Ruhrpilot – Das Navigationssystem für das Ruhrgebiet

ruhr2010losRuhr2010: Rubbell los mit dem Rubbelllos…Hometown Glory

NRW: CDU-Wüst sieht wenig Gemeinsamkeiten mit den Grünen…Zeit

NRW II: NPD macht auf Pro NRW…taz

Nazis: Von Dresden lernen…Bo Alternativ

Loveparade: Jetzt mit ohne Duisburger Geld…Der Westen

Online: Jugendmedienschutz-Staatsvertrag 3.0: War doch nicht so gemeint!…Netzpolitik

Steuer-CD: 572 Selbstanzeigen in NRW…RP Online

Dortmund: Stüdemann zum Kämmerer gewählt…Ruhr Nachrichten

Wirtschaft: Schlaue Füchse, die Metaller…Weissgarnix

Ruhr2010: Hans Werner Henze – Rosen und Revolutionen…xtranews

Wirtschaft II: Let the Greeks ruin themselves…Economist

Umland: Langweilige Linke…Zoom

IT: 20 Jahre Photoshop…Welt

Überraschende Wende im Uhlenberg-Untersuchungsauschuss

Gerade erst hat der Uhlenberg-Untersuchungsausschuss im NRW-Landtag die Zeugenbefragung abgeschlossen, da wollen die Parlamentarier erneut zusammenkommen und die Befragung wieder aufnehmen. Der Grund: Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat den Wuppertaler Oberstaatsanwalt Alfons Grevener dazu verurteilt, vor den Parlamentariern über das Ermittlungsverfahren gegen Harald F. auszusagen.

Im ersten Anlauf hatte Grevener die Aussage mit dem Hinweis verweigert, er könne sich eventuell selber belasten. Diese Begründung lehnte das Oberlandesgericht ab. Es verurteilte Grevener zur Zahlung eines Ordnungsgeldes wegen Mißachtung des Untersuchungsausschusses. Dumm gelaufen.

Grevener soll vor allem etwas zu der Rolle und dem Verhalten von Oberstaatsanwalt Ralf Meyer sagen, der sich mit aller Gewalt auf das Verfahren gestürzt hatte und auch gegen den Widerstand der Generalstaatsanwaltschaft Spekulationen gegen den ehemaligen Abteilungsleiter des Umweltministeriums Harald F. nachhetzte. Meyer musste schließlich angewiesen werden, die absurdesten Vorwürfe fallen zu lassen.

Die Frage ist, ob Oberstaatsanwalt Grevener das aggresive Vorgehen Meyers unterstützte. Der Süddeutschen Zeitung hatte Grevener gesagt, es müsse zu einer Anklage kommen, sonst hätte sich die Staatsanwaltschaft der Verfolgung Unschuldiger strafbar gemacht.

Jetzt muss Grevener diesen Sachverhalt erklären.

Sierau der unglückliche Wahlsieger von Dortmund

Er ist der wohl unglücklichste Wahlsieger im ganzen Land. Ulrich Sierau war für 24 Stunden unangefochtener Oberbürgermeister von Dortmund — bis plötzlich ein Millionenloch in der Stadtkasse auftauchte, von dem er nichts gewusst haben will. In drei Monaten wird wieder gewählt.

Ullrich Sierau sitzt zwischen seinen Umzugskartons und poltert. „Ich bin der glücklichste Mensch auf Erden.“ Die Mine des weißblonden Sozialdemokraten verzieht sich ironisch. Sierau kämpft seit zwei Jahren darum, Oberbürgermeister in Dortmund zu werden. Für einige kurze Nacht war er es auch – jetzt wird in drei Monaten wieder gewählt, wieder muss Sierau in den Fußgängerzonen der Ruhrgebietsstadt frieren und gegen die selben Kandidaten der anderen Parteien antreten. Denn in Dortmund ist das politische Chaos ausgebrochen. Hier findet für Bürgerinnen und Bürger eine bundesweite Premiere statt: Die Bürgermeisterwahl muss wiederholt werden. Zahlreiche Bürger und Parteigänger haben den Urnengang vom vergangenen August angefochten. Sie werfen Sierau Wahlbetrug vor, weil er und sein Vorgänger ein riesiges Haushaltsloch verschwiegen haben sollen. „Ich wurde in eine Scheiße gerissen, aus der ich nicht mehr raus kam,“ sagt Sierau im Ruhrgebiets-Hochdeutsch. Seine hellen Augen funkeln. Der bullige Körper ist angespannt.

