Integration – Die packen das einfach nicht

Zwar gehört Neid zu den Todsünden, aber er spornt an. Auf Thilo Sarrazin bin ich neidisch, ich trachte dem Noch-Bundesbanker nach dem Job. Der Mann gilt als Experte.

Auf seinem ureigensten Terrain kann ich locker mithalten. Von Integration versteht der Mann etwa so viel wie ich von Währungs- und Finanzpolitik. Ich habe fünf Sparbücher, zahlreiche Schulden, einen gesunden Menschenverstand und schon drei Bundesfinanzministern die Hand geschüttelt, von einem sogar ein Autogramm bekommen. Gut, da war ich zwölf und der Mann ziemlich erstaunt. Zur Not kann ich meinen Bruder fragen, der hat Volkswirtschaft studiert. Damit dürfte es zwischen Thilo und mir mindestens Unentschieden stehen. Ich warte jetzt auf die ersten Talkshows, Anne Will wäre mir lieb. Oder muss ich erst das Buch schreiben und dann ins Fernsehen? Ich könnte die These bieten: Deutschland verarmt wegen der Banken, bald werden die uns alle unter Kontrolle haben, und die Politik hat zu lange weggeschaut. Ach so: Aber das darf man hier ja nicht sagen!

Über Integrationsdefizite bei Migranten kann ich leider nicht mitreden, da kann ich Sarrazin nur zustimmen: Die packen es einfach nicht. Ich weiß, wovon ich rede. Nehmen wir einmal an, du wurdest Ende der 50-er in Ankara geboren, nur als Beispiel, bist als Siebenjährige über die grüne Grenze nach Deutschland eingewandert, wurdest als erstes vom Vater sonntags zum Internationalen Frühschoppen vorm Fernseher geparkt, wenn du dann als Neunjährige schon alle Behördengänge für die Familie absolviert hast, mit zwölf statt zur Schule putzen und schuften gegangen bist, dann hast du wie die türkischen Gemüsehändler in Neukölln noch nicht wesentlich zur Volkswirtschaft beigetragen. Den Arbeitgeber Telefunken und Elisabeth Arden hast du aber trotzdem eine große Freude bereitet und vielleicht deren Beitrag zur Volkswirtschaft gefördert. Du warst Anfang der 70-er Jahre, was miserable Bezahlung und Arbeitsbedingungen betrifft, zwar dem deutschen Arbeitnehmer rund 30 Jahre voraus, integriert hast du dich aber nicht.

Hättest du als Teenager statt Tolstoi und Dostojewski Utta Danella gelesen, wärest du endlich mal eingetaucht in die deutsche Leitkultur. Wenn du nach Mitgliedschaft im urdeutschen KBW und schließlich in der SPD im Alleinstudium die Allgemeine Hochschulreife über die Sonderbegabtenprüfung erlangst und mit einem Stipendium der Gewerkschaft Jura, also deutsches Recht studierst, musst du dich nicht wundern über die Frage, wann du denn in deine Heimat zurückkehrst. Der Fragende meint damit übrigens nie die Stadt am Bodensee, die du für deine Heimat hältst. Überhaupt darfst du dir eine Menge Fragen anhören. Oder besser gesagt: Ein paar Fragen immer wieder. Was denn dein Name bedeutet, den auch nach 40 Jahren türkischer Migration niemand richtig aussprechen kann. Da geht es dir nicht besser als Cem Özdemir, von Journalisten gerne Tschem Ötzdemir genannt, von Tschornalisten sozusagen, die möglicher Weise Hubert Krzywiczek heißen.

Komme bloß nicht auf die Idee, irgendeinem Hubert zu entgegnen, „Hupart“ sei aber ein schöner Name, verbunden mit der Frage, was der denn wohl bedeute. Frage ihn nicht, wo er selbst herkomme, um ihn auf seine Antwort: „Dingolfing“ zu loben, dafür spräche er aber hervorragend Deutsch. Auch wenn du damit nur sein strunzdummes Gelaber konterst. Verkneife dir auch die Frage, wann er denn in seine Heimat zurückkehre. Ertrage geduldig sein Gewäsch vom Kopftuch, auch wenn du ihm mit geschminkten Lippen, hochhackigen Schuhen und Minikleid entgegen trittst und ein Kopftuch allenfalls mal als modisches Accessoire im Grace-Kelly-Look nutzt.

Wenn er dann, ganz Experte, dich über den finsteren Islam aufklärt, bedaure ihn nicht für seine Mitgliedschaft in der katholischen Kirche, in der eine Frau wenig und Homosexualität als Sünde gilt. Dann wäre deine Integration für immer gescheitert. Sei einfach wie verlangt Islam-Expertin qua Geburt. So wie auch jeder Ruhri allein durch seine Herkunft ausschließlich Fachmann ist für Fettkohle und Polen. Fang bloß nicht von Simone de Beauvoir an, selbst wenn du die im Gegensatz zum Koran gelesen hast. Wenn das Gespräch auf die Integration kommt, erwähne nie die 16 Jahre dauernde Kohl-Ära, in der die Türkei schon zwölf Jahre vor der Bundesrepublik eine Regierungschefin hatte.

In der Zeit hättest du lernen können, wie Integration geht. Als die Häuser brannten in Solingen und Mölln und ihre Bewohner elendig krepierten, als Helmut Kohl sich den Versprecher leistete: „Deutschland ist und bleibt ausländerfrei… äh… -freundlich“ und zur Trauerfeier nicht selbst erschien, sondern den Zuständigen schickte, den Außenminister. Da hättest du kapieren können, dass ihr eure Rolle finden solltet als opfer- oder ausreisewillige Gruppe und später bei einem Landtagswahlkampf als hetzkampagnenfähiges Zerrbild. Sich damit abzufinden, das hätte Integrationswillen bekundet.
Du aber hast dich weiter gewundert, darüber, dass deine Tochter Ebru von der Stadtbücherei ihrer Geburtsstadt nach Jahren immer noch als „Herr Ebru“ angeschrieben wird. Hättest du sie einfach Claudia genannt, das wäre mal ein Schritt gewesen, den man von euch Migranten so gerne fordert. Du hast Fehler gemacht in ihrer Erziehung. Du hast dich geweigert, sie in der Grundschule in den Deutsch-Förderkurs zu schicken. Da zählt aber dein Dostojewski nicht und nicht dein Zeit-Abo, und dein deutscher Lebensgefährte mit Germanistikstudium schon gar nicht. Den kann es bei dir gar nicht geben, man hat sich gerade mühevoll damit abgefunden, dass du nicht zwangsverheiratet bist. Da zählt allein der Erfolg. Und Erfolg ist nicht, wenn Kinder mit Migrationshintergrund Deutsch können. Erfolg ist, wenn sie ihr Defizit in möglichst großen Förderkursen eingestehen. Denn das allein macht sich gut in der Statistik, und Statistik ist sehr deutsch.

Du hast später den Fehler begangen, nicht auf den Schulleiter zu hören, als es um den Übergang zur weiterführenden Schule ging. Er hatte doch ausführlich begründet, warum Ebru auf dem Gymnasium nichts verloren hätte: Seine Nachbarn seien auch Türken, da sei die Tochter auf der Realschule, und das sei auch gut so. Selbst schuld, wenn Ebru auf einem Gymnasium landet, in dem die Oberstufe schultyptypisch als national befreite Zone durchginge. Wenn du in einem Marie-Curie-Gymnasium den Mathe-, Physik- und Klassenlehrer zum Konzept der Mädchenförderung in den Naturwissenschaften befragst und die schöne Antwort erhältst: „Wenn Mädchen sich melden, nehm ich sie auch dran“, und trotzdem glaubst, dass irgendein Lehrer sich Gedanken macht zum Umgang mit Migranten, hast du das deutsche Schulsystem nicht verstanden. Das klingt dann schon ein wenig nach Integrationsverweigerung. Schließlich hatten die Pädagogen recht. Was ist aus deiner Tochter geworden? Master-Studentin in der Chemie, gut. Aber wo bitteschön? In Spanien. Integration geht anders.

