Landtagswahl: Fortschritte für das Ruhrgebiet nur mit SPD und Grünen

Als FDP und CDU vor fünf Jahren in NRW an die Regierung kamen, stand auch das Ruhrgebiet ganz oben auf der Agenda: Aus fünf Regierungsbezirken und zwei Landschaftsverbänden sollten drei Regionalbezirke und Ruhrgebiet nicht mehr von aussen regiert werden. Heute ist in den Programmen von Union und FDP nichts mehr von dem damaligen Reformeifer zu spüren. Nur noch SPD und Grüne  wollen die Strukturen im Ruhrgebiet verändern.

2005 konnte der damalige Verkehrsninister und heute CDU-Ruhr-Chef Oliver Wittke vor Kraft und Optimismus kaum laufen: „Wir werden noch in dieser Legislaturperiode die fünf Regierungsbezirke und die beiden Landschaftsverbände zu drei Regionalbezirken zusammenschließen – einen für Westfalen, einen für das Rheinland und einen für das Ruhrgebiet. Im letzteren wird auch der Regionalverband Ruhr aufgehen.“ Heute klingt das alles ganz anders:. Fragt man Wittke danach, wann denn der Ruhrbezirk kommt, verweist er darauf, dass der Regionalverband Ruhr unter Schwarz-Gelb seine Planungskompetenz zurück bekommen hat und nun erst einmal zeigen müsse, dass er damit umgehen kann.

Auch im Landesprogramm der CDU wird nicht mehr über moderne Strukturen für das Land und das Ruhrgebiet gesprochen: Die Luft soll sauberer, die Kinder schlauer und die Arbeitsplätze mehr werden. Ausser Worthülsen nicht konkretes mehr zur Zukunft des Reviers.

Beim kleinen Koalitionspartner FDP sieht es noch düsterer aus. Die Liberalen sprechen sich für eine verstärkte Zusammenarbeit der Städte und Kreise im Ruhrgebiet aus, betonen dabei allerdings die Freiwilligkeit. Der RVR verkommt bei ihnen zu einem Moderator.

Für die Linkspartei sind sowieso alle staatlichen Strukturen sakrosant. Stellenabbau darf es ja schon aus ideologischen Gründen nicht geben. Für sie bedeutet Ruhrgebietspolitik vor allem mehr Förderprogramme und der mittelfristige Erhalt des Bergbaus.

Nur SPD und Grüne versprechen in ihren Programmen, die Strukturen des Ruhrgebiets zu verändern. Auch bei ihnen spielt ein Ruhrbezirk keine Rolle mehr. Wie in allen Parteien hat sich in dieser Frage auch bei ihnen die westfälische Gummistiefel-Fraktion durchgesetzt.  Aber immerhin: Beide wollen sich für mehr direkte Demokratie im Ruhrgebiet einsetzen, die Grünen haben sogar die Direktwahl des Ruhrparlaments in ihrem Programm. Und die SPD will das RVR-Gesetz in enger Kooperation mit allen Parteien weiterentwickeln. Immerhin, besser als gar nichts.

Die Zeiten in denen die CDU der Motor der Ruhrgebietspolitik war sind vorbei. Fortschritte für das Ruhrgebiet  wird es nur mit SPD und Grünen geben. Eine Aussage, die man vor kurzem noch für unmöglich gehalten hätte.

Die Krise des Sozialstaats – Eine Krise des gesamten Systems?

Nach Gastautoren von Grünen, SPD und Linkspartei nun ein Text aus der CDU. Christian Hallmann (links) Stellvertretender Vorsitzender der Jungen Union Dortmund und Fabio Borggreve, Kreisgeschäftsführer der Jungen Union Dortmund über die Zukunft des Sozialstaates.

„Wir müssen den Sozialstaat nach dem Prinzip der Leistungsgerechtigkeit neu erfinden“. Guido Westerwelle (FDP):

Die von Westerwelle angestoßene Debatte über das Arbeitslosengeld II sog. „Hartz IV“ offenbart vor allem Eines: Deutschland muss neue Lösungen für alte Probleme finden und darf dabei keinen seiner Bürger im Stich lassen. Das gilt sowohl für die Ärmsten der Armen als auch für die Leistungsträger dieser Gesellschaft. In der Debatte haben sich offensichtlich zwei Lager gebildet: Die Einen fordern einen allumfassenden Wohlfahrtsstaat, der die Bürger unabhängig von ihrem eigenen Beitrag finanziell umsorgt und sehen sich durch das Hartz IV Urteil des Bundesverfassungsgericht  bestätigt. Die Anderen fordern eine radikale Umkehr zum Prinzip der Leistungsgerechtigkeit und wollen den Missbrauch staatlicher Hilfe mit aller Härte sanktionieren. Vorschläge kommen aus allen Richtungen, doch dringen sie leider selten zum Kern des „sozialstaatlichen Dilemmas“ vor.

