Die gemeinschaftliche Druckwelle

Am Drama der Loveparade haben viele mitgeschrieben

Natürlich muss Adolf Sauerland zurücktreten. Der Duisburger Oberbürgermeister war verantwortlich für ein Spaßevent, bei dem mehr als 20 Menschen ihr Leben verloren. Unvorstellbar, dass der Christdemokrat in seiner Stadt bald wieder einen Kindergarten eröffnet und launige Reden auf Schützenfesten hält. Trotzdem ist Sauerland letztendlich eine tragische Randfigur im großen Drama der Loveparade. Denn das Stück geschrieben haben die Strippenzieher des gesamten Ruhrgebietes.

21. Februar 2007 Veranstalter Rainer Schaller verkündet das Aus für die Loveparade in Berlin. In den folgenden Monaten werben München, Leipzig, Köln und das Ruhrgebiet um das Event. Im Revier bricht in der regionalen Presse Jubel über das „Großereignis, das wir uns nicht entgehen lassen dürfen“ aus.

11. Juni 2007 Überstürzt spricht sich Duisburg für eine Loveparade in der Stadt aus. Der Rat der Stadt Duisburg ermächtigt CDU-Oberbürgermeister Adolf Sauerland, einen Rahmenvertrag mit dem Veranstalter Lopavent über die Loveparade im Jahr 2010 abzuschließen. Die Linksfraktion enthält sich. Der Rat soll laut dem Geschäftsführer der Duisburger Marketing-Gesellschaft Uwe Gerste „noch vor der Sommerpause“ abstimmen, weil das gesamte Ruhrgebiet mit der Entscheidung an die Presse gehen wolle. Zeit für eine Debatte bleibt nicht.

16. Juni 2007 Das Ruhrgebiet erhält von den Veranstaltern Lopavent den offiziellen Zuschlag für die kommenden 5 Loveparades. Schon zwei Monate später, am 25. August, die Loveparade erstmals durch Essen ziehen. 2008 soll Dortmund folgen, in den Jahren darauf die Party in Bochum, Duisburg und Gelsenkirchen statt finden.

20. August 2007 Veranstalter Rainer Schaller legt die Messlatte für die Revier-Paraden hoch. Der Fitnessstudio-Betreiber kündigt an, Berlin im Ruhrgebiet „in mehreren Faktoren zu schlagen“. Es sollen Events der Superlative werden.

25. August 2007 Die erste Loveparade im Ruhrgebiet findet in Essen statt. Die Raver haben das Zentrum für sich. Wegen Überfüllung wird zeitweilig der Bahnhof geschlossen.

19. Juli 2008 Mit der zweiten Loveparade im Revier beginnt der Wettlauf um die höchsten Teilnehmerzahlen. In Dortmund nehmen nach amtlichen Angaben 1,6 Millionen Raver teil, 100 000 mehr als 1999 in Berlin. Diese „Rekordzahl“ nennt ein Sprecher der Stadt. Später zweifeln Polizei und Feuerwehrleute die Zahlen an, es sollen doch nur 850 000 Menschen gewesen sein. Sie ravten ohne Zwischenfälle auf der gesperrten Autobahn 40. Der Bahnhof erwies sich aber schon damals als kritischer Punkt: Er wurde zeitweilig geschlossen, viele Besucher konnten erst Stunden nach Veranstaltungsende einen Zug nehmen.

15. Januar 2009 Die Loveparade in Bochum wird abgesagt. „Wir haben nicht die Infrastruktur für so ein großes Ereignis“, sagt Oberbürgermeisterin Ottilie Scholz (SPD). Medien und die CDU_Opposition reagieren empört. Die Entscheidung sei „eine Schande für das Ruhrgebiet“, die „Metropole hätte sich blamiert“. Ein alternativer Austragungsort ist für 2009 nicht vorgesehen. Heute wird Scholz für ihre damalige Chuzpe gefeiert.

19. Januar 2009 Trotz fieberhafter Suche der politischen und wirtschaftlichen Interessengruppen im Ruhrgebiet wird kein alternativer Austragungsort gefunden. Auch die Autobahn 40, die schon in Dortmund genutzt wurde, sei laut dem Veranstalter „lopavent“ keine Alternative. Sie sei in Bochum zu weit von der Innenstadt und dem Bahnhof entfernt. Wie immer drängt Lopavent darauf, im direkt durch das Zentrum zu ziehen, wie es später auch in Duisburg sein wird.

6. Februar 2009 Nach dem Aus für die Loveparade in Bochum kommen Zweifel für die Veranstaltung im Kulturhauptstadtjahr 2010 in Duisburg auf. Bislang sei keine geeignete Strecke für das Großfest der Techno-Fans gefunden, sagt Duisburgs Stadtsprecher Frank Kopatschek. „Wir warten jetzt auf einen Antrag der Veranstalter“, sagte Kopatschek.

8. Februar 2009 Die traditionell konkurrierenden Ruhrgebietsstädte wetteifern um die Loveparade. Ein Wettlauf der Zugeständnisse an die Veranstalter beginnt. Sollte die weltgrößte Tanzveranstaltung in Duisburg 2010 aus Sicherheits- und Platzgründen nicht stattfinden können, sei ein erneutes Gastspiel im benachbarten Essen denkbar, so der Stadtdirektor Christian Hülsmann.“ Er betont: „Die Loveparade ist keine Katzenkirmes. Das ist ein Riesenaufwand und erfordert zudem hohe Investitionen im mittleren sechsstelligen Bereich.“ Allerdings müsse man schon allein im Hinblick auf das Kulturhauptstadtjahr um die Parade kämpfen. Ansonsten wäre es sehr schlechte Werbung für das Ruhrgebiet.“ Eine Sprecherin der „Wirtschaftsförderung metropoleruhr GmbH“ sekundiert: „Das Ruhrgebiet braucht solche weltweit wahrgenommenen Veranstaltungen, um sein Image als offener und toleranter Lebensraum zu festigen.“

9. Februar 2009 Kritiker der Loveparade werden eingeschüchtert. Der Duisburger Bundestagsabgeordnete Thomas Mahlberg fordert in einem Brief an den damaligen NRW-Innenminister Ingo Wolf die Absetzung des Duisburger Polizeichefs Rolf Cebin. Dieser hatte wenige Tage zuvor geäußert, „eklatante Sicherheitsmängel“ stünden dem Ereignis in Duisburg entgegen. „Dies veranlasst mich zu der Bitte, Duisburg von einer schweren Bürde zu befreien und den personellen Neuanfang im Polizeipräsidium Duisburg zu wagen“, heißt es in Mahlbergs Brief. Er ist noch heute auf der Homepage der Duisburger CDU zu finden. Cebin ist im Frühjahr pensioniert und sein Stellvertreter Detlef von Schmeling wurde für die Loveparade verantwortlich.

10. Februar 2009 Hinter den Kulissen haben sich die Städte darauf geeinigt, doch Duisburg den Vortritt zu lassen. Trotz „Platz- und Sicherheitsbedenken“ soll die Loveparade 2010 in Duisburg stattfinden. Diese Meinung verträten alle großen Ruhrgebietsstädte, teilt die Wirtschaftsfördergesellschaft Metropoleruhr mit. Der point of no return für Duisburg.

