dem Verkauf von Fan-Artikeln, sollen geschätzte 185 000 Euro zusammen kommen. Werden es weniger, bürgt die Staatskanzlei mit 100 000.
26. April 2010 Erst knapp zwei Wochen nach der grundsätzlichen Genehmigung erteilt erst das NRW-Verkehrsministerium sein offizielles Okay für die massive Förderung von Nahverkehr und Bahn. Offenbar hat das Innenministerium schon vor dem offiziellen Ja der Förderung seine Bewilligung erteilt.
1. Juni 2010 OB Sauerland antwortet auf eine Anfrage der Linkspartei zum Verkehrskonzept vom April. Sie thematisiert schon klar den problematischen Zugang zum Gelände. „Die Nähe des Hauptbahnhofes zum Veranstaltungsgelände stellt ein besonderes Problem dar“, heißt es in der Mitteilungsvorlage. Der Veranstalter – die Firma lopavent GmbH – habe bereits ein Konzept zur umfangreichen Sicherung des Veranstaltungsgeländes zu den Bahngleisen vorgelegt.Dieses Konzept wiederum wurde den Ratsherren nicht vorgestellt. Gefragt danach haben sie aber auch nicht.
Juni 2010 Mitarbeiter des Ordnungsamtes werden nach Informationen aus dem Innenministerium und dem Rat der Stadt Duisburg systematisch von der Stadtspitze unter Druck gesetzt, Bedenken in den Wind zu schlagen und die erforderlichen Genehmigungen zu erteilen. Parierte ein Mitarbeiter nicht, wurde die Vorlage umstandslos an einen zweiten gegeben, der sie dann unterschrieb. „Sie wurden gezwungen, alles abzunicken“, so ein Ratsmitglied.
18. Juni 2010 In der Sitzung einer Arbeitsgruppe von Feuerwehr, Ordnungsamt, Veranstalter Lopavent und dem Ordnungsdezernenten Wolfgang Rabe kommt es zu einem Eklat: Veranstalter Lopavent weigert sich, den vom Ordnungsamt geforderten Fluchtweg von 440 Metern zu organisieren. Laut einem Protokoll hat Ordnungsdezernent Wolfgang Rabe Druck ausgeübt. „Der OB wünscht die Veranstaltung und hierfür muss eine Lösung gefunden werden.“ Der Baudezernatsleiter Jürgen Dressler kommentierte das Schreiben handschriftlich: „Dieses entspricht in keinerlei Hinsicht einem ordentlichen Verwaltungshandeln und einer sachgerechten Projektstellung.“ Reagiert hat darauf niemand.
5. Juli 2010 Der Rat beschließt für die Loveparade die Änderung zweier Satzungen: Die Sperrstunde wird für den Veranstaltungstag aufgehoben. Die Gewerberechtsverordnung wird dahingehend geändert, dass Geschäfte keine Glasflaschen an dem Tag der Loveparade verkaufen dürfen. Das Sicherheitskonzept wird nicht thematisiert. „Damit waren 6000 Mann in der Verwaltung beschäftigt, auf die haben wir uns verlassen“, sagt dazu SPD-Geschäftsführer Uwe Linsen
Juli 2010 Unter Hochdruck arbeiten Polizei, Feuerwehr, Veranstalter und Ordnungsamt an den Plänen für den Tag X. Nach Informationen aus Teilnehmerkreisen soll es dabei viele Debatten um die richtige Wegführung auf dem Gelände gegeben haben. Allen Beteiligten ist klar, dass der nur 25 Meter breite Tunnel ein „neuralgischer Punkt“ der Veranstaltung sein wird.
