Seit heute hat Xanten schon wieder ein Museum: den Nibelungen(h)ort. Mit dem frischen Römermuseum im Archäologischen Park und dem im Mai öffnenden Stiftsmuseum feiert die kleine Stadt drei Museumsgründungen in zwei Jahren. Vor einem Jahr habe ich ein langes Stück zum Museumswunder am linken Niederrhein gechrieben: Die Schatzheber. Wie die Xantener ihre Geschichte ausbeuten.
Bürgermeisterphantasien
„Wir sind vom Kuhkaff zur kulturellen Metropole des Niederrheins geworden“. Es braucht schon die Phantasie eines Bürgermeisters, um Xanten als Kulturmetropole zu sehen. Doch das Städtchen am nördlichen Niederrhein schafft Dinge, von denen viele Großstädte nur träumen. In etwas mehr als zwei Jahren werden drei neue Museen eröffnet. Jahr für Jahr strömen mehr als eine Million Menschen in die Kommune. Die 23.000 Einwohner von Xanten sind überdurchschnittlich jung und ihre Zahl steigt stetig, statt zu fallen. Es gibt eine neue Umgehungsstraße, eine neue Jugendherberge, einen neuen Caravanpark. An den Sommerwochenenden sind die Zufahrtsstraßen weiträumig zugeparkt. Xanten boomt. Und der Bürgermeister plant.
Auf Wachstumskurs
Christian Strunk entrollt einen Stadtplan und drückt den Papierbogen mit langen Armen auf den Besprechungstisch im Xantener Rathaus. Leuchtstiftlinien, farbige Kreise ziehen sich über Straßen, Uferpunkte, Flurmarken. Die Stadt soll weiter wachsen. Am Ufer des Rheins, ein paar Kilometer von der Stadt entfernt, soll ein Wasserterminal entstehen. Ein Anleger für Yachten und kleine Kreuzfahrtschiffe. Wenn die Baugenehmigung vorliegt, kommt an die ehemaligen Kiesgrube, die in Xanten wenig unbescheiden „Südsee“ heißt, ein Kongresshotel. Im Spätsommer wurden dort noch Skulpturen aus Sand gezeigt, beim Publikum fiel die Schau durch. Doch Pannen sind die Ausnahme in der Dreimuseenstadt.
Wettrennen mit einem Pferd
Xanten ist erfolgreich. Mit Christian Strunk steht seit zehn Jahren ein Volljurist an der Spitze der Stadt. Und ein Vollverkäufer. Strunk ist jemand, der gut und gerne lächelt, und der mit sanfter Stimme seine Stadt fast zu streicheln scheint: „Da ist jetzt richtig Dynamik drin“, schwärmt der CDU-Politiker. Strunk weiß, worauf es ankommt – ob beim Pressegespräch oder beim Fernsehauftritt. Es geht um Werbung, günstige Werbung. Deshalb nimmt sich der Familienvater sogar Zeit für den Journalisten, obwohl er schon auf dem Weg in den Mallorca-Urlaub ist. Deshalb läuft in Xanten der Extremsportler Joey Kelly mit einem Pferd um die Wette, zur besten Sendezeit auf RTL. Deshalb fand das allererste Open-Air von „Wetten, dass“ in Xanten statt. Deshalb hat sich die Stadt gleich drei Stadtlabels gegeben: Xanten ist Römerstadt, Domstadt, Siegfriedstadt. „Wir brauchen solche Sachen“, sagt Strunk. Sie hätten kein Geld dafür, teure Werbung zu schalten.
Strunk macht viel Lärm für seine Gemeinde, die eigentlich eine Schlafstadt ist. Auch das weiß der Bürgermeister: „Unsere Bürger nehmen weite Strecken auf sich, die arbeiten in Düsseldorf, die pendeln ins Ruhrgebiet.“ In Xanten gibt es traditionell wenige Jobs, kaum Industrie und Gewerbe. Und deshalb setzt man hier auf weiche Standortfaktoren. Auf Bildung, Natur, auf Erholungswerte, auf Landschaft, Geschichte und Kultur. Die Menschen sollen nicht abwandern, sie sollen bleiben – und kommen: „Geschichte und Kultur sind die beiden Säulen auf denen das wirtschaftliche Geflecht liegt“, sagt Strunk leicht gedrechselt. Und setzt pathetisch hinzu: „Jeder Xantener hat wohl etwas Stolz im Herzen, in dieser Umgebung zu leben“.
