Der Ruhrpilot

Opel: Am Tiefpunkt…Der Westen

NRW: Interview mit Sylvia Löhrmann…FAZ

NRW II: Linken-Abgeordnete preist Stasi-Agenten…Spiegel

NRW III: Krafts Lehren aus Ypsilantis Scheitern…Zeit

NRW IV: Linke gibt es nicht umsonst…Der Westen

NRW V: Schwarz-Rot, reloaded…Frontmotor

Nahverkehr: Wettbewerb auf der Schiene bedroht…Ruhr Nachrichten

Dortmund: Durchsuchung bei PCB-Entsorger Envio…Ruhr Nachrichten

Bochum: Auf der Suche nach finanziellem Spielraum…Der Westen

Ruhr2010: Musik und Häppchen vonne Ruhr…Hometown Glory

Piraten: Die Partei des unendlichen Reichtums…Julia Seeliger

Umland: Unzulänglichkeit des PFT-Sanierungsverfahrens war dem Landrat seit langem bekannt…Zoom

Internet: Pakistanisches Gericht lässt Facebook sperren…Welt

Internet II: 5+1 vor elf…Netzpolitik

SPD muss Untote verabschieden

Kohle-Fan und fossiler Genosse: Edgar Moron

Die politischen Untoten, die „Living Dead“ vom Elefantenfriedhof der großen Parteien, feiern gerade ihre unselige Wiederauferstehung. Immer wenn eine neue politische Generation der Mut packt, etwas anders zu machen, kommen Politrentner aus ihren Gruften hervor.

Aktuelles Beispiel in NRW: SPD und Grüne trauen sich endlich, mit der Linkspartei einmal über eine mögliche Regierung zu sondieren. Doch was passiert? Edgar Moron, bald Ex-Abgeordneter und als unverschämt gut verdienender RAG-Beirat bekannt geworden, fordert in einem Interview eine große Koalition. Alte Leute sind meist konservativ in ihren Grundhaltungen. Können sie ja privat sein. Aber die öffentlichen Einlagen von SPD-Eddie für eine Elefantenhochzeit sind überflüssig. SPD und Grüne sollten solche verbalen Gaben aus der Gruft gerne auch mal ignorieren.

Leider ist Moron kein Einzelfall in der deutschen SPD-Gerontokratie. In den vergangenen Tagen hatte sich bereits der Jäger und Waidmann Friedhelm Farthmann aus dem politischen Off gemeldet. Bei Springer und WAZ ventilierte der einstige Grünenfresser darüber, warum nun auf gar keinen Fall die Linke in Düsseldorf mitregieren dürfe. Fahrtmann (1978 unterlag der bekennende Macho in einer Kampfabstimmung um die SPD-Führungsrolle gegen Johannes Rau und hat seitdem ausgesprochen schlechte Laune) hatte keinerlei Argumente zu bieten. Angesichts der Krise müsse es stabile Verhältnisse an Rhein und Ruhr geben – klingt wie das Wahlkampfmotto der CDU „NRW muss stabil bleiben“. Ähnlich hatte auch Moron von den vernünftigen Leuten bei der CDU schwadroniert.

Wer die sozialdemokratische Basis kennt, weiß: Noch eine große Koalition unter CDU-Führung (egal ob in Düsseldorf oder Berlin), und die SPD ist endgültig kaputt. Der Dauerwiderspruch, in den Wahlkämpfen rhetorisch die rote Fahne zu schwingen (Beitragsfreiheit im Bildungssystem, Arbeitnehmerrechte, Anti-Kopfpauschale) und dann aber an der Regierung kalte Realpolitik durchzuboxen, muss durchbrochen werden. Zumindest im Sinne der Genossinnen und Genossen. Sonst landet die Linke beim nächsten Mal bei zehn und die SPD bei 20 Prozent. Sollte die SPD jetzt nicht doch den Mut für eine progressive und linke Regierungspolitik aufbringen, freuen sich zwar die Polit-Opas, aber die SPD wird vertrocknen. Und das Land in einer öden Groß-Koalition gleich mit.

Auffälligerweise ist das politische Altenheim vor allem ein Problem der SPD. Klaus von Dohnanyi salbadert schon seit Jahren in den Talkshows der Republik für eine möglichst marktliberale SPD, die dann nur noch den Namen mit ihren historischen Wurzeln gemein hätte. Auch Erhard Eppler und Hans-Jochen Vogel hängen gern bei „Maischberger“ und Konsorten ab und nölen und mahnen. Der mediengeile Ex-Genosse Wolfgang Clement nutzt jede Gelegenheit, um die SPD runterzumachen und sich der FDP anzubiedern. Die faltigen „Has Beens“ können sich in einer intimen Selbsthilfegruppe zuschwallern. Für Zukunftspolitik sind ihre Äußerungen schädlich. Was die SPD jetzt braucht, ist die Kühnheit, ihre politischen Ziele umzusetzen – auch mit einer kleinen Partei ganz links von ihr.

Drei Gründe für die Waldorfschule

Wir dokumentieren einen Vortrag zum Thema „Sekten und Psychogruppen“, den unser Gastautor Andreas Lichte am 5. Mai auf  Einladung des Ministeriums für Gesundheit und Soziales Sachsen-Anhalt hielt. Lichte ist einer der prominentesten Kritiker von Waldorfschulen in Deutschland – und ebenso prominent sind auch seine Kritiker. Am Ende befindet sich ein Text von Waldorf-Gründer Rudolf Steiner zum Thema Masern. Interessant für alle, die sich überlegen, ihre Kinder in die Hände von Anthroposophen zu geben.

Warum entscheiden sich Eltern für eine der 217 anthroposophisch geprägten Waldorfschulen in Deutschland?

Nach dem „PISA-Schock“ suchen immer mehr Eltern nach einer Alternative zur öffentlichen Schule. Manchen reicht schon die ganzheitliche Zauberformel der Waldorfschulen „Lernen mit Kopf, Herz und Hand“. Andere sind gründlicher. Aber: Je mehr man sich informiert, desto weniger weiss man – Eltern-Informations-Abende der Waldorfschulen sind reine Werbeveranstaltungen.

Viele Eltern wissen aber ganz genau, was sie tun, wenn sie sich für eine Waldorfschule entscheiden. Im folgenden werden drei Gründe für deren Schulwahl behandelt, die ich vorweg als Thesen formuliere:

These I: Die Leistungen des Kindes sind zu schwach, um auf einer öffentlichen Schule zu bestehen. An der Waldorfschule sind die Abschlüsse leichter.

These II: „Man bleibt gern unter sich“ – Besserverdienende wollen eine Schule ohne Kinder aus sozial schwachen Verhältnissen und ohne Ausländer.

These III: „Man bleibt gern unter sich“ – in der Waldorfschule teilt man die „alternativen“, esoterischen Überzeugungen der Eltern.

An der Waldorfschule sind die Abschlüsse leichter

Diese These sei am Beispiel der nordrhein-westfälischen Gesetzgebung für die Waldorfschulen erläutert. Am 13. Februar 2008 traf sich der Ausschuss für Schule und Weiterbildung des nordrhein-westfälischen Landtags, um über die „Verordnung über den Erwerb von Abschlüssen der Sekundarstufe I an Waldorfschulen“ zu informieren.