29. Oktober 2009 Die Veranstalter der Loveparade geben ihr „Go“ für das Technospektakel in der Stadt am Rhein gegeben. Sie haben sich das Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs ausgesucht. Bisher ist auf dem Brachland nahe der Innenstadt nicht viel außer grünem Gestrüpp. Überwachsene Schienen, eine alte Bahnhofshalle – das noch unbebaute Land ist der einzige freie Fleck, der den Veranstaltern zentrumsnah genug ist. Für die Loveparade muss das Gelände noch gerodet werden. Die Organisatoren arbeiten angeblich schon am Konzept und an den Streckenplänen. Anfang 2010 wollen sie Planungsdetails bekanntgeben. Dazu wird es nicht kommen, detaillierte Pläne wurden der Öffentlichkeit nie vorgestellt

15. Dezember 2009 Der Kulturausschuss wird per Power-Point-Präsentation über den Stand der Planungen für die Loveparade informiert. Die Präsentation bleibt oberflächlich. „Anhand einer Folie wurde dargestellt, dass viele Bahnlinien über Duisburg führen und damit eine gute Erreichbarkeit Duisburgs gegeben sei“, heißt es zum Beispiel im Protokoll der Sitzung. Es werde mit einer Millionen Gäste gerechnet. Die CDU-Fraktion betont, es käme Geld nach Duisburg – allein der Veranstalter würde mit mehreren hundert Leuten ja einige Tage in der Stadt übernachten müssen. Am Rande geäußerte Zweifel an den Einnahmen werden von der CDU-Ratsfraktion weggewischt.

Dezember 2009 Der Nothaushalt von Duisburg wird zum größten Hindernis für die Loveparade. Die bankrotte Stadt darf nur noch Geld für Pflichtaufgaben wie Kindergärten ausgeben, freiwillige Projekte muss sie genehmigen lassen. Die Bezirksregierung Düsseldorf als oberste Finanzaufsicht teilt der Rheinkommune in „informellen Gesprächen“ mit, dass die Stadt kein Geld für die Loveparade ausgeben darf, so Sprecher Bernd Hamacher. Dennoch schafft die Stadt Fakten: Nach Aussagen von Sprecher Frank Koptaschek werden zeitgleich Arbeitsgruppen mit Vertretern der Feuerwehr, Polizei, Ordnungsamt und Veranstalter gebildet, die in einem festen Turnus tagen sollen.

21. Januar 2010 In einer Ratssitzung stellt OB Sauerland in wenigen Minuten die vagen Planungen für die Loveparade vor. Insgesamt stehen mehr als 90 Punkte auf der Tagesordnung, einer davon ist das Großereignis. Die Opposition zweifelt. So sagt der SPD-Fraktionsvorsitzende Herbert Mettler laut einem schriftlich vorliegendem Protokoll: „Die Beschreibungen zu dieser Veranstaltung haben mich sehr erschrocken. Ich frage mich, wie die Risiken beherrscht werden sollen.“ Mettler sagte, es seien viele Fragen ungeklärt. „Wenn man viele junge Menschen nach Duisburg einlädt, dann muss ein reibungsloser Ablauf allein aus Sicherheitsgründen garantiert werden“, so der Sozialdemokrat damals. Worte, die heute fast prophetisch klingen. Doch der Duisburger Rat ist mehrheitlich den Verheißungen der Kulturhauptstadt erlegen. In derselben Sitzung äußert sich ein FDPler, Duisburg könne es sich aus „Imagegründen kaum leisten, die Loveparade abzusagen. Das würde insbesondere im Kulturhauptstadtjahr sehr schlecht in der Außendarstellung wirken.“

28. Januar 2010 In den Medien wird Druck aufgebaut, die Loveparade unbedingt statt finden zu lassen. Via der Monopol-Zeitung im Revier WAZ warnt Dortmunds Kämmerer und Kulturdezernent Jörg Stüdemann vor einem „riesigen Imageschaden für das Ruhrgebiet“, falls die in Duisburg geplante Loveparade wegen der hohen Verschuldung der Stadt ausfallen sollte. Auch Kommentatoren im WDR, der gleichzeitig Kooperationspartner der Kulturhauptstadt 2010 ist, erhöhen den Druck, die Veranstaltung statt finden zu lassen. Der künstlerische Direktor der Kulturhauptstadt 2010, Dieter Gorny, sagt: „Es gibt keine bessere Gelegenheit, sich international zu blamieren, als wenn man diese Chance verpasst. Eine richtige Metropole kann das stemmen.“ Auch die heutige Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) forderte damals, diese „Stück Jugendkultur“ nicht sterben zu lassen. „Oberstes Ziel für NRW ist: Die Loveparade gehört ins Ruhrgebiet“, so die SPD-Landesvorsitzende

29. Januar 2010 Die Loveparade wird politisches Streitobjekt in Düsseldorf. Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland sucht bei der Landesregierung finanzielle Unterstützung für seine Loveparade. Der Christdemokrat stößt beim damaligen Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers (CDU) auf offene Ohren. Ein erster offizieller Gesprächstermin zwischen Bezirksregierung, Innenministerium und Stadt wird aber aus „Termingründen“ verschoben. Hintergrund ist ein Zerwürfnis des damaligen Innenministers Ingo Wolf (FDP) mit Rüttgers. Der Liberale fordert klamme Kommunen generell zum sparen auf und will für die Stahlstadt keine Ausnahme machen

3. Februar 2010 Der Veranstalter Lovapent stellt erstmals einen offiziellen Antrag bei der Stadt, die Loveparade auf dem alten Bahngelände durchführen zu können

4. Februar 2010 Die Zahlentrickserei beginnt. Sauerland und die CDU suchen Finanzquellen. Raver und Unternehmen sollen jetzt die Finanzierung der Loveparade in Duisburg sichern. Die Duisburg Marketing GmbH hat einen Rettungsfonds eingerichtet, damit der Liebeszug nicht an den klammen städtischen Kassen scheitert. Später sollen darin rund 100 000 Euro eingehen. Offiziell. Denn in Wahrheit sind mehr als die Hälfte davon nicht näher spezifizierte „Sachspenden“ oder Geld, das durch Fanartikel wie T-Shirts erst noch verdient werden muss

8. Februar 2010 In Briefen, im Internet und öffentlich kritisieren Bürger die Loveparade. Denn der Rat verkündet zeitgleich eine lange Sparliste für die ärmsten und jüngsten der Stadt – so wird bei Jugendzentren, der Prostituiertenhilfe und dem Sozialticket für den Nahverkehr gespart. Der evangelische Pfarrer Friedrich Brand aus Duisburg fordert in einem offenen Brief an die Stadt, die Loveparade abzusagen. „Die Stadt soll auf eine überflüssige Party verzichten die zu nichts anderem dient als einem zweifelhaften Imagegewinn der Stadt.“

9. Februar 2010 Gegen die kritischen Bürger wendet sich sofort die Phalanx der Kulturhauptstadt. Ihr Chef Fritz Pleitgen sagt, es müssten „alle Anstrengungen unternommen werden, um dieses Fest der Szenekultur auf die Beine zu stellen.“

Am selben Tag lehnt der Chef der Bezirksregierung Düsseldorf, Jürgen Büssow, offiziell die Planungen für die Loveparade ab. Der Kommunalaufseher muss die Ausgaben der Kommune genehmigen, die im Nothaushalt steckt und in den kommenden Jahren 160 Millionen Euro einsparen muss. Knapp eine Millionen für ein Spaß-Event seien da nicht drin.

