Der Ruhrpilot

NRW: Keine Macht am Rhein…FAZ

NRW II: Kraft will auch mit der Linken Regierung sondieren…Welt

NRW III: Linke-Abgeordnete in NRW: “DDR war ein legitimer Versuch”…xtranews

NRW IV: SPD im Rausch der Niederlage…Süddeutsche

NRW V: Nach der Wahl…Zoom

NRW VI: Die Piraten im Niemandsland…F!XMBR

NRW VII: Ruf! Mich! An!…Spiegel

Bildung: Was, wenn die Linken Schule machen?…Spiegel

Ruhr2010: Vielstimmige Kulturhauptstadt…RP Online

Ruhr2010 II: Hier und da kocht der Pott noch…Kölner Stadtanzeiger

Krise: RWI-Schmidt warnt vor Entwertung des Euro…Der Westen

Bottrop: RAG will Kokerei verkaufen…Der Westen

Fußball: Frank Goosen will den VfL zurück…Der Westen

Montage: F!XMBR. Vielen Dank an Chris.

Schwarz-Grün kommt trotzdem näher

Klar, die ganze Aufregung der letzten Stunden kreist um den einen Sitz, der Rot-Grün letztendlich doch fehlt. Vielleicht bremst er tatsächlich das gestrige Retrogetue. Merkel zieht weiter wirkungsvoll ihre Strippen, und nur wenige merkens.

Rüttgers ist aus dem Verkehr gezogen, wahrscheinlich hat er einen Anruf aus Berlin bekommen, wie einst der abgetretene Kölner CDU-OB-Schramma („U-Bahnen in dichtbesiedelten Gebieten nicht mehr verantwortbar“) keinen Anschluss ins Ministerpräsidentenbüro bekam. Egal ob nun Laschet oder Röttgen inthronisiert werden (mein Tipp: Röttgen ist cleverer und verzichtet auf dieses Bausoldatentum), beide werden den Berliner Auftrag, weitere schwarz-grüne Fäden zu spinnen, weiterverfolgen.

Merkel sind gestern mehrere Steine vom Herzen gepurzelt:

1. Die FDP ist auf ihre tatsächliche Einflussgröße reduziert und bei Bedarf jederzeit auswechselbar. Merkel hat die Ausrede, sie würde ja gerne so viele schöne neoliberale Sachen, aber leider, leider, der Bundesrat ….. usw.

2. Wenn das Sektentum in der FDP zu weit um sich greift, hat Merkel die freie Wahl zwischen SPD und Grünen. Mein Tipp: vor der Bundestagswahl wäre die SPD billiger zu haben (staatspolitische Verwantwortung, wichtiges Steinmeier-Gesicht usw.). Nach der nächsten Bundestagswahl: kann man jetzt noch nicht wissen.

Die Grünen jubeln. ABER:

1. Das NRW-Ergebnis wirkt großartig, „verdoppelt“, aber von niedriger Ausgangsposition. Die Bundesumfragen, die bei allen Instituten um 14-16% liegen und auch schon auf 18 waren, wurden in NRW weit verfehlt. Viele Rot-grüne WechselwählerInnen sind zur SPD zurückgegangen. Dass sie jetzt vielleicht eine Große Koalition kriegen, haben sie natürlich nicht gewollt. Werden sies jemals lernen?

2. Dafür haben die Grünen etliche Schwarze mit ihrer Zweitstimme eingefangen. Ich kenne zwei über 70-jährige Männer persönlich, die erstmals dabei waren. So findet bereits ein WählerInnen-Austausch bei den Grünen statt, der Merkel sehr recht sein kann.

Folgender Gefahr für die CDU muss Merkel ins Auge sehen und hat noch keine Lösung: Der Kern der CDU schmilzt dahin, wie es die SPD schon hinter sich hat. Die sicherheitsbedürftigen, konservativen Katholiken lernen in diesen Wochen, dass auch eine Schwarz-Gelbe Wunschkoalition nicht die Sicherheit schafft, für deren Verlust sie so gerne Rot-Grün verantwortlich gemacht haben, siehe die Griechenland- und Euro-Krise. Sie sind am Sonntag zuhause geblieben, sie verstehen die Welt nicht mehr, auch ein Bildungsproblem. Merkel wird sie nur mit Roland-Koch-Strategien zurückgewinnen können, mit denen sie die schwarz-grünen Fäden durchtrennen würde. Ausserdem würde sie sich international und geopolitisch damit desavouieren. Diesbezüglich hat sie jetzt schon in EU und Eurozone zuviel Schaden angerichtet. Sie hats eben auch nicht leicht. Aber sie lernt.

