Rüttgers: Mitbestimmung? Nicht der Rede wert.


Seit er Johannes Rau beerbt hat, empfängt er in jedem Jahr kurz vor dem 1. Mai Gewerkschaften und Betriebsräte. Diesmal in der Bochumer Jahrhunderthalle. Er selbst wurde vor der Halle von einem gellenden Pfeifkonzert und „Schwarz-Gelb macht arm“-Transparenten empfangen. Etwa 150 Demonstranten waren dem Aufruf von verdi Bochum/Herne gefolgt und machten anlässlich des alljährlichen Arbeitnehmerempfangs des Ministerpräsidenten ihrem Ärger Luft.

Die Demonstranten blieben draußen, die geladenen Gewerkschafter und Betriebsräte, um die dreihundert dürften es gewesen sein, entschwanden ins Innere der Jahrhunderthalle. Dort redeten nacheinander NRW-Arbeitsminister Franz-Josef Laumann, der IG Metall-Chef in NRW, Oliver Burkhard, und Jürgen Rüttgers, wahlfischender Ministerpräsident.

Franz-Josef Laumann, von dem es heißt, er sei der sozialdemokratischste Arbeitsminister in NRW seit zig Jahren, und der bis hinein in Gewerkschaftskreise einen guten Ruf genießt, hat seinen Job ordentlich gemacht. Oliver Burkhard auch. Burkhard ist für Guntram Schneider eingesprungen, der sich im Moment darauf konzentriert, Laumanns Nachfolge anzutreten.

Abschaffung der Mitbestimmung im öffentlichen Dienst

Burkhard hat gesagt, was man von ihm erwartet: Die Bankenabgabe reiche nicht aus, man brauche einen starken und handlungsfähigen Staat, der Mindestlohn müsse höher sein als 7,50 Euro, die Rente mit 67 gehöre weg und bei der Bildungspolitik gehe es um Integrieren statt Selektieren. Sein Rat an Rüttgers: „Augen auf bei der Wahl des Koalitionspartners“.

Am Schluss kritisierte Burkhard die faktische Abschaffung der Mitbestimmung im öffentlichen Dienst durch die Regierung Rüttgers. Rüttgers hat mit seiner Landtagsmehrheit das Landespersonalvertretungsgesetz (LPVG) 2007 so geändert, dass die Personalräte bei wichtigen Entscheidungen, die die Beschäftigten im öffentlichen Dienst betreffen, kein Mitspracherecht mehr haben. Die Landesregierung hat das damals als „Bürokratieabbau“ verkauft und gegen erhebliche Widerstände der Beschäftigten und der Gewerkschaften durchgesetzt.

Dann war Rüttgers dran. Sagte, er wolle keinen Wahlkampf machen und hob dann doch ab und zu die Stimme, um zu reden wie auf einem CDU-Parteitag. Verhaltener Applaus, manchmal. Nach wenigen Minuten kamen drei Leute nach vorne und demonstrierten mit Transparenten gegen den Leiharbeitsmissbrauch am Uniklinikum Essen. Rüttgers hat das komplett ignoriert. Das Publikum auch, es hat keine Reaktion von Rüttgers gefordert. Alles still, alles brav.

„Griechen mit 3000 Euro in Frühpension“

Obwohl Jürgen Rüttgers extra angekündigt hatte, auf die von Burkhard eingebrachten Themen eingehen zu wollen: kein Wort über die Mitbestimmung im öffentlichen Dienst. Stattdessen Wahlkampfgetöse vom „Schulkrieg“. Kein Wort über die 12.000 Stellen, die Rüttgers im öffentlichen Dienst abbauen will. Stattdessen am Schluss ein Statement gegen die griechische Verschwendungssucht. Wohl in der Hoffnung, da einen gemeinsamen Gegner entdeckt zu haben und so von den anderen Themen ablenken zu können. Rüttgers wörtlich: „Es kann nicht sein, dass wir deutsches Steuergeld nach Griechenland schicken und sagen, macht damit, was ihr wollt. … Was soll man einem Mitarbeiter aus dem öffentlichen Dienst in Deutschland sagen, wenn er liest in der Zeitung, dass da PostmitarbeiterInnen mit Renten von 3000 Euro in der Frühpension sind.“ Dabei ist Neid doch gelb, nicht schwarz.