Landesministerialrat Marietrud Schreven gab im Auftrag von Bildungsministerin Barbara Sommer einen Bericht ab. LMR‘ Schreven stellte zunächst allgemein die Ziele der neuen, zentralen Abschlussprüfungen vor. Es gelte, Zitat, „sich an nationalen Bildungsstandards zu orientieren, Bildungsstandards, die die Anforderungen für den mittleren Abschluss transparent machen sollen, die Abschlüsse über die Länder hinweg vergleichbar machen sollen.“ Knapp gesagt: Die neue Gesetzgebung solle Chancengleichheit gewährleisten.

Dann folgte eine kurze Darstellung der Waldorfschulen und deren Sonderbehandlung durch das NRW-Bildungsministerium, LMR‘ Schreven sagte, dass „sich die Waldorfschulen besonderer Privilegien erfreuen“, wie beispielsweise „den Unterricht durch Klassenlehrer – der Klassenlehrer ist in Waldorfschulen aufgrund des pädagogischen Konzepts sehr wichtig –, obwohl diese Klassenlehrer keine staatlichen Lehramtsprüfungen haben und nicht an einer staatlichen Hochschule unterrichtet wurden.“

Im Grundgesetz Artikel 7, Absatz 4, Satz 3 heißt es aber: „Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn die privaten Schulen (…) in der wissenschaftlichen Ausbildung ihrer Lehrkräfte nicht hinter den öffentlichen Schulen zurückstehen (…)“

Der Schulrechtler Prof. Hermann Avenarius sagt zu einer vergleichbaren Baden-Württembergischen Sonderregelung für die Waldorfschulen: „Es widerspricht dem Grundgesetz. Auch die an Waldorfschulen tätigen Lehrkräfte benötigen eine wissenschaftliche Ausbildung, die nicht hinter den öffentlichen Schulen zurücksteht. Von diesem Qualifikations- und Qualitätsniveau können sie nicht entbunden werden.“

Schließlich erläuterte LMR‘ Schreven die Besonderheiten des neuen Gesetzes für die Waldorfschulen, hier nur einige entscheidende Passagen wiedergegeben, Zitat Ausschuss-Protokoll:

Seite 8: „Diese [anderen Privat-] Schulen legen eine komplette externe Prüfung ab. Das bedeutet, in allen abschlussrelevanten Fächern finden externe Prüfungen statt. Demgegenüber verfahren wir an Waldorfschulen anders. Die Prüfungen werden an den Waldorfschulen selbst durchgeführt.“

Seite 9: „Die Klausuren werden von Waldorflehrkräften selbst erstkorrigiert. Auch das gibt es in anderen Fällen nicht.“

Seite 10: „Denn es werden nur zwei bis drei schriftliche Prüfungen zentral gestellt. Alle anderen Noten sind waldorfeigene Noten, die auf dem Abschlusszeugnis erscheinen und die, soweit sie den Fächern des Regelsystems entsprechen, natürlich abschlussrelevant sind. Das heißt, sie haben ein Abschlusszeugnis mit dem kompletten Spektrum ihrer Noten, wobei lediglich die Noten in Deutsch, Mathematik bzw. Deutsch, Mathematik und Englisch auf zentralen Prüfungen beruhen.“

Seite 11: „Da wir [wie von den Waldorfschulen gefordert] Vornoten nicht anerkennen können, können wir dieses Verfahren „Vornote und Abweichungsprüfung“ nicht durchführen. Wir haben dafür aber die Möglichkeit eröffnet – diese Möglichkeit haben die Schüler im Regelsystem nicht –, dass eine Nachprüfung gemacht wird. Das heißt, Schülerinnen und Schüler, die punktuell in einer schriftlichen Prüfung versagt haben, können nach den Sommerferien nochmals eine schriftliche Prüfung in diesem Fach machen. Mit dieser schriftlichen Prüfung können sie ihre Note entsprechend verbessern. Das heißt, die bessere Note der Nachprüfung ersetzt die schwächere Note im ersten Durchgang.“

Konnte es NRW den Waldorfschülern noch leichter machen? Die Abgeordnete der Grünen, Sigrid Beer, meint ja. Zitat Beer: „Hinsichtlich der anderen Bundesländer verweise sie auf Niedersachsen, wo 70 % der Abschlussnote, sowohl hinsichtlich der schriftlichen als auch hinsichtlich der mündlichen Prüfung, durch die Vornote zustande komme.“

Chancengleichheit? Wie vom Gesetzgeber beabsichtigt? Deutlicher kann die Bevorzugung der Waldorfschulen nicht sein, und das offensichtlich nicht nur in NRW.

Die strengste Prüfungsordnung für Waldorfschulen gibt es in Bayern, aber auch dort wissen sich Waldorfeltern zu helfen: Für das Abitur wechselt Kind einfach auf eine Waldorfschule in einem anderen Bundesland. Hier ein Interview aus der Jugendsendung „Südwild“ des Bayerischen Rundfunks vom 17. September 2008:

Mirko M.: „Ich war 12 Jahre hier in Coburg auf der Waldorfschule und den restlichen Teil dann in Marburg, also in Hessen, und hab‘ mein Abitur dort gemacht.“

Moderatorin: „Warum bist du nach Hessen gegangen?“

Mirko M.: „Also in Bayern ist es ein bisschen schwierig, da sind die Waldorfschulen staatlich nicht anerkannt (…) Für mich waren es 3 Gründe, warum ich gewechselt bin:

– dass wir keine Vorzensuren hatten, was wirklich schwierig war

– dann auch die externen Abschlüsse, z.B. hier am Gymnasium (…)

– und wir hatten natürlich noch Russisch als zweite Fremdsprache, wo man als Jugendlicher natürlich auch nicht so gern mitmacht.“

„Man bleibt gern unter sich“ – Besserverdienende wollen eine Schule ohne Kinder aus sozial schwachen Verhältnissen und ohne Ausländer.

Spricht man mit Eltern über deren Beweggründe, sich für eine Waldorfschule zu entscheiden, so hört sich das oft so an, als lese man eine Imagebroschüre der Waldorfschulen. Fragt man freundlich aber beharrlich nach, so lösen sich die pastellfarbenen Traumbilder nach und nach in Luft auf. Und schliesslich hört man: „Ich wohne in (Berlin) Kreuzberg. Da schicke ich mein Kind doch nicht in eine Schule mit hohem Ausländeranteil!“

Richtig, das hat der Autor so erlebt. Nur ein „Einzelfall“? Der ehemalige Waldorfschüler und Anthroposoph Sebastian Gronbach schreibt im anthroposophischen Magazin „info 3“, Zitat:

„Ich konnte vor einigen Tagen erleben, wie die neuen Erstklässler eingeschult wurden. Zwei Schulen, zwei Bilder: Die Grundschule, eine Regelschule, feierte diesen Tag und begrüßte unter den Neuen ein gutes Drittel Kinder, mit dem, was man heute »Migrationshintergrund« nennt. (…)

Der gleiche Tag, wenige Kilometer weiter. Eine Waldorfschule. Auch hier werden die neuen Kinder begrüßt. Das Bild unterscheidet sich kaum von dem in den vergangenen Jahren an dieser Waldorfschule: Kein einziges Kind mit Migrationshintergrund – doch; vor einiger Zeit gab es mal das Kind einer Anwaltsfamilie. Alle Kinder sprechen reines Deutsch. (…)

Heute sind Waldorfschulen Eliteschulen (…)“

Was Gronbach schildert, bestätigt auch eine Statistik des „Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen“ (KFN). In der „Studie 2005 – spezielle Befunde zu Waldorfschulen“ wurde der ethnische Hintergrund der Schüler erhoben.

