Doppelt gute Fotos für Haiti

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Martin Steffen ist ein guter Fotograf. Ich habe erlebt, wie er mit Linse und Blitzlicht aus ostdeutschen Innenverteidigern Charakterköpfe machte. Martin hat das gelernt, war in Berlin bei Jim Rakete, in Paris. Kam wieder zurück nach Bochum, arbeitete für Werbung, für Prinz, Unicum, Playboy, Hattrick. Für Schauspieler, Musiker, Sportler. Seit ein paar Jahren ist Martin viel unterwegs. Er reist für Hilfsorganisationen wie Adveniat in Essen, macht Reportageaufnahmen in Lateinamerika, in Indien, Afrika. Fängt Bilder ein in Slums, Knästen, Armenhäusern, auf der Straße.

Ein paarmal war er in Haiti, zuletzt im Dezember 2009.  Haiti hat es ihm angetan, die härtesteten Erfahrungen, die schönsten Bilder, vor allem die Begegnung mit einem verstörenden Phänomen, den so genannten Restavecs – was sich vielleicht am besten wie ein Befehl liest: „Du bleibst hier!“ Es soll in Haiti hundertausende Kinder geben, die aus dem Hinterland von armen Eltern in genauso arme aber städtische Familien weggegeben werden. Karibische Aschenputtelkinder rechtlos, perspektivlos, oft schikaniert, misshandelt, immer ausgebeutet, Sklaven, Kinder. In Haiti, wo die Sklavenhalter zuallererst verjagt wurden, die erste karibische Republik ausgerufen wurde, gehören enteignete Kinder zum Alltag.

Martin Steffen hat das berührt, ihr Schicksal und der Einsatz für die Kinder durch ein kleines  Hilfsprojekt, eine betagte katholische Schwester. Und er hat sich vorgenommen, selbst zu helfen. Seit dem vergangenen Jahr spendet er seine Arbeitskraft, lässt sich – ganz gegen seine Art – für private Hochzeiten buchen und überweist das Geld nach Haiti. Nach dem furchtbaren Erdbeben ist die Lage für alle noch grausamer geworden – und für die Restavecs nicht besser. Überdurchschnittlich viele werden unter den Opfern vermutet, sie müssen stets am Haus bleiben, arbeiten, in den Armenvierteln, wo Berghänge abrutschten, Siedlungen unter Stein, Geröll begraben wurden. Martin will 2010 deshalb mindestens fünf Hochzeiten ablichten, einen ganzen Tag arbeiten, dafür einen stattlichebn Preis kassieren; spenden. Deshalb – wer 2010 heiraten möchte und sich das etwas kosten lassen kann, der wende sich an ihn oder besuche die von oktober.de und www.trafo2.de eindrucksvoll und kostenlos gestaltete Website.

Ach ja, einige der Aufnahmen aus Haiti hatte Martin im Dezember groß abziehen lassen, um sie für das Restavec-Projekt zu verkaufen. Wir haben neben diesen Prints ausgelassen Sylvester gefeiert, aber die Bilder sagten etwas, das verschreckte Mädchen, wie es sich an einem Besen festhält, … –  zwanzig Tage vor dem Beben.

Die unglaubliche Geschichte der Neda Soltani – vom Versagen der Medien und der „Social Networks“

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Mir gegenüber sitzt die Todgesagte. Sie redet, sie lacht, manchmal merke ich, dass sie Angst hat. Neda Soltani musste flüchten, sie hat ihre Heimat verlassen. Sie sagt, hier in diesem Kaff bei Frankfurt am Main sei alles anders. Schnee, Frost, Regen und kalte Straßen mit kalten Gesichtern. Ein fremdes Land für die jungen Frau.

Das Bild von Neda Soltani kennt fast jeder auf dieser Welt. Es kam über die Sender, das Internet und die Zeitung in so gut wie jedes Haus als das Bild einer Toten. Dieses bekannte Portrait zeigt eine junge, vorsichtig geschminkte Frau mit braunen Augen. Der im Iran gesetzlich vorgeschriebenen Schleier ist eine Handbreit zurückgeschoben. Man sieht den Ansatz ihres kräftigen Haares. Sie lächelt, ein wenig weich, ein wenig unschuldig, freundlich.

