Weniger Geld für das Klavierfestival Ruhr?

Foto: Klavierfestival Ruhr

Der Initiativkreis Ruhr (IR) will sich künftig  wieder auf die wirtschaftliche Stärkung des Ruhrgebiets konzentrieren. Für Kulturveranstaltungen wie das Klavierfestival Ruhr wird weniger Geld zur Verfügung stehen.  Das Festival soll in eine Stiftung überführt werden.

Für das Klavierfestival Ruhr könnten harte Zeiten anbrechen: Während der Initiativkreis Ruhr künftig verstärkt auf Projekte wie Innovation City geht, bei denen Co2 Reduzierung und Energiesparen im Vordergrund stehen. Schon im vergangenen Winter hatte sich der Strategiewechsel angekündigt. Der Evonik Vorstandsvorsitzender Klaus Engel hatte damals in einem Brief die hohen Ausgaben für das Klavierfestival kritisiert. Mit denen könnte es künftig vorbei sein.

Ein Stiftungsmodells soll dem  Klavierfestival Ruhr eine Zukunft unabhängig vom IR ermöglichen. Zumindest organisatorisch. Denn finanziell wird das Festival auf absehbare Zeit vom IR abhängig bleiben, auch wenn dessen Zuschüsse von heute 1,2 Millionen Euro auf 630.000 Euro im Jahr 2016 um gut die Hälfte schrumpfen sollen. Ein Aderlass, der kaum von der geplanten Stiftung aufgefangen werden kann: Die soll bis 2016 ein Stiftungskapital von 1.000.000 Euro anhäufen – Zinsen in Höhe von gut 25.000 Euro stünden dem Klavierfestival damit zur Verfügung.

Allerdings soll die Stiftung künftig das Sagen haben. Für den amtierenden Moderator des Initiativkreises, Wulf Bernotat, kein Problem: „Für uns ist es wichtig, dass das Klavierfestival erhalten bleibt. Die Frage, wer wo was zu sagen hat, ist für mich nebenrangig.“

Die Stiftung soll nach dem ersten Stiftungsmodell vom Initiativkreis die Markenrechte am Klavierfestival übertragen bekommen. Eine noch zu gründende Sponsoring GmbH soll sich um die weitere Finanzierung des Klavierfestivals durch Fundraising, Sponsoring und Merchandising kümmern. Der Stiftungsrat soll aus Mitgliedern des geschäftsführenden Arbeitskreises des Initiativkreises, dessen Moderator sowie dem Vorsitzenden des Vereins der Freunde und Förderer des Klavierfestivals Ruhr bestehen. Die Zahl der Konzerte soll von 66 2010 schon im kommenden Jahr auf 50 Veranstaltungen zurückgehen.

Nicht alle im IR sind mit dem vorgeschlagenen Konstrukt einverstanden. Eine Beurteilung des Stiftungskonstruktes durch die Essener Anwaltskanzlei Kümmerlein wirft Fragen auf: Zum Beispiel, wieso Mitglieder des geschäftsführenden Arbeitskreises fünf Jahre im Stiftungsvorstand sein können, wenn sie wesentlich früher aus dem Arbeitskreis hinausrotieren. Oder wie man bis zum Jahresende die Finanzierung des Klavierfestivals, die Gründung der Stiftung und die finanzielle Grundausstattung der Sponsoring GmbH stemmen will.

Der Stiftungsplan hat nicht nur Freunde. „Das ist“, sagt ein Kritiker aus dem Umfeld des Klavierfestivals, „vor allem eine Absicherung für Franz Xaver Ohnesorg. Der ist dann im Vorstand der Stiftung und Geschäftsführer der GmbH und kann machen, was er will.“

Ohnesorg sieht das anders. Für den Intendanten ist die Konzertreihe einer der größten Erfolge des Initiativkreises und das Stiftungsmodell der beste Weg es zu sichern. Er strebt im kommenden Jahr mehr als die veranschlagten Konzerte an: „Der Stiftungsentwurf geht von einem Worst-Case-Szenario aus. Ich bin mir heute schon sicher, dass wir dem Publikum mehr als die dort beschriebenen 50 Konzerte bieten können.“

Die Diskussion um die Stiftung interessiert Franz Xaver Ohnesorg scheinbar nicht: „Das Klavierfestival Ruhr ist erfolgreich. Die Stiftungspläne sind gut ausgearbeitet, und der Initiativkreis ist bereit, dem Festival eine langfristige Perspektive zu bieten.“ Alles wird gut.