An dieser Stelle soll nun einmal versucht werden, einige neue Lösungsansätze zu präsentieren, ohne dabei in die bekannten klischeehaften Muster zu verfallen.

Das oberste Ziel der Vorschläge ist es, das offensichtlich aufgeblähte Sozialsystem zu entlasten. Hierfür bedarf es jedoch einer umfangreichen Betrachtung, weil viele Faktoren mit hineinspielen, die bei einem pauschalen Blick nicht gesehen werden:

Ohne eine Arbeitsmarktreform kann es keine Entlastung der Staatskasse geben.

Die Position der Industrienation Deutschland als reiner Produktionsstandort hat sich seit den 70er-Jahren dramatisch verändert. Die Produktionsstätten der Welt haben sich wegen der vielfach geringeren Lohnkosten zum größten Teil von den westlichen Industrieländern in den asiatischen Raum verlagert. Eine steigende Arbeitslosigkeit im Produktionssektor war die Folge. Hiervon hat sich Deutschland bis heute nicht erholt. Seit dem Jahre 1992 unterschritt die Arbeitslosenquote nicht mehr die 7 Prozent-Marke. Hinzu kommt, dass die Dunkelziffer aufgrund der statistischen Korrekturmöglichkeiten weitaus höher liegt. Letztendlich belasten die Kosten für das soziale Sicherungssystem den Bundeshaushalt überdurchschnittlich stark.

Die staatlichen Ausgaben können nur gesenkt werden, wenn die Arbeitslosigkeit zielgerichtet bekämpft wird. Dazu braucht es ein ausgereiftes Wachstumsmodell der klassischen Wirtschaftslehre. Nur mit einer Bildungsoffensive kann man eine Wachstumssteigerung erreichen. Bereits Abraham Lincoln sagte, dass Investitionen in Bildung den besten Zins geben. Die Investition in Bildung führt zu einem entscheidenden Effekt. Die benötigten Fachkräfte für den  Arbeitsmarkt werden qualifizierter ausgebildet und steigern die Produktivität von allen Unternehmen und Dienstleistern. Am Ende steht der Wirtschaftsstandort Deutschland mit einer hohen Produktivität und einem starken Wirtschaftswachstum.

Parallel dazu ist ein Schwerpunkt der Investitionen in Forschung und Entwicklung notwendig, um einen Technologievorsprung zu erzielen. Dies bietet zusätzlichen Raum für die Entstehung neuer Arbeitsplätze und transformiert Deutschland in eine Wissensgesellschaft. Durch seine hohe Innovationskraft bleibt Deutschland als Standort weltweit konkurrenzfähig.

Unter diesen Rahmenbedingungen entsteht eine höhere Arbeitsnachfrage, die vom Arbeitsmarkt gedeckt werden muss. Die Arbeitslosigkeit sinkt und die Einzahlungen in das Sozialsystem steigen.

Die Schlussfolgerung lautet: „Wohlstand und Wirtschaftskraft durch Wachstum und Innovationen“.

Gute Bildung schafft Wohlstand für Alle.

Eine Bildungsoffensive in Deutschland setzt ein Bildungssystem voraus, das dies leisten kann. Die ideologisch motivierte Reformwut hat jedoch zu einem ineffektiven und ungerechten Schul- / Bildungssystem geführt. Das Nebeneinander von Gesamtschulen und dem dreigliedrigen Schulsystem, mit dem eine konsequente Entwertung der jeweiligen Abschlüsse einherging, hat die Hauptschule zu einem Sammelbecken für Perspektivlose gemacht. Indem man sich lange den internationalen Standards im Bereich Bildung verwehrte, provozierte man die alarmierenden Ergebnisse der Pisa-Studie.

Bei den Hauptschulen hat diese Entwicklung zusammen mit einer Verschärfung der sozialen Verhältnisse zu dramatischen Ergebnissen geführt, die allwöchentlich die Boulevardblätter zieren. Kriminalität wird oft von Betroffenen genannt, um der Arbeitslosigkeit und der Bedürftigkeit  entfliehen.