Hier und jetzt, in einem Cafe irgendwo in der Nähe von Frankfurt ist das Gesicht von Neda Soltani härter geworden. Sie trägt keinen Schleier mehr. Man sieht graue Strähnen, die größer werden an ihrer Stirn. Es war nur ein Missverständnis, sagt sie. Ein Fehler. Ein Irrtum mit schrecklichen Folgen. Neda Soltani geriet in den Tumulten nach den gefälschten Wahlen im Iran zwischen die Fronten, wurde gehetzt, gejagt und musste flüchten. Ihr altes Leben zerbrach wie ein Spiegel. Ihr Foto, das Bild mit dem weichen Lächeln das um die Welt ging, wurde ihr entrissen.

Bis vor einem halben Jahr hat Neda Soltani in Teheran gelebt. Sie unterrichtete dort englische Literatur. Sie kann sich in der fremden Sprache fließend ausdrücken, gewählt und intelligent. Im Sommer erst hatte sie eine Arbeit über die weibliche Symbolik im Werk von Joseph Conrad abgeschlossen. An den Protesten im Iran konnte sie deswegen nicht teilnehmen. Sie musste im Juni Korrektur lesen. „Mein Ziel war es, irgendwann eine Professur anzustreben, wenn ich gut genug dafür gewesen wäre.“

Ihre Eltern gehören der iranischen Mittelschicht an. Wo genau sie herkommt und was ihre Familie macht, will sie nicht sagen. Sie hat Angst. Sie erkennt Probleme. Sie weiß, dass nicht alles richtig läuft. Aber sie war vor allem fleißig, wenn es darum ging, zu lernen. Eine Akademikerin. „Ich habe über zehn Jahre hart gearbeitet, um mir die Position als Dozentin an der Universität zu sichern. Ich habe Geld verdient, ich bin mit Freunden ausgegangen und ich habe Spaß gehabt.“ Heute hat sie davon nichts mehr. Keine Arbeit, kein Geld und keine Freunde zum Ausgehen. Neda Soltani ist jetzt 32 Jahre alt.

Die Geschichte ihres Fotos beginnt am 20. Juni 2009. Damals wurde in der Nähe der Kargar Avenue in Teheran gegen 19:00 Uhr Ortszeit eine junge Frau niedergeschossen. Sie fiel auf den Rücken, aus ihrem Mund lief Blut. Dabei starrte sie in eine Handykamera, verletzt, voller Angst, wehrlos. Sie starb wenig später auf dem Weg ins Hospital. Die Bilder der sterbenden Frau wurden auf Youtube hochgeladen.

Alarmiert durch Blogger und Twitter stoßen bald große Sender auf das Sterben der Frau. Redakteure versuchen sie zu identifizieren. In Zeitnot suchen sie Bilder der Toten. Ihr Vorname, Neda, war im Video zu hören. Schnell kommt über das Netz ein Nachname: Soltan, Studentin der Islamic Azad Universität in Teheran. Irgendwer sucht mit diesen Daten bei Facebook.

Hier unterhält auch Neda Soltani eine Seite. Öffentlich zugänglich ist hier nicht viel. Neda Soltani hat ihre Inhalte allein für Freunde freigegeben. In ihrem Profil stand allerdings ein Foto, das damals jeder sehen konnte.

Wer als erster auf ihre Seite im internationalen Portal für Studenten, Manager und Hausfrauen stieß, ist nicht mehr zu rekonstruieren. Genauso wenig ist klar, wer den Fehler machte und die ermordete Neda Soltan (auf dem Foto links) mit Neda Soltani (auf dem Foto rechts) verwechselte.


Auf jeden Fall kopiert irgendwer das Foto der Lebenden in der Nacht auf den 21. Juni 2009 aus deren Facebook-Profil. Es wird über die sozialen Netzwerke, über Blogs und Portale gestreut. Dann wird es über CNN, BBC, CBS, ZDF, ARD und fast jeden anderen denkbaren Sender gesendet. Es wird gedruckt in den Zeitungen und Magazinen dutzender Länder. Es passiert gleichzeitig, es passiert weltweit.

Das Foto der jungen Frau wurde so zum Symbol des Freiheitskampfes am persischen Golf. Auf Demonstrationen trugen die wütenden Menschen das Abbild der vermeidlichen Märtyrerin vor sich her. Sie trugen es auf ihren T-Shirts und bauten ihm Altäre. Sie riefen: „Engel des Iran“.

