Griechenland: Das schwarze Schaf der Familie – Überbrückungshilfe oder Fass ohne Boden?

In den vergangenen Monaten beherrschte ein Thema die wirtschaftspolitische Debatte, die drohende Zahlungsunfähigkeit von Griechenland. Nach vielem Hin und Her seitens der „großen“ Politik hat sich die Lage nun zugespitzt, denn im April wurde offenbar: Griechenland möchte Geld vom Internationalen Währungsfonds (IWF) und den Partnerländern der EU, um seine laufende Refinanzierung sicherzustellen. Das Land muss sich durch die Aufnahme neuer Schulden refinanzieren, da alte Schuldverschreibungen nun fällig werden.

Von unserem Gastautoren Christoph M. Schmidt, Präsident des RWI-Essen

Da Staaten gewissermaßen ewig leben und in der Regel für ihre Schulden gut sind, ist dies normalerweise kein Problem. Aber der Zinssatz, der bei der Aufnahme neuer Schulden am Markt bezahlt werden müsste, ist mittlerweile aufgrund der gestiegenen Risikoprämien erdrückend. Hierin schlägt sich das mangelnde Vertrauen in griechische Staatsschulden nieder. Wenn es so weiter ginge, würde die Insolvenz des Staates drohen. Um das zu verhindern, könnte ein günstigerer Kredit durchaus helfen.

Nun kann man – was außerhalb Deutschlands auch viele machen – fragen, warum ein so wirtschaftsstarkes Land wie Deutschland sich so schwer tut, die gewünschten Hilfen bereit zu stellen. Es geht doch „nur“ um einen zweistelligen Milliardenbetrag, und den könne man nach all den Kosten der großen Wirtschaftskrise doch noch schultern. Doch viele deutsche Wirtschaftswissenschaftler sind um die Anreizwirkungen besorgt, die von einer ungeschickt ausgestalteten Hilfe ausgehen. Sie verlangen als Voraussetzung für jegliche finanzielle Hilfe, dass Griechenland sich einem rigorosen Sparkurs unterwirft.

Ihre Kritiker wiederum zeigen dafür großes Unverständnis und werfen ihnen akademische Betriebsblindheit oder gar Inkompetenz vor: Wie könne man, so fragen sie, in einer Rezession auch noch einen Sparkurs verlangen, der die aktuelle griechische Krise noch verschärfen würde? Schnelle Hilfe sei stattdessen angesagt.

Dabei, so soll die folgende Parabel zeigen, ist die Frage nach den richtigen Anreizen keineswegs eine akademische Übung im monetaristischen Elfenbeinturm, sondern spiegelt harte Realitäten wider, die vielen Familien im „wirklichen Leben“ ebenfalls nicht fremd sind. Und wie es in der Familie keine einfachen Lösungen gibt, so gibt es sie auch nicht in der Makroökonomik von Währungsunionen.

Stellen Sie sich vor, Sie hätten als eines von mehreren Geschwistern einen Bruder in Finanznöten. Solange die Eltern noch lebten, war dieser Bruder nicht ihr Problem gewesen. Während Sie eine eigene Familie gegründet und in harter Arbeit an ihrer beruflichen Karriere gebastelt haben, war Ihr Bruder immer noch am Studieren, jahraus, jahrein. Was seinen Lebensstil angeht, ist Ihr Bruder schon immer eine Art Hallodri gewesen. Zugegeben, er ist charmant und witzig, sehr belesen und kontaktfreudig, und nicht nur Sie genießen seine liebenswerte Art.

Finanziert wurde diese andauernde „Ausbildung“ aber durchweg von Ihren Eltern. Immer wieder mussten diese etwas zuschießen, weil der Meister sein Geld nicht bei sich halten konnte. Sie hatten darüber mit ihnen gehadert, zeichnete sich doch ab, dass der Bruder trotz aller elterlichen Mahnungen nie ein ordentliches Finanzgebaren lernen würde. Aber verständlicherweise waren Sie mit den Problemen Ihrer eigenen Familie zu sehr beschäftigt, um sich dem Ärger auszusetzen, Ihre Eltern zu belehren.
Jetzt sind diese Eltern gestorben und haben ein Erbe hinterlassen, das jedem ihrer Kinder eine bescheidene finanzielle Selbständigkeit erlaubt. Aber Ihrem Bruder rinnt das Geld immer noch nur so durch die Finger. Eigentlich ist er auch ein erwachsener Mann, für den die Geschwister nur ungern in die Elternrolle schlüpfen mögen. Aber ganz ehrlich ist er zudem auch nie gewesen. Mit seiner Rolle als Lebenskünstler vereinbar, hat er nie richtig über den Stand seiner beruflichen Bemühungen Auskunft gegeben und wenn, dann nur geschönt. Die Eltern waren in ihrer Liebe blind gewesen, aber wer Augen im Kopf hatte, der hat das Dilemma förmlich kommen sehen.

Jetzt hat sich der Bruder in einem Brief an Sie um Hilfe gewandt, denn er hat sein Erbe völlig durchgebracht, aber sein „Studium“ stünde kurz vor dem Abschluss. Sie stehen von allen Geschwistern wirtschaftlich am besten da. Dass Sie diese wirtschaftliche Stärke hart und unter Verzicht auf die angenehmen Dinge des Lebens erarbeitet haben, bestreitet keiner. Einige der Geschwister würden gerne helfen, sind aber finanziell nicht in der Lage, andere lehnen von vornherein ab.

