Pleitestädte: Die Schuld der Kommunalpolitiker


Die Städte sind pleite. Nicht nur im Ruhrgebiet. Das ist auch die Schuld der Kommunalpolitiker.

Wolfgang Pantförder, (CDU), ist Bürgermeister von Recklinghausen. Und er ist sauer. Seine Stadt ist, wie viele in Deutschland, pleite. Nichts geht mehr. Und Pantförder fühlt sich allein gelassen: Vom Bund und vom Land, die den Kommunen immer mehr Aufgaben zuweisen, aber die bei der Finanzierung alleine lassen. Es geht um das Konnexitätsprinzip: „Wer die Musik bestellt, muss sie auch bezahlen“, verwies Pantförder zum Beispiel auf den großen Bereich der Kinderbetreuung. „Der Ausbau im Bereich U 3 ist richtig, aber jeder Platz wird aktuell mit 50 % aus dem städtischen Haushalt bezuschusst. Das summiert sich auf rund 10 Millionen Euro,“ sagte Pantförder der Recklinghäuser Zeitung.

Pantförder ist mit seiner Kritik am Bund und an den Ländern nicht alleine. Immer, wenn eine Stadt in die Überschuldung rutscht, Nothaushalte ankündigt, und das geschieht in Krisenzeiten wie heute mehrfach täglich, mahnen Kommunalpolitiker an, Bund und Länder müssten sich endlich mehr um eine faire Finanzierung der Kommunen kümmern.

Die hängt vor allem von der Gewerbesteuer ab. Einer stark schwankenden Einnahmequelle, mit der sich nicht verlässlich über einen auch nur mittleren Zeitraum rechnen lässt.

Der Bund kümmert sich, unabhängig von der Regierungskonstellation, kaum um eine stabile Finanzbasis der Städte: „Die Kommunalfinanzen müssen auch künftig auf einer soliden Basis stehen.“ hatten SPD und CDU zu Beginn der großen Koalition in ihren Koalitionsvertrag (PDF) geschrieben. Auch CDU und FDP lieben es blumig und unverbindlich (PDF) : „Wir beabsichtigen, den Ländern vorschlagen, eine gemeinsame Bestandsaufnahme zu erarbeiten und Handlungsempfehlungen zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung vorzulegen. Dabei sind auch Fragen der Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden (Konnexitätsprinzip) und der Beteiligung der Kommunen an der Gesetzgebung des Bundes einzubeziehen…“ Schön, dass man mal darüber geredet hat.

Die Unverbindlichkeit in den Koalitionsverträgen ist auch die Schuld der Kommunalpolitiker – sie verpassen es regelmäßig ihre Positionen verbindlich durchzusetzen, wenn es darauf ankommt. Sie zwingen auch nicht ihre  Abgeordneten auf eine stadtfreundliche Linie. Denn die Macht in den Parteien gehört den „Kommunalos“: Sie stellen auf allen Parteitagen den größten Teil der Delegierten und es sind auch die Männer und Frauen der Parteibasis, die sich traditionell in der Kommunalpolitik engagieren, welche die Direktkandidaten für den Bundestag aufstellen und wenn es um die Wiederwahl geht ja mal fragen könnten: „Was hast Du für die solide Finanzierung der Städte getan?“ Fällt die Antwort unbefriedigend aus, muss man denjenigen ja nicht wiederwählen.

Aber sie tun es nicht. Sie tun es nicht auf den Parteitagen und sie tun es kaum in den Programmkommissionen. Sie haben die Macht in den Parteien und nutzen sie nicht. Und so lange dass so ist, dürfen sich die Kommunalpolitiker nicht beschweren, wenn die Finanzen ihrer Städte zusammenbrechen.

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Dubiose Nicht-Vergaben um das Museum Folkwang in Essen

Eigentlich soll es am Wochenende ein schönes Fest werden, wenn das neue Folkwang-Museum eröffnet wird. Eine großzügige Spende des Ruhrbarons Berthold Beitz über 55 Mio. Euro machte die Renovierung der Kulturstätte möglich. Die Stadt ist aufs Feiern eingestellt. Kritik wird nicht mehr gern gehört. Und doch gerät wenige Tage vor der Eröffnungsfeier ausgerechnet die verantwortliche Baufirma W+P Gesellschaft für Projektabwicklung mbH ins Zwielicht. Es geht um fehlende Ausschreibungen, ein teures Parkhaus und eine zu kostspielige Feierei. Wurden etwa Millionen gesetzwidrig verschoben?

