Rot -Grün in NRW: Das Balu-Prinzip

Die rot-grüne Landesregierung in NRW pflegt einen neuen Politikstil: Möglichst viel soll von den Bürgern selbst entschieden werden. Die Folge: Regierung in Zeitlupe. Doch gibt es für Politiker, die an der Macht bleiben wollen, noch eine Alternative?

Die Unionsparteien fahren gerade eine Kampagne gegen die Grünen. Sie werden als die Dagegen-Partei bezeichnet und in einem peinlichen Video der CSU sogar in die Nähe von Gewalttätern gerückt. Das ist dumm, denn die Politik der Grünen ist populär, weil sie ein Gefühl in der Bevölkerung aufgreift. Nicht die Grünen sind gegen alles, immer größere Teile der Bevölkerung wollen keine Veränderungen mehr. Jede Partei, die in den vergangenen Jahren versucht hat etwas zu ändern, wurde von der Bevölkerung abgestraft. Ob Hartz IV, S21, neue Stromtrassen, Autobahnen, Kraftwerke, Windräder oder Schulreformen – Veränderungen werden  immer öfter von vielen Menschen als Bedrohung wahrgenommen.  Und das betrifft nicht nur die Wähler der Grünen. Die älter werdenden Deutschen fühlen sich von fast allem bedroht. Früher war es besser und so soll es bitte bleiben. Ob Facebook, Moslems oder Bauprojekte – das Neue ist das Böse, das man ablehnt.

In so einer Zeit ist es für Parteien fast unmöglich, ihre Agenda durchzusetzen ohne abgewählt zu werden. Die erste Regierung die das erkannt hat, ist die Landesregierung in NRW. Sie regiert das Land nicht, sondern moderiert Entscheidungsprozesse: Ob neue Schulformen wie die Gemeinschaftsschule oder die Wiedereinführung des Abis nach neun Jahren: Möglichst vieles soll an der Basis vom Bürger direkt geregelt werden. Die angekündigte Erleichterung  von Volksabstimmungen geht ebenfalls in diese Richtung. Andere Regierungen werden ihr folgen. Egal welche Parteien sie stellen. Dumm nur, dass die Addition von Partikularinteressen kein Gemeinwohl ergibt.

Und da wo das nicht geht, setzt man auf die Entscheidung von Gerichten. Zum Beispiel wenn es um das Kraftwerk in Datteln geht, will man möglichst nicht politisch entscheiden. Das wird nicht immer gut gehen – bei Datteln wird es irgendwann zum Schwur kommen – aber vorher holt man Gutachten über Gutachten ein. Entscheidungsfreudig ist man in Düsseldorf nicht.

Und das kommt an bei den Bürgern. Sie werden mitgenommen, einbezogen und nicht regiert. Der Nachteil dieser Konsens-Politik: Alle Veränderungen werden sehr lange dauern. Und will man das Konsensprinzip durchhalten, wird es fast unmöglich, kontroverse, strittige Entscheidungen gegen den Willen lauter Minderheiten durchzusetzen. Aber das ist ja auch nicht mehr gewollt. Man macht es sich gemütlich in diesem Land. Balu der Bär wird zum neuen Wappentier. Und Balu würde grün wählen.

Der Ruhrpilot

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Anschlag von Tucson: der Kampf um die Deutungshoheit

 

  

Jared Loughner

 

Vater unser im Himmel, geheiligt werde Dein Name. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe, wie in Amerika so auch hier. Führe uns nicht in die Irre, sondern erlöse uns von den Bösen, sprich: von den politisch Andersdenkenden. Gib nicht ihnen die Deutungshoheit über Deine unergründlichen Wege, sondern uns! Und führe uns nicht in Versuchung, uns zu diesem Zweck einfach irgendetwas zusammenspinnen zu müssen, sondern liefere uns zwecks Preisung Deiner Herrlichkeit in Ewigkeit stichhaltige Belege, auf dass wir nicht so ratlos dastehen mögen, wenn wieder einmal etwas passiert, was Du doch auch nicht gewollt haben kannst.  