Bei dir selbst sieht es nicht besser aus. Du hast das erste und das zweite Staatsexamen, die Zulassung als Rechtsanwältin. Die deutsche Staatsbürgerschaft hast du auch erhalten, in einer Zeremonie, die eher nach der Verlängerung eines Anwohnerparkausweises aussah als danach, dass der Beamte, Beigeordneter immerhin, dich oder die deutsche Staatsangehörigkeit besonders wertschätzte.

Jetzt hast du an deiner Kanzlei ein Schild angebracht. „Rechtsanwältin“ steht darauf, nicht etwa „Scharia-Schamanin“. Und wer sind deine Mandanten? Zu 80 Prozent Türken, nein: türkischstämmige Frauen. Im Diskriminieren stehen türkische Männer den Deutschen nicht nach. Ich sag doch: Du packst das einfach nicht mit der Integration.

Das Thema ja, aber Sarrazin nein

Thilo Sarrazin

Ich kann nicht sagen, ob Herr Dr. Thilo Sarrazin, der an einem altsprachlichen Gymnasium sein Abitur gemacht hatte, wirklich keine Ahnung von Geschichte hat, oder nur so tut. Mir fällt nur auf, Herr Sarrazin zitiert Geschichte chronisch falsch. Von unserem Gastautor Helmut Junge

So sagt er zum Beispiel, daß es seit der Völkerwanderung keine Zuwanderung nach Deutschland in dieser Größenordnung gab, wie zur Zeit.
Das ist falsch, denn in der Zeit der Völkerwanderung sind die Germanen aus Deutschland herausgewandert, es ist nicht umgekehrt jemand eingewandert.

Hier bei den Ruhrbaronen hatte Werner Jurga in einem Kommentar, den 30-jährigen Krieg als Beispiel für eine Phase der Zuwanderung nach Deutschland genannt. Während des dreißigjährigen Krieges ist die Zahl der Bevölkerung in Deutschland auf etwa 4 Millionen, von vorher etwa sechzehn-achtzehn Millionen geschrumpft. Wer den Simplizissimus gelesen hat, wird auch eine Vorstellung davon haben, wie brutal die Soldateska mit der Zivilbevölkerung umgegangen ist, und aus wie vielen Ländern diese Söldner kamen. Die durch Vergewaltigung entstandenen Nachkommen, sind über die Jahrhunderte mit der restlichen Bevölkerung so vermischt, dass man sagen kann, wir sind allesamt Nachkommen dieser Söldner.
Ein zweites Beispiel für die massenhafte Zuwanderung von Ausländern bietet die Zeit der Industrialisierung des Ruhrgebiets. Dort wurden aus kleinen Bauernschafften in kürzester Zeit große Städte. So hatte zum Beispiel Marxloh im Jahr 1843 nur 321 Einwohner. Im Jahre 1925 waren es dann infolge der Industrialisierung bereits 35.872 Einwohner! Ähnliches gilt für alle kleinen Gemeinden im Ruhrgebiet, so dass man sagen kann: Im Ruhrgebiet hat sich die Zahl der Einwohner wegen des Bergbaus in kurzer Zeit verhundertfacht.

Die Mehrzahl dieser zugewanderten Leute kam von weit her, meist aus anderen Ländern, meist aus Süd-und Osteuropa, wo es billige Arbeitskräfte in so großer Zahl gab, so daß ich ziemlich sicher bin, daß höchstens einer von Hundert Einwohner im Ruhrgebiet rein deutsche Wurzeln hat. Sehr geehrter Leser, wenn sie das nicht glauben, empfehle ich Ihnen, mal aus Spaß etwas Ahnenforschung über alle Abstammungslinien zu betreiben, und sie werden sich wundern. Sarrazin selber stammt laut Wikipedia aus einer Hugenottenfamilie, die lange vor der Industrialisierung Zuflucht in Deutschland gefunden hatte. Wenn man von Geschichte spricht, muss man auch sagen, dass historisch gesehen, nicht alle Teile Deutschlands zum ursprünglichen Kern dieses Deutschlands gehörten. So wurde das westliche Ruhrgebiet erst nach der dritten Reichsteilung endgültig Bestandteil dieses späteren Deutschlands, und die Gebiete östlich von Magdeburg kamen noch 300 Jahre später dazu. Also: Unsere schöne Hauptstadt, und ihr Umland waren vor 1000 Jahren noch nicht dabei. Ich denke, dass meine kleinen Beispiele genügend deutlich gemacht haben, wie leichtfertig Dr. Sarrazin mit historischen Vergleichen umgeht. Dieser leichtfertige Umgang mit der Geschichte macht mich misstrauisch, denn ich weiß ja, dass er es von seiner Bildung her durchaus besser können müsste. Ich frage mich dann, wie dieser Mensch dann mit seinen anderen Anliegen umgeht, ob die vielleicht auch so locker daher geredet worden sind. Nun ist Herr Sarrazin ja nicht deshalb in der Öffentlichkeit so angegriffen worden, weil er Geschichtsdaten strapaziert hätte, sondern weil er sich in das Gebiet Genetik verlaufen hat. So konstruierte er eine Theorie, die Intelligenz von Menschen von deren genetischem Ausstattung her begründet. Es ist wahr, dass jeder Mensch eine von anderen Menschen abweichende genetische Ausrüstung besitzt.

Wenn ich jemanden betrachte, der nicht haargenau so aussieht, wie ich, hat der eine andere genetische Zusammensetzung, als ich. Daher, von den Genen, kommt das ja.

Wenn ich auf eine Gruppe Menschen treffe, die sich untereinander ähnlicher sind, als ich es hnen gegenüber bin, dann sind sie eben als Gruppe genetisch von mir verschieden.
Das ist so, wie ich es hier schreibe, seit langer Zeit allen Menschen bekannt.

Sarrazin gelingt es nun aber, den Leuten zu suggerieren, daß es sich dabei um allerneueste wissenschaftliche Erkenntnisse handele, und daß diese Unterschiede in der genetischen Ausstattung, auch bewiesenermaßen Ursache für eine unterschiedliche Intelligenz seien.
So etwas hat aber noch nie ein Wissenschaftler beweisen können.
Nur Sarrazin glaubt das zu wissen und verkündet das.
Ein kurzer Blick in ein Lexikon reicht schon, um sich da genau über den Stand der Wissenschaft zu informieren.
Wikipedia sagt:

„Es gibt keine von allen Psychologen geteilte, eindeutige Definition von Intelligenz. Stattdessen existieren verschiedene Intelligenzmodelle.“
Es ist also nicht mal klar, was Intelligenz ist!
Und wie ist es um die Erblichkeit der Intelligenz bestellt?