Der Ministerpräsident gibt das sauer verdiente Steuergeld lieber für ein schickes Buffet aus, da weiß man, was man hat. In der Jahrhunderthalle war für etwa fünfhundert Leute eingedeckt, viele der feinst gedeckten Tische blieben leer. Ob die vermutlich üppigen Reste bei der Wattenscheider Tafel gelandet sind?

Der Ruhrpilot

Ruhrgebiet: Bildungskrise an der Ruhr…taz

NRW: Trotzkisten gegen Sozialisten im „Hort des Wahnsinns“…Südwest Presse

NRW II: Rüttgers gibt sich spröde und ist von Skandalen genervt…Zeit

Debatte: Ökonomische Moralapostel…Weissgarnix

Ruhrgebiet: Frank Goosen träumt von einer großen Ruhrstadt…Neue Westfälische

Medien: Christian Nienhaus und Bodo Hombach (WAZ-Mediengruppe) äußern sich zur Flip-Kamera…Pottlog

Dortmund: „Die Stadt hat mehr Geld bekommen als je zuvor“…Der Westen

Bochum:…wird immer kleiner…Der Westen

Duisburg: Nirgends in NRW gibt es mehr Feinstaub als in Duisburg…Der Westen

Ruhr2010: Michaela Schweiger bekommt Video-Kunst-Preis…Hometown Glory

Ruhr2010 II: Henze, der Grenzgänger aus dem Revier…Badische Zeitung

Ruhr2010 III: Über 30 Veranstaltungen auf jüdischer Biennale im Ruhrgebiet…Freie Presse

Medien II: Fragwürdige Offensive…Freitag

Facebook: Wer liked Höllentore?…Blogbar

Digital: Die Rechteindustrie mag Kinderpornographie…Netzpolitik

Law Blog: Bushido angeblich kaputtkopiert…Law Blog

Banken: Desiderate…Frontmotor

Google: Wir nennen es Datenschutz…Wiegold Zwo

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Wundervolles Ruhrgebiet auf Spiegel Online

Zwei gute Leute, Konrad Lischka und Jens Radü von Spiegel Online, haben eine Multimedia Reportage über das Ruhrgebiet gemacht. Sie haben Filme gedreht, Texte geschrieben und Interviews gemacht. Entlang der A 40. Mit Ruhrbaron Perik haben sie gesprochen („Anzugträger werden prophylaktisch gesietzt – bis sie Schaschliksauce am Revers haben“), mit einem Pornokönig, mit einer Comic-Dame. Mit Leuten halt, die was zu erzählen haben. Elf wundervolle, kurze Geschichten.

Ich finde das Zeug großartig. Konrad kenne ich noch aus unserer Zeit bei der taz ruhr. Damals schon hat er mich verblüfft. Etwa als er eine Reportage über einen Mc Donalds in Essen gemacht hat – erzählt entlang der Theorie über die industrielle Nahrung der Zukunft von Andy Warhol. Konrad, der alte Beutepole, kommt Mitten aus dem Revier, Jens Radü eher vom Rand. Aber egal, hier gibt es die gute Nummer zu sehen. Übrigens, selbst die Musik finde ich schön.

In eigener Sache: Das Ruhrbarone-Print-Ding

Wir melden uns hier noch mal wegen des Ruhrbarone-Magazins in eigener Sache. Und zwar haben wir dem Klartext-Verlag ein paar wenige Exemplare für Besprechungen abquatschen können. Wenn einer also ein Heft haben will, um es kritisch in seinem Medium zu beleuchten – eine kurze Email reicht und wir können es rausschicken. david.schraven (at) ruhrbarone.de

Im Handel läuft das Magazin für uns überraschend gut. Wir haben jetzt schon satt über 1000 Exemplare verkauft, wie der Klartext-Verlag gerade bestätigt hat. Und dass, obwohl wir die erste Vertriebswelle erst Ende vergangener Woche abschließen konnten. Für den neuen Titel eines Blogs, der offline geht, finde ich das knapp zwei Wochen nach Verkaufsstart richtig gut. Vor allem, wenn man bedenkt, dass die erste Nummer mit 8,95 Euro auch noch extrem teuer ist. Wir sind jedenfalls guter Dinge, die Druckkosten wieder reinzuholen. Zumal selbst der Spiegel unsere Recherche zur Linkspartei in seiner aktuellen Printausgabe aufgegriffen hat – leider ohne uns zu zitieren. 🙂