Immerhin: Freitag im Bundestag zur Griechenland-„Hilfe“ haben Regierung und Grüne zusammen gestimmt. Sowas vergisst die Kanzlerin nicht.

Macht Kraft den Schröder? Zur Regierungsbildung

Vorhin am Telefon, ein Versprecher: das ist jetzt die xte Wahl, nach der es eine klare Mehrheit gegen Schwarz-Gelb gibt, und doch haben sie links der Mitte „nicht die Kraft, das umzusetzen“. Wird es also auch in NRW eine Regierung geben, die das Mehrheitsverhältnis zugunsten einer großen Koalition aufgibt?  Und was ist mit Hannelore Kraft? Wird sie zur großen Umsetzerin oder zur kleinen Koalitonärin – und umgekehrt? Und wer wird Jürgen Rüttgers?

Jürgen Rüttgers hat die Wahl verloren, nicht Griechenland, nicht Bund, nicht Westerwelle. Rüttgers und sein autistisches Team führten ohne Not einen Wahlkampf der Schwäche, sie machten den Leuten nichts als Angst vor Veränderungen, vor Instabiltät, Rotrotgrün und dann mit Grabesstimme (wirklich!) vor der Finanzkrise rund um die Eurozone. In einem anderen bundespolitischen Klima hätte die unterirdische Wahlkampagne vielleicht reichen können. Diesmal nicht. Statt Regierungsbilanz wurde ein bemühter Personenkult um einen erblassten, ausgemergelten Ministerpräsidenten betrieben. Statt die Arbeit des sozialdemokratischsten Arbeitsminister seit langem nach vorne zu ziehen, den soliden Finanzminister, die Erfolge der Hochschulplanung, das Integrationsministerium, war immer nur eines: Rütte. Und als er am Samstag dann mit seiner Frau wie ein kalter Fisch bei mir im Hausflur lag, als Postwurfsendung, dachte ich mir, das wird ihm den Rest geben.

Armin Laschet vertrat ihn schon mal im WDR, „er wird andere Termine haben“, entschuldigte der Integrationsminister und designierte CDU-Landeschef lachend den MP. Der smarte Laschet nicht Rüttgers wird wohl Verhandler werden in den kommenden Tagen. Da seiner Partei aber nur die eine Option mit der SPD bleibt, schränkt das Möglichkeiten ein, auch die Chancen auf den Posten des Ministerpräsidenten.

Den will Kraft. Und je nach Gusto fühlt man sich seit gestern Abend schon an Schröder vs. Merkel erinnert, an die Realitätsverweigerung eines von Wahlkampfreden, Marktplätzen, Aufholjagd euphorisierten Bundeskanzlers. Denn wie bitteschön will Hannelore Kraft Ministerpräsidentin werden, wo doch die CDU stärkste Partei im Landtag ist?

Sicher geht das nur auf dem ungemochten rot-rot-grünen Dreirad mit Wagenknechten, Zimmermännern. Aber aufrechte Sozialdemokraten, erst recht einflußreiche Gewerkschaftskader im Land sprechen bei denen von „Spaltern“, „Sektierern“ – auch weil sich die ihren in der neuen Linken nicht gegen Trotzkisten und andere K-Leingruppen durchsetzen konnten. Die Option rot-rot-grün ist deshalb eine Streitmacht, keine Koalition. Andererseits, es braucht ja nur einen von elf linken Abgeordneten für die parlamentarische Mehrheit, das erscheint machbar, bei allen Bauchschmerzen, wozu gibt es schließlich  Rüdiger Sagel?! Außerdem: der bundesdeutsche Parlamentarismus und die neue finanzielle Unabhängigkeit der Volksvertreter haben noch bald jeden Radikallinken rundgelutscht, das sollte auch in Düsseldorf gelingen.

