Die Luft ist heiß und der Himmel fast wolkenlos. Zeit sich einen offenen Zweisitzer zu leihen und einfach los zu düsen. Zuerst ein Stückchen raus ins Münsterland, über Recklinghausen Richtung Halterner See. Am besten über Landstraßen. Richtigen Landmief schnuppern. Dann einmal um den See spazieren und per Autobahn zurück. Am besten erst gegen Abend, weil dann die Ruhrhighways durchgehende Fahrt erlauben.
Es gibt Leute, die behaupten, das Ruhrgebiet hätte keine Skyline. Stimmt nicht. Der erste Himmelsstürmer auf meiner Liste ist eines der vielen Kohlekraftwerke dieser Region. Die Steag Dreckschleuder sehe ich schon in der Höhe von Marl Sinsen. Ein gigantisches Bauwerk, das es auch in der vertikalen Dimension mit jedem New Yorker Wolkenkratzer aufnehmen kann.
Als Energieverschwender ist es übrigens genauso überragend. Neben einer gewaltigen Menge Kohlendioxyd gibt das Monster auch über 30% der gewonnenen Power wieder direkt und ungenutzt in die Luft ab. Aber in Abendsonne ist das das Ding schon aus der Ferne von beeindruckender Prägnanz. Erst recht, wenn sich die verlorene Energie in Form übergroßer weißer Wolkenberge aus den 5 gewaltigen Kühltürmen vor dem dunkelblauen Himmel auftürmt, die den alles überragenden Schornstein wie kleine Schwestern umkränzen
Am Herner Autobahnkreuz, am Fuße dieses verschwenderischen Kraftprotzes, geht es den Emscherschnellweg Richtung Duisburg. Ab jetzt weiß ich nicht mehr wo welche Stadt gerade anfängt oder aufhört und es interessiert mich auch nicht die Bohne. Rechts und links ist nur noch ein undefinierbares Meer von Häusern,so sehr durchdrungen von Wald- und Buschfetzen, dass beides zusammen zu einem undurchdinglich erscheinenden Stadtdschungel im unmittelbaren Sinn wird. Dazwischen, wie spitze überdimensioniert Felsenklippen, weitere Schornsteine und Türme der immer noch alles andere überragenden Industrie. Aufgereiht, wie an einer Perlenschnur, noch mehr gewaltige Kraftwerke, die mit ihren roten Flugzeugwarnblinkern wie überdimensionierte Leuchttürme aussehen.
Wenn dazwischen in den Himmel gerichteten Laserkanonen aufblitzen, weiß ich, dass ich auf die Clubszene von Oberhausen zusteuere. Ab da ist der nächste prägnante Ruhrwolkenkratzer nicht mehr weit. Gegen diesen kreisrund-schlichten, innen komplett ausgehöhlten und mittlerweile eines der spannendsten Museen Europas beherbergenden Stahlkolosses vom Typ Gasometer hat selbst das direkt daneben gesetzte weithin neonbeleuchtete Supershoppingmal CentrO ästhetisch keine ernst zu nehmende Chance.
Ich verlasse den 6Spurtrail um mein Cabriolet vor dieser XXL-Blechdose zu parken und mich per Aufzug auf ihr Dach heben zu lassen. Der Blick von dort oben ist atemberaubend. Das eben noch unentwirrbar erscheinende Konglomerat der Industrielandschaft beginnt sich von dort oben mit einem Schlag zu strukturieren. Der riesige und insgesamt recht flache Stadtbrei bekommt auf einmal Kontur.
Der Fernsehturm von Dortmund, gut 40km entfernt ist bei diesem klarem Wetter gut zu sehen. Genauso der Maritim-Hotelklotz in Gelsenkirchen, das Hochhausensemble von Essen-Mitte und der Klöcknerkomplex am Duisburger Hauptbahnhof. Selbst Bochum ist vermittels der schlanken und hochgewachsenen ehemaligen Kruppzentrale und seinem Landgericht zu verorten. Der Rhein gibt, vermittels der qualmenden Hochöfen des Thyssenstahlwerks in Bruchhausen, Rauchzeichen. Er selbst fließt allerdings so ruhig dahinter, als würde ihn das alles gar nichts angehen.
Das milliardenteure Klein-Amerika zu meinen Füßen wirkt von oben wie aus der Spielzeugkiste. Auch der dazugehörige in postmodern-dekonstruktivistischer Manier gestalte Bus- und Straßenbahnhalt aus überdimensionierten Mikadostäben. Beim Warten hat man dort zwar ein beeindruckend kompliziertes Dach über dem Kopf, das einen aber schon bei leichterem Wind plus Regen nicht trocken hält. Bei besonders starken Wolkengüssen kommt das Wasser in Sturzbachdimension auf die Wartenden nieder und muss nachher von speziellen Reinigungskräften vom dadurch gefährlich glatt gewordenen marmornen Bahnsteigboden abgewischt werden.