Nicht schön, eher praktisch
Stolz und Elan, Geschichte und Kultur zahlen sich aus. Xanten ist Besucherkrösus am Niederrhein. Dabei ist die kleine Stadt gar nicht richtig schön. Eher übersichtlich, praktisch, geordnet, sauber. Der Krieg hat nur wenig übrig gelassen von der mittelalterlichen Bausubstanz. Als die Alliierten Frankreich, Belgien und die Niederlande befreit hatten, versuchte Hitlers Wehrmacht die Rheinbrücken zu halten. Durch den nördlichen Niederrhein verlief die Front. Am Kriegsende war Xanten zerbombt und zerschossen.
Behutsam aufbauen
Ralf Trost blättert durch seine Promotion. Der Historiker hat über Xanten während NS-Zeit und Weltkrieg geschrieben, er zeigt auf eine Abbildung. Ein Luftbild des gotischen St-Viktor-Doms im Sommer 1945. Aus der Ruinenstadt ragt nur noch ein Torso aus Brandmauern und verkohlten Dachbalken. „Das Gebäude wäre fast abgerissen worden“, sagt Trost in seinem Büro unter dem Giebel des Rathauses. 85 Prozent der Kommune seien zerstört gewesen, doch dann habe man Dom und Stadt „sehr behutsam wiederaufgebaut – vielleicht ist es jetzt sogar schöner als vorher.“ Tatsächlich wurden Baulücken harmonisch geschlossen, es gibt einen weitläufigen Marktplatz im Zentrum, enge, gewundene Gassen und einige Stadttore.
RÖMERSTADT
Die Fundgrube
Der Wiederaufbau ist auch am Nordrand der Stadt zum Erfolgsrezept geworden. Der Archäologische Park Xanten (APX) ist eines der populärsten Freilichtmuseen Deutschlands und seit mehr als 30 Jahren die Hauptattraktion der Region. Hinter trutzigen Mauern mit römischen Wachtürmen wird ein besonderes Bodendenkmal gepflegt, geschützt und rekonstruiert: Die Colonia Ulpia Traiana. Vor zwei Jahrtausenden erstreckte sich hier auf 73 Hektar eine römische Großstadt. Der Park ist ein Besuchermagnet und eine Fundgrube für Altertumsforscher.
Parkleiter mit Plan
Auch Parkleiter Martin Müller arbeitet gerne mit Plänen. Im Flur des Verwaltungsgebäudes hängen meterlange Karten an der Wand. Es geht wiederum um Projekte, Ideen, um Zukunft. Die Fläche des APX soll verdoppelt werden. Er wird dann 150 Fußballfeldern entsprechen und das gesamte ehemalige Stadtgebiet der alten Colonia umfassen. Eine Bundesstraße wurde extra dafür verlegt. Der öffentliche Träger des Projekts, der Landschaftsverband Rheinland, will in den kommenden Jahren noch einmal 60 Millionen Euro investieren. Dabei wurde mit dem Römermuseum gerade erst eine herausragende Attraktion eröffnet.
Erstes Museum am Platze
„Archäologie hat eine große Lobby“, sagt Müller fröhlich. Und ein großes Publikum. Bürgermeister Strunk feiert das Römermuseum schon als „eines der besten Museen Deutschlands.“ Auf jeden Fall ist es mit mehr als 700.000 Besuchern im vergangenen Jahr eines der erfolgreichsten – und schönsten. Die Kölner Architekten Dörte Gatermann und Elmar Schossig haben einen Wunderkörper aufs platte Land gesetzt. Fremd und unwirklich erhebt sich das schimmernde Gebäude aus den feuchten grünen Wiesen. 24 Meter hoch ragt silbriges, zart bedrucktes Glas, spiegelt Licht und Himmel des Niederrheins. Abgeschlossen wird die fast unangemessene Konstruktion von karminrot leuchtenden Ziegeldächern. Die ausladenden Maße und klassischen Formen des Gebäudes waren den Architekten vorgegeben. Vorbild war eine römische Basilika, die hier vor zwei Jahrtausenden stand. Das ungläubige, fast germanische Staunen der Besucher ist beabsichtigt.