Aber Gott antwortete nicht. Denn es entsprang, auch wenn Fred Phelps von der  Westboro Baptist Church dies anders sehen mag, nicht seinem Willen, was sich am letzten Samstag auf dem Supermarkt-Parkplatz in Tucson / Arizona zugetragen hatte, sondern dem Willen eines gewissen Jared Loughner. Er streckte bekanntlich die demokratische Kongressabgeordnete Gabrielle Giffords mit einem Kopfschuss nieder und schoss danach noch wild um sich. Entgegen ursprünglicher Meldungen der Polizei handelt es sich bei ihm offenbar um einen Einzeltäter, der entgegen meiner ursprünglichen Annahme jegliche Aussage über seine Motive verweigert.  

Da selbst Gott den Leuten nur vor den Kopf gucken kann, jedoch nicht in ihn hinein, bleibt zum jetzigen Zeitpunkt nur festzuhalten: unser Vater im Himmel weiß nicht, was das Motiv für Loughners Tat war. Und da es nicht einmal der Allmächtige weiß, wissen wir es schon gar nicht. Der einzige, der es wissen könnte, wäre der 22-jährige Jared Loughner. Aber der junge Mörder ist zweifellos – was recht früh klar war – verwirrt, allerdings auch – was erst bei seiner richterlichen Anhörung zweifelsfrei klar wurde – bei klarem Verstand. Wiederholt hatte Loughner in seinen – in aller Regel recht wirren – Internettexten auf das verfassungsmäßig garantierte Aussageverweigerungsrecht hingewiesen.  

Verwirrt, aber bei klarem Verstand – was auch immer unter diesen Umständen von seiner Motivlage zu halten ist, eines seiner vermutlich wirr miteinander verwobenen Tatmotive lebt Loughner in seiner gegenwärtig extrem unkomfortablen Situation konsequent aus: den größenwahnsinnigen Willen nach weltweiter Aufmerksamkeit. In den USA ist, wie es auf stern.de heißt, mittlerweile ein „Bürgerkrieg der Worte“ entbrannt, während hierzulande gerade eher linke und liberale Medien sich eifrig darum bemühen, nicht in den Verdacht zu geraten, das Blutbad von Tucson für ihre politische Agenda instrumentalisieren zu wollen. Hier auf den Ruhrbaronen legen konservative Kommentatoren Wert auf die Feststellung, dass es zwischen dem Attentat von Tucson und der Tea Party keineswegs eine geradlinige Verbindung gibt.  

Im Tagesspiegel warnt Malte Lehming vor „schnellen Urteilen“ über „die perfide Tat“, bei Telepolis weist Peter Mühlbauer darauf hin, dass „Literaturlisten nur bedingt etwas über Attentäter aussagen“, und Bernd Pickert regelt in der taz auch gleich noch den korrekten Sprachgebrauch: „Die Legende vom Attentat“, so der Titel seines Beitrags; Unterüberschrift: „Debatte nach Amoklauf in Arizona“. Also Amoklauf statt Attentat; denn, so Pickert, „was Loughner hingegen am Samstag angerichtet hat, erinnert mehr an die Schulmassaker der jüngsten Zeit seit Columbine als an das klassische politische Attentat“. Und deshalb sei es „ein billiger Reflex, jetzt eine direkte Linie von dieser Art aggressiver Rhetorik (der Tea Party, W.J.) zu Jared L. Loughners Massaker zu ziehen“.  

Es ist freilich nichts weiter als Rhetorik, wenn Pickert in der taz eine direkte Linie ausmacht, die wer auch immer zu ziehen gedenkt. Und es ist richtig, was auch immer die Motivforschung noch ergeben wird: von einem wie Loughner lassen sich in einer seriösen Argumentation keine direkten Linien ziehen. Alles andere ist falsch: was am Samstag in Arizona passiert ist, war nicht etwa ein Amoklauf statt eines Attentats, sondern ein Massaker und ein Attentat, oder: ein Massaker nach einem Attentat. Ich räume ein, dass es nicht ganz unüblich ist, ein geplantes Massaker als Amoklauf zu bezeichnen. Betrachten Sie diese feine Unterscheidung als Wortklauberei; wichtig ist aber, dass nicht nur das wahllose Abschlachten unbeteiligter Menschen geplant war, sondern auch der gezielte Anschlag auf Gabrielle Giffords.  