Zunächst scheint alles harmlos, als am 23. September 2009 der Rat darüber entscheiden soll, das Parkhaus im Museum Folkwang zu bezahlen. Es geht um sieben Mio. Euro. Dieses Geld soll an den W+P-Chef Klaus Wolff erstattet werden. Dieser hatte nämlich nach eigenen Angaben zunächst den geplanten Bau aus eigener Tasche vorgestreckt und will nun sein Marie zurück. Als Basis des Geschäftes wird der Realisierungsvertrag zwischen der Stadt und der Neubau Museum Folkwang Essen GmbH herangezogen. Diese Firma gehört zu gut 90 Prozent zum Wolff-Imperium rund um die W+P Gesellschaft für Projektabwicklung mbH.

In der Ratsvorlage für das Geschäft heißt es, der Bau der Tiefgarage sei zwar beschlossen worden, aber es habe in den ursprünglichen Dokumenten an der Finanzierung gehapert. Sprich: Beitz habe kein Geld bereitgestellt für den Bau der Tiefgarage. Um trotzdem anfangen zu können, habe Wolff halt selbst gezahlt.

Ich habe Wolff gefragt, was das sollte. Er sagte, dass alles sei so vertraglich vereinbart worden. Und alles sei der Stadt bekannt gewesen. Die verantwortliche Essener Beigeordnete Simone Raskob sagte vor dem Rat, die Transaktion sei wegen der zurzeit günstigen Zinskonditionen so durchgezogen worden. Das sei alles abgesprochen und OK.

Ich frage mich aber trotzdem, warum dann in der Ratsvorlage von einer „außerplanmäßige Mittelbereitstellung“ die Rede ist, wenn alles schon viel früher klar war? Ich frage mich, warum die Renovierung der Grundschule Haarzopf auf Jahre verschoben wird, um die Tiefgarage zu bezahlen, wenn doch alles lange vorher geplant war? Wurde hier was versteckt? Sollten die Essener nicht erfahren, dass die Baukosten höher sind, als ursprünglich veranschlagt. Schule gegen Tiefgarage. Sollten sie dem geschenkten Pferd von Beitz nicht in das Maul schauen?

Und noch etwas finde ich komisch. Es heißt, die Schulden, die Essen machen musste, um die Tiefgarage zu bauen, sollen durch die Pachteinnahmen aus der Tiefgarage gedeckt werden. Wer ist Pächter der Tiefgarage? Klaus Wolff über seine W+P und deren Tochter Neubau Museum Folkwang Essen GmbH. Interessant. Denn Wolff ist auch über die gleiche Konstruktion Pächter der Gastronomie im Folkwang Museum.

Wolff sagte mir, das sei alles normal. Es seien in der Krise keine anderen Pächter gefunden worden und da sei er in die Lücke gesprungen.

Es gab keine Ausschreibung für diese Pachten. Obwohl das eigentlich gesetzlich vorgeschrieben ist. Tja.

Wolff sagte, seine Firma werde die Pachten später weitergeben. Dann werde die Stadt in die Verträge einsteigen. Das sei so vertraglich mit der Stadt vereinbart. Wieder ohne Ausschreibung? Ist das legal?

Zumindest ist das seltsam. Ich habe das Rathaus Essen zu dem Komplex gefragt, aber leider seit Tagen keine Antwort bekommen. Ich warte.

Denn das scheint wichtig zu sein, denn es gibt noch einen Punkt, der mir aufgefallen ist: Auch das Gebäudemanagement für das Museum Folkwang wurde nicht ausgeschrieben. Dabei ist dieser Auftrag alleine laut den vorliegenden Dokumenten bis zu 4,8 Mio. Euro wert. Im Jahr. Nach den geltenden Gesetzen muss ein solcher Dienstleistungs-Auftrag europaweit ausgeschrieben werden.

