Williamsburg, New York, Teil 5: Nachbarschaftsgärten und Hausbesetzer

williamsburg-5Schießereien, im Williamsburg sowie schon weniger als zum Beispiel in Bed Stuy, in der South Bronx oder in Central Brooklyn,  wurden nach dem Zuzug der mutigen jungen und meistens engagierten Leute im Williamsburg zur absoluten Seltenheit.

Es gab weiterhin die No-No-Go Arreas, aber die Stadtteilbereiche außerhalb dieser besonderen Risikozonen wurden immer sicherer. Die Hot-Zones wurden sozusagen eingehegt und ansonsten weiter systematisch gemieden. Die leeren Häuser wurden mit Hilfe der Stadt, die mittlerweile für all diese Viertels Hilfsprogramm aufgelegt hatte, entweder ganz abgerissen oder renoviert und neu bewohnt. Da, wo nur leere Brachen überblieben wurden Nachbarschaftsgärten angelegt und/oder Selfmade-Autoreparaturen und Ersatzteillager errichtet.

Diese Grundstücke, auf den vorher halb abgebrannte Häuser standen, gehörten in der Regel sowieso der Stadt, weil in New York jedes Grundstück samt Haus ins öffentliche Eigentum ohne Entschädigung überführt wird, wenn mehr als 3 Jahre dafür keine Grundsteuer bezahlt wird.  So konnten die Nachbarschaftsgärten auch offiziell den Bewohnern überlassen werden. Das gleiche galt für die leer stehenden Häuser, die von den Bewohnern in Selbsthilfe renoviert werden konnten. Die örtlichen Kirchen unterstützen solche Menschen mit Baumaterial und Expertenwissen.

Die Kreativen-Community passte in dieses Selbsthilfe-Konzept bestens hinein, denn sie verdrängt zu diesem Zeitpunkt niemanden und waren sogar Vorbild für die nun sich immer stärker entwickelnde Eigeninitiative der Bewohner.

Den eigentlichen künstlerischen Aktivitäten stand die lokale Mehrheitsgesellschaft jedoch eher skeptisch bis gleichgültig gegenüber. Auch den Szenekneipen und Galerien die mit der Phase der Szenebildner in den Stadtteil kamen. Aber auch die besetzen Leerstände und belebten damit das Viertel weiter. Im Gegensatz zu den Galerien und Künstlerstudios/Lofts waren die neuen Restaurants auch für die Polen und Latinos interessant. Zumindest für die, die sie bezahlen konnte, was nicht so schwierig war, weil die Preise dort noch erschwinglich waren.

Obendrein nahm die Arbeitslosigkeit in Williamsburg langsam aber sicher ab, weil die ganze Stadt, ja die gesamten USA wieder Jobs für die Unterschicht anzubieten hatte. Es kamen die sogenannten golden Jahre der Gentrification, denn alle im Stadtteil hatten in dieser Phase etwas davon. Die Zugezogenen genauso wie die, die es in der Krise dort aus- und durchgehalten hatten. Der Stadtteil wurde nicht nur immer sicherer sondern auch immer interessanter und vor allem ordentlicher. Der Müll auf den Straßen verschwand vollständig, es gab keine hohlen Fenster und Türlöcher mehr, und da wo es sie noch gab, da waren auf einmal ordentliche Zäune drum herum oder sogar Baugerüste die auf baldige Renovierung hinwiesen.

Die älteren Bewohner saßen wieder, wie früher, bei  angenehmem Wetter auf der Treppe vor dem Haus. Auch nach dem es  dunkel geworden war. Die jungen Leute saßen vor ihren  immer noch etwas schmuddelig aussehenden ehemaligen Lagerhäusern und Fabriken, oder auf deren Dächern und schwätzten bis tief in die Nacht. Die Straßen der Latinos waren in den warmen Sommernächten wieder voller Salsa Musik zu der gerne auch auf der Straße getanzt wurde. Es gab sogar wieder eine kleine Stadtteil-Salsoteca in der man fantastische Bands hören konnte. Beim Zuhören und dazu tanzen blieben  die Latinos aber vorerst unter sich. Wie in ihren öffentlich und/oder kirchlich  geförderten Kultur- und Sozialklubs.