Sie sind jetzt in einem Dilemma. Selbst wenn Sie momentan nicht gerade aus dem Vollen schöpfen können – die Wirtschaftskrise ist nicht ganz spurlos vorüber gegangen –, so haben Sie doch die Möglichkeit, eine kurze Überbrückung zu finanzieren, bis der Bruder endlich eine Arbeitsstelle gefunden hat. Und Sie wissen, was man an Familienbanden so hat – man hat eben doch mehr Gemeinsamkeiten als man sich in Kindheit und Jugend so eingestehen wollte. Blut, so haben auch Sie erkannt, ist eben doch dicker als Wasser …

Die Parallelen zur Familie der EU, bei der die Aufsichtsbehörden nicht so genau hingeschaut haben, als eines der Familienmitglieder Jahr um Jahr über seine Verhältnisse gelebt hat, sind doch nicht zu übersehen: Wie in einer Familie hat sich auch Griechenland aufgrund der Zugehörigkeit zur EU Staatsausgaben und Lohnsteigerungen leisten können, die ansonsten niemals möglich gewesen wären. Zudem war Griechenland offenbar schon in der Vergangenheit eher ein Lebenskünstler gewesen, hatte aber wegen der Mitgliedschaft in der Europäischen Währungsunion (EWU) das Instrument verloren, seine Währung abwerten zu können, um so eine Zuspitzung der Situation zu verhindern.

Und wie sich die Eltern nicht den Schmerz angetan haben, mit ihrem Sohn rechtzeitig Tacheles zu reden, und die Geschwister ihre eigenen Probleme lösen mussten, haben auch die Aufsichtsgremien der EU und die übrigen Mitgliedsländer weitgehend untätig zugeschaut. Und bei aller Liebe zur Wiege der Demokratie, die Unehrlichkeit der griechischen Statistikbehörden ist eigentlich unfassbar. Niemand weiß genau, welche Prognosen für das künftige griechische Wirtschaftswachstum realistisch sind. Schließlich trifft es zu, dass Deutschland die wirtschaftsstärkste europäische Volkswirtschaft ist. Aber hier stehen verstärkte Investitionen in Bildung an, um sich auf den demographischen Wandel vorzubereiten. Und in der Wirtschaftskrise sind nicht nur die Staatsschulden erheblich gewachsen, sondern auch die Wachstumsrate ist mittelfristig gedämpft.

Wie Deutschland in der EU, so stehen Sie in der angespannten Familiensituation unserer Parabel keineswegs vor einer einfachen Abwägung: Mit einer einmaligen Finanzspritze ist es doch in beiden Fällen wohl kaum getan. In einer Traumwelt wäre der Bruder durch die Schmach, um die Hilfe der Geschwister ersuchen zu müssen, geläutert und würde alles daran setzen, möglichst rasch auf eigenen Beinen zu stehen. In einer Traumwelt würde Griechenland von jetzt auf nachher zu einer solide wirtschaftenden Volkswirtschaft, ohne Steuerhinterziehung und Korruption, mit großer Einsicht in die Notwendigkeit beschränkter Lohnzuwächse. Beides ist aber wohl kaum realistisch. Stattdessen drohen immer wiederkehrende Bitten um finanzielle Unterstützung.

Ob es jeweils sinnvoll ist, Hilfen zu geben, hängt daher vor allem daran, ob diese an Voraussetzungen geknüpft werden können, die eine Wiederkehr des Problems verhindern. Genau dafür ist international der IWF da, der einen Fahrplan zu mehr Solidität erarbeiten muss. Es ist in beiden Fällen fraglich, ob die unangenehme Aufgabe von einem Familienmitglied geleistet werden kann. Natürlich ist es irgendwie peinlich, auf Hilfe von außen angewiesen zu sein. Aber Scham darf eine konstruktive Lösung nicht verhindern. Und wäre es wirklich denkbar, dass der Zahlmeister Deutschland dem Hilfeempfänger Griechenland offen als Lehrmeister gegenübertritt? Im Familienkontext wäre jedenfalls Ärger vorprogrammiert.

Was in der akuten Notlage gar nicht helfen wird, ist die Einberufung eines Familienrats, der für künftige Notlagen einen Notfallplan entwirft, nach dem angesparte familiäre Gelder unter Auflagen zugeteilt werden. Nichts anderes ist im makroökonomischen Zusammenhang die Idee, jetzt einen Europäischen Währungsfonds (EWF) zu gründen. Dieser müsste ebenfalls zunächst aufgebaut werden und böte wohl kaum mehr, als den Europäern künftig die Peinlichkeit der Inanspruchnahme des IWF zu ersparen. Darüber hinaus stellten sich doch die gleichen atmosphärischen Probleme wie bei einem direkten deutschen Eingreifen. Denn wer sonst als Deutschland sollte als stärkster Finanzier hinter dem EWF stehen?

Ähnliches gilt für andere Vorschläge: Ob es sich darum dreht, gemeinsam einen Kredit aufzunehmen („Eurobonds“), für einen aufgenommenen Kredit zu bürgen („Garantien“) oder eine direkte Finanzspritze zu geben („bilaterale Hilfen“), das Geld werden die Geber voraussichtlich nicht oder zumindest nicht in Gänze wiedersehen. Das wäre für sich genommen aber gar nicht so schlimm, denn Solidarität in der Familie besteht häufig in Transfers. Darauf fußt beispielsweise der allseits anerkannte Konvergenzprozess der EU, bei dem Deutschland als größter Nettozahler fungiert.

