Selbst PolitikjournalistInnen und halb oder ganz linke PolitikerInnen verstehen bis heute nicht den Unterschied zwischen einem privaten und einem öffentlichen Haushalt, ganz zu schweigen von der globalen Ökonomie.
Ihre Weisheit erschöpft sich in dem Satz: „Man kann nur ausgeben, was man auch eingenommen hat.“ Und wer sich daran nicht hält, ist günstigstenfalls ein Schlawiner, will mit weniger Arbeiten mehr verdienen und hat recht häufig dunkle Haare und auch einen dunkleren Teint. Denn es ist ja bekannt, da unten am Mittelmeer ist nicht nur schöneres Wetter, da besteht das Leben vor allem aus Pausen, wie fast alle von uns aus unseren Urlauben wissen.
Diese Klippschulwirtschaftslehre verbindet sich auf das Feinste mit alten rassistischen Ressentiments und bildet ein stimmiges Weltbild, auf das unsere Regierung und unsere Kanzlerin ihre Bewältigung der griechischen Finanzkrise bauen. Ohne von übermässigen inländischen Debatten gestört zu werden, können so die Interessen deutscher Banken und Rüstungskonzerne, die veritabel im Griechenland-Geschäft engagiert sind, gewahrt werden. Denn der wichtigste Punkt für Merkel und Co. ist, dass deren Forderungen auf Heller und Cent beglichen werden. Und dafür müssen die gleichen GriechInnen, die schon unter ihren korrupten Regierungen gelitten haben, eben nun noch einmal leiden, mit Renten- und Lohnsenkungen. Hiesige ArbeitnehmerInnen haben davon überhaupt nichts. Im Gegenteil: durch ihre eigenen Reallohnverluste, hervorgerufen vor allem durch jahrzehntelang allzu bescheidene Tarifabschlüsse, haben sie zu den Voraussetzungen der Griechenland-, die auch eine Irland-, Italien-, Portugal- , Spanien-, Baltikum-, Balkan-, EU- und Europakrise ist, selbst beigetragen.
Der Exportvizeweltmeister Deutschland, der den Löwenanteil seiner Exporte im EU-Raum und Europa realisiert, hat alle seine potenziellen Konkurrenten kaputtkonkurriert, weil hierzulande die üblichen Verteilungskämpfe zwischen Unten und Oben viel deutlicher als in anderen demokratischen Ländern zugunsten von Oben ausgegangen sind. Von den Produktivitätsfortschritten, die natürlich im globalen Wettkampf die entscheidende Rolle spielen, hat Unten in Deutschland niemand etwas abbekommen. Die anderen EU-Länder finden das nicht amüsant, denn solche Handelsungleichgewichte können naturgemäß nicht von Dauer sein, und dann ist Schluss mit den lustigen Exportüberschüssen.
In dieser Lage sind wir jetzt in Europa. Und die Bundesregierung lässt nun heftig den „hässlichen Deutschen“ raushängen, und glaubt sich das leisten zu können, weil das in der inländischen Öffentlichkeit ja niemand thematisiert. Sie verweigert sich kooperativen Lösungen in EU- und Euro-Raum und setzt brutal das durch, was sie als „deutsche Interessen“ definiert, bzw. von der Zeitung deutscher Klippschüler definieren lässt. Im Unterschied zur hiesigen biodeutschen veröffentlichten Meinung ist die Debatte der Deutschland-Griechen, wie sie z.B. auf dem Premium-Radiosender Funkhaus Europa zu verfolgen ist, angenehm selbstkritisch und differenziert. Aber wer hört das schon?
Wie kann es nur zu so einem Demokratie-Desaster in der Ökonomie-Debatte kommen? Ist es die deutsche Inflationstraumatisierung aus den 20er Jahren? Noch nicht einmal meine Eltern haben die miterlebt; meine mittlerweile allesamt verstorbenen Großeltern haben sie mitbekommen, und ja, von ihrer Sparparanoia haben wir Enkel sogar über ein ansehnliches Erbe profitiert. Und ich würde die These wagen, dass die 12 Jahre Faschismus hierzulande auch in diesem Bereich bis heute historisch wirksame Zerstörungsschneisen in Wissenschaft und Ökonomieöffentlichkeit hinterlassen haben, da sie in den ersten Nachkriegsjahrzehnten zum Teil bewusst nicht bearbeitet sondern restauriert wurden.
Das führt dazu, dass wir heute von amerikanischen Präsidenten belehrt werden müssen, wie Banken besser kontrolliert werden sollen, oder von einem ideologisch eigentlich reaktionären französischen Präsidenten, wie man eine rationale Konjunkturpolitik macht. Und ausgerechnet ein rechter Luxemburger, Jean-Claude Juncker, muss in deutschen Rundfunkinterviews den Sinn einer europäischen Griechenlandsolidarität erklären, weil deutsche Regierungsmitglieder dazu zu feige sind. Und nur in wenigen, vor allem wenig massenwirksamen inländischen Medien wird Anschluss an diese Debatte gehalten , z.B. von den Kolumnisten Fricke, Münchau und Zeise in der deutschen Financial Times.
Das wird alles auf uns zurückfallen, auch und gerade ökonomisch. Die europäischen Freundinnen und Freunde werden das deutsche Verhalten in dieser Krise nicht vergessen. Zu diesem ökonomisch unsinnigen Verhalten gehört ja ausserdem das moralische und menschenrechtliche Desaster der deutschen Rolle in der europäischen Flüchtlingspolitik. Hier lassen wir die nämlichen Länder Griechenland, Italien, und Spanien genauso alleine. Unsere Regierung scheint die Szenerie, in der nicht nur jährlich tausende jämmerlich im Mittelmeer ersaufen, sondern sich auch rassistische Progrome mit sichtbarer Förderung durch Mafia und reaktionäre Regierungen und Parteien häufen, mit Wohlgefallen zu betrachten, nach dem Motto: „Siehste, Einwanderung bewirkt eben sowas.“
Nur, wenn man das will!
Einwanderung bedeutet immer auch Innovation, ökonomisch, kulturell, sozial. Wer sich so konservativ abschottet, wie wir Deutsche es unseren Regierungen erlauben, der wird in Kürze nicht nur demografisch, sondern vor allem ökonomisch den Allerkürzesten ziehen. Ich wage, die These, dass nicht nur China oder Indien, sondern auch Länder wie, wenn dort erst massentauglicher Internetzugang geschaffen wurde – und das steht bevor – sogar ehrgeizige Länder wie Äthiopien oder Ruanda uns innovatorisch in schätzungsweise nur 50 Jahren noch was vormachen werden. Während wir ihre Leute nicht reinlassen und auch keine Geschäfte mit ihnen machen wollen, weil sie uns zu doof, zu schwarz und zu korrupt sind (Siemens oder Daimler sind dort aber sehr wohl bekannt!), machen sie ihre Geschäfte eben mit Chinesen oder Brasilianern. Sie brauchen uns nicht.
Entscheidend für die Wachstumsperspektiven einer Volkswirtschaft ist, ob die Menschen glauben, dass die Zukunft besser wird, als Gegenwart und Vergangenheit. Ein Land, in dem die Alten eine wachsende Mehrheit stellen, das sich einmauert und in dem diese Mehrheit glaubt, „früher war alles besser“, wird ihnen bald hinterhergucken .