Der Artikel erschien bereits in ähnlicher Form in der Welt am Sonntag

Arte 3D-TV: „Bei Anruf Mord“ und „Der Schrecken vom Amazonas“

Der Schrecken des Amazonas Bildrechte: ZDF/Universal Pictures/Scotty WelbourneAm Samstag, den 28. August, ist „3D-Tag“ beim französisch-deutschen Kultursender Arte. Allerdings werden nicht Naturdokumentationen gezeigt – aber auch nicht die „Naturfilme“ von Russ Meyer.

Der „Intellektuellensender“ Arte hat meist ein deutlich besseres und interessanteres Programm als die klassischen öffentlich-rechtlichen Programmen zu bieten – von den kommerziellen Anbietern ganz zu schweigen, die sich seit „Tutti Frutti“ kontinuierlich weiter entwickelt haben – nach unten.

Seit einiger Zeit sendet Arte bereits in HD – und nun auch in 3D. Angenehmerweise benötigt man dazu dann keinen neuen Fernseher. Unangenehmerweise ist es dafür aber auch nur das uralte Farbbrillen-Verfahren.

3D ist ja etwas, das seit den 50ern immer mal wieder sporadisch hochkommt und nun gerade durch Avatar wieder im Gespräch ist. Ich erinnere mich noch, daß man sich in den 70ern beim Optiker Rot-Grün-Pappbrillen für eine Mark oder so abholen konnte, und dann wurden zwei 3D-Filme im Fernsehen gezeigt, und dann war es das auch schon wieder.

Eins hat sich geändert: Die Brillen sind heute rot-blau statt rot-grün. Anscheinend ist das eine Idee weniger unangenehm. Rot ist links (das weiß ja jeder) und braun blau rechts.

Bei Anruf Mord, Bildrechte: ZDF/Warner Bros./BetaWer das Arte-Magazin hat, bekommt eine Brille gratis. Soll die ganze Familie zuschauen, muß man entweder den Film aufnehmen und dann nacheinander ansehen – oder am 28.8., dem Arte-3D-Tag, eine – oder gar mehrere – BLÖD-Zeitung(en) erwerben. BLÖD ist nämlich Medienpartner von Arte geworden und enthält an diesem Tag eine Rot-Blau-Brille für die Arte-Filme.

Irgendwie absurd, ausgerechnet BLÖD und Arte zu kombinieren, aber vielleicht kommt der Sender ja so zu neuer Klientel. Der taz ist dagegen inzwischen wohl das Geld ausgegangen für eine Zusammenarbeit mit Arte und bei anderen alternativen Medien wie Telepolis machte sich ein Redakteur höchst unbeliebt, weil der Chef RTLs Hartz-IV-TV und Sendungen mit „Knastbrüdern, Menschen mit Migrationshintergrund (oje), Sexualität oder Drogen“ interessanter findet als so dröge Kulturprogramme.

Dröge Kultur wird übrigens nicht gezeigt am 3D-Tag, sondern kurz nach 20 Uhr Hitchcocks „Bei Anruf Mord“ (was dieser in 3D zeitlebens schrecklich fand) und kurz vor Mitternacht dann Jack Arnolds „Der Schrecken des Amazonas„. Da letzterer im Original nur schwarzweiß ist, ist das Farbbrillenverfahren hier kein Verlust. Und das Monster aus dem Amazonas natürlich noch etwas grusliger in rot-blau-3D. Die des öfteren in Arte spätnachts gezeigten „Naturfilme“ von Russ Meyer, die in ihrer Übertreibung ebenso lustig sind wie der „Schrecken vom Amazonas“, werden allerdings lieber doch nicht in 3D gezeigt: Man will den chronischen Berufsmeckerern ja keine Steilvorlage liefern.

Wer es mit seiner politischen Überzeugung absolut nicht vereinbaren kann, eine BLÖD-Zeitung käuflich zu erwerben oder wenigstens zu klauen, kann sich die 3D-Brille auch politisch korrekt selber basteln. Oder zwei von Arte gratis bekommen, wenn er schnell genug ist!

Bildrechte: ZDF/Universal/Warner Bros.