Warum wird versucht, dieses Attentat semantisch gleichsam ungeschehen zu machen? Oder dort, wo man nicht so weit zu gehen bereit ist wie in der taz, es als ein Attentat von der Art der Anschläge auf Oskar Lafontaine (1990) und Wolfgang Schäuble darzustellen? Pickerts Spekulation, Loughner habe von der Hetzkampagne der Tea Party gar nichts mitbekommen, ist hanebüchen; seine Schüsse auf Gabrielle Giffords waren nicht nur genauestens geplant, sondern auch politisch motiviert. Letzten Samstag ereignete sich in Tucson der erste politisch motivierte Mordanschlag auf einen US-Bundespolitiker seit 30 Jahren. Warum bringt die taz einen Artikel, der diese Tatsache mit semantischen Spielereien wegdrücken will?  

Warum wird in Sachen Motivforschung überhaupt so einseitig „ermittelt“? Warum werden die Hinweise des US-Heimatschutzministeriums nicht erwähnt, dass Jared Lee Loughner Verbindungen zu einer antisemitischen Gruppe hatte? Sie waren doch recht leicht zu finden – zum Beispiel auf Wikipedia. Warum wird nicht erwähnt, dass untersucht wird, ob Loughner Verbindungen zu rechtsextremistischen Gruppen hatte? Ist auch der britische Guardian nicht seriös genug, als dass sich lohnte, dies zu erwähnen? Dass Loughners Denken alle Ingredienzien eines Tea-Party-Mitglieds aufweist, wie News One for Black America schreibt? Hat etwa der Glaubenskrieg um die Deutungshoheit über das Attentat von Tucson aus dem atmosphärisch vergifteten Amerika bereits auf das behagliche konsensdemokratische Deutschland übergegriffen?  

Es ist zu früh, um auf diese Frage eine politisch befriedigende Antwort geben zu können. Dass es auch hierzulande Interessen gibt, einen aggressiven Rechtspopulismus à la Tea Party hoffähig zu machen, steht außer Frage. Bei den hier zitierten seriösen Medien ist davon auszugehen, dass schlicht der Grundkonsens darüber verteidigt werden soll, dass es unzulässig ist, ein Blutbad für die eigene politische Agenda zu instrumentalisieren. Das Infragestellen eines Zusammenhangs zwischen der aggressiven Tea-Party-Rhetorik und dem Anschlag vom 8. Januar bedeutet in aller Konsequenz jedoch auch, die politische Bewertung des Anschlags von Tucson dem Täter zu überlassen. Das aber ist absurd, ob Loughner nun ein unpolitischer oder ein rechtsradikaler Spinner ist.  



NRW-Wissenschaftsministerin Schulze: „Wir müssen mehr in der Breite fördern“

Interview mit der nordrhein-westfälischen Wissenschaftsministerin Svenja Schulze. Sie ist seit Juli 2010 Mitglied der rot-grünen Landesregierung.

Das „Templiner Manifest“ der GEW formuliert Eckpunkte für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen an Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Was wollen Sie dazu beitragen?

Wir haben bereits eine Arbeitsgruppe eingerichtet, an der die GEW und mein Ministerium beteiligt sind. Darin klären wir, welches die konkreten Hebel eines Landesgesetzgebers sind, um die Beschäftigung an den Hochschulen zu verbessern. Der erste Hebel ist das Landespersonalvertretungsgesetz. Dort nehmen wir die wissenschaftlichen Mitarbeiter mit auf und weiten den Vertretungsanspruch an den Hochschulen wieder aus. Allerdings haben wir auf Landesebene durch die Hochschulautonomie nur begrenzte Möglichkeiten einzugreifen.

Die Autonomie der Hochschulen erschwert also Ihre Arbeit?

Ich stehe zur Hochschulautonomie, ganz klar. Niemand will an der Wissenschaftsfreiheit rütteln und natürlich auch nicht an der Autonomie der Hochschulen. Die NRW-Hochschulen bekommen pro Jahr drei Milliarden Euro Steuergelder. Es muss eine stärkere Diskussion darüber geben, wofür diese Mittel verwendet werden. Wir brauchen Leitplanken.

In den letzten Jahren wurde über viele Wettbewerbe vor allem die Exzellenz an den Hochschulen gefördert. Gut so?