Auf dem Museumspfad
Müller ist ganz verliebt in das neue Museum, der provinzialrömische Archäologe schwärmt von der gelungenen „Kubatur“ der Basilika. In die Halle, groß wie ein Flugzeughangar, wurde dann so etwas wie ein Museumspfad gehängt, der durch die römische Geschichte des Niederrheins führt. Man steigt langsam hinauf über eingravierte Tacitus-Zeilen, passiert Zeitschleusen, Geruchsstationen, Statuen, Säulen, einen römischen Frachtkahn, Rüstungen, Waffen und ist immer ganz nah am Leben der ehemaligen Bewohner dieser römisch-germanischen Grenzstadt. Den Soldaten, Beamten, Handwerkern, Frauen, Kindern, Sklaven und ihren Fundsachen.
Erst auf Umwegen ist Martin Müller Parkdirektor geworden. Der gebürtige Niedersachse war vorher Museumsleiter und Kulturdezernent in Gera. Jetzt habe er seinen „Traumjob“ gefunden, verrät der entspannte Mittvierziger – eine Mischung aus Museumsleitung, Verwaltungsamt und seinem eigentlichen Beruf, der archäologischen Forschung: „Ich denke gerade darüber nach“, sagt Müller und zeigt auf ein Planquadrat im Flur, „ob auf dem Gelände dieser Dienststelle ein Pflanzenstadion oder doch eher ein Nymphäum, eine Zierbrunnenanlage, stand.“
Wandel durch Handel
Die Blütezeit begann 98 nach Christi. Der römische Kaiser Traian erhob einige Grenzorte des Imperiums zu Städten. Auch der Legionssitz samt kleiner Zivilsiedlung beim heutigen Xanten wurde zur „Colonia“ geadelt. Dem Kaiser ging es um Kulturimport, um Wandel durch Handel. Römische Zivilisation und intakte Wirtschaftsbeziehungen sollten die Grenzen sicherer machen. Die Ableger Roms sollten einschüchtern und faszinieren. „Hier am flachen Niederrhein wirkt ja alles doppelt so groß“, lacht Müller: Für die Germanen in ihren niedrigen Lehmbehausungen sei die antike Großstadt mit Stadtmauer, Kuppelbauten und Wasserleitungen gewiss ein „Kulturschock“ gewesen.
Trabantenstadt
Am Niederrhein fiel Klein-Rom besonders üppig aus. In Müllers Büro liegt ein Paperback. Wie im Asterix-Comic zeigt der Umschlag die Colonia als antike Idylle. Der Zeichner hat den Zwischenstand der Forschung hübsch zu Papier gebracht. Auf dem Rheinarm segeln Boote, im Süden der Stadt lockt das Amphitheater. Das Raster der belebtebn Straßen und Wohnblöcke ist zu erkennen. Es gibt großzügige Paläste, Tempel, Kapitol und Forum. Die besondere Pracht der Colonia erklärt sich Müller mit klassischem Standortwettbewerb: „Auch die römischen Städte konkurrierten miteinander“. Und Xanten, sprich: die Colonia Ulpia Traiana, wollte als Musterstadt zum wirtschaftlich-militärischen Drehkreuz zwischen Britannien, Gallien und den germanischen Provinzen aufsteigen. Ehrgeiziges Stadtmarketing hat am Niederrhein eine lange Tradition.
Doppelt verschwunden
Im vierten Jahrhundert nach Christi erlischt das römische Leben am alten Rheinarm. In den Wirren der Völkerwanderung wurde die Colonia überrannt. Komplett dem Erdboden gleichgemacht wurde die Römerstadt dann im Hochmittelalter. Die Kirche trug die Ruinen aus Trachyt und Tuffstein ab. Die antike Bausubstanz findet sich im Dom und in Kirchen und Bauwerken in der ganzen Region. Nur im Erdreich unter Feldern und Wiesen schlummerten die Überreste der Ulpia Traiana.