Später in Rente – später in die Altersarmut

Martin Kaysh Foto: Stadt Dortmund

„Die Rente mit 67 kommt später!“, hieß es gestern von der SPD. „Na super“, dachte ich mir, „wann denn, mit 82?“

Das wollen die Sozis nicht, sie wollen nur später anfangen mit dem länger arbeiten. Das muss man nicht verstehen. Bislang ist vereinbart: Ab 2012 steigt das Rentenalter erst um einen Monat, später um zwei Monate pro Jahr. Irgendwann steigt es wahrscheinlich um ein Jahr pro Jahr. Jüngere müssen dann mit Lichtgeschwindigkeit altern, um überhaupt noch das Rentenalter zu erreichen. Niemand sollte derzeit eine Wette darauf abschließen, wer länger arbeiten wird, man selbst oder das benachbarte Atomkraftwerk.

Zwar liegen die Kraftwerke derzeit knapp vorn. Aber parallel zur Laufzeitdebatte haben jetzt wirtschafsnahe Forschungsinstitute gefordert, mit der Rente mal schön bis zum 70. Geburtstag zu warten. Solche Einmischungen kennt man vom anderen Ende des Lebens, aus der Bildungsdiskussion. Da ereifert sich alle Welt an der neuesten PISA-Studie und denkt keine Sekunde daran, dass die von der OECD angefertigt wird, auch einer wirtschaftsnahen Institution. Wenn die Wirtschaft festlegt, was Bildung ist, warum ist der Vatikan nicht für das Ranking von youporn-Videos zuständig? Schließlich beschäftigt man sich dort seit Jahrhunderten professionell mit dem Thema Liebe.

Einschulung möglichst schon mit fünf Jahren, Turbo-Abi zwölf Jahre später, ohne störenden Kriegsdienst ab ins schnelle Bachelorstudium – da kommen künftig schnell für jeden vier Jahre Lebensarbeitszeit dazu. Das freut die Wirtschaft, und die Lehrer freut es teilweise. Wenn die Schüler künftig das G8-Gymnasium spätestens mit 18 Jahren verlassen, findet man endlich wieder einen Parkplatz direkt vor der Schule.
Auch bei der Rente sollten wir derart positiv denken. Später in Rente heißt auch: später in die Altersarmut. Unmöglich ist in diesem Bereich nichts. Möglich auch, dass irgendwann nach einer Neuberechnung, einem Regierungswechsel oder einer durchsoffenen Nacht des Fachministers die Rente mit 67 rückwirkend eingeführt wird. Zahlreiche Senioren gucken spätestens dann dumm aus der Wäsche, wenn der Rückzahlungsbescheid für die vergangenen zwei Jahre im Briefkasten landet. Vielleicht liegt der ein oder andere dann schon zwei Jahre auf Pflegestufe drei im Seniorenheim rum. Plötzlich kommt morgens der Zivi und schiebt ihn im Pflegebett auf Maloche. Gesucht werden dann Arbeitsplätze mit vorwiegend liegender Tätigkeit.

Schon lange warte ich auf den Clash Of Generations. Wenn in ein paar Jahren die Sterbehilfe erst einmal allgemein anerkannt ist, sollte in dem Zusammenhang auch dringend der Begriff „unheilbar krank“ neu definiert werden. Auf der anderen Seite machen dann Senioren die Rechnung auf, was da für den Nachwuchs sinnlos verpulvert wird, für Menschen also, die noch keinen Cent in die Sozialversicherung eingezahlt haben. Zahnspangen, pädagogisch wertvolles Kindertheater, Jugendknast, dazu jahrelang täglich die kostenlose Wurstscheibe an der Fleischtheke. Milliarden kommen da zusammen, von dem Geld könnte mancher Rentner sorglos vor sich hin dementieren.

Vielleicht gibt es dann in der Altersversorgung längst Wahltarife. Die Alternative zur Rente mit 67 wäre die Rente bis 78, interessant für alle, die schon in ihrer Jugend exzessiv notfalls selbst die Stoffe missbraucht haben, die man heute in einer deutschen Kneipe noch legal erwerben kann. Oder die Rente Kiew, mit garantierter Versorgung bis zum Lebensende, auf basalem Niveau. Wurden bislang die Pflegekräfte mehr oder minder legal aus Osteuropa importiert, könnten bald schon die Rentner exportiert werden, also ihren alten Arbeitsplätzen in den Osten folgen.

