Belgisches Musiktheater konfrontiert die Idylle mit der Banalität des Bösen

„Das deutsche Volk ist kein Volk mehr aus Dichtern, Träumern und Romantikern, sondern weiß ganz genau was es will“ schwadronierte Joseph Goebbels. Ein ehemaliger SS-Angehöriger räumt bei später Befragung ein, dass er und seine Kameraden viel wollten. Aber es war ein gemütsstumpfes Wollen, kopflos -ohne Idee und Ziel.

Erforscht ist heute, welch bizarr scheinende Züge von Normalität das Involviertsein in die Vernichtungsapparate aufwies. Eine solche Erkenntnis spielerisch-ästhetisch erfahrbar zu machen, ist das Anliegen des Antwerpener „Muziektheaters Transparaant“, und es nutzt dazu einen bizarren Reibungseffekt: Den Aussagen ehemaliger SS-Angehöriger steht so ziemlich das idyllischste gegenüber, was je aus dem Schoss deutscher Kultur gekrochen ist – sehnsuchtstrunkene Lieder aus Franz Schuberts Feder! Sie werden im Dortmunder Freizeitzentrum West (FZW) in lupenreiner Kunstfertigkeit vom Vokalensemble Gent aufbereitet. Dazu agiert ein Schauspieler-Duo als ehemalige belgische SS-Kollaborateure.

Die Wahrer des Guten, aber auch die Wegbereiter des Bösen sind im Zweifelsfall mitten unter uns – unter bestimmten Voraussetzungen sogar in uns. Um dies klarzumachen, verneint das Projekt unter Federführung des belgischen Starregisseurs Josse de Pauw jede Frontal-Situation zwischen Darstellern und Publikum. Alle sind in einem großen Rund integriert. Sowohl die 12 Schubert-Sänger wie die beiden belgischen „SS-Kollaborateure“ sind optisch nicht von den lässig gekleideten Zuschauern zu unterscheiden, bevor sie sich aus ihren Reihen erheben. Anfänglich zögernd, mit gebrochener Stimme, dann sicherer werdend und schließlich in einem hervorsprudelnden Wasserfall redet sich die einstige Krankenschwester im SS-Lazarett (Carly Wijs) die Seele vom Leib. Erzählt groteskes, grausames, banales, entwaffnendes. Obwohl im Dienst mörderischer Machthaber, musste sie es als zutiefst menschlich empfinden, das Leiden schwerverletzter SS-Soldaten zu lindern helfen. Ja, von Heinrich Himmler wurde sie auch mal nett gegrüßt. Das Gros der unzähligen Funktionsträger zur Herbeiführung von Massenmord und Vernichtungskrieg gehörte keiner Monster-Gattung an, sondern funktionierte scheinbar „normal“. Ebenso der männliche Gegenpart in dieser Anordnung (Tom Janssen). Er wollte „irgendwo mitmachen“ und schloss sich freiwillig der Waffen-SS an. Jugendliche Begeisterung statt schlimmer Gräuel-Enthüllungen. Und eine erschreckend unspektakuläre Befindlichkeit im Einklang mit beliebigen „Zeitumständen“. Hannah Arendts klassisch gewordenes Etikett von der „Banalität des Bösen“ scheint sich hier im Mikrorahmen zu bestätigen. Und die Konfrontation mit zehn Schubert- Liedern erzeugt ähnliche beklemmende Assoziationen wie beim Besuch ehemaliger Konzentrationslager, wo die Folterbaracken allmählich wieder von unschuldsvollem Grün überwuchert werden. (Die zynische Diskrepanz geht bekanntlich weiter bei den Namen jener Orte, die zu Synonymen totaler menschlicher Barbarei geworden sind: Buchenwald, Birkenau etc. – Namen, die ohne ihre ewige Konnotation wie Orte romantischer Natur-Idylle anmuten würden).

Die letzte Musikdarbietung distanziert sich vom reinen, edle Gefühle transportierenden Schubert. In verstörenden Dissonanzeffekten „verbiegen“ die Sänger effektvoll die romantische Melodie des Original-Liedes „Ruhe“, lösen dies schließlich in karger Fläche auf. Schon längst hat in den Köpfen ein analoger Prozess begonnen, den dieser musikalische Wendepunkt sich nochmal abzubilden anschickt.