Oder es wird eine Großkoalition, Stabilität, letztlich hätte Rüttgers doch gewonnen, auch wenn er nicht mehr mitmacht. Kraft gibt die Vize-MP, im Innenressort oder Arbeitsministerium, Laumann, Krautscheid oder Laschet als Ministerpräsident. Angesichts der Personallage und dem beginnenden Kreuzzug gegen Weltfinanzhaie könnte die Staatsräson bei den Unionisten auch noch weiter gehen, ein geteiltes Ministerpräsidentenamt oder der Verzicht zugunsten der SPD, wenn die umgekehrt auf Hannelore Kraft, dafür bekommt Union Arbeit, Innen und Finanzen, schon beim Tippen, höre ich es: hick und hack, hick und hack, hack und hick, patt und patter. Bah. Stabilität, bitteschön, was ist das eigentlich?

Fotos (M): ruhrbarone/kok, csc

NRW: Das Endergebnis des Grauens. Kein Wahnsinn

Es hat lange gedauert. Aber hier ist das vorläufige amtliche Endergebnis der Landtagswahl in NRW. Als hätte wir es geahnt. Das Patt des Grauens ist Wirklichkeit geworden. Es geht nur die Große Koalition unter einem CDU-Ministerpräsidenten, wahrscheinlich Armin Laschet, oder Rot-Rot-Grün. Hier das vorläufige amtliche Endergebnis. Die CDU liegt gerade 6200 Stimmen vor der SPD. Es wird nun lange verhandelt werden.

CDU: 34, 6 Prozent  SPD: 34,5 Prozent, Grüne: 12,1 Prozent, FDP: 6,7 Prozent Linkspartei: 5,6 Prozent, Piraten: 1,5 Prozent.

Damit gibt es, so sich die FDP und die Grünen nicht aufeinander zubewegen, nur zwei Koalitionsmöglichkeiten: Eine große Koalition oder Rot-Rot-Grün. Beides ist für die SPD schwierig: Da die Union einen Hauch vor der SPD liegt, kann sie das Amt des Ministerpräsidenten beanspruchen – die SPD würde diese Kröte kaum schlucken. Ein Zusammengehen mit der Linkspartei würde indes kaum stabil sein. Auch viele Grüne und Sozialdemokraten waren sich vor der Wahl sicher, das Rot-Rot-Grün kaum eine Chance hat, die gesamte Legislaturperiode zu überstehen. In der SPD haben sich die Flügel schon vor der Wahl Auseinandersetzungen über das Thema geliefert. Die konnten nur durch die Aussicht auf Rot-Grün gedeckelt werden. Nun werden sie sich verstärken: Es geht um die Macht im wichtigsten Bundesland der Republik. Rüttgers hat eine bittere Niederlage erlitten, Kraft einen bitteren Sieg.

Peinlich war die Leistung des WDR. Das der NRW-Sender bei der Landtagswahl nicht durchzog und man als Zuschauer auf Phoenix angewiesen war, war mehr als peinlich. Ein Landessender muss an so einem Tag flexibel genug sein, das Programm zu ändern um über eine so wichtige Wahl den ganzen Abend lang live zu berichten.

Die Piraten enttäuschten: Mit 1,5 Prozent lagen sie am Ende knapp unter den Prognosen, bei denen sie über zwei Prozent gehandelt wurden.

Alle Zahlen gibt es bei der Landeswahlleiterin…Klack


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Der Ruhrpilot

NRW: Preissenkung bei Rent-a-Rüttgers…F!XMBR

NRW II: Rot-grüner Traum zerplatzt im Foto-Finish…Spiegel

NRW III: Linke zur Koalition bereit…Der Westen

NRW IV: In NRW geht weder Rot-Grün noch Schwarz-Grün…Welt

NRW V: Gabriel vor dem Wiederaufbau…FAZ

NRW VI: Der brutale Pendelschlag…Sprengsatz

Dortmund: Sierau wieder OB…Ruhr Nachrichten

Bochum: Stimmen zur Wahl…Pottblog

Ruhr2010: Dortmund ist LOcal Hero…Der Westen

Ruhr2010 II: Auf ein Bier zur Ente…Spiegel

Auto: E-Hype geht zu Ende…Frontmotor

Blogs: Muschelschubse im neuen Design…Muschelschubserin

Der Wahnsinn ist möglich

Die grüne Spitzenkandidatin und künftige Königsmacherin Sylvia Löhrmann prognostiziert: „Wenn jetzt zwei Frauen Nordrhein-Westfalen regieren wäre das der Wahnsinn“. Ein Bericht von der grünen Partei-Kirmes

