Ruhrpilot – Das Navigationssystem für das Ruhrgebiet

NRW: Gabriel will nicht mit der Linkspartei…Focus

NRW II: Rüttgers droht mir Nein zur Steuerreform…Stern

NRW III: Grüne halten sich schwarz-grün offen…Spiegel

Ruhr2010: Gestutztes Klavierfestival?…Welt

Ruhr2010 II: Wie teuer sind Theater…Pottblog

NRW IV: CDU-Wahlkampf gegen die FDP…Der Westen

NRW V: Grüne im Schlaraffenland…Welt

Medien: Angeknabberte Süddeutsche…Zoom

Abstandslohn: Theorie vom fehlenden Arbeitsanreiz macht keinen Sinn…Weissgarnix

Dortmund: Das Elend der Prostituierten…Der Westen

Nazis: Demo in Marl…Recklinghäuser Zeitung

Online: Ende der Netzneutralität…Zeit

Arbeitnehmererfindungen: Unterschätzt und unterbewertet…Frontmotor

Ausflugsziel: Bahnhof Winterberg wartet auf Revitalisierung…Zoom

Update: Projekt schwarz-grün: Landesdelegiertenkonferenz in Essen

gruene_fraktionnrwJürgen Rüttgers hat’s gut, Angela Merkel hat’s gut: Rechts und links nur willige Juniorpartner, und wer das nicht ist, also Die Linke, treibt ihnen ebenjene geradezu ins Himmelbettchen. Heute und morgen also Landesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90 / Die Grünen in Essen. Kann sich die Koma- sorry Klimakanzlerin auf gut aufgestellte und – im Gegensatz zur FDP – regierungsfähige Koalitionspartner freuen? Dazu die nächsten Stunden live und mit Updates aus der Messehalle West der Gruga.

17.00:

Inzwischen redet Barbara Steffens, verheiratet mit einem CDU-Regierungspräsidenten, zum Thema „Soziales NRW: Für Gerechtigkeit und Zusammenhalt“ und sagt (in dem Sinne): „Wer soziale Kompetenz in NRW mit der SPD gleichsetzt, hat nichts verstanden.“ Und um kurz nach vier ging folgendes aus einem Interview mit Renate Künast für „Bericht aus Berlin“ über die Ticker: “Eigentlich haben wir politisch die größten Schnittmengen mit der SPD, aber wir können nicht darauf warten, dass die SPD dann immer hinreichend groß ist, und eines ist sicher: der Machtinstinkt der Grünen ist groß.“ S.a. hier. Die Details hier wiegen schon nicht mehr so schwer wie die strategische Ausrichtung, aber es wird weiter tapfer freundlich gestritten. (Letztes Update)

16.20:

„Ökologisches NRW: Schutz für Mensch und Umwelt“. Keine großen Überraschungen. An dieser Stelle also lieber ein Interview von Ruhrbaron Marcus Meier mit Volker Beck.

15.40:

Spannende Fragen:
1) Wie teuer und schwierig wäre eine erneute Änderung der Pflichtschulzeit? Die Grüne Jugend spricht sich, neben anderen, für eine Wahlmöglichkeit zwischen acht oder neun Jahren bis zum Abitur aus, die Gegenposition spricht sich für langfristig umfassendere Änderungen aus, aber dagegen, sich nun so konkret festzulegen. Äußerst knappes Ergebnis, endlich mal so etwas wie Dynamik. Und damit dann doch zumindest eine kleine Überraschung: Nur ganz knapp setzt sich Grüne Jugend und Co. nicht durch.
2) Volker Beck redet für eine Kindergartenpflicht ab vier Jahren und eine Festlegung darauf im Wahlprogramm. Die Gegenredner/innen scheuen vor den Konsequenzen zurück, die ein Zwang zur Tagesstätte mit sich bringen würde: Welche Sanktionen müssten her? Soll die Polizei kommen, Zuwendungen gekürzt werden, etc.? Hier zeigt sich gut, wie die Frage „im Zweifel mehr Staat oder mehr Emanzipation“ immer noch für Kontroversen sorgen kann. Die Lösung heißt hier für die einen „durch mehr Staat mehr Emanzipation ermöglichen“, für die anderen „es sollten sich die Eltern freiwillig für die Tagesstätte entscheiden“. Knapp setzt sich der Antrag von Beck & Co. nicht durch.
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14.20:

Antragsmodifikationen, Änderungswünsche, letztlich dann trotz mehrerer Anträge ein nahezu einstimmiges Abnicken des ursprünglichen ersten Kapitels des Landtagswahlsprogrammes namens „Zukunftsfähiges NRW: Grünes Wirtschaftswunder“. Es folgt: „Kluges NRW: Recht auf Bildung für alle“. Überraschungen, also das Durchkommen von Änderungsanträgen gegen die Landesspitze, sind bislang nicht abzusehen. Manches wird als sinnlos, manches als noch nicht ausreichend diskutiert zurückgewiesen. Aber schön, dass es besagte 740 Änderungsanträge gibt: Die Basis diskutiert und bringt sich ein, das freut die (zukünftigen) Politprofis der Partei natürlich. (Vieles, aber längst nicht alles an Material hier.)