Zudem könnten die Verhältnisse in den Bundesländern ungerechter nicht sein. Die südlichen Bundesländer erzielen aufgrund frühzeitig angezogener Leistungsanforderungen bessere Ergebnisse in den Vergleichsstudien.

Ähnlich desaströse Zustände zeigen sich an den deutschen Hochschulen. Eine dilettantisch umgesetzte Reform der einst wertigen und international anerkannten deutschen Abschlüsse hat zu einem Bildungschaos geführt. Die Proteste der Studenten sind berechtigt. Leider werden von den Verantwortlichen der Hochschulen nur zögerlich Konsequenzen gezogen.

Die hinterherhinkenden Bundesländer müssen die Widersprüche in ihren Schulsystemen abbauen. Die Anforderungen müssen erhöht und die Dauer der Schuljahre verkürzt werden, um dem internationalen Bildungswettbewerb stand zu halten. Gleichzeitig müssen mehr und besser ausgebildete Lehrer eingestellt werden. Außerdem muss das Konzept der vorschulischen Ausbildung im Kindergarten weiter und effektiv ausgebaut werden. Schließlich ist eine ganztägige Betreuung in der Schule zu ermöglichen, um vor allem Kindern aus sozialbenachteiligten Familien Zugang zu mehr Bildung im Anfangsstadium zu verschaffen. Kindern, die wegen ihrer Herkunft der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtig sind, kann durch interkulturelle Kindergärten (ausgewogener Anteil an deutschen und ausländischen Kindern in einem Kindergarten) und gezielte Sprachförderung im Kindesalter geholfen werden. Hier kann das Kölner-Modell Vorbild sein.

Die Einheitsschule stellt bei allen interessanten pädagogischen Erwägungen ein weiteres Experiment auf Kosten der Bildungssicherheit junger Menschen dar. An eine Einführung ist jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu denken, wenn nicht zuvor die Widersprüche und Probleme im bestehenden Schulsystem behoben werden.

Was die deutschen Universitäten und sonstigen Hochschulen anbelangt, muss eine weitere Straffung und Vereinheitlichung der Bachelor- und Masterabschlüsse von den jeweiligen Bundesländern eingefordert und unterstützt werden. Die Studiengebühren dürfen nicht abgeschafft werden. Stattdessen müssen finanzielle Nachteile von Studenten durch ein weitreichendes, effektives und gerechtes Stipendiensystem ersetzt werden. Wenn Bildung nicht umsonst ist, wird der Leistungsgedanke in den Mittelpunkt gestellt.

Eine geordnete Zuwanderung entlastet das Sozialsystem und erleichtert Integration.

Das Sozialsystem in Deutschland wird auch durch Zuwanderung beeinflusst. Die ideologisch überlagerte Diskussion um Deutschland als Einwanderungsland hat die Situation am Arbeitsmarkt zusätzlich verschlechtert. Anstatt ehrlich zu bekennen, dass man qualifizierte und arbeitsmarktorientierte Zuwanderung aufgrund der demographischen Entwicklung braucht, hat man nur eine ineffektive Kompromisslösung geschaffen: Das Zuwanderungsgesetz. Die damit verbundene Debatte über die sog. Einbürgerungstests hat einen unwichtigen Nebenkriegsschauplatz eröffnet, an dem sich nach wie vor die Gemüter erhitzen.

Wie eine vor wenigen Monaten veröffentlichte Studie des Bundesarbeitsministeriums zeigt, gibt es nach wie vor eine Einwanderung in das deutsche Sozialsystem. Das Familiennachzugsrecht spielt dabei eine entscheidende, von der Politik immer wieder ignorierte, Rolle. Eine echte juristisch praktikable Begrenzung wurde von der rot-grünen Regierung aus ideologischen Gründen abgelehnt. Das Ergebnis ist, dass die zweckentfremdete Nutzung des Familiennachzugsrechts in keiner Weise reduziert werden konnte. Andere EU-Länder wie Frankreich haben das Problem erkannt und mittlerweile entsprechende Begrenzungen auf den Weg gebracht. Amerika und Kanada haben einen Großteil ihrer ökonomischen Erfolgsgeschichte auf einer gezielt gesteuerten Einwanderungspolitik aufgebaut.