In Sieraus Story ist er das Opfer. Am Tag nach seinem fulminanten Sieg in der viel beschworenen Herzkammer der Sozialdemokratie musste der Stadtplaner im Radio anhören, wie sein Vorgänger Gerhard Langemeyer mit knappen Sätzen sein Grab schaufelte: Genosse Langemeyer verkündete auf einer Pressekonferenz einen Nothaushalt für die drittgrößte Stadt in Nordrhein-Westfalen. Langemeyer und die inzwischen strafversetzte Kämmerin kannten die klaffende Lücke im Haushalt, Sierau will von ihr nichts gewusst haben. „Das war ein Komplott des Wegguckens,“ sagt er heute. Der gestandene Genosse, durch alle Parteiebenen gewandert und in einer Kampfkandidatur zum OB-Kandidaten erklärt, ringt um Fassung, die Fäuste ballen sich neben der Kaffeetasse.

Aber Sieraus Story wollte im Rathaus kaum jemand glauben. Die Parteien, auch die jahrelang mit der SPD koalierenden Grünen, forderten seinen Rücktritt. Nach Wochen lenkt Sierau ein und verficht seitdem selbst eine Wahlwiederholung. Seit Mitte Januar wird Dortmund von dem dienstältesten Ratsherren, auch einem Genossen, regiert und Sierau residiert wieder in seinem alten geräumigen Büro als Planungsdezernent. Von der anderen Flurseite kann der 52-Jährige die Türme des historischen Rathauses sehen, in dem er für einen Tag als strahlender Regent und für viele Wochen als angefeindeter „Wahlschwindler“ saß.

Seitdem herrscht im Rathaus Anarchie. Feste Mehrheiten gibt es nicht mehr, für jede Sachfrage werden neue Koalitionen geschmiedet. Für eine ehemalige Industriestadt, in der die SPD seit Jahrzehnten regiert, ein Novum. Für die CDU ebenso, sie hatten jahrelang kaum eine Stimme in der Arbeiterstadt. „Das ist hier Demokratie in Vollendung“, frohlockt der Geschäftsführer der CDU-Fraktion, Manfred Jostes. Um jede Entscheidung werde parteiunabhängig gerungen. So wurden in einer großen schwarz-roten Koalition das Sozialticket, ein verbilligtes Busticket für Hartz-IV-Empfänger und Herzensprojekt der Grünen, wieder abgeschafft. Der Vertreter von Sierau wurde hingegen in einem Jamaika-Bündnis gewählt. Der erneute CDU-Kandidat Joachim Pohlmann unterlag vergangenen August deutlich. Aber diesmal wird es wohl ein knappes Rennen. Oder eher ein langsamer Zieleinlauf. Keine der Parteien hat noch die Kraft, einen langen Wahlkampf hinzulegen. „Wir sind finanziell und personell ausgepowert“, sagt Jostes.

Ihre Energien verschwenden die Parteien schon seit Monaten im täglichen Kleinkrieg. Protokolle von längst vergangenen Gesprächen werden herangezogen um zu belegen, wer etwas von dem Schuldenberg der Stadt gewusst haben könnte. Warum die Pleite überhaupt verschwiegen wurde kann aber niemand erklären. Im Ruhrgebiet ist nahezu jede Stadt bankrott, die SPD-Bürgermeister von Oberhausen und Gelsenkirchen, den beiden ärmsten Kommunen im Pott, haben glänzende Wahlergebnisse eingefahren. Und dass es Dortmund nicht viel besser gehen kann war auch jedem klar. „Mir wurde mulmig, als die Kämmerin mich dann unterrichtet hat“, sagt Sierau. Er verstehe selbst nicht, wie das Loch seiner Kenntnis entging. „Ich höre sonst hier das Gras wachsen“, sagt er und zeigt aus seinem Fenster auf die Innenstadt, als gehörte sie ihm.