Wichtig ist aber, wie Sie es schaffen können, eine Verhaltensänderung zu erzwingen, damit aus der Überbrückungshilfe kein Fass ohne Boden (eine „Transferunion“) wird. Wenn Ihnen dies nicht gelingt, müssen Sie die Hilfe verweigern, denn Ihre eigene Familie hat es nicht verdient, für den ungezügelten Lebenswandel eines engen Verwandten ihr eigenes Wohl zu verlieren. Deutschland trägt in Europa eine hohe Verantwortung für Frieden und Integration – diese Rolle macht es erforderlich, Hilfeleistungen für selbst verschuldete volkswirtschaftliche Miseren an klare Bedingungen zu knüpfen, und sie gegebenenfalls auch zu verweigern.

Christoph M. Schmidt ist Präsident des RWI-Essen, Professor an der Ruhr Universität Bochum und Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, den sogenannten Wirtschaftsweisen.

Die Linke NRW: Fahrplan zur Bärenfellverteilung

Die Linkspartei bereitet sich auf den Einzug in den Landtag und den Einstieg in die Landesregierung vor. Nur der Wähler könnte sich als Störfaktor erweisen.

Nein, was seine Kollegen von der Volkshochschule in Gladbeck erzählen, ist falsch. Ralf Michalowsky, der Pressesprecher der Linken in NRW, erklärt auf Anfrage, er sei nicht für das Amt des parlamentarischen Geschäftsführers ausgekungelt: „Bei uns ist niemand „vorgesehen“. Das Personaltableau ist nur soweit abgesteckt, dass es einen Satzungsentwurf gibt, der beschreibt wie die Fraktionsspitze aussehen könnte. Über Personen ist bisher weder diskutiert, noch abgestimmt worden. Deshalb ist auch niemand vorgesehen, ich auch nicht. Wir haben am Dienstag nach der Wahl die konstituierende Fraktionssitzung in der ein Fraktionsvorstand gewählt wird.“

Michalowsky hatte jahrelang eine Statue des KGB-Gründers Felix Dschersinski in seiner Wohnung stehen, natürlich ohne zu wissen, wer ihn da von seinem Klavier im Wohnzimmer aus anschaute.  Die Landespressekonferenz hat sich wegen seines rüden Umgangs mit Journalisten mit ihm beschäftigt. Er stand im Zentrum einer Spitzelaffäre. Da hält man den Ball lieber flach. Nur nicht noch mehr Fehler machen so kurz vor der Wahl. Zumal die Umfrage für die Linke nicht gut aussehen: Mal ist die Partei knapp über, mal knapp unter fünf Prozent.

Aber die Linkspartei ist eine ordentliche Partei. Wenn es um die Planungen für die Zeit nach der Wahl geht, straft sie alle Lügen, die im Zusammenhang mit ihr von einer Chaostruppe reden: Die Stellen des Fraktionsgeschäftsführers und des Fraktionspressesprechers sind schon ausgeschrieben.

Auf drei Regionalkonferenzen, eine davon am 19. Mai um 18.30 Uhr im Dietrich Keuning Haus in Dortmund, soll dann die Lage nach der Landtagswahl diskutiert werden. Klappt es mit einer rot-rot-grünen Koalition oder eine Duldung von Rot-Grün soll es vom 14. – 20. Juni eine Urabstimmung geben, deren Ergebnis am 22. Juni vorliegen soll. Sollte es soweit kommen, hätte Hannelore Kraft ein paar unruhige Nächte vor sich, denn die Basis der Linkspartei gilt als unberechenbar.

Etliche Kreisverbände der Partei sind mit dem Slogan „Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!“ in den Landeswahlkampf gezogen.

Blog zum TV-Duell zwischen Rüttgers und Kraft

Noch vor wenigen Wochen sah die politische Lage in Nordrhein-Westfalen so aus:
Ministerpräsident Jürgen Rüttgers erklärte die Wiese für gemäht und die Landtagswahl am 9. Mai 2010 für schon entschieden. Gut möglich, dass er sich schon Pläne gemacht hat, wie es danach weiter gehen würde – entweder damit wie er weiterhin ein Stachel im Fleisch von Angela Merkel sein könne oder aber wie er sich selber zum einzig geeigneten Nachfolger von Bundespräsident Horst Köhler aufbauen ließe.

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Der Ruhrpilot

NRW: Felix Dschersinski in Gladbeck…Süddeutsche

NRW II: An der Linken „soll der Machtwechsel nicht scheitern“…Der Westen

NRW III: Grüne gönnen Rüttgers die Rente…Kölner Stadtanzeiger

NRW IV: Rüttgers – vom Reformer zum Bewahrer…Welt

NRW IV: Die Katze im Sack…Post von Horn

Ruhr2010: Studenten ticken heute anders…Der Westen

Ruhr2010 II: Henzes wunderbare Opernwelt…RP Online

Ruhr2010 III: Anna Fiegen – danach…Hometown Glory

Recht: Meinungsverbrecher jagen..Law Blog

Debatte: Wie Luhmann einmal der DDR nachtrauerte…Freitag

Bankrott: Die zarteste Versuchung seit es Duplo gibt…Weissgarnix

E.on Ruhrgas und die zwei Millionen von der Stadt Essen

Ein ungewöhnlicher Zahlvorgang sorgt in der Stadt Essen weiter für Unruhe. Während die Stadtverwaltung und der Konzern E.on Ruhrgas einstimmig öffentlich versichern, bei der Überweisung von rund zwei Millionen aus den Kassen der klammen Kommune an den Versorger sei alles rechtens gewesen, sorgen weitere Details für neue Fragezeichen.

