Thomas-Schulz-Gedenkdemo

Am 28. März 2005 wurde der Punker Thomas Schulz von einem damals 17jährigen Nazis niedergestochen und erlag kurz darauf seinen Verletzungen.

Seitdem findet jährlich eine Gedenkdemonstration statt. Morgen ist es wieder soweit. Die Veranstalter wiesen darauf hin, dass es in Dortmund auch weiterhin  ein massiven Problem mit rechter Gewalt gibt. Ein Beispiel war der 1. Mai vergangenen Jahres, als Nazis den Demonstrationszug des DGB angegriffen haben. Weitere Infos…Klack Liveticker…Klack

Die Waldorfschule: Eine soziale Frage?

Die Waldorfschule stellt ihr pädagogisches Projekt oft als eine soziale Frage heraus. Das hat mit der Tatsache zu tun, dass die Waldorfschule aus einem sozialen, politischen Impuls entstand.Von unserem Gastautor von Ramon De Jonghe .

Mit seiner Idee der „Sozialen Dreigliederung“[1] behauptete Rudolf Steiner seinen Anspruch, die bestehende Gesellschaft reformieren zu können. Nicht nur die Deutsche Gesellschaft lehnte Steiners Plan ab. Selbst seine eigenen anthroposophischen Unterstützer zeigten wenig Interesse an Steiners politischen Ambitionen. Sie konnten nicht verstehen, dass ihr verehrter Meister, ein Eingeweihter in „Höheres Wissen“, sich mit „schmutziger Politik“ beschäftigte. Die soziale Revolution, oder Erneuerung, wie Steiner sie gern sehen wollte, blieb aus. Aber das bedeutete nicht, dass Steiner es aufgab, seine anthroposophische Heilslehre zu verbreiten. Er suchte nach anderen Wegen, die „Unerleuchteten“ zu erreichen.

Steiners guter Freund, der „Waldorf-Astoria“ Zigaretten-Fabrikant und Anthroposoph Emil Molt, gab Steiner dazu die Gelegenheit. Molt machte den Vorschlag, eine Schule für die Arbeiter seiner Fabrik zu gründen. Als Steiner klar wurde, dass er keinerlei Einfluss auf das politische Leben hatte, stimmte er zu, Leiter der neuen Schule zu werden. 1919 präsentierte Steiner die erste Waldorfschule als eng mit seiner Idee der „Dreigliederung“ verbunden:

„… Wir möchten diese neue Schule schaffen wie ein Beispiel; diese Schule, nach der sich eigentlich ahnungsvoll viele Menschen sehnen, die man aber nicht den Mut hat, wirklich ins Auge zu fassen. Glauben wird man müssen, verstehen wird man müssen, daß dasjenige, was man soziale Frage nennt, durchaus auch an der so charakterisierten Schulfrage hängt; daß dasjenige, was man soziale Umwandlung nennt, sich nicht zuletzt in der Weise wird vollziehen müssen, wie das bei der Waldorfschule versucht wird. Es würde ein ungeheurer Schaden sein, wenn gerade der soziale Impuls verkannt würde, welcher der Begründung der Waldorfschule zugrunde liegt. … „[2]

Man  M U S S  glauben und  M U S S  verstehen? Spricht hier der Autor der „Philosophie der Freiheit“? Jedenfalls konnten durch die Waldorfschule von Anfang an anthroposophische Prinzipien einen Platz in der Gesellschaft erobern, da die Schule ein Teil der „Dreigliederung“ war. Die Aussage des Erziehungswissenschaftlers Professor Klaus Prange: „Die Waldorfpädagogik und die Waldorfschule sind der Versuch, diese Heilsbotschaft über Erziehung auf Dauer zu stellen“, kommt wahrlich nicht aus heiterem Himmel.