Das gesamte Zuwanderungsrecht muss unter dem Leitbild einer menschlich würdigen und ökonomisch sinnvollen Steuerung der Zuwanderung geregelt werden. Das sinnvolle und unkomplizierte kanadische Punktesystem bei der Einwanderung kann hierbei Vorbild sein. Hierbei werden Punkte in wichtigen Kriterien wie Alter, Bildungsstand, Sprachkenntnis u.v.m vergeben. Die Anzahl der Punkte entscheidet dann über die Zuwanderung.

Man würde damit auch den in Deutschland lebenden Migranten endlich Ruhe verschaffen, weil die von den rechten Parteien polemisierte Überfremdungsangst unbegründet würde. Es muss der Öffentlichkeit deutlich gemacht werden, dass diese Thematik von existenzieller Bedeutung für Deutschland ist.

Familienpolitik in Deutschland muss die Steigerung der Geburtenrate als oberstes Ziel definieren.

Wer Zuwanderung steuert muss auch den Nachwuchs von Arbeitskräften in seinem Land im Auge behalten. Durch die sinkende Geburtenrate und die älter werdende Bevölkerung ergibt sich ein nie zuvor dagewesener demographischer Wandel in Deutschland. Weniger Erwerbspersonen könnten das Arbeitsvolumen zukünftig nicht mehr bewältigen. Wird weniger erwirtschaftet, steht auch dem Sozialsystem weniger Einnahmen zur Verfügung. Bei einer steigenden Anzahl von älteren und bedürftigen Menschen kommt dieser Entwicklung eine hohe soziale Sprengkraft zu.

Die Familienpolitik muss Deutschland deshalb endlich wieder kinderfreundlich machen. Es ist nicht hinnehmbar, dass ein Kind in Deutschland mit Arbeitsplatzverlust und sozialem Abstieg gleichgesetzt wird. Die Betreuungsplätze müssen massiv und öffentlichkeitswirksam ausgebaut werden. Wir müssen wechseln von einer staatlichen Zuschusspolitik hin zu einer steuerlichen Entlastungspolitik. Vor allem berufstätige Familien müssen massiv steuerlich entlastet und dadurch belohnt werden. Für Bedürftige muss es nach wie vor Zuschüsse geben. Nur so kann ein breiter Ansatz für eine Steigerung der Geburtenrate in Deutschland gesetzt werden. Auch wenn eine Mehrausgabe benötigt wird, so ist sie für Deutschlands Zukunft unverzichtbar.

Hartz IV-Missbrauch findet täglich in Deutschland statt und schadet der großen Mehrheit der redlichen Arbeitslosen.

Der nicht zu unterschätzende Missbrauch von Hartz IV-Leistungen schädigt den Staat, die Bedürftigen und die Arbeitsmoral der gesamten Nation. Der Missbrauch kann schon wegen der Überlastung der zuständigen Sachbearbeiter in den Arbeitsämtern nicht ausreichend bekämpft werden. Eine in ihrer Anzahl nicht zu unterschätzende Minderheit nimmt für sich ein Recht auf „bezahltes Nichtstun“ in Anspruch. Außerdem zeigen die Kriminalstatistiken eine erhebliche Anzahl von Straftaten, bei denen zu Unrecht Hartz IV Leistungen erschlichen wurden.

Die bereits verfügbaren Sanktionsmittel müssen endlich strikter angewandt werden. Bei Arbeitsunwilligkeit ist eine drastische Kürzung oder eine Streichung der Bezüge nur konsequent. Zusätzlich sind auch Modelle der Ersatzbeschäftigung in Betracht  zu ziehen. Hier muss jedoch im Einzelfall geprüft werden, welche Tätigkeiten sinnvoll sind und die Privatwirtschaft nicht schädigen. Die Priorität hat jedoch auf dem Wiedereinstieg in ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis zu liegen.

Hierbei ist es vor allem notwendig eine Gesamtanalyse der Beschäftigungsperspektiven vorzunehmen, bevor Umschulungsmaßnahmen angeboten werden.