Doch mit so hohen Schulden hat der kommende Rathauschef wenig Spielraum. Das dringend notwendige Sparen spielt trotzdem auch bei dieser Wahl wieder keine große Rolle. Wer buhlt schon mit einer Streichliste um die Gunst der Bürger? Dabei könnte Dortmund den gesamten Kulturetat streichen, die Stadt würde immer noch Miese machen. Und so wird über die Renovierung des maroden Hauptbahnhofes gestritten, der eigentlich schon zur Weltmeisterschaft 2006 umgebaut sein sollte oder über neue Jobs für die ehemalige Industriestadt. „Eine vernünftige Ratsarbeit ist nicht möglich“, sagt die grüne Fraktionssprecherin Ingrid Reuter genervt. „Dortmund dümpelt kopflos vor sich hin.“ Jeder suche sich täglich das aus, was ihm persönlich gerade am besten passt. Die Grünen müssen fürchten, nach Jahren an der Regierung auf die Oppositionsbank zu rücken. Jeden Tag könnten sich zwei Parteien überraschend zu einer Koalition zusammen schließen. Theoretisch würde es für Rot-Grün wieder reichen, aber die „Stimmung ist schlecht.“ Deshalb kungeln jetzt CDU und SPD immer öfter, zuletzt haben die Genossen einen Schwarzen an die Spitze der kommunalen Versorgungsbetriebe gehievt. Aber die Landtagswahl im Mai kann ohnehin wieder alles umwerfen. Sicherlich wird Düsseldorf sich dann ins Dortmunder Personenkarussel einmischen. Schließlich ist die SPD-Stadt symbolisch wichtig für beide Parteien. Und bislang ist völlig unklar, ob schwarz-gelb an Rhein und Ruhr weiterregieren kann.

Auch für Sierau ist die Wahl entscheidend. „Wenn ich nicht gewinne, bin ich politisch weg vom Fenster“, sagt er. Und fügt eilig hinzu, dass er aber natürlich gewählt würde. Die Bürger wüssten — er sei einer von ihnen. Und schließlich ginge es ihm ja hervorragend.

Die Geschichte erschien auch in der Frankfurter Rundschau

Wahlkampf: Zwei Pressemitteilungen in fünf Minuten

Ich habe gerade zwei Pressemitteilungen bekommen innerhalb von fünf Minuten. Die eine von der CDU, die andere von der SPD. Das ist nicht ungewöhnlich. Aber diese Pressemitteilungen beschreiben in meinen Augen wunderbar den Landtags-Wahlkampf, der uns bevorsteht, deswegen dokumentiere ich die mal.

Zunächst kam die Erklärung der SPD ins Büro geflattert. Hannelore Kraft begrüßt da den Tarifabschluss in der Metall- und Elektrobranche.

Der schnelle Abschluss in der nordrhein-westfälischen Metallbranche ist vorbildlich und ein gutes Signal, das auch über NRW hinaus Bedeutung hat. Beide Tarifparteien haben mit Augenmaß verhandelt und einen hoch innovativen Tarifabschluss vorgelegt. Die Sozialpartner haben damit in Zeiten der Wirtschafts- und Finanzkrise Verantwortung übernommen. Insbesondere der ‚Beschäftigungspakt zur Sicherung von Arbeitsplätzen‘ ist ein wichtiges Zeichen, das sowohl Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern als auch den Unternehmen Planungssicherheit gibt.

Da steht nicht viel mehr, als erwartbares Wahlkampfgeblubber.

Die andere Mitteilung kam von Hendrik Wüst, Generalsekretär der CDU in NRW. Er schreibt:

Die Kreuze müssen hängen bleiben

Unser Land hat nicht nur eine christliche Tradition, sondern basiert auf christlichen Werten. Deswegen müssen die Kreuze in den Gerichten hängen bleiben. Wenn sich Andersgläubige gestört fühlen, muss dann halt mal der Hausmeister kommen und es abhängen. Aber grundsätzlich gilt: Wenn wir ein Staat mit christlichem Fundament sind, dann gehören Kreuze in die Gerichte.

Als hätten wir nicht andere Probleme. Auch hier Wahlkampfgeblubber. Und die Worte: christliche Tradition, christliche Werte und christliches Fundament. Begriffe, die Wüst für seine Partei besetzen will.

Spannend ist in meinen Augen die Ausrichtung der beiden Wahlkämpfer auf ihre eigene Klientel. Dieser Versuch die Katholischen katholischer zu machen. Wir werden davon sicher noch viel mehr erleben. Mich würde allerdings eher interessieren, was mit dem Land passieren soll. Als die Versuche, im eigenen Lager zu punkten.