In der 4. Klasse der untersuchten Schulen betrug der Ausländeranteil:

– staatliche Grundschule: 22,6 %

– Waldorfschule: 2,8 %

In der 9. Klasse der untersuchten Schulen betrug der Ausländeranteil:

– Gesamtschule: 30,3 %

– Waldorfschule: 4,0 %

Die Studie des „Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen“ belegt auch, dass es in Waldorfschulen kaum Kinder aus „sozial benachteiligtem Milieu“ gibt. Waldorfschulen liegen meist in einer „besseren Gegend“, aber selbst auf der Clay Allee im Villenviertel Berlin-Dahlem bildet sich ein allmorgendlicher Stau, wenn die reichen Mamas ihre Kinder in die Rudolf Steiner Schule Berlin bringen und in der zweiten Reihe halten.

Wie sieht es aber im „Märkischen Viertel“ in Berlin aus, in einem Hochhausviertel, das eher von sozial schwachen Bürgern und Ausländern bewohnt wird (50 % sozialer Wohnungsbau)? An der Waldorfschule Märkisches Viertel machte ich mein Praktikum während meiner Ausbildung zum Waldorflehrer und … Ausländer oder Kinder aus dem Viertel konnte ich dort nicht entdecken.

Eine ehemalige Schülerin schreibt mir dazu in einer e-mail:

“Hallo Andreas,

also ich kann Ihre Wahrnehmung durchaus bestätigen. KEIN Schüler kam aus dem Märkischen Viertel oder aus benachteiligtem Milieu. Ich hatte mal eine Mitschülerin in der sechsten oder siebten Klasse, doch diese war genauso schnell wieder dort wo sie herkam: Nämlich auf einer Schule im MV. (…)”

Im Grundgesetz heisst es aber, GG, Artikel 7, Absatz 4, Satz 3: „Die Genehmigung [von Privatschulen] ist zu erteilen, wenn (…) eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird.“

Natürlich würden die Waldorfschulen niemals zugeben, dass sie gegen das Grundgesetz verstossen. Gründe, Schüler abzulehen, finden sich viele, zum Beispiel dieser von der Psychologin Aiga Stapf beschriebene:

„Eltern berichteten wiederholt, dass Kinder vom Waldorfkindergarten und der Waldorfschule abgelehnt wurden. Die Kinder mussten u. a. bei dem Aufnahmegespräch etwas malen: ein Sechsjähriger malte z.B. ein Haus ohne Tür, wozu er kommentierend auf Nachfrage der Waldorfpädagogin sagte: »Die Tür ist hinten.« Dies wurde von ihr als ein »Anzeichen« dafür gedeutet, dass das Kind seine Seele nicht öffnen will, sie lehnte die Aufnahme ab.”

„Man bleibt gern unter sich“ – in der Waldorfschule teilt man die „alternativen“, esoterischen Überzeugungen der Eltern.

Wie ermittelt man, ob eine bestimmte „Soziale Gruppe“ die selben Überzeugungen teilt? Mit umfangreichen Befragungen? Für die Waldorfschule – bzw. Anthroposophen – könnten das beispielsweise solche Fragen sein:

– „Glauben Sie an Karma?“

– „Glauben Sie, dass Ihr Kind, als es noch ein Geistiges Wesen war, Sie für seine Inkarnation als Eltern ausgewählt hat, weil Sie ihm die besten Voraussetzungen für die Erfüllung seines Karmas bieten?“

Wer antwortet darauf wahrheitsgemäss? Dieses Verfahren scheint doch sehr fehleranfällig. Gibt es vielleicht irgendein objektives, gemeinsames Kennzeichen, das man wissenschaftlich, statistisch, erfassen könnte? Ja:

Im März 2008 reist das Schulorchester einer Schweizer Rudolf-Steiner-Schule, der „Freien Oberstufenschule Baselland“ in Muttenz, zu einem Konzert in die Salzburger Rudolf Steiner Schule. Der Gastauftritt findet internationale Beachtung: Nicht nur in Salzburg, nein, in ganz Österreich, in Deutschland und Norwegen – überall brechen die Masern aus.

Im April 2010 lese ich von Masern in Mettmann, NRW. Als ich der Pressestelle des Kreisgesundheitsamtes sage, dass ich mich für den Masernausbruch interessiere, fragt man: „Wieso? Die Masern sind doch schon wieder vorbei.“ Ich sage: „Das mag sich vielleicht merkwürdig anhören, aber ich möchte wissen, ob eine Waldorfschule betroffen war.“ Am anderen Ende der Leitung macht es „aaah“, man weiss sofort Bescheid und sagt: „Dann ist es wohl am besten, wenn Sie Frau Kohnert zurückruft.“ Das tut Regina Kohnert, stellvertretende Leiterin des Kreisgesundheitsamtes Mettmann, und bestätigt mir, dass alle Masernfälle in Waldorfschulen aufgetreten sind. Die Kinder hätten Kontakt zur Waldorfschule in Essen gehabt, auch dort gibt es die Masern …

„Masern werden von Waldorfschule zu Waldorfschule übertragen …“, aber da sage ich Frau Kohnert wirklich nichts neues.  J E D E R  der mit Impfprävention zu tun hat, weiss das.

So warnt Dr. Axel Iseke vom Gesundheitsamt Münster Ende April: „Es ist nicht ausgeschlossen, dass es über die Waldorfschule auch in Münster zu einem größeren Masernausbruch kommt.“ Denn in Essen sind die Masern ja schon, und Zitat Presseerklärung Münster: „Familien aus dem Umfeld von Waldorfschulen seien häufig überregional vernetzt.“

Doch wer weiss genaueres über die Infektionskette Waldorfschule? Doch sicher das „Robert Koch Institut“ (RKI), „die zentrale Einrichtung der Bundesregierung auf dem Gebiet der Krankheitsüberwachung und -prävention“. Dort müssen seit der Einführung der Masern-Meldepflicht im Jahr 2001 alle Fälle gemeldet werden. Ich spreche mit der Epidemiologin Dr. Anette Siedler. Doch sie überrascht mich, meint, dass das RKI nicht den Verursacher der Krankheit ermittetele, der weltanschauliche Hintergrund einer Schule nicht berücksichtigt werde. Auch die entscheidende Information kann Dr. Siedler nicht liefern, sie sagt: „In Deutschland gibt es keine verlässlichen Zahlen zur Impfrate in Waldorfschulen bzw. öffentlichen Schulen.“

In der medizinischen Fachzeitschrift „The Lancet“ werden Zahlen genannt, sie sollen hier als Orientierung dienen, auch wenn sie sich auf Schweden beziehen:

Geimpft waren gegen MMR (Masern-, Mumps-, Röteln- Kombinationsimpfung):

– in öffentlichen Schulen: 93 %

– in Waldorfschulen: 18 %

61 % der Waldorfschüler hatten eine Masernerkrankung durchgemacht.

