Die metropolitane Immobilienwirtschaft, New York nennt sich nicht umsonst „ The World Capital of Real Estate“ , hatte zu dieser Zeit schon länger einen Blick in die „Outer Boroughs“ geworfen. Die Entdeckung der Urban-Waterfront war seit dem spektakulären städtebaulichen Projekt Battery-Park-City in vollem Gange, aber noch sehr stark auf die Wasserlinie um Manhattan fokussiert.
Die weitsichtigeren unter New Yorks Immobilienspekulanten, die örtlichen Banken eingeschlossen, hatten Williamsburg jedoch schon im Visier. Ebenso den heute so genannte DUMBO-Bezirk unterhalb der Manhattan-Bridge, der zu diesem Zeitpunkt ebenfalls hafenzugehöriges Gewerbegebiet mit riesigen Lagerhäusern war. Down Under the Manhattanbrige Overpath, wie DUMBO mit vollem Namen heute heißt, wurde jedoch aus einer (Immobilien)Hand entwickelt, während Williamsburg von mehreren Developern und lokalen Hauseigentümern/Spekulanten stufen- und straßenweise in den Griff genommen wurde.
Williamsburg war nämlich, im Gegensatz zum sehr sehr viel kleineren DUMBO-Bereich, außerhalb seiner Waterfront zum großen Teil bewohnt. DUMBO, was auch eine eigene Story wert wäre, war dagegen reines Gewerbegebiet das damals schon fast völlig leer Stand. Umgewandelt musste die arbeitsbezogene Waterfront jedoch in beiden Fällen werden ehe damit richtiges Geld verdient werden konnte und zwar in ein Wohngebiet mit eben dem spektakulärem Blick auf Manhattan, der mich bei meinem ersten Besuch so fasziniert hatte.
Sowas dauert auch im schnellen aber doch sehr demokratisch organisierten New York sehr lange. In Williamsburg wuchs, im Gegensatz zum DUMBO-Bezirk, obendrein in der kommenden Zeit etwas heran was die Developer zwar nicht geplant, was ihn aber letztlich die beabsichtigte Aufwertung erheblich erleichtert hat. S. und seine Freunde waren nur die erste Vorhut von etwas, das in nur wenigen Jahren zur regelrechten Invasion werden sollte. Die Übernahme der reichlich vorhandenen gewerblichen und wohnungsmäßigen Leerstände durch die heute so genannten „Kreativen“.
Williamsburg g a l t in der Stadt nicht nur als arm und gefährlich. Es w a r es auch wirklich. Wenn auch weniger als das nicht weit davon gelegenen Bushwick oder das sogenannten und gänzlich schwarze BedStuy, ausgeschrieben Bedford Stuyvesant. Diese No-Go-Arrea wurde durch die späteren Filme bzw. „Joints“ von Spike Lee, dem ersten in Amerika und später auch in Europa berühmten afroamerikanischen Regisseur, auch über Brooklyn hinaus bekannt. Er war zu der Zeit als ich Brooklyn zum ersten Mal aufsuchte knapp über 20 Jahre alt und hatte seinen ersten Independent Film gedreht: She´s gotta have it. Eine wundervolle Komödie über eine Afroamerkanerin, aus Brooklyn natürlich, die gleichzeitig mit 4, natürlich afroamerikanischen, Männern flirtete. Natürlich in schwarz weiß gedreht und Spike Lee war, wie in independent Filmen mit Minibudget nicht unüblich, nicht nur Regisseur sondern auch einer der 4 schwarzen (Proto)Typen. Alle wurden im Plot witzig und selbstironisch persiflierte.
Nicht nur das schwarze New York lachte sich einen Ast, aber alle weißen New Yorker wussten natürlich, dass keiner von ihnen diesen Film hätte genauso drehen dürfen. Und Spike Lee wusste das natürlich auch. Am meisten schmunzeln mussten jedoch alle darüber, dass einer der Liebhaber aus Manhattan kam. Er war affektiert, selbstverliebt und obendrein kein guter Liebhaber, und diese Anspielung verstand natürlich auch ganz New York City. Der ewige Zwist zwischen den eingebildeten und hochnäsigen „Manhattanies“ und den ehrlich-offenen und bodenständigen „Brooklynites“, den ich erst später so richtig durchschaute, war hier ganz in schwarzer Haut gespiegelt.
Jahre später lernte ich nämlich beim argentinischen Tango im Central Park ein eingefleischtes Manhattan-Girl kennen. Auch sie ist mir bis heute eine sehr gute Freundin geworden, während ich S. später wieder aus den Augen verloren habe. J. war aber erst vor einem Jahr bereit, mit mir nicht in Manhattan sondern in Brooklyn essen zu gehen, weil man das ihrer Meinung nach, außer bei Peter Lugers, genauso wenig könnte, wie wohnen.
