Madsen, Sonntag, 18. Juli, 19.30 Uhr, Bochum Total
Der Ruhrpilot
NRW: Rot-Grün ernennt neue Regierungspräsidenten…Pottblog
NRW II: Kaykin – Krafts umstrittene Frau für Integration…Der Westen
NRW III: Rot-Grün in NRW verzichtet bei Studiengebühren auf Kraftprobe…Spiegel
Karstadt: Übernahme zieht sich hin…Der Westen
Medien: Fehlende Konkurrenz schadet…Medienmoral NRW
Umland: Baggersee am Tenderingsweg…Zoom
Abmahnungen: Post vom Anwalt, was tun?…Netzpolitik
A local Hero´s Diary III: Sex, Drogen & Godard
Unser Gastautor Carsten Marc Pfeffer berichtet auch im dritten Teil wie seine Local Hero Woche in Bochum gelaufen ist.
Mittwoch, 14 Juli: Eine Ahnung von frisch aufgetragenem Chanel Nr. 5 kommt aus dem Bad. Sie ist also schon aufgestanden. Wenn sie zu Bett geht, dann sagt sie: „Ich mag keinen Kapitalismus, weil er mich ins Bett schickt, obwohl ich noch gar nicht müde bin.“ Jetzt ist sie wach und wuselt durch meine Wohnung, schon halb im Job. „Das ist alles deine Schuld“, hör ich sie rufen. Diesmal also nicht der Kapitalismus. Manchmal frag ich mich, ob ihr Kommunarden-Slang nicht bloß Fake ist. Immerhin hat sie sich in eine der reichsten Familien der Stadt eingeheiratet. Es gibt Orte, an denen bin ich für sie nur ein Schatten. So wie sie wiederum viele dunkle Stellen in meinen Songs markiert. Ein Hinweis, der vielleicht diese Indiskretion entschuldigt.
Mittlerweile habe ich mich auf die Couch begeben und lese ein wenig in Tender Bar von J.R. Moehringer. Ein großartiges Buch, sehr filmisch. Es erzählt meine Geschichte – aber das denke ich immer, wenn ich ein Buch lese. Manchmal sogar, wenn ich einen Film sehe. In der Küche wird ein Laptop heruntergefahren. Jetzt kommt sie rein und schaut mich mitleidig an. Leicht gelangweilt, aber ansprechbar.
„Kommst du Freitag zum Gig?“
„Wir sind doch bis Montag auf…“
„Dann Dienstag?“
„Dienstag.“
Irgendwie scheint die Local Hero Woche in Bochum heute eine Auszeit zu nehmen. Ich überfliege das heutige Kulturprogramm in der Tageszeitung und erkenne den Schwindel. Heute passiert nichts, was nicht auch sonst passiert wäre. Was natürlich nicht stimmt, weil ein imposantes Programm zusammengeschustert wurde, das auch einige Überraschungen bereithält. Doch fehlt zwischen Semesterkonzert und Fiege-Kino-Open-Air der besondere Kick. Herbert Grönemeyer mit Westerngitarre vor dem Bratwursthäuschen – das wär doch mal was. Da fallen mir gleich zwölf Überschriften zu ein. Doch es sieht so aus, als würden die Local Heroes einen Tag lang ihre Kraft sparen wollen, für das, was da noch kommt. Auch ich sollte mich etwas schonen und entscheide mich, bis Montag keine Pressejobs mehr anzunehmen. Immer wieder falle ich zurück in so nölige Phasen, besonders wenn ich Bahn fahre. Das muss an dem vielen Arbeiten liegen. Immer auf der Suche nach einem Thema, und immer wieder muss die größte Skrupellosigkeit mobilisiert werden, um all das zu Papier zu bringen. Dazu dieser nervennagende Zweifel, weil man weiß, dass man von dem Ganzen überhaupt keine Ahnung hat und nur ein Ignorant und ein Wahnsinniger ist. Dabei hatte ich mir doch für meine Songs das Nervenkostüm so sonderbar verzärtelt… – Es wird auch ohne Jobs gehen.