Aber auch die jungen mehrheitlich weißen Zuwanderer brachten ihre Musik mit. Die ersten House-und Punk-Clubs entstanden aus privaten Roof- und Loftparties. Später kam Jazz und Rock dazu. Es war zunehmend, so sagten mir die Eingeweihten, wie in den Siebzigern in der Lower East Side in Manhattan. Damals war es da auch noch billig und sehr bunt. Es erschien ihnen so, als wäre das ganze East Village über das Wasser nach Brooklyn gesprungen. Es war auch das gleiche Aufbruchsgefühl. Nur dass die Leute jetzt viel jünger waren. Das konnte man zunehmend auch auf den Straßen von Williamsburg sehen.

Jugend und Aufbruch gingen hier Hand in Hand. Die, die dazu kamen waren immer noch jünger, als die die schon ein paar Jahre an diesem Ort auf dem Buckel hatten, und damit kam auch der neue Style. Das was später als LoFiBo-Mode in die Welt ging, wurde in Williamsburg, so sagen zumindest die Lokalpatrioten, geboren  und die Bedford Avenue wurde von der immer belebter werdenden  Hauptstraße zugleich auch zum dazu gehörigen Laufsteg. Und aus Williamsburg wurde im Szenesprech „W-Burg“  oder auch „L-City“.

Den Ursprung dieser Low-Finance-Bohemien Couture hatte ich noch selbst erlebt. Es war ein riesiges Lagerhaus an der Kent Avenue, der letzten Straße vor bzw. entlang der Waterfront, in dem man Kiloweise Second-Hand-Klamotten kaufen konnte. Zu einem Spottpreis, was vor allem meine weiblichen Studenten, nach dem sie diesen Schuppen entdeckt hatten, dazu brachte, regelmäßig mit dem doppelten Gepäck nach Hause zu fahren bzw. zu fliegen.

Da war dieser Laden noch ein absoluter Geheimtipp. Die neuartige, ungewohnte bis abgefahrene Zusammenstellung alter Kleidungsstücke zu einem eigen ganz individuellen Street-Style, garniert mit Kuriositäten aus der Welt der Kurz- und Schmuckwaren der preiswerten Machart wurde Jahre später zu einer Art öffentlichem Wettbewerb auf W-Burgs Sidewalks.

Die Gründung eigener klitzekleiner Modelabels war danach fast unvermeidlich und die billigen Räumlichkeiten gab es ja immer noch. Zu den Kneipen, Restaurants und Clubs gesellten sich nun auch die ersten Boutiquen mit Minischneidereien und die ersten anspruchsvollen Geschäfte für Design-Gebrauchtmöbel. Und die erste Stadtteilzeitung die darüber berichtete.  Mittlerweile sind es deren 3 oder 4. Eine davon schon seit vielen Jahren nur mit hoch literarischen Texten . Alle Zeitungen sind  umsonst, sprich durch Anzeigen finanziert.

Die erste Buchhandlung kam weit vorher. An der Bedford Ecke North 5th. Zuerst auch nur mit gebrauchten Kunstbüchern. Danach dehnte sie sich Stück für Stück aus und man konnte dort auch neue Bücher bestellen.  Um eine wirklich große Auswahl von Geschriebenem und/oder Bebilderten zu bekommen musste und muss man aber nachwievor rüber nach Manhattan.

Sehr empfehlenswert Barnes & Nobles am Union Square. Oder was das Buchantiquariat betrifft, nicht weit davon entfernt am Manhattan Broadway „Strands“. Auch die Künstlerhardware ist in Manhattan nach wie vor unübertroffen konzentriert. Galerien gibt es jedoch in Williamsburg mittlerweile so viele, dass es mindesten einen Tag braucht, nur um sie alle gesehen zu haben.