Dazu sagt Wikipedia:
„Schließlich ist die Debatte um die Erblichkeit der Intelligenz auch nicht frei von Skandalen geblieben. Als äußerst umstritten, gelten dabei zum Beispiel Cyril Burt (der aufgrund von Studien an getrennt aufgewachsenen eineiigen Zwillingen, die möglicherweise nie stattfanden, eine Erblichkeit der Intelligenz von 70 bis 80 Prozent annahm)[7] und Rick Heber (der aufgrund eines Experimentes, an dessen Existenz ernsthafte Zweifel aufgekommen sind, annahm, dass der IQ sich durch entsprechende Programme um circa 35 Punkte steigern lasse).[8] Obwohl diese Forscher heute als äußerst umstritten gelten, werden sie noch immer (Stand 2009) von anderen Wissenschaftlern aus den entsprechenden Lagern unkritisch zitiert“

Ich wiederhole also meinen Vorwurf, des leichtfertigen Umgangs mit wissenschaftlichen Zusammenhängen, denn noch nie ist der Beweis erbracht worden, daß es eine genetische Ursache für den, von Sarrazin postulierten, hypothetischen Intelligenzunterschied gibt. Wenn es also keinen Beweis dafür gibt, dass Intelligenz genetische Ursachen hat, und damit erblich ist, entfällt natürlich auch Sarrazins Kernbehauptung, dass die Deutschen immer dümmer werden, weil wir einen ungebremsten Zuzug von dummen Migranten hätten. Das ist aus meiner Sicht genau deshalb schlimm, weil diese Behauptung bedeutet, dass an schulischen Leistungsgefällen dieser Art nichts zu korrigieren wäre. Leistungsschwächere Kinder besonders zu fördern hätte dann nämlich gar keinen Sinn, weil die Schwäche ja genetisch bedingt wäre und bei denen Kindern aus Migrantenfamilien wäre sie sogar rassisch bedingt genetisch fixiert. Diese Aussage macht Herrn Dr. Thilo Sarrazin zu einem Rassisten! Ich verstehe nur nicht, wieso er das nicht selber begreift. Möglicherweise hatte er für solche Behauptungen in den Kreisen, in denen er sich üblicherweise aufhält, noch nie Missbilligung erfahren? In diese rassistische Kategorie lässt sich auch sein Spruch über die Juden, die alle ein gemeinsames Gen haben sollen, einordnen. Auch dieser Spruch lässt sich spontan widerlegen. Er müsste sich nur die Frage stellen, ob er selber, im Falle eines Übertritts zum Judentum, sofort und plötzlich im Besitz dieses Gehens wäre. Ich will jetzt hier an dieser Stelle nicht untersuchen, ob Sarrazin ein hartnäckiger Rassist ist, oder ob dieser Rassismus bei ihm nur gelegentlich vorkommt, und eigentlich seinem unqualifizierten, aber populistischen Umgang mit solchem Gedankengut zuzuschreiben ist.

Nun kann niemand Populist werden, weder hier noch anderswo, wenn er nicht Themen aufgreifen würde, die großen Teilen der Bevölkerung und den Nägeln brennen würden. Es gibt ja tatsächlich eine nicht zufrieden stellenden Grad an Integration speziell bei muslimischen Migranten. Es gibt ja tatsächlich häufig unbefriedigenden Lernerfolge bei Kindern muslimischer Migranten und Kindern, die dem so genannten Prekariat entstammen. Es ist ja tatsächlich auffallend, dass Frauen, die einen Beruf ausüben, nur selten Kinder kriegen.
Nur fällt Herr Dr. Thilo Sarrazin als Berater in dieser Angelegenheit aus, weil er ja von falschen Voraussetzungen kommend, an dieseThemen herangeht, was wir ja bereits gesehen haben. Weil er in denen bereits besprochenen Themenbereichen populistische und damit falsche Argumente gebraucht hat, wären seine Vorschläge für diesen sensiblen Zusammenhang äußerst skeptisch zu betrachten.

Darum schlage ich vor, die Diskussion über diese Themenbereiche ohne Herrn Sarrazin zu führen, denn Sarrazin hat mir nichts zu bieten, außer dem Thema. Aber dieses Thema werde ich mit ihm nicht diskutieren. Gerne aber ohne ihn. Wenn einer so einen Stuß verkündet, habe ich keine Lust, den als Diskussionspartner zu akzeptieren. Ich kann ihn, um Sarrazins eigene Worte zu gebrauchen, „nicht anerkennen“. Als Gesprächs-bzw. als Diskussionspartner, versteht sich, als Mensch schon. Das ist ja das mindeste.

Weil ich ja bereits gezeigt habe, wie schnell jemand, der sich auf diesem Gebiet zu einer Aussage entschließt, entgleisen kann, schlage ich vor, zunächst einmal zu fragen, ob es wissenschaftliche Untersuchungen zu dem Thema gibt, ob es wirklich Intelligenzunterschiede bei Schulkindern deren Eltern unterschiedlichen sozialen Schichten angehören, gibt, und ob diese, falls es sie gibt, überhaupt einen Einfluss auf die spätere berufliche Karriere haben.

Dazu sagt Wikipedia folgendes:
„Eine neuere Studie von Ceci (1996), die unter der Fragestellung „What is better, to be rich or to be smart?“ stand, zeigte, dass zumindest in den USA die soziale Herkunft einen sehr viel stärkeren Einfluss auf das später erzielte Einkommen hatte, als die Intelligenz. [24]

Zusätzlich kann man dort lesen:

„Es lässt sich feststellen, dass es deutliche Unterschiede im IQ bei Kindern und Jugendlichen aus verschiedenen Schichten gibt. Kinder und Jugendliche aus Elternhäusern der Unterschicht schneiden auf IQ-Tests deutlich schlechter ab, als Kinder und Jugendliche aus Elternhäusern der Mittelschicht[26].

In der frühen Kindheit hat die Herkunftsschicht noch kaum einen Einfluss auf die Entwicklung: Bei Kindern aus allen sozialen Schichten zeigt sich im Verlauf der ersten 15 Monate die gleiche Entwicklung der Sprache, des Geistes und des Sozialverhalten. Es gibt einen kleinen Unterschied: Arbeiterkinder sind im Alter von 15 Monaten in ihrer motorischen Entwicklung etwas weiter. Die Gründe dafür sind nicht geklärt[27]. Im Alter von 24 Monaten zeigen sich bereits Unterschiede zu Gunsten der Kinder aus den Mittelschichten. Bei diesen kann nun ein größerer Wortschatz gemessen werden. Mit drei Jahren ist der Wortschatz von Mittelschichtskindern schon drei mal so groß, wie der von Kindern aus der Unterschicht. “

Aus diesen wenigen Zitaten, geht meines Erachtens sehr deutlich hervor, dass alle Kinder bei der Geburt mehr oder weniger gleich intelligent sind. Kinder, die aus denen immer wieder problematisierten Familien stammen, werden offensichtlich, in ihrer frühkindlichen Phase, weniger gefördert, als das bei Kindern im Durchschnitt der Fall ist. Kämen diese Kinder in den Genuss der gleichen Förderung wie die Kinder in den besser situierten Familien, wäre demnach auch keine unterschiedliche Entwicklung in wichtigen Fähigkeiten zu erwarten. Das zu erreichen, ist die m.E. Pflicht unserer Gesellschaft, unserer Politik, schon allein aus Gerechtigkeit diesen Kindern gegenüber, aber auch, weil diese Gesellschaft später einmal auf die Leistung dieser Kinder angewiesen ist.

Außerdem möchte ich noch auf einen anderen Aspekt den ich dem Kommentator Udo Pahl verdanke, hinweisen:
Wer Kinder hat, verliert schnell den Job. Nicht jede Frau kann es sich leisten, für kranke Kinder der Arbeit fern zu bleiben. Die Frauen haben aus diesem Grund Angst, Kinder in die Welt zu setzen.
Das betrifft zwar alle Mütter, aber vor allem solche Mütter, die ihre Kinder ohne Partner aufziehen. Viele alleinerziehende Mütter landen gnadenlos bei Hartz 4.
Und alleinerziehende Mütter vermehren sich heutzutage in Deutschland schneller, als die Gesamtbevölkerung.
Wer allerdings bereits bei Hartz 4 gelandet ist, für den ist es nicht mehr besonders nachteilig, Kinder in die Welt zu setzen. Darum gibt es unter den Frauen, die noch arbeiten so wenig Kinder, und bei den Frauen, die keine Arbeit haben, deutlich mehr Kinder!!! Da müßte doch einer, der ein sozialdemokratisches Parteibuch besitzt, von alleine drauf kommen, oder?