Peter Lugers galt und gilt bis heute als das beste Steakhouse von ganz New York. Man muss sich mindestens eine Woche vorher dort einen Tisch buchen. Die Limousinen standen damals in Reihe vor der Tür und die Security. Denn das wunderschöne alte Brownston-Gebäude, in dem der deutsche Einwanderer Peter Luger Ende des 18. Jahrhunderts sein Restaurant eröffnete, stand zwar nicht weit von Manhattan, genauer gesagt am Brooklynfuß der Williamsburg Bridge. Aber eben der Williamsburg- und nicht der gar nicht weit davon entfernt gelegenen Brooklyn Bridge.
Da stand und steht heute das weltberühmte River-Cafe direkt am Wasser und man konnte dort, und kann natürlich auch heute noch, an warmen Sommerabenden unbeschwert draußen herumlaufen, um die Skyline von Downtown Manhattan in der Abendsonne erglühen zu sehen. Wenn man aus Peter Lugers raus kam, wollte man dagegen ganz schnell in die mitgebrachte Limo mit Fahrer oder in das nächste Taxi. Da es aber in der Gegend aus verständlichen Gründen nicht viele gab, hatten die Manager von Peter Lugers selber welche angeheuert, die immer abfahrbereit zur Verfügung standen.
Heute würde einem das kaum einer mehr glauben, denn die Williamsburg Waterfront ist mittlerweile genauso so sicher wie die Wasserterasse des River Cafes. Und viel größer. Damals allerdings standen dort bedrohlich leere und herunter gekommene Lagerhäuser, die riesige, noch aktive Domino-Sugar-Raffinerie und einige der zentralen Müllverarbeitungs- und Weitertransportstationen der Stadt New York. Alles was die „Manhattanies“ halt nicht mehr so haben wollten. Und genau so sahen das auch die noch verbliebenen Einwohner von Williamsburg.
Anders die Künstler und Studenten in Manhattan. Sie waren, wie S. auf Grund ihres in der Regel knappen Budgets dort immer mehr unter Druck geraten. Soho war zu diesem Zeitpunkt schon komplett gentrifiziert. Die Lower Eastside und das East Village standen kurz davor bzw. war die Sache rund um den Tomskin Square schon im vollen Gange. Den ebenso herunter gekommenen und drogenverseuchten Union Square an der 14th Street versuchten die Stadtväter durch die Einrichtung einer Dependance der New York University zurück zu erobern und hatten damit in den kommenden Jahren auch zunehmend Erfolg.
In der Welthauptstadt der Immobilienspekulation hatte das jedoch eine unausweichliche Folge: kontinuierliche bis exponentielle Mietpreissteigerungen. In dieser Zeit schrieb eine Studentenzeitschrift, ich glaube sogar die der Columbia Universität, dass Williamsburg eigentlich gar nicht so unsicher sei wie behauptet würde und nur eine Station von Manhattan entfernt läge. Was eindeutig stimmte, vor allem aber insgesamt nur 4 U-bahnstationen vom Union Square, an dem genau die neue Filiale der NYU entstand. Mit einem mal war damit eine U-Bahnlinie ins Bewusstsein der Stadt gerückt, die bislang – mit Ausnahme der „Brooklynites“ die sie regelmäßig benutzen mussten – kaum jemand kannte: Die L.
Die L-Linie läuft im wahrsten Sinne des Wortes quer durch Manhattan um dann, im Gegensatz zur JMZ, unter dem Wasser nach Brooklyn vor zu stoßen. Über Williamsburg und Bushwick geht sie dann über die Broadway-Junction ebenfalls tief in dieses Stadtgebiet hinein. In dem kurzen Stück innerhalb Manhattans heißt die L auch die 14Th Street Line, weil sie dort von der 8Th Avenue komplett und genau unterhalb dieser Verkehrsader verläuft.
Dadurch hat sie verkehrstechnisch einen für ihre Nutzer uneinholbaren Vorteil: Sie quert nicht nur alle wichtigen Subwaylinien Manhattans sondern sie erlaubt dank ihrer Bahnhöfe auch den schnellen Umstieg in jede von ihnen. Selbst zur Columbia Universität in Harlem geht es dadurch, dank des Express-Local-Systems selbst von Brooklyn aus vergleichsweise schnell.
Aber nur, wenn man in Williamsburg, also genau auf der anderen Seite des Eastriver, eine Studentenbude hatte. Möglichst nah am ersten L-Haltepunkt hinter dem Fluss. Der hieß damals wie heute Bedford Avenue und um ihn herum ist das äußerst quirlige, hippe und teure Zentrum des neuen Williamsburg entstanden.
Als ich die Bedford Avenue zum ersten Mal in meinem Leben entlang lief, und sie ist verdammt lang, war sie das genau Gegenteil. Hierzu weiter in der nächsten Folge…
Die Williamsburg Story Teil 1…Klack
Die Williamsburg Story Teil 2…Klack