13.10:

Claudia Roth wünscht „all das, was man braucht, um erfolgreich zu sein“. Die „alte Dortmunderin“ und „alte Bonnerin“ verspricht „Einbringung statt Nichteinmischung“. Sie fordert „Selbstbewusstsein“ und „Unterscheidbarkeit“ und erklärt Schwarz-Gelb in NRW im Nachhinein als „Blaupause“ für die Regierung in Berlin, betont also die Gemeinsamkeiten in der Ausgangslage der Grünen in NRW und im Bund. Die Bundesregierung sei „Handlanger der Lobbys“, die „Atompläne von Schwarz-Gelb“ sollen anscheinend nochmal etwas Angstpotential freisetzen, um zusätzliche Stimmen zu generieren. Warmer Applaus, ein grünes Herzensthema. Dann geht es zurück ins NRW-Ländle und gegen Kohlekraftwerke. Die SPD wird „Kohlebarone“ genannt, sehr schön. Roth wendet sich gegen „Steuersenkungen auf Pump“ und fragt, was die „wahren Christinnen und Christen“ dazu sagen, wenn „Millionen von HartzIV-Kindern“ Geld weggenommen wird. Sie spricht sich klar für einen Mindestlohn aus und nennt die Gesundheitspolitik neben der Bildungspolitik einen weiteren zentralen Bereich, in dem um mehr Gerechtigkeit gestritten werden muss, anstatt „ein solidarisches System zu zerschlagen“. Die Wahrheit über die Bundesregierung würde erst nach der NRW-Wahl ans Licht kommen, also soll jetzt schon mit einem Wechsel in Düsseldorf ein Signal für Berlin gesetzt werden. Gut, und welches? Gibt es schon Andeutungen zu Koalitions-Präferenzen? Bislang nicht von Frau Roth.

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12.20:

Während einige Delegierte paraphrasieren und teils andere Akzente setzen, hier ein paar Ideen zu Koalitionsvarianten für NRW: Rot-Grün dürfte rechnerisch schwierig werden, Schwarz-Gelb wohl auch – immer gesetzt den Fall, Die Linke kommt ins Parlament. Wer sich daran klammert, dass letzteres nicht passiert, muss im folgenden nicht weiterlesen. Denn: Werden viele CDU-Wähler der FDP Leihstimmen geben, um Schwarz-Grün zu verhindern? Bestimmt nur bedingt. Wählt wer mit SPD-Hintergrund grün, um eine Große Koalition unwahrscheinlicher zu machen? Kaum.
Also: Was will WählerIn denn?? a) Die Linke an der Regierung verhindern? Ohne Schwarz-Gelb im Amt zu bestätigen? Geht eigentlich gar nicht (, versuchen aber viele herbeizureden). Außerdem ist eine rechnerische Option, nach der Rot-Grün-Rot (so heißt es hier) zwar klappen würde, dann aber nicht zustande kommt, für CDU und Grüne, die dann quasi koalieren „müssen“ (Große Koalition ohne Not? Wer will das denn?), auch nicht wirklich schlimm. Man kann schon vor sich sehen, wie weder SPD, noch Die Linke, noch die Grünen Rot-Grün-Rot wollen und sich eher darüber einigen müssen, wie das am elegantesten NICHT zustande kommt. Strategischer Vorteil der Grünen als selbsternannte „neueste Mitte“: Wer „die neuen Radikalen“, also FDP und Die Linke, nicht will, soll gefälligst die Grünen wählen. Ergebnis: Schwarz-Grün.
Wähler-Option b): Im Grunde soll die CDU weg, das mit der FDP ergibt sich dann automatisch (denn Jamaica oder Ampel sollen ja mit den Grünen nicht werden). Wer das will, hat irgendwie Rot, Grün oder Rot zu wählen, aber am besten Die Linke, denn nur das verhindert tatsächlich Schwarz-Grün oder Ampel. Rot-Rot allein erscheint unwahrscheinlich, insofern sind also durchaus Leihstimmen aus dem alternativen Millieu von Grün zu Die Linke logisch – ein Horrorszenario für Die Grünen. Ergebnis: Rot-Rot-Grün unter Schmerzen oder … Schwarz-Grün. q.e.d. (Um den Einwand vorwegzunehmen: Nein, Die Linke wird nicht so stark, dass letztlich eine Große Koalition herauskommt.) Unwort des Tages natürlich: Ampel. Wer Spaß haben möchte, sollte die Regierungswilligen mit diesem Begriff quälen.
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11.30:
Nächste Stichworte: Der berühmte „green new deal“. Und mensch sagt es auch „mit christlichen Worten“: „Für den Erhalt der Schöpfung“. Und ist auch „die Bildungspartei“. Jürgen Rüttgers‘ „große Lebenslüge“ ist das dreigliedrige Schulsystem, die FDP steht für Zweiklassenbildung. „Wie sagte Kästner: Der Mensch soll lernen – nur die Ochsen büffeln.“ Dann soziale Gerechtigkeit, denn: „Nur Reiche können sich eine arme Kommune leisten.“ Die FDP, das seien die „wahren Staatsfeinde“, weil sie die Kommunen, also den Ort, wo die Menschen „tatsächlich leben“, „untergraben“. Schön, dass hier auch nach links geblinkt wird – aber das war ja durchaus ebenfalls zu erwarten. Jamaica wird ausgeschlossen, Tolerieren von Rot-Rot auch, eine Stimme für die Linkspartei sei „eine Stimme für Schwarz-Gelb“. Gleich mehr Wahlarithmetik, dann aber nicht mehr von Sylvia Löhrmann.