22. Juli 2010 Bundesweite und regionale Medien drucken Sonderseiten über das „größte Spaßevent“ in Deutschland. Im Jugendsenderr 1-Live laufen tagelang Sondersendungen, der eigen Wagen wird beworben. Die regionalen Zeitungen NRZ und WAZ kommentieren die Loveparade „als Glücksfall“ für die gesamte Region
23. Juli 2010 Der erst vor wenigen Tagen ins Amt berufene NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) gibt eine Jubelmeldung 24 Stunden vor der Loveparade heraus. „Alle sind hoch motiviert und haben sich professionell vorbereitet“, sagt der Duisburger in einer Pressemitteilung. Einen Tag nach dem Unglück löschte das Innenministerium die Meldung, angeblich aus „Pietätsgründen“, so der Sprecher von Jäger. Der Innenminister kenne das Konzept für den Polizeieinsatz, aber für das Sicherheitskonzept auf dem privaten Gelände seien die Stadt und der Veranstalter verantwortlich. Montag ist die Meldung dann wieder online. Die Suche nach den Verantwortlichen beginnt.
Die Macher der Kulturhauptstadt nannten „Juicy Beats“ ein „Sowieso-Festival“. Eines der vielen Festival aus dem Ruhrgebiet, die unter ihrer Wahrnehmungsschwelle lagen und es sowieso gab. Klar, Mega-Events wie die Loveparade versprachen mehr internationale Aufmerksamkeit.
Seit 1996 gibt es Juicy Beats. Gut 20.000 Besucher werden morgen in den Westfalenpark kommen. Vielleicht ein paar mehr, vielleicht ein paar weniger. Egal. Das Line Up ist hervorragend: Tocotronic, Die Sterne, Blumentopf, Sista Orchestra, Phoneheads und viele andere. Ein Ruhr2010-Logo sieht man nicht auf der Homepage – allemal ein Zeichen für Qualität. Juicy Beats, Blackfield, Bochum Total und all die anderen Festivals aus dem Ruhrgebiet wurden von den Ruhr2010-Machern immer abfällig als „Sowieso-Festivals“ bezeichnet. Veranstaltungen aus dem Revier, für die man sich nicht weiter interessierte, die es sowieso gab. Los geht es um 12.00 Uhr Mittags.
Um 18.45 Uhr gibt es eine Schweigeminute für die Toten der Loveparade.
Die Katastrophe in Duisburg ist ein verdammt trauriger Anlass sich über die unheilige Allianz von Minderwertigkeitskomplex und Größenwahn auszulassen. Aber diesbezüglich steht die Stadt am westlichen Rand unseres Ruhrgebietes für die ganze Städteregion, und deswegen ist dieses Desaster unser aller Desaster. Egal ob die Spitze der Kulturhauptstadt das so sieht oder nicht.
Es ist die ewige Tonnenideologie, die Magie der großen Zahl, die schon das alte Ruhrgebiet so berühmt gemacht hat und die uns jetzt in der grauenhaften Form von 21 Toten auf die Füße gefallen ist. Niemand hat diese gewollt. Auch Adolf Sauerland nicht und das kann man ihm trotz seiner offensichtlichen und in ihrer Wirkung so furchtbaren Fehler getrost glauben.
Wer solch machtarrogante Hybris aber in Zukunft vermeiden will, der muss nicht nur dieses tödliche Desaster genau studieren, und natürlich die Schuldigen festmachen und bestrafen, der muss sich fragen was grundsätzlich zu ändern wäre. Dabei sollte allen klar sein, dass sich das Ruhrgebiet unter den gegebenen Bedingungen, und an denen ändert leider auch die Tragödie in Duisburg nichts, auch in Zukunft dem Konkurrenzkampf der großen Ballungsräume zu stellen hat. Wenn damit die Frage nach dem Ob richtig beantwortet ist, dann stellt sich automatisch die Frage nach dem Wie, und dafür kann die Antwort kann nach Duisburg nur lauten: Nicht mehr so wie bisher!
Wie aber dann? Wie konkurriert jemand erfolgreich, wenn er nicht über das verfügt, was zum Standard der Reichen, Schönen und Mächtigen gehört?