Es geht um den Bau der neuen Konzernzentrale von E.on Ruhrgas am Rand der Essener Innenstadt. Der Boden eines ehemaligen Stadions war hier in einer Ecke nicht fest genug, das neue E.on-Ruhrgas-Hochhaus zu tragen. Um die Störungzone zu beseitigen, mussten Betonpfähle in den Boden gerammt werden. Das verursachte Mehrkosten, von denen die Stadt die Hälfte trug.

Manche meinen, ich würde mit dieser Geschichte auf dünnem Eis segeln. Ich denke das nicht. Im Gegenteil.

Denn nach dem Kaufvertrag, der mir vorliegt, war die Stadt nicht zweifelsfrei zur Zahlung der Millionen verpflichtet. Sowohl E.on Ruhrgas als auch Stadtverwaltung sagen nur, man habe sich auf die Zahlung der Millionen „verständigt“. Beide Seiten bestätigen aber auch, es habe kein Zwang vorgelegen, zu zahlen. Dies wäre nur der Fall gewesen, wenn unter der Baustelle Bergbau nachgewiesen worden wäre.

Es heißt weiter, die Stadt habe sich an den Kosten beteiligt, um einen Rechtsstreit und daraus resultierende Risiken zu vermeiden. E.on Ruhrgas sagt, mit dem Kompromis sei der Konzern der Stadt entgegengekommen. Denn falls doch Bergbau nachgewiesen worden wäre, hätte die Stadt ein theoretisches Risiko von 6,5 Mio. Euro getragen.

In meinen Augen ist das ein Unding. Es sieht aus, als würden sich Stadtverwaltung und E.on Ruhrgas gegenseitig die Hände waschen.

Ich frage mich: Wie kann sich eine Stadt ohne zwingenden Grund an den Kosten fremder Dritter beteiligen? Es gab einen Vertrag. Auf dessen Basis hätte gehandelt werden müssen. Und nicht auf der Basis von hätte, wenn und aber. Und im Vertrag stand eindeutig, dass sich die Stadt nur im Fall von Bergschäden an den Mehrkosten für die Beseitigung der Störzone hätte beteiligen müssen.

Machen wir es ganz konkret: Da kommt einer zur Stadt und sagt, „Bei mir unter dem Haus war vielleicht mal Bergbau, kann ich zwei Millionen haben?“ Dann holt der Kerl zwei Gutachten ein, die beweisen sollen, dass unter dem Haus Bergbau war. Aber die Gutachter können das nicht beweisen. Dann geht der Kerl zur Stadt und sagt, wenn Ihr nicht zahlt, kann sich mein Bau verzögern. Dann sagt der Kerl, wenn es doch Bergbau geben würde, den meine Gutachter zwar nicht beweisen können, dann hättet Ihr einen noch größeren Batzen zu zahlen. Das nennt der Kerl dann Risiko der Stadt. Dass sein Bau nicht schnell fertig wird, soll ein Risiko der Stadt sein. Und dass er keinen Bergbau nachweisen kann, soll ein Risiko der Stadt sein.

Dann macht der Kerl ein Angebot. Er sagt: „Was haltet Ihr davon, wenn wir Halbe-Halbe von meinen Kosten machen?“

Eigentlich müsste die Stadt jetzt lachen. Doch nicht so hier. Hier sagt die Stadt: „OK, wir zahlen euch zwei Millionen“ – und ignoriert dabei konsequent, dass eben dieser Bergbau nicht nachgewiesen werden konnte, dass es keinen zwingenden Rechtsgrund für die Zahlungen gibt. Dafür treibt die Stadt die Parkgebühren hoch, dafür schließt die Stadt Kindergärten oder renoviert keine Schule, was auch immer.

Etwas zum Nachdenken am Rande: Selbst die Bezirksregierung Arnsberg – dort das ehemalige Oberbergamt – teilte schriftlich mit, dass in der entsprechenden Zone kein Bergbau bekannt sei.

Ich meine: Hallo? Das soll kein Skandal sein? Wenn eine Stadt ohne zwingenden Rechtsgrund zwei Millionen Euro ausschüttet? Wie viele Leute gibt es, die jetzt auch sagen könnten: Hey, unter meinem Haus war vielleicht auch mal Bergbau, kann ich auch eine Millionen haben? Und über wen reden wir hier? Über einen armen Schlucker, oder über E.on Ruhrgas? Einem der reichsten Konzerne der Welt?

Das ist aber noch nicht alles. Der ganze Vorgang ist bis in die Hintergründe dubios.

Die Projektleitung für das Objekt hat das Büro von Klaus Wolff, die W+P Gesellschaft für Projektabwicklung. Diese Firma ist im Rathaus der Stadt Essen bekannt. Wolff zeichnete für die Philharmonie und das Museum Folkwang verantwortlich und ist Planer des neuen Fußballstadions von Rot-Weiss Essen.

Ich habe mal nachgesehen, wie es überhaupt zu der Zahl von zwei Millionen Euro gekommen ist. Denn im Vertrag steht, die Stadt habe nur die MEHRKOSTEN für die Gründungen zu tragen habe – wenn so was wie Bergbau nachgewiesen werden könnte.