Verglichen mit Manhattan ist das allerdings immer noch absolut lächerlich.  Dort gibt es allein im Stadtteil  Chelsea 600 davon. Im W-Burg gibt es mittlerweile um die 70 wobei die Schallmauer 100 in naher Zukunft erreichbar erscheint.  Deswegen haben sich die Galerien schon seit längerem auch zu einer eigenen unabhängigen Selbstförderungsorganisation zusammen geschlossen. Aber das geschah erst als die Zeit der Scene-Builder dem Ende zu ging und die Phase der Scene-Seekers begann.

Scenebuilding ist zu einem großen Teil Unternehmensgründung und Professionalisierung.  Aus Hobbys und Selbstausbeutung,  aus Leidenschaft und Wahnsinn werden richtige Jobs die ihre Inhaber auf Dauer ernähren. Mit vielen Flops aber auch mit zunehmenden Erfolgen. Dazu braucht es jedoch auch genug Kunden und Abnehmer und vor allem Produkte die es woanders in der Stadt nicht gibt. Das ist in einer Stadt wie New York nicht so einfach. Dazu braucht es die kritische Masse in der Vielfalt und der Menge der Angebote, die sogenannte Take-Off-Geschwindigkeit  in der Entwicklungsdynamik der Gentrification.

Das hängt eng mit dem Sceneseeking selbst zusammen, weil die Kunden aus der eigenen kreativen Community und der sonstigen Nahbereichsbevölkerung nicht ausreichen, um den eigenen Laden auf Dauer tragfähig zu machen.  Es müssen mehr davon  aus der Rest-Stadt und darüber hinaus kommen, die Sceneseekers eben.  Die die genau solche Szeneviertel mögen und gerne dort konsumieren, zumindest aber sich regelmäßig und gerne dort aufhalten. Es galt also die restlichen „Brooklinites“, vor allem aber die „Manhattanies“ zu „erobern“ bzw. anzulocken.

Dazu mehr in der nächsten Folge.

Was bisher geschah:
Die Willamsburg Story I…Klack

Die Willamsburg Story II…Klack

Die Willamsburg Story II…Klack

Die Williamsburg Story IV…Klack

Ruhrpilot – Das Navigationssystem für das Ruhrgebiet

audimax_essen_kleinBildung: Förderunterricht für Migrantenkinder gestrichen…Der Westen

RWI: AKW-Laufzeiten versteigern…FAZ

NRW: Pinkwart sieht keine Chance für die Hauptschule…Der Westen

NRW II: Debatte über Rot-Rot-Grün…taz

FDP: Westerwelles Sturzflug…Post von Horn

Ruhr2010: U wie unbekannt…Der Westen

Dortmund: Deutschland-Achter versenkt…Ruhr Nachrichten

Nahverkehr: Sozialticket verschoben…Der Westen

Zukunft: Older and Wiser…Economist

Online: Leistungsschutzrecht wird konkretisiert…Netzpolitik

Online II: Wenn PI-Fans demonstrieren…Süddeutsche

Kultur: Helge Schneider Interview…Zitty

Umland: Die Neuordnung des ärztlichen Notdienstes ist kein Grusel-Szenario…Zoom

Podewitz live in Bremerhaven

podewitz_liveAb und an schreibt Peter Podewitz hier bei den Ruhrbaronen. Morgen und übermorgen ist er mit seinem Bruder live zu sehen. Im Theater im Fischereihafen in Bremerhaven feiert ihr neues Comedy-Programm Premiere.

Peter Podewitz gehört zu den wenigen Menschen, die den Umzug ins Ruhrgebiet als Geschichte ihres persönlichen Aufstiegs erlebt haben. OK, hier ist es genauso arm und hässlich wie in Bremerhaven, aber wenigstens stinkt es nicht überall nach altem Fisch.