20. Februar 2010 Der Rat tagt an einem Samstag in einer Sondersitzung von 8 Uhr morgens bis 8.42 Uhr. Wieder geht es nur um Finanzen. Es fehlen drei Christdemokraten, 70 Ratsherren- und frauen von CDU, SPD; Grüne, der Linken und der Wählergemeinschaft stimmen ohne Ausnahme für folgenden Antrag: „Der Rat der Stadt begrüßt die Durchführung der Loveparade in Duisburg. Die aktuelle Haushaltslage erlaubt keine Haushaltsbeteiligung an den entstehenden Kosten, daher konkretisiert der Rat der Stadt seinen Beschluss vom 11.06.2007 um folgende Festlegungen: Erstens dürfen für die Loveparade keine Haushaltsmittel der Stadt eingesetzt werden. In der kurzen Sitzung fragt niemand nach der Organisation.

25. März 2010 Laut Teilnehmern soll es an diesem Donnerstag zu einem Treffen im Innenministerium mit OB Sauerland und Regierunsgvertretern gekommen sein. Wieder geht es u die Finanzierung. Die Beteiligten wollen die Loveparade unbedingt – es geht nur darum, wie es trotz der strengen Auflagen für bankrotte Städte genehmigt werden kann

30. März 2010 Die Stadt Duisburg beantragt beim NRW-Verkehrsministerium, was schon lange in Hinterzimmern ausgekungelt wurde: Die Stadt Duisburg will 150 000 Euro für den Verkehrsverbund Rhein Ruhr (VRR), um die erforderlichen Sonderbusse zu finanzieren. Die Deutsche Bahn stellt ihre Anträge erst Anfang Juni, erhält das Okay dann wenig später. Begründet wird dies laut der Sprecherin Heike Dongowski des nach der Landtagswahl im Mai neu besetzten Ministeriums mit dem öffentlichen Transportauftrag. Dies sei üblich bei Großveranstaltung. Finanziert wird das Ganze nach dem ÖPNV-Gesetz aus dem Programm Service und Sicherheit. Allerdings ist die Summe, insgesamt werden 450 000 Euro an Bahn und VRR fließen, ungewöhnlich hoch.

14. April 2010 Das Innenministerium genehmigt auf Druck der Landesspitze die öffentlichen Aufgaben der Stadt Duisburg. Übermittler der Nachricht ist offiziell die Bezirksregierung Düsseldorf, die Duisburg mitteilt es gebe „keine haushaltsrechtlichen Bedenken“ mehr. Laut dem Sprecher Hamacher gibt das NRW-Verkehrsministerium insgesamt 450 000 Euro, die Firma des Veranstalter, Mc Fit, investiert 105 000 Euro und zwei Sponsoren insgesamt 100 000. Durch Merchandising, also dem Verkauf von Fan-Artikeln, sollen geschätzte 185 000 Euro zusammen kommen. Werden es weniger, bürgt die Staatskanzlei mit 100 000.

26. April 2010 Erst knapp zwei Wochen nach der grundsätzlichen Genehmigung erteilt erst das NRW-Verkehrsministerium sein offizielles Okay für die massive Förderung von Nahverkehr und Bahn. Offenbar hat das Innenministerium schon vor dem offiziellen Ja der Förderung seine Bewilligung erteilt.

1. Juni 2010 OB Sauerland antwortet auf eine Anfrage der Linkspartei zum Verkehrskonzept vom April. Sie thematisiert schon klar den problematischen Zugang zum Gelände. „Die Nähe des Hauptbahnhofes zum Veranstaltungsgelände stellt ein besonderes Problem dar“, heißt es in der Mitteilungsvorlage. Der Veranstalter – die Firma lopavent GmbH – habe bereits ein Konzept zur umfangreichen Sicherung des Veranstaltungsgeländes zu den Bahngleisen vorgelegt.Dieses Konzept wiederum wurde den Ratsherren nicht vorgestellt. Gefragt danach haben sie aber auch nicht.

Juni 2010 Mitarbeiter des Ordnungsamtes werden nach Informationen aus dem Innenministerium und dem Rat der Stadt Duisburg systematisch von der Stadtspitze unter Druck gesetzt, Bedenken in den Wind zu schlagen und die erforderlichen Genehmigungen zu erteilen. Parierte ein Mitarbeiter nicht, wurde die Vorlage umstandslos an einen zweiten gegeben, der sie dann unterschrieb. „Sie wurden gezwungen, alles abzunicken“, so ein Ratsmitglied.

18. Juni 2010 In der Sitzung einer Arbeitsgruppe von Feuerwehr, Ordnungsamt, Veranstalter Lopavent und dem Ordnungsdezernenten Wolfgang Rabe kommt es zu einem Eklat: Veranstalter Lopavent weigert sich, den vom Ordnungsamt geforderten Fluchtweg von 440 Metern zu organisieren. Laut einem Protokoll hat Ordnungsdezernent Wolfgang Rabe Druck ausgeübt. „Der OB wünscht die Veranstaltung und hierfür muss eine Lösung gefunden werden.“ Der Baudezernatsleiter Jürgen Dressler kommentierte das Schreiben handschriftlich: „Dieses entspricht in keinerlei Hinsicht einem ordentlichen Verwaltungshandeln und einer sachgerechten Projektstellung.“ Reagiert hat darauf niemand.

5. Juli 2010 Der Rat beschließt für die Loveparade die Änderung zweier Satzungen: Die Sperrstunde wird für den Veranstaltungstag aufgehoben. Die Gewerberechtsverordnung wird dahingehend geändert, dass Geschäfte keine Glasflaschen an dem Tag der Loveparade verkaufen dürfen. Das Sicherheitskonzept wird nicht thematisiert. „Damit waren 6000 Mann in der Verwaltung beschäftigt, auf die haben wir uns verlassen“, sagt dazu SPD-Geschäftsführer Uwe Linsen

Juli 2010 Unter Hochdruck arbeiten Polizei, Feuerwehr, Veranstalter und Ordnungsamt an den Plänen für den Tag X. Nach Informationen aus Teilnehmerkreisen soll es dabei viele Debatten um die richtige Wegführung auf dem Gelände gegeben haben. Allen Beteiligten ist klar, dass der nur 25 Meter breite Tunnel ein „neuralgischer Punkt“ der Veranstaltung sein wird.

22. Juli 2010 Bundesweite und regionale Medien drucken Sonderseiten über das „größte Spaßevent“ in Deutschland. Im Jugendsenderr 1-Live laufen tagelang Sondersendungen, der eigen Wagen wird beworben. Die regionalen Zeitungen NRZ und WAZ kommentieren die Loveparade „als Glücksfall“ für die gesamte Region

23. Juli 2010 Der erst vor wenigen Tagen ins Amt berufene NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) gibt eine Jubelmeldung 24 Stunden vor der Loveparade heraus. „Alle sind hoch motiviert und haben sich professionell vorbereitet“, sagt der Duisburger in einer Pressemitteilung. Einen Tag nach dem Unglück löschte das Innenministerium die Meldung, angeblich aus „Pietätsgründen“, so der Sprecher von Jäger. Der Innenminister kenne das Konzept für den Polizeieinsatz, aber für das Sicherheitskonzept auf dem privaten Gelände seien die Stadt und der Veranstalter verantwortlich. Montag ist die Meldung dann wieder online. Die Suche nach den Verantwortlichen beginnt.