Zunächst fällt mir auf, dass E.on Ruhrgas sagt, im September 2007 habe es eine Kostenschätzung für die Baugrundverbesserung gegeben, in der die Mehrkosten für die Gründung in Höhe von rund 4,6 Mio. Euro ausgewiesen worden wären. Dies stehe so in einer Tabelle.

Ich habe mir die Tabelle besorgt. Darin steht unter der entsprechenden zusammenfassenden Kostengruppe 10.320 aber nur „Gründung“, nicht „Mehrkosten für Gründung“. Das Wort „Gründung“ steht in meinen Augen für normale Gründungskosten – und nicht für MEHRKOSTEN einer Gründung. Und tatsächlich: Wenn man die Zahl von 4,6 Mio. Euro in der Tabelle auflöst, dann kommt man auf Kosten in Höhe von nur 1,5 Mio. Euro, die eindeutig als geschätzte MEHRKOSTEN ausgewiesen werden. Die restlichen rund 3,1 Mio. Euro sehen größtenteils so aus, wie normale Gründungskosten, die auf jeden Fall angefallen wären. Da stehen so Sachen wie Drainagen, Bauwerkabdichtungen und Bodenplatte, etc…

E.on sagt dazu offiziell nichts. Aber aus dem Haus des Energieversorgers heißt es, es habe eben nicht nur Mehrkosten für die Bodenverbesserung gegeben, sondern auch Mehrkosten bei den Drainagen und dem ganzen Rest. Deswegen seien auch die ausgewiesenen Drainagen und Co. als Mehrkosten ausgewiesen worden.

Ok. Lassen wir das mal so stehen. Für mich hört sich das zumindest komisch an.

Gehen wir weiter im Text. Aus Unterlagen des E.on-Konzern geht weiter hervor, dass in einer Kostenberechnung vom 31. Januar 2008 unter der detaillierten Kostenstelle 10.321 „Baugrundverbesserung, Gründungskosten Störzone“ zunächst 1,5 Mio. Euro ausgewiesen wurden, die später „zu Lasten Stadt Essen“ gehen sollten – wegen der angenommenen Bergschäden. Genauso wie man es auf Basis der zusammenfassenden Kostenstelle 10.320 vermuten sollte.

Eine Zeile weiter, unter der detaillierten Kostenstelle 10.322 „Flachgründung“ werden dann rund 4,2 Mio. ausgewiesen, die die normalen Gründungskosten darstellen sollen, die auch bei einer Gründung ohne Störzone angefallen wären.

Ein E.on-Sprecher sagte mir, man werde auch zu dieser internen Kostenberechnungen keine Stellung beziehen.

Aus dem Konzern heißt es allerdings, die 4,2 Mio. Euro seien vom zuständigen Ingenieurbüro irrtümlich in die Tabelle in die Zeile der Kostenstelle 10.322 eingetragen worden. Die Millionen hätten in der Zeile der Kostenstelle 10.321 hinter der Aussage „zu Lasten Stadt Essen“ stehen sollen. Als Beweis für den Fehler heißt es aus dem E.on-Konzern, es habe keine Flachgründung gegeben.

Diesen Widerspruch muss ich klären. Gab es einen Fehler bei der Erstellung der Tabelle?

Ich habe beim Ingenieurbüro nachgefragt, dass die Kostenschätzung damals für E.on Ruhrgas gemacht hat.

Und jetzt kommt die Überraschung: Das Ingenieurbüro widerspricht der Darstellung aus dem Haus von E.on Ruhrgas.

Auf Nachfrage sagte mir der Leiter des Ingenieurbüros, Bernhard Spitthöver, seine eigene Arbeit sei richtig – er habe keinen Schmuh gemacht. E.on Ruhrgas habe auf dem Baugelände außerdem unter anderem Flachgründungen vorgenommen. Und dafür und für andere Vorhaben seien die Kosten in der Januar-Berechnungen auf 4,2 Mio. Euro geschätzt worden. Die Kosten für die Beseitigung der Störung seien zum damaligen Zeitpunkt noch auf 1,5 Mio. Euro geschätzt worden. Zudem sei man davon ausgegangen, dass die Stadt die Kosten von den geschätzten 1.5 Mio. Euro nach Kaufvertrag übernehmen müsse.

Ich habe weiter in den Unterlagen von E.on Ruhrgas gestöbert. Dort findet sich ein weiterer Kostenzettel, der die 4,2 Mio. Euro erklären könnte. In dem Papier werden diese Kosten detailliert zerlegt: Da ist die Rede vom Bau der Fundamente für die Tiefgarage, für eine Aufzugsunterfahrt, für den Aushub der Fundamenten und für die Gründung des Flachbaus, der nicht auf der entsprechenden Störzone steht. Mit anderen Worten, wenig, was aussieht, wie echte MEHRKOSTEN für die Gründung auf der Störzone.

Gehen wir einen weiteren Schritt: Wann wurden die echten MEHRKOSTEN der Gründung tatsächlich bekannt? Frühestens im März 2008. Denn damals gab es die Ausschreibung für die Baugrundverfestigung der Störzone.

Auch das ist bemerkenswert. Ich befinde mich derzeit mit Christian Hülsmann in einem Rechtsstreit vor dem Landgericht Köln über einen Telefonvermerk zu Sache, den ich bis zum Ende ausfechten werde. Da ich die Angaben aus dem Telefonvermerk vertrauenswürdig finde. Und ich bereit bin, dafür zu streiten. Eine einstweilige Verfügung hat da nicht viel zu sagen. Eine Entscheidung fällt erst im Hauptsacheverfahren.

