Kommen doch noch Neuwahlen und es muss befürchtet werden, dass die frisch gewonnenen Sitze im Landtag doch wieder abhanden kommen? Oder darf jetzt schon angegriffen werden, auf dass in NRW einmal andere Themen auf das Tableau des Landtags kommen als höchstmögliche „Regierungsfähigkeit“? Ein Sonntagnachmittag in Bottrop.
16.30 Uhr: Eine Rednerin betont die historische Komponente des Einzugs in den Landtag und den einhergehenden Stimmungswandel. Im anschleißenden Redebeitrag wird auch einmal Black Sabbath zitiert und bei der Gelegenheit dem Tod von Ronnie James Dio gedacht. Als kurz vor 16 Uhr noch mehr als 40 RednerInnen auf der Liste stehen, wird die Redezeit auf zwei Minuten pro Person beschränkt, um 16.30 Uhr die Aussprache schließlich vorzeitig beendet. Auszüge aus der Debatte: Ein Redner, der als Realo bezeichnet wird, bekräftigt, dass man sich nicht auseinander dividieren lassen wollte durch die Sondierungsgespräche und speziell die Frage nach der Haltung der Partei zur DDR. Auch wird klargestellt, dass mit 5,6% und dieser SPD und diesen Grünen noch kein Politikwechsel zu machen sei. In diesem Sinne raten einige Parteimitglieder sogar davon ab, jetzt der SPD oder den Grünen einen Schwarzen Peter zuzuschieben in Bezug auf das Scheitern der Sondierungsgespräche – es sei eh nie viel von ihnen zu erwarten gewesen. Es sammeln sich vermehrt Aufrufe, die außerparlamentarische Komponente nicht zu vernachlässigen, da jetzt auch eine stärkere Mobilisierung der Öffentlichkeit möglich sei.
15.30 Uhr: Rüdiger Sagel ist übrigens auch krank, heißt es. Generell wird sehr viel über Neuwahlen geredet und darüber, dass sich dann vielleicht die FDP ein wenig bewegen müsse, um strategisch mehr Optionen zu haben. Bei der Aussprache der Linkspartei vom Podium aus sagt eine Mülheimer Delegierte, egal was man in den Sondierungsgesprächen zum Thema DDR gesagt habe, es hätte SPD und Grünen nie gereicht.
Michael Aggelidis hält Hannelore Kraft den vor ihr geäußerten Satz vor, Wahlprogramme müssten an der Realität gemessen werden. Damit sei einerseits implementiert, dass sie ihre Versprechen nicht halten müsse, während sie andererseits diesen Satz gegen die unveränderten Positionen der Linkspartei ins Feld führe. Bei anderen Parteimitgliedern fallen Sätze wie „Die SPD hat die Menschen immer verraten, wenn es darauf ankam“, „Unsere Genossinnen und Genossen haben sich die Butter nicht vom Brot nehmen lassen“ und „Wer Sozialabbau betreibt, ist nicht koalitionsfähig“. Auch in Berlin fände die SPD in der Oppositionsrolle plötzlich genau die Politik falsch, die sie in der Regierung noch durchgesetzt habe. Und für diese Oppositionsrolle schreibe die SPD eh die meisten Ideen von der Linkspartei oder den Grünen ab. Ähnliches würde in NRW gelten, weshalb eine linke Kraft im Parlament unabdingbar sei. Ein Knackpunkt bei den Sondierungsgesprächen sei auch gewesen, dass man sich zum Verfassungsschutz hätte bekennen müssen, der die eigenen Mitglieder bespitzele. Und gleichzeitig würde man damit Nazis finanzieren, die als V-Leute agieren. Das sei für eine linke Partei untragbar.
Gunhild Böth erklärt, man wolle im NRW-Parlament den Antrag stellen, die Kopfnoten abzuschaffen. Dies sei ein Beispiel dafür, wie man in der Opposition vorführen werde, dass man genau diese Arbeit könne, weil man sie auch im Alltag ständig vollbringe: Das politische Spektrum nach links zu verschieben, die Taktik und Wahlbetrügereien der SPD vorführen. Die Presse wolle man nach den Erfahrungen der letzten Zeit weniger gut versorgen. „Wir sehen uns auf der Straße!“, schließt Böth.
14.30 Uhr: Es folgt ein geradezu Mantra artiges Einschwören auf die Oppositionsrolle: Endlich eine Partei „links der SPD“ im Landtag. „Politik für die Mehrheit der Menschen im Lande“. Zimmermann erklärt das „Patt“ als ein Ergebnis eines „Lagerwahlkampfes“, obwohl die vier etablierten Parteien relativ austauschbar seien. SPD und Grüne hätten in den Sondierungsgesprächen gezeigt, dass sie nach der Wahl das Gegenteil von dem getan hätten, was sie zuvor versprochen haben. Er wirft aufgrund dessen speziell „Wahlbetrug an der Bevölkerung“ vor. Rot-Grün hätten z.B. auch bei Gelegenheit, also an der Regierung damals, das Schulsystem nicht geändert. Zimmermann ist auch selbstkritisch: Er hätte SPD und Grünen bei den Gesprächen direkt sagen sollen: „Ihr tickt doch nicht ganz sauber!“
Die Verhandlungen in NRW wie schon zuvor in Thüringen und Hessen seien an SPD und Grünen gescheitert, da sie nicht in der Lage seien, sich auch nur ansatzweise auf das Politikverständnis der Linkspartei einzulassen. „SPD und Grüne können mit allen“. Dagegen wolle Die Linke „den Widerstand gegen die asoziale Politik in NRW organisieren“. Denn die anderen Parteien wollten in Wahrheit gar nichts an den Verhältnissen ändern. Um die Lebensbedingungen der Menschen im Land zu verbessern, wolle man Anträge mit folgenden Zielen in den Landtag einbringen: Sofortige Abschaffung der Studiengebühren; eine Schule für alle, mindestens bis zur zehnten Klasse; ein neues Arbeitsschutzgesetz; ein Sozialticket für ganz NRW. Um Tarifsicherheit und mehr zu erreichen, werde man nun auch verstärkt außerhalb des Parlamentes z.B. auf die Gewerkschaften zugehen.
13.30 Uhr: Begrüßung durch den Kreisverband Bottrop in Form von Christoph Ferdinand: Die Bottroper haben bei der NRW-Wahl in manchen Stadtteilen mehr Stimmen geholt als die CDU und sind insgesamt deutlich vor den Grünen gelandet: Drittstärkste Partei der Stadt.
Dann Landesvorstand Zimmermann, der gleich drei Frauen aus der ersten Reihe entschuldigt: Schwabedissen, Jelpke und Wagenknecht sind wegen Hochzeit oder Krankheit nicht anwesend. Lob an die gesamte Partei für die Erfolge bei der Landtagswahl. Ein Grund für diesen Landesparteitag sei, dass man selbst erklären und auch diskutieren müsse, wie die Sondierungsgespräche mit SPD und Grünen tatsächlich gelaufen seien. Presselob für die Anwesenden, Presseschelte für verkürzte Berichterstattungen der letzten Tage. Dann Verlesung des Grußworts von Gesine Lötzsch und Klaus Ernst: „Hannelore Kraft hat Unrecht, wenn sie meint, nach der Wahl spielten Wahlprogramme keine wichtige Rolle mehr. Wir sind sozial. Vor und nach der Wahl.“ (…) „nicht von unseren Kernforderungen abgewichen“, „kraftvolle Opposition“. Dann erst einmal Formalia.