Die Beigeordnete Raskob sagte im Rat, es gebe rechtliche Gründe, warum keine Ausschreibung für einen solchen Millionenvertrag nötig sei. Ich habe das Essener Rathaus gefragt, welche rechtlichen Gründe es geben kann, gegen Gesetze zu verstoßen. Zumal wir hier von richtigen Millionensummen sprechen.

Wolff sagte mir: Er werde über die bekannte Firmenschachtel das Gebäudemanagement übernehmen, bis die Haftungs- und Gewährleistungzeiträume abgelaufen sind. Weiter sagt er, wegen der Haftungs- und Gewährleistungsfragen könne nicht ausgeschrieben werden. Erst müsse es Abnahmen für die Bauleistungen geben. Bisher gebe es noch keine Abnahmen, deswegen müsse er das Gebäudemanagement behalten. Dies sei vertraglich mit der Stadt so vereinbart.

Ich frage mich, ob das so koscher ist. Durfte die Stadt so einen Vertrag unterschreiben? Oder hätte die Millionen-Leistung nicht ausgeschrieben werden müssen? Ich finde, das stinkt alles.

Ich denke zum Beispiel an den Saalbau Essen. Auch den Umbau dort hat Wolff über seine W+P betreut. Dort gab es eine gefühlte Ewigkeit keine Abnahmen, obwohl der Bau schon im Sommer 2004 eingeweiht worden war und danach bespielt wurde. Erst im Winter 2005 auf 2006 wurden die Gewerke laut Wolff abgenommen. Die Handwerker mussten teilweise Monate auf ihre Bezahlung warten. Ich habe damals mit einigen der Betroffenen gesprochen. Sie waren stocksauer, dass sie so lange hingehalten wurden. Über die Gründe gab es haufenweise Spekulationen. Nichts genaues. Das einzige, was klar war, solange die Abnahmen nicht durch waren, blieb Wolff mit seiner W+P im Geschäft. Er selbst sagt, die Aufsicht wurde ungefähr zwei Jahre geführt.

Übertragen wir das grob auf das Museum Folkwang würde Wolff über seine Firmenschachtel allein für das Gebäudemanagement maximal rund 9,6 Mio. Euro kassieren können. Keine kleine Summe.

Und alles ohne Ausschreibung.

Zum Schluss noch ein paar Worte zur Eröffnungsfeier. 200.000 Euro wollte Wolff von der Stadt für seine Firmenschachtel haben, um die Eröffnungsparty auszurichten: für Häppchen, Pressebespaßung und Tralafitti. Das war der Stadt zu teuer. Essens Oberbürgermeister Reinhard Paß setzte durch, das ein Zuschuss von 60.000 Euro von der Stadt gezahlt wird. es heißt, eine private Firma werde für den Rest aufkommen. Nun denn, wenn das so ist……

iPad: Kauf ichs?

Gestern wurde das iPad vorgestellt. in zwei Monaten ist es da. Werde ich mir eins holen?

Gadget: Das iPad. Foto: Apple

Ein paar Nudeln, Apfelsaft und Bier: Zusammen mit Jens und Fred habe ich es mir gestern vor dem iMac gemütlich gemacht. Über Macnotes haben wir die Apple-Keynote verfolgt, vorhin habe ich sie als Aufzeichnung gesehen.

Als ich das erste Bild vom iPad sah wurde ich nicht ohnmächtig. Irgendwie stimmen die Proportionen nicht, wirkt es ein wenig plump. Gerade im Film, als ich es von allen Seiten sah, machte es schon einen wesentlich besseren Eindruck.

Ich bin kein Nerd wie mein Kumpel Michael, mit dem wir uns später noch über das iPad unterhielten: Ja, es läuft kein Ubuntu drauf, aber das ist mir egal, aber eine Lösung mit einem richtigen Mac-OS hätte mir besser gefallen, aber das iPad will ja auch kein Desktopersatz sein. Es ist ein Coffeetable-Computer, man kann es überall hin mitnehmen, morgens die Zeitung, die ich erst wieder abonnieren werde, am Frühstückstisch lesen – ich weigere mich vor dem Frühstück zum Briefkasten zu gehen – und ich kann endlich gemütlich PDFs und eBooks auf der Couch und im Bett lesen.