Für die Grünen ist am Abend voller Wankelmut zumindest eins sicher: Sie sind die Sieger an Rhein und Ruhr. Mit mehr als 12 Prozent der Stimmen haben sie das beste Ergebnis einer Landtagswahl errungen und ihre Stimmen im Vergleich zu 2005 verdoppelt. „Bei uns gibt es keine Nebenwirkungen – bei uns gibt es nur riesige Freude,“ rief die grüne Spitzenkandidatin Sylvia Löhrmann auf der Wahlparty 100 Meter vom Landtag entfernt am Rhein. Sie kam minutenlang nicht zu Wort und wurde von ihren Anhängern frenetisch bejubelt. Auch wenn sich im ersten Moment noch kein Bündnis aufdrängte – die Grünen wurden an den Verhandlungstisch gewählt.

Bei den vergangenen vier Wahlen in Nordrhein-Westfalen – ob Kommunal oder Europa – haben die Grünen jeweils zugelegt. Und haben in den vergangenen Monaten klar für Rot-Grün in Düsseldorf geworben. „Wir sind die Königsmacher für eine Energiewende und eine neue Schulpolitik“, rief Spitzenkandidatin Sylvia Löhrmann. Sie wird bei fast allen der potentiellen Bündnis-Optionen die entscheidende Stimme liefern. Nur bei einer sehr unwahrscheinlichen großen Koalition wären die Grünen draußen – aber immerhin die mit Abstand größte Fraktion auf der Oppositionsbank.

Erstmal aber glauben alle an die zukünftige Macht. „Schwarz-Gelb in Nordrhein-Westfalen ist weg“, jubelte auch Löhrmann. Als die bedrückten FDP-Kandidaten auf den Fernseh-Bildschirmen auftauchten setzte ein vielstimmiger „Auf-Wiedersehen“-Chor ein. Die bisherige Düsseldorfer Regierungspartei war den Grünen an Rhein und Ruhr in den vergangenen fünf Jahren das liebste Feindbild. Bündnisse mit den Liberalen haben die Grünen per se ausgeschlossen. Schon lange vor den ersten Prognosen tanzten die Grünen am Düsseldorfer Rheinufer zu Trommelmusik und tranken fair gehandelten Kaffee. Grün angezogene Kinder wurden mit I-Phones von ihren Eltern neben einem überdimensionierten grünen Bär fotografiert. Es war eine sonnenbeschienene Partei-Kirmes. Ihre Unterstützer lagen zufrieden und unaufgeregt im Gras, in Sichtweite zum Landtag.

Am späten Nachmittag ging das erste Raunen durch die Menge. „Wir sind zweistellig“, brüllte ein Mittzwanziger im lila T-Shirt und Anti-Atom-Button. „Dies ist ein klares Votum gegen die Atompolitik und die neuen Kohlekraftwerke an Rhein- und Ruhr“, sagte die grüne Landesvorsitzende Daniela Schneckenburger. Die Details aber würden erst am heutigen Montag in den Gremien der Partei geredet. Der Geschäftsführer der grünen Bundestagsfraktion und Kölner Volker Beck sieht nach den ersten Prognosen „keine Chance mehr für schwarz-grün.“ Beck glaubt an das rot-grüne Wunschbündnis. „Zwei Frauen an der Spitze ist nach Egobossen wie Wolfgang Clement wäre für das Land kulturell sehr wohltuend.“

Die Grünen haben sich an Rhein und Ruhr etabliert. Gerade im sozialdemokratischen Ruhrpott holten sie in vielen Großstädten weniger als fünf Prozent. Nur universitäre Hochburgen wie Münster, Aachen und Bonn hievten die Partei seit 1990 über die 5-Prozent-Hürde. Nach zehn Jahren an der Regierung kam 2005 der Abstieg auf 6 Prozent und der Gang in die Opposition. Ein bisschen waren sie damals auch froh über die Trennung der zehnjährigen Ehe mit der SDP. Der traditionell linke Landesverband hatte an den Alleinkämpfern wie dem früheren SPD-Ministerpräsidenten Wolfgang Clement schwer zu knacken.

In der Opposition haben sie sich auch neu erfinden können: Unter der früheren Lehrerin Sylvia Löhrmann wurde die Bildung zu ihrem Hauptthema. Fortan stritten sie für eine kostenlose Schulmahlzeit und gemeinsames Lernen bis zur zehnten Klasse. Vorhaben, die sie mit ihrem „Wunschpartner“ SPD zu hundert Prozent teilen. Auch am Wahltag war den Parteigängern am Rhein klar: Rot-Grün ist die Wunschoption.

