Einst waren 25 Mio. Euro dafür vorgesehen, elektronische Rathäuser in NRW einzuführen, in etwa so wie auf dem Plan hier. Aus den Ideen ist aber nicht viel geworden. Wo das Geld versandet ist, bleibt unklar.
von Bastian Rothe, Johanna Rüschoff und David Schraven
Die Zukunft sah so toll aus. Das Projekt d-NRW sollte der Startschuss für eine neue internetbegeisterte Verwaltung in Nordrhein-Westfalen sein – so hieß es damals zu Beginn des Jahrzehnts unter der Regierung von Ministerpräsident Wolfgang Clement (SPD). Eine Vision, gut 25 Mio. Euro schwer. Doch aus der Nummer ist wenig geworden. Das Geld ist weitgehend versandet, wie Recherchen der Ruhrbarone zeigen. Ausschreibungen wurden fast durchgehend vermieden, die beteiligte Softwarefirma weist eine bilanzielle Überschuldung aus und der Verbleib etlicher Millionen ist bis heute ungeklärt. Die aktuelle Landesregierung scheint sich nicht weiter um das Vorhaben kümmern zu wollen, dabei gingen noch Mitte 2008 unter Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) neue Aufträge in das Projekt. Mit neuen Kosten in Millionenhöhe.
Die verworrene Geschichte um d-NRW beginnt mit dem Investor Clemens J. Vedder. Dieser ansonsten eher im Hintergrund agierende Finanzhai, Jahrgang 1947, mit Wohnsitz in Florida wurde vor allem mit seiner Investorengruppe Cobra bekannt, als diese bei der Commerzbank einstieg. Aktuell steckt Vedder hinter dem Hedge Fond „Blacksmith Fund Ltd.“ Auf Grand Cayman.
Auch im digitalen Nordrhein-Westfalen agierte Vedder weit im Hintergrund im Herzen eines kleinen Firmengeflechts, das um die Fördermillionen buhlte.
Die cosinex GmbH wurde im Jahr 2000 von einigen Studenten und Bediensteten der Privatuni Witten/Herdecke gegründet. Es hieß, man habe ein akademisches Start-Up vor sich. Doch schon kurz nach der Gründung stieg Finanzhai Vedder in die Unternehmung ein und brachte rund 2,5 Millionen Euro Kapital mit. Bei seinem Einstieg ließ sich Vedder von seinem Geschäftspartner, dem Kölner Anwalt Martin Fervers, vertreten. Fervers war Geschäftsführer der Finanzholding Rebon B.V. in Amsterdam, in der Vedder seine Interessen bündelte. Zur Rebon B.V. gehörte auch die Investorengruppe Cobra, deren Geschäftsführung Fervers 2002 übernahm.
Die cosinex GmbH ist wiederum in einer öffentlich-privaten Partnerschaft verstrickt, die mit dem Land NRW eng verwoben ist. Die Struktur ist kompliziert: Während die öffentliche Hand heute ihre Interessen am Projekt in der d-NRW Besitz-GmbH und Co. KG bündelt, steckt die cosinex wie eine russische Holzpuppe hinter dem privaten Teil der Partnerschaft, die heute unter dem Titel d-NRW Betriebs-GmbH & Co. KG firmiert.
Die Idee war, dass die öffentliche d-NRW Besitz-GmbH der privaten Betriebs-GmbH Aufträge für die Digitalisierung der Verwaltung vermittelt. Davon profitieren sollten beide. Der private Partner von den Fördermitteln für die Entwicklung der Software, die Öffentliche Hand von der neuen Technik.
Ursprünglich gab es sogar eine Ausschreibung für die d-NRW Betriebs-GmbH. In diesem Wettbewerb setzten sich zunächst die Unternehmensberatung CapGemini Ernst&Young gemeinsam mit der cosinex GmbH durch. Das Land gründete dann mit diesen beiden Firmen die d-NRW
Betriebs-GmbH. Allerdings stieg die CapGemini bereits nach kurzer Zeit aus dem Projekt wieder aus. Die kleine cosinex blieb damit als alleiniger Partner übrig, der heute 100 Prozent der d-NRW Betriebs-GmbH kontrolliert.