Bis heute hat die Waldorfschule die Erwartungen ihres Begründers auf soziale Erneuerung nicht erfüllt. Im Gegenteil. Die Geschichte der Waldorfschule zeigt eine Spur von unsozialem Verhalten, in dem Intrigen, Einschüchterungen und Drohungen nicht fehlen. Wie sehr sich Steiners Verehrer auch bemühen, dies anders zu sehen, ist eine Waldorfschule doch weit von einem Beispiel für eine Gemeinschaft entfernt, die wirklich „sozial“ genannt werden könnte. Dies wird deutlich, wenn wir einen Blick auf das Zeugnis von Menschen werfen, die massive Auseinandersetzungen mit Waldorflehrern, Waldorfsprechern oder Anthroposophen hatten. Man könnte sich fragen: Wie kann es sein, dass eine Gemeinschaft, in der es so viele Menschen gibt, die die „Wahrheit“ gefunden zu haben glauben, solch ein Desaster an menschlichen Beziehungen hervorbringt?

Natürlich werden Waldorfschulen dieses Problem nicht eingestehen. Nein, sie sprechen lieber in ihrem blumigen Jargon von „Dingen, die ihren Weg auf ihrer Reise kreuzen“ oder von „karmischen Gesetzen, die Teil eines höheren Plans sind“. In vielen Fällen werden Entschuldigungen vorgebracht, um das unsoziale Verhalten zu „erklären“. Wie: „Die Waldorfschule ist ein soziales Experiment; vergleiche sie mit einem sozialen Laboratorium; unsere Schüler sind sozial kompetenter als andere; Arbeit für die Freiheit hat seinen Preis; Menschen, die in einem vorherigen Leben Feinde waren, kommen nun in der Waldorfschule zusammen und müssen ihr Karma bewältigen, was Spannungen mit sich bringt; …“ Diese Antworten sind nicht wirklich überzeugend, aber dies ist auch nicht wirklich wichtig: Die Menschen  M Ü S S E N  glauben und verstehen …

Wird vollständiges Leugnen das unsoziale Verhalten der Waldorfschulen ändern? Sind Anthroposophen wirklich solche Idioten, dass sie glauben, dass ein Problem durch Leugnung gelöst werden kann? Sicher, sie  M Ü S S E N  Probleme abstreiten. Sie  M Ü S S E N  etwas anderes glauben. Oder vielleicht besser: Sie  M Ü S S E N  dem „Volk“ etwas anderes glauben machen, was in der Tat bedeutet: eine „Mogelpackung“ verkaufen.

Ausser Hörweite der Öffentlichkeit sprechen die Verehrer der Waldorfschule eine andere Sprache. Der bekannte Niederländische Anthroposoph und ehemalige Waldorflehrer Wim Veltman schrieb eine Broschüre über die Probleme in Waldorfschulen. Diese Broschüre wurde nie veröffentlicht, wird aber als Flugblatt unter Anthroposophen und Waldorflehrern verbreitet. Veltman stellt klar, dass „wenn es einen Ort gibt, wo sich die unsoziale Strömung eingenistet hat, es in der Freien Schule ist [„Freie Schule“, d.h. Waldorfschule]“. Seine Kritk beschränkt sich nicht auf die Niederländischen Waldorfschulen, sondern gilt für die Waldorfschulen weltweit:

„In achtzig Jahren der Freien Schulbewegung in den Niederlanden und anderswo in der Welt ist die soziale Struktur der Freien Schule ein beständiges Problem gewesen. Wenn sich die „unsoziale Strömung“ im letzten Jahrhundert irgendwo hat ausleben können, dann war es in den Freien Waldorfschulen (eine vereinzelte Ausnahme nicht in Erwägung genommen). Und dies, obwohl die Waldorfschule, in gewissem Sinne, aus einem sozialen Erneuerungs-Impuls hervorging!“[3]

Es gibt ein Sprichwort: „The tools of improvement don’t always fit the hand in need“ [„Die Werkzeuge zur Verbesserung passen nicht immer zur Hand, die sie braucht“]. In diesem Fall sind die Werkzeuge Steiners „Einsichten“, die aus seiner okkulten Weltsicht stammen, während die Hand, die sie braucht, die Schüler repräsentiert. Dass die Hand nicht nur leer bleibt, oder nicht die richtigen Werkzeuge bekommt, um nach dem Waldorfschulleben weiter zu kommen, sondern sie auch sozial gelähmt wird, hat schon der Schulpsychologe Fritz Beckmannshagen in seiner kritischen Studie gezeigt.