Mit der erneuerten SPD von Hannelore Kraft können sich die meist jungen Supporter sehr viel besser anfreunden als ein Bündnis mit dem schwer abgestraften Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers. Schon kurz nach der ersten Prognose riefen die sektbeseelten Anhänger ununterbrochen „Rot-Grün“. Die Basis haben ihre Sympathien eindeutiger verteilt als die Wählerinnen und Wähler an Rhein und Ruhr. Und auch wenn die Hochrechnungen noch minütlich schwankten – zwei Fahnenschwenker von der SPD wurden frenetisch im grünen Hauptquartier begrüßt.

Letztes Update: Im Rathaus zur schönen Aussicht – Die NRW-Wahl live aus Essen

Die Landtagswahl aus der Perspektive des parteipolitischen Machtzentrums der Stadt in der Mitte des Ruhrgebiets. Seit zwanzig Jahren wird hier bereits in einem Pressezentrum für Zahlen, Bilder, Snacks und Getränke gesorgt, wenn Kreuzchen gezählt werden. Heute könnte es noch etwas länger dauern als je zuvor.

22.00 Uhr: Dieses Zugehörigkeitsgefühl zu Parteien muss anscheinend auch etwas Schönes haben: Ganze Scharen von SPDlern verlassen gemeinsam den Sitzungsraum, nachdem klar ist dass ihr Wahlbezirk verloren hat. Andere interessiert eher das große Ganze, auch wenn sie ebenfalls eher Lokalpolitiker sind. Überall finden sich Anknüpfungspunkte, Identifikationsmöglichkeiten. Und durch die Koalitionsmöglichkeiten wiederum wird alles auch noch einmal komplexer als zum Beispiel als Anhänger von Fußballvereinen oder Popgruppen. Nun gut, die Big Band CDU wird jetzt auch mal wieder den Produzenten bzw. Dirigenten wechseln, aber auch das sorgt ja für total spannende Prozesse. Merke: Das ist Demokratie, langweilig wird sie nie!
Apropos: Die kleinen Parteien: In Essen (und bei den Zweitstimmen) bekommt Pro NRW 1,6%, die Piraten 1,3%, die NPD 0,9%, die Tierschutzpartei 0,7%, die Rentner und die Republikaner um die 0,5%. 338 Menschen wählten Die Partei. Punkt 22 Uhr erreicht das Ergebnis des letzten Essener Wahlbezirkes das Pressezentrum, und die Mitarbeiter vom Amt für Statistik machen mal Feierabend und freuen sich, die professionelle Neutralität aufgeben zu dürfen. Es wird also nicht später als sonst, auch gut. Sollen sie doch alle feiern, was auch immer.

21.05 Uhr: Selektive Wahrnehmungen: Bei den Linken zählt anscheinend vor allem der Einzug in den Landtag, eine Beteiligung an der Regierungsmacht scheint für die Basis kaum vorstellbar. Hier herrscht internationales Flair, mit Essen aus dem Iran und der ganz klar emotionalsten Stimmung. Ein älterer SPD-Grande äußert im Rahmen eines Interviews: „Jo, stimmt. Ein bisschen verloren haben wir ja auch.“ Bei den Grünen wird diskutiert, wie wohl die hiesigen KandidatInnen genau abschneiden werden, in der „Raucherlounge“ mit Blick auf die Synagoge und auf den Gängen der Etage der beiden größten Parteien gehen einige Stereotypen verloren: Ein massiger Angetrunkener trägt ein CDU-Shirt labberig aus der Hose und starrt ungläubig auf sein Handy, Sozialdemokraten tragen ihre alten Anzüge wie mit neuem Stolz. Aus Pietätsgründen geht der Reporter bei den Christdemokraten nicht rein.

20.15 Uhr: Bei den Grünen sagt jemand im Laufe der Tagesschau: „Dem Gabriel traue ich ja nicht über den Weg. Das ist so ein kleiner Schröder.“ Hier wird WDR geschaut, bei der Linkspartei erstaunlicherweise ZDF (Nachtrag von 21.00 Uhr: Jetzt dann doch mal WDR.). Die klare Absage unter Frauen von Löhrmann gegen Rüttgers im Rahmen der Sendung ist die erste eindeutige Aussage des Abends. Im Rathaus finden sich immer mehr Gäste ein, mit Siegerinnen und Siegern feiert es sich ja ganz gut. Einige Polit-Besuche finden auch statt, fast nach Hackordnung, also eher mal von links nach grün als von SPD nach links.