Wie konnte es zu dem verwechselten Foto kommen? Soltani ist ein gewöhnlicher Name im Iran. Wie Meyer oder Müller vielleicht. Auch Neda ist nicht ungewöhnlich. Man könnte ihn mit Sonja oder Sandra vergleichen. Die Ermordete studierte an der privaten Islamic Azad Universität, die lebende Neda Soltani war dort Dozentin. Doch hätten die Medien nicht besser prüfen müssen, wessen Foto sie benutzen, anstatt es einfach von einer Facebook-Seite zu kopieren und weltweit zu verbreiten? Es gab Zeitdruck, das ja, aber es gab zumindest eine Sache, die hätte stutzig machen müssen. Die Tote hieß mit vollem Namen Neda Agha-Soltan. Die Lebende wird einfach Neda Soltani genannt.

Am Morgen des 21. Juni 2009, einen Tag nach dem Todesschuss, wunderte sich Neda Soltani. Immer mehr Menschen wollten sich auf ihrer Facebook-Seite registrieren, als angebliche Freunde. Hunderte waren das, aus aller Welt. Es hörte nicht auf. Es kamen Anrufe. Ein befreundeter Professor brach in Tränen aus, als er ihre Stimme hörte.

Zunächst ein schlechter Witz, dachte Neda Soltani. Etwas, das mit zwei, drei Anrufen aus der Welt zu schaffen ist. Ein Fehler halt, wie er nicht passieren darf, aber passieren kann. Sie fing an zu schreiben. Sie schrieb, dass sie leben würde. Sie schrieb an den im Iran populären Sender Voice of America. Sie schrieb, dass es ein Irrtum sei. Dass sie das falsche Foto hätten. Als Beweis schickte Neda Soltani ein weiteres Foto von sich. Und schrieb: Die Redaktion könne ja vergleichen. Das sei auch sie. Neda Soltani hat nicht damit gerechnet, was dann passierte.

Voice of America verbreitete nun dieses zweite Foto als neues Bild der verstorbenen Neda und CBS griff es auf. Neda Soltani bekam Angst. Alles was sie tat, um ihr Bild zurück zu gewinnen, schien nutzlos.

Sie löschte das Foto auf ihrer Facebook-Seite. Damit es niemand mehr runterladen kann. Der nächste Stein kam ins Rollen. Zensur wähnend, wurde ihr Foto kopiert, dutzende, hunderte Facebook-Seiten auf aller Welt spiegelten ihr Bild. Es wurde in Blogs fixiert und bei Twitter versandt.

Es war, als sei ihre eigene Identität aus dem Foto gelöscht und stattdessen mit den Sehnsüchten tausender Menschen aufgeladen. Das lächelnde Gesicht der Tod Geglaubten gerann zur Ikone eines unschuldigen Opfers im Freiheitskampf.

Es half auch nichts, dass spätestens seit dem 23. Juni 2009 authentische Fotos der toten Neda Agha-Soltan frei und für jeden verfügbar waren, deren Eltern hatten sie herausgegeben. Das Bild von Neda Soltani wurde trotzdem weiter verbreitet.

Freunde von Neda Soltani versuchten, in Foren den Fehler richtig zu stellen. Eine Vertraute wurde deswegen beschimpft. „Du Bastard, Du wirst uns den Engel des Iran nicht nehmen.“ Es ist, als könne der einmal geglaubte Irrtum nicht mehr berichtigt werden.

Die Geschichte ist nicht nur die Geschichte des Versagens der traditionellen Redaktionen in hektischen Nachrichtenzeiten. Diese Geschichte beschreibt auch das Versagen der sozialen Medien. Die Masse hat im Netz nicht nur die Macht, Lügen zu entlarven. Die Masse kann auch eigene Wahrheiten erschaffen und verteidigen. Egal wie falsch die sind. Nur sehr wenige Blogs berichteten über den Fehler. Keiner wurde so ernst genommen, dass er die Macht gehabt hätte, den Irrtum zu korrigieren.

Irgendwann wurde Neda Soltani klar, dass etwas gewaltig aus dem Ruder läuft. Nur wenige Journalisten schrieben sie über ihre Facebook-Seite an und fragten nach ihrer Identität. Keiner von ihnen konnte oder wollte die Welle stoppen.

Neda Soltani geriet im Iran unter Druck. Sie wurde bedroht. Sie hat Angst um ihre Familie, deswegen kann und will sie nicht sagen, was genau vorgefallen ist. Nur soviel ist klar: Der Fehler mit ihrem Foto sollte gegen die Opposition gewandt, die Menschen auf der Straße als Instrumente westlicher Fälscher entlarvt werden – mit aller Gewalt. Es kamen schlimme Vorwürfe, die den Tod bringen können. Neda Soltani wurde krank. Panikattacken und hilflose Angst.