Warum untergraben Waldorfschulen das Ziel der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die Masern bis 2010 in Europa auszurotten? Und warum werden Menschen dem Risiko einer Infektion mit einer schweren Krankheit ausgesetzt?

Masern sind nämlich keinesfalls eine „harmlose Kinderkrankheit“:

– bei etwa 20–30 % der Masern-Fälle kommt es zu Komplikationen. Durchfall, Mittelohrentzündungen und Lungenentzündungen sind dabei am häufigsten, oft ist eine stationäre Aufnahme erforderlich.

– Die Meningoenzephalitis ist selten (bei 0,1 % der Erkrankungen), verläuft jedoch in 15–20 % der Fälle tödlich. In weiteren 20–40 % bleiben dauerhafte Schädigungen des Gehirns zurück.

– Die subakute sklerosierende Panenzephalitis (SSPE) ist eine sehr seltene Spätkomplikation nach Maserninfektion, verläuft nach langem Siechtum aber immer tödlich.

In Waldorfschulen treffen sich 2 Gruppen von Impfverweigerern, Zitat Dr. Georg Vogt, Gesundheitsamt Duisburg: die „ideologisch verhärteten Anthroposophen“ und die „oberkritischen Gebildeten“.

Anthroposophen – natürlich auch der anthroposophische Schularzt der Waldorfschulen – folgen Rudolf Steiner. Steiner begründet, warum die Masern eine Krankheit sind, die man durchmachen muss, so:

Ein Mensch hat in seinem letzten Leben zu viel „gegrübelt“, was zu einer „Schwäche der Seele“ führt. Die Masern sind die „physisch-karmische Wirkung“ dieses Fehlverhaltens im letzten Leben. Die Masern macht man durch, „um organische Selbsterziehung zu üben“, „die Krankheit kann in einen geistigen Prozeß zurückverwandelt werden“ …

Wer meint, dies sei aber eine völlig idiotische Zusammenfassung, der überzeuge sich selbst: Im „Anhang“ gibt es Steiners Karma-Masern-Quacksalberei im Original zu bestaunen.

Und was ist mit der zweiten Gruppe der Waldorf-Impfverweigerer, den „oberkritischen Gebildeten“, für die Entscheidungen von Medizinern und Gesundheitsbehörden nicht gelten?

Im Januar 2010 durften rund 260 Kinder der Rudolf Steiner Schule Berlin zu Hause bleiben. Als Quarantäne-Massnahme wurde der Schulbesuch vom Gesundheitsamt Steglitz-Zehlendorf untersagt, nachdem in der Waldorfschule Masern aufgetreten waren. Ein Vater, von Beruf Anwalt, klagte gegen den Ausschluß der Schüler beim Verwaltungsgericht und verlor:

„Das Gericht gab der Behörde Recht. Die Kinder könnten bei einer Erkrankung Mitschüler anstecken, bevor sie selbst sichtbare Symptome zeigen, hieß es zur Begründung. Ihr Interesse am Schulbesuch müsse angesichts der Ansteckungsgefahr der mitunter sogar tödlich verlaufenden Krankheit zurücktreten.“

Vorher hatte der Vater der zuständigen Berliner Stadträtin in einem Brief geschreiben:

„Allein die Tatsache, dass Masern auch tödlich verlaufen können, gibt der Gesundheitsverwaltung meines Erachtens nicht das Recht, derartig einschneidende Maßnahmen zu ergreifen.“

Fazit und Fragen

– Kultusministerien beschließen Gesetze, die die Waldorfschulen bevorzugen. Das Grundgesetz findet bei den Waldorfschulen keine Beachtung.

– Eine „Elite“ lebt auf Kosten der Allgemeinheit: Waldorfschulen werden zum grössten Teil aus öffentlichen Steuermitteln finanziert, sind aber eine geschlossene Gesellschaft von Privilegierten.

– Aus ideologischen Gründen setzen die Waldorfschulen die Gesundheit von Menschen aufs Spiel. Die Gesundheitsbehörden engagieren sich zwar sehr bei der Minimierung der Risiken für die Allgemeinheit, bekämpfen aber nicht die eigentliche Ursache des Problems.

Kann sich eine demokratische Gesellschaft wie die Bundesrepublik Deutschland eine Parallelgesellschaft Waldorfschule leisten? Ist diese Parallelgesellschaft politisch gewollt?

Anhang:

Rudolf Steiner begründet, warum Masern eine Krankheit sind, die man durchmachen muss:

„Nehmen wir an, im späteren Leben bekommt eine Persönlichkeit Masern, und wir suchen nach dem karmischen Zusammenhang dieses Falles. Wir finden dabei, daß dieser Masernfall aufgetreten ist als eine karmische Wirkung von solchen Vorgängen in einem vorangegangenen Leben, die wir etwa so beschreiben können: Die betreffende Individualität war in einem vorhergehenden Leben eine solche, die sich nicht gern um die äußere Welt bekümmert hat, sich nicht gerade im grob egoistischen Sinne, aber doch viel mit sich selber beschäftigt hat; eine Persönlichkeit also, die viel nachgeforscht hat, nachgedacht hat, aber nicht an den Tatsachen der äußeren Welt, sondern die im inneren Seelenleben geblieben ist. Sie finden auch heute sehr viele Menschen, welche glauben, daß sie durch In-sich-abgeschlossen-Sein, durch Grübeln und so weiter zur Lösung von Welträtseln kommen können. Bei der Persönlichkeit, die ich meine, handelte es sich darum, daß sie mit dem Leben so fertigzuwerden suchte, daß sie innerlich nachgrübelte, wie man sich in diesem oder jenem Falle verhalten soll. Die Schwäche der Seele, welche sich daraus ergeben hat im Verlaufe des Lebens, führte dazu, daß im Leben zwischen Tod und neuer Geburt Kräfte erzeugt wurden, welche den Organismus in verhältnismäßig später Lebenszeit noch einem Masernanfall aussetzten.

Jetzt können wir uns fragen: Wir haben auf der einen Seite den Masernanfall, der die physisch-karmische Wirkung ist eines früheren Lebens. Wie ist es denn aber nun mit dem Seelenzustand? Denn das frühere Leben gibt ja als karmische Wirkung auch einen gewissen Seelenzustand. Dieser Seelenzustand stellt sich so dar, daß die betreffende Persönlichkeit in dem Leben, wo sie auch den Masernanfall hatte, immer wieder und wieder Selbsttäuschungen unterworfen war. Da haben Sie also die Selbsttäuschungen anzusehen als die seelisch-karmische Folge dieses früheren Lebens und den Eintritt der Masern als die physischkarmische Folge jenes Lebens.