Wie dem auch sei, dieser Punkt wird vor Gericht geklärt.

In der Geschichte des E.on Ruhrgas Baulochs geht es so weiter: im März 2008 folgten Ausschreibungen für die Beseitigung der Störzone und nach Beendigung der Maßnahmen lagen die Gesamtkosten für den Ausbau der Fundamente bei rund 3,8 Mio. Euro – netto. Davon trug die Stadt die Hälfte. Etwas mehr als die ursprünglich geschätzten 1,5 Mio. Euro. Das Geld wurde im Herbst 2008 überwiesen.

Der Rat der mit rund 3 Mrd. Euro verschuldeten Gemeinde wurde weder über den Vorgang noch über die Überweisung an den Energieriesen unterrichtet. Aus diesem Grund fordern nun SPD und Linkspartei in der kommenden Woche im Stadtrat Aufklärung über die dubiosen Abläufe.

Ich denke mit vollem Recht. Auch hier sehe ich einen Skandal.

Selbst wenn es juristisch nicht notwendig gewesen sein sollte, den Rat über die Überweisung an den Energieversorger zu unterrichten.

Politisch war dies auf jeden Fall geboten.

Ist Merkel allen Kerlen über und auf dem Weg in die schwarzgrüne Republik?

Angela Merkel Foto: CDU/Foto: Andreas Herzau by Katinka Krieger Repräsentanz

Ich glaube ja, und wünsche mir das nicht. Dies vorausschickend frage ich mich, warum die Kerle diese Frau nicht verstehen. Warum verstehen die Journalisten sie nicht? Warum bleiben ihre potenziellen Rivalen als Opfer am Wegesrand zurück?
Kann sich noch jemand an den Andenpakt erinnern?

Das waren die Jungs, die Merkel die Hausfrauenarbeit nach Kohls Parteispendenaffäre und Wahlniederlage machen lassen wollten, um dann, wenn die Zeit reif sei, den Laden zu übernehmen. Den Laden CDU. Die Kerle, wie hiessen sie noch? Dieser aus dem Südwesten, der jetzt mit dem schlechten Englisch zur EU gegangen ist, weggebissen von den Haien im eigenen Laden. Dann dieser grinsende Schwiegersohn aus Hannover, der in den Machtkämpfen bei VW quasi aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden ist. Und dieser pickelige Krawallbruder aus Hessen, der zuletzt dem Ansehen seiner Partei bei einem Machtkampf im ZDF so nachhaltig geschadet hat, dass er für kein öffentliches Amt mehr infrage kommen wird. Und zuguterletzt, der Mofa-Rowdy aus dem Sauerland, der jetzt lieber richtiges Geld verdient, als als schlechtbezahlter Parlamentarier in Berlin zu vergreisen.

Interessant aber auch, mit wem sich Merkel umgibt, und was aus diesen Leuten wird. Respektvoll aber auch denunzierend war lange von ihrem Girlscamp die Rede. Ihre Büroleiterin Beate Baumann, ihre Medienberaterin Eva Christiansen, ihre zeitweilige Staatsministerin Hildegard Müller, die mittlerweile auf einen besserdotierten Lobbyistinnenjob umgestiegen ist. Ihr Regierungssprecher Ulrich Wilhelm, den sie aus Stoibers Mannschaft übernommen hat, auf den der kundigste Hauptstadtbeobachter Günter Bannas Lobeshymnen veröffentlicht, und der nun mit den Stimmen der SPD Intendant des Bayrischen Staatsrundfunks werden soll. Und da ist der bisherige Kanzleramtschef Thomas de Maiziere, der jetzt als Innenminister mit ganz neuen Seiten reüssiert, z.B. dass er sich für Netzpolitik nicht nur unter polizeilichen Gesichtspunkten interessiert (und der übrigens bemerkenswert ungeschoren von der ganzen „Sachsensumpf“- und Landesbanksaffären-Debatte blieb, in der seine sächsischen CDU-Adlaten nach Kräften eine schlechte Figur abzugeben versuchten; nur er blieb fleckenfrei, sauber und rein). Diesen Figuren ist gemeinsam, dass sie extrem loyal für die Kanzlerin arbeiteten. Es gehörte zu ihren Leistungen, nicht selbst in den Medien aufzutauchen, sondern für das Bild ihrer Chefin zu arbeiten. Eine Leistung, zu der auch Roland Pofalla als Parteigeneralsekretär beitrug, er allerdings in einer anderen Rolle, nämlich der des Punchingball für Journalisten und Kabarettisten. Solche Leute werden von Merkel belohnt. Pofalla ist jetzt Kanzleramtschef.