Sie konnte nicht mehr bleiben. Sie musste aus dem Iran verschwinden. Ohne von ihren Eltern Abschied zu nehmen, floh sie am 2. Juli 2009 in den Westen. Ihre Ersparnisse bekamen Fluchthelfer. Mit nichts in den Händen als einem Rucksack, einem kleinen Rucksack, ging sie los. Sie floh über Griechenland nach Deutschland. Hier hat sie einen Cousin. In Bochum. Der ist jetzt Ihre Familie.

Am 3. Juli 2009 brachte endlich BBC Online eine Nachricht über die falsche Identität in einer Internet-Wochenschau über soziale Netzwerke. Direkt hinter den Verschwörungstheorien zum Tod von Michael Jackson. BBC Online kommentierte: „Dieser Fall ist ein herausragendes Beispiel für die Gefahren, wenn Massenmedien Bilder aus sozialen Netzwerken im Internet verbreiten.“

Man hätte nun erwarten können, dass es damit ein Ende findet. „Meine Freunde haben mir gesagt, warte noch einen Tag. Dann wird alles gut. Doch es vergingen die Tage und nichts wurde gut“, sagt Neda Soltani.

Das Asylverfahren in Deutschland läuft nun seit Monaten. Neda sagt, sie wollte nie auswandern. Sie war auch noch nie im Westen. Sie sagt, sie hat Heimweh. Sie bekommt vom Deutschen Staat etwa 180 Euro im Monat als Hilfe. Das reicht kaum, um sich von Salaten, Früchten und Broten zu ernähren, so wie sie es gewohnt ist. Sie lebt irgendwo in einem Heim für Flüchtlinge. Ihr Zimmer mit der Nummer 11 ist schmal, zwei Betten, ein Regal. Hier will sie niemanden hineinlassen. Sie sagt, sie will die Monate „im Lager“ so schnell wie möglich vergessen. Sobald sie raus ist, soll sie nichts mehr an das hier erinnern. Die Beschläge der Türen sind mit Gips geflickt. Die Küche für einen ganzen Flur mit zwei dutzend Menschen hat kein Fenster, der Ausguss wackelt auf einem Brettergestell. Auf einem Balkon zum Hof ist eine Satellitenschüssel auf eine abgebrochene Metallstange gespießt. Die Stange steckt in einem vergammelten Sauerkrauteimer mit Sand und Steinen. Improvisiertes Flickwerk für eine Verbindung zur Heimat.

Obwohl das Foto der toten Neda seit Monaten bekannt ist, taucht noch immer das Bild der falschen bei Spiegel-Online auf, in der New York Times oder in der Online-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung. Selbst ein Bild der Nachrichtenagentur AFP zirkuliert noch durch die Archive.

Eines ist allen diesen Bildern gemein: Es sind meist Aufnahmen von Fotos. Sie zeigen Menschen, die eine Ikone in die Kamera strecken. Bilder eines falschen Bildes.

Neda Soltani hat lange dazu geschwiegen. Sie hat Boden unter den Füssen gesucht, sich gesammelt.

Als CNN im November einen Bericht zum Iran brachte, war der wieder mit dem Foto von Neda Soltani illustriert. Sie schrieb den Sender an und bat darum, ihr Bild zu löschen.

Als Antwort erhielt sie eine automatische Email, die um Verständnis bat, dass nicht alle Hinweise persönlich beantwortet werden könnten. Unterzeichnet war das Schreiben mit „CNN, The Most Trusted Name In News“.

Das Bild gehört nicht mehr ihr. Es gehört CNN und den anderen.

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Diese Geschichte erschien auch im SZ-Magazin.

Ruhrpilot – Das Navigationssystem für das Ruhrgebiet


Auschwitz: Heftige Kritik an Sevim Dagdelen…Bo Alternativ

WAZ: Es hat sich ausgeflippt…Pottblog

Ruhr2010: Kürzungen beim Klavierfestival Ruhr…Der Westen

Ruhr2010: Enger Finanzplan für den U-Turm…Der Westen

Dortmund: Ordnungsverfügung gegen Rammstein…Ruhr Nachrichten

Ruhr2010: Geld sammeln für die Loveparade…Der Westen

Pro NRW: Flashmob gegen Rechts…Gelsenkirchen Blog

Recht: Von Razzien und Osterhausen…Law Blog

Vorratsdatenspeicherung: Trotzige Schweden…taz

Europaparlament: Innenausschuss gegen SWIFT…Netzpolitik

Pop: Interview mit Sven Regener…Coffee & TV

Pop II: Schamp-Wendland-Maschine im Intershop…Der Westen

van Dinther: Ältestenrat des Landtags will Gutachten…RP Online

van Dinther II: Genügsam bis raffgierig…FR Online

NRW: Talkmaster Jürgen Rüttgers…FTD

Bochum: Konrad als CDU Chef abserviert…Pottblog

Gelsenkirchen: Die freie Kulturszene…Hometown Glory

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Geschichte einer völlig verkorksten Überschrift.