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Der Ruhrpilot

Loveparade: Stadt Duisburg ./. xtranews wird verhandelt…Law Blog

Loveparade II: Die Schlussstricher…Xtranews

Loveparade III: Gardinenpredigt…Mimi Müller

Loveparade IV: Brief einer trauernden Mutter…Der Westen

Loveparade V: Kein Zweifel…ComCologne

Netzneutralität: 15 Fakten über Netzneutralität…Netzpolitik

Netzneutralität II: Der Traum vom klassenlosen Internet ist ausgeträumt…Welt

Netzneutralität III: Die Kolonialmächte der Datenwolke…Carta

Ruhr2010: Reif für die Inseln…RP Online

SPD: Der Gelsenkirchener SPD-Politiker Joachim Poß vertritt Steinmeiner…Gelsenkirchen Blog

SPD II: Der Mensch Steinmeier…DL

Bochum: WAZ veröffentlicht komplette  Malmsheimer-Kritik…Der Westen

Dortmund: Envio kritisiert Vorgehen der Behörden…Ruhr Nachrichten

Dortmund II: Bereich vor Steinwache nicht für die Nazis…Der Westen

Bönen: Kik zahlt Mitarbeitern 7,50 Euro pro Stunde…Spiegel

Umland: Längste Museumslandschaft…Welt

Umland II: Was wird aus der Winterberger Kirmes?…Zoom

Aplle Time Maschine: Kleine Backup-Festplatte ohne Datenverlust durch größere Festplatte ersetzen…Pottblog

Offener Brief an den Bochumer Baurat

Zwischen Botanik und Urbanität. Der Bochumer Konzeptkünstler Matthias Schamp hat einen offenen Brief an den Bochumer Baurat Dr. Kratzsch geschrieben. Die Frage nach der öffentlichen Nutzung eines Brachgeländes wird gestellt. Auch geht es um Sommerflieder, schmalblättriges Weidenröschen, Jakobs-Greiskraut, kanadische Goldrute und Ackergauchheil. Das Zeugnis einer botanischen Leidenschaft. Der Brief in seinem vollständigen Wortlaut:

Offener Brief an Baurat Dr. Kratzsch wg. Einzäunung Brache neben Riffhalle, Bochum

Sehr geehrter Herr Dr. Kratzsch,

kürzlich hat die Stadt die zwischen Viktoriastraße und Bessemer Straße (neben der Riffhalle) gelegene Brache mit einem massiven Zaun unzugänglich gemacht. In der WAZ vom  31. Juli rechtfertigen Sie diese Maßnahme, die ich aus zweierlei Gründen für ein Ärgernis halte:

Zum einen hindert der Zaun völlig unnötigerweise die Bürger, das Gelände zu betreten und sich an seiner Pflanzen- und Tierwelt zu erfreuen.

Zum anderen ist er eine Geldverschwendung – für eine so klamme Kommune wie Bochum geradezu ein Schildbürgerstreich. Die dafür aufgewendete Summe (ich schätze zwischen 50 000 € und 100 000  €) ist im Grunde eine Verhöhnung jeder sozialen und kulturellen Initiative, die sich in den vergangenen Monaten wegen einer geringfügigen Summe an die Stadt gewandt hat und mit Hinweis auf die schlechte Haushaltslage abgewiesen wurde.

In dem genannten Artikel führen sie für die Maßnahme Gründe an, die ich für falsch oder wenig stichhaltig halte.

Sie verweisen auf eine Verschmutzung des Geländes. Dabei ist das Gelände vergleichsweise wenig verschmutzt – vermutlich weil eine Anfahrt nur öffentlich gut einsehbar über die Viktoriastraße erfolgt, so dass wildes Müllabladen riskant ist. Aber selbst wenn dem so wäre: Für die Summe, die der Zaun verschlungen hat, hätten in den nächsten 100 Jahren regelmäßig Säuberungen des Geländes durchgeführt werden können. Und auch ein Umkehrschluss sei erlaubt: Wenn man sämtliche ähnlich verschmutzte Stellen in Bochum derart weiträumig abriegelte, müsste man die Stadt dichtmachen.