Mittlerweile ist das Ruhrbarone-Print-Ding fast überall zu haben. Nach anfänglichen Schwierigkeiten kann es nun nicht nur beim Klartext-Verlag direkt bestellt werden, sondern seit gestern auch bei Amazon. Selbst die Mayerschen Buchhandlung in Bottrop verkauft das Ding. Was ich überraschend finde, da Bottrop, meine Heimatstadt, ansonsten nicht Spitzenreiter bei Innovationen ist. 🙂

Und noch etwas ist mir aufgefallen. Das Heft läuft im Online-Vertrieb viel schlechter als gedacht. Wir haben nur vielleicht 200 Magazine über die digitalen Bestellfunktionen verkauft. Das mag zum Teil daran liegen, dass wir erst seit kurzem bei Amazon zu haben sind, aber offensichtlich wollen die Menschen ein teures Heft in der Hand halten, bevor sie dieses einshoppen. Jedenfalls laufen die Ruhrbarone offline über den klassischen Buch- und Zeitschriftenhandel viel besser, als ich vermutet hatte. Der Papiermarkt ist also nicht tot. 🙂 Die Buchhandlung im Essener Hauptbahnhof hat gerade erst wieder 50 Exemplare bestellt, weil die dort schon wieder ausverkauft waren.

Wie dem auch sei: wir hoffen, den Lesern gefällt unser Heft. Über Kritik würden wir uns jedenfalls sehr freuen.

3 FÜR 7 – Oberhausen-Special

Kurzurlaub in Oberhausen – a cheap holiday in other people’s misery? Zum Teil, aber immer vor allem eine merkwürdige Veranstaltung. Die Oberhausener Kurzfilmtage und viele ihrer ProtagonistInnen verstehen und sehen sich großteils als links, was zu spannenden Grundvoraussetzungen führt. Zugespitzt gesagt (- ist ja ein Aufmerksamkeit heischendes Medium, dieses Internet): Eine Art Jutetaschen-Prosecco-Bohème gibt sich in einem zerfallenden Stadtteil avantgardistisch-künstlerisch und tut, als hätte sie die Zukunft gepachtet und im Griff, während überall (sonst) Zuschüsse gekürzt und Kurzfilme nicht gerade das Gelbe vom Ei in punkto Medienpolitik sind. Und auch ansonsten: Eine spannende Mischung aus Abgehobenheit und Rebellionsattitüde von irgendwie „unten“. Kleinformat meets Hollywood in a nutshell. Featuring cameos by: Nomeansno & And So I Watch You From Afar.

Am Donnerstag geht’s los. Und da hilft natürlich gern das Programmheft. MuVi-Preis? „Nach dem 80er-Revival kommt der Stummfilm.“ Deutscher Wettbewerb? „Filme über die Liebe und das Filmemachen“. Internationaler Wettbewerb? „Seelenlandschaften“. Klingt also alles nach „Neue Innerlichkeit“, diesem typischen Rezessionssymptom – nicht zwingend nach einer Auseinandersetzung damit, na gut. Also mal in’s Detail gucken: Bei der Eröffnungszeremonie gibt es französische Kurzfilme von vor hundert Jahren plus Klaviermusik – also mal wieder erst am Freitag hin und all das Meet-and-greet und see-and-be-seen verpassen. Erstes Podium am Freitag? Da wird mal wieder das Ich abgesprochen bei „Die Illusion des Ich“. Vielleicht mal gucken, was es denn sonst gibt bzw. wohin sich das denn aufgelöst hat. Ist aber vielleicht etwas herb für 10 Uhr morgens, wenn das Ich sich ja gerade noch finden will. Also wohl doch Schwerpunkt auf die uralten Schätzchen bei „From the Deep: The Great Experiment 1898 – 1918: Sensation Bewegung, Dimension Zeit, Präsenz der Absenz“. Gut, letztens nochmal „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ gelesen zu haben. Genau, vielleicht macht man dieses Jahr einfach mal eine Zeitreise über 100 Jahre. Hm, mal gucken.

Samstag ist 1. Mai, da bietet sich doch das Podium „Bedingungsloses Grundeinkommen“ an. Und dann stoisch „From the Deep“ weitergucken und vielleicht ein bisschen Filmbar-Atmosphäre schnuppern: „Psychedelic/Electro/Soundtracks/Filmmusik“ mit zwei Düsseldorfer Tonträgerjockeys. Überhaupt: Nomeansno (Foto: Band) spielen im Druckluft schon am Mittwoch! Aber da muss man(n) doch gucken, wie Inter diesen Messi aus der Champions League kegelt! Ts. Ach ja, Konzertalternative am Donnerstag, auch im „Drucki“: And So I Watch You From Afar.