Heute morgen schaute ich auf die Seite DerWesten.de und war überrascht. Da hieß es doch tatsächlich:

Grünen Spitzenkandidatin Sylvia Löhrmann erteilt schwarz-grün eine klare Absage.

Ich war deswegen überrascht, weil diese Aussage, allen anderen Aussagen, die ich von den Grünen kenne und kannte, Hundertprozentig widersprach.

Noch überraschter war ich, als die Überschrift auch noch über Twitter ging:

Twitter

Was für ein Bullshit, dachte ich, erzählt Löhrmann denn da. Was soll das?

Ich hab mir dann das Interview durchgelesen. Darin war nicht die Rede von einer Absage an schwarz-grün. Im Gegenteil. Sylvia Löhrmann öffnete in dem Gespräch die Partei für ein Bündnis mit den Schwatten. Sie sagte, dass es auf die Inhalte ankomme und die Grünen in der Regierung ihre Inhalte umsetzen wollten. Egal mit wem – und wenn das nicht möglich sei, dann würden sie halt in der Opposition bleiben.

Das ist die abgestimmte Position, die im Augenblick alle Grünen Spitzenpolitiker vertreten. Löhrmann redete keinen Bullshit.

Weiter sagte Löhrmann, natürlich gebe es inhaltliche Differenzen mit der CDU – gerade in der Schulpolitik. Hier halte Ministerpräsident Jürgen Rüttgers an einer überholten Vorstellung fest. Aber sie lies offen, ob man sich hier annähern könne.

Nur ein Bündnis mit der FDP schloss Löhrmann aus. War die Überschrift aus politischer Unkenntnis oder aus einem politischen Antrieb heraus falsch, um für ein wenig Unruhe morgen beim Parteitag der Grünen zu sorgen? Wir werden es sicher nicht erfahren. Vielleicht war es auch einfach eine Shit-Happens-Nummer.

Wie dem auch sei, die Nummer lief über die Kabel und auch wir hatten die falsche Überschrift auch in unserem Ruhrpiloten verlinkt – wenn auch nur kurzzeitig.

Gott sei Dank hat nun einer bei DerWesten bemerkt, dass die Headline komplett Nonsense war. Dort heißt es jetzt:

Löhrmann erteilt „Jamaika“-Koalition in NRW eine Absage.

Nun ja, wenigstens das stimmt. Denn ein Bündnis mit der FDP wird es wohl tatsächlich nicht geben. Gott sei Dank kann man im Netz Überschriften ändern.

Ruhrpilot – Das Navigationssystem für das Ruhrgebiet

Theater: Dortmund ehrt Tana Schanzara…Der Westen

Ruhr2010: Brücke vom Ruhrgebiet zum Bosporus…Neue Osnabrücker Zeitung

Pop: Westfalenhallen gegen FZW…Ruhr Nachrichten

HIV: Zahnarzt verweigerte Behandlung…Marceldams

NRW: Löhrmann über Schwarz-Grün…Der Westen

Integrationsrat: CDU, DTF und DITIB – Wahl am 7.2….Dirk Schmidt

Ruhr2010: Instanbul Symphonie…Hometown Glory

Medien: Ich bin bereit, den Preis zu zahlen, den die Verlage verlangen…Mediaclinique

Indie Ruhr Festival: Kostenloser Sampler zum Download!…News of Metal

Internet: Kommentare?…Bo Alternativ

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Rudolf Steiners Rassenlehre

steiner_rassenWie der „Bund der Freien Waldorfschulen“ Steiners Rassismus vertuscht. Von unserem Gastautor Ansgar Martins.

