Wer lädt ein? Wer bezahlt Kaffee und Käsebrötchen ? Und noch wichtiger: Wo wird verhandelt? Wenn Wahlverlierer Jürgen Rüttgers (CDU) morgen auf die gefühlte Siegerin Hannelore Kraft (SPD) trifft, hängt die große Politik an kleinen Details. Schließlich wird einer von beiden zukünftig Macht abgeben – oder neu wählen lassen
Gedealt um die künftige Landesregierung wird im Maritim-Hotel am Düsseldorfer Flughafen, möglichst weit von der Staatskanzlei am Rhein. „Wir wollen auf Augenhöhe verhandeln“ sagen sowohl SPD-Chefin Hannelore Kraft als auch der noch regierende Ministerpräsident Jürgen Rüttgers. Zuvor behaupteten beide Seiten, sie hätten die andere Partei eingeladen. Die SPD schickte wenige Minuten nach dem Scheitern der rot-rot-grünen Sondierungsgespräche am vergangenen Donnerstag eilig einen Boten mit dem Einladungsbrief an die CDU-Geschäftsstelle. Rüttgers sprach unbeirrt wenige Stunden später davon, glücklich darüber zu sein, dass die SPD seine „Einladung annimmt.“ Abgeschickt hatte er aber nie eine.
Das absurde Hase-und Igel-Wettrennen um die Führungsrolle hat begonnen. Bei diesem ersten Treffen wird es natürlich darum gehen, wer die Regierung anführt und letztendlich das Sagen hat. Zwar hat Rüttgers bei der Landtagswahl vor zweieinhalb Wochen 6000 Stimmen und damit 0,1 Prozent der Stimmen mehr erhalten, die Fraktion ist mit 67 Mitgliedern aber genauso groß wie die der SPD. Und Hannelore Kraft ist die gefühlte Siegerin dieser Wahl und hat sich auch als künftige Ministerpräsidentin präsentiert.
Die SPD hat hohe inhaltliche Hürden gesetzt. „Die Menschen haben einen Politikwechsel gewählt und da muss die CDU jetzt umdenken“, sagt Kraft. Sonst werde es nicht zu Koalitionsverhandlungen kommen. Zweckoptimistischer zeigte sich Rüttgers am Mittwoch. „Wir wollen den Erfolg dieser Gespräche“, sagte er. Bei Verhandlungen über eine große Koalition müsse „jeder seinen Teil dazu beitragen, dass es gemeinsame Lösungen gibt“, sagte der CDU-Landeschef. Die CDU sei zu Kompromissen bereit.
Notgedrungen. Denn die CDU hat keine attraktive Alternative zur großen Koalition. Sie würde bei den drohenden Neuwahlen und dem zu erwartenden Spar-Feuer aus Berlin wahrscheinlich noch mehr verlieren. Ihr bisheriger Wunsch-Partner, die unglückliche FDP, droht gar unter die 5-Prozent-Hürde zu fallen. Mit der Absage von Kraft an ein Bündnis mit der Linkspartei würde diesmal auch die Endlosschleife der CDU von der „drohenden Koalition mit Extremisten“ nicht mehr gespielt werden können. Ein anderer Wahlkampfschlager aber, der ideologisch aufgeheizte Streit um das zukünftige Schulsystem, könnte in den morgigen Verhandlungen zum explosiven Bumerang mutieren.
Denn in der Bildungspolitik treffen zwei Weltanschauungen aufeinander. Die CDU an Rhein und Ruhr möchte im Prinzip wenig am System ändern, die SPD ein gemeinsames Lernen aller Schüler bis zur zehnten Klasse durchsetzen. Christdemokraten warnten in den vergangenen Monaten vor dem „drohenden Chaos in den Schulklassen“ und stellten sich sogar mit Pappschildern auf den Pausenhof von Gymnasien. „Die SPD will diese Schule schließen“, prangte darauf. Dass Rüttgers nun selbst eine Zusammenführung der Schulformen absegnet ist fast ausgeschlossen. Auch die Einführung der Studiengebühren von 500 Euro pro Semester war ein Herzstück der Rüttgers Koalition. Sie jetzt wieder abzuschaffen wäre eine nachträgliche Annullierung seiner Bilanz.
Die SPD kann ihre Forderungen nicht abmildern. Sie muss die Koalition mit dem bis vor zwei Wochen noch so heftig bekämpften Christdemokraten der Basis vermitteln. „Bei der großen Koalition ist da nicht nur Jubel vor Ort, sondern es gibt große Skepsis,“ sagt Kraft. Der Grund seien die schlechten Erfahrungen der SPD mit der großen Koalition im Bund.
Den Genossen müsste also das Groß-Bündnis versüßt werden. Zum Beispiel mit einem einem neuen CDU-Fürsten. Rüttgers ist für die Sozialdemokraten an Rhein und Ruhr ähnlich untragbar wie einst Roland Koch für die hessischen SPDler. Nicht weil er wie Koch polarisierte, sondern weil er sich im einstigen roten Stammland als neuer Arbeiterführer verkaufte. Das schmerzte die Genossenseele. Gut möglich also, dass Rüttgers ohne Macht aus der Hotel-Lobby schreitet. Und die Staatskanzlei künftig in den Händen von seinen heiß gehandelten Erben wie Generalsekretär Andreas Krautscheid oder NRW-Integrationsminister Armin Laschet liegt. Kraft hingegen dürfte in jedem Fall gestärkt hervor gehen: Sie wird für sich mindestens ein Superministerium, etwa für die Ressports Wirtschaft und Arbeit, einfordern. Und bei Neuwahlen wird es auch Kraft sein, die in einigen Monaten wieder in ein Düsseldorfer Hotel einlädt. Nur wen ist dann noch ungewiss.