An den wird sich Peter im Moment wieder gewöhnen müssen, denn zusammen mit seinem Bruder Willi steht er am Wochenende in Bremerhaven auf der Bühne. Premiere. Und das wird sicher lustig. Also hin.

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Was mir wichtiger als das Theatersterben ist…

konzerthaus-_bochumBochum kann sich das Konzerthaus nicht leisten und wahrscheinlich werden nicht alle Theater im Ruhrgebiet die nächsten Jahre überleben. Na und? Wir haben andere Sorgen.

Dass die Städte im Ruhrgebiet pleite sind ist keine Neuigkeit und zum Teil auch selbstverschuldet. Wer meint, sich in einer Region mit gerade einmal fünf Millionen Einwohnern 53 Stadtverwaltungen, vier Kreisverwaltungen und mehr als ein Dutzend Nahverkehrsunternehmen leisten zu müssen hat nun einmal kein Geld. Auch wenn Bund und Länder künftig weniger dreist Politik auf Kosten der Städte machen werden, wird das Geld für einen solchen Öffentlichen-Dienst de Luxe nicht ausreichen.

Wer am Wasserkopf nicht sparen will, muss sich nach Alternativen umschauen. Auch auf Druck der Aufsichtsbehörden geht es jetzt an die Kultur. Das Ruhrgebiet rühmt sich die dichteste Kulturlandschaft der Republik, was sag ich, Europas, der Welt, ja wahrscheinlich der gesamten Galaxis zu haben. OK, das meiste ist Mittelmaß und wir noch nicht einmal regional wahrgenommen. Auch die Auslastung ist häufig schlecht. Das ist nun einmal so, wenn Quantität vor Qualität geht: 50 Kreisligisten genießen zusammen weniger Aufmerksamkeit  als ein Bundesligist. Und wenn von diesen vielen Spielstätten ein paar in den nächsten Monaten oder Jahren über den Jordan gehen sollten, ist mir das egal. Die Städte könnten immer noch gemeinsam für ein attraktives Angebot in diesem Kultursegment sorgen, wenn sie beginnen würden, ihre Mittel zusammen zu legen. Von da an ist das Gejammer über die sterbende Theaterlandschaft vor allem einer gut vernetzten Klientel zu verdanken. Andere Bereiche mit viel größeren Problemen werden hingegen kaum wahrgenommen und haben keine so wirksame Lobby.

Die Schulen zum Beispiel. Viele sind verrottet, miserabel ausgestattet.  Schulen, die so aussehen, wie sie es in den meisten Ruhrgebietsstädten tun, sind ein Statement der Gesellschaft. Es lautet: „Was hier passiert interessiert uns nicht.“ Fast jede Sparkassenfiliale macht einen repräsentativeren Eindruck.

Es gibt gute Konzepte für Schulen und in einer Region wie dem Ruhrgebiet müssten sie dringend umgesetzt werden. Mülheim macht so etwas: Im Stadtteil Eppinghofen plant die Stadt eine „Zukunftsschule“: Einrichtungen der Jugendarbeit, Elternberatung, VHS-Kurse,  Vereine, Kindertageseinrichtungen, eine Grundschule,  – alles unter einem Dach in einem attraktiven, gut ausgestatteten Gebäude.  Solche Konzepte braucht das Ruhrgebiet dringend. Es müsste hunderte dieser Schulen geben. Ich würde mir einen so breiten und lauten Protest für bessere Schulen und Kindergärten wünschen,  wie es ihn für den Erhalt der hochsubventionierten Theater und Konzerthäuser gibt. Dort, nicht in den Theatern und Konzerthäusern, entscheidet sich die Zukunft des Ruhrgebiets. Um ein Theaterstück zu sehen, kann man auch mal eine halbe oder eine Stunde fahren. Das ist kein Problem. Aber die „Zukunftsschulen“ müssen schnell und flächendeckend errichtet werden. Und sie müssen vor allem in den Stadtteilen gebaut werden, in denen die bildungsfernen Schichten leben, sie müssen vor der Haustür zu finden sein.