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Dortmunder SPD-Theater wird übler

dortmund_rathausIch habe gerade einen Bericht in der Welt gelesen. Von Kristian Frigelj. Ein echt guter Mann, mit dem ich auch hin und wieder zusammenarbeite. Frigelj jedenfalls schreibt eine spannende Geschichte über den neu zu wählenden Kämmerer in der SPD-Hochburg Dortmund. Über den Noch-Kulturdezernent derzeit nur kommissarischen Stadtkämmerer Jörg Stüdemann (SPD).

Die Geschichte ist ziemlich einfach und zeigt, wie teuflisch tief die SPD im Dortmunder Sumpf festgefahren ist. Denn ausgerechnet Stüdemann, der als Saubermann die Partei in der Stadt wieder hoffähig machen sollte, ist für unzulässige Zahlungsanweisungen beim Theater Dortmund mitverantwortlich.

Kristian Frigelj stützt seinen Bericht auf eine Untersuchung des Rechnungsprüfungsamt (RPA) vom Jahresende 2009. Die Kontrolleure kommen nach einjähriger Prüfung in ihrem „Sonderbericht Theater Dortmund“ zu dem Ergebnis, dass es schwere Versäumnisse im Umgang mit Finanzen gab. Demnach gibt es Hinweise, dass sich der frühere technische Direktor der Städtischen Bühnen, Detlef Plümecke, auf Kosten des Theaters bereichert hat. Laut Gesamtbericht hat er für private Zwecke Fernseher, Laptop und Herd gekauft und als Requisite deklariert. Die Staatsanwaltschaft ermittelt bereits wegen des Verdachtes auf Betrug und mögliche Veruntreuung öffentlicher Gelder. Ist das übel?

Denn nun gerät ausgerechnet Stüdemann (SPD) in Erklärungsnot. Selbst seine geplante Wahl zum ordentlichen Stadtkämmerer am heutigen Donnerstag könnte in Frage gestellt sein. Die Rechnungsprüfer haben nämlich festgestellt, dass Plümeckes Machenschaften durch fehlerhaftes oder nachlässiges Verhalten mehrerer leitender Personen erleichtert wurde.

Kurz zu den Fakten, die Kristian Frigelj in der Welt präsentiert: der Technische Direktor (TD) Plümecke kassierte fast 45.000 Euro für vergütete Urlaubstage, rund 23.500 Euro für ausbezahlte Überstunden und 15.000 Euro aus Honoraren für außervertragliche Leistungen. Zwei der insgesamt vier Zahlungsanweisungen bei der Urlaubsabgeltung fallen in den Verantwortungsbereich von Dezernent Stüdemann, der vom 16. Februar bis 30. Juni 2006 als so genannter „erster Betriebsleiter“ des Theaters die Geschäfte führte.

Die Rechnungsprüfer kommen zu dem Schluss: „Während der aktiven Beschäftigung des TD hätte das Theater keine Urlaubsabgeltungen durchführen bzw. diese an Herrn Plümecke zahlbar machen dürfen. Es ist festzustellen, dass die vom Theater an den TD ausgezahlten Urlaubsabgeltungen im Widerspruch zu den tarifvertraglichen Regelungen steht.“

Stüdemann hat da wohl ein geschlampt bei seiner Aufsicht. Denn er hatte schon 2006 einen Email-Hinweis auf die überzogene Vergütung bekommen. Trotzdem wurden tausende Euros an Plümecke ausgeschüttet.

Toller Bericht

Waldorf-Kritik: Wenn das Licht ausgeht

hackenSeit Monaten wird bei uns immer wieder über Waldorfpädagogik und Anthroposophie gestritten. Unser Gastautor Valentin Hacken ist Vorstand der WaldorfSV, der bundesweiten Schülervertretung der Waldorfschulen,  Schüler der Freien Waldorfschule Offenburg und widerspricht in seinem Beitrag denThesen unseres Stamm-Gastautors Andreas Lichte.

Rudolf Steiner hat mit der Entwicklung der Anthroposophie und den daraus entstandenen Bewegungen in Wirtschaft, Kunst, Medizin, Pädagogik, Landwirtschaft und Forschung erstaunliches angestoßen. Nach knapp hundert Jahren sind viele Ansätze immer noch bemerkenswert aktuell, sind zeitlos, während andere als Kind ihrer Zeit heute keine Berechtigung, keinen Sinn mehr haben.