Wer den Sozialstaat retten will, muss ihn reformieren

Es zeigt sich, dass der Missbrauch von Hartz IV, wie er von Westerwelle und anderen angeprangert wird, bei weitem nicht das größte Problem unseres Sozialstaats ist. Vielmehr wird das einst fortschrittliche Modell unseres Sozialsystems durch die modernen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen in seiner Existenz bedroht. Hierbei greifen die oben genannten Missstände vielfach ineinander und verschärfen das Dilemma des Sozialstaats zusätzlich. Wer den Sozialstaat wirklich retten will, sollte die Bevölkerung endlich auf die notwendige Reform des gesamten Systems vorbereiten. Erst wenn die negativen Effekte in den Bereichen Arbeitsmarkt, Bildung, Zuwanderung, Familienpolitik und Hartz IV-Missbrauch ernsthaft bekämpft werden, kann man auch wieder eine ehrliche Verteilungsgerechtigkeit in Deutschland aufbauen. Der Weg zu mehr Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit wird eben nicht durch Klientelbevorzugung und Steuererhöhungen geebnet. Vielmehr muss der Staat die Voraussetzungen für eine echte Chancengleichheit in allen der oben angesprochenen Bereiche schaffen. Wenn er sich den oben angesprochenen Reformen noch weitere zehn Jahre verweigert, wird der Sozialstaat – im Gegensatz zu heute – nicht mehr zu retten sein.

Christian Hallmann & Fabio Borggreve

Der Ruhrpilot

Opel: Bochumer Belegschaft soll 20 Millionen einsparen…Der Westen

Rechte: Pro NRW will in Bochum Fuß fassen…Ruhr Nachrichten

Rechte II: Duisburger Polizei behindert Demonstranten…Der Westen

Nazis: Lebenslänglich für SS-Killer…Spiegel

NRW: DGB für Rot-Grün…Bild

Innovation City: Gelsenkirchen und Herten bewerben sich…Hometown Glory

Debatte: Sind Rechtspopulisten die neuen Arbeiterparteien?…Zeit

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Die Killerliste der freien Kulturszene im Pott ist da

Die Killerliste der so genannten Freien Kulturszene ist raus. 

Die Nummer war verlockend. Die Staatskanzlei unter Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) hat im Jahr der Kulturhauptstadt für die freie Kulturszene einen Topf mit Geld hingestellt. Darum durfte sich jeder bewerben, der wollte und am Ende wurden 17 Gewinner ausgewählt, die sich nun auf einen warmen Geldregen freuen dürfen. Einer bekam noch Geld aus dem vergangenen Jahr. Insgesamt müssen sich die Sieger die Summe von sagenhaften:

289.300 Euro

teilen.

43 Projekte gingen leer aus.

Mich überrascht zunächst, dass eine recht normale Internetseite wie das Pixelprojekt Ruhr 31.000 Euro kassiert. Wofür? Das ist eine normale Vermarktungsseite für Fotografen. Wenn die Geld kriegen, warum kriegen die Ruhrbarone nix? Oder der Pottblog, oder sonst irgendeine Seite, die im Ruhrgebiet unterwegs ist. Na gut, das Pixelprojekt macht mehr große Worte über sich und was es tut, aber sonst? Diese Entscheidung verstehe ich nicht.

Dass die Jazzprojekte aus Dortmund Geld bekommen haben und zwar 31.000 Euro kann ich dagegen gut nachvollziehen. Oder die Tänzer-Performer-Truppe von Artcenico aus Dortmund insgesamt rund 20.000 Euro. Auch dass der Bahnhof Langendreer für sein Odyssee-Programm 2010 gut 39.000 Euro kassiert, finde ich OK. Die machen gute Sachen.

Warum aber das Kino im Bahnhof für das Festival Blicke auch noch mal kassiert, obwohl das Kino Endstation andauernd von irgendwem für irgendwas Förderkohle kriegt, das finde ich wieder nicht so richtig nachvollziehbar. Der Kinoklub klack zwo B e.V. kassiert hier am meisten, nämlich 40.500 Euro. Aber gut: das Programm ist auch OK. Da will ich nicht mosern. Wie geht es weiter: Das Internationales Videofestival in Bochum kriegt 11.000 Euro. Tja. Und der Videofilmer Michael Gumnor aus Düsseldorf kriegt 10.000 Euro dafür, dass er zehn ausgewählte Off-Szene Projekte filmt. Toll.

Aber was soll ich mich aufregen. Das meiste ist sicher vertretbar. Ansonsten ist auffällig, das viele der üblichen Verdächtigen ihren Arm in den Geldregen strecken konnten: Aus Essen das Grend, der Ringlokschuppen aus Mülheim und der Künstlerbund aus Bochum. Aus Duisburg oder Bottrop oder Gladbeck oder Castrop kriegt keiner was – aber aus Herne die Zeche „Unser Fritz“ ein paar tausend Euros.