Ein oder zwei  gute Theater, ein oder zwei gute Konzerthäuser – damit hätte das Ruhrgebiet nicht mehr die dichteste Kulturlandschaft Deutschlands, aber es wäre ok. Wie schön wäre es hingegen, wenn wir die beste Bildungslandschaft hätten!

Williamsburg-Story Teil 4: Von Szene-Pionieren zu Szene-Buildern

williamsburg-4An der Bedford  gab es mit der Ausnahme von zwei kleinen öden Bierkaschemmen keine Kneipe weit und breit. Vom christlich-polnischen Greepoint bis zum jüdisch orthodoxen Viertel südlich der Williamsburg Bridge gab es außer Peter Lugers nur eine einzige ernst zu nehmende Bar: das Teddys.

Aber nicht an der Bedford Avenue sondern an der in gleicher Richtung laufenden Berry Street. An der Bedford gab es einen polnischen Metzger und einen italienischen Bäcker nahe der North 7th. Nicht weit davon eine noch heute von einheimischen Latinos betrieben Pizzeria und insgesamt zwei sogenannte Stehchinesen bei denen man auf ein paar abgewetzten Stühlen vor uralten resopalbeschichteten Tischen auch sitzen konnte.

Das eigentliche „Einkaufszentrum“ von Williamsburg lag damals entlang des  Broadways unterhalb der darüber aufgeständerten und schon erwähnte JMZ –Linie, genau auf der Grenze zwischen dem jüdischen und lateinamerikanischen Williamsburg. Eine kulturelle Demarkationslinie die drastischer nicht ausfallen konnte, denn es gibt nichts Widersprüchlicheres als der Unterschied zwischen dem Outfit einer lebenslustigen  Latina und einer strenggläubigen Jüdin.

Die  immer schwarz und mit Käppi und/oder Hut gekleideten jüdischen Männer mit ihre langen gekräuselten Schläfenlocken vielen ebenfalls schon auf 100 Meter Entfernung zwischen den meistens wesentlich kleineren in der Regel mit  Baseballkappen behüteten männlichen Latinos auf. Die damals wie ein Fort bewachte und gesicherte örtliche Poststelle lag und liegt heute noch, wenn auch nicht weit vom Broadway entfernt, auf Latinogebiet.

Ansonsten gab es fast an jeder Straßenecke die üblichen kleinen voll gepackten überteuerten und durch jede Menge Stahl  gesicherten „Marcetas/Markets“ für die Nahversorgung.  Sie wurden in der Regel von Latinos betrieben, die zwischen dem polnischen und dem jüdisch-orthodoxen Williamsburg entlang der Bedford Ave die Mehrheit der Bewohner stellten. Dazwischen haben sich in den letzten 2 Jahrzehnten kontinuierlich die mehrheitlich weißen Neubewohner geschoben und dabei vor allem die Polen und die Latinos verdrängt, bzw. deren angestammten Wohngebiete dezimiert.

Zu Anfang die Künstler und Studenten, später immer mehr gutverdienende Yuppies und junge wohlhabende Familien. Bevor jedoch die Letzteren in Williamsburg das Straßenbild bestimmten, musste erst der berühmt berüchtigte Sicherheitsfaktor erhöht werden. Auch als aus den ersten Pionieren eine kleine Community geworden war, waren Straßenüberfälle und andere gewalttätige Auseinandersetzungen in L-City nämlich nichts Ungewöhnliches. Sie hatten sogar manchmal eine geradezu absurde Note, wenn man nicht selbst betroffen war.

Ich hatte mittlerweile zusammen mit der Universität Aachen und der Columbia-Universität ein großes Studentenprojekt vorbereitet, dessen Kern ein  3monatiger Entwurfsworkshop  im Loft von S. war. Mit insgesamt 120 Studenten. Die waren jedoch nicht alle gleichzeitig da, sondern reisten jeweils in 10-20ger Gruppen an um dann 2 Wochen  intensiv  vor Ort zu arbeiten und zu recherchieren. Eine der anstrengendsten und zugleich spannendsten Zeiten meines ganzen Lebens, denn ich war der einzige fachliche und soziale Betreuer dieser jungintellektuellen Rasselbande.