Der Ruhrpilot

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Adolf Sauerland

Loveparade: SPD nennt Sauerlands Reaktion „dilettantisch“…Welt

Loveparade II: Rat fordert Sauerland zum Rücktritt auf…Der Westen

Loveparade III: Wilde Schreierei vor Duisburger Rathaus…Der Westen

Loveparade IV: OB-Abwahl nach Loveparade wenig wahrscheinlich…Ruhr Nachrichten

NRW: Kraft wirft Vorgänger-Regierung „Bilanzbetrug“ vor…Der Westen

NRW II: Attacke auf Röttgen…RP Online

Dortmund: Museum am Ostwall öffnet später im U-Turm…Der Westen

Dortmund II: Europas Schlager-Museum kommt ins Revier!…Bild

Bochum: 100.000 Besucher kamen zum Zeltfestival…Der Westen

Gelsenkirchen: Arte sustenibile uno…Hometown Glory

Medien: Bodo-Hombach Portrait…Zeit

Sarrazin: SPD will von Buschkowsky lernen…taz

Sarrazin II: Die Gegenwut…Spiegel

Prost: Saufen soll gesünder sein als völlige Abstinenz…Welt

Digital: ACTA-Leak aus der Verhandlungsrunde in Washington…Netzpolitik

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3 Jahre Rudolf Steiner ist „zum Rassenhass anreizend bzw. als Rassen diskriminierend anzusehen“

Berlin, 6.9.2010 – Vor drei Jahren, am 6. September 2007, entschied die „Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien“ (BPjM), dass Bücher Rudolf Steiners rassistischen Inhalt haben. Die Bücher waren nur knapp der Indizierung durch die BPjM entgangen, weil der Verlag zusicherte, alsbald kommentierte Neuauflagen herauszubringen und bis dahin die Bücher nur mit einer Beilage auszuliefern. Doch nach drei Jahren ist noch immer nichts geschehen. Unser Gastautor Andreas Lichte erstellte für die BPjM ein Gutachten zur Praxisrelevanz von Steiners Rassismus, in dem er auch die Vermittlung von Rudolf Steiner im „Seminar für Waldorfpädagogik Berlin“ darstellte. Hier ein Auszug, Zitat:

 

Tauchten während der Ausbildung zum Waldorflehrer [im „Seminar für Waldorfpädagogik Berlin“] auch rassistische Inhalte auf? Ja. Ich möchte drei Ebenen unterscheiden:

1. Betonung der Überlegenheit der Europäer (= Weißen) unter Ausklammerung der Unterlegenen, der Nicht-Europäer

2. Beschreibung des Verhältnisses von Europäern zu Nicht-Europäern unter Verwendung rassistischer Stereotypen

3. Beschreibung der Nicht-Europäer

Zu jeder Ebene hier ein Beispiel:

1. Betonung der Überlegenheit der Europäer (= Weißen) unter Ausklammerung der Unterlegenen, der Nicht-Europäer:

Im Fach „Kunstbetrachtung“, einer anthroposophischen Kunstgeschichte, erläutert der Gastdozent Dr. Weiss* die Entwicklung der Steinerschen „Wesensglieder“ anhand von dafür typischen Kunstwerken: Die alten Ägyper besaßen noch ein „magisches Bewusstsein“, eine unmittelbare Verbindung zur „geistigen Welt“; bei den Griechen bildete sich die „Verstandesseele“ aus; und „um das Jahr 1413 herum begann mit der Entdeckung der Perspektive die Ausarbeitung der Bewusstseinsseele“. „Damit haben die Europäer eine Vorreiter-Rolle übernommen“, erklärt Dr. Weiss. Ich frage nach: „Und der Rest der Menschheit hinkt hinterher?!“ Dr. Weiss: „Sie wollen mich wohl auf’s Glatteis führen!“ Gefahr erkannt, leider aber nicht gebannt:

Dr. Weiss ist durchaus bewußt, dass mit der von ihm – oder besser: von Steiner – festgestellten Überlegenheit der Europäer eine Unterlegenheit aller Nicht-Europäer einhergeht. Aber dazu steht er, betont an anderer Stelle, dass doch gar kein Zweifel daran bestünde, dass Schwarz-Afrikaner ganz anders als Weiße seien: „Das merke ich schon, wenn ich bei einem schwarzen Taxifahrer mitfahre …“ Dr. Weiss muß es ja wissen, spricht er doch aus Erfahrung: Er hatte nach eigenem Bekunden jahrelang in Südafrika gelebt.

Im Zusammenhang mit der Perspektive präsentiert Dr. Weiss noch ein überraschendes Detail: auf nicht nachvollziehbaren Umwegen verortet er den eigentlichen Verdienst an der kulturhistorischen Leistung „Perspektive“ im germanischen Kulturkreis nördlich der Alpen:

eben anthroposophische Kunstgeschichte …

2. Beschreibung des Verhältnisses von Europäern zu Nicht-Europäern unter Verwendung rassistischer Stereotypen:

Im Fach „Erzählübungen“, angeleitet vom Leiter des Waldorfseminars, Herrn Klein*, soll ein als vorbildlich geltender Text mit eigenen Worten wiedergegeben werden – dieser Text ist ausdrücklich als Material für den Waldorf-Schulunterricht vorgesehen. Worum geht es? Um Geographie. Geschildert wird die Begegnung von Stanley mit Livingstone irgendwo im finsteren Kontinent, Afrika. Stilistisch scheint es sich um einen Aufsatz des neunzehnten Jahrhunderts zu handeln, mit klarer Rollenverteilung: Der europäische Entdecker, Wissenschaftler, begegnet dem primitiven, naiven Schwarzen …

Die vorgestellten Sterotypen sind so eindeutig diskriminiernd, dass es zu massiven Protesten der Waldorfseminaristen kommt, was aber für die Dozenten kein Anlaß zur Selbstkritik ist.

3. Beschreibung der Nicht-Europäer:

In der Seminarveranstaltung zum Thema Geographie, die der Dozent Vormann* vom 29.10. – 2.11.2001 durchführt, wird eine der nicht-europäischen Rassen mit Namen genannt: die „Indianer“.

Im folgenden zitiere ich aus meinem Erlebnisbericht „Wundersame Waldorf-Pädagogik oder Atlantis als Bewusstseinszustand”:

„»Wie unterrichte ich Geographie an der Waldorf-Schule?« ist das Thema des Dozenten Vormann. Sein Ziel ist es, »hinter den äußeren Eindrücken nach und nach den Schleier für eine höhere Ganzheit zu heben«.

Eine Woche hat er dazu Zeit, und er nutzt sie, um zwei Kontinente vorzustellen: »Geographische Polaritäten. Zentral- und Ostasien im Vergleich mit Nordamerika.« Zunächst ist es nur mehr oder weniger eine Wiederholung des altbekannten Schulstoffes – Gelber Fluß und Colorado River werden gegenübergestellt. Dann widmet er sich seinem eigentlichen Thema: »Mensch und Landschaft.« Aus der asiatischen Architektur – der Pagode – folgert er, daß der Asiat sich dem Himmel – »Tien« – zuwendet.