Agenten im Raucherkino
Um mich auf dem Laufenden zu halten, gehe ich ins Konkret. Ich hätte auch ins Tucholsky gehen können; ein Café um die frühe Mittagszeit ist der beste Platz für einen Journalisten. Die Leute wissen, dass man von der Presse ist und erzählen einem alles. Ein verstörender Trend. Aber vielleicht gibt es ein kollektives Verlangen zu beichten. Wie im Fernsehen. Vielleicht. Größer ist allerdings das Verlangen zu petzen. Was auch mir lieber ist, denn nichts schreibt sich besser als Aufreger. Da erscheint auch schon mein Informant. „Soll schwer was los gewesen sein, gestern beim Leo“, beginnt er. „Alles, was Rang und Namen hat in der FIFA hat auf seiner Dachterrasse gefeiert.“ So, so. Aber für solch einen Klamauk hatte ich ihn nicht ins Café bestellt. Nun schweigt er, als gelte es einen Wettkampf zu gewinnen. Für einen kurzen Augenblick muss an etwas ganz anderes denken, dann komme ich zurück zum Thema.
„Was ist mit der Liste?“
„Welche Liste?“
„Na, die Liste!“
„War schwer ranzukommen?“
„Wieviel?“
„War ‘ne Menge Arbeit.“
„Wieviel?“
„Meinen Deckel im Oblomow.“
In Ordnung. Die Liste ist es wert. Sie ist die Inkunabel einer Epoche, die wir alle nicht verstanden haben werden. Es ist der Cateringrider von Revolverheld, Stand 02.2010. Erst gestern hatten die Jungs im Rahmen der FIFA U-20-Frauen-WM ein Konzert auf dem Konrad-Adenauer-Platz gegeben. Hot. Ich liebe diese Liste. Sie ist zwei Seiten lang und besteht ausschließlich aus pointierten Schnullibulli-Wünschen. Ein Parceforceritt: „ab morgens bitte Salat – sehr gerne Antipasti – Rohkost – hochwertiger Käse (Comte, Allgäuer Bergkäse) – 2 Kisten 0,5 Liter EVIAN (Alternativ Vittel, Volvie, etc, wichtig: NULL Kohlensäure) – Abendessen: Grundsätzlich bitte so viel wie möglich Vollwertkost & aus biologischem Anbau! Danke! – 25 Vollkornsandwiches mit Käse und/oder Schinken inkl. Salatblatt (die Hälfte der Sandwiches bitte vegetarisch)“. Wunderbar. Mit der Ernährung fängt es an. Askese für das Ego. Was ist eigentlich aus dem guten alten Rock’n Roll geworden? Wie konnte da bloß die Diskurshoheit verloren gehen. Ich weiß noch, wie Andreas „Bär“ Läsker zur letzten DSDS-Staffel erklärte, dass das wilde Leben im Showbizz nur ein Gerücht sei. Schließlich, so der ehemalige Fanta4-Manager, erfordere es viel Leistungsbereitschaft, ein Popstar zu werden. Er wirkte so unglaublich sympathisch dabei. Das Mantra von Eigenverantwortung, Fleiß und Anpassungsfähigkeit – wer schaltet zuerst die Kiste aus? Wie kann man den Kids nur so einen Scheiß erzählen? Wo bleibt denn da die Verantwortung? Lasst sie doch saufen, kiffen und rumvögeln, verdammt noch mal! Popkultur ist Umbauplan. Muss man denn die letzten Nischen der Freizügigkeit den Parametern der Verwertbarkeit unterziehen? Es verschenkt sich doch von selbst! Es ist flauschig und will gedrückt werden. Auch ich sage mir jeden Tag: Carsten, du solltest mehr Drogen nehmen und dadurch dein gesamtes Bewusstsein verändern. Vielleicht könntest du so dein Herz öffnen und jemanden herein lassen. Dieses ganze Lokalmatador-Tagebuch bekäme den Sound eines brillanten Turbonegro-Songs. Allein, ich bin nicht so. Zog ich vor zehn Jahren noch mit meiner Old-School-Band kreuz und quer durch das Land, so bin ich heute ein alter, müder Mann. Natürlich nicht ganz so alt und müde, wie viele andere Männer in meinem Alter, aber auch kein Jungspund mehr. Was natürlich wunderbar ist. Vieles erübrigt sich in diesem Alter einfach. Das macht den Kopf frei für Wesentlicheres. Ich könnte jetzt beispielsweise eine Karriere starten. Abschlüsse sind vorhanden, die Empfehlungsschreiben anerkannter Professoren liegen vor, aber ach: wozu all das? Alles was ich im Augenblick wirklich will, das ist ein Slush Puppie mit Waldmeistergeschmack. ICE BLAST. Vielleicht schaffe ich mir einen Hund an. Wer weiß das schon? Frauen tragen T-Shirts, auf denen steht „I (Herz) N.Y.“ Dazu Soleil de Sicile, Resette Mediteranee, Perlier und der für Bochum so typische Baustellenlärm. Es ist ein wunderschöner Tag. Ein Hund wäre wirklich super. Ich liebe dieses Leben, und ich liebe den Beat dieser Stadt. Das einzige, was ich bedauere, ist, dass aus mir kein homosexueller Mann geworden ist. Die Homosexualität würde vieles in meinem Leben vereinfachen und außerdem viel besser zu meinem Lifestyle passen. Alles wäre ein großer starker Fluss. Doch so bleibt es kompliziert. Was schade ist. Aber letztendlich immer wieder handhabbar.