Nach 75 Aufführungsminuten gibt es Fragen, Fragen, Fragen – und kaum Antworten. Damit ist das Ziel erreicht. Seit 2002 provoziert das Muziktheater Transparaant mit diesem Stück auf internationalen Bühnen Diskurs und Reflexion. Seine exakt 100. Aufführung bildete einen Höhepunkt beim noch jungen Dortmunder „Klangvokal“-Festival, das im Kulturhauptstadtjahr in zweiter Auflage vielseitig-kreativ in die Vollen geht.

Lammert: „Das Ruhrgebiet hat gelernt, gemeinsam zu klagen.“

Unschulds-Lammert

Ruhrgebiet? Ruhrbezirk? Darüber wird nicht mehr geredet. Das Thema scheint sich erledigt zu haben. Wir sprachen mit Bundestagspräsident Norbert Lammert, der als Chef der CDU-Ruhr einst das Thema geprägt hat.

Ruhrbarone: Die noch amtierende Landesregierung hat sich vor der Wahl von der Verwaltungsreform verabschiedet. Von einem eigenen Bezirk für das Ruhrgebiet war keine Rede mehr. War das Abrücken der Union vom Ruhrgebiet ein Grund für die Wahlniederlage?

Norbert Lammert: Für das Wahlverhalten gibt es immer mehrere Gründe. Ein Thema allein ist nie ausschlaggebend, und das war auch bei der vergangenen Landtagswahl so. Aber der zögerliche Umgang mit dem Thema Verwaltungsreform war ein Fehler. CDU und FDP haben in der vergangenen Legislaturperiode als erste nach Jahrzehnten dem Ruhrgebiet wieder mehr Selbstbestimmung gegeben. Die Planungshoheit liegt wieder beim Regionalverband Ruhr. Aber ich habe immer gesagt, dass es falsch war, eine grundlegende Verwaltungsreform in der Koalitionsvereinbarung anzukündigen und zugleich weit in die Zukunft zu legen. Das hat die Widerstände gegen die Reform erhöht. Auf diese Widerstände hat dann die Koalition Rücksicht genommen, was ihr erkennbar nichts genutzt hat, aber dem Ruhrgebiet schadete.

Hat sich das Zeitfenster, das seit 1999 für eine Verwaltungsstrukturreform bestand, geschlossen?

Damals, 1999, gab es für eine Verwaltungsstrukturreform keine Mehrheit im Landtag – und als es sie gab, wurde von ihr nicht kraftvoll genug Gebrauch gemacht.

Von einem eigenen Bezirk für das Ruhrgebiet, eine große Verwaltungsstrukturreform, fand man in keinem Parteiprogramm mehr etwas. Alle sind unverbindlich für mehr Zusammenarbeit. Konkret wurden nur die Grünen, die eine Direktwahl des Ruhrparlaments forderten.

Die Direktwahl des Ruhrparlaments ist nur sinnvoll, wenn es mit entsprechenden Kompetenzen ausgestattet ist. Ein Parlament direkt zu wählen, das kaum etwas zu sagen hat, ist eine Mogelpackung. Aber für jede Koalition in NRW, schon gar eine mögliche Große Koalition, wird eine Verwaltungsstrukturreform zu den offenen Fragen gehören, denen sich die künftige Landesregierung stellen muss. Die SPD hat sich in der Ruhrgebietsfrage bewegt: Früher war sie gegen jede Veränderung, heute ist sie deutlich offener. Ich bin da, was die zukünftigen Entwicklungsmöglichkeiten für das Ruhrgebiet betrifft, nicht so pessimistisch. Dass sich etwas im Ruhrgebiet verändern muss, ist doch in der Region selbst nicht mehr strittig. Eine große Koalition könnte etwas bewegen. Ob sie das tun wird, weiß ich nicht.

War es ein Fehler, dass Sie nicht mehr als CDU-Ruhr-Vorsitzender zur Verfügung standen? Mit ihrem Weggang hat das Thema innerhalb der Union an Bedeutung verloren. Ihr Nachfolger Oliver Wittke konnte Sie offensichtlich nicht adäquat ersetzen.

