Donnerstag nachmittag, Essener Innenstadt: (V.l.n.r.) Mehrdad Mostofizadeh, Cem Özdemir, Sylvia Löhrmann und Oliver Keymis stehen auf der Bühne. „Fragen? 3 Tage wach antwortet!“ ist das Motto der Kampagne für die letzten 72 Stunden vor der Wahl in NRW. Zeit, Essentials und Substanz von sowohl Inhalten als auch Positionierungen zu überprüfen.
Inhalte & Stimmung: Das „Bündnis ’90“ fehlt ja im Wahlkampf. Die Grünen geben sich betont westlich, mag fast gesagt werden. Walter Wandke, wie Mostofizadeh einer der Landtagskandidaten der Stadt, erzählt, dass neben den Reclam-artigen Heftchen mit dem Titel „Die Räuber in Schwarz-Gelb“ vor allem die „Rüttgers-Club“-Kampagne gut funktioniere. In ihren Reden sprechen Özdemir und Löhrmann viel vom Green New Deal, beispielhaft von Häuserdämmung, die gleich 100.000 Arbeitsplätze schaffen solle. Es gäbe hierfür Unterstützung von Seiten der Gewerkschaften, des Mittelstandes und der Kommunen. Kinder sollen in Ganztagsschulen ein warmes Mittagessen erhalten. Atom- und Kohleausstieg. Längeres gemeinsames Lernen auch nach der 4. Klasse. Abschaffung der Studiengebühren. „Dem Schwarz-Gelben Spuk da ein Ende machen, wo er auch begonnen hat.“ Lieber eine 2er-, als eine 3er-Koalition. Özdemir erwähnt zusätzlich noch ein paar Linkspartei-kompatible Punkte extra. Und eine stellvertretende Ministerpräsidentin ist gewünscht, vielleicht gar eine weibliche Doppelspitze. Friedliches Zusammenleben der Kulturen. Mehr Geld für Kindergärten und Pädagogen. Die Steuerentlastungen der Bundesregierung verhindern. Passt all das eigentlich zusammen?
Szenario für nach dem kommenden Sonntag: Es gibt ein 5-Parteien-Parlament. Eine davon wird mit der Regierungsbildung beauftragt werden. Sollte dies quasi wie aus heiterem Himmel doch Hannelore Kraft sein, muss sie mit den Grünen klären, ob FDP oder Linkspartei dazu geholt werden soll. Die CDU wird nie im Leben Juniorpartner unter Kraft spielen. Oder würde Rüttgers doch soweit gehen, um das Abendland vor der Linkspartei zu retten? Eine zu köstliche Vorstellung. Frage das doch einmal jemand Jürgen Rüttgers in den nächsten Stunden, bitte. Spannend an der Idee einer sehr starken SPD ist natürlich auch, dass es dann für Schwarz-Grün rechnerisch nicht einmal reichen würde. Fall b) also: Rüttgers darf/muss sich Koalitionspartner suchen. Das wäre unangenehm, weil ja im Grunde SPD wie Grüne via Bundesrat die Koalition in Berlin torpedieren wollen. Und das würde die SPD sicher liebend gern als Verhandlungsmasse einbringen bzw. sich mit Macht bundesweit in die Regierungsarbeit einmischen. Da wären die Grünen sicherlich leichter abzuspeisen. Es bleibt also dabei: Schwarz-Grün, Große Koalition oder Rot-Rot-Grün sind die Optionen für NRW, alles andere scheint abwegig. Sind die Grünen also um ihre Position zu beneiden? Keinesfalls.
Beobachtungen/Prognose: Die Berliner Grünen scheinen mit ein wenig Grauen darauf zu schauen, wie wenig sie die Situation in NRW unter Kontrolle haben. Wie sollte man in NRW mit der CDU koalieren und gleichzeitig die Bundesratsmehrheit kippen? Wie sollte Rot-Rot-Grün in NRW mit den Partnern überhaupt zustande kommen, geschweige denn funktionieren? Ist das Personal überhaupt stark genug, um solchen Belastungen standzuhalten? Ist die reine Oppositionsrolle nicht doch die derzeit dankbarste? Wer auch immer gemutmaßt hat (ich auch), dass die NRW-Grünen quasi den Vermittler, den Kitt zwischen rechten Sozialdemokraten und Linkspartei geben könnten, muss eingestehen: Im Grunde erscheint das mit dem aktuellen Personal nahezu aberwitzig; NRW als Experimentierfläche für so ein Projekt stünde unter permanenter Fremdherrschaft aus Berlin. Und der rechte Flügel der SPD wird dann lieber schon vor der Koalitionsbildung nein sagen. All das Gerede von Düsseldorf als Testlauf für Berlin wird sich dennoch nicht in Luft auflösen, es wird nur anders kommen als gedacht: Wie die SPD die 3er-Koalition werden die Grünen die Schwarz-Grüne Option verhindern wollen, und zwar jeweils eher von Berlin aus – und es wird Schwarz-Rot geben. Sorry, harte Zeiten = Große Koalition. Variante: Die SPD holt mehr als die CDU und ist quasi in der Pflicht, eine Ampel oder Rot-Rot-Grün zu bauen. Dann könnte sich theoretisch der Flügel um Gabriel und Nahles tatsächlich durchsetzen. Und es ginge gar nicht mal um „Kraftilanti“, de fakto hinge das Wohl und Wehe von Gabriel und Nahles von Düsseldorf ab. Auch Özdemir wird inzwischen gedämmert sein: Rot-Rot-Grün für NRW will niemand in der SPD. Genauso wenig wie die Grünen in Berlin Schwarz-Grün für NRW.
Und so wird es kommen: Die Landesverbände proben den Aufstand gegen Hauptstadt und innerparteilichen Mainstream, aber irgendwie scheitern die Verhandlungen mit Beteiligung der kleineren Parteien, auch weil niemand die Grünen zur CDU lassen will. Die sogenannten Volksparteien raufen sich abermals zusammen, die CDU rächt sich nebenbei ein wenig an der FDP, und die fast schon vergessene Steinbrück/Steinmeier-SPD geht ihren bitteren Weg weiter: in eine Große Koalition unter Rüttgers. Wer glaubt, dagegen einfach mal Kraft, Grün oder Linkspartei wählen zu können, wird Pech haben. Aber es könnte Sinn machen, die sogenannten „Volksparteien“ vorher noch zu schwächen, wo es eben geht. Dies ist eine Wahlempfehlung gegen CDU und SPD.
Und das wird aus „Bündnis ’90“: Es steht genau dann ein Revival an, wenn Rot-Rot-Grün sich gegen die rechte Sozialdemokratie (SPCDU) in NRW und Schwarz-Gelb in Berlin gleichzeitig formiert – natürlich nur in der Opposition und mit dem passenden Personal. Der nächste Umsturz kommt also bestimmt, aber noch nicht in NRW, und wohl auch bis auf weiteres nicht.
Geheimklausel: Psst, liebe (Berliner) Grüne, hier noch ein Ausweg, damit doch Pöstchen verteilt werden können und weil Ihr ja doch immer die Wichtigsten seid, ne: Schwarz-Grün in NRW doch machen, aber das richtig, richtig, richtig schlecht! Genau das braucht die Kanzlerin am wenigsten! Und es ist ein tolles Argument für Rot-Rot-Grün später mal, ne? Aber wie gesagt: Pscht! 😉