11.10 Uhr:
Recht pünktliche Begrüßung, Claudia Roth ist auch da. „Macht mehr möglich“ prangt groß als „Claim“ über allem, als Slogan für die NRW-Wahl. Livestream übrigens hier: http://essen2010.gruene-ldk.de/ (Auf dem Foto oben – alle Fotos: Grüne NRW – die derzeitige Landtagsfraktion.) Erster Applaus, als ein Demoaufruf gegen Atomstrom erfolgt. 740 Änderungsanträge zum Programmvorschlag gab es. Sofort bezeichnet mensch sich hier als „Programmpartei“ und kündigt die Programmdebatte an – die letzte Sitzung der Programmkommission hatte übrigens auch bis etwa 10:59 gedauert. Erster Redner jetzt: Rolf Fliß, der grüne Bürgermeister von Essen. Er kündigt einen „stürmischen Wahlkampf“ an, redet aber viel über Kulturhauptstadt, Zollverein und Folkwang, macht also brav Werbung für sich und seine Stadt. Dann fordert er „Hilfe“ von Land und Bund für seine „Notstandskommune“ an. Subsidiaritätsprinzip? Spannendes Thema. Dann sagt er noch, schwarz-grün sei wohl „leider vorbei“, da die CDU so schwach sei in den Umfragen derzeit. Jaja.

Willi will es wissen. SPD-Nowack kämpft in Altenessen weiter um seine Macht

Wenn einer verloren hat, sollte man meinen, er merkt das. Willi Nowack ist da anders. Der Pleitier und vorbestrafte Ex-Landtagsabgeordnete aus dem Essener Norden klammert sich an sein letztes Amt, das des Ortsvereinsvorsitzenden der SPD in Altenessen. Und wenn es nur für zwei Monate ist.

Eigentlich soll am Sonntag bereits Nowacks Nachfolger gewählt werden auf einer regulären Jahreshauptverammlung des SPD-Ortsvereins. So hatte es eine Mitgliederversammlung im November beschlossen. Selbst Nowacks Vater, ein Urgestein der SPD in Altenessen, entzog seinem Sproß dort die schützende Hand und enthielt sich in der entscheidenden Abstimmung.

Doch Nowack versucht nach wie vor, den Termin für die Wahlversammlung in den April schieben. Warum? Seine Kritiker glauben, mit diesem Schachzug will sich Nowack eine Rechtschance auf den Posten als Ortsvereinschef bewahren. Die SPD in Altenessen ist eigentlich ein mächtiger Verband mit noch gut 300 Mitgliedern hat er ein dickes Wort mitzureden bei der Platzierung von Ratskandidaten und Landtagsabgeordneten. Einst war die SPD Altenessen der wichtigste Block im westlichen Ruhrgebiet. Die Nowack-Kritiker glauben, Willi würden versuchen, bis zum April wieder eine Mehrheit für sich aufzubauen, um sich für eine neue Periode wählen zu lassen. Auch wenn er jetzt sagt, er wolle nicht mehr antreten, kann er dann immer noch behaupten, wenn er aufgefordert werde von den Genossen, könne er nicht kneifen. Zudem glauben seine Kritiker würe Nowack im Landtagswahlkampf versuchen mit Störfeuer zu drohen, um seinen Machtanspruch in Altenessen durchzusetzen.

Langer Rede kurzer Sinn: Es bleibt dabei, die momentane Mehrheit in Altenessen will Willi morgen absägen.

Doch Willi kämpft. Gestern holte er sich auf der Geschäftsstelle der SPD die neuesten Mitgliederlisten, um die Köpfen zu zählen. Wer wählt wen? Heute laufen die Telefone heiß. Es wird mobilisiert. Ich hab Anrufe von Genossen bekommen, die berichtet haben, wie Willi sie für sich gewinnen wollte. Mit Druck, mit Drohungen und mit Schmeicheleien.

Damit nicht genug. Gestern zündete dann die nächste Willi-Nebelgranate. Ein Brief aus der Feder des Vorbestraften Pleitiers trudelte bei den Sozialdemokraten in Altenessen ein. Darin warf Willi seinen Gegnern vor die Partei zu spalten. Er warf ihnen vor, keine Kompromisse zuzulassen. Er habe ja angeboten, einen neuen Termin für die Wahlen zum Ortsvereinschef zu finden und seinen Rücktritt erklärt. Aber nein, die Gegner hätten ja drauf bestanden, die Beschlüsse der Mitgliederversammlung umzusetzen, während er doch als Ortsvereinschef einen anderen, späteren Termin haben wollte, auf dem er dann auch ganz bestimmt nicht mehr angetreten wäre.

Dass der Unterbezirk in Essen die Jahreshauptversammlung am kommenden Sonntag bestätigt hat, verdrängt Nowack und lamentiert stattdessen wie eine Memme über böse Leute, die ihn abwählen wollten. Mein Gott, Genossen in Altenessen. Von so Einem habt ihr Euch jahrelang beherrschen lassen.