Ich bin davon überzeugt, dass Exzellenz nur entstehen kann, wenn man auch die notwendige Breite hat. Man braucht eine Basis, auf der die Spitze stehen kann. In der Breite muss mehr gefördert werden, zurzeit wird zu einseitig auf Exzellenz gesetzt. Und wichtig ist auch, die Förderung nicht nur an kurzfristigen wirtschaftlichen Interessen auszurichten, sondern die gesellschaftliche Verantwortung der Hochschulen zu stärken.
Wir wollen zum Beispiel unsere Industrie ökologisch umbauen und immer mehr erneuerbare Energie erzeugen und nutzen. Um das zu schaffen, brauchen wir auch Forschung, die sich heute noch nicht rechnet. Der Markt ist bei sozialen und ökologischen Fragen blind. Deshalb ist nicht zuletzt die Aufgabe von öffentlich geförderter Forschung, Lösungen für diese Fragen zu finden. Das Land will dafür gemeinsam mit den Hochschulen Verantwortung übernehmen.

Was tun Sie, um die Breite stärker zu fördern und mehr Menschen für ein Studium zu gewinnen?

Wir schaffen zum kommenden Wintersemester die Studiengebühren ab. Damit senken wir eine entscheidende Hürde, die den Hochschulzugang erschwert hat. Außerdem wollen wir die Hochschulen öffnen für Menschen mit beruflicher Qualifikation. Und wir wollen durch die Änderung des Hochschulgesetzes mehr Demokratie an den Hochschulen einführen. In den nächsten Monaten werden wir mit allen Beteiligten darüber diskutieren und gemeinsame Eckpunkte entwickeln.

Wie wollen Sie den Wegfall der Studiengebühren kompensieren?

Es geht um 249 Millionen Euro, die den Hochschulen aus Landesmitteln ersetzt werden. Das machen wir nach dem Leitmotiv „Das Geld folgt den Studierenden“, das heißt, auch die Hochschulen, die bislang auf Studiengebühren verzichtet haben, erhalten entsprechend ihrer Studierendenzahl Kompensationsmittel. Über die Mittelverwendung vor Ort entscheiden Kommissionen, die zur Hälfte mit Studierenden besetzt sein werden.

Wie sieht die Öffnung der Hochschulen konkret aus?

Wir müssen die Hochschulen zugänglich und attraktiv machen für Menschen, die bisher zu selten studieren. Es gibt immer noch zu wenig junge Frauen, es gibt zu wenig Studierende mit Migrationshintergrund, zu wenige Arbeiterkinder sowieso. Der Zugang für Menschen ohne Abitur, aber mit beruflicher Qualifikation soll erleichtert werden. Für all das brauchen wir neue und flexible Eingangsphasen ins Studium. Zurzeit entwickeln wir mit den Hochschulen ein Konzept dazu. Durch die Fernuni Hagen gibt es in NRW bereits wertvolle Erfahrungen, die wir nutzen wollen. Wenn man Berufstätige an die Hochschule holen will, muss zum Beispiel auch ein Teilzeitstudium möglich sein.

Wollen Sie an der Trennung von Universitäten und Fachhochschulen etwas ändern?

Auf Landesebene sind die Spielräume hier sehr klein. Allerdings denke ich auch, dass sich die Hochschullandschaft künftig weniger als noch heute an dieser Trennlinie orientieren wird. Das spezifische Profil einer Hochschule wird immer wichtiger. Die Universität Duisburg-Essen hat zum Beispiel vierzig Prozent Studierende aus hochschulfernen Schichten und ist gleichzeitig sehr forschungsstark. In dieser Konstellation ist das schon sehr ungewöhnlich und zeichnet die Uni aus. Ein anderes Beispiel ist die FH Aachen am Standort Jülich. Dort gibt es einen hervorragenden Campus mit sehr guter Studierendenbetreuung und ideale interdisziplinäre Forschungsbedingungen, die Forscherinnen und Forscher aus ganz Europa anlocken.

Studierende und GEW kritisieren am Bolognaprozess u. a. die extreme Leistungsverdichtung und Verschulung. Was tun Sie, um das Studium wieder studierbar zu machen?