Die Looser sehen so aus, als hätten sie in der großen Überzahl zu recht nix gekriegt. Ich erwähne hier mal nur den Sammelband der Weseler und niederrheinischer Sagen oder den Relaunch des Kulturservers dieRuhr.de. Das verdient kein Steuergeld, denke ich.

Schade ist es, dass aber auch so Nummern, wie die Schauer- und Gruselgeschichten aus Langendreer und dem Ruhrgebiet vom Figurentheater Bochum nix bekommen haben. Die machen eigentlich tolle Sachen.

Wie auch immer: macht Euch ein eigenes Bild.

SPD-Wahlplakate: Jetzt in Bunt und in Farbe

Die SPD hat den Vierfarb-Druck entdeckt: Die Wahlplakate, mit denen die Sozialdemokraten Nordrhein-Westfalen erobern wollen, sind bunt.

Mit Farbe gegen Schwarz-Gelb. Die Sozialdemokraten in NRW, bislang nicht gerade für ihre Flippigkeit bekannt, haben einen Kessel Buntes angerührt: Sieben Plakate zu Themen wie Mindestlohn, Atomkraft und Bildung sollen die Wähler überzeugen.

Irgendwie erinnert das alles ein wenig an Waschmittelwerbung aus den 70ern. Aber da war ja die Welt auch noch in Ordnung: SPD-Kanzler, SPD-Ministerpräsident und im Fernsehen wurden die Kinder von Ratz und Rübe politisch eingenordet.

Vielleicht muss man sich auch erst daran gewöhnen.

Kulturetats Ruhr: Die goldenen Jahre sind vorbei

Ruhr2010 und Deutscher Kulturrat luden in die Essener Philharmonie, die Dortmunder Musikwirtschaft e.V. ins FZW. Zweierlei Einblick in knappe kommunale Kassen, Problemstellungen und Lösungsmöglichkeiten.

Ich weiß nicht, wie pleite eigentlich sonst die Städte auf dem weiten Globus sind. Und vor allem frage ich mich immer: Wem schulden die eigentlich all das Geld? Wer hat sie in der Hand? Aber natürlich auch: Wo sparen wir denn? Und das ist natürlich schon Parteinahme, denn viele sagen a) „Bei mir nicht!“ und b) „Wir dürfen uns jetzt nicht gegeneinander ausspielen lassen!“. Und dann tun sie es hintenrum doch oder bieten von sich aus Kürzungen an. Gerade im Kulturbereich fetzt das derzeit natürlich: Theater zu hier, Museum weg da, Kürzungen überall. Und: Ja, das ist nicht lustig, hat aber seine Momente, vor allem wenn man sieht, was wann noch wie in letzter Zeit alles schnell installiert wurde – immer hübsch im Rücken natürlich: Die nachhaltig irgendwie tierisch einschlagende Kulturhauptstadt 2010. Aber konkreter:

Vor dem FZW rede ich mit einem bekannten Veranstalter, den es beruflich von Dortmund nach Köln verschlagen hat. Er oszilliert sozusagen wild zwischen verschiedenen Rollen, wenn er einmal auf die Zusammenhänge angesprochen wird: Da ist die Frage nach dem Kindergartenplatz. Aber auch die nach dem Kulturstandort Dortmund als Ur-Dortmunder. Dann ist da der Veranstalter, der gute Parties und Konzerte will. Aber auch der Vater, der ein klares Angebot an Jugendarbeit will. Alles nachvollziehbar, alles soll sein. Überhaupt ist der Ort der Handlung in Nachbarschaft des „U“ ein wenig zwiespältig: Die Gebäude erinnern an die ehemals so postulierte „Designstadt“ auf Zollverein. Hier wollen die einen dicke Verlage, die anderen Webdesigner als schwer zukunftsträchtige Standortfaktoren, Abteilung Kreativwirtschaft ansiedeln. Und auch am Bahnhof wird noch schwer gebaut. Sind das die letzten Investitionen in Zukunftsfähigkeit vor dem großen Kahlschlag? Und wird da in eine ungewisse Zukunft (und eine sichere der Bauherren) investiert, während andernorts die „Freie Szene“ dicht gemacht wird? Ich sage zu dem Veranstalter u.a., dass bei all dem Konkurrenzkampf um das „Wie“ der Programmgestaltung im FZW in Betracht gezogen werden sollte, dass die Stadt hier demnächst auch Ausstellungen machen könnte, die dann z.B. im Künstlerhaus Dortmund nicht mehr stattfinden können.