Nach der Lektüre des Erziehungswissenschaftlers Prange und der anthroposophischen Autorität Veltman kann ich nur zu dem Schluss kommen – und dies auch in Hinblick auf meine eigenen Erfahrungen, als ich noch selber in der Waldorfbewegung aktiv war –, dass die soziale Umgebung einer Waldorfschule in keiner Weise Kindern die Grundlage bieten kann, eigenverantwortliche, soziale menschliche Wesen zu werden.

Zum Autor: Ramon De Jonghe arbeitete als Erzieher in einer Waldorfschule, war im Vorstand dieser Waldorfschule. Er war ehrenamtlich für die Rudolf Steiner Akademie tätig, studierte an einer anthroposophischen Hochschule. Drei seiner Kinder besuchten für einige Jahre zwei verschiedene Waldorfschulen. Er arbeitet zur Zeit als freier Mitarbeiter an der Universität von Antwerpen als Assistent für Prüfungen zur Sprachentwicklung von Kindern.
Homepage von Ramon De Jonghe…Klack

[1] vergleiche Klaus Prange, “Erziehung zur Anthroposophie”, S. 165:

“Das Einzige, was Steiner als Movens für die künftige Ordnung anerkennt, ist das »freie Geistesleben« [»freie Geistesleben«, d.h. die Anthroposophie]. Von diesem »Zufluß« werden »sowohl der politische Staat wie das Wirtschaftsleben« profitieren (R. Steiner, GA 23). Wenn alle vernünftig und anthroposophisch sind, wird auch die rechte Welt da sein:

»Auf dem Gebiete des politischen Staates werden sich die notwendigen gesunden Ansichten durch eine solche freie Wirkung des Geistesgutes bilden (ebd.).«

Insofern fällt bei aller Gleichwertigkeit der Einzelglieder doch dem Geistesleben eine Führerrolle zu, so wie sich Plato die Philosophen als Herrscher über die Restklassen der Gesellschaft dachte.”

[2] R. Steiner, „Vortrag für die Eltern der Waldorfschulkinder“, Stuttgart, 31. August 1919, GA 297

[3] W. F. Veltman, „De Vrije School – Ondergang en nieuwe geboorte?“, Den Haag 2000

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Das verordnete Schweigen der Kirche oder „de delictis gravioribus“

Der Schatten über den Missbrauchsskandalen in der Römisch – Katholischen Kirche ist lang. Es geht um Schweigen, Geheimniskrämern und Wegdrücken bis zur Grenze der Vertuschung. Je mehr man sich mit dem Thema beschäftigt desto schneller kommt man an die Ursache der Aktionen: Ein Schreiben des damaligen Chefs der Glaubenskongregation, verfasst und verschickt im Jahre 2001 an sämliche Bischöfe der Welt. Sein Titel: De delictis gravioribus. Das Papier ist mit dem Siegel der„Geheimhaltung“ versehen.

Es ist interessant, die Entstehung dieser Omerta Vaticana zu verfolgen:

Wir gehen zunächst zurück in das Jahr 1962. Damals verfasste Alfredo Ottaviani für den Vatikan ein 69-seitigen Schreiben, das durch Papst Johannes XXIII bestätigt wurde. Das Papier hieß: Crimen sollicitationis

In diesem Dokument wurden die Bischöfe offiziell angewiesen, Fälle sexuellen Missbrauchs durch Priester vor, während oder nach der Beichte nicht der Öffentlichkeit mitzuteilen, sondern diese Vergehen „mit größter Geheimhaltung“ innerkirchlich zu verfolgen. Auch Opfer des Missbrauchs sollten unter der Drohung der Exkommunizierung „ewiges Schweigen“ schwören. Sie sollten den Missbrauch aber innerkirchlich anzeigen. Ziel der Anordnung sei es gewesen, „Beschuldigte zu schützen, so wie dies heute bei Zivilverfahren der Fall ist.“ Das Schreiben legt im Einzelnen fest, wie innerkirchliche Untersuchungen in solchen Fällen zu führen und Priester gegebenenfalls zu bestrafen sind. Der vermutlich erste öffentliche Hinweis auf diese Anweisung erfolgte im August 2003 durch das britische Blatt The Observer. Seit wenigen Wochen ist es im Internet auf den Seiten des Vatican in einer inoffiziellen englischen Übersetzung abrufbar.