Niemand ist unersetzlich, ich selbstverständlich auch nicht. Ich war außergewöhnlich lange Vorsitzender der CDU-Ruhr. Als Bundestagspräsident konnte ich in der Region nicht mehr so präsent sein, wie es als Bezirksvorsitzender nötig ist. Und ich hatte kein Landtagsmandat.

Das hat Oliver Wittke auch nicht mehr.

Das stimmt leider, war zum Zeitpunkt seiner Wahl zum Bezirksvorsitzenden allerdings anders.

Während es aus Westfalen massiven Widerstand gegen eine Verwaltungsreform gab, kam aus dem Ruhrgebiet, das ja am meisten profitiert hätte, kaum Unterstützung.

Die Region hat das gemeinsame Klagen gelernt und ist immer schnell dabei, gemeinsam finanzielle Zuwendungen von Land und Bund zu fordern. Das gemeinsame Handeln ist indes noch immer unterentwickelt. Im Zweifel ist der Lokalpatriotismus immer noch größer als der Wille zum gemeinsamen Erfolg. Das sieht man auch bei der Kulturhauptstadt, die nachhaltige Wirkung über das Jahr 2010 hinaus nur haben wird, wenn es auch ein dauerhaftes gemeinsames Engagement gibt. Die 15 Städte und Kreise können sich bislang nicht einmal darauf einigen, jährlich zusammen 1,3 Millionen Euro pro Jahr für eine gemeinsame Kulturarbeit aufzubringen. Mit welcher Legitimation will das Ruhrgebiet etwas von anderen einfordern, wenn es sich nicht einmal auf gemeinsame Projekte einigen kann?

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Die wirkliche Wahrheit über „Sex and the City“

Bereits gestern feierte „Sex and the City 2“ Vorpremiere. Tausende von Frauen stürmten auf ihren High Heels ins Kino, schlürften Prosecco und bedienten das Klischee vom shoppinggeilen Weib. Ein Insiderbericht aus der Frauenperspektive.

Vielleicht liegt das ja an diesem Y-Chromosom, aber ihr Männer versteht uns nicht. Ihr versteht nicht, warum wir uns 140 Minuten zurück lehnen und in eine Welt eintauchen, die mal so gar nichts mit der eigenen Wirklichkeit zu tun hat. In diesen 140 Minuten werden Sekretärinnen zu Vamps und Studentinnen zu Modeexpertinnen. Alles ist möglich in diesen zwei Stunden, solange Carrie Bradshaw es auch schafft.

Ihr wundert euch, warum wir uns Filme ansehen, die hauptsächlich Werbung für Modelabels beinhalten. Auch ich musste mal ein Opfer bringen und Star Wars gucken. Und jetzt frage ich mich, was absurder ist: Eine Frau, die von einer Zeitungskolumne lebt oder Jedi-Ritter, die coole Schwerter haben?

1.    Der Inhalt

Sex ist toll und seit dem Start der Serie 1998, ist Sex auch weiblich. Carrie, Charlotte, Miranda und allen voran Samantha sprechen über Sex mit Liebe, Sex ohne Liebe, schlechten Sex und guten Sex. Hauptsache Sex. Die Serie hat in dieser Hinsicht etwas erreicht: Frauen dürfen Wörter in den Mund nehmen, die man sonst nur von bösen Rappern hört. Frauen können und wollen offen über Sex reden. Wir artikulieren, was wir wollen. Und das, Männer, kann doch auch euch zu Gute kommen.

2.    Das Konzept

Das ist der Punkt, den Mann nicht nachvollziehen kann. „Warum schaut sich meine Freundin, Typ akademischer Abschluss und gut aussehend, so einen Schund an?“

Dabei ist das Erfolgsrezept denkbar einfach: Im deutschen Fernsehen sind Frauen im Alter von 20 bis 40 kaum vertreten. Ich meine damit nicht RTL und Co., die fest die Domäne der Seifenopern vereinnahmt haben. Ich meine starke, selbstbewusste Frauen – sie existieren im deutschen Fernsehen nicht. Warum? Weil die Probleme einer 40 Jährigen anders aussehen als die einer 25 Jährigen.