Bild: Tafelzeichnung Rudolf Steiners 1923

„Ja, ich kann meinen Namen tanzen.“ Alles klar? Ich bin Waldorfschüler und habe inzwischen eine gewisse Routine entwickelt, die vielen bunten Fragen zur Waldorf-Folklore zu beantworten. „Töpfern, Schmieden, Stricken“ alles kein Problem. Ein anderer Typ Fragen bringt mich dagegen jedes Mal ernsthaft ins Schwitzen – und zwar Fragen wie: „Ja, schon interessant das alles, aber war da nicht was mit R A S S I S M U S an Waldorfschulen?“

Denn die Antwort enthält eine wirklich unschöne Geschichte:

Die erste Waldorfschule wurde 1919 von Rudolf Steiner (1861-1925) gegründet. Steiner hat in vielen Schriften und über 7000 mitstenographierten Vorträgen ein esoterisches Weltkonzept namens Anthroposophie („Weisheit vom Menschen“) entwickelt – die Steiner Gesamtausgabe („GA“) hat schlappe 354 Bände. Und vieles, was Steiner da so von sich gab, verschlägt einem heute schlicht die Sprache:

„Da werden wir begreifen, daß die indianische Bevölkerung Amerikas, die uns so rätselhaft erscheint mit ihren sozialen Gliederungen und ihren eigentümlichen Instinkten, ganz anders sein muß. Wieder anders ist die afrikanische, die äthiopische, die Negerrasse. Da sind Instinkte, welche sich an das niedere Menschliche anknüpfen. Und bei den Malayen finden wir ein gewisses traumhaftes Element. (…) die mongolische Rasse [wird] es immer ablehnen, eine pantheistische Anschauung anzunehmen. Ihre Religion ist ein Dämonenglaube, ein Totenkult. Die Bevölkerung, die man die kaukasische Rasse [d.h. „die Weisse Rasse“ – A.M.] nennt, stellt die eigentliche Kulturrasse dar, welche (…) nicht mehr die magischen Kräfte handhaben kann, sondern sich auf das Mechanische verlassen muß.“ [GA 54, 9.11.1905]

„äh …?“

Solche und andere rassistische Phantasien glaubte Steiner durch die Lehre abzumildern, dass der Mensch als „Geistiges Wesen“ via Reinkarnation einmal alle Rassen live erleben müsse:

„Derjenige, der heute als Angehöriger der europäischen Menschenrasse erscheint, hat in früherer Zeit andere Menschenrassen durchlaufen und wird in späterer Zeit andere durchlaufen als unsere. Es erscheinen uns die Rassen wie Lehrstufen, und es kommen Zusammenhang und Zweck in diese Mannigfaltigkeit hinein.“ [GA 54, 9.11.1905]

Waldorfschüler, -eltern, und oft genug auch -lehrer, stehen vor diesem immer wieder durch die Medien gehenden Unfug „ihres“ Schulgründers genauso ratlos wie Nicht-Waldorfianer. Aufklärung würde man eigentlich von der Waldorf-Dachorganisation erwarten. In der Tat distanzierte sich der „Bund der Freien Waldorfschulen“ 2007 in seiner „Stuttgarter Erklärung“ formal von „jeglicher Form“ des Rassismus und Nationalismus und gab schon 2001/02 zwei Bände zum Thema „Anthroposophie und der Rassismusvorwurf“ heraus, Kurzfassungen stehen als Download im Internet bereit:

* „Rassenideale sind der Niedergang der Menschheit

* „Rudolf Steiner als aktiver Gegner des Antisemitismus

Die Autoren von „Rassenideale sind der Niedergang der Menschheit“, Lorenzo Ravagli, Redakteur der waldorfeigenen Zeitschrift „Erziehungskunst“, sowie Hans-Jürgen Bader und Manfred Leist, Justiziare des „Bundes“, weisen darauf hin, dass Steiner seine Anthroposophie als „internationalistisch“ verstand und eine „Weltkultur aus dem Geist der Freiheit“ forderte, die alle „Rassen“ und „Klassen“ überwinde. Statt solchen Ansichten allerdings eine historisch-kritische Distanzierung von Steiners Rassentheorien hinzuzufügen, wird mit abenteuerlichen Interpretationen versucht, diese Theorien als sachlich richtig und unproblematisch, mehr noch: als menschenfreundlich umzudeuten.