Gerangel im Park
„Es war ein zähes Ringen, bis das Bodendenkmal überhaupt geschützt wurde“, erläutert Müller. Ende der 1960er Jahre hätten sich Stadt, Archäologen und das Landesbauministerium um den vergessenen Ort gestritten – die Kommune wollte lieber ein Gewerbegebiet entwickeln. Doch die Denkmalschützer konnten sich durchsetzen. Eine Stahlbetonfabrik wurde zurückgebaut und 1977 der Archäologische Park eröffnet.
Römisches Disneyland
Von Beginn an wurde ein „merkwürdiger Schlingerkurs“ (DIE ZEIT) zwischen ernsthafter Archäologie und dem Treiben eines Freilichtmuseums eingeschlagen. Die Archäologen haben nicht nur gegraben und geforscht. Mit Fachwissen rekonstruierten sie die Säulen des römischen Hafentempels, das Amphitheater, ein Gasthaus oder die Stadtmauer. „Am Anfang wurde das kritisiert als römisches Disneyland“, sagt Müller. Heute sei die Kritik verstummt, der Park gelte museologisch als Vorreiter: „Wenn ich den Besuchern das Verstehen leicht mache, dann habe ich mein Ziel erreicht“, lautet so etwas wie Müllers Credo.
Mentale Römer
Nächste Großbaustelle im Park wird die Ummauerung des erweiterten Geländes und der Neubau eines Verwaltungsgebäudes samt Entdeckerforum. Auch das soll leicht daher kommen. Und mit 60 Millionen Euro sind genug Entwicklungsmittel vorhanden. Weshalb die Bodendenkmalpflege im Rheinland eine so starke Lobby habe? Rom habe sich auf die rheinische Mentalität ausgewirkt, glaubt der Norddeutsche Müller: „Die Menschen begreifen die Römerzeit als ihr kulturelles Erbe“. Für sprödere Nichtrheinländer ist der Archäologische Park einfach ein gutes öffentliches Investment.
Laut einem Gutachten des Landes-bauministeriums aus dem Jahre 2001 habe sich jeder in den Park gesteckte Betrag sechsfach gerechnet, jeder dritte Arbeitsplatz in Xanten hänge mittelbar am Park. Zum Profit-Center taugt das Erfolgsprojekt aber nicht, dass muss auch der Chef zugeben: „Archäologie funktioniert nicht kostendeckend“. Der wissenschaftliche Apparat sei zu aufwändig. Aber immerhin, die Betriebskosten, sagt Müller und grinst, „die können wir decken“.
DOMSTADT
Staffellauf der Museen
Wer so erfolgreich ist, kann auch gönnen: „Hier geben wir den Staffelstab an die beiden anderen Museen weiter“, sagt Martin Müller. Das Finale des Römermuseums endet mit Szenen aus Fritz Langs Nibelungen-Film und einem Blick auf die Türme des Doms. Objekte zeigen, wie die römische Zivilisation verschwand. Etwa ein lateinischer Grabstein für einen gewissen Batimodus. Jahrzehnte später wurde er mit gleicher Inschrift einfach wiederverwendet – für eine fränkische Frau.
Am Anfang war Friedhof
Auch Xantens nachrömische Geschichte beginnt auf dem römischen Friedhof im Süden der alten Colonia. Die Gebeine des römischen Legionärs Viktor sollen hier liegen, nachdem ihn Kameraden wegen seines christlichen Glaubens erschlagen haben. „Jedenfalls wurde seit dem frühen Mittelalter ein Grab besonders verehrt“, erzählt Archivarin Elisabeth Maas – erst mit einem Bethaus, dann einer Kapelle, schließlich mit dem gotischen Dom. Und aus diesem Ort „Ad sanctos“, bei den Heiligen, entwickelte sich das spätere Xanten. Nicht nur phonetisch.