Zuhause bei Godard @ Kracauer
Warum sind die Gedanken da? Weil sie uns mitunter einen Spaß bereiten und uns einen magischen Schutz gewähren vor jeglicher Unbill des Lebens; die Hinführung zur ewigen Seligkeit und Amen. – Wenn ich mich jetzt beeile, dann schaffe ich es noch in mein Godard-Seminar. Irre. Ich bin seit Tagen so überdreht, dass mir schwindelt. Ein bisschen so wie Michael Douglas in WonderBoys. Nur ist meine Performanz kantiger, mehr ruhriger. Gleichsam muss ich irgendetwas an mir haben, dass es die Leute so stark zu mir hinzieht. Es ist schon sonderbar, wie sich alles bemüht ist, Wohlklang und Gefälligkeit in meiner Gegenwart auszuströmen. Ich habe das sehr gerne. Und so grüße ich nach links, lächele nach rechts, umarme ein Gauloises-PR-Mädchen und federe mit einem Hopsasa in das baufällige GB-Gebäude. Zum Schaden meiner Kniescheiben. Meine Güte, in zwei Tagen ist der Gig und ich bin gefangen in einem geriatrischen Körper. Wie macht das eigentlich Boris Gott? Ach ja, der ist ja jünger. Komisch, als ich ihn damals in der Dortmunder Nordstadt kennenlernte, wirkte er älter. Das muss ungefähr vor sieben Jahren gewesen sein, ich hatte mich gerade von Sylvia getrennt. Die schöne Zeit mit den Mountain Boys. Dieser Videoklipp, in dem ich einen schwulen Cowboy spiele, schade, dass er niemals ausgestrahlt wurde. Selbst Donata war ja damals noch in Dortmund, bevor sie die Bühne wechselte, um am Köpenicker Stadttheater zu spielen. Boris, weißt du noch? Neujahr, als sich Donata von dir in einem ALDI-Einkaufswagen durch die Nordstadt kutschieren ließ. Martin war dabei. Wer noch? Ich kam, glaube ich, erst gegen Mittag. Oder die Geburtstagparty bei Donata, die ich zu dieser Zeit schon Dolores nannte. Die Polizei hatte uns dreimal verwarnt, danach bekamen wir alle Hausverbot. Los, runter auf die Straße. Und was taten wir? Wir gingen einfach zwei Häuser weiter zu Daniel, wo ich bis in die Mittagsstunden aus Ilma Rakusas Love after love vertrug, bis ich mich schlafend gesungen hatte. Warst du da überhaupt dabei? Ich erinnere mich nicht mehr. Alles liegt übereinander und feilscht um Realpräsenz. Das Ganze hat einen gewissen Rhythmus und ergibt durchaus einen Sinn. Nur komme ich nicht mehr drauf, es fehlt die Tonspur. Die Stimme als Bild des Bewusstseins. Als fehlt der Kommentar von Godard, denkt ein Überleitungs-Junkie und drückt die Türklinke zum Seminarraum. Klopfen geht gar nicht, wenn man zu spät kommt. Auch sollte man sich nicht groß entschuldigen. Das stört nur den Flow. Ganz zu arrogant sollte man sich allerdings auch nicht gebärden, sondern durchaus ein bisschen Schuldgefühl durchblicken lassen und sich still auf seinen Platz setzen. Weitere Eskapaden, wie beispielsweise einen Apfel zu essen oder unter vorgetäuschter Notdurft den Raum zu verlassen, um eine Selbstgedrehte zu rauchen, sollten erst nach mehreren erfolgreichen Wortbeiträgen gewagt werden, wenn das Vertrauen wieder hergestellt ist. Logo, reinpoltern, die Anwesenheitsliste unterschreiben und beim Rausgehen zum Abschied die Tür knallen, ist auch beliebt. Aber nicht mein Niveau. Es ist halt alles eine Formfrage.