Die Waldorfschulbewegung verantwortet also einen Teil des „anthroposophischen Erbes“, den Teil, welcher die ersten Entwicklungen der Waldorfpädagogik enthält. Der allgemeine Diskurs über die Anthroposophie oder Steiner ist an den Waldorfschulen falsch aufgehoben, genauso wie bei den biologisch-dynamischen Landwirten oder den Eurythmisten, der Diskurs über Anthroposophie ist am besten bei genuin anthroposophischen Einrichtungen, etwa der Rudolf-Steiner-Nachlassverwaltung oder der Anthroposophischen Gesellschaft verortet.

Die Auseinandersetzung mit Rudolf Steiner ist allein schon wegen der Ausmaße seiner Gesamtausgabe, über 300 Bände, keine einfache Aufgabe. Um sich dabei nicht auf querlesende Kritiker oder interne Untersuchungen verlassen zu müssen, beauftragte die Anthroposophische Gesellschaft in den Niederlanden eine Kommission unter Leitung des international renommierten Menschenrechtsanwalts Th. A. van Baarda mit der Prüfung der Rassismusvorwürfe. Quantitativ handelt es sich in über 89.000 Seiten um 67 nach Bewertung der Kommission diskriminierende Aussagen. In der Analyse des Gesamtwerkes kam die Kommission zu der Ansicht, dass Rudolf Steiner definitiv keine rassistischen Ansichten vertrat; entsprechende Äußerungen Steiners gibt es zur genüge.

Die Freien Waldorfschulen haben mit der Stuttgarter Erklärung klargestellt, dass sie sich gegen jede Form von Rassismus und Nationalismus stellen, auch in dem Bewusstsein, dass heute Passagen aus Steiners Werk dem nicht mehr entsprechen. Damit ist die Forderung, die Waldorfschulen sollten sich von Rassismus in Steiners Werk lossagen, haltlos.

Herrn Lichtes Kniefall vor einzelnen Personen wie etwa Herrn Ravagli, den er zum „Chefideologen“ stilisiert, will ich mich nicht anschließen. Ich erlebe als Vorstand der WaldorfSV einen kritischen, offenen Dialog der gerade davon lebt, ohne Chefideologen auszukommen. Dabei sind auch neue Entwicklungen wie etwa die Waldorflehrerausbildung in Witten-Annen oder die Ansätze Rüdiger Iwans zu nennen.

In der Waldorfschulbewegung vollzieht sich derzeit ein spannender Prozess, die Waldorfschulen können bald auf hundert Jahre Geschichte und Tradition blicken, von der Gründung der ersten Schule, Schließung durch die Nationalsozialisten, Neugründung und weltweite Expansion. Wer sich in der Waldorfbewegung auskennt, sieht die derzeitigen intensiven Bemühungen um eine Erneuerung der Pädagogik an Stellen, an denen Traditionen geistesgegenwärtiges Handeln ersetzt haben, um ein neues Greifen und Prüfen der pädagogischen Grundsätze, um eine erneuerte Waldorfschule, die ihren hundertsten Geburtstag ganz auf der Höhe der Zeit feiern kann.

Andreas Lichtes Behauptung, die wichtigste und einzige Qualifikation eines Waldorflehrers bestünde darin, Rudolf Steiner bedingungslos zu verehren ist Quatsch, der sich mit der Wirklichkeit der deutschen Waldorfschulen nicht deckt. Ich beobachte ein sich immer stärker kritisch differenzierendes Verhältnis gegenüber Steiner. Im Übrigen erstaunt es mich immer, außerhalb der Waldorfschule mehr über Steiner sprechen zu müssen als in der Waldorfschulbewegung, hier werden Debatten lieber über Pädagogik, Methodik und Umsetzung geführt.

Genauso wenig richtig ist die Behauptung, Eltern an Waldorfschulen würden nicht über den anthroposophischen Hintergrund der Schule informiert. Diese Information ist kein Geheimnis und in allen Publikationen zu finden, an den Schulen zudem Thema vieler Elternabende, allein schon unter dem Aspekt, dass Pädagogen in der Schule nichts ausrichten können, was nicht zuhause gelebt wird.

Um der Reihe der Richtigstellungen gleich einen weiteren Punkt anzufügen, nein, Anthroposophie wird an der Waldorfschule nicht unterrichtet. Diesen Vorwurf aus Heften zu konstruieren, welche zeigen, dass Waldorfschülern in den ersten Jahren Sagen und Mythen, aber auch das alte Testament erzählt werden ist reichlich unoriginell.