Viele Kerle unter den Journalisten verstehen sie nicht. So behauptete Stefan Braun in der Süddeutschen, unter Merkel sei die CDU „ein Lernverein ohne enge und gefühlte Bindung.“ Die CDU ächze bei jeder Veränderung, „weil diese Veränderung nicht durch eine leidenschaftliche Debatte und eine klare Entscheidung endgültig verinnerlicht worden ist. So gewinnt die CDU nicht an neuem Zusammenhalt und verliert zugleich ihre alte Grundierung.“ So hätten Journalisten gerne den öffentlichen Diskurs: „leidenschaftlich“ und dann „mit klaren Entscheidungen“. Politik ist aber kein Pokalfinale, sehr wohl aber ein Mannschaftsspiel, und, so kurzlebig sie auch oft agiert, mit einem längeren Prozesshorizont, als nur eine Ligasaison. Wer langfristig oben stehen will, muss Prozesse verstehen, im richtigen Moment richtig steuern, aber auch mal laufen lassen können. Das hat zumindest Zeit-Redakteur Bernd Ulrich, mit dem ich nur wenige Meinungen teile, richtig verstanden (hier). Er missversteht jedoch, Merkel würde ihr Personal danach aussuchen, bestimmte Sachprobleme zu lösen. Besonders witzig die angebliche Aufgabe Frau von der Leyens, uns zeugungs- und gebärfreudiger zu machen – so blöd wie Ulrich ist Merkel nicht.

Die Aufgabe der CDU-MinisterInnenriege ist nicht eine bestimmte Politikkonzeption durchzusetzen, sondern das Bild des CDU-Personals in der Öffentlichkeit wirksam zu korrigieren. Ohne jede Feminismusstrategie wird der Frauenanteil vergrößert. Statt des hässlichen Wadenbeissers Koch werden gutaussehende Kerle und Mädels befördert, die neben der Loyalität zur Chefin Interesse an neuen gesellschaftlichen Fragen haben, statt nur alte Schlachten, die das Publikum seit Jahren anwidern, zu schlagen. Die, ähnlich wie in den 80ern Heiner Geißler, das Schrödersche „Gedöns“ für soziale Zukunftsfragen halten, und der SPD so weitere Themenkompetenzen wegnehmen, so unauffällig, dass die – blöd genug – es erst bemerkt, wenn es schon geschehen ist. Röttgen ist so ein Fall und de Maiziere auch.

In urbanen Zentren ist die CDU nur noch bei den über 60-jährigen stärkste Partei. Da das aber viele sind und die jungen nur wenige, reicht das für – relative – Wahlsiege. Darum werden auch weitere reaktionäre Gespenster durch die Arena getrieben, seien es Vertriebene oder Zensursula. Sie mobilisieren diese pflichtbewußte Generation zu den Wahlurnen. Gleichzeitig werden die Konkurrenzparteien zielgerichtet demobilisiert. Das entscheidende weibliche Wählerinnenquentchen erringt Merkel allein dadurch, dass sie nicht nur eine Frau ist, sondern ständig von männlichen Wölfen umkreist wird, die sie erfolgreich immer wieder abwehrt – ein klassisch-modernes weibliches Rollenmodell, zeitgerechter geht es kaum. Weder SPD noch Linkspartei machen sich bisher auch nur den geringsten analytischen Begriff davon und führen intern ihre alten Männerkämpfe. Die Grünen dagegen werden davon magisch angezogen. Sie können bei der traditionellen Linken keine moderne Strategie erkennen, mit der was zu gewinnen ist. Da sie selbst eine Gewinnerstraße gefunden haben, demografisch begünstigt, gesellschaftlich verankert als moderne Manager in prosperierenden urbanen Zentren wie Freiburg, Tübingen, Hamburg, werden sie zueinander finden. Eine Partei mit „Zusammenhalt und alter Grundierung“ (Braun/SZ) brauchen nur noch aus der Zeit gefallene TraditionalistInnen – auch das wird sich demografisch erledigen.
Ich bin übrigens selbst einer.

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Der Ruhrpilot

NRW: Hannelore Kraft, die Merkel der SPD…Stern

NRW II: Die liberale Dreierbande aus NRW…FAZ

NRW III: Hilfe! Ich bin ein Linker…Xtranews

NRW IV: Expedition auf der Ruhr…Freitag

Dortmund: Roxy vor dem Aus…Ruhr Nachrichten

Ruhr2010: Der andere Blick auf das Revier…Welt

Karstadt: Investor fordert Zugeständnisse…FR Online

Atom: 120 Kilometer Widerstand…Spiegel

Digital: Das Rätsel Polizeigewerkschaften…Netzpolitik

Religion: Die Aufklärung geht weiter…Bo Alternativ

Merkel: Die “eiserne Kanzlerin” schmilzt…Sprengsatz

E-Books: “Die Zerstörung der Leipziger Stadtbibliothek im Jahr 2003″…Prospero

Kein Einschaltprogramm: die WDR-Radiowellen

Wer hört eigentlich noch Radio? Die ARD-Jugendwellen sind in der Krise, seit sich immer mehr Jugendliche ihr Medienprogramm selbst zusammenstellen. In weiten Bereichen hat die Glotze die Rolle des Radios als Hintergrundmedium übernommen, zumindest im privaten Bereich. Radio senden noch mein Edeka, mein Bäcker und mein Friseur – sie alle spielen das lokale Privatradio. Dem hat sich über viele Jahre auch der WDR angepasst.

Man ging davon aus, dass das Radio sowieso eingeschaltet wird. Dann muss nur verhindert werden, dass irgendwas gesendet wird, was zum Um- und Ausschalten führen könnte: zuviel Labern oder schräge Musik, die irgendjemand nicht gefallen könnte. So wurden die Wellen für Jugendliche (Einslive), für die Älteren (WDR 4) und für den Mainstream (WDR 2) konstruiert, wobei bemerkenswerterweise WDR 2 sehr zügig die niedrigsten Einschaltquoten dieser drei Wellen erreichte. Für unverbesserliche Radiofreunde blieben WDR 3 (Klassik und Kultur) und WDR 5 (Resterampe für Wortsendungen, die aus den anderen Wellen rausgeschmissen wurden). Die Programmkonfiguration wurde so in den 90er Jahren geschaffen, unter der Ägide des damaligen Hörfunkdirektors Fritz Pleitgen, der kurz darauf zum Intendanten aufstieg.