Juicy Beats – Das Sowieso-Festival aus Dortmund

Die Macher der Kulturhauptstadt nannten „Juicy Beats“ ein „Sowieso-Festival“. Eines der vielen Festival aus dem Ruhrgebiet, die unter ihrer Wahrnehmungsschwelle lagen und es sowieso gab. Klar, Mega-Events wie die Loveparade versprachen mehr internationale Aufmerksamkeit.

Seit 1996 gibt es Juicy Beats. Gut 20.000 Besucher werden morgen in den Westfalenpark kommen. Vielleicht ein paar mehr, vielleicht ein paar weniger. Egal. Das Line Up ist hervorragend: Tocotronic, Die Sterne, Blumentopf, Sista Orchestra, Phoneheads und viele andere. Ein Ruhr2010-Logo sieht man nicht auf der Homepage – allemal ein  Zeichen für Qualität. Juicy Beats, Blackfield, Bochum Total und all die anderen  Festivals aus dem Ruhrgebiet wurden von den Ruhr2010-Machern immer abfällig als „Sowieso-Festivals“ bezeichnet.  Veranstaltungen aus dem Revier, für die man sich nicht weiter interessierte, die es sowieso gab.  Los geht es um 12.00 Uhr Mittags.

Um 18.45 Uhr gibt es eine Schweigeminute für die Toten der Loveparade.

Was das Ruhrgebiet von Woody Allen lernen könnte.

Die Katastrophe in Duisburg ist ein verdammt trauriger Anlass sich über die unheilige Allianz von Minderwertigkeitskomplex und Größenwahn auszulassen. Aber diesbezüglich steht die Stadt am westlichen Rand unseres Ruhrgebietes für die ganze Städteregion, und deswegen ist dieses Desaster unser aller Desaster. Egal ob die Spitze der Kulturhauptstadt das so sieht oder nicht.

Es ist die ewige Tonnenideologie, die Magie der großen Zahl, die schon das alte Ruhrgebiet so berühmt gemacht hat und die uns jetzt in der grauenhaften Form von 21 Toten auf die Füße gefallen ist. Niemand hat diese gewollt. Auch Adolf Sauerland nicht und das kann man ihm trotz seiner offensichtlichen und in ihrer Wirkung so furchtbaren Fehler getrost glauben.
Wer solch machtarrogante Hybris aber in Zukunft vermeiden will, der muss nicht nur dieses tödliche Desaster genau studieren, und natürlich die Schuldigen festmachen und bestrafen, der muss sich fragen was grundsätzlich zu ändern wäre. Dabei sollte allen klar sein, dass sich das Ruhrgebiet unter den gegebenen Bedingungen, und an denen ändert leider auch die Tragödie in Duisburg nichts, auch in Zukunft dem Konkurrenzkampf der großen Ballungsräume zu stellen hat. Wenn damit die Frage nach dem Ob richtig beantwortet ist, dann stellt sich automatisch die Frage nach dem Wie, und dafür kann die Antwort kann nach Duisburg nur lauten: Nicht mehr so wie bisher!

Wie aber dann? Wie konkurriert jemand erfolgreich, wenn er nicht über das verfügt, was zum Standard der Reichen, Schönen und Mächtigen gehört?
Wenn man als Ballungsraum nicht direkt am Meer liegt? Nicht über reihenweise tausendjähriges und zugleich geschichtsträchtiges Gemäuer und schnuckelig Altstadtgassen verfügt? Wenn man keine Hochhausskyline und keine Golden-Gate-Bridge zu bieten hat? Wenn man keine Hauptstadt ist, ja in sich selbst über kein großes allüberragendes Zentrum verfügt? Wenn man zwar viele, dafür aber kaum ein weltbekanntes Theater oder Konzerthaus sein eigen nennt? Wenn man Zigtausende von Studenten aber keine global notierte Universität hat? Wenn man eben nicht reich, schön und mächtig ist?

Wenn man also als Stadt-und Kulturlandschaft ungefähr so viel vom Äußeren hermacht wie als Männertyp Woody Allen in seinen frühen Jahren. Ein Mann, der heute immer noch nicht schön, auch nicht mächtig und auch nicht richtig reich geworden ist, dafür aber weltberühmt und weltweit beliebt und verehrt. Welche kulturellen Produkte respektive Filme produziert man, wenn man kein Geld hat und trotzdem als Regisseur gegen Hollywood antreten will.
Schauen wir uns also die erste Filmgeneration dieses Mannes an, die die Basis seines späteren weltweiten Erfolges darstellen und zu denen eben auch schon weltweit erfolgreiche Filme wie „Manhattan“, „Mach´s noch einmal Sam“ usw. gehören und die er alle in seiner Heimatstadt gedreht hat. Nicht nur, aber vor allem: um Geld zu sparen. Frei nach dem Motto Teddy Roosevelts während der Zeit der großen Krise und des New Deals: Do what you can, where you are, with what you have! Einen Satz, den sich das Ruhrgebiet schon seit längerem auf die Fahnen hätt schreiben sollen.

Bis heute kosten Woody Allen Filme in der Regel nicht mehr als eine einzige Explosionsszene in Bruce Willis Filmen. Aber mittlerweile haben auch Superstars mit dem gleichen Bekanntheitsgrad wie eben dieser Willis in seinen Filmen mitgespielt bzw. würden sie es gerne tun. Was also macht die offensichtlich enorme, wenn auch nicht massenhafte Attraktivität eines typischen Woody Allen Films für Zuschauer und Schauspieler aus? Ich bin kein Film- und Theaterwissenschaftler. Trotzdem glaube ich, dass die folgende Elemente bis heute eine wesentliche Rolle in seinen Werken spielen:

Der Plot und nicht die Ausstattung ist entscheidend.

Selbst das Tragische ist immer auch komisch, wenn nicht sogar idiotisch.

Intellektualität und Intelligenz sind kein Grund zur Überlegenheit sondern immer Teil vergeblicher Selbstüberschätzung.

Selbstüberschätzung und Selbstmitleid sind zwei Seiten der gleichen Art sich lächerlich zu machen.

Es gibt keine Siege sondern einen ewigen Wettlauf um Platz 2-3 und niedriger.

Das Absurde ist genauso Teil des Alltags wie das Banale.

Die überzeugendste Form der Selbstkritik ist die Selbstironie und die Fähigkeit über sich selbst lachen zu können.

Über alledem liegen zwei unausgesprochene, aber doch in allen Elementen sich widerspiegelnder Leitsprüche, die wohl auch das emotionale und geistige Selbstbild des Regisseurs bestimmen:

Das Spektakuläre und spannende liegt nicht in der Größe und Breite sondern in der Tiefe.

Wer nicht stark und schön ist, hat die heilige Pflicht wenigstens intelligent und witzig und damit auch ohne viel Geld attraktiv zu sein.

Mit der Umsetzung dieser beiden Leitsätze könnte das Ruhrgebiet, mit gebotenem Abstand zu den fürchterlichen Ereignissen in Duisburg, sehr bald anfangen. Zuerst gilt es allerdings eine Zeit lang einfach nur innezuhalten. Die Kulturhauptstadt-Show muss nicht unbedingt weitergehen, als wäre nichts geschehen.