Sie verweisen auf Drogenabhängige, die die Fläche genutzt haben. Tatsächlich liegen an einer nur schlecht zugänglichen Stelle Spritzen, wie sie sich z. B. auch im Kortum-, West- oder Stadtpark finden lassen. Doch durch die Abriegelung findet ja nicht weniger Drogenkonsum statt, sondern dieser wird lediglich an andere Stellen verlagert (und es bleibt zu hoffen, dass es sich dabei nicht um Hauseingänge oder Kinderspielplätze handelt). Wem das Los der Drogenabhängigen am Herzen liegt, der hätte die aufgewendete Summe besser der Drogenberatung zukommen lassen.

Das Betreten eines solchen Brachgeländes erfolgt eh auf eigene Gefahr. Insofern halte ich die Aussage „bei der Stadt liegt die Sicherungspflicht“ als Begründung für den Zaun für falsch, lasse mich aber gern eines Besseren belehren. Bitte nennen Sie mir in diesem Fall das entsprechende Regelwerk, das eine solche massive Baumaßnahme zwingend erforderlich macht.

Ihre Behauptung „Das Gelände wurde von Spaziergängern nicht genutzt“ ist falsch. Nicht nur ich bin regelmäßig alleine oder in Gesellschaft über das Gelände spaziert. Seit ich meinen Unmut über die Einzäunung öffentlich bekundet habe, haben sich bereits mehrere Bürger an mich gewandt, die ebenfalls den Erholungswert des Geländes für sich entdeckt hatten.

Das Gelände ist durch den niedrigen Bewuchs auf seiner Längsachse gut zu begehen. Es wachsen dort sehr schön u. a. Sommerflieder, schmalblättriges Weidenröschen, Jakobs-Greiskraut, kanadische Goldrute, Ackergauchheil, Nachtkerze, Königskerze, Johanniskraut, Neben typischen Pionierpflanzen für Ruderalflächen gibt es z. B. auch die blauflügelige Ödlandschrecke zu entdecken. Dies alles stellt in unmittelbarer Nähe zur Innenstadt einen immensen Freizeitwert dar, der grundlos zunichte gemacht wurde.

Als Bochumer Bürger und botanisch interessierter Mensch habe ich den Ort gern für meine Erholung genutzt. Doch auch als Wissenschaftler habe ich mich – u. a. in Zusammenhang mit Lehraufträgen an der Bauhausuniversität Weimar sowie am architektonischen Institut der TU Berlin – mit innerstädtischen Brachflächen beschäftigt. So haben  im Fachbereich Bildende Kunst, in dem ich tätig war, Architekturstudenten der TU Berlin 2009 in einem Seminar zum Thema „Brache“ den Freizeitwert derartiger Flächen erforscht und sind zu dem Ergebnis gekommen, das dieser tatsächlich sehr hoch ist.

Bitte geben Sie mir Auskunft über die genauen Kosten von Zaun und Montage und wer für die Entscheidung verantwortlich ist. Außerdem fordere ich, das Tor in Zukunft geöffnet zu lassen. Gern stehe ich für eine Führung zur Verfügung, um die Schönheit des Geländes vor Augen zu führen. Grade jetzt sind die Brombeeren reif!

Mit freundlichen Grüßen, Matthias Schamp

KiK-Stiftung in der Kritik

Der Textildiscounter KiK hat ein Imageproblem: Lohndumping, der rüde Umgang mit Mitarbeitern und die Arbeitsbedingungen in Zuliefererbetrieben in Bangladesh brachten das Unternehmen in den vergangenen Monaten immer wieder in die Schlagzeilen. Nun engagiert sich KiK über eine Stiftung im Ruhrgebiet für Kinder aus sozial schwachen Familien.

Kai-Uwe Lindloff, der Vorstandsvorsitzende der Stiftung Help and Hope, mag es nicht mehr hören: „Wir sind nicht die KiK-Stiftung. Uns gibt es seit 2005 und wir helfen Kindern in der ganzen Welt mit zahlreichen Projekten. KiK ist nur eines unserer Partnerunternehmen.“ Dafür, dass Help and Hope bis vor wenigen Monaten sein Büro auf dem KiK-Gelände in Bönen hatte, gab es ganz praktische Gründe: Keine Mietzahlungen. Und dass das Stiftungskapital in Höhe von 150.000 Euro 2005 von KiK kam, habe für die tägliche Arbeit der Stiftung längst keine Bedeutung mehr. Lindloff: „Wir haben heute über 30 Partnerunternehmen, die uns unterstützen.“ Dass die Stiftung eine PR-Maßnahme des „Textildiskonters“ ist, bestreitet der Stiftungschef: „Ich kenne die Menschen von KiK und weiß, dass sie ehrlich und sehr engagiert hinter unseren Zielen stehen.“ Das sieht Folkert Küpers, Gewerkschaftssekretär für den Bereich Handel bei Verdi in NRW anders: „Die Stiftung ist eine PR-Maßnahre und soll vergessen machen, dass KiK nach Feststellung des Landesarbeitsgerichts in Hamm sittenwidrige Löhne zahlt.“ Küpers arbeitet daran, dass gegen KiK ein Strafverfahren wegen Lohnwuchers eingeleitet wird.