Den gleichen Titel trägt schon ein vatikanisches Dokument der Sacra Congregatio Sancti Officii (Heilige Kongregation des Heiligen Offizium), heute die Congregatio pro doctrina fidei (Kongregation für die Glaubenslehre) aus dem Jahr 1922. Es wurde von Kardinal Merry del Val unter Papst Pius XI erstellt. Das Dokument wurde im Hinblick auf das XXI. Ökumenische Konzil oder II. Vatikanisches Konzil unter Papst Johannes XXIII. 1962 von Alfredo Kardinal Ottaviani aktualisiert. Da jedoch nur zweitausend Ausgaben gedruckt wurden, reichten die Exemplare nicht für alle versammelten Konzilsväter, sodass diese Verteilung unbefristet aufgeschoben wurde. Das Dokument enthielt laut Wikipedia Verfahrensnormen, die in Fällen einer Verführung eines Beichtenden durch den Beichtvater von Seiten der Bischöfe zu befolgen waren, und um weitere sehr schwerwiegende Vergehen sexueller Art wie sexueller Missbrauch von Minderjährigen. Heute gelten in der Katholischen Kirche dafür die Bestimmungen von Sacramentorum sanctitatis tutela von 2001, welche durch den Brief De delictis gravioribus bekanntgemacht wurden.

Hier ein Auszug aus der inoffiziellen Übersetzung:

INSTRUCTION
OF THE SUPREME SACRED CONGREGATION OF THE HOLY OFFICE ADDRESSED TO ALL PATRIARCHS, ARCHBISHOPS, BISHOPS 
AND OTHER LOCAL ORDINARIES
“ALSO OF THE ORIENTAL RITE”
ON THE MANNER OF PROCEEDING IN CAUSES OF SOLICITATION.

Sein Inhalt:

Schwere Straftaten gegen

– die Heiligkeit des hochheiligen eucharistischen Opfers und Sakramentes,
– die Heiligkeit des Bußsakramentes und
– gegen die Sittlichkeit, nämlich:
…. die von einem Kleriker begangene Straftat gegen das sechste Gebot des Dekalogs mit einem noch nicht 18jährigen minderjährigen Menschen.
Sind der Glaubenskongregation als Apostolischem Gerichtshof vorbehalten. Wenn ein Bischof oder Hierarch auch nur vage Kenntnis von einer derartigen Straftat hat, muss er sie nach abgeschlossener Voruntersuchung an die Glaubenskongregation weitermelden, die, wenn sie nicht wegen besonderer Umstände den Fall an sich zieht, durch Weitergabe der entsprechenden Vorschriften dem Bischof beziehungsweise Hierarchen gebietet, durch sein je eigenes Gericht das weitere Verfahren führen zu lassen…“

Das Verfahren wird wie folgt beschrieben:

An den bei den Bischöfen eingerichteten Gerichtshöfen dürfen für diese Strafverfahren nur Priester die Ämter des Richters, des Kirchenanwaltes, des Notars und des Strafverteidigers gültig wahrnehmen. Sobald der Fall vor Gericht wie auch immer beendet ist, sind die gesamten Akten des Verfahrens möglichst rasch von Amts wegen an die Glaubenskongregation zu übermitteln…Prozesse dieser Art unterliegen der päpstlichen Geheimhaltung.

Hier interessieren nun allein die Fälle der dritten Alternative des Tatbestandes, die Kinderfickerfälle. Die Fälle, bei denen sich Priester an Kindern während der Beichte vergingen, lassen wir mal beiseite, obwohl es die auch gibt.

Man könnte ja zunächst meinen, dass die oben beschriebene Weisung Johannes Pauls II/ oder von Jupp Ratzinger eine rein innerkirchliche Angelegenheit sei, wie es einige Kirchenrechtler sagen. Etwa als sie im Jahre 2007 auf die wiederholte öffentliche Forderung von Ute Ranke-Heinemann reagierten, die ausführte:

Das Geheimschreiben Kardinal Ratzingers von 2001 bedeutet auch weiterhin großen Schaden für die betroffenen Kinder und Jugendlichen in aller Welt.

Ranke Heinemann sagte weiter, sie hoffe, dass Ratzinger seine Anweisung als Papst Benedikt XVI. wieder zurücknimmt.