Im Bolognaprozess sind zum Teil die Ziele aus dem Blick geraten, es wurden Lehrpläne zusammengeschraubt, die nicht funktionieren. Da muss man nachbessern und auch entschlacken. Einige Hochschulen sind bereits dabei. Als Ministerium begleiten und unterstützen wir das. Außerdem rücken wir die Qualität der Lehre mehr in den Mittelpunkt und werden dem Parlament regelmäßig einen Qualitätsbericht vorlegen. Es geht dabei nicht um Zahlenfriedhöfe, sondern um kontinuierliche qualitative Begleitforschung.

Was bedeutet Bologna für die Lehrerausbildung?

Die Lehrerausbildung ist nun auch gestuft in Bachelor und Master. Gemeinsam mit dem Schulministerium sind wir gerade dabei, das Lehrerausbildungsgesetz umzusetzen und dafür zu sorgen, dass das sinnvoll geschieht. Wer unterrichten will, wird schließlich nicht Bachelor-Lehrer, sondern braucht auf jeden Fall den Masterabschluss.

Sie machen offizielle Hochschulbesuche nur, wenn Sie auch mit dem AStA sprechen können. Warum?

So bekomme ich die verschiedenen Sichtweisen am besten mit, das Gesamtbild wird dadurch runder. Es ist schließlich ein Unterschied, ob man eine Hochschule leitet oder dort studiert. Oft sprechen beide Seiten über die gleichen Themen, aber mit anderen Schwerpunkten. Dieser Austausch kostet vielleicht am Anfang etwas mehr Zeit, aber am Ende spart man Zeit, weil es weniger Widerstände gibt, wenn man alle Beteiligten von Beginn an einbezieht.

Das Interview erschien in der Ausgabe 1/2011 des GEW-Magazins „Erziehung und Wissenschaft“.

Wo ist Martin Kaysh?

Seit Monaten erscheint hier jeden Dienstag eine Kolumne von Marin Kaysh. Heute nicht. Und das hat einen Grund.

Martin Kaysh führt ein Doppelleben. Er ist nicht nur ein Mitglied unseres Blogs, sondern auch noch Kabarettist. Kaysh ist der Steiger beim Geierabend, der Ruhrgebiets-Karnevalsveranstaltung die ab Donnerstag bis zum 8. März auf Zeche Zollern II/IV in Dortmund stattfindet. Und da ist jetzt, so wenige Tage vor der Premiere, viel Arbeit. Proben und so. Ein paar wenige Karten gibt es noch, aber wer hingehen will, sollte sich beeilen. Denn auch beim Geierabend gilt: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.

Ein besonderer Höhepunkt ist die Verleihung des Pannekopps – des schwersten Karnevalsordens der Welt. Gut 20 Kilo Schrott bekommt der Preisträger um den Hals gehängt. Bislang hat erst einer den Orden persönlich abgeholt: Franz Josef Drabig, der Chef der Dortmunder SPD. Ein Mann mit Humor.

Also: Hingehen und beten, dass alles gut geht und Martin am nächsten Dienstag gut gelaunt wieder einen Text abliefert.

Kopten wollen keine Schutzbefohlenen sein

Boules Shehata

Am vergangenen Donnerstag feierten die koptischen Christen in Nordrhein-Westfalen unter Polizeischutz das Weihnachtsfest.

Schon lange bevor der eigentliche Weihnachtsgottesdienst begann, hatten sie sich versammelt. Ein gutes Dutzend koptischer Gläubiger war in der St. Maria Kirche in Düsseldorf Grafenberg zusammen gekommen, um zu beten. Der Hauptraum der schmucklosen ehemaligen evangelischen Kirche ist mit Ikonen verziert. Es riecht nach Weihrauch. Liturgischer Gesang erfüllt den Raum. Heute wird es voll werden, voller als sonst. Da ist sich Habib Reda, der Geschäftsführer der Gemeinde sicher: „Wir werden heute ein starkes Zeichen der Solidarität erleben. Es werden nicht nur koptische Gläubige kommen sondern auch viele Menschen, die nach dem Anschlag in Ägypten ein Zeichen der Solidarität mit den Kopten setzen wollen.“

21 Kopten starben am 1. Januar nach dem Besuch einer Messe in Alexandria durch einen Bombenanschlag. Die Attentäter kamen wohl aus dem Umfeld der islamistischen Terrororganisation Al Qaida. Es war der größte Terroranschlag auf Kopten in Ägypten seit 2000, als im Süden des Landes ebenfalls 21 Christen getötet wurden.