Help and Hope will jungen Menschen aus sozial schwachen Familien helfen. Durch die Arbeit der Stiftung sollen sie bei schulischen und persönlichen Problemen unterstützt werden. Ziel ist es, ihnen Selbstvertrauen zu geben und sie fit zu machen für die Zeit nach der Schule. Dabei seien die Kontakte zu den Partnerunternehmen sehr hilfreich: „Durch unsere Kontakte zu unseren Partnern können wir bei der Suche nach Lehrstellen behilflich sein. Wir können den Jugendlichen klar machen, was von ihnen erwartet wird und uns für sie bei den Firmen einsetzen.“ Dass KiK ein guter Ausbildungsbetrieb ist, weiß Lindloff aus nächster Nähe: Seine Tochter geht dort in die Kaufmannslehre.

Diese Karriere soll künftig auch Kindern aus sozial schwachen Familien aus Herne und Dortmund offen stehen. „Wir starten im Ruhrgebiet, wo die sozialen Problem am größten sind“, sagt Lindloff.

In Herne eröffnet Help and Hope am 28. August seinen „Kidstreff“ in Herne. In Dortmund soll im Stadtteil Scharnhorst ein ganzes Help and Hope-Haus entstehen. Vorbild dafür ist die Jugendhilfeeinrichtung Arche in Berlin, der Kai-Uwe Lindloff lange vorstand. Ziel beider Eichrichtungen: Die Kids fit für den Arbeitsmarkt machen.

In Dortmund hielt sich die Freude über die Help and Hope Stiftung in Grenzen. Vor allem Sozialdemokraten, Grüne und Kirchenvertreter stießen sich daran, dass eine Stiftung für Kinder aus sozial schwachen Familien von Unternehmen wie KiK getragen wird, deren Angestellte aufgrund der Niedriglöhne nahezu automatisch zur betreuten Zielgruppe gehören.

Stiftungschef Lindloff kennt diese Kritik und nimmt sie ernst: „KiK steht unter Druck, und ich glaube, das Unternehmen hat die Botschaft verstanden. Die können doch gar nicht anders als sich zu ändern.“ Im Übrigen sei er dafür, dass jeder von seiner Arbeit vernünftig leben können muss. Für KiK-Mitarbeiter keine Selbstverständlichkeit.

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Abgeschossen: Kneipe muß wegen WDR-Gier nach 17 Jahren ihren Namen ändern

Tatort totDer WDR Köln ist bekannt für teure Prozesse mit millionenschweren Streitwerten um Namensrechte. Jetzt hat es eine beliebte und dennoch nicht vermögende Musikkneipe in Übach-Palenberg erwischt.

Wer selbst viel Geld verdient, in einem Jahr mehr als andere im ganzen Leben, bekommt dennoch nie genug.

Über Jahrzehnte gehen die Prozesse des WDR Köln um Namensrechte, einer der bekanntesten ging darum, einem Journalisten seine beruflichen und privaten E-Mails (erfolgreich) streitig zu machen. Doch mit massenweise als Marken eingetragenen Allgemeinbegriffen, ob nun Maus oder Monitor (nur die Tastatur scheint noch nicht auf den Kölner Sender reserviert zu sein), steht jeder Computerbenutzer bereits mit einem Bein im Gefängnis.

Was nicht im Internet steht, sondern nur in irgendwelchen kleinen Städchen, ist den geldgierigen Juristen des Senders oft entgangen. War ihnen bislang auch nicht so wichtig.