Nehmen wir nun an, dieser Persönlichkeit wäre es gelungen, bevor der Masernfall eintrat, etwas zu tun, um sich gründlich zu bessern, das heißt, um eine solche Stärke der Seele sich anzueignen, daß sie nicht mehr ausgesetzt wäre allen möglichen Selbsttäuschungen. Dann würde diese dadurch heranerzogene Seelenstärke dazu geführt haben, daß die Masernerkrankung hätte unterbleiben können, weil das, was im Organismus schon hervorgerufen war bei der Bildung dieser Organisation, seinen Ausgleich gefunden hätte durch die stärkeren Seelenkräfte, welche durch die Selbsterziehung herangezogen worden wären. Ich kann natürlich nicht ein halbes Jahr über diese Sachen reden; aber wenn Sie weit im Leben herumschauen und alle Einzelheiten, welche sich als Erfahrungen darbieten, von diesem hier gegebenen Ausgangspunkt aus betrachten würden, so würden Sie immer finden, daß das äußere Wissen voll bestätigen würde – bis in alle Einzelheiten -, was hier gesagt worden ist. Und was ich jetzt gesagt habe über eine Masernerkrankung, das kann zu Gesichtspunkten führen, die erklären, warum Masern gerade zu den gebräuchlichen Kinderkrankheiten gehören. Denn die Eigenschaften, die genannt worden sind, kommen in sehr vielen Leben vor. Insbesondere in gewissen Zeitperioden haben sie in vielen Leben grassiert. Und wenn dann eine solche Persönlichkeit ins Dasein tritt, wird sie so schnell wie möglich Korrektur üben wollen auf diesem Gebiet und in der Zeit zwischen der Geburt und dem gewöhnlichen Auftreten der Kinderkrankheiten, um organische Selbsterziehung zu üben, die Masern durchmachen; denn von einer seelischen Erziehung kann ja in der Regel in diesem Alter nicht die Rede sein.

Daraus sehen Sie, daß  wir wirklich davon sprechen können, daß die Krankheit in gewisser Beziehung wieder zurückverwandelt werden kann in einen geistigen Prozeß. Und das ist das ungeheuer Bedeutsame, daß wenn dieser Prozeß in die Seele als Lebensmaxime aufgenommen wird, er eine Anschauung erzeugt, die gesundend auf die Seele wirkt. In unserer Zeit braucht man sich nicht besonders zu wundern, daß man so wenig auf die Seelen wirken kann. Und wer die Zeit heute vom geisteswissenschaftlichen Standpunkt aus durchschaut, der wird es begreifen, daß so viele Mediziner, so viele Ärzte Materialisten werden (…)“

Rudolf Steiner, „Die Offenbarungen des Karma“, GA 120, FÜNFTER VORTRAG, Hamburg, 20. Mai 1910, S. 102ff

Die Waldorfschule, Rudolf Steiner und die Anthroposophie

Die erste Waldorfschule wurde 1919 in Stuttgart vom Anthroposophen Emil Molt, Besitzer der Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik, als Betriebsschule gegründet. Molt beauftragte Rudolf Steiner mit der pädagogische Leitung der neuen „Waldorf“-Schule.

Rudolf Steiner (1861–1925) promovierte 1891 mit der schlechtmöglichsten Note „rite“ in Philosophie; die 1894 versuchte Habilitation scheiterte. Um 1900 kam er in Kontakt mit Helena Petrovna Blavatskys esoterischer „Theosophie“. Von 1902 bis 1912 leitete Steiner die deutsche Sektion der „Theosophischen Gesellschaft“, die er 1912/13 abspaltete und unter dem Namen   „Anthroposophie“ neu gründete.

Steiner ist nach eigener Aussage Hellseher. Er behauptet, in der „Akasha-Chronik“, einem allumfassenden „Geistigen Weltengedächtnis“ im „Äther“ lesen zu können. Steiner erklärt: „Erweitert der Mensch auf diese Art [d.h. durch Steiners Anthroposophie] sein Erkenntnisvermögen, dann ist er (…) nicht mehr auf die äußeren Zeugnisse angewiesen. Dann vermag er zu  S C H A U E N , was an den Ereignissen nicht sinnlich wahrnehmbar ist (…).“ Die Anthroposophie schöpft damit aus esoterischen, okkulten Quellen, die für Nicht-Anthroposophen reine Fiktion sind.

Die Waldorfschule war für Steiner von Beginn an ein wirksames Instrument zur Verbreitung seiner esoterischen Heilslehre „Anthroposophie“. Und die „Anthroposophie“ ist bis heute verbindliche Grundlage des Unterrichts jeder Waldorfschule, Rudolf Steiner deren unangefochtene Autorität. Wie weit die Verehrung geht, mag man am Umfang der Rudolf-Steiner-Gesamtausgabe ermessen: Sie hat zurzeit 354 Bände.

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Der Ruhrpilot

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„Griechenland ist überall“

Das Institut Solidarische Moderne hat sich in einem heute veröffentlichten Positionspapier für eine Finanztransaktionssteuer, öffentliche Rating-Agenturen und größere Spielräume der Europäischen Zentralbank (EZB) ausgesprochen.

Heute wurde mit dem Titel „Griechenland ist überall“ das erste Positionspapier des Instituts Solidarische Moderne (ISM) veröffentlicht. Die Autoren Elmar Altvater, Sven Giegold, Birgit Mahnkopf und Hermann Scheer schlagen Maßnahmen vor, um Finanzspekulationen gegen Staaten und Währungen und ihre Gefahren für Demokratie und Wirtschaft zu beenden. Die Einführung einer Finanztransaktionssteuer in Europa ist das zentrale Element. Darüber hinaus fordert das ISM die sofortige Gründung öffentlicher Rating-Agenturen und die Erweiterung des Handlungsspielraums der EZB, damit diese nicht nur Banken, sondern auch Regierungen Kredite zum Niedrigstzinssatz gewähren kann. Das darf sie gemäß ihrer Satzung nämlich bisher nicht.

Tobin-Steuer

Das Konzept der Finanztransaktionssteuer geht auf die sogenannte Tobin-Steuer zurück. James Tobin schlug bereits in den 1970er Jahren vor, 0,05 bis 1 Prozent Umsatzsteuer auf internationale Devisengeschäfte zu erheben. Attac hat dieser Idee in Deutschland zu Popularität verholfen.

Aus dem Positionspapier: „Gesellschaften sind vor der Finanzspekulation und ihren zerstörerischen Folgen zu schützen – indem die Politik sich ihr Primat über die Finanzmärkte zurück erobert.“ Deutschland wird in dem Papier mit seiner Exportüberschusspolitik und dem wachsenden Niedriglohnsektor mitverantwortlich gemacht für die Notlage anderer EU-Staaten. Das ISM spricht sich dafür aus, dass in Deutschland ein gesetzlicher Mindestlohn, ein anti-zyklisches Investitionsprogramm und eine Vermögenssteuer eingeführt wird.