Dass sich die Prüfungen für Waldorfschüler in einigen Bundesländern minimal von den Prüfungen der staatlichen Schulen unterscheiden ist richtig, von einem einfacheren „Lex Waldorf“ zu sprechen hingegen falsch. In Bundesländern mit Zentralabitur legen dies auch die Waldorfschüler ab. Teils werden einige Inhalte, z.B. in den Realschulprüfungen dem Lehrplan der Waldorfschule auf einem gleich komplexen Level angepasst, hierüber wachen die zuständigen Ministerien.

Doch Herr Lichte unterstellt den Waldorfeltern nicht nur, ihre Kinder durch einfachere Prüfungen zu schicken, sie seien vor allem hinter dem „Vorteil“ der „ausländerfreien Zone“ her. Davon abgesehen, dass eine „ausländerfreie Zone“ nicht nur als Wort ein Anschlag ist, ist sie selbstverständlich kein Vorteil. Es ist, mit Verlaub, auch albern einer internationalen Schulbewegung mit solchen Argumenten zu kommen. Die Waldorfschulen mühen sich aktiv auch verstärkt pädagogisch wirksame Angebote für Kinder mit Migrationshintergrund zu finden, ein Beispiel hierfür ist die interkulturelle Waldorfschule Mannheim.

Wo es an Fakten fehlt scheint auch das Erfinden offenbar nicht weit, der Spruch den Herr Lichte „den Waldorfschülern“ in den Mund legt, „Und reicht es nicht zum Straßenkehrer werd ich eben Waldorflehrer“ begegnet mir hier das erste mal, vermutlich wird er von der gesamten Schülerschaft vor dem Bundesschülerrat geheim gehalten.

Einen anderen Spruch, wenn auch nicht sehr vornehm, teilen sich Waldorfschüler und Schüler aller anderen Schulen, „Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal die Klappe halten!“

Wenn ich mich recht erinnere war es eine Sequenz des Films „Wie gut sind Waldorfschulen wirklich“ in dem eine Mutter berichtete, sie sei ganz entsetzt gewesen, was mit ihrem Kind geschieht, sie dachte das wäre eine „normale Schule“ nur mit ein bisschen Tanzen zusätzlich. Die Waldorfschulen wecken als stark idealistische, andersartige (doch gleichwertige) Einrichtungen immense Erwartungen welche in Mischung mit Unkenntnis erhebliche Falltiefe an Enttäuschung und Wut erzeugen können. Dem gilt es mit stärkerer Kommunikation pädagogischer Konzepte, aber auch mehr Verantwortung auf Seiten der Eltern entgegen zu wirken.

Als Schüler und Vorstand der WaldorfSV – Bundesschülerrat der Freien Waldorfschulen erwarte ich einen verantwortungsvollen Dialog zu Bildungsfragen mit fachkundigen Beteiligten. Bildungsfragen sind Freiheitsfragen, Waldorfpädagogik im Dialog mit den Erziehungswissenschaften ist für mich ein wichtiger Beitrag zu einer menschenwürdigen Pädagogik welche die Person mit all ihren Ebenen wahrnimmt.

Andreas Lichte disqualifiziert sich mit seinen Argumentationen, welche keiner Korrektur in einem Deutschunterricht standhalten würden für diese zukunftswichtige Aufgabe selbst.

Westerwelle Streit: Kein brauner Sumpf in Sicht

westerwelle_public_domainNoch blöder als Karneval ist kein Karneval. Und kein Karneval fängt am Aschermittwoch an. Den gibt es selbstverständlich auch in der Politik, wo er – wie sinnig – politischer Aschermittwoch heißt. Die ganze Veranstaltung kommt aus Bayern. Das Copyright für diesen Event hat eigentlich die CSU, in Person des unvergessenen Franz-Josef Strauß. Von unserem Gastautor Werner Jurga

Im Laufe der Zeit hat sich die Bierzelt-Politik epidemisch auf die anderen Parteien ausgebreitet, teilweise sogar auf Orte außerhalb des bajuwarischen Freistaates. Allerdings: die Top-Veranstaltungen aller Parteien finden auf bayrischem Boden statt. Und die besten, weil die eigentlichen und unerreichbaren, sind nun einmal die Christsozialen.