Mit der Beteiligung hatten Vedder und Partner große Pläne, wie ein Insider erzählt. Mitten in der Euphorie am neuen Markt habe man geglaubt, mit der cosinex dank der Partnerschaft mit dem Land einen Volltreffer zu landen. Wenn alle Rathäuser in NRW die kostspielige Software kaufen würden, könnte man ein Systemhaus mit Milliardenumsätzen schaffen, so die Hoffnung. Es heißt, selbst ein Börsengang der cosinex sei angedacht worden. Spiritus Rektor sei damals Stephan Jansen gewesen, ehedem Leiter des „Institute for Mergers & Acquisitions (IMA)“ an der Universität Witten/Herdecke und heute Präsident der Zeppelin University in Friedrichshafen.
Leider blieb der erwartete Ansturm auf das digitale Rathaus aus. Dann brach auch noch der neue Markt zusammen. Schlechte Zeichen. Im Juni 2002 verliert sich die Spur von Vedder aus den Akten. Dafür erscheint eine Graf von Wolkenstein-Trostburg Vermögensverwaltungs- und Grundstücksverwertungs-GmbH in Köln in den Unterlagen. Diese Firma übernimmt nach und nach Anteile von Studenten an der cosinex. Kontrolliert wird die Graf von Wolkenstein GmbH von Martin Fervers, jenem Vedder-Rechtsanwalt, der einst die Cobra steuerte. Laut Handelsregister steht Fervers heute alleine hinter der Wolkenstein GmbH.
Die cosinex erhielt öffentliche Fördermittel in Millionenhöhe aus dem Ziel-II-Programm der Europäischen Union und des Landes NRW. In einer internen Mail an das Innovationsministerium von Minister Andreas Pinkwart (FDP) betonte cosinex-Geschäftsführer Carsten Klipstein, dass die stattliche Summe von 25 Millionen Euro als Förderung vorgesehen war.
Aber wie viel Geld davon tatsächlich abgeflossen ist, bleibt unklar. Niemand in NRW scheint eine Antwort geben zu können oder zu wollen. Der Geschäftsführer der öffentlichen D-NRW Besitz GmbH, Roger Lienenkamp, sagt: „Die Inanspruchnahme der reservierten Fördermittel erwies sich als so aufwändig, dass die d-NRW Besitzgesellschaft lediglich in einem einzigen Fall, nämlich für das Projekt, Informationsbüro d-NRW, einen Förderantrag gestellt hat.“ Dies machte einen Betrag von 3,2 Mio. Euro aus. Mit dem Geld sollte das Informationsbüro für die digitale Verwaltung werben.
Erst nach und nach wird weiter bekannt, dass die cosinex auch direkt Geld aus Fördertöpfen bekam. Zur „Entwicklung eines interkommunalen Marktplatzes zur Abwicklung formaler Vergaben“ flossen weitere 830.000 Euro. Für die „Realisierung eines interkommunalen Katalogs“ gab es 190.000 Euro. Beides eher normale Softwareentwicklungen.
Dann bekam auch noch ein Verein „European Society for eGovernment“ in Köln rund 200.000 Euro. Auf Nachfrage, welches Projekt damit gefördert wurde, heißt es, die European Society habe die Aufgabe gehabt, „den Stand der Einführung von E-Government-Prozessen zu erheben und die Öffentlichkeit über das Potenzial von E-Government-Prozessen zu informieren.“ Frei könnte man das mit „Public Relation“ übersetzen.
Nach wochenlangen Nachfragen erklärt die Aufsicht führende Landesgesellschaft, der Projektträger Jülich, es seien insgesamt etwa 4,46 Millionen Euro im Rahmen von d-NRW ausgeschüttet worden. Dies sei aber möglicherweise nicht die Gesamtsumme, da einzelne Ministerien auch direkt gefördert haben könnten.
Auf die Fragen wer das war, gibt es von den Ministerien im Land NRW keine ausreichenden Antworten. Lediglich aus dem Finanzressort heißt es, dem Projekt d-NRW seien drei Aufträge zur Installation und Pflege von Software erteilt worden. Der letzte im August 2008. Insgesamt flossen auf diesem Weg bis heute weitere 2,7 Mio. Euro durch das Firmengeflecht an cosinex. Ein Teil des Geldes wurde allerdings unterwegs als Eigenanteil von den anderen Firmen abgezogen. Die Aufträge hießen „Vergabemarkplatz NRW“ „Vergabemanagementsystem NRW“ und „Einkaufskatalog NRW“.
Diese Namen erinnern frappierend an die Titel der ursprünglich bewilligten Förderprojekte.
Auffällig ist zudem, dass es abgesehen von der ersten Ausschreibung für den privaten Partner von D-NRW keine weitere Ausschreibung der Software oder der PR gab. Eine Sprecherin von Finanzminister Helmut Linssen (CDU) sagte, im Falle der Aufträge aus dem Finanzministerium habe es sich um „Inhouse-Geschäfte“ gehandelt, die nicht hätten ausgeschrieben werden müssen.