Die Kunst der Montage
Nehmen Sie Sergei Michailowitsch Eistenstein, beispielsweise Bronenosec Potemkin: „Kontrast auf allen Ebenen, vom Konflikt der graphischen Linien, Flächen und Bewegungen in der Abfolge der Einstellungen bis zu topologischen und ideologischen Gegenüberstellung“ (Metzler Filmlexikon). Dazu extreme Nahaufnahmen und eine Kamera, die die Gegensätzlichkeit von oben und unten überwinden will, und gerade deshalb diese immer wieder thematisiert. Allein diese Herangehensweise wäre für die Darstellung der Bochumer Local Hero Woche großartig. Aber es macht noch zu viel klick und klack. Alles ist hintereinander montiert. Die Heiligkeit der Bilder. Nehmen Sie dagegen Jean-Luc Godards Histoire(s) du cinema und sagen Sie mit Deleuze einmal „Zeitkristall“. Es geht hier um Transsubstantion. Ist doch klar, dass Godard von André Bazin beeinflusst war. Und der konnte seinen Katholizismus eben nie ganz überwinden. Bilder: Spur nicht Zeichen. Aber eben auch immer Realpräsens, Turiner Grabtuch und so weiter. Godard flappt nun alles synkopisch übereinander. Na und? – Im Kino stellt sich das Ereignis in seiner Zeitigkeit eben selbst dar. Da darf man am Schneidetisch auch mal ‘ne Nase nehmen und die großen Register ziehen. So wird das Unsagbare sichtbar. Warum Kausalkomplexe pushen? Weltgeist kaputt. Nein, wir wollen keine Opfer übergehen. Hegel war ein Idiot. Schauen Sie sich das ruhig mal an. Hier können Sie was lernen.
Ansonsten lasse ich heute alles ausfallen. Keinen Bock das Set zu proben. Die Songs sind noch nicht fertig und werden es auch nicht. Es ist mir egal. Egal, ob ich mich verspiele, den Text vergesse und mich aufführe wie ein weinerliches Kind. Mir ist nie irgendetwas peinlich. Ich kann überhaupt nicht so denken. Ich will einfach nur dabei sein, wenn es passiert. Ich und Boris Gott, Freitag ab 19:30 im Zacher. Fucking Hell. Ach Boris, du weißt, dass ich nicht Gitarre spielen kann, dass ich nicht singen kann, und dass es mit mir immer ein Abendteuer ist, weil meine Launen sehr stark sein können. Weshalb mache ich das alles überhaupt? Wegen dir, Boris. Ich möchte, dass du in der Brüderstraße ankommst und dich wohl fühlst. Weil wir Freunde sind. Seit Tagen dudel ich deine LPs rauf und runter. Alles deine Songs kenne ich auswendig. Natürlich frage ich mich, wie aus dir so ein großer Liedermacher werden konnte, während ich ein Vormittagsphantast geblieben bin. Aber ich frage mich das ohne Neid. Weil ich dich liebe. Weil ich deine Freundin liebe. Und weil ich die Dortmunder Nordstadt liebe. Boris, sieh doch nur, wie die Sonne untergeht. Die ganze Stadt verwandelt sich in einen Café cortado leche y leche. Ich will doch einfach nur in deiner Nähe sein, wenn du singst: „Engel wie wir sind keine Engel. Große Fresse und schon zu viel Scheiß gebaut. Wir weinen heimlich nur im Kino. Wir haben dickes Fell, darunter dünne Haut.“
Wir werden das alles ganz neu erfinden müssen. Es geht auch nicht mehr mit unseren Wohnungen. Wie kann man nur so leben? Seit Amsterdam habe ich nicht mehr gespült, dazu die Haufen aus Wäsche, CDs und Büchern, die sich in der ganzen Wohnung verteilen. Ein Plakat von Ian Curtis über dem Bett in zweifacher Ausführung, Seriation und so. Ich schaue in den Spiegel und mache Bäh. Dann rufe ich sie nochmal an. Vielleicht kann sie sich ja für einen Augenblick davonstehlen. Unsere Stimmen – ein Flügelschlag: War ein böser Tag heute, ja? Bin ich ein böser Mann, ja? – Komm mach mich müde, Kleines. Komm erzähl mir aus deinem Leben.