Stadt der Heiligen
Das Christentum ist Xantens Keimzelle. Noch heute bildet der Dombezirk den eigentlichen Stadtkern. Eng umschließt ein Ring von geistlichen Herrenhäusern, die so genannte Immunität, den Dom. Früher war es die Stadt der Heiligen, das Quartier von Klerus und Stiftsherren. Noch immer geht es hier stiller und besinnlicher zu. Und die Häuser tragen Anschriften, die aus der Zeit zu fallen scheinen. So sitzt das neue Stiftsmuseum ab Mitte Mai 2010 in der „Immunität, Kapitel 21“.
Understatement am Bau
Die traditionsreiche Adresse täuscht in der Wiederaufbaustadt. Museum, Archiv, Bibliothek und dazu die Xantener Dombauhütte beziehen einen Neubau. Doch anders als das auf die grüne Wiese katapultierte Römermuseum will das Stiftsmuseum bloß nicht auffallen. Die Fassade wird mit dem auch im Dom verbauten Tuffstein verschalt. „Ein Tribut an unsere römischen Wurzeln“, sagt die Archivarin Maas. Auch das Innere ist beherrscht vom Understatement, einer kühlen Ästhetik aus Granitböden, dunklen Türen und eleganten Beschlägen.
Wollen nicht stören
Elisabeth Maas, die Stifts-Archivarin und Archivleiter Udo Grote servieren Wasser aus einer Karaffe. Sie haben sich an die schlichte Eleganz ihres Arbeitsplatzes gewöhnt. „Wir haben bewusst eine mutige Architektur gewählt“, sagt Grote, im Hauptamt Diözesankonservator des Bistum Münster. In den Ausstellungsräumen sollen „die Objekte zum Strahlen gebracht werden“ – nicht die Architektur oder Museumstechnik. Und oberstes Ziel war es, so der Konservator, „die bewahrte Baustruktur des Stiftes nicht stören“.
Die Erwartungen an das Stiftsmuseum sind allerdings nicht so zurückhaltend. Im Lesesaal überschlagen Grote und Maas die Zahl der Dombesucher. Eine halbe Million Menschen würden den Viktor-Dom pro Jahr besichtigen: „Wenn nur jeder zehnte ins Stiftsmuseum kommt, wären wir zufrieden“. Ihre Ausstellung soll sich über zehn Räume erstrecken und von der Römerzeit bis zur Säkularisation reichen, als das Stift 1802 unter Napoleon endgültig aufgelöst wurde. Dass die Xantener Glaubensgemeinschaft zuvor über Jahrhunderte eine der bedeutendsten und reichsten entlang des Rheins war, werden edelste Schreine, Monstranzen, Altarkreuze, Gewänder oder kostbare Handschriften belegen.
Erkaufte Auszeiten
„Wir haben Reliquien, die zu den besten Europas gehören“, sagt Grote stolz. Um dann – ganz Diözesanangestellter – den Zeigefinger zu heben: Dem Stift, die das Mittelalter so prägende Glaubensbruderschaft von geistlichen Herren, sei es bei Edelsteinschreinen nicht um „Prunk und Protz“ gegangen. Nein, gedient hätten sie allein dem „Reichtum Gottes, dem Kult“. Freilich gab es auch weniger sakrale Anlässe für die Vermehrung der Schatztümer. Wer eine Auszeit vom strengen Stiftsleben nehmen wollte, konnte das. Er musste der Gemeinschaft allerdings kostspielige Spenden machen.
Acht Jahre Baustelle
Heute werden in der Immunität profane Fragen erörtert wie Jazzkonzerte im Museumshof oder die technische Ausstattung des Veranstaltungssaals. Wie bei jedem Neubau geht nichts ohne Handwerkergespräche. Doch sie haben jahrelange Übung. Das Projekt zieht sich seit einem Jahrzehnt hin, seit 2001 wird gebaut: „So ist das, wenn die Mittel sukzessive fließen“, erklärt Grote. Und so gesehen, ist es ein Zufall, dass das Stiftsmuseum erst als letztes Haus nach Römermuseum und Nibelungen(h)ort seiner Eröffnung entgegen geht.