Doch nun ist die Musikkneipe „Tatort“ in Übach-Palenberg zum ebensolchen geworden: Der WDR Köln schießt nun scharf – einen „Tatort“ darf es nur im Fernsehen geben, aber nicht mehr in Übach-Palenberg. Auch eine Intervention des Bürgermeisters erbrachte nichts. Die Kneipe kann sich ja gefälligst nach dem Ort „Übach-Palenberger“ nennen. Da war „Outbaix“ noch besser, der neue Name, bei dem man extra überprüft hat, daß es ihn in Google noch nicht gibt – aber der WDR hat sich sicher trotzdem längst den Namen reserviert.

„Einige 1000 Euro“ wird die Umbenennung kosten. Viel für so eine Kneipe. Zumachen wäre wahrscheinlich billiger.

Um unsere Polizei vor Geldforderungen aus Köln zu schützen, wird nun auch darüber nachgedacht, statt „Tatort“ zukünftig „Lokation der Gewalteinwirkung“ als Umschreibung in den Polizeiakten zu benutzen…

Lyssenko lebt

Lenin-Ordensträger Lyssenkos Lehre lebt – in der Flora verworfen, in der Fauna bestätigt. Von unserem Gastautoren Ronald Milewski.

Am 20. November 1976 starb Trofim Denissowitsch Lyssenko, sowjetischer Agronom und Biologe, siebenfacher Träger des Leninordens, von Stalin gefördert, von Chruschtschow verjagt. Verjagt wegen zahlreicher Missernten, die ihm angelastet wurden, wegen Forschungsergebnissen, die der Fälschung bezichtigt wurden, und wegen seiner Lehre, des Lyssenkoismus, einer späten Form des Lamarckismus. Dieser zur Folge können Erbeigenschaften durch Umweltbedingungen bestimmt in der Lebenszeit erworbene Eigenschaften vererbt werden. Lyssenko, der einer ukrainischen Bauersfamilie entstammte und erfolglos antrat, die Ernährungsprobleme der frischgebackenen Sowjetrepubliken durch nachhaltige Zuchterfolge an Getreidesorten zu lösen, musste mit ansehen, wie 1934 ausgerechnet ein Kolchosbauer wegen der grassierenden Hungersnöte Schüsse auf den Leichnam Lenins abgab. Sein Forschungsansatz wurde später vor allen Dingen im Westen als ideologisch motiviert verurteilt. Für die Verbannung von Kritikern in Straflager soll er zumindest mitverantwortlich gewesen sein.

Aktuell stehen die Zeichen tief im Westen auf Rehabilitation des Stalingünstlings: Frühkindliche Erlebnisse von Vernachlässigung, körperlicher Gewalt und sexuellem Missbrauch wirken laut Forschungsteams an der Universität Zürich und der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich drei Generationen lang. Entsprechende Ergebnisse haben die Forscherteams unlängst in der Zeitschrift „Biological Psychiatry“ veröffentlicht. Die ForscherInnen behaupten, dass traumatische Erlebnisse in Kindheit und Jugend nicht nur zu Verhaltensauffälligkeiten bei der betroffenen Person sondern auch bei deren Nachkommen führen. Wirkmechanismus seien dabei nicht Mutationen auf den Genen sondern die durch Umwelteinflüsse erzeugte Methylierung, die die Aktivität von Genen beeinflusst bzw. Gene, günstigstenfalls solche mit ungünstigem Effekt, ganz abschaltet. Auf diesem Weg prägen den Forschungsergebnissen zur Folge soziale Faktoren aber auch körperliche Aktivität den Genpool . Karma, ein wenig anders als gewohnt, aber immerhin naturwissenschaftlich belegt.

Hatten Lamarck und Lyssenko somit doch Recht mit ihrer Lehre von der Vererbung erworbener Eigenschaften? Immerhin werden die bahnbrechenden Forschungsergebnisse eines Cyril Burt, der mit seinen Untersuchungen an Zwillingspaaren parallel zu Lyssenko auf westlicher Seite eindrücklich die Vererblichkeit von Intelligenz und Persönlichkeitszügen belegte und dafür 1946 zu Beginn des Kalten Krieges in den Adelsstand erhoben wurde, spätestens seit seinem Tod 1971 gleichfalls der Fälschung bezichtigt. Alles Ideologie oder was – egal ob diesseits oder jenseits des Eisernen Vorhangs? Auf jeden Fall eine typische Auseinandersetzung in der Moderne, geprägt durch ein Denken, das nur entweder oder, schwarz oder weiß, hopp oder topp kennt.