»Und was ist die typische Architekturform Nordamerikas?« fragt Herr Vormann und gibt alsbald die Antwort: »Es ist die Stufenpyramide. Sie steht für die Erdverbundenheit der präkolumbianischen Völker.« L. erlaubt sich die Frage: »Und was ist mit den Indianern Nordamerikas – der Puebloarchitektur? Oder dem Zelt der Nomadenvölker der großen Prärien?« »Die haben im großen Überblick keine Bedeutung, die Indianer waren schon eine absterbende Rasse«, ist die Antwort des Dozenten. »Eine absterbende Rasse, was meinen Sie damit, daß die Indianer von den Weißen aus ihrem angestammten Lebensraum verdrängt wurden?« »Nein, die Indianer waren schon vorher eine absterbende Rasse, ihnen fehlten die Voraussetzungen für eine kulturelle Höherentwicklung.«

Keiner der Seminaristen sagt etwas. In L. brodelt es, er erinnert sich an seine Reise in den amerikanischen Westen: »Finden Sie das nicht unfair, nach all dem Unrecht, was die Indianer erleiden mußten, ihnen auch noch die Schuld daran anzulasten?!« »Was regen Sie sich so auf, die Alten Agypter waren schließlich auch eine absterbende Rasse.«

L. ringt um Worte: »Meinetwegen können Sie das über die Alten Ägypter sagen, aber ich habe keine Lust, einem Indianer, den ich als Anhalter im Auto mitnehme, zu erklären, daß er zu einer absterbenden Rasse gehört!« Herr Vormann ist ob soviel Respektlosigkeit erbost. »Lassen Sie uns im Unterricht fortfahren, diese Frage können wir hier und jetzt nicht hinreichend erörtern!« Ist damit für ihn die Sache erledigt? L. hört nie wieder etwas von ihm …“ [Zitat-Ende]

Was meint der Dozent Vormann, wenn er von den Indianern als „absterbender Rasse“ spricht? Er fasst mit eigenen Worten eine „Erkenntnis“ Rudolf Steiners zusammen, wie sie sich z.B. in „Die Mission einzelner Volksseelen im Zusammenhang mit der germanisch-nordischen Mythologie“ findet, Zitat:

„Auf das Drüsen-System endlich – nur auf dem Umwege durch alle anderen Systeme – wirkt dasjenige, was wir bezeichnen können als die abnormen Geister der Form, die im Saturn ihren Mittelpunkt haben. Da haben wir in allem, was wir als Saturn-Rasse zu bezeichnen haben, in allem, dem wir den Saturn-Charakter beizumessen haben, etwas zu suchen, was sozusagen zusammenführt, zusammenschließt das, was wieder der Abenddämmerung zuführt, deren Entwicklung in gewisser Weise zum Abschluß bringt, und zwar zu einem wirklichen Abschluß, zu einem Hinsterben. Wie sich das Wirken auf das Drüsensystem ausdrückt, sehen wir an der indianischen Rasse. Darauf beruht die Sterblichkeit derselben, ihr Verschwinden. Der Saturn-Einfluß wirkt durch alle anderen Systeme zuletzt auf das Drüsensystem ein. Das sondert aus die härtesten Teile des Menschen, und man kann daher sagen, daß dieses Hinsterben in einer Art Verknöcherung besteht, wie dies im Äußeren doch deutlich sich offenbart. Sehen Sie sich doch die Bilder der alten Indianer an, und sie werden gleichsam mit Händen greifen können den geschilderten Vorgang, in dem Niedergang dieser Rasse.“

Dieselbe „These“ wiederholt Steiner auch in anderen Werken, in wechselnder Ausgestaltung, z.B. in „Menschheitsentwickelung und Christus-Erkenntnis“, Seite 244:

„Wir haben in der amerikanischen Rasse eine primitive Urbevölkerung vor uns, die weit, weit zurückgeblieben ist, auch in bezug auf religiöse Weltanschauung. (…) Aber die Europäer sind hinaufgestiegen zu einer höheren Kulturstufe, während die Indianer stehengeblieben und dadurch in Dekadenz gekommen sind. Diesen Entwickelungsvorgang muß man immer beachten. Er läßt sich darstellen wie folgt. Im Laufe der Jahrtausende verändert sich unser Planet, und diese Veränderung bedingt auch eine Entwickelung der Menschheit. Die Seitenzweige, die nicht mehr in die Verhältnisse hineinpassen, werden dekadent. Wir haben also einen geraden Entwickelungsstamm und abgehende Seitenzweige, die verfallen (siehe Zeichnung).“

Im vorgestellten Zitat aus „Menschheitsentwickelung und Christus-Erkenntnis“ erläutert Steiner diese „Zeichnung“ auf der gegenüberliegenden Seite, Seite 245 [siehe Abbildung oben].

Fazit:

Im Rahmen der anthroposophischen Ausbildung zum Waldorflehrer am „Seminar für Waldorfpädagogik Berlin” wurden eindeutig rassistische Inhalte gelehrt.

Das Spektrum reichte von krassen Aussagen über Nicht-Europäer  („Indianer”), die diesen letztlich die Existenzberechtigung absprechen, bis hin zum ganz alltäglichen Rassismus, der eine Vorreiterrolle, Dominanz, Überlegenheit des Europäers (= Weißen) gegenüber anderen Rassen ausdrückte.

Steiners esoterische „Menschheitsentwickelung“ wurde in Form seiner „Kulturepochen“-Lehre am Waldorfseminar unterrichtet.

Wie die Steinerschen „Kulturepochen“ und damit seine rassistische „Menschheitsentwickelung“ den Weg über die indirekte Vermittlung durch den Waldorflehrer zu den Waldorfschülern findet, wird im nächsten Kapitel aufzuzeigen sein. [nächstes Kapitel im Gutachten].

* Namen geändert

 

Anhang: Aus der „Entscheidung Nr. 5506 vom 6.9.2007“ der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien zu „Geisteswissenschaftliche Menschenkunde“ von Rudolf Steiner, vertrieben vom Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz, Zitat Seite 6f.:

 

„(…) Der Inhalt des Buches ist nach Ansicht des 12er-Gremiums in Teilen als zum Rassenhass anreizend bzw. als Rassen diskriminierend anzusehen.

Der Begriff der zum Rassenhass anreizenden Medien konkretisiert das allgemeine verfassungsrechtliche Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG. Mithin ist der Begriff „Rasse“ weit auszulegen. Zum Rassenhass anreizende Träger- und Telemedien sind solche, die geeignet sind, eine gesteigerte, über die bloße Ablehnung oder Verachtung hinausgehende feindselige Haltung gegen eine durch ihre Nationalität, Religion oder ihr Volkstum bestimmte Gruppe zu erzeugen, welche zugleich bei Kindern und Jugendlichen einen geistigen Nährboden für die Bereitschaft zu Exzessen gegenüber diesen Gruppen schafft (Nikles, Roll, Spürck, Umbach; Jugendschutzrecht, 2. Auflage; § 18 Rn. 5). Ein Medium reizt mithin zum Rassenhass an, d.h. stellt Rassenhass als nachahmenswert dar, wenn darin Menschen wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer anderen Rasse, Nation, Glaubensgemeinschaft o.ä. als minderwertig und verächtlich dargestellt oder diskriminiert werden (Ukrow, Jugendschutzrecht, Rn. 284). Auch wenn ein Medium nicht direkt zum Rassenhass anreizt oder aufstachelt, fällt es dennoch unter § 18 Abs. 1 S. 1 JuSchG, wenn es das namentlich aus Art. 3 und 4 GG ersichtliche Toleranzgebot der Verfassung z.B. dadurch verletzt, dass es Kinder und Jugendliche dazu verleitet, andere zu missachten, die eine andere Hautfarbe, einen anderen Glauben und eine andere Weltanschauung haben (Ukrow; a.a.O.; Rn. 284).