Längerfristig plädieren die Autoren für eine Diskussion über die Wiedereinführung vereinbarter Wechselkurse und eine gemeinsame Wirtschaftspolitik in der Eurozone. Sie sehen die EU am Scheideweg. Wenn das europäische Integrationsprojekt scheitere, habe dies katastrophale politische, wirtschaftliche und soziale Folgen.

Institut Solidarische Moderne

Das Institut Solidarische Moderne wurde vor einigen Monaten ins Leben gerufen, um das politische Vakuum zu füllen, das die Parteien hinterlassen haben. Vertreter von SPD, Grünen und Linken sind dabei, Wissenschaftler, Gewerkschaften und andere gesellschaftliche Gruppen. Es geht um eine übergreifende gesellschaftliche Debatte über die entscheidenden Zukunftsfragen von Demokratie, Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt.

Die Diskussion über eine Regulierung der Finanzmärkte läuft auf Hochtouren. Monatelang hatte sich die Bundesregierung vehement gegen die Finanztransaktionssteuer zur Wehr gesetzt. Stattdessen wollten Merkel und Westerwelle eine lahme Bankenabgabe, die in der nächsten Krise nicht einmal die örtliche Sparkasse retten würde. Nun ist Bewegung in die Debatte gekommen, heute hat sich die Koalition geeinigt, sich auf europäischer Ebene für die Einführung einer Finanztransaktionssteuer einzusetzen.

Auf welchem Wasser segeln die Piraten?

Am Ende tappte auch Jens Seipenbusch, wiedergewählter Bundesvorsitzender der Piratenpartei, in die Falle: Er habe die NRW Piraten im Wahlkampf kaum unterstützen können, weil die gespalten seien.

Von Hans Immanuel Herbers

Hans Immanuel Herbers
Hans Immanuel Herbers

Der Autor war einer der Spitzenkandidaten der Piratenpartei zur Landtagswahl in NRW. Er ist evangelischer Pfarrer und Diplomtheologe und lebt in Bad Salzuflen. Bis 1994 leitete Herbers zehn Jahre die grüne Ratsfraktion in Bad Salzuflen, er war außerdem Mitglied des Präsidiums des nordrhein-westfälischen Städte- und Gemeindebundes

Und schon leuchtete vor den geistigen Augen medialer Beobachter ein Bild von Fraktionen und Strömungen auf, das den Charakter der Piratenpartei endlich leichter erfassbar und beschreibbar zu machen versprach. Und so wurden solche Strömungen auch fleißig gesucht, strömte die anwesende Presse aus, um Protagonisten welcher Richtungsgruppe auch immer auszumachen. Erfolglos.
Was ist nur los mit der Piratenpartei, dass sie nichtmal fassbare Strömungen liefert? Man versuchte es mit „Kernies” (die sich auf Kernthemen beschränken) oder „Genders” (die Frauenanliegen gesondert erörtern). Alles erfolglos. Und die von Seipenbusch ausgemachte Spaltung in NRW war schon gar nicht zu finden – es ging da um eine landesinterne Strukturdiskussion, die auf politische Programmfragen gar keinen Einfluss hat.
Wer aufmerksam hinsah, konnte aber grade hier erkennen, warum die Piratenpartei keine „Strömungen” hat und warum sich Piraten solchen Schablonen erfolgreich entziehen.
Den Piraten fehlt der Glaube an die kämpfenden Kollektive. Hier vielleicht ist ihr wichtigster Unterschied zu anderen – und ihr modernster Zug. In Strömungskämpfen anderer Parteien reiben sich immer dieselben Seilschaften an den jeweiligen Themen. Alles wird wahlweise „rechts / links”, „konservativ / liberal”, „realo / fundi” durchdekliniert. Das ist auch folgerichtig: Sehen die herkömmlichen Politstrategen die Gesellschaft doch als Schlachtfeld im Kampf von Gruppeninteressen, zu deren Anwalt, Sprachrohr oder Gegner man sich wahlweise erklärt.

Politikwissenschaftler sekundieren gern: Solange Umweltverbände die Grünen unterstützen, Gewerkschaften die SPD, katholische Vereine die CDU und irgendwer anderes die FDP, passt das Bild von den gesellschaftlichen Gruppen, die von den Parteien widergespiegelt werden. Und in ähnlicher Weise spielen sich dann auch Strömungskämpfe innerhalb der Parteien ab.
Nicht so bei den Piraten. Sie wehren sich erfolgreich gegen Kollektives und gegen Verströmung. Und das gilt auch für ihr längst definiertes gesellschaftliches Potential.
Beim Bundesparteitag konnte man das am vergangenen Wochenende gut sehen. Wer noch gemeinsam gegen Anliegen von klassisch-grüner Frauenpolitik auftrat konnte schon eine Stunde später zum Thema des bedingungslosen Grundeinkommens auf völlig unterschiedlichen Seiten stehen. Und das ist gut so. Abends auf dem Rheinschiff sah man sowieso alle gemeinsam bei pfälzischem Wein.

Mancher Journalist hält dies Fehlen klarer Strömungen für ein Zeichen der Unreife. Das Gegenteil ist der Fall.
Piraten stehen für eine Gesellschaft, die sich nicht mehr kollektivistisch identifiziert. Man ist, wenn überhaupt, in der Gewerkschaft weil die bestimmte Services bietet. Man ist, wenn überhaupt, in Verbänden um deren Dienstleistung und Erfahrungsaustausch wahrzunehmen. Selbst bei der Kirchenmitgliedschaft geht das vielen so. Derweil organisiert sich Gesellschaft neu, vernetzt sich längst auch unter älteren Kleingartenfreunden digital und punktuell. Unter der dünnen Schicht der Verbändegesellschaft wächst längst die kommende Gesellschaft der freien Geister, die ungezwungen Standpunkte austauscht, themenbezogen zusammenwirkt und die ihre neue Freiheit immer energischer verteidigt. Für diese Gesellschaft freier, nicht vereinnahmter Bürger stehen die Piraten.

Und genau darum gibt es auch keine Strömungen. Ich wage auch zu prophezeien, dass es sie nicht geben wird. Piraten wollen nicht in Schubladen und können es auch gar nicht. Wer mit Anna und Lisa für Genderthemen antritt kann zugleich mit Lisa und Max energisch gegen Annas und Davids Idee eines deutschen Laizismus argumentieren und wiederum mit ganz anderen für Grundeinkommen reden. Das ist kein Widerspruch und kein Loyalitätsproblem. Es ist Ausdruck lebendiger Diskussionskultur, die auf die Anliegen und Themen achtet und nicht darauf, was zu irgendeiner Strömung passt.

Naiv? Nicht politikfähig? Das kann nur der folgern, der glaubt Politik brauche feste Feindbilder und Gruppenkämpfe. Doch diese Art Politik ist zunehmend Politik von Gestern.
Linke brauchen Feindbilder – Spekulanten, Reiche, Profiteure. Piraten fragen dagegen danach, was alle brauchen.