Der Brief ist Sermon, zwei Seiten lang. Wer will, kann ihn hier lesen. Klick. Für mich hört sich das Schreiben an, wie das Zicken einer alternden Zicke, die bald nichts mehr zu zicken hat – voller Eigenlob, weil ihn wohl niemand mehr loben will.

Am miesesten diese Drohung:

„Jetzt wird es zu der Wahlanfechtung und weiteren Auseinandersetzungen kommen’“ (sic!).

Nowack will also weiter kämpfen für jeden Tag an der Restmacht und seien es nur ein paar Wochen.

Reicht das? Nein. Nowack hat mit dem Brief noch ein Schreiben rausgehauen. In diesem Schreiben versucht er ganz billig Verwirrung zu stiften, indem er als Ortsvereinschef von oben herab, die Jahreshauptversammlung aus fadenscheinigen und wirren Gründen absagt. Mein Gott.

Nur zur Erinnerung: Die Mitgliederversammlung im November hat den Termin für die Jahreshauptversammlung morgen bestimmt. Der Unterbezirk hat den Termin bestätigt. Da kann auch kein Ex-Sonnengott mehr per Brief die Wahlen abblasen. Hier das Teil zum Nachlesen. klack

Morgen ist der Tag der Entscheidung. Nowack wird bestimmt abgewählt. Ich denke, die Mehrheiten stehen.

Dann wird hoffentlich die Kasse der SPD-Altenessen durchgeprüft, ob nicht einer wie Nowack mal reingegriffen hat, einem vorbestraften Pleitier wär das irgendwie zuzutrauen, meine ich.

„…es widert uns an“

In der vergangenen Woche hielt der Shimon Peres, der Präsident Israels, im Bundestag eine beeindruckende Rede. Am Ende erhoben sich die Bundestagsabgeordneten. Nur drei von der Linkspartei blieben sitzen. Zu ihnen gehörte neben Sarah Wagenknecht und Christine Buchholz auch  Sevim Dagdelen, die Linkspartei-Abgeordnete für das Ruhrgebiet. Nun hat Dagdelen  Hausverbot in drei Kirchen im Revier und die linken Sitzenbleiber neue Bewunderer: In der NPD.

Die Shoah, das Verhältnis zu Deutschland, davon, wie es war, als er seinen Großvater, der von den Nazis ermordet wurde, zum letzten Mal sah: das waren die wichtigsten Teile der Rede von Shimon Peres. Der israelische Präsident hielt sie am Gedenktag zur Befreiung des KZ-Auschwitz am 27. Januar vor dem Bundestag. Gegen Ende seiner Ansprache wandte sich Peres der Gegenwart zu:

„Auch jetzt sind wir bereit, auf Gebiete zu verzichten, um mit den Palästinensern Frieden zu schließen. Sie sollen einen eigenen Staat errichten, einen unabhängigen, gedeihenden und friedliebenden Staat. Ebenso wie unsere Nachbarn identifizieren auch wir uns mit den Millionen Iranern, die gegen die Diktatur und Gewalt rebellieren. Genau wie sie lehnen wir ein fanatisches Regime ab, das die Charta der Vereinten Nationen missachtet. Ein Regime, das mit Zerstörung droht und Atomkraftwerke und Nuklearraketen besitzt, mit denen es sein eigenes Land wie auch andere Länder terrorisiert. Ein solches Regime ist eine Gefahr für die ganze Welt.“

Dieser Abschnitt war der Grund für die Linksparei-Abgeordneten Sarah Wagenknecht, Christine Buchholz und Sevim Dagdelen nicht wie alle anderen Parlamentarier nach der Rede von Peres aufzustehen, sondern sitzen zu bleiben. Dafür wurden sie massiv kritisiert: In ihrer eigenen Partei und  von den anderen Fraktionen. Der Linkspartei-Abgeordnete Michael Leutert erklärte, Wagenknecht sei nicht wählbar. Die  soll bekanntlich Vizeparteichefin der Partei  werden. Natürlich wurde Leutert wegen seinem Protest gegen die drei sofort attackiert.

Dagdelen las, wie Wagenknecht und Buchholz, aus diesem Abschnitt der Rede von Perez, pure Kriegshetze:

Doch konnte ich die von Shimon Peres vorgetragenen Teile seiner Rede mit Bezug zum Iran nicht mit stehendem Beifall gut heißen. Grund dafür ist, dass Shimon Peres seine Rede zur ideologischen Vorbereitung auf einen Krieg gegen den Iran genutzt hat. In seiner Rede hat Peres fälschlicherweise den Iran beschuldigt, im Besitz von Nuklearraketen zu sein. Dazu kam eine Gleichsetzung des Irans mit Nazideutschland, die ich für fatal halte. Angesichts der aktuellen politischen Lage sind diese Äußerungen äußerst gefährlich.

Sarah Wagenknecht äußerte sich ähnlich.