Horst Seehofer, als ihr Vorsitzender sozusagen der Statthalter Franz-Josefs auf Erden, hatte dann auch den Volltreffer des Kein-Karneval-Auftakttages, als er das Palaver, das seit einer Woche die politische Debatte des Landes zu beherrschen scheint, einordnete als „Kein Tsunami, nur eine Westerwelle“. Kein Karneval scheint doch nicht so schlecht zu sein.

Man empörte sich nach Kräften über Westerwelles Gastbeitrag in der „Welt“ zur Altweiberfastnacht. Am letzten Donnerstag, also den 11. Februar 2010, gab der FDP-Vorsitzende zum Besten: „Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein.“ Dies ist der meist zitierte Satz aus dem auch ansonsten abgrundtief langweiligen Beitrag.

Ich wurde jedoch den Eindruck nicht los, diese Weisheit wie auch jeden anderen Baustein aus diesem die Republik in ihren Grundfesten erschütternden Dokument schon einmal irgendwie, irgendwo und irgendwann von Deutschlands Freiheitskämpfer Nummer Eins vernommen zu haben.

Spiegel Online war jetzt so freundlich, einen Blick in die Archive zu werfen; und siehe da:

■ Westerwelle im September 2003 in der „Welt am Sonntag“: „Die deutsche Politik trägt mittlerweile Züge der Dekadenz. Auf der ganzen Welt werden die Wohlstandschancen verteilt, das Wirtschaftswachstum ist höher als bei uns. Und wir gewähren Viagra auf Sozialhilfe.“

■ Im November 2003 im „Focus“: „Die deutsche Politik – die Politiker und die Meinungsmacher – hat mittlerweile einen ordentlichen Schuss Dekadenz.“

■ O-Ton Westerwelle in einem Interview mit der „Wirtschaftswoche“ im Dezember 2006: „Die deutsche Politik hat Züge von Dekadenz. Anstrengungsloses Einkommen den Menschen und anstrengungslosen Wohlstand der Nation vorzugaukeln, war schon der Grund für den Untergang des Römischen Reiches.“

■ In der „Bild“-Zeitung im Juni 2007: „Es ist dekadent, der Bevölkerung vorzugaukeln, es gäbe Einkommen ohne Anstrengung.“

■ Im Mai 2008 in der „Süddeutschen Zeitung“: „Ich halte es für dekadent, dass in unserer Gesellschaft das Soziale mit dem Staatlichen gleichgesetzt wird, und dass nur derjenige als mitfühlender Mensch gilt, der für staatliche Umverteilung ist.“

Noch nicht im „Welt“-Text hat sich der Gedanke befunden, dass diejenigen, die arbeiten, mit anderen Worten: die „Mittelschicht“ die „Deppen der Nation“ seien. Den hat Westerwelle in den folgenden Tagen dann noch draufgelegt. Den Gedanken, sollte es sich dabei um einen handeln. Gedanke oder nicht – egal: auch dieser Spruch ist alles andere als neu. Ich hatte ihn bereits vor zwei Jahren vernehmen können.

Zeit Online bringt eine dpa-Meldung, derzufolge der SPD-Vorsitzende über die CDU-Vorsitzende gepoltert habe, Merkel sei eine «Biederfrau bei den Brandstiftern», weil sie Westerwelle Benzin habe ins Haus tragen lassen und sich nun wundere, dass der Dachstuhl brennt.

Man möchte meinen, es müsse am Bierzelt von Vilshofen liegen, dass Sigmar Gabriel in der Wahl seiner Metapher so grässlich daneben liegt. Dass er in der zurückliegenden Woche wiederholt meinte, sich in dieser Sache auf Max Frischs Klassiker beziehen zu dürfen, muss nicht unbedingt dagegen sprechen. Es war ja die ganze Woche Karneval; da hat er gewiss nie die Einladung zum Bier so einfach ablehnen können.

Hannelore Kraft, Vorsitzende und Spitzenkandidatin, wusste freilich gleich, was die Stunde geschlagen hat. Frischs Brandstifter stehen metaphorisch für die Nazis. Nur: so verschwurbelt, wie es der Sigmar bringt, kapiert das mal wieder bestimmt kein potenzieller Wähler an Rhein und Ruhr. Also gibt Hannelore, die Wahlkämpferin, gleich einmal so richtig die Kante: Westerwelle fischt im „braunen Sumpf“. Das sitzt.