Doch auch Abseits solch spektakulärer Anschläge werden die koptischen Christen in Ägypten, die bis zu 10 Prozent der Bevölkerung der 80 Millionen Einwohner des Landes stellen, von Verfolgung und Diskriminierung geprägt. Anschläge auf Kopten und ihre Kirchen gehören in Ägypten seit Jahrzehnten zum Alltag. Häufig werden sie von der Polizei nicht einmal geahndet.

In Ägypten, in dem der Islam Staatsreligion ist, haben Kopten zudem immer schlechtere berufliche Chancen. Viele von ihnen leben am Existenzminimum. Im Staatsdienst, der in Ägypten stark aufgebläht ist und vielen Menschen das Einkommen garantiert, haben sie kaum eine Aufstiegsmöglichkeit.

Dabei sind die Kopten die Nachfahren der alten Ägypter. Ihre Sprache, die heute nur noch selten gesprochen wird, ging aus dem Ägyptisch der Pharaonen hervor. Ägypten, das war wie Syrien oder Jordanien, das Kernland des Christentums. Lange bevor Europa christianisiert wurde, hatten sich dort bereits christliche Gemeinden gebildet. Die Geschichte der Kopten geht bis auf das erste Jahrhundert nach Christus zurück. Als Gründer der Kirche gilt der Evangelist Markus, der auch der erste Bischof von Alexandria war.

Die fast zwei Jahrtausende alte christliche Tradition hält militante Islamisten jedoch nicht davon ab, die christlichen Ägypter zu verfolgen und es ist längst nicht nur Al Qaida, die Hatz auf sie macht. Auch in den normalen Moscheen sind Hasspredigten gegen Christen keine Seltenheit. Und die Verfolgung endet nicht an der Landesgrenze. Auch in Deutschland und in anderen Staaten werden die Kopten von Islamisten bedroht. Und so fand auch die Weihnachtsfeier in Düsseldorf wie überall in Deutschland unter Polizeischutz statt. Am Eingang wurden die Besucher kontrolliert. „Angst“, sagt der Geschäftsführer der Gemeinde Reda, „haben wir nicht, aber es ist bedrückend, wenn man, nur um einen Gottesdienst zu feiern, Sicherheitsvorkehrungen treffen muss.“

Und seine Tochter Sofie ergänzt: „Auf der einen Seite freue ich mich, weil Weihnachten ist. Auf der anderen Seite bin ich unendlich traurig wegen der vielen Menschen, die in Alexandria gestorben sind. Dieses Jahr feiern wir ein trauriges Weihnachtsfest.“

Von der Trauer vieler Kopten um ihre ermordeten Glaubensbrüder und -schwestern weiß auch der Pfarrer der Gemeinde, Boules Shehata. Wie er haben viele Mitglieder seiner Gemeinde ägyptische Wurzeln oder sind mit Ägyptern verwandt. Sie stellen, noch vor Eritreern und Sudanesen den größten Teil der geschätzten 6.000 Kopten in Deutschland.

Seit 1987 lebt Shehata in Düsseldorf. Er kam als junger Priester nach Deutschland, um die Gemeinde zu leiten.

„Viele aus der Gemeinde machen sich heute große Sorgen um ihre Freunde und Verwandten in Ägypten. Der Terror gegen die Kopten hat seit den späten 70er Jahren immer mehr zugenommen. Probleme gab es zwar auch vorher schon, aber es war kein Vergleich zu heute. Früher lebten wir Kopten halbwegs friedlich mit den Muslimen zusammen. Diese Zeit ist vorbei. Die Unterdrückung nimmt immer weiter zu.“

Und das nicht nur in Ägypten. Im ganzen arabischen Raum ist es für die Mitglieder der zum Teil  uralten christlichen Gemeinden immer schwerer geworden, zu leben. Radikale Islamisten haben sich die Vetreibung der Christen auf ihre Fahnen geschrieben, und die autoritären Regime der Region lassen sie aus Angst um ihr eigenes Überleben immer häufiger gewähren.