Wieder runter vom Gasometer und hinein in meine flache Openairsemmel. Meine nächste Autobahnabfahrt führt direkt in den Duisburger Innenhafen. Es lag immer schon ein bisschen Seeluft über dieser beeindruckenden Waterfront. Nachdem Miles-And-More-Star-Architekt Norman Foster dort sein kreatives Unwesen getrieben hat ist sie leider verschwunden bzw. einem beeindruckend aalglatten Ambiente mit aalglattem Wasser und aalglatten Anwohnern gewichen. Die Uferpromenade, die ihren Namen wirklich verdient, ist dagegen eine echte Bereicherung. Nicht so mondän wie die neue Rheinpromenade in Düsseldorf, dafür aber ehrlicher und vor allem ruhiger. (Noch)Kein Schaulaufen des Sehen – und Gesehenwerdens, keine aufgedrehten Altstadttouristen, keine Abzockerpreise. Ruhrgebiet und Ruhrgebietsgeschichte ist immer noch spürbar, mit einer kleinen Prise Weltoffenheit, die jeden größeren Hafen am Rhein auszeichnet.
Danach geht es per Highway quer durch Duisburg, über Mühlheim Richtung Essener Innenstadt zu einem kleinen Abendtrunk. Ich muss hier immer wieder aufpassen, denn das Netzt der Autobahnen und vierspurigen Stadtschnellstraßen ist hier trotz riesiger Beschilderung so unübersichtlich, dass ich nachts aus Versehen schon mal fast in Holland gelandet bin. Ich will stattdessen in eine spezielle Bar. Bis dahin, für gut eine weitere halbe Stunde, wieder dieses grün gesprenkelte nie endende Häusermeer.
Jetzt ein mal mehr oder weniger funkelnder Lichterteppich, der zum Ziel hin immer dichter gewebt scheint. Bei der Einfahrt nach Essen gesellt sich die Straßenbahn – wie eine stille Erinnerung an mein ökologisches Gewissen – neben mir als fünfte Spur in die Mitte der Schnellstraße. An ihren Stationen in mitten der vorbei brausenden Autos ein paar verlorenen Menschen, die – wie sonst auch ich – auf dieses umweltfreundliche Schienenfahrzeug nicht nur tagsüber angewiesen sind. In der Rushhour dürfte der Vergiftungsgrad ihrer Lungen dem eines Kettenrauchers mit Hang für filterlose Zigaretten entsprechen, vom unerträglichen Lärm ganz zu schweigen.
Ab Abfahrt Essen Mitte ist dieser Spuk zu Ende. Von da aus sind es noch höchsten 2 Minuten bis zu meinem eigentlichen Ziel. Die Bar stammt aus den fünfziger Jahren und wurde von den neuen Inhabern original restauriert, mit richtigen Cocktailsesseln und über 300 verschiedenen Longdrinks. Drum herum tote Hose, denn Essens City ist nach Geschäftsschluss fast gänzlich von Menschen befreit. An der Cocktailtheke jedoch, an der ich nun verweile, ist Leben: Jazzmusik, gedämpftes Licht, meistens Paare an den kleine Tischen mit Blick durch wandgroße Glasflächen auf den fast leeren Limbecker Platz.
Nur einige schwarze Dealer aus dem nahe gelegen Drogenumschlagsquartier hinter dem Hauptbahnhof streiten sich draußen, nicht weit von uns, mit einander. Bis ein jüngerer deutscher Kunde kommt, um genauso schnell wieder zu verschwinden. Weder mich noch die anderen Gäste interessiert das sonderlich, sind wir doch in jeder Weise in einer anderen Welt. Nicht nur räumlich.
Nach dem Aperitif namens „Ars Vivendi“ meinem Lieblingscocktail, ist es Zeit für ein kleines aber feines Abendmahl. Wenn ich mir schon einen offenen Sportwagen gönne, dann muss auch das Drumherum stimmen, und da gibt es für mich im Ruhrgebiet nur wenige Orte. Nicht das es mittlerweile nicht reichlich und flächendeckend Toprestaurants gibt. Aber es gibt nach meiner Kenntnis nur eins, dass sich – obwohl man es wohl unter Gourmets nicht bei 5 Sterne handeln würde – in ein Ambiente gewagt hat, in dem es sich auch architektonisch konsequent der industriellen Baugeschichte dieses speziellen Stadtlandschaft stellt: Das Kasino der Zeche Zollverein.
Essens Stadtväter und ihre Tief- und Straßenbauer haben dafür gesorgt, dass ich von meiner Cocktailbar durch den herunter gekommenen Essener Norden wieder mindestens vierspurig weiter cruisen kann, um dann nach nicht mal einer Viertelstunde vor dem UNESCO-Weltkulturerbe zu parken. Drumherum wieder mal tote Hose, hier aber mit Currywurst und Kebab, was übrigens vom Leser nicht als kulinarische Diffamierung eben dieser auch von mir geliebten Schnellgerichte aufgefasst werden sollte.