Und etwas arbeiten kann ich damit auch: Kleinere Notizen (Ich kann meine eigene Handschrift schlecht lesen 🙂 ), mal einen Artikel oder einen Blogeintrag schreiben, auf einer Besprechung Grafiken zeigen, Dokumente ändern – das wird alles gehen. Womit die Frage beantwortet ist, ob ich es kaufen werde: Ja.  Mit UMTS, damit ich auch wirklich überall immer online sein kann – auch bei Besuchen in Hessisch-Sibirien.

Wird es die Welt verändern? Ein wenig. Es wird allein wegen den geringen Stückzahlen nicht die klassischen Medien retten, aber seit gestern gibt es erst wirklich die neue Kategorie der Tablet-PCs. Warten wir die Folgen mal ab. Wie auf dem iPod werden auch auf dem iPad, trotz iBook, vor allem Raubkopien zu finden sein. Gewinner werden, wie immer in den vergangenen Jahren, die Hardware-Anbieter und nicht die Content-Produzenten sein.

Brauche ich es unbedingt? Nein, aber was braucht man schon unbedingt? Wichtiger ist für mich dass ich es haben will, weil ich glaube, dass das iPad Spaß machen kann. Apple-Produkte waren nie, wie Umberto Eco schon wusste, die kargen, praktischen Arbeitsgeräte, sondern haben immer die Sinne angesprochen. Genau das wird das iPad tun: Als Notizbuch, Internet-Device, Spielkonsole, Book-Reader und Zeitungs-Gadget. Und was man sonst noch damit anfangen kann wird man sehen – bislang hat mich jeder Apple noch immer auf ein paar Ideen gebracht, ihn zu nutzen, wie keinen Rechner vorher. Und der Preis ist wirklich ok. I say hello to the iPad.

2 bis 3 Straßen im Interview am Borsigplatz

Der Künstler Jochen Gerz macht derzeit im Ruhrgebiet zwei Projekte. Während der Bochumer Platz des europäischen Versprechens auf der Kippe steht, läuft das Projekt 2-3 Straßen ganz gut an.

Ursprünglich sollten bis zu 80 kreative Leute von außerhalb in den Pott ziehen und hier nachsehen, wie das so läuft. Dazu wurden ihnen billige Wohnungen in Mülheim, Duisburg und Dortmund angeboten. Über Ihre Erlebnisse sollen sie Protokoll führen. Daraus will der Künstler Gerz später ein Buch oder ein Plakat oder was auch immer machen. Leider wollten nicht genügend Leute von außen ins Revier kommen, deswegen durften sich auch Kreative aus dem Ruhrgebiet an dem Projekt beteiligen. Tobias Eule ist einer von ihnen. Der Architekt ist von Bochum nach Dortmund gezogen, direkt an den Borsigplatz. Ich habe mit ihm gesprochen.

Warum machen Sie als Architekt überhaupt bei der Straßen-Nummer mit? Wo ist der Reiz für Sie?

Ich habe mich mal vor ungefähr einem Jahr bei ehemaligen Kommilitonen darüber beschwert, dass wir während unserem Architekturstudium nie gelernt haben uns auch mal Schriftlich mit dem Thema Architektur auseinander zu setzen. Das empfand ich als eine verpasste Gelegenheit, denn ich hatte gemerkt, dass ich zwar sehr gerne Schreibe, aber es doch recht selten getan habe. Besagter Freund machte mich ein paar Tage später auf die Anzeige von 2-3 Straßen aufmerksam, auf die ich mich dann einfach mal beworben habe, frei nach dem Motto, wenn sie mich nehmen werde ich mich ein Jahr lang intensiv mit dem Schreiben und mit der deutschen Sprache beschäftigen. Dies ist meine individuelle Motivation, wegen der ich nach Dortmund gezogen bin, der Reiz des gesamten Projektes besteht aber darin, dass hier mit einen mal ca. 30 Menschen nach Dortmund verpflanzt wurden, die alle in einer Phase ihres Lebens stehen, in der sie sich irgendwie verändern wollen und die sich nun ein Jahr lang mit dem Thema Nachbarschaft auseinandersetzen. Die spannende Frage ist also in wie weit sich so eine Maßnahme dann auch wirklich auf das Wohnumfeld auswirkt.

