In der Landeshauptstadt wächst das vielköpfige Ungeheuer: So wie der griechischen Sagengestalt ein abgeschlagener Kopf zwei neue Häupter beschert, erhält die SPD nach jeder gescheiterten Sondierungsrunde neue Angebote. Heute probieren FDP, Grüne und SPD die Ampel. Sollte das inhaltlich völlig konträre Trio scheitern, steht wieder die Groß-Koalition auf dem Plan. Oder die Tolerierung durch die Linkspartei. Das wäre die inhaltlich und demokratisch beste Option – für jedes Gesetz müsste eine Mehrheit im Landtag erkämpft werden. Und angeblich geht es ja allen um „die Inhalte“
Unrealistisch scheint diese Option nicht. Zwar sind SPD. Grüne und Linke vor knapp zwei Wochen persönlich zerstritten auseinander gegangen. Aber bei inhaltlichen Ziele wie der Abschaffung der Studiengebühren, dem längeren gemeinsamen Lernen und finanzielle Hilfen für die Kommunen ist das Trio sich einig. Und Kraft könnte sich in geheimer Wahl mit den Stimmen der Linken wählen lassen – sie benötigt nur eine Stimme des fremden Lagers. Das ist vielversprechender als die Große Koalition mit der CDU, die auf ihren Vorzeige-Verlierer MP Jürgen Rüttgers nicht verzichten will.
Das weiß auch die SPD. Und könnte sich tolerieren lassen. „Als letzte Option vor Neuwahlen würden wir natürlich auch diese Karte ziehen“, heißt es aus dem SPD-Landesvorstand. Zwar hat Hannelore Kraft immer gesagt, dieses „große Land kann auf Dauer nicht so geführt“ werden. Aber nach dem politischen Wechselbad kalkulieren die Genossen langfristig: „Sollte es zu keinen Koalitionsverhandlungen kommen und CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers geschäftsführend weiter regieren, wird sich Kraft zur Wahl stellen.“ Dies sei auch mit Blick auf die dann gewonnene Bundesratsmehrheit für die unbeliebten Berliner Regierungsbeschlüsse notwendig.
Auch die Grünen wären dafür offen. So könnte das Wunschbündnis „Rot-Grün plus X“ doch noch Wirklichkeit werden. Der grüne Landeschef Arndt Klocke formuliert vorsichtig: „Eine Minderheitsregierung ist jetzt aktuell kein Thema.“ Es herrsche aber auch nach den gescheiterten rot-rot-grünen Gesprächen „keine Vereisung in der Atmosphäre“ mit den Linken. Somit hat SPD-Landeschefin Hannelore Kraft wieder eine Option mehr. „Jede Variante hat ihre Schwächen. Aber mit der CDU wäre es sicherlich nach den Erfahrungen in Berlin schwierig“, so der zum linken Flügel zählende Landesvize Jochen Ott. Er halte die „Ampel-Sondierungen für aussichtsreich“. In der Landespolitik gebe es große Berührungspunkte mit der FDP. Zum Beispiel seien die Liberalen in der Schulpolitik veränderungsbereit, auch in der Innenpolitik sind wir eher beieinander. Und in der Kinder- und Jugendpolitik gebe es viele Übereinstimmungen. Auch Klocke sagt, von den eingetragenen Partnerschaften bis zu den Bürgerrechten sähe er Übereinstimmungen.
Heute wird sich zeigen, wie groß die Ampelchancen tatsächlich sind. Das achtköpfige liberale Team für die Gespräche in einem Düsseldorfer Hotel ist paritätisch besetzt: Befürworter wie der Landesvorsitzende Andreas Pinkwart oder der Europaabgeordnete Alexander Graf Lambsdorff halten sich mit ausgewiesenen Gegnern in etwa die Waage. Die Bundespolitik spielt der Ampel aber in die Hände: Je unzufriedener die Bürger mit dem schwarz-gelben Berliner Bündnis sind, umso größer ist die Not der FDP, nach neuen Partnern zu suchen. „Die Berliner Führung möchte deshalb gerne eine Ampel“, heißt es in Düsseldorfer Fraktionskreisen. Und gerade ältere Abgeordnete distanzieren sich zunehmend von den jungen neoliberalen Wadenbeißern aus Düsseldorf. „Es gab gute sozial-liberale Zeiten in Nordrhein-Westfalen“, sagt Detlef Parr, Mitglied des Landesvorstandes und präventionspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion. Daran sollte angeknüpft werden. „Wir sollten uns tolerant prüfen“, sagt er. Wie dies ausgeht scheint in Düsseldorf niemand zu ahnen. Der Parteilinke Ott sagt: „Die vergangenen Wochen haben auch gezeigt: „Im Findungsprozess passieren viele unvorhergesehene Dinge.“