Auch die Kritik von Dominikanerpater Tom Doyle, wiegelten die Kirchenrechtler ab, als dieser die Dokumente von Kardinal Ratzinger kritisierte. Doyle sagte:

Sie (die Geheimanweisungen) dienen ausschließlich dem weltweiten Schutz der Täter, die ständig, um Skandal für die Kirche zu vermeiden, nach einer Therapie in eine andere Pfarrei versetzt werden und haben eine totale Justizbehinderung für die staatlichen Gerichte zur Folge.“

Nun, wie kommt man zu einem sachgerechten Urteil, ob diese Schreiben der Vertuschung dienen oder allein der kirchlichen Bestrafung der Täter, die den Strafanspruch des Staates nicht berührt?

Wieder hilft ein Blick in das 2001-Ratzinger-Papier. Denn dort heißt es am Ende:

Durch diesen Brief, der im Auftrag des Papstes an alle Bischöfe der katholischen Kirche, an die Höheren Oberen der Priesterorden päpstlichen Rechts und der Priestergesellschaften apostolischen Lebens päpstlichen Rechtes und an andere Bischöfe und Hierarchen, die er angeht, gesandt wurde, sollen nicht nur schwere Straftaten generell vermieden werden. Er bezweckt darüber hinaus, dass Bischöfe und Hierarchen wachsame Seelsorge betreiben, um vor allem für die Heiligkeit der Priester und der Gläubigen Sorge zu tragen, auch mit Hilfe notwendiger Strafen.“

Die Seelsorge betrifft also nahezu ausschließlich die Heiligkeit der Priester und der Gläubigen, das ist die Gemeinschaft der Gläubigen, also die Kirche. Die katholische Kirche will also allein darüber bestimmen, was mit dem Kinderschändern in den eigenen Reihen geschieht. Denn das Opfer im Sinne der Anweisung ist nicht das Kind, sondern die Heiligkeit der Institution und seiner „Glieder“. Deshalb die höchste Geheimhaltungsstufe. Das tatsächliche Opfer wird ignoriert, der Schutzzweck der Vorschrift hat es nicht im Auge.

Was aus der Anweisung folgt, ist klar und erklärt die jetzigen Fälle der organisierten Schweigerei, die an Vertuschung grenzt.

Wenn ein Bischof hört, dass sich einer seiner Priester an einem Kind vergangen hat, wird er in erster Linie an seine Pflichten gegenüber seinem Dienstherrn erinnert. Er wird versuchen, der Order „de delictis gravioribus“ gerecht zu werden. Schließlich geht es um nichts geringeres als um die Sorge der „Heiligkeit des Priesters“, die Fürsorge für den „Bruder“. Für das säkulare Strafrecht bleibt bei diesem Bewusstsein kein Raum.

Im Gegenteil: Selbst wenn man den Bischöfen zugute hält, dass bei ihnen in den 1960er, 1970er und auch noch Anfang der 1980er Jahre, das Verständnis für die schrecklichen Folgen des sexuellen Missbrauchs gefehlt hat, verstärken zumindest zwei Faktoren die Bereitschaft der Bischöfe, etwas gegenüber der breiten Öffentlichkeit zu verheimlichen.

Die Bischöfe stellen das Ansehen der Kirche, die von Ihnen als „Leib Christi“ verstanden wird, über die Leiden der missbrauchten Kinder. Denn die Kirche steht nach ihrem Verständnis unter der Leitung des Heiligen Geistes. Schließlich ist der Papst ja unfehlbar, oder so.

Zudem wollten und sollten die Bischöfe nicht in erster Linie die Kinder schützen, sondern die Gläubigen und die Kirche selbst vor den Folgen aus den Skandalen in den eigenen Reihen schützen.

Diese Bereitschaft der Bischöfe, die Leiden der Opfer nicht bei den weltlichen Behörden anzuzeigen, wurde ganz entscheidend durch die zitierten päpstlichen Schreiben, zuletzt das von Ratzinger aus 2001, gefördert. Wenn nicht sogar von Rom aus angewiesen.

Und genau das ist die Hauptursache für die offensichtliche Vertuschung der Kinderfickerei gegenüber der breiten Öffentlichkeit über Jahrzehnte.