Sie haben schon in Hattingen gewohnt, in Bochum, in Bottrop. Sie kennen das Ruhrgebiet. Glauben Sie Dortmunds Norden kann Sie noch überraschen?

Wenn ich mir die aufgezählten Städte angucke, kann mich der Norden Dortmunds schon überraschen, denn die Lebenssituation die hier vorherrscht gibt es in dieser Intensivität in besagten Städten nicht. Eine gute Freundin von mir hat aber eine Zeit lang in Gelsenkirchen gewohnt und dort ist die Lage ähnlich. Als erstes fällt einem auf, dass man als Deutscher hier in der Minderheit ist. Ich will das gar nicht werten, aber es fällt einem halt auf. Dann gibt es hier auch so manche Häuser die völlig Leer stehen und an denen die Fensterscheiben schwarz zugeklebt sind. Es ist eine Vorahnung, was aus dem Ruhrgebiet werden würde, wenn es wirklich zur massenhaften Abwanderung auf Grund fehlender Arbeit käme. Ein Quartiersmanager beurteilt die Lage um den Borsigplatz folgendermaßen. Es kommen viele Ausländer als erste Anlaufstelle an den Borsigplatz, weil die Mieten hier günstig sind, und wenn sie dann eine sichere Arbeit gefunden haben ziehen sie wieder weg. So ist die Stimmung hier, dagegen herrscht in Hattingen, Bochum und Bottrop schon noch heile Welt. Trotzdem sind die Menschen denen man begegnet und die man Anspricht hilfsbereit und offen wie überall im Ruhrgebiet, wenn auch ein wenig argwöhnischer.

Was heißt argwöhnischer?

Die meisten Menschen laufen hier oft einfach aneinander vorbei und wenn man sie anspricht ziehen sich manche erst mal förmlich in sich zusammen. Sobald sie dann aber merken, das man völlig normale Fragen stelle, z.B. wo der nächste Altglascontainer ist, oder dass man im Hausflur einfach nur ein paar nette Sätze wechseln will verlieren sie auch sofort diese skeptisch Haltung und sind nett und hilfsbereit wie ich es im Ruhrgebiet gewohnt bin. Man merkt daran aber schon wie verunsichert manche Menschen hier sind. Sie sind in unserer Gesellschaft irgendwie noch nicht heimisch geworden. Auf der anderen Seite Grüßen sich hier Schwarze oder Türken auf der Straße oft sehr freundlich, aber die verschiedenen Minderheiten bleiben anscheinend unter sich. Das ist natürlich ein Problem, denn eine Demokratie funktioniert ja nur wenn ihre Bürger sich als Teil der ganzen Gesellschaft sehen und somit auch bereit sind aktiv an der Entwicklung dieser Gesellschaft mit zu wirken.

Wieso hat der Künstler Jochen Gerz ausgerechnet Sie ausgesucht, um mit einem Berliner Musikverleger am Borsigplatz zu wohnen?

Während der Bewerbungsphase mussten wir unter anderem die Fragen beantworten, warum wir an dem Projekt teilnehmen wollen und was wir während der Zeit dort machen wollen und anscheinend war meine Antwort individuell genug um in die engere Auswahl zu kommen, trotzdem hat man mich nicht für den Standort Duisburg, für den ich mich eigentlich beworben habe genommen, denn eigentlich wurden Menschen gesucht, die von außerhalb des Ruhrgebietes in diese Region ziehen. In Dortmund konnte man aber sich erst Ende November mit den Beteiligten einigen welche Wohnungen zur Verfügung gestellt werden können, und weil man in der kurzen Zeit von einem Monat nicht genug Zeit hatte für jede Wohnung Bewohner von außerhalb zu bekommen, hatten auch wir Ruhrgebietler ein Chance. Die Rückfragen Ende November, ob ich auch in eine andere Stadt ziehen würde und ob ich denn auch wirklich jeden Tag schreiben wolle habe ich äußerst positiv beantwortet. Und weil die Vorstellung von Jochen Gerz war, dass die Teilnehmer sich eigentlich selbst aussuchen sollen, hat sich mein Wille zur Teilnahme dann halt durchgesetzt.