Der Ruhrpilot

Loveparade: Bosbach fordert im ZDF Sauerlands Rücktritt…Der Westen

Loveparade II: Im Westen geht die Sonne unter…Spiegel

Loveparade III: Teilnehmer-Zahlen  waren gefälscht…Der Westen

Loveparade IV: Ein Rathaus ruiniert seinen Ruf…Zeit

Loveparade V: Monitor über die Loveparade…Pottblog

Loveparade VI: Die Loveparade ist für die Bigotten ein Teufelswerk…Welt

Loveparade VII: Menschen geraten in Panik, weil sie sterben…NZZ

Piraten: Flaute und Spaß dabei…Süddeutsche

Bochum: Zeltfestival Ruhr steigt mit vielen Top Acts…Ruhr Nachrichten

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Die Metropolen-Show ist vorbei

Die Metropole Ruhr wird zur Zeit in in nahezu allen Medien kritisiert. Zu Recht. Schade nur, dass die Kritik am Kern des Problems vorbei geht.

Es begann in den 90er Jahren, das die Politik reale Probleme zunehmend als Kommunikationsprobleme ansah. Entsprechend setzte man zur Problemlösung auf die Mittel von Öffentlichkeitsarbeit und Werbung: Die verschiedenen Gründeroffensive, die Teams für Arbeit und all der andere inhaltsleere Unfug hat seinen  Ursprung in diesem denken. Die harte, die Veränderung von Strukturen trat in den Hintergrund.

Auch am Ruhrgebiet ging diese Mode nicht vorbei und der Ausdruck dieses PR-Geschwätzes ist der Begriff der Metropole Ruhr. Geschaffen wurde er von Oberbürgermeistern und Landräten, die an einer verbindlichen, intensiven Zusammenarbeit kein Interesse hatten. Das Label Metropole Ruhr war nicht mehr als die Simulation von Einigkeit. Hinter dem peinlichen Begriff, den niemand ernst nahm, verbargen sich immer 53  Städte in all ihrer Mittelmäßigkeit.

Viele Probleme der Region haben ihren  Grund in dem  legendären Kirchturmdenken der Städte im Ruhrgebiet. Die Politiker des Ruhrgebiets schwadronierten lieber von der Metropole Ruhr als sich darum zu kümmern, aus einem Dutzend Nahverkehrsunternehmen ein einziges zu machen, dass den Bürgern ordentliche Leistungen zu vernünftigen Preisen liefert. Man redete sich nach aussen groß, um die kleinteiligen, teuren und nicht effizienten Strukturen zu erhalten. Dabei kann man die Diskussion, wie viel Städte sich die Region noch leisten kann, sicher ein paar Jahrzehnte hinausschieben. Um radikale Strukturveränderungen drücken wird man sich nicht können. Dafür ist das Ruhrgebiet einfach zu arm.

Das Metropolen-Gerede wird nach der Loveparade sein Ende finden. Eine Alternative zur engeren Zusammenarbeit im Ruhrgebiet gibt es trotzdem nicht. Sie ist notwendig, damit das Ruhrgebiet überhaupt eine Chance hat im Wettbewerb der Regionen und Städte eine Chance zu haben. Die Städte haben allein sie nicht. Dabei geht es nicht darum, sich zu Weltstadt hochzureden.  Es geht darum, das Leben in dieser Region halbwegs vernünftig zu organisieren. Dieser Prozess ist gerade einmal in Ansätzen zu erkennen. Geht er nicht weiter, wird die Kritik an der „Metropole“ zur Rechtfertigung der Kirchtürme genutzt, kann man den Möbelwagen rufen. Ich mag ja Köln. Und, natürlich, mein Frankfurt. Berlin ist auch ok. Oder Hamburg…

Der Ruhrpilot

"Mitarbeiter wurden massiv unter Druck gesetzt"

Loveparade: Sauerland bleibt – „aus Pflichtbewusstsein“…Der Westen

Nachruf: Aldi-Gründer Theo Albrecht gestorben…FAZ

Loveparade II: Polizei wirft Love-Parade-Veranstalter Versagen vor…Spiegel

Loveparade III: Macht der Maßlosigkeit…Welt

Loveparade IV: 1000 Fußballfans ziehen trauernd durch Duisburg…Der Westen

Loveparade V: Love Parade wird zum kulturpolitischen Desaster der Ruhr.2010…BSZ

Loveparade VI: Plädoyer für einen Paradigmenwechsel im Ruhrgebiet nach der Katastrophe von Duisburg…Thomas Ernst

Loveparade VII: Flashmob vor dem Rathaus Duisburg…Pottblog

Loveparade VIII: Boykottaufrufe gegen McFit…taz

Loveparade IX: Mc Love…Jungle World

Loveparade X: Die Familien der Loveparade-Toten danken allen Werbenden für ihre Anteilnahme…Mediaclinique

Dortmund: Land prüft Arbeit der Behörden im Fall Envio…Der Westen

Dortmund II: Früherer SS-Mann wegen Massenmords an Juden angeklagt…Der Westen

Gelsenkirchen: Raul endlich da…Ruhr Nachrichten

Essen: Kommunalaufsicht stoppt „Bäderkonzept“…Der Westen

Internet: Für die Freiheit statt Angst – Demonstration werben…Netzpolitik

Umwelt: Professor Sinn’s unsinnige These vom „Klimaparadox“…Frontmotor

Update II: Twitter: Flashmob gegen OB Sauerland – E-Petition für Rücktritt

Pressekonferenz auf der Medienbrücke, 17.31 Uhr, kurz vor der Liveschalte zum BILD-Stream: Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU) nimmt in Gegenwart von Kreativitätschef Gorny und Spaßmaxe Pocher eine Prioritäts-SMS entgegen. rubapic

Von Stefan Laurin und Thomas Meiser

Update – 18.36 Uhr. Nach Angaben der Duisburger Polizei nahmen an dem per Twitter erst am Nachmittag angekündigten Flashmob zum Rücktritt des Duisburger Oberbürgermeisters Adolf Sauerland rund 30 Personen teil.

Der Flashmob fand unter so großer Medienbeobachtung statt, daß er mir persönlich (Thomas) gar nicht aufgefallen ist. Vielmehr belagerte eine definitiv größere Zahl von Journalisten – Kamerateams, Knipser usf – die Treppe des neogotischen Duisburger Rathauses.

Von der Treppe herunter begab sich gegen 17.40 Uhr nach meiner Beobachtung Eckhart von Klaeden, der Staatsminister im Bundeskanzleramt, der in seinem S-Klasse-Benz verschwand. Um reifenquietschend um die Ecke zu biegen.

Von Klaeden klärte wohl die am Samstag anstehenden Trauerfeierlichkeiten in der neben dem Rathaus gelegenen Salvatorkirche ab, an denen Bundeskanzlerin Merkel teilnehmen wird.

Auf Twitter häufen sich die Tweets, die zu einem Flashmob gegen Duisburgs OB Adolf Sauerland aufrufen.

Sauerland weigert sich  weiterhin von seinem Amt zurückzutreten. Der Grund Er will bei der Aufklärung helfen. Längst ist das die Aufgabe der Staatsanwaltschaft.  Der Flashmob soll sich um 17.30 Uhr vor dem Duisburger Rathaus zusammenfinden.

Update: Mittlerweile kann man auch online für den Rücktritt Sauerlands eintreten. Unter Petitiononline findet sich folgender Text:

OB Adolf Sauerland

Nach den Ereignissen der Duisburger Loveparade am 24.07.2010 ist das Verhalten des Duisburger Oberbürgermeisters Adolf Sauerland untragbar und verhöhnt die Opfer dieses Unglücks.