Insgesamt hatten wir  in den Monaten drei  Überfälle, zwei Diebstähle und die völlige Zerstörung eines Leihwagens zu verzeichnen.  Die Überfälle fanden  in den drei damals klassischen Formaten statt: Messer, Baseballschläger und Pistolen. Alle glücklicherweise ohne jeden Personenschaden, denn alle StudentInnen waren von mir und S. direkt nach ihrer Ankunft ausführlich in „Streetsmartness“ unterrichtet  worden.  Keiner der Täter wurde trotz Anzeige  je von der Polizei gestellt wurde.

Eines Abends schlugen wir uns mal wieder zu Teddys durch.  Wir waren guter Laune bis von Hinten jemand „Attention“ brüllte.  Wir sprangen sofort auseinander und zwischen uns durch raste ein junger Schwarzer mit Irgendetwas, um das er fest seine rechte Hand klammerte. 10 Meter vor uns drehte er im vollen Lauf noch mal kurz den Kopf und rief laut und deutlich „Sorry“.  Ehe wir aus dem Staunen heraus kamen wetzte schwer atmend  ein älterer Latino zwischen uns durch. In einer Hand ein längeres Messer  und offensichtlich der Verfolger des flinkeren Afroamerikaners.  Und auch er drehte nach einigen Metern noch mal kurz seinen fast kahlen Schädel zu uns und brachte, wenn auch nicht so glasklar wie sein Vorläufer, ein deutlich hörbares „Sorry“ heraus.

Das war genau das, was  Prince viel später in seinem wundervollen Song „Style“ präziser besungen hat. „ I got no job, but I got style“.  Man könnte  die beiden Protagonisten dieser Geschichte aber auch im wahrsten Sinne des Wortes als Vorläufer der Street  Art bezeichnen, von der die spätere Künstler-Community Williamsburgs behauptet, dass sie sie erfunden habe.  Mit Sicherheit kann ich jedoch sagen, dass sie im Straßenraum  Williamsburgs mindestens 10 Jahre eher ästhetisch präsent war, als in Berlin. Zu der Zeit allerdings gab es noch keinen der in den üblichen Gazetten über Williamsburg schreiben wollte. Das etablierte Feuilleton hat es halt auch gerne etwas sicherer, ehe es auf Entdeckungsreise geht.

Für eben diese Sicherheit  sorgte dann die Künstler- und Studenten-Community  von Williamsburg selbst.  Zusammen mit den angestammten  Bewohnern, die die Zuzügler erst einmal sehr skeptisch beobachteten. Über die Jahre stellten sie jedoch fest, dass die Neuen auch Vorteile brachten.  Der wichtigste war ihre Anwesenheit selbst, und zwar auf den Straßen und das auch am Abend. Denn Künstler und Studenten gehen weltweit gerne aus, und wenn es nichts in der Nähe auszugehen gibt und die „Restos“  in Manhattan viel zu teuer sind, dann machen die sich schon mal selbst ihre Kneipen auf. Mit der Folge, dass dann auch im Dunkeln mehr Menschen auf der Straße sind und das macht diese  sicherer und die Überfälle auf ihnen weniger.

Erst recht wenn man dabei mit der Polizei zusammenarbeitet, bzw. diese sofort informiert, wenn was passiert oder aber sie immer wieder drängt, endlich was zu unternehmen. Oder aber wenn man sich einen bedrohlich aussehenden Hund kauft, der einen Nachts begleitet, wie es vor allem viele  der weiblichen heute so genannten Kreativen in Williamsburg zu dieser Zeit getan haben. Wenn man dann das preiswert gemietete und selbst renovierte Fabrikloft  noch preiswerter  an die etwas Mutigeren unter den Touristen untervermietet, kommen noch mehr Leute ins Viertel, füllen die selbst eröffneten Kneipen  und die Straßen die zu ihnen führen weiter auf.