Um ein Blog zu zitieren: „Was ist mit Allgemeingütern? Wollt ihr wirklich, dass Genmaterial von Pflanzen und Tieren in Zukunft den Konzernen gehören, nur, damit es die Wirtschaft ankurbelt? Können wir womöglich einstmalige Allgemeingüter zurückerobern, können wir die Kultur der Kulturindustrie entreißen und wieder allen in die Hände geben?”
„Wo die FDP über die Faulen oder Leistungsunwilligen richtet, stellt die Piratenpartei die Frage nach den Bürgerrechten. Wie weit darf der Staat in das Privatleben eingreifen? Wie ermöglichen wir es jeder Einzelnen und jedem Einzelnen, das beste aus ihrem Leben zu machen? Respektieren wir unsere Unterschiede und Neigungen?”
Wo Konservative von traditionellen Werten reden, fragen Piraten nach alten und neuen Freiheiten – in der festen Überzeugung, dass nur freie Menschen der Gesellschaft ein tragfähiges Fundament geben können.
Piraten nehmen die liegengelassene Stafette wieder auf, die von 1848 über die libertären Anliegen der „Jugendbewegung” des frühen 20. Jahrhunderts, die Bürgerinitiativen seit den 70er Jahren bis zu den Bürgerbewegten der ostdeutschen Revolution immer wieder vom freien Einzelnen in selbstgewählter Gemeinschaft angestossen wurden. Erst das digitale Zeitalter schafft mit seinen völlig neuen Vernetzungsmöglichkeiten die materielle Basis für die Entfaltung solcher Freiheit. Dass nicht nur junge Menschen davon in hoher Millionenzahl längst Gebrauch machen, hat die klassische Politik ebenso wie große Teile der Medien noch nicht realisiert. Und darum können sie die Gewässer, auf denen die Piraten segeln, nicht erkennen. Der Glaube, die Piraten dümpelten auf dem Trockenen, ist dagegen Illusion.

Die Kernthemen der Piratenpartei stehen darum nicht für eine Ein-Themen-Partei. Sie kennzeichnen Lebenserfahrung und Lebensgefühl eines wachsenden Teils der Gesellschaft. Für die Piraten wird es darauf ankommen, bei jeder Erweiterung ihrer Programme den Zusammenhang mit dieser Lebenswirklichkeit aufzuzeigen. Nur was dazu passt, wird als Gewinn wahrgenommen werden. Dazu war das in der Tat breite Programm der NRW Piraten noch zu wenig diskutiert und abgewogen. Die Richtung aber stimmt.

Für die politische Konkurrenz und die medialen Beobachter wird es darauf ankommen, endlich die digital vernetzte Gesellschaft in ihren Folgen für den Einzelnen, in Chancen und Risiken, in Freiheitsgewinn und Veränderung von Gruppenidentitäten wahrzunehmen. Solang das nicht passiert, bleiben auch scheinbar nahestehende Parteien den Piraten fremd.

Warum dann aber nur 1,5% in NRW? Nun sind 1,5% ja ehrenwert – die Grünen kamen bundesweit 1980 auch nicht auf mehr und zogen nur drei Jahre später in den Bundestag ein. In den NRW Landtag kamen sie dann erst 1990 mit grade 5,05%. NRW ist das schwierigste Pflaster aller Länder was Chancen neuer Formationen angeht. Und die scheinbar extrem knappe Frage einer Mehrheit des äußerst unbeliebten Rüttgers/Pinkward-Duos brachte natürlich viele dazu, diesmal noch kleinere Übel zu wählen.

Natürlich spielten auch die Piraten selber dabei eine Rolle. Die große Mehrzahl der Aktiven sind erst weniger als ein Jahr dabei. Noch sind Piraten in den Kommunen nicht verankert, noch sind in großen Teilen des Landes Piraten unbekannt. Zudem fehlte völlig der amüsierte Medienhype vor der Bundestagswahl – kein Wunder in der parteipolitisch festgezurrten Medienlandschaft zwischen Rhein und Weser. Doch diese Faktoren sind momentan. Schon eine mögliche Neuwahl des Landtages brächte ganz andere Bedingungen.

Neuwahl? Ja. Aus Piratensicht nur konsequent und ehrlich. Die Wahl vom 9. Mai war die Abwahl der CDU-FDP Koalition. NRW hat sich mit klarer Mehrheit gegen Rüttgers und Pinkward entschieden. Aber es war keine Entscheidung für etwas. Die wurde den Wählern auch gar nicht abverlangt. Die SPD versprach Freude, Hoffnung, Stolz und Kraft. Die Grünen versprachen, in jedem Fall zu regieren. Die Linken versprachen die Rache der Enterbten. Es wäre nur richtig, nach dem völlig unklaren Ausgang nun dezidiert zu fragen: Welche Regierung wollt ihr?

Piraten sehen dem gelassen entgegen. Von Platz 17 werden sie auf Platz 6 des Stimmzettels steigen, sie werden auf der doch soliden Kampagne des Frühjahrs aufbauen und frei vom Rüttgers/Pinkward-Gespenst ihre Alternativen anbieten. Nicht als radikale Splitterpartei am Rande der Gesellschaft sondern als neue politische Kraft in der Mitte einer sich neu definierenden Gesellschaft freier Menschen mit einem freien Selbstgefühl.
Der Bundesparteitag in Bingen war dafür ein wichtiger Meilenstein. Er brachte die nötige Stabilität und das gesicherte Selbstbewusstsein, dass diese politische Kraft erst am Beginn eines erfolgversprechenden Weges ist. Und er brachte die Erkenntnis, dass Piraten sich vor Verantwortung nicht drücken werden und von Feindbildern nicht die Sicht trüben lassen.

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3 FÜR 7 – Konzert-Special

Tja, wer soll das eigentlich alles entscheiden? Alles ist relativ außer der Relativität; Wissenschaft ist wieder hip, weil Religion irgendwie out ist. Und dabei ist doch interkulturelle Kompetenz gefragt – oder ist das wieder nur so ein Täuschungsmanöver gewesen? Plötzlich neue Positionen, die Fähigkeit zur Handlung. Die FDP war schon immer die Partei, die genau durch Missmanagement den Sozialismus erst möglich macht. (Das erklärt auch all die Idioten in vermeintlich guten/wichtigen Jobs.) Aber jetzt nur national oder für welche Art von Europa? Und die Linkspartei steht für den Notfall ja zumindest parat, also alles easy. Dass ein paar der hauptberuflichen Hülsenpacker zu einer klareren Sprache fanden, zeigte einmal mehr ihre Ignoranz gegenüber dem richtigen Bildausschnitt. Diesmal also: Die Goldenen Zitronen, Stereo Total, Pfingst Open Air Werden.

Jens Kobler hat am 17. Mai 2010 um 14:45 geschrieben:
> Hallo!
>
> Sag mal, ich checke gerade, welche Veranstaltungstipps ich morgen bei den Ruhrbaronen
> bringe. Ist das Konzert morgen schon ausverkauft? Und b) Lässt Du mich (trotzdem) noch rein?
>
> VG,
>
> J.K.

moinmoin, bring mal, leider nicht ausverkauft! und sehr erfreut über deine anfrage bezüglich gl… sehr gerne schreibe ich dich drauf! 🙂

bis morgen, m

Was hiermit geschehen sei.