20 Tote und über 500 Verletzte ist die Bilanz einer Katastrophe, die hätte vermieden werden können, wenn nicht Profit- und Profilierungsgedanken Triebfeder gewesen wären. Sie, Adolf Sauerland, der Oberbürgermeister der Stadt Duisburg besitzen nun noch nicht einmal den Anstand, von Ihren Ämtern zurückzutreten.

Ihr Verhalten ist ein Schlag ins Gesicht aller Duisburger und vor allem der Verwandten und Freunden der Opfer.

Deshalb fordern wir Ihren Rücktritt Herr Adolf Sauerland.

Ruhrgebiet und Loveparade: Der Zwang zum Megaevent

Pressekonferenz auf der Medienbrücke, um 17.31 Uhr, kurz vor der Liveschalte zum BILD-Stream: Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU) nimmt in Gegenwart von Kreativitätschef Gorny und Spaßmaxe Pocher eine Prioritäts-SMS entgegen. rubapic

Auf Exportabel findet ihr  guten Text darüber, warum Duisburg eine abgelegte Veranstaltung wie Loveparade nicht nötig hatte.  Doch Veranstaltungen wie die Loveparade stehen im Zentrum  der Kommunikationsstrategie des Ruhrgebiets. Die Region hat sich von Megaevents abhängig gemacht.

Es war in den 80er Jahren, als das Ruhrgebiet Kommunikationsgeschichte schrieb: Mit der Kampagne „Ein starkes Stück Deutschland“ setzte das Ruhrgebiet als erste Region auf Regionalwerbung. Die Kampagne zeigte das „neue Ruhrgebiet“ und sorgte für viel Aufmerksamkeit. Zu jedem der Anzeigenmotive konnten per Postkarte Informationen angefpordert werden – Tausende machten jedesmal davon gebrauch.

Mitte der 90er beendete  damalige Kommunalverband Ruhrgebiet das „Starke Stück Deutschland“. Die Städte wollten keine teuren Anzeigenkampagnen mehr finanzieren. Es kam noch 1999 zur Kampagne „Der Pott kocht“, aber die war nur der kommunikative Schlusspunkt der internationalen Bauausstellung.

Im neuen Jahrzehnt setzte das Ruhrgebiet in der Kommunikation auf zwei Wege: Die Präsenz auf Messen wie der Internationalen Tourismusbörse (ITB) in Berlin oder auf den Immobilienmessen Expo Real in München und MIPIM in Cannes sollte Immobilieninvestoren und  Touristikunternehmen vom Standort Ruhrgebiet überzeugen.

Die breite nationale und internationale Öffentlichkeit sollte hingegen mit Events auf das Ruhrgebiet aufmerksam werden. Ob Klavierfestival Ruhr, Kulturhauptstadt, Loveparade oder die  gescheiterte Olympia-Bewerbung: Möglichst große Events sollten als Kommunikationsvehikel  die Botschaft des strukturgewandelten Ruhrgebiets transportieren.

Auf den ersten Blich ein schlüssiges Konzept: Die Kontakte, die man auf diesem Weg erzielt hat, hätte sich das Ruhrgebiet über klassisches Werbung nie leisten können. Die Bilder des Stilllebens auf der  A40 gingen um die Welt – unbezahlbar.

Der Nachteil dieser Strategie: Es mussten immer neue, möglichst große Events her. In der Region gewachsene Veranstaltungen wie Bochum-Total oder Juicy Beats wurden nie gefeatured. Sie waren schlicht zu klein, sorgten nicht für das nötige mindestens bundesweite mediale Interesse. Lieber kaufte man die Marke Loveparade ein. Klar, die Veranstaltung war eigentlich schon tot als sie 2007 ins Revier kam. Aber es war damals kein  andere Megavent auf dem Markt, das man ins Ruhrgebiet holen konnte. Und langfristig auf die eigenen Stärken zu setzen passte nicht ins Konzept.

Der Zwang zum Megaevent war einer der Gründe warum bei der Sicherheit alle Augen zu gedrückt wurden. Die Loveparade durfte nicht scheitern – wer auf große Events als Haupt-Kommunikationsmittel setzt  kann das Scheitern eines solchen Events nicht auffangen. Das Ruhrgebiet definierte sich über Massenveranstaltungen und wurde von den großen Zahlen abhängig wie ein Junkie vom Heroin: Es mussten immer Millionen Besucher sein.

Diese Kommunikationsstrategie ist der Grund, warum das Ruhrgebiet, warum Duisburg  die Loveparade brauchte. Warum die Sicherheit im Hintergrund stand und Warnungen ignoriert wurden. Diese Kommunikationsstrategie ist am vergangenen Samstag endgültig gescheitert. 20 Menschen liessen für sie ihr Leben.

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Fußball: Dem Mythos sein zu Hause

Wenn sich die Fußball-Berichterstattung via Print, Hörfunk oder TV dem Ruhrgebiet annimmt, sprudeln die Klischees vom „Malocher-Fußball“ gerade so. Blumige Sätze wie „Hier wird Fußball noch gearbeitet“ oder „Das Publikum will die Spieler vor allem kämpfen sehen“ reihen sich aneinander. Mit der  Wirklichkeit hat das oft nichts zu tun. Von unserem Gastautor Ludger Claßen.

Das berühmte Zitat des 2009 verstorbenen Rolf Rüssmann „Wenn wir hier nicht gewinnen, dann treten wir ihnen wenigstens den Rasen kaputt“ gilt dabei fast als regionales Glaubensbekenntnis. In der gesamten Fußballrepublik gilt die Gleichung: „Ruhrgebiet gleich Arbeit gleich Fußball“. Die industrielle Arbeitswelt, so die gängige Auffassung, hat das Ruhrgebiet und den Fußball geformt und beide hervorgebracht. Die Geschichten aus der Geschichte des Revier-Fußballs handeln immer davon, wie der SPIEGEL schrieb, dass „Fußball und Arbeit noch Brüder waren“. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich allerdings, dass die Gleichung „Arbeit = Fußball = Ruhrgebiet“ historisch nur teilweise anzuwenden ist und gerade für das erste Viertel des 20. Jahrhunderts nicht zutrifft.

Bürgerliche Fußlümmelei

„Schalke um die Jahrhundertwende: ein Kumpel-Dorf. Rund um die Zeche Consolidation als ‚Brötchengeber‘ kleine, in die Brachwiesen hingeduckte Siedlungshäuser, schmucke Gärten dahinter mit Stallgebäude. Qualm und Ruß in der Luft. Mittagsschicht. Die Frauen mit dem Henkelmann in der Hand – Essen für die Malocher unter Tage. Kohleabbau in den fetten Flö-zen fast 1.000 Meter unter der Erdoberfläche. Wer nicht im Pütt schuftete, malochte am Hochofen oder an der Walzstraße. Das war Heimat. Identität. Fußball – das war ein Stück ‚wirkliches‘ Leben. Das gehörte zum täglichen Einmaleins wie der Qualm aus Schalker Schloten“, entwarfen Hans-Josef Justen und Jörg Loskill in ihrem Buch „Anstoß. Fußball im Ruhrgebiet“ (1985) das Entstehen des Traditionsvereins im Revier als sozial-romantisches Bild. Nur: Auch an Ruhr und Emscher waren es um 1900 vor allem junge Bürgersöhne der Höheren Lehranstalten, Angestellte und Akademiker, die den als „englische Krankheit“ und „Fußlümmelei“ diffamierten neuen Sport huldigten. Der Wittener FC, 1892 aus dem Real-Gymnasium entstanden, ist der älteste Fußballclub der Region. In Herne gründete sich im Jahr 1904 ein distinguierter „Club“, dessen erster Versammlungsort der „Rittersaal eines Schlos-ses“ war. Mit stolzer Brust und in roten Schärpen auf weißer Bluse präsentierten sich die Fußballer des „S.C. Westfalia Herne“ in voller Fußballausrüstung dem Fotografen.