Carrie hat dagegen alles, was es zur Identifikation braucht: Sie ist nicht mehr 20, hat dennoch keine Kinder und lebt einfach einen gewissen Lifestyle. Egal, ob Frau sich selbst so sieht oder gern gesehen werden würde.

3.    Die Emanzipation

Weiblicher Sex hin oder her – die Emanzipation bei „Sex and the City“ mag für viele kläglich gescheitert sein. Es wird viel geredet über das Singledasein und über Beziehungen. Und was bleibt übrig? Eine Carrie, die 10 Jahre lang hinter Mr. Big her läuft, weil er es eben sein soll. Mr. Big fährt stets eine dicke Limousine und hat ziemlich viel Asche. Erinnert ein bisschen an den Prinzen mit seinem Gaul. Sie ist eben Carrie, die gerne Schuhe kauft und er der große Retter, der ihr den Kleiderschrank ihrer Träume baut.
Und auch wenn es eine Absage an die Arbeit von Alice Schwarzer & Co. ist: Es gibt Frauen, die das wollen. Männer sind praktisch. Sei es, wenn die Autoreifen gewechselt werden müssen oder wenn der Weinkorken klemmt.  Und dann gibt’s ja auch so etwas wie Liebe. Und die widerspricht nun wirklich keinem Emanzipationsgedanken.

4.    Die Klischee-Klitsche

Nein, nicht alle Frauen haben Schuhe im Kopf. Und nicht alle Frauen warten auf Mr. Big, der ihnen den perfekten Kleiderschrank in die perfekte Wohnung baut. Meistens können wir das alles selbst. Warum aber „Sex and the City“?
Gegenfrage: Warum Star Wars?

Dank „Sex and the City“ dürfen auch Frauen über 30 sagen, dass sie zu einem Mädchenabend gehen, ohne schief angeguckt zu werden. Sie dürfen sich dem Klischee hingeben, indem sie 50 Paar High Heels besitzen. Oder dieses Klischee widerlegen, indem sie in diesen High Heels einen wichtigen Geschäftstermin mit Bravour meistern.

Dabei wollen wir keine Carrie sein, die 40 kg wiegt und auch keine Samantha, die beziehungsunfähig ist. Aber wir wollen 140 Minuten Freiraum, um auf diese traumhafte Polly-Pocket-Insel zu fliehen, dann aus dem Kino rauszukommen und zu realisieren, wo wir stehen: Nicht auf der Fifth Avenue, sondern mitten im Ruhrgebiet, wo die Tauben lebensgefährlich tief fliegen und unsere Traumschuhe erschwinglich sind.

Oder um es mit Yoda´s Worten zu sagen: „Das weibliche Geschlecht du verstehen musst, junger Padawan.“

Großes Rede-Resultat: Weitere Gespräche

Rüttgers und Kraft, beide "sehr ernsthaft" an Gesprächen interessiert

Gesprochen um zu sprechen, geredet um weiterzureden: Der Sondierungs-Marathon für die künftige Regierung in Nordrhein-Westfalen wird weitergehen: CDU und SPD haben sich heute nur auf einen minimalen Konsens verständigt – auf weitere Gespräche. „Wir haben sehr ernsthaft und intensiv gesprochen“, sagte die SPD-Verhandlungsführerin Hannelore Kraft mit unbeweglicher Miene. Und der amtierende CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers sekundierte mit ebenso gestrengem Gesichtsausdruck. „Wir werden ernsthaft versuchen, uns zu einigen. Das wird ein erhebliches Stück Arbeit werden“, prophezeit der Rheinländer und Wahlverlierer.