Wenn Steiner etwa von einer lemurischen, atlantischen und arischen „Wurzelrasse“ der „Menschheitsentwickelung“ spreche, sei das gar nicht weiter schlimm:

„Wer Begriffe wie den der „Wurzelrasse” verwendet, wie Steiner dies für kurze Zeit tat, muss deshalb noch kein Rassist sein. Denn er meinte damit in Abwandlung eines älteren Sprachgebrauches Entwicklungsepochen der Menschheit und nicht anthropologische Rassen.“ [Rassenideale, S. 1]

Steiner sagte aber:

„Schwarz sind die Überreste der lemurischen Rasse, gelb sind die Überreste der atlantischen Rasse, und weiß sind die Repräsentanten der 5. Wurzelrasse, der nachatlantischen oder arischen. Der Europäer Melchior [Steiner redet gerade über die Opfergaben der „Heiligen drei Könige“ – A.M.] bringt Gold, das Symbol der Weisheit, der Intelligenz.“ [Beiträge zur Rudolf Steiner Gesamtausgabe, hg. R. Steiner Verlag, Bd. 60, S. 4]

Davon völlig unbeeindruckt erklären die Autoren Bader/Ravagli weiter: Steiner habe mit „Rassencharakteren“ gar keine Charaktereigenschaften gemeint, denn er „betonte (…) ausdrücklich, dass er von körperlichen Eigenschaften rede und nicht von seelischen oder geistigen.“ [Rassenideale, S. 3].

Dafür gibt es Indizien, aber Steiner fabulierte eben auch:

“Sehen Sie, meine Herren, alles dasjenige, was ich jetzt [über Rassen – A.M.] geschildert habe, das sind ja Dinge, die im Leibe des Menschen vor sich gehen. Die Seele und der Geist sind mehr oder weniger unabhängig davon. Daher kann der Europäer, weil ihn Seele und Geist am meisten in Anspruch nimmt, Seele und Geist am meisten verarbeiten.” [GA 349, 3.3.1923]

In Bezugnahme auf obigen Vortrag heißt es bei Bader/Ravagli schließlich: Steiner betone, „der ‚Neger‘ könne aufgrund seiner andersgearteten Konstitution ‚seine Menschlichkeit‘ nicht verlieren, während dies bei den Weißen sehr wohl der Fall sein könne, weil sie zu einseitig auf die Sinne und den Intellekt hin organisiert seien.“ [Rassenideale, S. 3]

Diese Formulierung ist selber ein Musterstück rassentheoretischen Denkens: Hier wird von der „andersgearteten Konstitution“ der „Neger“ und über „auf den Intellekt organisiert[e]“ „Weiße“ gesprochen. Darüber hinaus sah Steiner den „Verlust der Menschlichkeit“ bei Europäern nur gegeben, da diese sich angeblich statt auf das „Verarbeiten“ des „Geistigen“ nur auf einen inhumanen „Materialismus“ konzentrierten, denn eigentlich sei die „weiße“ als „die zukünftige, die am Geist schaffende Rasse“ vorgesehen [GA 349].

Statt Aufarbeitung und sachlicher Distanzierung von Steiners rassistischem Unfug geht es den Autoren und dem Herausgeber „Bund der Freien Waldorfschulen“ nur um Abwehr und Apologie, sowie darum, Kritikern eine „unhistorische und selektive“ Arbeitsweise zu unterstellen [Rassenideale, S. 1]. Das kann höchstens dazu führen, Waldorfvertreter auf eine – sachlich falsche – ideologische Linie einzuschwören. Und natürlich dazu, dass die Debatte um Steiners Rassismen und die Waldorfschulen weiterhin explosiv bleibt. Auch manche Anthroposophen, denen diese Rassismen peinlich sind, fürchten daher inzwischen, Zitat Ralf Sonnenberg: „Das apologetische Unternehmen der Autoren Bader, Leist und Ravagli könnte sich somit auf lange Sicht hin noch als Bumerang erweisen.“

Zum Autor:

Ansgar Martins, Jahrgang 1991, besucht die Freie Waldorfschule Mainz und setzt sich auf seinem „Waldorf Blog“ konstruktiv-kritisch mit Anthroposophie und Waldorfpädagogik auseinander.

Neuer Politblog – CDU Kampfblog?

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In den vergangenen Tagen wurde ich von verschiedenen Leuten auf den Blog Klare Kante hingewiesen. Dies sei der neue Kampfblog der CDU in NRW. Nun, ich hab mir das Ding jetzt mal angeschaut. Und muss sagen: Wenn das die Vorhut der schwarzen Wahlkampf-Maschine sein soll, dann weiß ich es auch nicht.

Der Blog ist zunächst einmal mager. Da passiert nix. Erst eine Handvoll Beiträge und die noch schlecht geschrieben. Ein Twitteraccount fast ohne Follower. Das prickeligste bisher: Ein Interview mit Peter Ramsauer. Peter Wer? Ramsauer. Das ist ein Typ aus Bayern, der in Berlin Verkehrsminister ist und in NRW nix zu sagen hat.