19.40 Uhr: Für Essen sieht die Statistik nach ausgezählten 260 von 438 Stimmbezirken knapp 50% der Erststimmen für die SPD, knapp 30% für die CDU. Die Vorstellung, es gebe keine Volksparteien mehr, ist also ein wenig abstrus. Erstaunlich ist auch die klare Zufriedenheit nur aufgrund von Stimmengewinnen, obwohl weder die stärkste Partei noch irgendeine mögliche Koalitionsfrage geklärt ist. In Kreisen der SPD hält man Schwarz-Grün für undenkbar, die Rolle der Linkspartei wird kaum diskutiert. Wie wäre es denn zum Beispiel, wenn ein Ex-WASGler mit Mandat einfach noch einmal überläuft, oder zwei, oder drei? Natürlich nur, wenn es nicht reicht für Rot-Grün. Spannende Idee. Und vielleicht ist das schon immer ein Grund gewesen für diese gewissen Kaderstrukturen bei Die Linke. Eine allzu knappe Mehrheit für Rot-Grün wäre zudem auch nicht wirklich das Wünschenswerteste für eine Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Das wäre doch auch einmal eine nette Option: Keine Koalition, keine Tolerierung, aber die dringende Notwendigkeit, sich doch hier und da mal abzustimmen, nur für den Fall dass ein Parlamentarier mal krank wird oder so. Und der Wählerwille, der Wählerwille: Rüttgers soll doch abgelöst werden, oder? Wie denn jetzt, liebe SPD? Ist das so, liebe Grüne? Genau: Es bleibt spannend.

19.10 Uhr: Vor den Pforten erzählt ein alt gedienter Sozialdemokrat, dass sein Vater in Kraft und Gabriel wieder die SPD wieder erkennen kann, die er in der Person von Schröder (Gerhard, nicht Kristina) irgendwann nicht mehr gesehen hat. Die SPD habe so viele Wählerinnen und Wähler zurück gewonnen. Eine Große Koalition hält der SPDler für sehr unwahrscheinlich, da weder Rüttgers noch Kraft eine entsprechende Rolle zugemutet werden könne. Was er nicht erwähnt: Die Rettung des Abendlandes vor der Linkspartei könnte natürlich auch mit Kraft, aber ohne Rüttgers vonstatten gehen. Bei den Linken (alle Fotos: Jens Kobler) muss selbst ein alter Hase des Essener Politgeschehens eingestehen, dass er mit einer möglichen Rot-Grünen Koalition beim gleichzeitigen, nie wirklich angezweifelten Einzug der Linkspartei in den Landtag, dann doch nicht gerechnet hat. Er fände es gar nicht schlimm, wenn die SPD sich zwischen den Optionen Rot-Rot-Grün und Juniorpartnerin unter der CDU entscheiden müsste. Bei den Grünen kommt einiges an anscheinend lange unterdrückter Animosität gegen Rüttgers zum Vorschein, ansonsten geben sich dort alle eher bescheiden bis abwartend. Noch ist ja leichten Herzens in keine Richtung zu claqeuren. Als im TV gesagt wird, „zur Minute“ gebe es eine Mehrheit für Rot-Grün, ruft jemand im Pressezentrum: „Gut! Ausschalten! Feierabend!“ Die Stimmung im Rathaus ist zu drei Vierteln sehr gut.

18.15 Uhr: Es gibt vier Gruppen von Parteianhängern, die sich im zweithöchsten Rathaus Europas (?) um die Monitore und Leinwände scharen. Die FDP ist nicht da. Bei Linkspartei und Grünen ist kein allzu großes Publikumsaufkommen zu verzeichnen, bei SPD und CDU scharen sich die Anhänger um ihre Gallionsfiguren. Natürlich sind die meisten Kandidatinnen und Kandidaten für den Landtag in Düsseldorf, aber der SPD-OB und andere bekannte Gesichter sind anwesend. Dann die Prognose: Es wird sehr spannend, alle richten sich auf den eh schon erwarteten langen Abend ein. In Essen jedenfalls ist die Wahlbeteiligung um einiges zurück gegangen, das neue Wahlsystem sorgt für zusätzliche Spannung und Ungewissheit. Geglaubt wird überall gerne einiges, aber im Grunde wissen alle: Erst spät am Abend werden die Zahlen sprechen. Gute Laune bei Links und Grün ist natürlich schonmal vorhanden.