Es wird niemanden verwundern, dass nach Paragraph 1341 des kanonischen Rechts ein Bischof nur dann weltlich-juristisch gegen einen Geistlichen vorgehen soll, nachdem er sicher ist, dass alle anderen Optionen versagen.

Natürlich wird man nun von geneigter Seite einwenden, dass die Vorschrift „de delictis gravioribus“ allein der innerkirchlichen Bestrafung – Ermahnung, Versetzung, Exkommunikation etc. – dient und eine Strafanzeige davon nicht berührt wird.

Dagegen spricht jedoch die „Handhabung“ der Missbrauchsfälle der Diözesen in den letzten 60/70 Jahren, gleich ob in Australien, USA, Irland, Italien, Österreich, Niederlande oder Deutschland.

Erst 2002 ist es Opfern in Boston, USA, gelungen, die Vorgänge um die Vertuschung der Missbrauchsfälle durch die zuständigen Bischöfe in die Öffentlichkeit zu ziehen und so in USA eine Welle der Aufdeckung von Missbrauchsfällen auszulösen und der römischen Kirche Entschädigungen in Höhe von insgesamt 2,6 Mrd. US-Dollar abzutrotzen. Bis dahin stand allein der Täterschutz im Vordergrund der Bischöfe. Der Priester wurde in Therapie  geschickt oder in eine andere Gemeinde versetzt. Die Opfer selbst wurden durch Einschüchterung, Drohung mit einer Anzeige etwa wegen „übler Nachrede“ zum Schweigen verdonnert. In einigen Fällen wurden die Opfer durch Verschwiegenheitserklärungen gegen Zahlung eines Geldbetrages in Schach gehalten. Der Rest war dann nur noch „interne Geheimhaltung“ wie bei der Omerta der Mafia. So ähnlich lassen sich auch die Fälle deuten, die jetzt aktuell in Deutschland bekannt werden. Etwa von dem Bottroper Priester, der nach mehreren Kinderschändereien von Bottrop aus durchgereicht wurde bis nach München, wo ihn der damalige Erzbischof Ratzinger ohne weltliches Verfahren nach neuen Kinderfickereien in ein weiteres Amt versetzte.

Perfide ist weiter, dass man sich den Umstand zunutze macht, dass Opfer, wenn überhaupt, erst nach dreißig, vierzig oder noch mehr Jahren über das an ihnen begangene Verbrechen reden. Das heißt, wenn die strafrechtliche Verjährung abgelaufen ist und sich kein Staatsanwalt mehr für den Fall interessiert.

So können dann, wie in USA geschehen, auf das „Konto“ eines einzigen Priesters, des 1998 verstorbenen Lawrence C. Murphy, 200 hörgeschädigte Kinder und Jugendliche gehen. Ohne jegliche strafrechtliche oder kanonische Konsequenzen. Die New York Times berichtete darüber. Auf der Seite bishop-accountability kann man die Originalakten des Murphy-Falles bis 1999 einsehen. Es ist der Prototyp einer katholischen Verheimlichungsorgie.

Zum Murphy-Fall anzumerken ist noch, dass erst im Verfahren wegen seiner Taten gegen die Römische Katholische Kirche im Jahr 2005 die Apostolische Order „De delictis gravioribus“ von amerikanischen Anwälten öffentlich gemacht werden konnte. Der Kirchenkritiker Hans Küng greift deswegen Ratzinger alias Papst Benedikt XVI. frontal an. Er habe seit Jahren von den Mißbrauchsfällen gewusst.

Es stellt sich die Frage nach der Offenheit und Transparenz. Stephan Ackermann , der Frontmann der katholischen Bischofskonferenz für die Aufklärung der deutschen Missbrauchsfälle, hat die Vertuschung durch die katholische Kirche eingestanden. Aber ist er bereit und imstande, die in den Archiven der Glaubenskongregation schlummernden Akten herauszugeben, die das ganze Ausmaß des Missbrauchs und der Vergewaltigung beweisen?

Erst wenn diese Papiere der Allgemeinheit vorliegen, darf von der Ernsthaftigkeit des Aufklärungswillens ausgegangen werden.