SIEGFRIEDSTADT
Nibelungen-Prints
„Zunächst war ich auch kritisch“. Der Xantener Historiker Ralph Trost ist nicht nur Experte für die Stadtgeschichte in der NS-Zeit. Der 43-jährige ist auch designierter Leiter des so genannten Nibelungen(h)ortes – dem immerhin dritten neuen Museum der Stadt. Im Sommer 2009 sollte es eigentlich eröffnet werden, es wurde der März 2010. Unterm Rathausdach im Projektbüro pappen Pläne an der Flipchart. An schrägen Wänden hängen kolorierte Prints aus Fritz Langs Nibelungen-Verfilmung.
Museum ohne Belege
Trost hat in Xanten einen Schau-Ort geschaffen für das Nibelungenlied. Dabei spielt die Niederrheinstadt nur eine winzige Nebenrolle in der hochmittelalterlichen Dichtung. Siegfried – der Blondrecke, Drachentöter, Kriemhildgatte und Brunhildenbezwinger – soll aus Xanten stammen. Und mehr ist kaum zu sagen. Nicht nur dem Wirtschaftshistoriker Trost fehlen zu Siegfried die historischen Belege. Wie daraus ein Museum machen? Nach einem Experten-Hearing in der Stadt änderte sich seine Meinung – um 180 Grad: „Man kann den Mythos und den Missbrauch darstellen, der mit der Figur stattgefunden hat“, meint der Ausstellungsmacher. Die Nibelungensage habe für den heimischen Kulturraum eine ungeheure Bedeutung. Man dürfe sie sich „nicht von Hitler wegnehmen lassen.“ Gerade in Xanten nicht.
Die Nationalsozialisten erklärten die erzkatholische Stadt zur „Geburtsstätte Siegfrieds mit tausendjähriger Geschichte“. Braune Reisegruppen besuchten die Stadt, die Nazis siedelten eine Bauernschule und den Reichsarbeitsdienst an. Selbst die Altertumsforschung boomte. Den Überresten der Ulpia Traiana wurde „unter der germanischen Problemstellung“ nachgegraben, wie es hieß. Firmen wie das RWE und Industrielle spendeten für die Suche nach „Siegfrieds Edelsitz“. Archäologen beteiligten sich an dem Spiel, obwohl sie es besser wussten: Gegenüber der Presse sprachen sie von einem „nordischen Pompeji“. Aber tatsächlich legten sie das Amphitheater der römischen Colonia frei. Zeugnisse einer germanisch-fränkischen Hochkultur blieben Fehlanzeige, Mythos
Blut und Treue
Mit „kritischen Augen“ entwirft Trost seine Ausstellung. Die Instrumentalisierung der Nibelungensage ist ein wichtiges Thema. Etwa Hermann Görings Rede vor der Reichsluftwaffe 1943, der den eingeschlossenen Soldaten von Stalingrad zubrüllte, wie die Nibelungen ihr eigenes Blut zu trinken und weiter zu kämpfen. Oder „die unsägliche Parole der Dolchstoßlegende“, der Kampfbegriff der „Nibelungentreue“ – die Sage ist tief in die rechte Propagandawelt eingegangen.
Nibelungen-Pop
Schauplatz der Ausstellung sind zwei Stadttürme und ein mittelalterlicher Wehrgang. „Weil wir nichts haben, können wir alles zeigen“ – die Nöte des Museumsdirektors macht Trost zur Tugend. Die Popkultur ist Ausgangspunkt des Hauses. Kaum ein Fantasyabenteuer, das nicht auf Motive des Nibelungenliedes zurück greift. Ob Harry Potter, Herr der Ringe oder Krieg der Sterne – überall Drachen, Ringe und Verräter vom Schlage eines Hagen von Tronjes. „Darth Vader, das ist doch ganz klar die Hagen-Figur“, glaubt Trost. Aber sonst hält sich der gebürtige Xantener streng an die Fakten.