Frau Kraft ist also der Auffassung, Westerwelle habe in seinem Gastbeitrag für die „Welt“, wie man heute so sagt: „rechtspopulistische“ oder, wie ich sagen würde, faschistoide Thesen vertreten. Nun gut, es handelt sich nicht um einen Geheimtext; noch mal: Sie finden ihn hier.

Sollten Sie sich dieses Westerwellersche Standard-Gelaber nicht antun wollen, was ich verstehen könnte, lassen Sie es sich gesagt sein: da ist mittendrin dieser eingangs zitierte Satz. Davor und dahinter dieses seit Jahren bekannte neoliberale Zeug. Was da nicht ist: irgendetwas Braunes. Irgendetwas, das nur entfernt Assoziationen an Blut und Boden, an Deutschtümelei oder Herrenrasse zuließe. Nichts, gar Nichts.

Westerwelle ist bekennend lebender Schwuler, Westerwelle hat die Revanchistin Steinbach in ihre Schranken gewiesen, Westerwelle hat mit dem Rechtspopulismus nichts zu tun. Was sollen also diese unqualifizierten Andeutungen?

Seit wann wird im „braunen Sumpf“ der Kapitalismus über den grünen Klee gelobt? Westerwelle und seine FDP sind fest im Westen verankert; dort, wo er die USA kritisiert hat, befand er sich im Einklang mit den Sozialdemokraten. Dass er vor Jahren Möllemanns antisemitische Hetze laufen ließ, ist wahr. Aber eben auch: Vergangenheit. Außenminister Westerwelle hat seinen ersten Staatsbesuch in Israel absolviert, und zwar einwandfrei.

Westerwelle ist ein wirtschaftliberaler Politiker. Er hat die FDP auf seinen marktradikalen Kurs eingeschworen. Die gegenwärtig ungünstige politische Situation versucht er, durch eine Offensive der Sprüche zu „drehen“. In der Berliner Koalition droht die FDP auf zentralen Feldern zu scheitern. Fliegt sie aus der Landesregierung in NRW heraus, ist Westerwelle gescheitert. Schwarz-Grün erscheint als Schreckensbild am Horizont: die FDP droht zur Politsekte einiger kapitalistischer Radikalinskis zu werden.

Dass in dieser Situation führende Sozialdemokraten Westerwelle Vorwürfe machen, die vollkommen an der Sache vorbei gehen, gibt erstens kein gutes Bild ab und könnte sich zweitens bitter rächen. Denn es dauert noch eine ganze Weile, bis in NRW gewählt wird. Warum sollte es Westerwelle bis dahin nicht schaffen zu erläutern, dass seine Gegner hier wahlkampfgetrieben unsachlich „argumentieren“?!

In der Sache geht es um das Lohnabstandsgebot, das von niemanden in Zweifel gezogen wird. Diesem Gebot kann man dadurch gerecht werden, indem die Löhne erhöht oder aber die Hartz-Vier-Leistungen gesenkt werden. Oder indem flächendeckende Mindestlöhne eingeführt oder aber die Steuern gesenkt werden.

Westerwelle steht nicht mit leeren Händen da; er hat Zeit, und er weiß das. Daraus resultiert seine Unerbittlichkeit. Deshalb macht er Fehler. Ihm jetzt mit eigenen Fehlern zu antworten, ihm zu folgen auf dem Weg der Nervosität, der Verbissenheit und der dramatisierenden Propaganda, würde Westerwelle ziemlich früh die Umkehr zu seinem – neulich äußerst erfolgreichen – Steuersenkungs-Pop ermöglichen.

Westerwelle sagt es nicht offen; aber es ist klar. Und viele in der Union machen wenig Hehl daraus, dass sie es letztlich genauso sehen: die Hartz-Vier-Sätze sollen gesenkt werden. Im NRW-Wahlkampf sollte es um die Frage gehen, ob die Leute dies auch wollen. Oder ob sie das Lohnabstandsgebot durch flächendeckende Mindestlöhne und allgemein durch eine expansive Tarifpolitik gewährleistet wissen wollen.

Man lese und staune: die überwältigende Mehrheit ist gegen eine Politik der Steuersenkungen. Warum auch immer. Und dieser Mehrheit liegt auch das Lohnabstandsgebot sehr am Herzen. Hieran gilt es anzuknüpfen. Das Gerede über den „braunen Sumpf“, in dem sich Westerwelle angeblich bewege, geht auch insofern in eine völlig falsche Richtung. Und ganz unabhängig davon: es gehört sich nicht.

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