Nach Auffassung des Gremiums finden sich im Achtzehnten Vortrag vom 3.5.1909 (S. 277-294) Textpassagen, die aus heutiger Sicht als Rassen diskriminierend einzustufen sind, weil der Autor darin Menschen verschiedener ethnischer Herkunft aufgrund körperlicher Merkmale in unterschiedliche Wertungsstufen einteilt. Dort wird u.a. ausgeführt:

Was wäre nun geschehen, wenn nun keine Veränderung innerhalb der Erdentwickelung eingetreten wäre? Dann hätten überhaupt die besten der Seelen der polarischen Länder nicht hineinsteigen können in eine physische Körperlichkeit. Und auf der anderen Seite wäre sozusagen die Bevölkerung um den Äquator herum mehr oder weniger dem Untergange verfallen. Weil sie zu früh in eine physische Leiblichkeit hinuntergestiegen war, verfiel sie ja gerade in jene Laster und Untugenden, die zum Untergange von Lemurien geführt haben. Und die Folge war, dass der beste Teil der Bevölkerung auswanderte in jene Gegenden, die zwischen dem Äquator und den nördlichen Ländern lagen. Denn in den lemurischen Zeiten haben wir die zukunftssichersten Glieder der Menschheit in den Zwischenländern zwischen dem Äquator und dem Nordpol. Gerade am besten entwickelten sich die Menschenleiber, die dann wieder Träger werden konnten der besten Menschenseelen, in jenen Gegenden der alten Atlantis, die in der heute sogenannten gemäßigten Zone lagen. (S. 283)

Diejenigen Völker, bei denen der Ich-Trieb zu stark entwickelt war und von innen heraus den ganzen Menschen durchdrang und ihm die Ichheit, die Egoität aufprägte, die wanderten allmählich nach Westen, und das wurde die Bevölkerung, die in ihren letzten Resten auftritt als die indianische Bevölkerung Amerikas. Die Menschen, welche ihr Ich-Gefühl zu gering ausgebildet hatten, wanderten nach dem Osten, und die übriggebliebenen Reste von diesen Menschen sind die nachherige Negerbevölkerung Afrikas geworden. Bis in die körperlichen Eigenschaften hinein tritt das zutage, wenn man die Dinge wirklich geisteswissenschaftlich betrachtet. Wenn der Mensch sein Inneres ganz ausprägt in seiner Physiognomie, in seiner Körperoberfläche, dann durchdringt das gleichsam mit der Farbe der Innerlichkeit sein Äußeres. Die Farbe der Egoität ist aber die rote, die kupferrote oder auch die gelblichbraune Farbe. Daher kann tatsächlich eine zu starke Egoität, die von irgendeinem gekränkten Ehrgefühl herrührt, auch heute noch den Menschen von innen heraus sozusagen gelb vor Ärger machen. Das sind Erscheinungen, die durchaus miteinander zusammenhängen: die Kupferfarbe derjenigen Völker, die nach Westen hinübergewandert waren, und das Gelb bei dem Menschen, dem die „Galle überläuft“, wie man sagt, dessen Inneres sich daher bis in seine Haut ausprägt. Diejenigen Menschen aber, die ihre Ich-Wesenheit zu schwach entwickelt hatten, die den Sonneneinwirkungen zu sehr ausgesetzt waren, sie waren wie Pflanzen: sie setzten unter ihrer Haut zuviel kohlenstoffartige Bestandteile ab und wurden schwarz. Daher sind die Neger schwarz. – So haben wir auf der einen Seite östlich von Atlantis in der schwarzen Negerbevölkerung, auf der andern Seite westlich von Atlantis in den kupferroten Völkern Überreste von solchen Menschen, die nicht in einem normalen Maße das Ich-Gefühl entwickelt hatten. Mit den Normalmenschen war am meisten zu machen. Sie wurden daher auch dazu ausersehen, von dem bekannten Orte in Asien aus die verschiedenen anderen Gebiete zu durchsetzen. (S. 286)

Diejenigen, die nach dem Osten hinüberwanderten und die schwarze Bevölkerung wurden, waren stark beeinflussbar durch die Außenwelt, besonders für die Sonnenwirkung, gerade weil sie ein geringes Ich-Gefühl hatten. Nun aber wanderten in dieselben Gegenden, wenigstens in dieser Richtung, Völkerschaften, die ein starkes Ich-Gefühl hatten. Das ist eine Bevölkerung, die sozusagen die östliche Richtung der westlichen vorgezogen hat. Diese hat gemildert die kupferrote Farbe, welche sie bekommen hätte, wenn sie nach Westen gezogen wäre. Und aus ihr entsprang jene Bevölkerung, die ein starkes Ich-Gefühl hatte, das sich die Waagschale hielt mit dem Hingegebensein an die Außenwelt. Das ist die Bevölkerung Europas, von der wir im letzten öffentlichen Vortrag sagen konnten, dass das starke Persönlichkeitsgefühl von Anfang an bei ihr das Wesentliche war. (S. 287)

Sehen Sie sich diese Farben an, von den Negern angefangen bis zu der gelben Bevölkerung hin, die in Asien zu finden ist. Daher haben Sie dort Leiber, die wiederum Hüllen der verschiedensten Seelen sind, von der ganz passiven Negerseele angefangen, die völlig der Umgebung, der äußeren Physis hingegeben ist, bis zu den anderen Stufen der passiven Seelen in den verschiedensten Gegenden Asiens. (…) So dass wir im Grunde genommen zwei Gruppen von Bevölkerungen haben, welche die verschiedenen Mischungsverhältnisse darstellen: auf europäischem Boden die einen, welche den Grundstock der weißen Bevölkerung bildeten, die das Persönlichkeitsgefühl am stärksten ausgebildet hatten, aber sich nicht dort hinwandten, wo das Persönlichkeitsgefühl den ganzen Leib durchdrang, sondern wo das Ich-Gefühl sich mehr verinnerlichte. Daher haben Sie in Westasien, zum Teil auch in den älteren Zeiten in Nordafrika und in den europäischen Gegenden eine Bevölkerung, die innerlich ein starkes Ich-Gefühl hat, aber äußerlich im Grunde genommen wenig sich verliert an die Umgebung, die innerlich starke und gefestigte Naturen sind, aber diesen inneren Charakter nicht der äußeren Leiblichkeit aufgeprägt haben. Dagegen haben wir in Asien Bevölkerungen, die passive, hingebende Naturen sind, bei denen gerade das Passive im höheren Grade zum Ausdruck kommt. (S. 288)

Wenn wir jetzt in die Zeiten zurückschauen, können wir sagen: Daran, dass gewisse Bevölkerungsteile der Erde nicht die Möglichkeit gefunden haben, richtig mit der Erdentwickelung Schritt zu halten in der Herausentwickelung ihres Ichs, daran können wir uns die Lehre nehmen, wie viel verfehlt werden kann in bezug auf die Entwickelung des höheren Ichs aus dem niederen Ich. (S. 291)

Da gab es zum Beispiel in der alten Atlantis Völker, die dann zu Indianern geworden sind, die sich sozusagen verloren haben von der Erdenbevölkerung. (…) Und sie haben dieses Ich so stark entwickelt, dass es bei ihnen bis in die Hautfarbe gegangen ist: sie wurden eben kupferrot. Sie haben sich in der Dekadenz entwickelt. (S. 291/292)

Das andere Extrem waren die, welche da sagten: Ach, das Ich ist nichts wert! Das Ich muss sich selber ganz verlieren, muss ganz und gar aufgehen, muss sich alles sagen lassen von außen! – In Wirklichkeit haben sie es nicht gesagt, denn sie reflektierten ja nicht so. Aber das sind die, welche so ihr Ich verleugnet haben, dass sie schwarz davon wurden, weil die äußeren Kräfte, die von der Sonne auf die Erde kommen, sie eben schwarz machten. Nur diejenigen, welche imstande waren, die Balance zu halten in bezug auf ihr Ich, das waren die, welche sich in die Zukunft hinein entwickeln konnten. (S. 292)