Sie haben den Künstler getroffen, der in Berlin geboren wurde, in Paris arbeitete und nun in Irland lebt. Hat der Künstler in Ihren Augen irgendeinen speziellen Bezug zum Ruhrgebiet?

Das kann sein, schließlich gestaltet Herr Gerz zur Zeit auch den Platz des Europäischen Versprechens in Bochum und hatte vor Jahren schon in Dortmund eine Aktion laufen die „Das Geschenk“ hieß. Ich glaube aber, dass das gar nicht entscheidend ist, vielmehr kreiert Jochen Gerz Situationen auf die Menschen reagieren und er ist vielleicht hauptsächlich daran interessiert wie die Menschen sich dann verhalten. Wo das ganze stattfindet ist wahrscheinlich sekundär, denn Menschen sind ja auf ihre Art und Weise überall in der Welt spannend. All zu sehr habe ich mich aber mit der Kunst von Jochen Gerz noch nicht auseinandergesetzt.

Wie beurteilen Sie den künstlerischen Ansatz? Können Sie bei der Erarbeitung des Ansatzes mitwirken?

Beeindruckend finde ich, dass ich den künstlerischen Ansatz am Anfang eher banal fand und mich aus ganz eigenen Interessen hierzu beworben habe, ich aber je länger ich mich mit Herrn Gerz befasse die Empfindung habe, er weiß schon was er da tut. Jetzt sitzen in drei Städten motivierte Menschen, die in ihrem Leben an eine Stelle gelangt sind, an der sie sich aus welchem Grund auch immer verändern wollen. Und all diese Menschen denken jetzt über Nachbarschaft nach, begegnen ihren Nachbarn und schreiben dann auch noch jeden Tag, was ja auch immer eine Reflexion des Erlebten beinhaltet. Insgesamt sind das pro Straße rund 10 Prpzent der Anwohner. Da ist es doch schon spannend, wie sich das über ein Jahr entwickelt. Und auch zu der Frage, wer denn den Text, der hier nebenbei entsteht überhaupt lesen soll antwortet Herr Gerz doch sehr souverän, dass solle man doch Aufgabe des Verlegers sein lassen und diesen gibt es außerdem schon. Ich bin zwar immer noch skeptisch was das gemeinsame Buch angeht, auf der anderen Seite schreiben jetzt fast 80 Leute jeden Tag Sachen auf, die Herr Gerz am Ende nach belieben zusammenstellen, kürzen und verändern kann, da bin ich dann doch mal gespannt.

Haben Sie Anweisungen bekommen, wie Sie sich verhalten sollen?

Die Anweisung die wir bekommen haben hat mir äußerst gut gefallen. „Wir wollen hier alle nicht mehr tun als wir tun wollen.“ Jochen Gerz will auf keinen Fall, dass die Bewohner hier bespaßt werden und irgendwelche Events geboten kriegen. Alles soll so unaufgeregt wie möglich laufen, aber doch halt kommunikativer. Projekte wie z.B. Malen oder Musizieren mit Kindern oder auch Interviewen von Nachbarn werden sehr begrüßt, aber jeder soll schon selbst entscheiden wie sehr er sich einbringt. Wobei ganz klar gesagt wird, dass man natürlich nur so viel aus diesem Jahr für seine eigene Entwicklung rausholen kann, wie man an Energie hineinsteckt, aber das ist ja bei allen Aktivitäten so. Und auch was den gemeinsamen Text angeht hat Herr Gerz in seinem Konzeptpapier formuliert, dass alles was geschrieben ist einen Wert an sich hat. Es gibt also auch hier keine Vorgaben, sonst würde das Ergebnis aber auch sehr viel eintöniger und damit auch langweiliger.

Macht Ihnen das Schreiben für das Projekt 2-3 Straßen Spaß?

Ja sehr, deshalb bin ich ja hier. Ich sehe das ganze ein wenig wie eine Ausbildung, in der man mit seiner Sprache jeden Tag ohne Vorgabe experimentieren kann wie man will. Schreiben als Selbstzweck ist doch, wie jede Aktion um seiner selbst willen, der pure Luxus.