Der Sonntag nervt: „Kinder und bewegte Bilder“ am Anfang, „No Wave Night“ ganz am Ende. Idee: Irgendwann auflaufen und die Screenings schauen, dann unverbindlich reinhören, ob man dann wirklich nochmal so ein New York Anfang Achtziger Revival braucht. Oder ausfallen lassen und am Montag „Profil: No Wave“ gucken – und hoffen, hoffen, hoffen, dass da nicht nur viel zu coole, natürlich vollsexy Trend-Nerds herumhängen. Dienstag fällt aus, Abschlussparty nur bei freundlicher, ernst gemeinter Einladung. Meine Güte, man wird ja schon während des Schreibens arrogant! Oberhausen, Oberhausen – welch tückisch Reiseziel!

Reisetipp zum Wochenende: 56. Internationale Kurzfilmtage Oberhausen. Von Donnerstag bis Dienstag.

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Der Ruhrpilot

NRW: Es riecht nach Großer Koalition…Stern

NRW II: Kraft und Rüttgers schonen sich im Watte-Duell…Spiegel

NRW III: Eine Doppelpressekonferenz namens Fernsehduell…FAZ

NRW IV: Grüne: „Es gibt keine Gemeinsamkeiten mit der FDP“…Welt

Dortmund: Briefwahl-Beteiligung fürs OB-Amt zieht an…Der Westen

Dortmund II: Polizei und Rettungsdienste in Alarmbereitschaft…Ruhr Nachrichten

Duisburg: Läster-Skandal um SPD-Ratsherr…RP Online

Ruhr2010: 25. Bochum Total rundet Local-Heroes-Woche ab…Ruhr Nachrichten

Ruhr2010 II: Gebärdenchor inszeniert Verdi mit den Händen…Der Westen

Aygül Özkan: Eine Muslimin für die CDU…F!XMBR

DCTP: Hardy Prothmann zum Heddesheimblog…Heddesheim Blog

Kraft vs. Rüttgers: Duell der Drückeberger

Langweilig war es, das „Duell“ zwischen Jürgen Rüttgers (CDU) und Hannelore Kraft (SPD) im WDR. Und auf die entscheidenden Fragen gab es keine Antworten.

Eine Frage wird in den nächsten Monaten in NRW und im ganzen Land entscheidend sein: Wo wird gespart? Und auf diese Frage gab es weder von Kraft noch von Rüttgers eine klare Antwort. Rüttgers schwadronierte von 12.000 Stellen, die wegfallen sollen, ohne zu erklären, wo das denn geschehen soll. Und Kraft macht Versprechen, die sie nicht wird halten können: Abschaffung der Studiengebühren, kostenlose Kitaplätze…woher das Geld kommen soll, erfuhr der Zuschauer nicht. Einen mutigen und realistischen Ausblick auf die Zukunft des Landes gab es von keinem der beiden Kandidaten. Denn der hätte die gute Laune vermiest.

Beide gaben den engagierten Sozialpolitiker. Kraft ist mit den Mindestlöhnen eher auf der Höhe der Zeit – Rüttgers beim Zuverdienst. Man konnte zwei sozialdemokratische Politiker verschiedener Flügel  beobachten.

Während Rüttgers alle Klippen geschickt und etwas aalig umging, redete sich Kraft  zum Teil um Kopf und Kragen. Das Festhalten an den Kohlesubventionen ist wirtschaftlicher Wahnsinn, wird am Bund scheitern. Die SPD hätte das Thema hinter sich bringen können – sie kann es nicht, ihre Lernfähigkeit reichte dafür nicht aus.

Bei der Bildung punktete Rüttgers: Man kann für die Gesamtschule sein oder für das dreigliedrige Schulsystem. Man kann für ein längeres, gemeinsames Lernen sein. Die Gemeinschaftsschule mit Hauptschule, Realschule und Gymnasium unter einem Dach ist kein Konzept das überzeugen kann. Es ist ein fauler Kompromiss. Die meisten Eltern werden das nicht wollen.

Am Ende kam die Koalitionsfrage: Rüttgers will mit der FDP, nicht mit den Grünen, schloss aber Koalitionen mit demokratischen Parteien wie den Grünen – und unausgesprochen mit der SPD – nicht aus. Kraft eierte wie immer herum. Sie vergab die Chance zur Klarheit.

Das Duell Kraft gegen Rüttgers – es war auch ein Duell der Drückeberger.