Da gab es auch schon diese drei Teile unter den Menschen: Die einen, die ihr Ich wirklich entwickeln wollten, Neues und immer Neues aufnahmen und dadurch wirklich zu Trägern der nachatlantischen Kultur wurden. Es gab die anderen, die ihren Gottmenschen nur aus sich sprechen lassen wollten, und ihr Ich durchdrang sie mit der kupferroten Farbe. Und die dritten, welche nur nach außen hin den Sinn wandten, und dieser Teil wurde schwarz. (S. 294) (…)“

 

Andreas Lichte bei den Ruhrbaronen:

„Waldorfschule: Vorsicht Steiner“ – Interview mit Andreas Lichte

„Kampf bis zur Erleuchtung – Lorenzo Ravagli und der Glaubenskrieg der Anthroposophie gegen Helmut Zander“

„Die Waldorfschulen informieren“

„Drei Gründe für die Waldorfschule“

Waldorfschule: „Detlef Hardorp, der Berlin-Brandenburgische Bullterrier der anthroposophischen Öffentlichkeitsarbeit“

„Waldorfschule: Lehrer gesucht!“

„Waldorfschule Schloss Hamborn, das anthroposophische Zentrum in Ostwestfalen“

 

Abbildung aus: Rudolf Steiner, „Menschheitsentwickelung und Christus-Erkenntnis”, Seite 245

Von Herzen Punk – ar/gee Gleim zum Ratinger Hof Buch

Unser Gastautor, der Fotograf Richard Gleim setzte seinerzeit die deutsche Punkszene rund um den legendären Düsseldorfer Ratinger Hof ins Bild. Er war dabei.

Das Ratinger Hof-Buch. Ablichtung ar/gee Gleim
Das Ratinger Hof-Buch. Ablichtung ar/gee Gleim

Jetzt ist ein opulentes Buch zum Hof von damals erschienen.

Bei uns bespricht ar/gee das Buch selbst und richtet einen Aufruf an die Jugend:

Was macht eine Blechkiste so attraktiv? Das ist wie bei einer Pralinenschachtel, der Inhalt.

Weist der Prägedruck von Verpackungen erlesener Pralinen schon auf den Inhalt hin, ist es hier feines Blech mit einem Bild des Ratinger Hofs.

Du wiegst die propere Blechkiste in der Hand und spürst, dass sich darin etwas Wertvolles befindet, etwas das es zu heben gilt.

Du öffnest den Deckel und …. dir fällt ein Bierdeckel entgegen, der sich alsbald als ein Remake der Eintrittskarte zu einem Konzert von WIRE am 09.11.1978 im Ratinger Hof erweist.

Dann entnimmst du ein DIN A4 Foto des Ratinger Hofs auf festem Karton.

Das ist wie in der Geschichte vom Schlaraffenland, das du erst erreichst, wenn du dich durch einen Berg Reis gefressen hast. Dann aber im Schlaraffenland angekommen hebst du ein Buch aus der Kiste, das dir, solltest du damals nicht dabei gewesen sein, eine Welt eröffnet, über deren Existenz du vielleicht schon einmal gehört hast, die du aber nicht gesehen hast. Wer damals dabei war, wird in Erinnerungen schwelgen und vielleicht Dinge erfahren, die er selbst damals übersehen oder sonst nicht mitbekommen hat.

Authentisch und unmittelbar dargereicht von den Protagonisten dessen, was den ‚Hof’ ausmachte, Peter Hein, Franz Bielmeier, Thomas Schwebel, Peter Braatz (Harry Rag), Jürgen Engler, Wolf Lauenroth, Susanne Reimann, Moritz Reichelt, Klaus Audersch, Joost Renders, Michael Schirner, Collin Newman und Graham Lewis von Wire, Ralf Zeigermann und etwas verspätet und am Rande auch von ar/gee gleim als Beobachter.

Ich habe sie nicht gezählt die Bilder, die das Buch enthält. Es sind sehr viele. Die Texte sind sparsam, kurz und prägnant, beeindruckend wie eben Punktexte so sind, obwohl es sich um erzählende Texte und nicht um Punklyrik handelt.

Die Bilder sind die Musik.

Für dich, der du jetzt in dem Alter bist, welches die damaligen Akteure in ‚Hof’ hatten, ist es die Welt aufgeweckter Mütter und Väter.

Das ist keine abgedroschene, zu verachtende Welt sondern ein Ereignis, das bis heute wirkt.

Diese Eltern sahen nicht aus wie Sascha Lobo.

Das kam später und war eine modische Attitüde.

Diese Eltern waren keine braven, angepassten Arschlöcher. Wichtig war, dass die Akteure gleichermaßen auf der Bühne wie vor der Bühne atmeten, tanzten, tranken und etwas lebten, was einzigartig war und ist. Jeder kann es, auch du. Jetzt!

Das Rad der Geschichte lässt sich nicht zurückdrehen.

Doch eins bleibt, du selbst kannst die Welt aus den Angeln heben. Jeder ist ein kompletter Mensch. Jeder kann sich auf eine tatsächliche oder imaginäre Bühne stellen. Jeder hat das Potential, das Schöne und das Beschissene seiner Gegenwart auszudrücken und mitzuteilen.

Man nennt so was Kunst.

Jeder ist in diesem Sinne Künstler und es ist lächerlich, Angst zu haben, sich in diesem Sinne nicht als solcher zu sehen und zu   e r l e b e n.

Das Buch ruft: „Mach es!“

Das kann heute nicht Punk sein.

Welche Form es annimmt, liegt ganz an dir.

Du bestimmst die Form, Du bestimmst den Inhalt.

Und wenn du es nicht glaubst, dann nimmst du das – dank der geilen Verpackung für eine Ewigkeit gemachte – Buch zur Hand und …. fängst an zu leben.

Viel Spaß dabei.

Es geht ums Leben – das Buch ist somit ein ‚must have’!

Erfahrungsgemäß ist so was bald vergriffen und dann ärgert man sich Jahre lang, dass man jetzt nicht zugegriffen hat.

Hier noch nützliche Daten, falls dein Buchhändler das Buch nicht vorrätig hat und es bestellt werden muss:

Ratinger Hof Buch

Ralf Zeigermann (Hrsg.)

Robert Wiegner Verlag, Königswinter

978-3-931775-13-1

Mietpreise im Revier: Hier bleibt es billig – hier will keiner hin

Gladbecker Innenstadt

In Deutschland steigen die Mieten. In ganz Deutschland? Nein, in den Regionen ohne Zukunft nicht. Im Ruhrgebiet wird es immer billiger und leerer.

Nennen wir ihn mal Michael. Michael hat einen Job in Bochum und ein paar Jahre in Bochum gewohnt. Nun ist er weg. Den Job hat er noch, aber er wohnt lieber in Köln. Zur Arbeit nach Bochum pendelt er ein. In Köln, sagt er, sei es netter. Man müsste weniger fahren um Freunde zu treffen, alles wäre kompakter und unkomplizierter. Und  natürlich ist Köln auch sonst eine geile Stadt.

Und natürlich verlassen ganz viele das Ruhrgebiet, weil sie hier keine Jobs finden.

Das so viele das Ruhrgebiet verlassen, hat natürlich auch seine angenehmen Seiten. In vielen Teilen Deutschlands steigen die Mieten. Nicht im Ruhrgebiet. Überall wird  über Gentrifizierung und ihre Auswirkungen gestritten. Im Ruhrgebiet wird diese Diskussion eher simuliert. Klar, in Essen-Rüttenscheid, in Bochumer Ehrenfeld oder in Dortmunder Kreuzviertel braucht man ein paar Monate um eine Wohnung zu finden. Vier Zimmer ist sowieso schwierig. Aber das war es dann schon. Denn, nur einen Steinwurf entfernt gibt es Leerstände und nichts deutet darauf hin, dass sich daran was in absehbarer Zeit ändert. Im Gegenteil. Noch nicht einmal die billigen Mieten sorgen dafür, dass Leute hier hinziehen.