Rüttgers hatte laut Teilnehmern ordentlich Kreide gefressen. Der Mann will an der Macht bleiben und scheint bereit zu sein, einige CDU-Überzeugungen kurzerhand zu opfern. Denn heftig waren die Auseinandersetzungen noch bis vor wenigen Tagen. Nach dem Scheitern der rot-rot-grünen Gespräche vor genau einer Woche saßen sich nun beide Seiten unvermittelt bei Schnitzel und Mousse au Chocolat in einem Düsseldorfer Flughafen-Hotel gegenüber. Und haben in einer Art „Generaldebatte“ alte Wunden geleckt. „Wir konnten in sehr großer Offenheit diskutieren“, sagte Kraft. Statt über Inhalte und die große Politik zu verhandeln mussten erst einmal menschliche Animositäten ausgebügelt werden. Zunächst haben sich wohl beide Fraktionen die Verletzungen des Wahlkampfes vorgeworfen. Die CDU nahm der SPD übel, Jürgen Rüttgers nach seiner Sponsoring-Affäre als „käuflich“ bezeichnet zu haben. Und die SPD hat die „Kraftlanti“-Kampagne der CDU nicht vergessen, bei der Hannelore Kraft vorgeworfen wurde sie täusche die Wähler über die Absicht eines Rot-Rot-Grünen Bündnisses hinweg.

Auch über Ökologie und Wirtschaft haben die Delegationen gesprochen – dies sind allerdings die Themen mit den größten Überschneidungen. So kam es zu der Verständigung auf Selbstverständlichkeiten: Regenerative Energien sollen gefördert und Arbeitsplätze dort geschaffen werden. Erst am kommenden Dienstag wird es dann um die harten Themen gehen wie Bildung, bei denen beide Parteien schroff konträre Ansichten vertreten. Die SPD fordert ein gemeinsames Lernen bis zur zehnten Klasse – ein Vorschlag, den Rüttgers immer als „unverantwortlich“ und „chaotisch“ zurückgewiesen hat. Er ist aber in einer Koalition mit der SPD zu Korrekturen an seiner bisherigen Politik bereit. Aber auch die CDU wird ihre Bilanz in der neuen Regierung nicht komplett umkehren können. Sie will aber die bei einem Platzen der Gespräche wahrscheinlichen Neuwahlen verhindern. Schließlich verliert sie gerade nach neuen Umfragen noch mehr als die zehn Prozent an Stimmen, die sie vor zweieinhalb Wochen eingebüßt hat.

Es war die inzwischen dritte Zusammenkunft der gefühlten Wahlsiegerin SPD mit möglichen Verbündeten in einem Düsseldorfer Hotel seit der Landtagswahl am 9. Mai. Zuerst trafen sich die „Wunschpartner“ SPD und Grüne, um sich auf Sondierungen mit FDP und Linke zu verständigen. Die Liberalen sagten nach widersprüchlichen Reaktionen aus der offenbar zerstrittenen Landtagsfraktion mögliche Gespräche ab. Und das erste Rendez-Vous mit der Linken wurde zu einem stundenlangen zähen Ringen um die richtige Interpretation der deutsch-deutschen Geschichte und endete mit einem Zerwürfnis.

Wie viele Gespräche es zwischen SPD und CDU werden und ob daraus tatsächlich eine Regierung geschmiedet werden kann ist völlig offen. „Ich habe keine hellseherischen Fähigkeiten“, sagte Hannelore Kraft. Und nach den Sondierungen hat bei der SPD auch die Basis ein Wort mitzureden: Sie soll auf Regionalkonferenzen in die dann mögliche Große Koalition mit einbezogen werden. Erster Stimmungstest folgt an diesem Samstag auf einer Regionalkonferenz der SPD in Bochum. Und so stehen auch die nächsten Düsseldorfer Sondierungen am kommenden Dienstag wieder Spitz auf Knopf.

Politiker: Die Seitenwechsler

Roland Koch Foto: Gaby Gerster

Im Theaterstück „Jedermann“ ist er zu sehen, tritt als personifizierter Reichtum in der Figur des  Dämons Mammon auf, der den Menschen zum Geiz  verführt und auch sonst nichts Gutes im Schilde führt. Im Kino-Klassiker „Constantine“ nach dem Drehbuch von Kevin Brodbin trägt der Sohn des Satans den Namen „Mammon“. Doch letztlich ist es wohl Martin Luther zu verdanken, dass der Begriff „Mammon“ auch ins Deutsche einzog, denn er übersetzte den Begriff in seiner Bibelübersetzung nicht. Seit dem ist es in den deutschen Sprachgebrauch eingegangen – und erregt dank eines Christdemokraten wieder die Gemüter.