Na, und zwei Tage nach dem Quintett dann Stereo Total (Foto: Cabine) im zakk. Neues Album? Recht lang, auf Kill Rock Stars, vielleicht auch daher mit mehr Gender-Sachen, so singt Brezel z.B. erst, er wäre gern Mutter, dann könnte er jemand das Töten und das Sich-Verkaufen beibringen, und Francoise kontert im nächsten Song: „Babyboom – ohne mi(s)ch“. Dann bringen sie noch Coverversionen á la „Wenn ich ein Junge Wär“ und noch ein paar Dinge, die nicht alle machen dürften. Wird bestimmt wieder gruselig im zakk, wenn auch nicht so schlimm wie bei dem Deutschrock von Nichts, dieser Abiparty-Variante von Peter Hein und diesen komisch-abziehbildpunkigen Grünenwählern im Publikum da letzte Woche. Ob’s im Grend nicht auch manchmal gruselig ist? Wer sagt das? Ich? Echt? Da war ich bestimmt noch nicht wach. Und nein, was Anat Ben-David da im Vorprogramm genau macht, das weiß ich auch nicht. Bin eher gerne gespannt, was sie so solo macht.

Und jetzt wieder etwas für diejenigen, die lieber etwas lesen, von dem sie meinen, es einfach mal auf doof glauben können zu dürfen: Bald ist Pfingsten! (Naja, stimmt so auch nicht. Aber zumindest prägt dieser christliche Feiertag hier in der Gegend so einige Planungen.) Also ein Blick auf die Sponsoren des Pfingst Open Airs in Werden: RWE, Ruhr.2010, tutgut, Sparkasse, Kulturbüro Essen, Visions, festivalguide.de, coolibri, campus FM, Byte FM, Rockförderverein e.V. Da hat bestimmt nicht jedeR ordentlich Sachleistungen eingebracht, um diese jährliche Christenheit-und-Jugendamt-sind-doch-ganz-cool-Imageveranstaltung zu fördern!! Skandal! Der Journalist ist sowas von ab zur Recherche, die Bands & Co vom Open Air stehen hier.

Na gut, ein Video noch. (Moers hat Herr Meiser ja schon – wie sagen Sie hier? – beworben.)

Die Goldenen Zitronen heute, Dienstag, ab 21 Uhr.
Stereo Total übermorgen so ab 20 Uhr.
Dieses Festival am Wochenende ab 13 Uhr.

Eine Nanny namens Maurer

Die nordrhein-westfälische Linke bekommt für die anstehenden Koalitionsgespräche einen prominenten Helfer aus Berlin: Der erst am Wochenende wiedergewählte West-Beauftragte Ulrich Maurer wurde aus dem Bundesvorstand „auf unbestimmte Zeit“ nach Düsseldorf entsandt. Der Linke Bundestagsabgeordnete war langjähriger Chef des SPD-Landesverbandes und der Fraktion in Baden-Württemberg und gilt als strategischer Kopf der West-Erweiterung. Nun soll er bei den für Donnerstag mit SPD und Grünen anberaumtem Treffen im achtköpfigen Sondierungsteam der Linken sitzen.

Offenbar wächst nach dem Rostocker Bundesparteitag in der Linken die Entschlossenheit, im bevölkerungsreichsten Bundesland mitzuregieren. In dieser Woche soll die Basis der NRW-Linken wie in der Satzung verankert über die möglichen Sondierungen mit SPD und Grünen informiert werden, ein späterer Parteitag müsste Koalitionsverhandlungen zustimmen. Eine rot-rot-grüne Koalition ist neben einer vor allem von SPD-Genossen ungeliebten Großen Koalition die einzige Chance auf eine baldige Regierung an Rhein und Ruhr, nachdem die FDP Gespräche mit SPD-Spitzenkandidatin Hannelore Kraft und der Grünen Sylvia Löhrmann am Freitagabend endgültig abgesagt hatte. „Bei dem geplanten Sondierungsgespräch wolle sie sich einen Eindruck verschaffen, „wie glaubwürdig, demokratisch und seriös sich die Linkspartei aufstellt“, sagte die Vorsitzende Löhrmann.

Klar scheint aber auch zu sein, dass es keine Alibi-Gespräche werden. „Die SPD wird die Gespräche mit der Linken ernsthaft und seriös führen – so wie wir es auch der FDP angeboten haben“, sagt Axel Schäfer, Landesgruppenchef der NRW-SPD. Natürlich werde in den Gesprächen auch das das Geschichtsverständnis der Linksfraktion thematisiert. „Wir sind aber doch alle heute weiter als vor zwanzig Jahren“, so Schäfer.

Die neu gewählten Abgeordneten kämpfen gegen ihr Image als linksradikale Spinner. „Wir sind seit einer Woche im Landtag und haben am meisten auf die Beine gestellt“, sagt Rüdiger Sagel, der erst vor drei Jahren von den Grünen übergetreten ist. Die Linke hätte den Vorstand und die Geschäftsführung gewählt und ein Dringlichkeitsprogramm verabschiedet. „Von Chaos kann keine Rede sein“, so Sagel. Er widerspricht Gerüchten, in der Fraktion gebe es Gegner einer Koalition. „Wir haben vor und nach der Wahl einstimmig beschlossen, in Sondierungsgespräche einzutreten.“

Tatsächlich sind viele Mitglieder der Fraktion alte Bekannte der möglichen Koalitionsparteien. Landesvorsitzender Wolfgang Zimmermann ist Personalratschef in einem Krankenhaus und hat mit seines Betriebsgruppe mehrfach Ausflüge zu den Grünen im Landtag unternommen, der Bonner Jurist Michael Aggelidis war früher bei der SPD, andere bei den Grünen.

Für heftige Kritik sorgt vor allem die Mitgliedschaft vieler Abgeordneten in der Antikapitalistischen Linken (AKL). Diese Strömung wird vom Verfassungsschutz beobachtet und gilt als linksradikal. Ihr tatsächlicher Einfluss auf die künftige Landespolitik dürfte aber klein sein: Die Gruppe funktioniert wie eine Arbeitsgemeinschaft in der SPD wie eine Lobbygruppe für besonders marktkritische Politik. Einmal im Monat treffen sie sich und bereiten Anträge für kommende Parteitage vor. Zuletzt trafen sie sich bei Kaffee und Marmorkuchen und beschlossen weitere Privatisierungen von Stadtwerken zu stoppen. Jeder ist zu diesen Zusammenkünften zugelassen, meist kämen aber nur zwischen fünfzehn und zwanzig Leute, sagt ein AKL-Mitglied. Dennoch hat ihre häufig radikale Rhetorik hat schon viele Bildzeitungsseiten gefüllt. Aber auch dafür will Berlin Abhilfe schaffen: Die Pressearbeit der Linken in NRW wird künftig von der Bundeszentrale mit gesteuert. „Das lief bislang eher suboptimal“, heißt es aus dem Vorstand.