Liest man die Rede von Peres, findet sich dort keine Gleichsetzung des Irans mit Nazi-Deutschland. Und dass der Iran Raketen besitzt, mit denen man Atomsprengköpfe verschießen kann, zeigt das Regime gerne bei Militärparaden und nutzt sie zur Propaganda. Eine Atombombe hat der Iran bislang wohl nicht, aber es gibt gute Gründe anzunehmen, dass er an einer arbeitet. Und da in Reden von  Mahmud Ahmadinedschad eigentlich nie etwas vom Bestandsrecht Israels, aber viel von Vernichtung zu hören ist, hat ein israelischen Staatspräsident gute Gründe, besorgt zu sein. Das Peres sich als Demokrat mit der iranischen Demokratiebewegung solidarisiert zeigt die Linien, in denen der Mann denkt: Politisch aufgeklärt und nicht rassistisch.

Dagdelen hat das alles so nicht gesehen. Der Westen in böse – immer. Und was sind schon sechs Millionen tote Juden, wenn es um die holen Phrasen der internationalen Solidarität geht?

Dafür hat sie jetzt Hausverbot in drei Kirchen des Ruhrgebiets bekommen, in denen viele politische und kulturelle Veranstaltungen stattfinden. Die Pfarrer und die Pfarrerin von St. Petri in Dortmund, der Bleckkirche in Gelsenkirchen und der Christuskirche Bochum wollen sie nicht mehr in ihren Häusern sehen. In einem offenen Brief an Dagdelen erklärten sie zum Sitzenbleiben nach der Peres-Rede:

Einfach der Unwille mitzufühlen. Der einfache Wille, nichts wissen zu wollen. Früher liefen sie mit, heute bleiben Sie sitzen, es widert uns an. Die Kirchen, die wir bespielen, sind Kirchen der Kulturen, es sind offene Häuser, und manche Gespräche werden darin so offen geführt, dass es weh tun kann. Auch Sie sind hier zu Gast gewesen. Sie werden es nicht mehr sein, Sie sind uns nicht erwünscht. Sie haben denen, die überlebt haben, den Respekt verweigert, unseren haben Sie restlos verloren.

Dagdelen erklärte daraufhin, die drei Theologen würden Hass sähen und die beiden Kirchenmänner und die Kirchenfrau seien für sie keine Ansprechpartner mehr. Aber wie es so ist im Leben: Man verliert Freunde, man gewinnt Freunde. Applaus bekamen Wagenknecht, Dagdelen und Buchholz von der NPD. Die feierte den mutigen Antiimperialismus der Sitzenbleiber:

„Ausgerechnet während der Rede des israelischen Staatspräsidenten hat Sahra Wagenknecht, die demnächst für das Amt der stellvertretenden Parteivorsitzenden kandidieren will, das antiimperialistische Erbe der Linken wiederentdeckt. Viel zu viele Linke haben mit dem israelischen Staatsterrorismus und der weltweiten Aggressionspolitik von USrael ihren faulen Frieden gemacht. Wagenknecht und Buchholz haben mit der verweigerten Ergebenheitsgeste gegenüber Peres auch dagegen protestiert.“

Ich mag Wagenknecht, Buchholz und Dagdelen so wenig in einem deutschen Parlament sitzen sehen wie Holger Apfel und Udo Pastörs von der NPD . Sie haben mir zu viele Gemeinsamkeiten.

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Konzerthaus Bochum: Kein Geld vom Land…Der Westen

Sozialticket: SPD will Arme teuer fahren lassen…taz

Ruhr2010: SPD will Loveparade nur ohne Stadtknete…xtranews

Dortmund: Politikverdruss macht braun…Der Westen

Online: FBI will Vorratsdatenspeicherung 2.0…Netzpolitik

NRW: Linkspartei rechnet mit rot-rot-grün…Welt

Recht: Kinderschänder macht Karriere…Law Blog

TV: Lokalsender in NRW kooperieren…Horizont

Ruhr2010 II: Die Sicht von Bernd und Hilla Becher…Ruhr Nachrichten

Ruhr Uni: Aus für angewandte Informatik…Ruhr Nachrichten

Online II: Don Alphonso hat eine Frage…Blogbar

Doppelt gute Fotos für Haiti

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Martin Steffen ist ein guter Fotograf. Ich habe erlebt, wie er mit Linse und Blitzlicht aus ostdeutschen Innenverteidigern Charakterköpfe machte. Martin hat das gelernt, war in Berlin bei Jim Rakete, in Paris. Kam wieder zurück nach Bochum, arbeitete für Werbung, für Prinz, Unicum, Playboy, Hattrick. Für Schauspieler, Musiker, Sportler. Seit ein paar Jahren ist Martin viel unterwegs. Er reist für Hilfsorganisationen wie Adveniat in Essen, macht Reportageaufnahmen in Lateinamerika, in Indien, Afrika. Fängt Bilder ein in Slums, Knästen, Armenhäusern, auf der Straße.

Ein paarmal war er in Haiti, zuletzt im Dezember 2009.  Haiti hat es ihm angetan, die härtesteten Erfahrungen, die schönsten Bilder, vor allem die Begegnung mit einem verstörenden Phänomen, den so genannten Restavecs – was sich vielleicht am besten wie ein Befehl liest: „Du bleibst hier!“ Es soll in Haiti hundertausende Kinder geben, die aus dem Hinterland von armen Eltern in genauso arme aber städtische Familien weggegeben werden. Karibische Aschenputtelkinder rechtlos, perspektivlos, oft schikaniert, misshandelt, immer ausgebeutet, Sklaven, Kinder. In Haiti, wo die Sklavenhalter zuallererst verjagt wurden, die erste karibische Republik ausgerufen wurde, gehören enteignete Kinder zum Alltag.

