Die grüne Spitzenkandidatin und künftige Königsmacherin Sylvia Löhrmann prognostiziert: „Wenn jetzt zwei Frauen Nordrhein-Westfalen regieren wäre das der Wahnsinn“. Ein Bericht von der grünen Partei-Kirmes
Für die Grünen ist am Abend voller Wankelmut zumindest eins sicher: Sie sind die Sieger an Rhein und Ruhr. Mit mehr als 12 Prozent der Stimmen haben sie das beste Ergebnis einer Landtagswahl errungen und ihre Stimmen im Vergleich zu 2005 verdoppelt. „Bei uns gibt es keine Nebenwirkungen – bei uns gibt es nur riesige Freude,“ rief die grüne Spitzenkandidatin Sylvia Löhrmann auf der Wahlparty 100 Meter vom Landtag entfernt am Rhein. Sie kam minutenlang nicht zu Wort und wurde von ihren Anhängern frenetisch bejubelt. Auch wenn sich im ersten Moment noch kein Bündnis aufdrängte – die Grünen wurden an den Verhandlungstisch gewählt.
Bei den vergangenen vier Wahlen in Nordrhein-Westfalen – ob Kommunal oder Europa – haben die Grünen jeweils zugelegt. Und haben in den vergangenen Monaten klar für Rot-Grün in Düsseldorf geworben. „Wir sind die Königsmacher für eine Energiewende und eine neue Schulpolitik“, rief Spitzenkandidatin Sylvia Löhrmann. Sie wird bei fast allen der potentiellen Bündnis-Optionen die entscheidende Stimme liefern. Nur bei einer sehr unwahrscheinlichen großen Koalition wären die Grünen draußen – aber immerhin die mit Abstand größte Fraktion auf der Oppositionsbank.
Erstmal aber glauben alle an die zukünftige Macht. „Schwarz-Gelb in Nordrhein-Westfalen ist weg“, jubelte auch Löhrmann. Als die bedrückten FDP-Kandidaten auf den Fernseh-Bildschirmen auftauchten setzte ein vielstimmiger „Auf-Wiedersehen“-Chor ein. Die bisherige Düsseldorfer Regierungspartei war den Grünen an Rhein und Ruhr in den vergangenen fünf Jahren das liebste Feindbild. Bündnisse mit den Liberalen haben die Grünen per se ausgeschlossen. Schon lange vor den ersten Prognosen tanzten die Grünen am Düsseldorfer Rheinufer zu Trommelmusik und tranken fair gehandelten Kaffee. Grün angezogene Kinder wurden mit I-Phones von ihren Eltern neben einem überdimensionierten grünen Bär fotografiert. Es war eine sonnenbeschienene Partei-Kirmes. Ihre Unterstützer lagen zufrieden und unaufgeregt im Gras, in Sichtweite zum Landtag.
Am späten Nachmittag ging das erste Raunen durch die Menge. „Wir sind zweistellig“, brüllte ein Mittzwanziger im lila T-Shirt und Anti-Atom-Button. „Dies ist ein klares Votum gegen die Atompolitik und die neuen Kohlekraftwerke an Rhein- und Ruhr“, sagte die grüne Landesvorsitzende Daniela Schneckenburger. Die Details aber würden erst am heutigen Montag in den Gremien der Partei geredet. Der Geschäftsführer der grünen Bundestagsfraktion und Kölner Volker Beck sieht nach den ersten Prognosen „keine Chance mehr für schwarz-grün.“ Beck glaubt an das rot-grüne Wunschbündnis. „Zwei Frauen an der Spitze ist nach Egobossen wie Wolfgang Clement wäre für das Land kulturell sehr wohltuend.“
Die Grünen haben sich an Rhein und Ruhr etabliert. Gerade im sozialdemokratischen Ruhrpott holten sie in vielen Großstädten weniger als fünf Prozent. Nur universitäre Hochburgen wie Münster, Aachen und Bonn hievten die Partei seit 1990 über die 5-Prozent-Hürde. Nach zehn Jahren an der Regierung kam 2005 der Abstieg auf 6 Prozent und der Gang in die Opposition. Ein bisschen waren sie damals auch froh über die Trennung der zehnjährigen Ehe mit der SDP. Der traditionell linke Landesverband hatte an den Alleinkämpfern wie dem früheren SPD-Ministerpräsidenten Wolfgang Clement schwer zu knacken.
In der Opposition haben sie sich auch neu erfinden können: Unter der früheren Lehrerin Sylvia Löhrmann wurde die Bildung zu ihrem Hauptthema. Fortan stritten sie für eine kostenlose Schulmahlzeit und gemeinsames Lernen bis zur zehnten Klasse. Vorhaben, die sie mit ihrem „Wunschpartner“ SPD zu hundert Prozent teilen. Auch am Wahltag war den Parteigängern am Rhein klar: Rot-Grün ist die Wunschoption.
Mit der erneuerten SPD von Hannelore Kraft können sich die meist jungen Supporter sehr viel besser anfreunden als ein Bündnis mit dem schwer abgestraften Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers. Schon kurz nach der ersten Prognose riefen die sektbeseelten Anhänger ununterbrochen „Rot-Grün“. Die Basis haben ihre Sympathien eindeutiger verteilt als die Wählerinnen und Wähler an Rhein und Ruhr. Und auch wenn die Hochrechnungen noch minütlich schwankten – zwei Fahnenschwenker von der SPD wurden frenetisch im grünen Hauptquartier begrüßt.