Der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) wechselt die Seiten: Nein, er geht nicht zur SPD oder zur FDP. Mit gerade einmal 52 Jahren und elf Jahren als Regierungschef in dem Bundesland, das aus Sicht von NRW genauso entbehrlich und uncharismatisch ist wie das Saarland, will er nun etwas neues anfang. Politik sei nicht sein Leben, betonte der Christdemokrat. Er ist nicht der einzige Politiker, der die Seiten gewechselt hat.

Doch so ganz unfreiwillig wird der einstige Kritiker von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wohl dann doch nicht zu diesem Entschluss gekommen sein: Er hätte sich leicht ausrechnen können, dass er bei der nächsten Landtagswahl in Hessen von der Macht abgewählt worden wäre – genauso wie vor gut drei Wochen Jürgen Rüttgers in NRW. Da geht er lieber frewillig – zur rechten Zeit und mit lukrativen Angeboten. Auch Koch, der durch die Spendenaffäre, fremdenfeindlichen Unterschriftenaktionen und dem Anheizen von Generationenkonflikten bundesweit bekannt geworden ist, will nun in die Wirtschaft wechseln. Er ist kein Einzelfall. Immer mehr politische Würdenträger folgen dem Lockruf des Geldes, tauschen die TÖV-Besoldungstabelle gegen außertarifliche Anstellungsverträge mit Millionen-Summen. An vorderster STelle sind bei den Seitenwechslern Politiker von SPD und CDU. Ja, CDU, die Partei, die ja auch die Bibelstelle über den schnöden Mammon kennen müsste: „Niemand kann zwei Herren dienen: Entweder er wird den einen hassen und den andern lieben, oder er wird an dem einen hängen und den andern verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.“ Viele Parlamentarier, die nur ihrem Gewissen verantwortlich sind, haben sich klar entschieden. Nachfolgend eine Liste der prominentesten Seitenwechsler:

Martin Bangemann FDP EU-Kommissar  Telefonica (Spanien)

Otto Wiesheu  CSU Wirtschaftsminister Bayern Deutsche Bahn Vorstand

Wolfgang Clement SPD Bundeswirtschaftsminister Aufsichtsrat RWE, Dussmann

Klaudia Martini SPD Umweltministerin RPfalz Opel, Vorstand

Klaus Matthiesen SPD Umweltminster NRW  Interseroh, Vorstandschef

Reiner Wend  SPD MdB, WiPo-Sprecher  Deutsche Post, Lobbyist

Friedrich Merz CDU MdB, Fraktionschef  Wirtschaftskanzlei  Mayer Brown

Hans-Peter Repnik CDU MdB, FraktionsGF  Duales System DSD, Chef

Lothar Späth  CDU Ministerpräsident BaWü Jenoptik, Vorstandschef

Gerhard Schröder  SPD Bundeskanzler  Nordstream, Verwaltungsratschef

Monika Wulf-Mathies SPD EU-Kommissarin  Deutsche Post, Leiterin

Zentralbereich „Politik“

Peer Steinbrück SPD Bundesfinanzminister  ThyssenKrupp. Aufsichtsrat

Werner Müller  Bundeswirtschaftsminister RAG, Vorstandschef

Fritz Vahrenholt SPD Umweltminister HH  Repower, Vorstandschef

Hildegard Müller CDU Staatsministerin Kanzleramt Energieverband BDEW

Petra Uhlmann CDU Umweltministerin MeckPom  E.on Kernkraft

Joschka Fischer Grüne Außenminister  Nabucco-Pipeline, BMW

Martin Bury  SPD Staatsminister   Lehman Brothers,

HeringSchuppener

Caio Koch Weser SPD Staatssekretär BMFi  Deutsche Bank

Dieter Althaus  CDU  Ministerpräsident Thüringen  Magna, Vice-President

Matthias Wissmann  CDU  Bundesverkehrsminister VdA (Autoverband), Präsident

Volker Hoff  CDU Europaminister Hessen Opel, Direktor für

Regierungsbeziehungen

Bodo Hombach SPD Kanzleramtschef  WAZ, Geschäftsführer

Ernst Schwanhold SPD Wirtschaftsminister NRW BASF

Harald Schartau SPD Arbeitsminister NRW  Georgsmarienhütte

Franz Josef Britz CDU OB-Kandidat Essen  Ruhrkohle AG

Klaus-D. Scheurle CDU Präsident Regulierungsbehörde Credit Suisse

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Horst Köhlers Kriegs-Erklärung