Martin Steffen hat das berührt, ihr Schicksal und der Einsatz für die Kinder durch ein kleines  Hilfsprojekt, eine betagte katholische Schwester. Und er hat sich vorgenommen, selbst zu helfen. Seit dem vergangenen Jahr spendet er seine Arbeitskraft, lässt sich – ganz gegen seine Art – für private Hochzeiten buchen und überweist das Geld nach Haiti. Nach dem furchtbaren Erdbeben ist die Lage für alle noch grausamer geworden – und für die Restavecs nicht besser. Überdurchschnittlich viele werden unter den Opfern vermutet, sie müssen stets am Haus bleiben, arbeiten, in den Armenvierteln, wo Berghänge abrutschten, Siedlungen unter Stein, Geröll begraben wurden. Martin will 2010 deshalb mindestens fünf Hochzeiten ablichten, einen ganzen Tag arbeiten, dafür einen stattlichebn Preis kassieren; spenden. Deshalb – wer 2010 heiraten möchte und sich das etwas kosten lassen kann, der wende sich an ihn oder besuche die von oktober.de und www.trafo2.de eindrucksvoll und kostenlos gestaltete Website.

Ach ja, einige der Aufnahmen aus Haiti hatte Martin im Dezember groß abziehen lassen, um sie für das Restavec-Projekt zu verkaufen. Wir haben neben diesen Prints ausgelassen Sylvester gefeiert, aber die Bilder sagten etwas, das verschreckte Mädchen, wie es sich an einem Besen festhält, … –  zwanzig Tage vor dem Beben.

Die unglaubliche Geschichte der Neda Soltani – vom Versagen der Medien und der „Social Networks“

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Mir gegenüber sitzt die Todgesagte. Sie redet, sie lacht, manchmal merke ich, dass sie Angst hat. Neda Soltani musste flüchten, sie hat ihre Heimat verlassen. Sie sagt, hier in diesem Kaff bei Frankfurt am Main sei alles anders. Schnee, Frost, Regen und kalte Straßen mit kalten Gesichtern. Ein fremdes Land für die jungen Frau.

Das Bild von Neda Soltani kennt fast jeder auf dieser Welt. Es kam über die Sender, das Internet und die Zeitung in so gut wie jedes Haus als das Bild einer Toten. Dieses bekannte Portrait zeigt eine junge, vorsichtig geschminkte Frau mit braunen Augen. Der im Iran gesetzlich vorgeschriebenen Schleier ist eine Handbreit zurückgeschoben. Man sieht den Ansatz ihres kräftigen Haares. Sie lächelt, ein wenig weich, ein wenig unschuldig, freundlich.

Hier und jetzt, in einem Cafe irgendwo in der Nähe von Frankfurt ist das Gesicht von Neda Soltani härter geworden. Sie trägt keinen Schleier mehr. Man sieht graue Strähnen, die größer werden an ihrer Stirn. Es war nur ein Missverständnis, sagt sie. Ein Fehler. Ein Irrtum mit schrecklichen Folgen. Neda Soltani geriet in den Tumulten nach den gefälschten Wahlen im Iran zwischen die Fronten, wurde gehetzt, gejagt und musste flüchten. Ihr altes Leben zerbrach wie ein Spiegel. Ihr Foto, das Bild mit dem weichen Lächeln das um die Welt ging, wurde ihr entrissen.

Bis vor einem halben Jahr hat Neda Soltani in Teheran gelebt. Sie unterrichtete dort englische Literatur. Sie kann sich in der fremden Sprache fließend ausdrücken, gewählt und intelligent. Im Sommer erst hatte sie eine Arbeit über die weibliche Symbolik im Werk von Joseph Conrad abgeschlossen. An den Protesten im Iran konnte sie deswegen nicht teilnehmen. Sie musste im Juni Korrektur lesen. „Mein Ziel war es, irgendwann eine Professur anzustreben, wenn ich gut genug dafür gewesen wäre.“

Ihre Eltern gehören der iranischen Mittelschicht an. Wo genau sie herkommt und was ihre Familie macht, will sie nicht sagen. Sie hat Angst. Sie erkennt Probleme. Sie weiß, dass nicht alles richtig läuft. Aber sie war vor allem fleißig, wenn es darum ging, zu lernen. Eine Akademikerin. „Ich habe über zehn Jahre hart gearbeitet, um mir die Position als Dozentin an der Universität zu sichern. Ich habe Geld verdient, ich bin mit Freunden ausgegangen und ich habe Spaß gehabt.“ Heute hat sie davon nichts mehr. Keine Arbeit, kein Geld und keine Freunde zum Ausgehen. Neda Soltani ist jetzt 32 Jahre alt.

Die Geschichte ihres Fotos beginnt am 20. Juni 2009. Damals wurde in der Nähe der Kargar Avenue in Teheran gegen 19:00 Uhr Ortszeit eine junge Frau niedergeschossen. Sie fiel auf den Rücken, aus ihrem Mund lief Blut. Dabei starrte sie in eine Handykamera, verletzt, voller Angst, wehrlos. Sie starb wenig später auf dem Weg ins Hospital. Die Bilder der sterbenden Frau wurden auf Youtube hochgeladen.