Fußball wurde vor allem zu einem Teil der Angestelltenkultur, und man versuchte, in Habitus, Kleidung und mit Vereinsnamen wie „Borussia“ oder „Westfalia“ die den Angestellten ver-schlossene Welt des studentischen Verbindungswesens zu imitieren. Bis in die 1920er Jahre dominierten im Ruhrgebiet drei Vereine, in denen Arbeiter bestenfalls am Rande eine Rolle spielten: der Duisburger Spielverein (bis 1927 zehnmal Westdeutscher Meister), ETB Schwarz-Weiß Essen und der Duisburger Sport-Club Preußen. Die ersten Hochburgen des Fußballs waren denn auch Dienstleistungszentren wie Berlin, Hamburg, Hannover, Leipzig, Dresden, Düsseldorf, Köln und Frankfurt.

Der Durchbruch zum Massensport

Aber wie entwickelte sich nun der Fußball von der aristokratisch-bürgerlichen Exklusivität hin zum Massenphänomen? Laut einer viel zitierten Studie des Historikers Siegfried Gehr-mann („Fußball – Vereine – Politik. Zur Sportgeschichte des Reviers“, Essen 1988) erklärt sich der Siegeszug des Fußball in der Arbeiterschaft aus einer Veränderungen in der Arbeits-welt: dem Achtstundentag und einem daraus entstehenden ausreichenden Freizeitbudget. Tatsächlich wurde die neue Arbeitszeitregelung jedoch erst 1923 eingeführt, der Siegeszug des Fußballs hingegen setzte direkt nach Ende des Ersten Weltkriegs ein. 1913 hatte der DFB über 160.000 Mitglieder, die sich 1920 auf über 756.000 fast verfünffachten. Auch die Zuschauerzahlen explodierten: Vor 1914 fanden Schlagerspiele vor hunderten von Zuschauern statt, nach 1918 kamen nun zehntausende. Tatsächlich war die Initialzündung für den Siegeszug des Fußballs der Erste Weltkrieg. Besonders folgenreich für seine massenhafte Verbreitung war ein Militär-Turnerlass, der 1910 den Sport in den Ausbildungsplänen der Armee verankerte.

„Die Erfahrung, dass das Fußballspiel bei weitem das beste Bewegungsspiel für die Mannschaften ist, habe ich überall bestätigt gefunden. Neben den Vorzügen, die überhaupt aus dem Sport für Körper und Geist erwachsen, Gelenkigmachen und Kräftigen des Körpers, Steigern der Entschlussfähigkeit und Energie, Konzentrieren der Gedanken auf ein Ziel, hat der Fußballsport noch den großen Vorzug, der gerade in militärischer Hinsicht sehr schätzenswert ist: er zeigt dem Mann die Notwendigkeit der Unterordnung und den Erfolg der Zusammenarbeit“, heißt es in einer Denkschrift des Admiral von Prittwitz-Gaffron. Diese Herkunft kann der Fußball bis heute nicht verleugnen, ist doch seine Sprache von militärischen Begriffen ge-prägt: „Schuss“, „Flanke“, „Deckung“, „Sturm“, „Flügel“, „Feld“, „Schlachtenbummler“ und was es da sonst noch alles gibt.

Und so ist es auch nichts mit der Schwärmerei, der Fußball begann seine Karriere als „subversives Element gegen die Deutschtümelei, den deutschen Militarismus und die deutsche Autoritätsfixiertheit“, denn er verdankt seinen Durchbruch dem Interesse der Reichswehr, die militärischen Produktivkräfte ihrer Soldaten zu verbessern – eine nicht gerade mit Subversion und Antimilitarismus identifizierbare Zielsetzung. Der Gründungsmythos des Fußballs im Ruhrgebiet, das „wilde Kicken“ auf Straßen und Hinterhöfen sei adäquater Ausdruck des Lebensgefühls und habe den Fußball quasi naturwüchsig hervorgebracht, bedarf daher mindestens einer Überprüfung, wenn nicht gar einer Revision.

Fußball und Kommerz

In der Weimarer Republik entwickelte sich der Sport allgemein zum Teil einer populären Massenkultur. Auch der Fußball war erwachsen geworden und mit ihm das Umfeld des Spiels. Zigarettenmarken warben mit dem Bild eines „bekannten Fußballspielers in jeder Packung“, eine Dose Schuhwichse der Firma Erdal enthielt „zwölf Fußballsammelkarten“, Fußballzeitschriften waren massenhaft am Kiosk zu kaufen, Mannschaften aus den Profi-Ligen Englands, Österreichs und Ungarns gastierten im Ruhrgebiet, um ihre Spielkunst vorzuführen. In unmittelbarer Reaktion auf diesen neuen Zuschauerandrang entstanden Stadien wie die „Vestische Kampfbahn in Gladbeck“ (1928), die Kampfbahn „Rote Erde“ in Dortmund (1926), die „Kampfbahn Katzenbusch“ in Herten (1925) oder die „Schwelgern-Kampfbahn“ in Duisburg-Marxloh (1925). Die Vereine kalkulierten mit den Zuschauereinnahmen und konnten schon mal hier und da aus „schwarzen Kassen“ die Spesen einiger Spieler begleichen. Der Fußballsektor entdeckte seine wirtschaftliche Potenz, nur der DFB verharrte auf seiner Position zum Amateurstatus. Eine Haltung, die zu einem guten Teil ideologisch begründet war, da Individualismus und soziale Aufstiegsmöglichkeiten durch den Sport nicht im Sinne der bürgerlichen Funktionärsriege waren, die an einer deutsch-nationalen und wertkonservativen Definition des Fußballs festhielt. Für sie war Fußball körperliche Ertüchtigung eines elitären, nationalen Geistes zum Wohle des Vaterlandes und keine professionelle Spiel-kunst zur Unterhaltung der Massen.