Szenenwechsel in die Philharmonie Essen, einen Tag zuvor: Ein lokal engagiertes Mitglied der „Freien Szene“, der gleichzeitig kulturell aktiv ist, nicht nur in einem soziokulturellen Zentrum, zündelt im Saal mit einem Feuerzeug scherzhaft an seinem Stuhl. Hintergrund: Kurz zuvor hatte ein OB erklärt, man habe gerade drei Bäder geschlossen, eines sei leider abgebrannt. „Ein Haus weiter gehen, bitte!“, zische ich, denn da steht immerhin das Aalto. Nun wurde in Bezug auf die Theater und Philharmonie GmbH im Rahmen der Essener Kürzungen am meisten zugeschlagen, und so bemühen sich sogar der Deutsche Kulturrat und O. Scheytt persönlich um „Kulturfinanzierung – welche Möglichkeiten bestehen“. Hier wie einen Tag später in Dortmund bemerkt man gewisse regionalistische Tendenzen: Ist es in Dortmund die Konkurrenz zu Bochum, Köln oder den Westfalenhallen, die das Aushilfs-Feindbild abgeben müssen, ist es hier „der Osten“, „das Land“ oder die Bundesregierung, die sich einfach nicht zu hilfreichen Maßnahmen bereiterklärt. Aber es gibt Ansätze: Eine Festsetzung eines garantierten Mindest-Kulturetats. Operative Zusammenschlüsse von z.B. Museen oder Theatern. Bis hin zum Einschreiben der Kulturförderung in die Verfassung. Allgemein anerkannt ist, dass die Kommunen sehr stark geschröpft wurden und mit diesem Jahr zumindest eine neue Gewichtung der Bedürftigkeiten der einzelnen Kommunen in Deutschland hermuss. Beim anwesenden Publikum kommt der Hinweis von O. Scheytt, man könne für ein Freibad auch mal 2 Kilometer weiter fahren, sehr gut an. Als er von den Abermillionen spricht, die die Kulturhauptstadt in die Kassen spülen wird, hofft man nur, das nicht im Dezember immer noch hören zu müssen.

All dies sind interne Lobby-Beruhigungsgespräche. Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, sagt irgendwann, dass in punkto Kürzungen meist verliere, wer sich zuerst bewege und dass immer die übrigblieben, die sich als widerstandsfähig erweisen. Platt, ja. Und eine Mahnung an unorganisierte, freie Kulturträger, die sich am Tropf der Kommune befinden. In Dortmund kann dazu, je nachdem wo man hinhört, zweierlei erlauscht werden: a) „Wenn die CDU drankommt, macht die die ganze Freie Szene platt!“ oder b) „Die SPD und Gorny machen das eh schon durch all die neuen, großen Kreativzentren.“ Naja, Parteien. Wer in Essen genau hingeguckt hat, sieht zum Glück auch, dass diese Wahlstimmenerstreiter oft auch arbeiten und z.B. in Enquete-Kommissionen gemeinsame Perspektiven entwickeln können. Wie sehr sie sich einig sind, zeigen sie in Zeiten des Wahlkampfes aber oft nicht. Und da muss dann wirklich jede Kulturinstitution bei ihrer Lobbyarbeit aufpassen, denn: Filz ist auch nicht mehr das, was er mal war – gerade in so einer (jetzt kommt’s) Metropole wie dem Ruhrgebiet!

3 FÜR 7 – Drei Veranstaltungen der Woche

Gestern die ganz große Kulturlobby samt Deutscher Kulturrat in der Essener Philharmonie, heute „Gesprächskreis“ rund um das Dortmunder FZW: Über beides später mehr. Einstweilen: „Lady Windermeres Fächer“, „Unsere Stadt braucht Lieder!“, „Der Innere Innenminister“.