Barbarei im Hier und Jetzt: Kornél Mundruczós „Es ist nicht leicht, ein Gott zu sein“
„Gott, der du bist im Himmel. Dein eigen Fleisch und Blut,
hast du für uns gegeben. Doch wofür war das gut?
Dein Reich kommt nicht und dein Wille geschieht nicht.
Nicht im Himmel und auf Erden sowieso nicht. Nein!
Es ist nicht leicht ein Gott zu sein!…“ (Rammstein)
Die Grundidee von Religion, die Menschheit von „dem Bösen“ zu erlösen, scheitert. Ebenso ging es den totalitären Ideologien, die verschiedene Wege und Abwege für die Entwicklung des Menschen zum Vernunftwesen vorgesehen hatten. Die Sciencefictionwelt hat sich mit dem Thema spielerisch, hypothetisch auseinandergesetzt. Der Blickwinkel, aus dem so mancher Genre-Klassiker in ferne Zukunft blickt, ist ebenfalls längst Geschichte geworden. Der Roman der Brüder Strugatzki „Es ist nicht leicht, ein Gott zu sein“, lässt Angehörige einer perfektionierten Zukunft zurück in die überwundene „Gegenwart“ blicken, in ein fernes Szenario archaischer Barbarei.
Der ungarische Autor und Regisseur Kornél Mundruczó hat sich in mehreren Phasen mit Strugatzkis utopischem Stoff befasst. In seiner neuen Theateradaption unter gleichnamigem Titel rückt er eine düstere Gegenwart aufs drastischste in Rampenlicht. Genauer gesagt: Im zugigen, abweisenden Ambiente eines Essener Parkhauses sollte das Premierenpublikum der aktuellen Bühnen-Adaption aus jeder Form von behaglicher Konsumentenrolle heraustreten, sollte hinsehen und Zeuge werden. Und das fiel alles andere als leicht.
Um grenzenlose Abgründe vorzuführen, in denen Menschen das Bestialische mit ihren Artgenossen anzustellen in der Lage sind, braucht man sich nur bei zahllos dokumentierter Gewalt aus jüngerer Geschichte und Gegenwart bedienen – soviel wird deutlich bei der verstörenden Darbietung im Rahmen des – immer wieder ungewöhnlich den Pfad des Gängigen verlassenden – Theater der Welt-Festivals. Mundruczó verortet sein Exempel realexistierender Menschenverachtung in die anonyme Trostlosigkeit eines Sattelschlepper-Aufliegers. Es geht um Menschenhandel, irgendwo im unsichtbaren Niemandsland zwischen dem armen Osten und dem reichen Westen Europas. Verschleppten jungen Frauen wurde die goldene Zukunft in den Konsumhochburgen versprochen. Doch bald folgt Ausbeutung bis zur Versklavung, schließlich Zwangsprostitution, Entrechtung und sadistische Erniedrigung. In Gnadenloser, sadistisch ausgeübter Gewalt weidet sich das Bühnengeschehen im Essener Parkhaus. Die weiblichen Opfer werden von ihren Peinigern mit heißem Wasser verbrüht, lebendig in der Erde verscharrt. Eine der Gefangenen unternimmt verzweifelt-brutale Versuche eines Schwangerschaftsabbruches. Die „härtesten“ Momente sind großprojizierten Filmsequenzen vorbehalten – überhaupt liegt über allem der „Youtube“-Wahn nach filmischer Dokumentation eigener Gewalt-Handlungen. Auf mehreren Ebenen greift dieses harte Extrem-Theater somit reale Zustände ab, lässt jeden einzelnen die Frage stellen, ob solche Brutalität zu zeigen ist oder nicht. Mundruczo bejaht diese Frage eindeutig, wenn er mit Theater für die Wirklichkeit sensibilisieren will.