Auch in Deutschland hätten die Kopten in der Vergangenheit viele Probleme gehabt. Koptische Ägypter, die in Deutschland wegen der religiösen Verfolgung Asyl wollten, wurden in der Regel abgewiesen. „Die Behörden erklärten, in Ägypten bestehe Religionsfreiheit.“ Bei Mitgliedern der in Ägypten verbotenen Muslimbrüder hätte sich Deutschland indes, was die Anerkennung von Asylanträgen betraf, immer großzügiger gezeigt.

Die in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts gegründeten Muslimbrüder gelten als Begründer des modernen Islamismus. Ihr Vordenker, der Ägypter Sayyid Qutb, war zugleich der Inspirator islamistischer Terrorgruppen auf der ganzen Welt.

Doch Pfarrer Boules Shehata will nicht, dass die Kopten Ägypten verlassen. „Wir sind Ägypter, wir gehören in dieses Land und es muss auch weiterhin Christen in Ägypten geben.“ Jesus habe dort nach seiner Flucht aus Israel gelebt. Es gibt viele Heilige Stätten. „Sollen wir das alles aufgeben? Ich kann verstehen, wenn viele Kopten es in Ägypten nicht mehr aushalten und fliehen, aber das Ziel muss doch sein, dass wir dort als gleichberechtigte Bürger leben können. Ohne Diskriminierung und ohne Angst. Wir wollen auch keine Schutzbefohlenen sein.“ Schutzbefohlene, Dhimmis,  nicht gleichberechtige Partner auf Augenhöhe, ist der rechtliche Rang den der Islam Christen und Juden zugesteht.  Zumal es eine Illusion sei, dass Kopten in Deutschland ohne jede Sorge leben würden: „Unsere Kinder werden von ihren islamischen Klassenkameraden auch an deutschen Schulen beschimpft und bedroht. Sicher, die Lage ist mit der in Ägypten nicht zu vergleichen, aber es ist auch hier nicht immer einfach, ein Kopte zu sein und zum Glauben zu stehen.“ Auf Anfrage der Welt am Sonntag erklärte die Landesregierung, von solchen Vorkommnissen in NRW keine Kenntnis zu haben.

Aber es gibt bei aller Trauer um die Toten von Alexandria und die Bedrohung der Gemeinden im Ausland auch Zeichen der Hoffnung. In den Niederlanden haben such Muslime angeboten, die koptischen Gemeinden zu beschützen, und auch in Düsseldorf gab es am Donnerstag Zeichen der Solidarität. Aus anderen christlichen Gemeinden kamen Gläubige in die St. Maria Kirche um gemeinsam mit den Kopten das Weihnachtsfest zu begehen. Vom Zentralrat der Muslime kam der Vorsitzende, Aiman A. Mazyek gemeinsam mit seiner Frau und drei weiteren Vertretern nach Düsseldorf. Ganze Busladungen an gläubigen Muslimen hätte er zum Gottesdienst mitbringen können, allerdings sei ihm gesagt worden, wegen des hohen Andrangs könnten nur fünf Plätze für Abgesandte des Zentralrats bereit gestellt werden.

Mazyek: „Wir sind hier, um zu zeigen, dass die Terroristen gescheitert sind. Ihr Ziel war es, mit dem Anschlag auf die Kopten in Alexandria einen Keil zwischen die Religionen zu treiben. Das ist ihnen nicht gelungen.“

Das Verhältnis der Muslime zu den Kopten sei zudem traditionell ein besonderes: „Mitglieder der ersten Gemeinde Mohammeds in Mekka flohen noch zu seinen Lebzeiten nach Äthiopien und wurden  dort von den Kopten aufgenommen und geschützt. Das haben und werden wir nie vergessen.“

In Folge der Aufnahme wurden die äthiopischen Kopten von Mohammed persönlich vom Dschihad ausgenommen – gegen sie durfte kein heiliger Krieg geführt werden. Zu blutigen Kriegen kam es bei der islamischen Expansion nach Äthiopien hinein später trotzdem.

Mazyek sprach sich für einen Bestand der koptischen Gemeinden in Ägypten aus: „Die Kopten sind unsere Brüder und Schwestern. Natürlich haben sie wie jeder ein Recht, ihren Glauben zu leben.“

Auf die Frage, ob denn die koptischen Brüder und Schwestern wirklich gleich berechtigt sein sollten, wie es auch Shehata fordert, und nicht nur Schutzbefohlene, antwortet der eloquente Islamfunktionär, der auch Delegierter der alljährlich in Kairo von der ägyptischen Regierung ausgerichteten internationalen Islamkonferenz ist, ausweichend. Die Frage nach der Rolle der Schutzbefohlenen im Islam sei rechtlich  kompliziert und ihre Beantwortung schwierig. Aber ja, in einem Land wie Ägypten, das sich arabische Republik nennt, gäbe es zur vollständigen Gleichberechtigung keine Alternative.