Ganz anders geriert sich nun Forschung in der Postmoderne. Deren Credo prägt ein wohltuendes sowohl als auch: Gene beeinflussen und können vererblich beeinflusst werden. Dabei helfen schon frische Luft, körperliche Bewegung und eine veränderte Kost. Das Zauberwort heißt Epigenetik. Der SPIEGEL widmete diesem Forschungszweig in der Biologie immerhin seine Titelgeschichte in der Ausgabe 32/2010. Die Argumente folgen neuesten Forschungsergebnissen und lauten:

– Der Lebensstil verändert die Biologie.

– Äußere Einflüsse können Gene chemisch verändern.

– Neben dem Inhalt der Gene trägt das Erbgut eine übergeordnete Ebene von Informationen.

– Die epigenetischen (auf den Genen liegenden und durch Erfahrung beeinflussbaren) Mechanismen steuern das Verhalten der Gene.

– Babys, die von der Mutter (!) liebevoll gestreichelt wurden, sind als Erwachsene gegen Stress gefeit.

– Menschen, die meditieren, verändern die Architektur ihres Gehirns. Heimkinder, die in eine Adoptionsfamilie kommen, blühen auf.

– Eineiige Zwillinge können in ihrem Verhalten grundverschieden sein.

– Epigenetische Informationen werden von den Zellen sogar auf die Tochterzellen weitergegeben – der Körper hat ein Gedächtnis.

– Das Körpergedächtnis kann allerdings verblassen. Epigenetische Inschriften sind löschbar.

Während Lyssenko sich mehr für die Flora interessierte, beziehen sich diese Erkenntnisse auf die Fauna und könnten – ernst genommen – unmittelbar Auswirkungen auf Psychotherapie, Schul- und Bildungspolitik haben. Die Züricher Forschungsergebnisse wurden indes an Mäusen gewonnen. In typischer Weise traumatisierte, nämlich über einen definierten Zeitraum unvorhersehbar von ihrer Mutter (!) getrennte Jungmäuse entwickeln im Erwachsenenalter deutliche Verhaltensänderungen in Richtung depressiver Hilflosigkeit respektive Verlust der Impulskontrolle. Das eigentlich überraschende Ergebnis der Studie ist jedoch, dass die Tiere ihre Verhaltensstörungen an ihre Nachkommen vererben. Stress, so zeigen die Forschungsergebnisse verändern das so genannte Methylierungsprofil bestimmter Gene im Gehirn und in den Spermien männlicher Mäuse.
„Die Symptome, welche die gestörten Mäuse zeigten, sind auch in Borderline- und Depressions-Patienten sehr prominent vorhanden“, sagt Isabelle Mansuy, die Leiterin der Arbeitsgruppen an den Züricher Forschungsinstituten.

„Was tun?“ könnte man nun mit Lenin fragen. Isabelle Mansuy möchte die Untersuchung an Mäusen auf Menschen ausdehnen, um an Hand von „Gewebeproben von Personen und ihren Nachkommen mögliche Methylisierungskandidaten unter den Genen herauszufinden“. Sie ist sich sicher, auch im menschlichen Gewebe Methylierungen zu finden, Methylgruppen bestehend aus einem Kohlenstoff- und drei Wasserstoff-Atomen – angehängt an spezifische Gene.

Zu befürchten ist, dass sich auf dieses Forschungsvorhaben nun – komfortabel ausgestattet mit Forschungsgeldern – Heerscharen und Generationen von ForscherInnen stürzen, die alsbald den Ausgangspunkt in der Erkenntnis der Herstellbarkeit von Methylierung durch Umwelteinflüsse vergessen und in herkömmlicher Interpunktion des gewohnten Denkens in Ursache und Wirkung ebendiese methylierten Gene zum Verursacher von Depression, Borderline-Störung und Intelligenz-Defiziten erklären – also einmal mehr beim physiologischen Pol andocken.

„Was tun!“ könnte dagegen frei nach Sloterdijk und seiner aktuellen Programmatik vom sich übenden Menschen ein Forschungs-Credo lauten, das seinen Schwerpunkt auf die Erforschung derjenigen Lebensweisen legt, die die ungünstige Programmierung wieder aufheben oder gar nicht erst aufkommen lassen. In Anlehnung an eine Marxsche Feuerbach-These könnte die Maxime lauten: „Die Physiologen haben die (Mikro-)Welt nur verschieden interpretiert; es kommt aber darauf an,
sie zu verändern.“