Der ungarischen Schauspieler-Truppe muss in der so bezwingend lebensnahen Darstellung des Hinzufügens und Erleidens menschlicher Qualen eine beängstigende spielerische Größe, ja –so zynisch das in diesem Zusammenhang klingt – Spielfreude attestiert werden. Verstörende Regieeinfälle geben dem Mahlstrom der Brutalitäten eine gewisse Stringenz, zeugen von der Dialektik zwischen schöner Oberfläche und gnadenloser Wirklichkeit. Da formieren sich Opfer und Täter regelmäßig zum Musikensemble, unterhaltsame Gesangseinlagen aus Pop oder Musical zum besten gebend.
Doch helfen solche Kontrapunkte nicht dem Umstand ab, dass die zugrunde liegende Rahmenhandlung, dieses intellektuelle Gedankenspiel über Moralität und Triebhaftigkeit über weite Strecken im konstruierten Nebulösen stecken bleibt. Ein Arzt, der ursprünglich zu dieser Bande gehört, lässt humane Regungen aufkommen, schafft schließlich gar die Überwältigung der Täter. Am Rande erfährt man, dass die Film-Inszenierungen, zu denen die geschändeten, gefolterten, besudelten Frauen als Menschenmaterial zynisch herhalten müssen, einer medialen Inszenierung dienen – wie der 11. September 2001 auch eine war! Einer der Haupt-Peiniger will damit eine Weltverschwörung herbeiführen, um sich für persönlich Erlittenes zu rächen. Ein stimmiger Bogen zwischen der unbequemen Vorführung realer Gewalt zu Strugatzkis philosophischen Gedankenspielen kommt aber nur bei sehr viel gedanklicher Anstrengung zustande. Und die gelingt wohl kaum einem Zuschauer bzw. „Zeugen“ in diesem Moment.
„Hannelore Kraft ist eine sympathische Person“
Karl-Josef Laumann ist ein freundlicher Mann mit großen Händen und einer beeindruckenden Traktorensammlung in seinem Arbeitszimmer. Er ist neuer Chef der 67-köpfigen CDU-Fraktion im Düsseldorfer Landtag. Der 53-Jährige wird die Opposition gegen Hannelore Krafts rot-grüne Minderheitsregierung anführen. Als Vorsitzender der CDA steht er für den Arbeitnehmerflügel der Partei, spricht sich zum Beispiel für allgemein verbindliche Tarif-Mindestlöhne aus. Der gelernte Maschinenschlosser aus dem Münsterland ist ein bodenständiger und unterhaltsamer Typ, der bei Mitarbeitern einen sehr guten Ruf genießt.
Herr Laumann, wie finden Sie die neue NRW-Landeschefin Hannelore Kraft persönlich?
Karl-Josef Laumann: Sie ist für mich eine ernst zu nehmende, sympathische Person. Und ich habe großen Respekt davor, wie sie der SPD in NRW den vergangenen Jahren wieder Leben eingehaucht hat.
Trotzdem hat ihre CDU-Fraktion nach Krafts kurzer Regierungserklärung nicht geklatscht – obwohl dies so üblich ist. Sind Sie sauer auf die Frau, die ihnen die Macht entrissen hat?
Wir waren vor allem wehmütig. Vor fünf Jahren saß ich noch freudestrahlend auf der Tribüne und habe mich über Rüttgers als neuen Ministerpräsidenten gefreut, dieses Mal durften wir nur zuschauen. Das war kein schöner Tag. Und natürlich ist es bitter für uns, dass unsere gute Arbeit nun beendet ist.
Was war das Gute an ihrer Arbeit?
Rot-Grün hat vor 2005 gestritten wie die Kesselflicker. Wir haben mit schwarz-gelb eine Harmonie-Ehe geführt und gute Reformen beschlossen, zum Beispiel für die Betreuung von Kleinkindern, für den Hochschulstandort und wir haben auch Blockaden im Handwerk gelöst, da wurden viele Ausbildungsplätze geschaffen.
In der Minderheitsregierung haben Sie ja auch als Opposition die Möglichkeit, Gesetze mit zu verabschieden. Werden Sie der Einladung von Hannelore Kraft folgen?