Das Nichts zeigen
Und die bleiben ziemlich niederschmetternd für Siegfried aus Xanten. Finden sich für die Brunhildes, Kriemhilds oder Etzels aus dem Nibelungenlied wenigstens vage historische Vorbilder, ist der Drachenbesieger nichts als eine Geschichte. Und genau das will das neue Museum zeigen: „Wir können zeigen, warum er nicht hier ist“, sagt Trost später beim Gang vom Rathaus zum Mittelturm. Was sein Dienstherr wohl davon hält?
Regierender Sagenfan
Emsigster Antreiber des Nibelungenmuseums ist der Bürgermeister. Christian Strunk hätte statt Jura selbst gerne Geschichte studiert. Jetzt kann er seiner Leidenschaft wenigstens als Museumsgründer nachgehen: „Ich bin verrückt nach Sagen“, bekennt der dunkelblonde 42-jährige. Und anders als sein wissenschaftlicher Angestellter liest Strunk gerne im Kaffeesatz. „Historisch ist es doch ziemlich klar“, meint Xantens Erster Bürger, dass die Siegfriedfigur mit dem Märtyrer Viktor zusammenhänge – der gleiche Name nur auf Latein, der gleiche Ort. Rund um die Nibelungensage ist kein Mangel an steilen Thesen.
Das rechnende Museum
Ralph Trost vom Nibelungen(h)ort hält wenig von solchen Theorien. Aber die Auswirkungen der Mythen nimmt er gerne mit. Von Mitarbeitern der Xantener Touristeninformation hat er erfahren, dass sich jede dritte Anfrage auf Siegfried beziehe. Und darauf baut der Familienvater seine berufliche Zukunft: „Wir wollen eine spannende und edukative Ausstellung aufbauen, die sich selbst tragen soll“. Zwar habe das Haus die Unterstützung des Rathauses. Die Empfangshalle dürfen sie sich – strategisch günstig – mit der Touristeninformation teilen. „Doch mein Gehalt wird nur bis 2010 von der Stadt gezahlt“. Danach muss Trosts (H)Ort auf eigenen Füßen stehen
Hat er nicht Angst vor den beiden anderen neuen Häusern? Nein, nein, ruft Trost, „das ist einmalig, eine Riesenkiste!“ Er freue sich auf die Konkurrenz. Und auf ein Kombiticket, mit dem Besucher Stiftsmuseum, Nibelungen(h)ort und den Dauerbrenner Römerpark besuchen können. Es gehe darum, dass Ausflügler endlich mal eine Übernachtung dranhängen, um alles zu sehen: „Wir wollen die Verweildauer erhöhen“, sagt Trost. Was nicht mehr nach Museumsdirektor klingt, sondern nach Tourismusfachmann. Gerade kommt er von einem Seminar, das sich mit Museums-Shops befasste. „Wenn der Shop läuft, ist das die halbe Miete“, weiß Trost – und ist jetzt ganz in seinem Element. Das Haus würde bewusst nicht Museum heißen, sondern (H)Ort – ein Wortspiel um den legendären Hort, das Rheingold der Nibelungen. Denn man solle das Haus nicht missverstehen. Es gehe nicht um Enthusiasmus für die germanische Mythologie: „Was wir hier machen, ist Stadtmarketing“.
Stadtentwicklung durch Geschichte
Zum Abschied gibt Stadtvermarkter Trost noch einmal den Lokalhistoriker. Schon in den siebziger Jahren hätten die Verantwortlichen eine richtungweisende Entscheidung getroffen: „Seither wuchern wir hier mit Kultur, Landschaft und Erholung. Und wir nutzen unsere Geschichte, um eine Zukunft zu haben!“ Mit den Schätzen der Vergangenheit haben sie in Xanten viel Erfahrung. Als Fischer vor 151 Jahren die Statue eines nackten Knaben aus dem Rhein zogen, wussten sie auch, was zu tun ist: Sie wuschen ihn, banden ein Tuch um seine Hüfte, stellten ihn in eine Fischerhütte – und nahmen zehn Pfennig Eintritt. Wer unters Tuch schauen wollte, zahlte das doppelte