Neu gebaut wird sowieso relativ selten. Renoviert auch nicht. Es lohnt sich ja auch kaum.

Mit intelligenten Zwischennutzungskonzepten könnten wir die Wegzüge von ein paar Künstlern  vielleicht verzögern. Vielleicht bleiben auch ein paar dauerhaft hier. Aber nicht einmal diese intelligenten Zwischennutzungskonzepte für leerstehende Immobilien gibt es. Das Ruhrgebiet ergibt sich einmal mehr seinem Schicksal, zeigt natürlich keine Initiative und wartet darauf, dass die Hilfe von Aussen kommt. Genügsam schauen wir uns an, wie eine Region mit fünf Millionen Menschen zum Vorort von Düsseldorf und Köln wird. Ein Mega-Ratingen. Nur ärmer.

Es gibt schon gute Gründe, warum es hier so ist wie es ist.  Und der Grund sind wir.

Dazu der passende Soundtrack:

Lob des Zwischenraums – Florian Neuners Buch „Ruhrtext“

Und noch mal Emscherkunst 2010. Sie hat einen jungen Mann ins Ruhrgebiet gelockt, der den fremden Blick sehr ernst genommen hat. Den in Berlin wohnhaften gebürtigen Österreicher Florian Neuner.

Seine Leidenschaften: Zu Fuß gehen und in Kneipen halt machen um mit Leuten zu reden. Ersteres kein großes Hobby der Ruhrstädter, zweiteres schon. Beides hat Neuner im Ruhrgebiet ausgiebig getan und darüber hat er ein Buch geschrieben:Ruhrtext. Text deswegen, weil er die Stadt wie viele seiner literarischen Vorgänger als solchen liest. Als gebaute Sätze mit einem semantischen Sinn der sich nur durch das gehen/flanieren, d.h. durch genau diese dreidimensionale und sinnliche Art des laufenden Begreifens erschließt.
Flaneur und Ruhrgebiet scheint erst einmal ein Widerspruch in sich zu sein.

Aber der Autor stellt sich diesem in einer Konsequenz, die – wenn man bedenkt dass das Buch aus eigener Initiative entstanden ist – geradezu bewundernswert erscheint. Der Kerl ist wirklich durch dieses nicht enden wollende als geradzu antiurban geltende Stadtgestrüpp gelatscht, Tag um Tag, Monat um Monat, um uns Ruhries am Ende klar zu machen, dass es genau diese Mikrostruktur ist, die das Ruhrgebiet ausmacht. Nichts gegen die Industriekultur, nichts gegen die sonstigen Leuchttürme des Ruhrgebiets, aber es ist der Raum dazwischen, der nach seiner Ansicht die Identität dieser Stadtregion bestimmt.

Kein Wort über das Bermudadreieck in Bochum, kaum eins über das Kreuzviertel in Dortmund und über Rüttenscheid in Essen. Auch nicht viel über den neuen Innenhafen von Duisburg. Nichts über die neuen sogenannten Kreativquartiere. Keine der üblichen lobenden Ausführungen über die im landläufigen Sinne dann doch recht urbanen Teile dieser Stadtandschaft. Keine Hymne auf die Arbeitersiedlung als die große solidarische Wohnform der Industriegesellschaft. Stattdessen minutiöse Beschreibungen der Viefalt im Kleinen, durchmischt mit den weltweiten Elementen städtischer Peripherie und dem immer gleichen Containerarchitekturen entlang der nicht enden wollenden und nicht nur für den Fremden immer wieder undurchschaubaren Megastruktur der Autotrassen an Emscher und Ruhr.
Die Wahrheit lieben lernen, das könnte der unausgesprochene Leitsatz hinter diesen ausufernden Beschreibungen gebauter Dispersion sein. Diese gleichzeitige Verlorenheit und Aufgehobenheit in immer neuen Zwischenräumern, ist das große Thema dieses Buches. Vielleicht auch das des Autors selbst. Sie verdichtet sich auch für ihn sozial und kulturell immer wieder in den mehr oder weniger zufällig aufgesuchten Kneipen, in denen er sich mit ebenso zufällig ausgewählten Menschen trifft und, wenn es sich ergibt, sich mit ihnen unterhält, bzw. ihnen zuhört.

Das in diesen aneinander gereiten Zwischenräume jedoch insgesamt eine solche Menge an Menschen wohnen, das alles in allem dabei eine riesige Millionenstadt herauskommt, entgeht dabei auch diesem notorisch autoresistenten Ruhr- und Emscher-Eroberer nicht. Im Gegenteil, es ist gerade diese kompakte Riesigkeit einer Vielfalt im Kleinem die ihn offensichtlich fasziniert. Die ihn diese vielen Reisen in dir Nähe machen lässt. Zu Orten die die meisten Ruhries, mit Ausnahme derer die dort wohnen, kaum kennen weil sie sie auch nicht weiter interressieren. Und natürlich fällt im gerade als Fußgänger (aus Berlin) immer wieder und zu seinem Leidwesen auf, dass diese Ruhrstadt einen Nahverkehr hat, der ihrer Größe und räumlichen Dichte hohnspricht. Der Kommentar einer Wirtin macht den hier manifest werden Widerspruch des ganzen Buches kopfschüttelnd deutlich: Zu Fuß würde ich hier nicht weit laufen.

Stimmt. Niemand würde das hier tun, wenn er nicht dafür bezahlt würde. Das, was der Autor dabei so spannend findet, interessiert die meisten Ruhries nicht die Bohne. Wenn unmotorisiert, dann ist das mindeste als Fortbewegungsmittel ein Fahrrad. Auch mit dem sucht man dann eher die vielen grünen und blauen Freiräume oder die Orte wo sich das Leben verdichtet auf, als dass man sich der sogenannten Zwischenstadt anheim gibt. Die hat man ja in der Regel gleich „um die Ecke.“
Das ist auch ein Problem beim Lesen des Buches. Es kann einem leicht langweilig werden, denn die Beschreibungen sind sich oberflächlich gesehen recht ähnlich. Aber eben nur oberflächlich. Das was der Autor von sich selbst verlangt hat, das verlangt er auch vom Leser: Genaues Lesen bzw. genaues hinschauen. Auch wenn er über die Ruhrstadt und ihre Urbanität zwischendurch theoretisiert. Das wirkt manchmal etwas aufgesetzt, aber nicht uninteressant. Vieles ist dem diesbezüglich informierten Leser auch nicht neu. Aber wie er es mit dem Ruhrgebiet verknüpft, lässt einen dann doch auf neue Gedanken kommen.

Auf jeden Fall konnte ein solches Stadtbuch nur im Ruhrgebiet entstehen und Florian Neuner hat sich dieser besonderen Stadtlandschaft wirklich gestellt. Schon von daher unterscheidet es sich geradezu angenehm von all dem metropolitanen Marketinggeschwurbel das in und um die Kulturhauptstadt verbreitet wird. Man spürt beim Lesen auch zunehmend, dass er sich mit dem Gegenstand seiner Erforschung identifiziert, ohne sich mit ihm gemein zu machen. Statt der berühmt berüchtigten Liebe auf den zweiten Blick, die alle die gerne propagieren, die dann doch nicht bleiben, dominiert der harte und zugleich offene erste und deswegen immer auch fremde Blick das Buch. Schon deswegen ist es, trotz seines großen Umfang, unbedingt lesenswert.

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