Bitte aufzeigen: Wer kennt Oscar Wilde nicht? Grummel. Na gut, wollen wir mal glauben. Der Abgebildete und sein „Lady Windermeres Fächer“ wurden jedenfalls mal von Ernst Lubitsch verfilmt – ohne Ton, es war im frühen 20. Jahrhundert. Die Essener Philharmoniker unter Leitung von Helmut Imig nutzen diese Steilvorlage morgen – nein, nicht im „schönsten Museum der Welt“ – in einem gut erhaltenen Lichtspielhaus an der Kettwiger Straße, um die Bilder mit Rachmaninov, Wagner, Ries und anderen antiken Klassikern … nun, zu untermalen, aber mit kräftigem Strich. Warum der „Filmspiegel“ erwähnt, dass die oberen Zehntausend von heute nicht mehr wie die oberen Zehntausend von damals sind, und dass der Film wie ein „Rührstück“ wirke? Warum er erwähnen zu müssen meint, dass die „weitgehend illustrative Musik“ von Imig „verständliche“ Töne (Anführungszeichen so im Original) anschlage? Ach,…

Irgendwann traf der Autor dieser Zeilen vor dem Proberaum der Familie Staub ebenjene. Kurz zuvor hatte dieses von gegenseitiger Höflichkeit geprägte Interview stattgefunden. Und so verhält man sich untereinander, Sänger Florian Streier ist ein durchaus dem, was er für das Schöne, Gute, Wahre hält, verpflichteter Künstler. Jedenfalls kam das Thema auf, ob der Autor dieser Zeilen mit seinem DJ-Duo-Kollegen aus u.a. Radio Gruga Zeiten nicht Teil nehmen wolle an „Unsere Stadt braucht Lieder!“. Und er lehnte höflich ab, da ihm das wiederum nicht zu Image, Ansatz und Spaßverständnis dieser anderen (kleinen) Künstlergruppe zu passen schien. Er fügte aber hinzu, dass er sich persönlich schon gut vorstellen könnte, im Sinne der am ersten von drei Festivalabenden auftretenden Künstler/innen um die Auftritte herum auflegen zu können. Letztlich sei ihm aber „Neue Songs der Metropole Ruhr“ als Untertitel dann doch viel zu überdick aufgetragen und er höre sanftes Songwriting wenndann eher privat, als das im Grend von Konserve zu spielen (wenn grad niemand zuhört). So war das. Desiree Klaeukens und Stadtlichter sind die Namen der anderen live musizierend Teilnehmenden.

Wenn Bernadette „La“ Hengst mal wieder im Ruhrgebiet ist und nicht gerade 3-Stunden-Konzerte im Druckluft absolviert, dann geht es meist um Theater. Nach der Eichbaumoper ist auch diesmal der Ringlokschuppen (Einblicke in dieses Etablissement hier) an diesem Gastspiel viel mehr als nicht ganz unbeteiligt, und es geht wohl darum, wie sich in Deutschland Politik(er) in aber auch jedes kleinste bisschen an Leben einmischen meinen zu müssen, und dies in Gestalt eines SuperInnenZukunftsMinisters. Der Autor dieser Zeilen kann diese spezielle Art der Politisierung derzeit gut nachempfinden, es sind ja (immer) bald Wahlen, es ist „Dauernotstand“, Krisenkrisenkrise, mal wie in der DDR und dann wieder Turbokapitalismus, die Pfandflaschen könnten mal raus und er „muss“ ja gleich auch noch zu Kulturetatdebatten zwischen Jugendamt und Nachwuchs-Unterhaltungsindustrie nach Dortmund.

„Lady Windermeres Fächer“ am Mittwoch.
„Unsere Stadt braucht Lieder!“ erstmals am Freitag.
„Der Innere Innenminister“ auch erstmals am Freitag.

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Der Ruhrpilot

Ruhrparlament: Einstimmig Hilfe für Kommunen gefordert…Pottblog

Protest: Polizeigewalt in Essen…Bo Alternativ

Ruhr2010: Die längste Tafel der Welt…Welt

Ruhr2010 II: Wo selbst der Müll graziös anmutet…Kölner Stadtanzeiger

Duisburg: Rot-Rot-Grün verabschiedet Haushalt…RP Online

Dortmund: Führt Langemeyer Aufsichtsratskohle ab?…Ruhr Nachrichten

Dortmund II: Die Mauer ist weg…Frontmotor

Bochum: Bank muss an Lehmann-Opfer zahlen…Der Westen

Medien: Von alten Medien lernen…Kontextschmiede

Medien II: Demo gegen Zeitungsschließung…Medienmoral NRW

Kachelmann: Der Beschuldigte und sein Verteidiger…Law Blog

Debatte: Heinsohns Demographie-Kettenbrief…Weissgarnix

Dierkes: Schnee vom letzten Jahr…Prospero

Digital: Barcamp 3.0…Der Westen