Alarmiert durch Blogger und Twitter stoßen bald große Sender auf das Sterben der Frau. Redakteure versuchen sie zu identifizieren. In Zeitnot suchen sie Bilder der Toten. Ihr Vorname, Neda, war im Video zu hören. Schnell kommt über das Netz ein Nachname: Soltan, Studentin der Islamic Azad Universität in Teheran. Irgendwer sucht mit diesen Daten bei Facebook.

Hier unterhält auch Neda Soltani eine Seite. Öffentlich zugänglich ist hier nicht viel. Neda Soltani hat ihre Inhalte allein für Freunde freigegeben. In ihrem Profil stand allerdings ein Foto, das damals jeder sehen konnte.

Wer als erster auf ihre Seite im internationalen Portal für Studenten, Manager und Hausfrauen stieß, ist nicht mehr zu rekonstruieren. Genauso wenig ist klar, wer den Fehler machte und die ermordete Neda Soltan (auf dem Foto links) mit Neda Soltani (auf dem Foto rechts) verwechselte.


Auf jeden Fall kopiert irgendwer das Foto der Lebenden in der Nacht auf den 21. Juni 2009 aus deren Facebook-Profil. Es wird über die sozialen Netzwerke, über Blogs und Portale gestreut. Dann wird es über CNN, BBC, CBS, ZDF, ARD und fast jeden anderen denkbaren Sender gesendet. Es wird gedruckt in den Zeitungen und Magazinen dutzender Länder. Es passiert gleichzeitig, es passiert weltweit.

Das Foto der jungen Frau wurde so zum Symbol des Freiheitskampfes am persischen Golf. Auf Demonstrationen trugen die wütenden Menschen das Abbild der vermeidlichen Märtyrerin vor sich her. Sie trugen es auf ihren T-Shirts und bauten ihm Altäre. Sie riefen: „Engel des Iran“.

Wie konnte es zu dem verwechselten Foto kommen? Soltani ist ein gewöhnlicher Name im Iran. Wie Meyer oder Müller vielleicht. Auch Neda ist nicht ungewöhnlich. Man könnte ihn mit Sonja oder Sandra vergleichen. Die Ermordete studierte an der privaten Islamic Azad Universität, die lebende Neda Soltani war dort Dozentin. Doch hätten die Medien nicht besser prüfen müssen, wessen Foto sie benutzen, anstatt es einfach von einer Facebook-Seite zu kopieren und weltweit zu verbreiten? Es gab Zeitdruck, das ja, aber es gab zumindest eine Sache, die hätte stutzig machen müssen. Die Tote hieß mit vollem Namen Neda Agha-Soltan. Die Lebende wird einfach Neda Soltani genannt.

Am Morgen des 21. Juni 2009, einen Tag nach dem Todesschuss, wunderte sich Neda Soltani. Immer mehr Menschen wollten sich auf ihrer Facebook-Seite registrieren, als angebliche Freunde. Hunderte waren das, aus aller Welt. Es hörte nicht auf. Es kamen Anrufe. Ein befreundeter Professor brach in Tränen aus, als er ihre Stimme hörte.

Zunächst ein schlechter Witz, dachte Neda Soltani. Etwas, das mit zwei, drei Anrufen aus der Welt zu schaffen ist. Ein Fehler halt, wie er nicht passieren darf, aber passieren kann. Sie fing an zu schreiben. Sie schrieb, dass sie leben würde. Sie schrieb an den im Iran populären Sender Voice of America. Sie schrieb, dass es ein Irrtum sei. Dass sie das falsche Foto hätten. Als Beweis schickte Neda Soltani ein weiteres Foto von sich. Und schrieb: Die Redaktion könne ja vergleichen. Das sei auch sie. Neda Soltani hat nicht damit gerechnet, was dann passierte.

Voice of America verbreitete nun dieses zweite Foto als neues Bild der verstorbenen Neda und CBS griff es auf. Neda Soltani bekam Angst. Alles was sie tat, um ihr Bild zurück zu gewinnen, schien nutzlos.

Sie löschte das Foto auf ihrer Facebook-Seite. Damit es niemand mehr runterladen kann. Der nächste Stein kam ins Rollen. Zensur wähnend, wurde ihr Foto kopiert, dutzende, hunderte Facebook-Seiten auf aller Welt spiegelten ihr Bild. Es wurde in Blogs fixiert und bei Twitter versandt.

Es war, als sei ihre eigene Identität aus dem Foto gelöscht und stattdessen mit den Sehnsüchten tausender Menschen aufgeladen. Das lächelnde Gesicht der Tod Geglaubten gerann zur Ikone eines unschuldigen Opfers im Freiheitskampf.

Es half auch nichts, dass spätestens seit dem 23. Juni 2009 authentische Fotos der toten Neda Agha-Soltan frei und für jeden verfügbar waren, deren Eltern hatten sie herausgegeben. Das Bild von Neda Soltani wurde trotzdem weiter verbreitet.