 

Sterben für den Außenhandel: Bundespräsident Köhler erklärt in einem bislang unbeachteten Interview auf Deutschlandradio den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr. Wörtlich sagt der frühere IWF-Mann dort: „Ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung muss wissen, dass auch militärischer Einsatz notwendig ist um unsere Interessen zu wahren. Zum Beispiel für freie Handelswege.“

Deutschlandradio, Agenturen und Zeitungen berichteten später nur noch in der gekürzten Fassung und ließen Köhlers schneidige Kriegs-Erklärung weg. Übrig blieb aus dem Interview nur noch sein Zitat, den deutschen Soldaten müsse Anerkennung gezollt werden. Nur im Blog der Wochenzeitung Freitag wurde darüber diskutiert – und der Ruhrbarone-Leser „68er“ machte uns darauf aufmerksam.

Köhler hatte am vergangenen Freitag auf der Rückkehr von seiner China-Reise überraschend das Feldlager Masar-i-Sharif bei den dort stationierten Bundeswehrtruppen besucht. Seit neun Jahren kämpfen deutsche Soldaten in dem geschundenen Land, haben Zivilisten erschossen und vermeintliche oder wahre Terroristen in die Luft gesprengt. Und haben selbst ihr Leben verloren. Erst im April waren innerhalb on zwei Wochen sieben deutsche Soldaten gestorben, viele andere schwer verletzt.

Nun wissen ihre Familien, wofür sie sich verstümmeln lassen und zu welchem Zweck sie selbst Familienväter und Schwangere töten. Für den Außenhandel. Blumige Reden von Brücken und Mädchenschulen, die die Deustchen dort aus angeblich humanitären Gründen aufbauen, sind eine glatte Lüge. Das ist schon lange durchschaubar, aber nun wurde diese Lüge vom höchsten Amtsträger im Staat blank gelegt. Jede moralische Begründung für diesen Krieg ist nun offiziell lächerlich. Es sei denn, jemand wolle tatsächlich Arbeitsplätze gegen Menschenleben aufrechnen.

Immerhin wissen die Soldaten jetzt, dass sie für den Export von Dax-Konzernen sterben. Denn auch da sind Köhlers Worte klar: „Niemand kann ausschließen dass wir weitere Verluste beklagen müssen. Es wird wieder Todesfälle geben. Nicht nur bei den Soldaten sondern auch bei den zivilen Aufbauopfern. Wir müssen uns dieser Realität stellen“

Südkreta und Matala im Mai 2010

Blick auf die Bucht von Matala mit den berühmten HöhlenIch muss gestehen: Ich bin ein Freund des Südens von Kreta. Daher kann ich Matala als Vorposten des Massentourismus des Nordens nicht oft ertragen. Trotzdem besuche ich den Ort alle drei bis fünf Jahre. Dieses Jahr hat mich der Beitrag im Spiegel „Katerstimmung in Kreta“ aufgeschreckt und ich wollte mir vor Ort ein Bild machen.

Pauschalangebote findet man nur für Agia Galini, Matala und vereinzelt Plakias. Daher sind im touristisch eher individuell erschlossenen Süden primär Individualtouristen unterwegs. Im Frühsommer trifft man vor allem Alleinreisende, Familien mit kleinen Kindern und ältere Menschen, die durch die verkarsteten Landschaften wandern.
Es ist schon auffällig, dass in diesem Jahr weniger Menschen unterwegs sind. Anders formuliert; es sind die Stammgäste, die ihren Pensions- und Tavernen-Wirten die Stange halten.

Der Spiegelbeitrag, dessen Fakten korrekt recherchiert sind, erweckt aber ein wenig die Sichtweise Matala bzw. Südkreta wäre ein klassisches Urlaubsziel vergleichbar mit den Standards von Bettenburgen in der Türkei, Spanien, Tunesien und anderen Ländern. Der klassische Reisende nach Südkreta kommt jedoch genau nicht mit diesen Erwartungen.

Dabei habe ich gestern Matala so bevölkert wie nie zuvor gesehen.

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