Tatsächlich wurden die Dienstleistungen immer wieder über das Geflecht von öffentlicher und privater D-NRW-Gesellschaft an die cosinex durchgereicht. So wurde die Förderung für das angesprochene Informationsbüro d-NRW genauso wie die Aufträge aus dem Finanzministerium an die öffentliche d-NRW Besitz-GmbH gegeben. Von dort aus ging das Geld über die private d-NRW Betriebs-GmbH als Unterauftrag an die cosinex GmbH – alles ohne öffentliche Ausschreibung.
In den Unterlagen zu dem Vorhaben sehen die Aufsichtsbehörden diese Weitergabe der Aufträge kritisch. Allerdings heißt es in einem internen Vermerk, Ausschreibungen könnten solange zu recht vermieden werden, wie sie auf Basis eines Rahmenvertrages stünden, der zwischen der öffentlichen und der privaten d-NRW Gesellschaft abgeschlossen worden sei. Denn dieser Rahmenvertrag sei selbst auf Basis einer Ausschreibung zustande gekommen. Alle Dienstleistungen, die Teil dieser ursprünglichen Ausschreibung gewesen seien, dürften also ohne Wettbewerb vergeben werden.
Es bleibt also die Frage offen, ob die neuen Aufträge Teil dieser ursprünglichen Ausschreibungen waren? Zumindest das Informationsbüro kam im ursprünglichen Rahmenvertrag vor, wenn auch nur am Rande. Die restlichen Projekte waren kaum zu identifizieren.
Gleichzeitig wurde mit Macht versucht, die Notwendigkeit der digitalen Verwaltung publik zu machen, um möglichst viel Software zu verkaufen. Gleich mehrere Professoren und Experten wurden beauftragt, Begleitstudien für d-NRW anzufertigen, die wie Werbung aussehen. Die Autoren erhielten für die Broschüren mit einem Umfang von wenigen dutzend Seiten oft mehrere zehntausend Euro. An Stundensätzen wurde fast ausschließlich das höchste, gerade noch gesetzlich zulässige ausgezahlt. Alleine die Fernuni Hagen rechnete weit über 200.000 Euro für verschiedene Studien ab.
Dabei ließ zumindest ein Professor auch Geld in die eigenen Taschen fließen. Für das Versenden von Einladungen zu einem Public-Relation-Tag in Münster etwa stellte Professor Jörg Becker auf dem Briefpapier der Uni Münster 13.685 Euro für eine Memo Tagung GbR in Rechnung. Diese Firma residiert in Beckers Privathaus im malerischen Altenberge. Auf Nachfrage bestätigte der Professor, dass die „Familiengesellschaft“ unter anderem ihm gehört.
Ausschreibungen für die ganzen Arbeiten konnten in den Unterlagen zum Projekt d-NRW nicht gefunden werden, stattdessen traten immer wieder Mitglieder der Aufsichtsgremien als „Paten“ in den PR-Studien auf.
Aus dem Innenministerium war etwa Abteilungsleiter Johannes Winkel dabei, oder Christoph Gusovius von der Steuerungsgruppe „Verwaltungsstrukturreform“ und Vertrauter von NRW-Innenminister Ingo Wolff (FDP).
Aber selbst der Beistand der Ministerialen konnte nicht dabei helfen, die Entwicklung und Vermarktung von Programmen wie den „Vergabemarktplatz für Ausschreibungen“ oder „Melderegister online“ zu einem durchgreifenden Erfolg zu machen. Trotz Fördermillionen meldete die cosinex in der aktuell vorliegenden Buchhaltung eine bilanzielle Überschuldung ans Finanzamt.
Ein Grund für den Misserfolg kann die Vorgehensweise der beteiligten Partner gewesen sein: viele Kommunen im Ruhrgebiet, in denen bereits komplexe Projekte zur elektrischen Verwaltung liefen, fühlten sich übergangen. „Wir Kommunen verfügen über fundiertes IT-Wissen“, sagt ein IT-Insider einer großen Revier-Kommune. „Die hätten uns vorher fragen müssen.“
Eine politische Aufarbeitung über den Erfolg des Projektes hat es in der Landesregierung bis jetzt nicht gegeben. Stattdessen sieht es so aus, als habe man sich mit dem Stand der Dinge abgefunden. D-NRW läuft weiter. Und sucht frische Aufträge und frisches Geld.
Illustration: D-NRW