Freunde von Neda Soltani versuchten, in Foren den Fehler richtig zu stellen. Eine Vertraute wurde deswegen beschimpft. „Du Bastard, Du wirst uns den Engel des Iran nicht nehmen.“ Es ist, als könne der einmal geglaubte Irrtum nicht mehr berichtigt werden.

Die Geschichte ist nicht nur die Geschichte des Versagens der traditionellen Redaktionen in hektischen Nachrichtenzeiten. Diese Geschichte beschreibt auch das Versagen der sozialen Medien. Die Masse hat im Netz nicht nur die Macht, Lügen zu entlarven. Die Masse kann auch eigene Wahrheiten erschaffen und verteidigen. Egal wie falsch die sind. Nur sehr wenige Blogs berichteten über den Fehler. Keiner wurde so ernst genommen, dass er die Macht gehabt hätte, den Irrtum zu korrigieren.

Irgendwann wurde Neda Soltani klar, dass etwas gewaltig aus dem Ruder läuft. Nur wenige Journalisten schrieben sie über ihre Facebook-Seite an und fragten nach ihrer Identität. Keiner von ihnen konnte oder wollte die Welle stoppen.

Neda Soltani geriet im Iran unter Druck. Sie wurde bedroht. Sie hat Angst um ihre Familie, deswegen kann und will sie nicht sagen, was genau vorgefallen ist. Nur soviel ist klar: Der Fehler mit ihrem Foto sollte gegen die Opposition gewandt, die Menschen auf der Straße als Instrumente westlicher Fälscher entlarvt werden – mit aller Gewalt. Es kamen schlimme Vorwürfe, die den Tod bringen können. Neda Soltani wurde krank. Panikattacken und hilflose Angst.

Sie konnte nicht mehr bleiben. Sie musste aus dem Iran verschwinden. Ohne von ihren Eltern Abschied zu nehmen, floh sie am 2. Juli 2009 in den Westen. Ihre Ersparnisse bekamen Fluchthelfer. Mit nichts in den Händen als einem Rucksack, einem kleinen Rucksack, ging sie los. Sie floh über Griechenland nach Deutschland. Hier hat sie einen Cousin. In Bochum. Der ist jetzt Ihre Familie.

Am 3. Juli 2009 brachte endlich BBC Online eine Nachricht über die falsche Identität in einer Internet-Wochenschau über soziale Netzwerke. Direkt hinter den Verschwörungstheorien zum Tod von Michael Jackson. BBC Online kommentierte: „Dieser Fall ist ein herausragendes Beispiel für die Gefahren, wenn Massenmedien Bilder aus sozialen Netzwerken im Internet verbreiten.“

Man hätte nun erwarten können, dass es damit ein Ende findet. „Meine Freunde haben mir gesagt, warte noch einen Tag. Dann wird alles gut. Doch es vergingen die Tage und nichts wurde gut“, sagt Neda Soltani.

Das Asylverfahren in Deutschland läuft nun seit Monaten. Neda sagt, sie wollte nie auswandern. Sie war auch noch nie im Westen. Sie sagt, sie hat Heimweh. Sie bekommt vom Deutschen Staat etwa 180 Euro im Monat als Hilfe. Das reicht kaum, um sich von Salaten, Früchten und Broten zu ernähren, so wie sie es gewohnt ist. Sie lebt irgendwo in einem Heim für Flüchtlinge. Ihr Zimmer mit der Nummer 11 ist schmal, zwei Betten, ein Regal. Hier will sie niemanden hineinlassen. Sie sagt, sie will die Monate „im Lager“ so schnell wie möglich vergessen. Sobald sie raus ist, soll sie nichts mehr an das hier erinnern. Die Beschläge der Türen sind mit Gips geflickt. Die Küche für einen ganzen Flur mit zwei dutzend Menschen hat kein Fenster, der Ausguss wackelt auf einem Brettergestell. Auf einem Balkon zum Hof ist eine Satellitenschüssel auf eine abgebrochene Metallstange gespießt. Die Stange steckt in einem vergammelten Sauerkrauteimer mit Sand und Steinen. Improvisiertes Flickwerk für eine Verbindung zur Heimat.

Obwohl das Foto der toten Neda seit Monaten bekannt ist, taucht noch immer das Bild der falschen bei Spiegel-Online auf, in der New York Times oder in der Online-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung. Selbst ein Bild der Nachrichtenagentur AFP zirkuliert noch durch die Archive.

Eines ist allen diesen Bildern gemein: Es sind meist Aufnahmen von Fotos. Sie zeigen Menschen, die eine Ikone in die Kamera strecken. Bilder eines falschen Bildes.

Neda Soltani hat lange dazu geschwiegen. Sie hat Boden unter den Füssen gesucht, sich gesammelt.

Als CNN im November einen Bericht zum Iran brachte, war der wieder mit dem Foto von Neda Soltani illustriert. Sie schrieb den Sender an und bat darum, ihr Bild zu löschen.

Als Antwort erhielt sie eine automatische Email, die um Verständnis bat, dass nicht alle Hinweise persönlich beantwortet werden könnten. Unterzeichnet war das Schreiben mit „CNN, The Most Trusted Name In News“.

Das Bild gehört nicht mehr ihr. Es gehört CNN und den anderen.

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Diese Geschichte erschien auch im SZ-Magazin.

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