Zur Abwechslung zwischendurch puffartig beleuchtete Wohnungsfenster und kleinere Ansammlungen der Dosenbierfraktion. Sie kann mit der neuen Zeche Zollverein genauso wenig anfangen wie die meisten anderen Leute in dieser Gegend. Auch nichts mit dem Restaurant, das ich jetzt betreten werde. Schon allein wegen der Preise, die auch mich ansonsten vom regelmäßigen Besuch solcher Orte fernhalten. Aber im Moment ist mir das sturzegal.
Es ist die ehemalige Turbinenhalle der besagten Zeche Zollverein. Auch sie ist – zwar von ihrem Maschinenpark befreit – fast pur belassen. Das Umbaukonzept: Hartes Material und weiches Licht. Hier überwiegend Kerzenlicht, das das warme und zugleich elegante geschnittene Holz der Inneneinrichtung betont, ohne die gnadenlose Mächtigkeit der sie umgebenden Beton- und Stahlkonstruktion zu beschönigen
Hier findet man auch die wenigen echten Yuppies, die das Ruhrgebiet beherbergt. Darunter in der Regel ein paar Kulturschaffende mit eingebautem Pensionsanspruch oder die mit größerem privatwirtschaftlichem Erfolg in der entsprechenden Branche mit ihren ebenso schwarz, aber meistens etwas billiger gekleideten Adlaten. Mein offener Flitzer ist deswegen auch nicht der einzige auf dem dazugehörigen Parkplatz. Er dürfte jedoch der einzige geliehene sein.
Was mir und meinem Fahrzeug natürlich absolut gleichgültig ist, ermöglicht es und beiden doch nach dem Nachtmahl in nicht einmal einer weiteren halben Stunde in eine Tangokaschemme nach Dortmund zu düsen. Die nächste Autobahnauffahrt ist wieder nur 5 Fahrminuten entfernt und eröffnet ab da um diese Zeit fast durchgehend und unter systematischer Missachtung der Verkehrsschilder die nach oben offenen Geschwindigkeitsskala . Der Motor brüllt und der Wind wirbelt mir die Haare um den Kopf. Die Musik aus dem Autoradio ist trotz höchster Laustärke nicht mehr zu hören.Wunderbar.
Das Häusermeer ist jetzt weder grün gesprenkelt noch bunt beleuchtet sondern tief schwarz. Eine nur noch unklar vorbei huschende Kulisse eines Roadmovies aus Abfahrten, Kreuzungen, weithin leuchtenden Tankstellen und Drive-in-Mac-Donalds. Einzig und allein die Kraftwerksschlote ragen weithin und ungerührt rot blinkend daraus hervor.
Das Checolala, heute heißt es TNT, kenne ich noch als Szenekneipe aus den Siebzigern. Es hat sich rein äußerlich auch nicht groß verändert. Drum herum supertote Hose, d.h. nicht mal Currywurst und Kebab. Drinnen jedoch sammeln sich Beinarbeiter der ganz besonderen Art aus dem ganzen Ruhrgebiet. Denn der Tango Argentino ist seit 2 Jahrzehnten auch in der Ruhr-Diaspora angekommen und blüht dort aus der Natur der Sache heraus vor allem nachts.Nicht nur in Dortmund.Hier jedoch in der Mitte von Nirgendwo, gegenüber einer vierspurigen Doppelstock-Bahntrasse, im Erdgeschoß eines heruntergekommen Eckhauses aus der Gründerzeit, nahe einem verlassenen Industriegebiet ist er – was seine sozialräumliche Tradition betrifft – ideal aufgehoben.
Die Möblierung des TNT, eine Mischung aus Gelsenkirchener Barock, Kroatischem Kaffehaus und Ruhrpunk ist in seiner kruden Mischung einzigartig. Die Tanzfläche, von ein paar Billigkerzen und einem abgehalfterten roten Strahler beleuchtet, der sich in einer dieser unsäglichen Glitzerkugel aus den 50ger Jahren bricht, hat die ideale Größe für einen Tangosalon, wobei Salon hier, in neudeutsch, nicht für die Location sondern für den Event steht. Alles zusammen ein geradezu idealer Gegenpart zum Kasino Zollverein und mir eigentlich lieber als dieser Yuppieschuppen.
Trotzdem würde ich auf beide nicht verzichten mögen. Dafür tue ich es jedoch gerne am nächsten Tag auf mein hoch motorisierten Freiluftschlitten. Dann sind nämlich dieselben Straßen auf denen man in solchen Nächten wunderbar herumgondeln kann wieder proppevoll und unausstehlich. Von meinem sich wieder meldenden Ökogewissen ganz zu schweigen.