Die New Yorker Polizei  fühlte sich ab da in diesem Stadtteil  wieder wohler, weil sie sich von der Bewohnerschaft beim Kampf gegen das Verbrechen unterstützt fühlt.  Sie kam häufiger, was wiederum die Straßensicherheit erhöhte und das lockte wiederum neue Leute in den Stadtteil, die sich bislang nicht getraut hatten und das wiederum vermehrte das Straßenleben und die Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum. So ging allmählich die Zeit der Szene-Pioniere in die Zeit der sogenannten Scene-Builder über. Hierzu mehr in der nächsten Folge.

Was bisher geschah:
Die Willamsburg Story I…Klack

Die Willamsburg Story II…Klack

Die Willamsburg Story II…Klack

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Ruhrpilot – Das Navigationssystem für das Ruhrgebiet

dierkesAntisemitismus: Bedingungslos für Israel?…xtranews

NRW: Kraft will aus der Westerwelle-Ecke…Zeit

Bochum: Weiter pleite…Der Westen

Ruhrgebiet: „Die Revierstädte werden abgekoppelt“…Der Westen

Ruhr2010: Local Hero Herten…Hometown Glory

Ruhr2010 II: Schimanski und Supermann…Sächsische Zeitung

Ruhr2010 III: Hast Du mal ´ne Straße?…Zeit

Pro NRW: Sitzblockaden sind keine Straftat…Hometown Glory

Grimme Preis: „Inas Nacht“ beste Unterhaltung …Stern

Schwule: NRW-Wahl – Hoffen auf den Wechsel…Queer

Pop: Tom Liwa…Coffee & TV

Abmahner: Weiße Weste für Katja Günther…Lawblog

SPD: Sozialdemokratische Zeitenwende…FAZ

Debatte: Die heimliche schwarz-grüne Republik…Welt

SPD-Kraft will Hartz-IV-Kindern kein Geld für Nachhilfe geben

ruhrbarone_sozialdemokraten_wasselowskiGerade eben sagte die Spitzenkandidatin der SPD im NRW-Landtagswahlkampf, Hannelore Kraft, in der Sendung „Hart aber Fair“, sie sei dagegen, dass der Staat Kindern von Hartz-IV-Empfängern die Nachhilfe in der Schule bezahlt – als einzige Teilnehmerin der Diskussion. Kraft sagte, sie sei stattdessen der Meinung, dass man ein Schulsystem bräuchte, in dem keine Nachhilfe mehr nötig sei. Dafür solle der Staat sorgen.

Warum ich diese Position dumm finde? Weil sie so unrealistisch ist, wie eine Gehaltserhöhung nach der Weltrevolution. Übersetzen wir Hannelore Krafts Forderung nach einem Wahlsieg der SPD in Realpolitik, heißt das: Zuerst wird das Geld für die Bildungschancen armer Kinder weggelassen. Und drauf verwiesen, dass irgendwann das Bildungssystem die Nachhilfe überflüssig macht. In der Zwischenzeit schauen halt die armen Kinder in die Röhre.

Da das Schulsystem seit Jahrzehnten nicht in einen Nachhilfefreien Zustand gebracht werden konnte, vermute ich, Hannelore Krafts Idealbildungsystem kommt auch erst in ein paar Jahrzehnten – wenn überhaupt. Sie benachteiligt in der Zwischenzeit die Kinder, die sowieso wenig Chancen haben, um ihre geringe Chance auf Chancengleichheit.

Reiche können sich nämlich auch heute und morgen Nachhilfe leisten, bis irgendwann einmal das Ideale Bildungssystem von Kraft Realität ist.

Die SPD-Spitzenkandidatin argumentiert wie ein politisches Greenhorn. Was würde Willi sagen?