Der Artikel erschien in ähnlicher Form bereits in der Welt am Sonntag



Der Ruhrpilot

Ruhr2010: Was vom Jahre übrig blieb…Der Westen

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Terror in der Nachbarschaft – Brandanschlag auf die Moschee in Berlin-Wilmersdorf

Berlin, Wilmersdorfer Moschee, Brienner Straße Foto: Axel Mauruszat

Der siebte Brandanschlag auf Berliner Moscheen innerhalb weniger Monate lässt die Ermittler ratlos zurück. Von Andreas Lichte.

Yasir Aziz, 27, geboren in Pakistan, studiert in Schweden. Vor einem Monat kommt er nach Berlin, um in Ruhe an seinen Masterabschlüssen in Marketing und in Weltpolitik – Spezialisierung in Menschenrechten – zu arbeiten. Am Samstag, 8. Januar 2011, um 1:45 Uhr nachts, ist es mit Ruhe und Menschenrechten vorbei, Aziz sagt:

„Ich arbeitete gerade am Computer, als ich lautes Knallen hörte. Zuerst dachte ich: »vielleicht die Sicherungen, ein Kurzschluss«, aber dann schaute ich aus dem Fenster und sah das Feuer vor der Tür.“

„Die Tür“ ist die Tür zum Wohnhaus des Imam, direkt neben der Moschee. Dort ist Aziz für 2 Monate zu Gast.

Aziz ruft die Polizei, und versucht selber das Feuer zu löschen. Die Polizei-Streife, die schon nach 3 Minuten da ist, kann mit ihrem Feuerlöscher den Brand der Haustür erfolgreich bekämpfen.

Aziz sagt: „Ich war geschockt.“ Was wäre passiert, wenn er geschlafen hätte, und die Polizei nicht so schnell am Einsatzort gewesen wäre? Aziz: „Wenn es erst einmal brennt, dann gibt es für das Feuer keine Grenzen mehr. Von der Tür hätte das Feuer leicht auf die Holzfenster darüber übergreifen können …“

Und auch die Kriminalpolizei nimmt den Anschlag ernst, untersucht 5 Stunden lang den Tatort, obwohl der Brandsatz dilettantisch aus Gaskartuschen, Spiritusflaschen und Silvesterböllern gebastelt war. Der Hintergrund, die Berliner Morgenpost schreibt:

„Schon von Juni bis Dezember 2010 hatte die Polizei in Berlin insgesamt sechs Brandanschläge auf islamische Einrichtungen registriert. Im Juni, zweimal im August und im November war die Sehitlik-Moschee am Columbiadamm Ziel gewesen. Weitere Anschläge wurden im November auf die Neuköllner Al-Nur Moschee und im Dezember auf ein islamisches Kulturzentrum in Tempelhof verübt.“

Also sagt ein Polizeisprecher zum Fall der Wilmersdorfer Moschee: „Ob ein Zusammenhang mit Brandanschlägen oder versuchten Brandanschlägen auf Moscheen in der Vergangenheit besteht, wird derzeit geprüft.“

Ich wohne in Sichtweite der Ahmadiyya-Moschee, der unter Denkmalschutz stehenden, ältesten Moschee Deutschlands in Berlin-Wilmersdorf. Ich liebe ihre Architektur: Ein UFO in der biederen Villen- und Reihenhausbebauung.

Im Winter letzten Jahres kam ich abends nach Hause, der Feuerwehr-Grosseinsatz war nicht zu übersehen, die Strasse war gesperrt. Mein erster Gedanke: „Die Moschee!“ Nein, damals war es nur ein Wohnhaus in ihrer Nähe. Aber was ist da los, dass ich jederzeit mit einem Anschlag rechnete?

Und das war noch bevor „Deutschland schafft sich ab“ des geistigen Brandstifters Thilo Sarrazin das ganze Land in Hysterie versetzte.