Der Ramsauer jedenfalls schwadroniert bei der Klaren Kante über die Bedeutung der NRW-Wahlen für Berlin. Wettert gegen die Linke. Aber sagt kein Wort zum besch.ssenen Nahverkehr im Ruhrgebiet und warum eigentlich der RuhrXpress nicht kommt, der mal als Ersatz für den Metrorapid angedacht war und von Berlin cofinanziert werden sollte. Ein völlig belangloses Interview. Ähnlich die Qualität der anderen Texte.

Als Macher hinter Klare Kante outet sich Gerd Reuter. Ein alternder Journalist, der als “Kanzlerkorrespondent” mit Alt-Kanzler Helmut Kohl (CDU) „auf allen fünf Kontinenten“ war.

Wer Helmut Kohl ist, muss man den jüngeren Lesern sicher erklären. Das ist der Mann mit den verschwiegenen Millionenspenden, der von dem Skandal vor ein paar Jahren. Ja genau der, der seinen Ehrenvorsitz bei der CDU aufgeben musste, weil er das mit den Finanzen nicht hingekriegt hat. Ich finde, es ist ein merkwürdiger Versuch für einen Blogger, seine Qualifikation mit der Nähe zu einem Bimbesmauschler beweisen zu wollen. Aber egal. Seine Motivation für den Blog sieht Reuter in der „Schicksalswahl„, die auf NRW im Mai zurolle. Als Domain-Inhaber und Admin fungiert ein CDU-Mann und Ex-Vize-Schatzmeister aus der Heimat-Gegend von NRW-Medienminister Andreas Krautscheid (CDU), der sich vor einem Jahr  in den Wahlkampf abgemeldet hat. Erst vor Kurzem ist der Mann, Niels Litzka, aus dem Impressum der Internetseite der CDU-Meckenheim als Webmaster gelöscht worden.

Nur zur Erklärung: Krautscheid ist Vorsitzender der CDU im Kreis Rhein Sieg, zu dem die CDU Meckenheim gehört.

Ich rechne ganz scharf damit, dass die CDU in diesem Wahlkampf versucht, Blogs neben sich im Untergrund zu platzieren, um eine Wahlbotschaft zu transportieren. Nun sagen einige Leute in Düsseldorf, der Blog Klare Kante soll eines dieser U-Boote sein. Gleiches vermuten andere Leute auch hinter dem Blog „Wir in NRW“ – nur mit anderen Vorzeichen. Es wird gespottet, die Schreiber unter dem Ex-WAZ-Vormann Alfons Pieper seien „Rotblogger“.

Tja, wie dem auch sei: Ich glaube nicht, dass Pieper „Rotblogger“ anführt. Dafür sind die Berichte dort meist zu gut, zu fundiert und zu journalistisch. Zudem zeugen sie von einer intimen Kenntnis der CDU-Strukturen. Ich denke eher, da machen Leute mit, die von der jetzigen CDU unter dem Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers enttäuscht sind. Ich glaube, bei „Wir in NRW“ sind Leute aller Colour mit einem journalistischen Interesse.

Wenn der Blog „Wir in NRW“ reine Wahlkampfmasche wäre, so wäre das für mich eine Riesenenttäuschung.

Aber zurück zur Klaren Kante. Auch hier fällt es mir schwer zu glauben, dass hinter dem Schrott eine Parteistruktur steht. Dafür ist das Ding zu uninformiert und schwach. Und wenn doch, dann sollten sich die Wahlkampfmanager der CDU ihr Geld zurückgeben lassen. Das Ding langweilt. Die Zugriffsraten werden miserabel sein. Unter 1000 Leser am Tag – da halte ich jede Wette.

Zudem wäre zu prüfen, ob es sich um Rechtsbruch handelt, wenn eine Partei wie die CDU den Blog aus Parteikassen finanzieren würde, ohne sich als Financier zu outen. Auch hier glaube ich, wird sich die CDU kaum in die Brennnesseln setzen wollen und kurz vor der Wahl einen kleinen Finanzskandal anheizen.

Aus diesen Gründen denke ich lieber, Klare Kante ist das Werk eines alten Mannes, der im Netz Unsinn macht und sich dabei von einem jüngeren Parteigenossen der CDU helfen lässt.

Den Rest wird die Zeit beweisen.