Mir allerdings fehlt die Hoffnung zu einem solchen Vorgehen. Denn das Öffnen der Sex-Archive käme in manchen Fällen einer Selbstanzeige der Bischöfe gleich.

Zudem kann eine bewiesene Vertuschung durchaus eine strafrechtliche Relevanz gewinnen. Sprich: Knast kann drohen. Dann kann es weltweit zu Zivilklagen und Schadensersatzforderungen kommen, wie in Amerika.

Wen wundert es da, wenn jetzt selbst der Papst für seine juristische Verteidigung Vorsorge trifft. Die Nachrichtenagentur AP berichtet aus US-Justizdokumenten, dass drei Kläger aus Kentucky dem Vatikan vorwerfen, mit Berichten über Missbrauchsfälle nachlässig umgegangen zu sein und weder die Polizei noch die Öffentlichkeit über vergewaltigende Priester informiert zu haben, die Kinder missbraucht haben sollen.

Die Klage wurde bereits 2004 eingereicht, berichtet der KURIER aus Wien. Der Fall in Kentucky sei deshalb von Bedeutung, weil er einer von mehreren in den USA ist, in denen der Vatikan selbst das Ziel ist. Dabei geht es um die grundsätzliche Frage, ob die Opfer Ansprüche gegen die Kirchenspitze in Rom und nicht nur gegen die katholische Kirche in den USA geltend machen können. Frühere derartige Versuche sind gescheitert oder noch in der Schwebe.

Aber das könnte sich ja ändern. Warum nicht auch in Deutschland. Wäre doch mal gut, echte Kinderschänder anzugreifen und nicht nur über Internetsperren zu philosophieren.

Foto: achima auf Flickr.com

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Neue Perspektiven für Bochums denkmalgeschützte Baulücken

Denkmalgeschützte Baulücke an der Viktoriastraße gegenüber des Bermudadreiecks

Innenstädte: Normalerweise Stätten des verdichteten Bauens. Haus an Haus. Nur selten kann der Blick entspannt in die Ferne gleiten. Nicht so in Bochum.

Die Stadt verfügt als einzige in Deutschland über eine Route der denkmalgeschützten Baulücken. „Sie sind ein Symbol der Verletzlichkeit des Stadtraums“, so der Bochumer Stadtbaurat Dr. Ernst Kratzsch. Ob an der Kortumstraße, dem Nordring oder der Viktoriastraße – überall finden sich in den Innenstadt Bochums Baulücken in den verschiedensten Stilen.

Nun, im Jahr der Kulturhauptstadt, kommt ihnen eine besondere Bedeutung zu. Bochum wird seine architektonischen Wahrzeichen in eine der spektakulärsten Kunstaktionen des Kulturhauptstadtjahres einbringen. Kulturdezernent Michael Townsend: „Wir waren begeistert als  Jochen Gerz uns das Projekt „Häuser! Imaginär!“ anbot.“

Gerz, der sich schon mit den beiden Projekten „3 Straßen“ und dem „Platz des europäischen Versprechens“ an der Kulturhauptstadt beteiligt, ist begeistert von dem Möglichkeitsraum: „Nur für Menschen ohne Phantasie sind das Baulücken. Für mich sind es imaginäre Häuser, bewohnt von imaginären Menschen.“ Die sollen, so der Plan von Gerz, die imaginären Häuser individuell gestalten um so dem Stadtraum neue Perspektiven zu geben.

Das Imaginäre steht ohnehin im Zentrum fast aller Aktivitäten der Stadt im Jahr 2010. „Ein neues Museum zu bauen, wie Essen es getan hat, ist banal. Ein altes Industriegebäude wie den U-Turm in Dortmund umzubauen profan,“ erklärt Kulturvisionäre Townsend. Bochum setzte Zeichen der anderen Art: Ein imaginäres Konzerthaus, der geträumte Umzug des Prinz-Regent-Theaters, ein Haus der Literatur nur auf Papier und ein Kleinkunsttheater als Illusion – damit setzt die Stadt Maßstäbe. „Seit Bilbao ist Kulturpolitik sächlich geworden. Wir wollten neue Maßstäbe setzen und öffnen uns einer neuen Dimension, die jenseits des haptischen liegt,“ so Townsend.

Dank an Fred.