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Trends zur Wahl: Die Grünen haben die Wahl!

Nun haben wir erste Zahlen. Die SPD liegt wohl vor der Union. Es könnte sogar für Rot-Grün reichen. Die Grünen wollen erste einmal mit der SPD reden – aber auch Schwarz-Grün ist noch nicht ganz vom Tisch. Doch zumindest das Patt des Grauens scheint verhindert.

Die Prognosen:

ARD: CDU: 34,5    SPD: 34,5   FDP:  6,5 Grüne: 12,5  Linke: 6,0  Piraten: 2

ZDF: CDU:  34   SPD: 35   FDP: 6,5   Grüne:  12,5 Linke: 5,5

Damit hat Hannelore Kraft einen großen Erfolg erzielt: Mindestens gleichauf mit der Union, vielleicht sogar davor könnte sie die neue Ministerpräsidentin werden. Dabei profitiert sie vor allem von der Schwäche Rüttgers: Die SPD hat auch bei dieser Wahl wieder verloren. Richtige Volksparteien gibt es in NRW seit heute nicht mehr. Rüttgers steht damit vor dem Aus seiner politischen Karriere. Ein 10 Prozent Verlust dürfte er kaum überleben. Aber noch ist nichts klar: Es gibt noch keine stabile Mehrheit. Es wird ein langer Abend.

Die Linke ist nun endgültig im Westen angekommen: Selbst der NRW-Landesverband kam über die Fünf-Prozent-Hürde.

Mit 2 Prozent hätten die Piraten erneut eine großen Erfolg erzielt – die Wähler der Online-Gangster haben  ein starkes Zeichen gesetzt.

Meine Angst: Das Patt des Grauens

Ich habe gerade Kaffee getrunken. Einen Keks gegessen. Dann nachgedacht. Über den Satz eines guten Kollegen. Der hat nämlich mal folgende Regel aufgestellt: In der Politik passiert immer das Langweiligste, das denkbar ist. Gut, habe ich mir überlegt, was ist das Langweiligste, das heute in NRW denkbar ist – jetzt bei den Landtagswahlen?

DAS PATT DES GRAUENS.

Wie kann das aussehen? Ganz einfach: SPD und CDU bekommen etwa 35 Prozent der Stimmen. Die Grünen landen bei 11 Prozent und die FDP kriegt irgendwas mit 6. Dooferweise kommen die Linken mit 5,05 Prozent rein.

Das bedeutet: Weder rot-grün, noch schwarz-grün ist möglich. Auch schwarz-gelb geht nicht. Alles hat keine Mehrheit. rot-rot-grün geht auch nicht – weil das nicht getragen wird. Rot-gelb-grün geht genauso wenig, wie schwarz-grün-gelb. Die Leute können das nicht. Die würden sich in so einer Koalition mit Farbbeuteln bewerfen.

Es geht nur die große Koalition. Und das auch nur im Patt. Ohne eindeutigen Sieger. Wer soll da Ministerpräsident werden? Jürgen Rüttgers, der CDU-Loser, Kraft, die SPD-Loserin? Keiner von beiden, sage ich. Im Patt des Grauens wird ein neuer gesucht, es wird wochenlange Verhandlungen geben, um jeden einzelnen Posten und jedes einzelne Ministerium. Alles verfangen in Personalien, weil jeder weiß, nur der Ministerpräsidentenposten zählt. Jeder Minister ist egal. Das mussten wir in der Berliner großen Koalition lernen.

Danach werden sich die Politiker im Patt des Grauens jahrelang belagern. Misstrauisch, nervös, feige. Im Land wird derweil so gut wie nix passieren.

Nach fünf Jahren Eiszeit werden dann einer oder vielleicht auch beide Koalitionäre abgestraft und die ehemaligen Volksparteien landen bei unter 25 Prozent. Nach dem Patt des Grauens werden die Ränder des Spektrums stärker, von Linkspartei bis Pro NRW. Das ist meine Angst.

Hoffentlich kommt heute eine klare Aussage bei den Wahlen raus.

Ich befürchte aber, dass ich mit meiner Angst Recht behalten könnte.