Rot-Grün ist dabei, unsere Dörfer abzubrennen. Sie wollen alles zurückdrehen, was wir in fünf Jahren erreicht haben, Kopfnoten und Studiengebühren sofort wieder abschaffen. Sie zerstören unser Werk und wollen dann Kaffee mit uns trinken. Das ist doch keine Einladung. Die CDU wird inhaltliche und personelle Alternativen zur Regierung entwickeln. Und wir werden die SPD einladen, unseren Alternativen zu folgen. Einladung ist keine Einbahnstraße.
Sie werden also keinem rot-grünen Gesetz zustimmen?
Frau Kraft will am Mittwoch mit den Linken die Studiengebühren abschaffen, am Donnerstag mit der FDP die Mittelstufe reformieren und am Freitag von uns das Ja zu einer Verwaltungsstrukturreform abholen. Das geht doch so nicht. Ich sehe nicht, das wir da irgendwo zusammen passen.
Während der Sondierungen zur Großen Koalition hat die CDU immer gesagt, es gebe viele Gemeinsamkeiten mit der SPD.
Das findet sich jetzt aber nicht im Koalitionsvertrag wieder. Wir hätten bestimmt gute Politik für die Kommunen machen können und auch einen Schulkompromiss gefunden. Aber dass die Linken für Kraft die schönere Braut waren schmerzt uns schon.
Wollen sie die eingezogene Partei die Linke jetzt jahrelang wie Aussätzige behandeln?
Diese Partei bleibt für mich indiskutabel. Mit Links-und Rechtsextremen arbeitet man nicht zusammen. Die CDU hat ihren Kasten nach rechts auch immer sauber gehalten, wir haben nie mit DVU oder Republikanern zusammen gearbeitet. Das darf die SPD auch mit den Linksradikalen nicht.
Rechtsradikale haben ein menschenverachtendes Parteiprogramm. Das von der Linken in NRW klingt wie ein Zusammenschluss aus Ideen von SPD und Grünen. Das ist doch nicht vergleichbar.
In der Linken sind immer noch viele, die die DDR verteidigen. Mit diesen Leuten ist keine Politik zu machen. Das regt mich persönlich einfach auf und das wird auch so bleiben.
Auch der Wähler hat eine linke Mehrheit bevorzugt. Was ist bei der CDU schief gelaufen?
Vieles. Diese so genannte Sponsoring-Affäre, die keine war, hat Jürgen Rüttgers extrem geschadet und aus der Bahn geworfen. Zweitens hat uns die Berliner Regierung unglaublich geschadet. Ich nehme es ihnen übel, dass sie streiten statt zu regieren. Aus meiner Sicht ist der Berliner Koalitionsvertrag so ungenau und unrealistisch formuliert, dass jetzt ständig gerungen werden muss. Das hätte bei den Koalitionsverhandlungen früher passieren müssen. Aber damals hat sich die Bundes-FDP auch mächtig überschätzt. Und wir schwitzen hier. Wir haben jetzt 330 000 Wähler verloren, die gar nicht mehr zur Wahl gegangen sind. Denen war die CDU schlichtweg gleichgültig. Die müssen wir wieder einfangen.
Sie kommen aus dem eher konservativen Münsterland. Glauben Sie, die CDU hat in NRW mit einem moderneren Programm ihre Stammwähler verschreckt?
Das ist immer der schwierige Spagat der CDU. Wir müssen die Großstädter und modernen Familien genauso ansprechen wie die Bauern auf dem Land. Die Leute wählen uns im stockschwarzen Bodensee und in Hamburg. Wir müssen das traditionelle Familienbild schützen und diejenigen, die anders leben, trotzdem nicht vor den Kopf stoßen.
Wo sehen Sie sich? Sind Sie der Gegenpart zu ihrem Parteifreund und Großstädter Armin Laschet, der bei der Wahl zum Fraktionsvorsitzenden nur knapp unterlegen war?
Das ist doch alles Quatsch. Ich wurde 20 Jahre lang als links tituliert und im Vergleich mit Armin bin ich plötzlich konservativ. So groß sind unsere Unterschiede gar nicht und mit Verlaub, Armins Heimatstadt Aachen ist nun auch nicht die Metropole. Gleichwohl sprechen wir emotional vielleicht unterschiedliche Typen an – Armin eher den Intellektuellen und ich eher den Handwerker.