Zu den vielen Geschichten des Ruhrgebietsfußballs gehört die Überlieferung, die Spieler hät-ten früher „für ein Butterbrot“ gespielt. Im Mittelpunkt habe die Fußballbegeisterung gestanden, Geld habe nie eine Rolle gespielt. An dieser Stelle folgt unweigerlich der Hinweis, dass der Kommerz den Fußball kaputt macht. Dabei ist historisch gesehen genau das Gegenteil der Fall: Ohne den entlohnten Fußball hätten die Arbeiterstars von einst nie ihren Aufstieg geschafft. „Mit den Kohlen, die ich gehauen habe, hätte ich noch nicht einmal einen Kessel Wasser heiß gekriegt“, soll die Schalker-Legende Ernst Kuzorra einmal bekannt haben. Er arbeitete auf der Schachtanlage Consolidation am Leseband über Tage und kam als Bremser und Schlepper auch unter Tage vor Kohle. Allerdings malochten oft die Kumpels für ihn, während der Fußballhochbegabte sich ausruhen konnte. Zu den Vergünstigungen am Arbeitsplatz kamen noch die inoffiziellen Zuwendungen des Vereins, die bald zum Konflikt mit dem Westdeutschen Spielverband führten. Im August 1930 wurden nahezu alle Spieler der ersten Mannschaft wegen Annahme überhöhter Handgelder zu „Berufsspielern“ erklärt und aus dem Westdeutschen Fußballverband ausgeschlossen. Eine Maßnahme, die durchaus als „Tätlichkeit“ des bürgerlichen Establishments gegen den aufkommenden und aufmüpfigen Arbeiterverein zu verstehen ist. Die „Schalke-Affäre“ schlug monatelang ungeahnte Protestwellen, und der Verband sah sich gezwungen, die Spieler nach einem Jahr zu begnadigen. Zu spät für den Geschäftsführer Willy Nier. Er beging Selbstmord im Rhein-Herne-Kanal.
Für die damalige Summe illegaler Spielergehälter würde sich heute ein einzelner Bundesligaspieler vermutlich noch nicht einmal umziehen; und dass das Spiel Schalke 04 gegen Arminia Bielefeld im Bundesligaskandal der Saison 1970/71 für insgesamt 40.000 Mark verschoben wurde, wäre als Siegprämie für heutige Bundesligaprofis vermutlich ein zu geringer Anreiz, um ein engagiertes Spiel zu liefern. Die Dimensionen haben sich halt ins Exorbitante verschoben.

Mythos und Marketing

Auch das Aufblühen des Fußball-Westens in den 1950er Jahre ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass das Ruhrgebiet als schwerindustrielles Zentrum wirtschaftliche Stärke mit großer Bevölkerungsdichte vereinte. Der Ballungsraum bot ein ausreichendes Potential an Spielern und Zuschauern. Und die „Kohle“ kam auch nicht nur von den Zuschauern. Vor der Einführung der Bundesliga und des „Profis“ 1963 konnten spielstarke „Vertragsamateure“ nur dann an Vereine gebunden werden, wenn Geld unter der Hand gezahlt wurde und die Spieler über Anstellungsverträge ohne vollen Arbeitseinsatz bei Vereinsmäzenen ein Einkommen erzielten. So wurde die Zeche Nordstern zum „Sponsor“ des STV Horst-Emscher. Als 1949 das Vertragsspielerstatut eingeführt wurde, das erstmals direkte Zuwendungen an die Spieler zuließ, bekamen die Emscher-Husaren im Lohnbüro des Pütts das Geld ausgezahlt. Die Zeche Ewald-Fortsetzung in Oer-Erkenschwick wurde zum Arbeitgeber für die Schwarzroten der SpVgg. Erkenschwick und das Stimberg-Stadion lag direkt gegenüber dem Pütt. Die Spieler zogen sich in der Waschkaue um. Als Stahlarbeitervereine galten Hamborn 07 und die Borussia vom Borsigplatz – sie wurde unterstützt von Thyssen und Hoesch. Der 2008 verstorbene Schriftsteller Hand Dieter Baroth schrieb 1988 „Jungens, euch gehört der Himmel“, in dem er die Verhältnisse und Geschichten der alten Oberliga West rekapitulierte. Als das Buch im Klartext-Verlag auf den Markt kam, mussten die Bestellungen Waschkörbeweise bearbeitet werden. Das Buch erschien genau in einer Phase des Strukturwandels, in der mit dem Ver-schwinden der Schachtanlagen und Bergwerke die Erinnerung an das „alte Ruhrgebiet“ salonfähig wurde. Und der Fußball gehörte dazu, denn gerade die Vereine der Oberliga West symbolisierten eine Einheit von Sport, Arbeit, Stadtteilkultur, Menschen und Identität, die vor dem Hintergrund des damals aus Reviersicht höchst bedrückenden Profifußballs – die 1980er Jahre waren die erfolgloseste Zeit des Reviers seit Einführung der Gauliga 1934 – in vielerlei Hinsicht geradezu idyllisch wirkten.

Gleichzeitig ist die Gleichung „Krise des Bergbaus und der Montanindustrie = Niedergang des Revierfußballs“ auch zu kurz gegriffen. Der Absturz von Borussia Dortmund und Schalke 04 nach den ersten Jahren der Bundesliga scheint eher hausgemacht. Mitunter wurden die klassischen Ruhrgebietsmythen der Tradition, des sozialen Zusammenhalts, der wirtschaftlich Schwächeren und Gebeutelten von Vereinsführungen und Präsidenten auch als Legitimation des Versagens benutzt. „Wer es bei Versammlungen verstand, diese Mythen zu vertreten, das Gefühl der Anwesenden anzusprechen, sich auf Tradition zu berufen und vage Versprechungen zu machen, konnte genügend Stimmen erhalten – und anschließend im alten Trott weiter machen. Während andernorts neue Wege beschritten wurden, erfolgreiche Trainer über längere Zeit arbeiten konnten und neue Strukturen entstanden, blieb der Ruhrgebietsfußball auf sich bezogen und in seinen Mythen befangen“, liest der Sozialwissenschaftler Franz-Josef Brüggemeier der Vereinspolitik der 1970er und 1980er Jahre die Leviten. Vereine in vergleichbaren industriellen Krisenregionen wie Liverpool und Manchester erlebten während der Zeit eine vollkommen andere Entwicklung.

Vielleicht könnte die Einsicht, dass Fußball immer schon mit Kommerz zu tun hatte, den Blick dafür schärfen, was den Fußball der Gegenwart ausmacht und in welche Richtung sich die „schönste Nebensache der Welt“ bewegt. Der Ruhrgebietsfußball ist ungebrochen lebensfähig. Mythos und Marketing können wirtschaftliche Prosperität und damit sportliche Erfolge wirksam fördern, was man in oder auf Schalke und rund um die Geschäftsstelle des BVB nicht erst seit einigen Jahren beherrscht. Zum Mythos geworden lässt sich das veränderte Ruhrgebiet und auch der Fußball offenbar leichter auf den Begriff bringen – und auch besser vermarkten. Im Jahr 1997 skandierten Bergleute bei einer Demonstration für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze in Bonn lautstark „Ruhrpott“; Anhänger des BVB und des S04 nahmen dies als Schlachtruf bei den Siegen ihrer Vereine im selben Jahr in den europäischen Wettbewerben auf. Der Schlachtruf ertönte nach dem Rückzug von Kohle und Stahl und ist dennoch kein Abgesang auf das untergegangene Ruhrgebiet des Bergbaus und der Schwerindustrie. Die Region bekennt sich vielmehr zu einer historischen Identität und markiert ein neues Selbst-bewusstsein. Mit gänzlich neuen Marketingoptionen.

Ludger Claßen ist Verleger. Schon Ende der 1980er Jahre brachte er in seinem Essener Klartext Verlag Fußball-Bücher heraus, die das Spiel und seine sozialen Verankerungen ernst nahmen, bevor der sinnstiftende Begriff „Fußball-Kultur“ überhaupt von den Feuilletons entdeckt wurde. In seinem historischen Exkurs räumt er mit einigen Mythen zum Ursprung des Fußballs im Ruhrgebiet auf. Der Text ist aus dem Buch Heimspiel B1, das im Klartext Verlag erschienen ist.

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