Als Intendant drückte er auf der UKW-Frequenz 103,3 MHz (die Frequenz besendet das Ruhrgebiet und die Rheinschiene bis zur nördlichen Stadtgrenze von Bonn) noch ein weiteres Nischenprogramm durch: Funkhaus Europa sendet musikalisch und im Wortbereich ein im besten Sinne interkulturelles Programm, die Einschaltquoten sind zwar kaum messbar, aber es funktioniert sehr gut als Kaderschmiede für junge, flexible, ehrgeizige und leistungswillige MigrantInnen, die hier einen Super-Einstieg ins Mediengeschäft finden. Wenn ich mich berieseln lassen will, nehme ich diesen Sender.

Früher habe ich ja noch Radio gehört, weil ich was Bestimmtes hören wollte. Ich will jetzt gar nicht mehr Leuten wie Alan Bangs hinterherweinen, das haben schon viele andere vor mir getan, und es gibt tolle Fan-Internetseiten zu seinem segensreichen Wirken. Aber jedes Mal, wenn ich in den WDR-Programmen ein Juwel gefunden hatte, wurde es von einer Programmreform gekillt. Das waren in chronologischer Reihenfolge z.B. die Radiothek (WDR2, 70er Jahre), Riff (WDR1, 80er/90er Jahre), der Show-Mix (WDR 2, 4 Stunden sonntagsabends, mit Live-Konzerten und musikjournalistischen Reportagen, 80er Jahre), die Budengasse (WDR 2, 2 Stunden Kulturmagazin sonntagsmittags, 90er Jahre), die Karawane (WDR1, bevor es zu Einslive wurde) und als Ritualelemente meiner politischen Bildung die halbstündigen Nachrichtenmagazine auf WDR 3 um 7, 12 und 18.30 h sowie als linker politfeuilletonistischer Nachtisch das „Kritische Tagebuch“, von dem ich in den 70ern sogar zahlreiche Folgen auf 150 MCs archiviert und mit anderer Musik neu abgemischt habe.

Das Schicksal dieses Kritischen Tagebuchs zeigt paradigmatisch die Strukturen in diesem großen öffentlich-rechtlichen Sender, die ihn letztendlich selbst infrage stellen. Begründet 1967 lief die Sendung jahrzehntelang werktäglich um 19.30 h über 20 Minuten, mit in der Regel 3-4 Beiträgen. Programmreformen in den 90ern führten dann jeweils zu Veränderungen der Sendezeit und zu einer Verkürzung um 5 Minuten. Als dann endlich der Redakteur Eberhard Rondholz das Ruhestandsalter erreicht hatte, und in sein Ferienhäuschen auf einer sehr schönen griechischen Insel verbannt werden konnte, wurde die Sendung, die mittlerweile „Tageszeichen“ hiess, und von wechselnden freien Mitarbeitern gestaltet wurde, zügig plattgemacht. Im Sender war die Führungsebene nämlich der Meinung, dass WDR 3 die niedrigsten Einschaltquoten und die höchsten Produktionskosten habe. Und also mussten Wortprogramme gekillt werden. Die drei erwähnten Nachrichtenmagazine wurden wie das KT zunächst von 30 auf 15 Minuten gekürzt, und laufen jetzt nur noch als 8-Minuten-Stummel. Wort kostet immer Honorar, meistens für freie Mitarbeiter. Das ist jetzt weg. Und? Haben Sie schon was von einer Gebührensenkung gemerkt?

Liebe WDR-Sparfüchse, es gibt da noch eine Sendung, die ich immer noch höre. Die müsst Ihr wohl vergessen haben: das Kulturmagazin Mosaik, werktagsmorgens um 8 (ich weiss, es fängt seit der vorletzten Programmreform um 6 an, aber so lange habe ich keine Zeit). So weit ich weiss, hören das alle Kulturschaffenden in NRW, so weit sie um diese Zeit schon wach sind. Die könnt Ihr noch mal so richtig gegen Euch aufbringen, und dann müsste eigentlich alles platt sein, was sich noch zu hören lohnte.
Nun habt Ihr Euch vom des Deutschen Kulturrat einen Persilschein schreiben lassen – wenn man alle 464 Seiten liest, ist es nicht so, aber Ihr habt es so verkauft. Und wie grenzwertig es ist, Euch von Euren Honorarabhängigen loben zu lassen, was sogar einer sich zu problematisieren traute, das habt Ihr Euch wohl mittlerweile auch schon gedacht.
Ruhrbaron Martin Böttger war 1997-2003 stellvertretendes Mitglied des WDR-Rundfunkrates.
PS und Exkurs: die „Bundesliga-Konferenz“ auf WDR2: auch hier: die Kunstform der Live-Reportage, wie sie Zimmermann, Brumme, Michel, Hageleit, Hansch, Breuckmann und ja, auch Fassbender, geprägt hatten, lasst Ihr aufgrund immer kürzerer Schalten kaum noch zu. So versucht Ihr dramaturgisch aufzupeppen, dass höchstens noch 5 Spiele gleichzeitig stattfinden. Und die glotzen viele heute in der Sky-Kneipe. Die Bundesliga wird Euch also auch nicht retten.