Wird ihnen Jürgen Rüttgers fehlen?
Ich freue mich, dass Jürgen Rüttgers Mitglied unserer Fraktion ist. Er wird uns helfen, wo er kann. Ich will sein Erbe bewahren. Die Partei war zehn Jahre lang auf seine Person zugeschnitten. Rüttgers hat dieser Partei erstmals in NRW den Willen zur Macht eingeimpft. Das möchte ich auch. Meine Fraktion soll Macht wollen. Wir Christdemokraten wollen hier wieder regieren.
Pro NRW: Rechte Heuler in Dortmund
Pro NRW will in Dortmund Hörde demonstrieren. Das gefällt natürlich ausser Pro NRW niemanden.
Die Rechtspopulisten von Pro NRW und ihr lispelnder Anführer Markus Beisicht sind die Heuler unter den Rechten: Jeder Muselmann lässt ihnen das Blut in den Adern gefrieren, sehen sie eine schwarze Jacke, erzittern sie vor einem Angriff der Autonomen. Aber auch Pro NRW will ab und an in die Medien und so hat die Gruppe für morgen eine Veranstaltung in Dortmund-Hörde angemeldet. 200 Mann sollen kommen. Unwahrscheinlich. Bei ihrer letzten „Großdemonstration“ in Duisburg-Marxloh brachten sie gerade einmal 150 Mann auf die Straße – und davon kamen viele aus Österreich und Belgien. Mal schauen wie viele es in Hörde werden. Protest gibt es auch. Ebenfalls in Hörde ab 12.00 Uhr auf der Straße Am Clarenberg.
Eine Torte ist noch immer eine Torte
Der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit hat viele Gesichter. Der Beitrag der Staatsanwaltschaft Bochum besteht offensichtlich aus dem Führen sinnfreier Prozesse. Beschäftigungstherapie auf Staatskosten.
Im Oktober 2008 illustrierten unsere Nachbarn vom Blog Bo-Alternativ einen Artikel über den Protest gegen eine Nazi-Demo in Bochum mit dem Bild einer Figur aus dem Computerspiel Super Bomberman (Frei ab 6 Jahren). Und diese Figur ist dabei eine Torte zu werfen.
Für die Staatsanwaltschaft Bochum war das ein Aufruf zur gefährlichen Körperverletzung. Im letzten Jahr traf man sich vor Gericht. Das Ergebnis: Freispruch für Martin Budich, der bei Bo-Alternativ im Impressum steht. Die Staatsanwaltschaft in Bochum, offensichtlich nicht ausgelastet, legte Revision ein, das OLG Hamm lies sie zu und am 21. Juli geht es vor dem Amtsgericht-Bochum weiter.
Mittlerweile haben sich zahlreiche Gruppen mit Bo-Alternativ und Martin Budich solidarisiert: Vom Bochumer Bündnis gegen Rechts über ver.di bis zum Labournet reicht die Liste der Unterstützer. Allein die Bochumer Lokalpresse hat sich des Themas noch nicht angenommen. Schade, es eignet sich so schön für Glossen.
The Rumours auf Bochum Total
The Rumours, Samstag, 17. Juli, 17.00 Uhr, Bochum Total
Frisches aus Wattenscheid: UnPrepared
UnPrepared, Freitag, 16. Juli, 19:30 Uhr, Heinz-Bühne@Bochum Total
Der Ruhrpilot
Bochum-Total: Die Party hat begonnen…Der Westen
Ruhrgebiet: Metal im Pott: Ruhr-Thrash, Teil 2…Metal Hammer
NRW: Mit diesen NRW-Linken hat Kraft keine Chance…Welt
Bochum-Total II: Marcus Gloria über 25 Jahre Bochum Total…Ruhr Nachrichten
Loveparade: Der Weg ist (fast) geebnet…Der Westen
Duisburg: 20 Jahre Steinbruch…Xtranews
Bochum: „Hooters“ hat dicht gemacht…Der Westen
Bochum II: Live-Tour durch das Universum im Zeiss-Planetarium…Pottblog
Internet: Junge Union Berlin erklärt Idee ihres Pornographie-Verbotes…Netzpolitik
Umland: Briloner Umweltausschuss…Zoom