Wenn man als Ballungsraum nicht direkt am Meer liegt? Nicht über reihenweise tausendjähriges und zugleich geschichtsträchtiges Gemäuer und schnuckelig Altstadtgassen verfügt? Wenn man keine Hochhausskyline und keine Golden-Gate-Bridge zu bieten hat? Wenn man keine Hauptstadt ist, ja in sich selbst über kein großes allüberragendes Zentrum verfügt? Wenn man zwar viele, dafür aber kaum ein weltbekanntes Theater oder Konzerthaus sein eigen nennt? Wenn man Zigtausende von Studenten aber keine global notierte Universität hat? Wenn man eben nicht reich, schön und mächtig ist?
Wenn man also als Stadt-und Kulturlandschaft ungefähr so viel vom Äußeren hermacht wie als Männertyp Woody Allen in seinen frühen Jahren. Ein Mann, der heute immer noch nicht schön, auch nicht mächtig und auch nicht richtig reich geworden ist, dafür aber weltberühmt und weltweit beliebt und verehrt. Welche kulturellen Produkte respektive Filme produziert man, wenn man kein Geld hat und trotzdem als Regisseur gegen Hollywood antreten will.
Schauen wir uns also die erste Filmgeneration dieses Mannes an, die die Basis seines späteren weltweiten Erfolges darstellen und zu denen eben auch schon weltweit erfolgreiche Filme wie „Manhattan“, „Mach´s noch einmal Sam“ usw. gehören und die er alle in seiner Heimatstadt gedreht hat. Nicht nur, aber vor allem: um Geld zu sparen. Frei nach dem Motto Teddy Roosevelts während der Zeit der großen Krise und des New Deals: Do what you can, where you are, with what you have! Einen Satz, den sich das Ruhrgebiet schon seit längerem auf die Fahnen hätt schreiben sollen.
Bis heute kosten Woody Allen Filme in der Regel nicht mehr als eine einzige Explosionsszene in Bruce Willis Filmen. Aber mittlerweile haben auch Superstars mit dem gleichen Bekanntheitsgrad wie eben dieser Willis in seinen Filmen mitgespielt bzw. würden sie es gerne tun. Was also macht die offensichtlich enorme, wenn auch nicht massenhafte Attraktivität eines typischen Woody Allen Films für Zuschauer und Schauspieler aus? Ich bin kein Film- und Theaterwissenschaftler. Trotzdem glaube ich, dass die folgende Elemente bis heute eine wesentliche Rolle in seinen Werken spielen:
Der Plot und nicht die Ausstattung ist entscheidend.
Selbst das Tragische ist immer auch komisch, wenn nicht sogar idiotisch.
Intellektualität und Intelligenz sind kein Grund zur Überlegenheit sondern immer Teil vergeblicher Selbstüberschätzung.
Selbstüberschätzung und Selbstmitleid sind zwei Seiten der gleichen Art sich lächerlich zu machen.
Es gibt keine Siege sondern einen ewigen Wettlauf um Platz 2-3 und niedriger.
Das Absurde ist genauso Teil des Alltags wie das Banale.
Die überzeugendste Form der Selbstkritik ist die Selbstironie und die Fähigkeit über sich selbst lachen zu können.
Über alledem liegen zwei unausgesprochene, aber doch in allen Elementen sich widerspiegelnder Leitsprüche, die wohl auch das emotionale und geistige Selbstbild des Regisseurs bestimmen:
Das Spektakuläre und spannende liegt nicht in der Größe und Breite sondern in der Tiefe.
Wer nicht stark und schön ist, hat die heilige Pflicht wenigstens intelligent und witzig und damit auch ohne viel Geld attraktiv zu sein.
Mit der Umsetzung dieser beiden Leitsätze könnte das Ruhrgebiet, mit gebotenem Abstand zu den fürchterlichen Ereignissen in Duisburg, sehr bald anfangen. Zuerst gilt es allerdings eine Zeit lang einfach nur innezuhalten. Die Kulturhauptstadt-Show muss nicht unbedingt weitergehen, als wäre nichts geschehen.
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