Sehen Sie irgendwas spezielles an ihrer Gegend da in Dortmund? Ne besondere Solidarität oder so?

Das ist hier natürlich die Gegend um den Borsigplatz. In der Pommesbude gegenüber meiner Haustür wurde vor hundert Jahren der BVB gegründet, damals war da aber noch eine Kneipe. Das ist schon ein besonderer Ort für diese Stadt, wobei man hier sagt, dass die Bewohner des Borsigplatzes zwar noch den BVB im Herzen tragen, ob der BVB aber noch den Borsigplatz im Herzen trägt ist zu bezweifeln. Trotzdem, der Fußball verbindet und da ist es schön das dieses Jahr die Fußball WM ist, denn es dürften von jeder teilnehmenden Nation auch Menschen hier in der Nachbarschaft wohnen. 2-3 Straßen könnte zumindest hier am Borsigplatz gerade in dieser Zeit eine neue Dynamik entwickeln.

Städtebaulich hat diese Gegend außerdem durchaus ihre Qualitäten, mit einem für das Ruhrgebiet recht hohen Altbaubestand und Innenhöfen die durchaus das Potential haben verschiedenst genutzt zu werden. Der Stadtteil hätte also, wenn es das Schicksal freundlicher gemeint hätte auch das Zeug zu einem hippen Studentenviertel gehabt. Das ist jetzt im Dortmunder Kreuzviertel, welches einfach schon näher an der Uni liegt.

Sie sind Deutscher und damit rund um den Borsigplatz sowas wie ne Minderheit, ist das komisch für Sie?

Ehrlich gesagt gewöhnt man sich doch sehr schnell daran. Ich bin aber auch schon als kleiner Junge in eine Grundschule in Bottrop-Welheim gegangen, die einen hohen Ausländeranteil hatte und habe auch in Bochum auf der Dorstener Straße gewohnt, auf der alle paarhundert Meter ein türkisches Lebensmittelgeschäft war. Trotzdem fällt es mir einfach auf, dass kaum Deutsche unterwegs sind. Für die aus anderen Gegenden zugereisten Projektteilnehmer ist die Situation aber selbstverständlich viel ungewöhnlicher, so wundert sich mein Mitbewohner schon amüsiert über die legender knappen Sätze im Ruhrgebietes. Die übliche Kommunikation beim Bäcker „Watt machtat“ „Zweifuffzich“ ist für Zugezogene schon gewöhnungsbedürftig.

Oberflächlich haben die Leute da am Borsigplatz eines gemeinsam. Sie haben in der Regel wenig Geld und fühlen sich oder werden sogar tatsächlich ausgebeutet. Fühlen sie sich auch ausgebeutet? Soviel ich weiß kriegen Sie gerade mal einen Teil der Miete bezahlt und müssen dafür alle Rechte an dem abgeben, was Sie im Rahmen des Projektes schreiben?

Die schöne Anwerbung vom Mietfreien wohnen war zum Teil natürlich schon eine Mogelpackung, denn neben der Miete gibt es ja noch die Nebenkosten, die Strom- und die Elektrokosten, die wir selbst zahlen müssen und das ist zusammen ja genauso viel wie die eigentliche Miete. Was die Rechte zu dem Geschriebenen angeht ist der Vertrag den wir akzeptieren mussten schon sehr resolut. Man merkt halt, dass Herr Gerz schon sehr lange im Geschäft ist und deshalb Verträge aufsetzen lässt, in denen alles was zu seinen Gunsten denkbar ist auch hineingeschrieben wird. Herr Gerz hat die Ausschließlichen Rechte auf alles was wir Schreiben, in jeder erdenklichen Publikationsform, selbst Teletext und Schulfunk wird erwähnt. Besonders perfide ist der Unterpunkt in dem steht, das auch Texte und jegliche sonstige Aktivitäten von mir, die irgendwie mit dem Wohnen am Borsigplatz zu tun haben, auch dann Herrn Gerz gehören, wenn ich sie ihm nicht zur Verfügung stelle. Trotzdem fühle ich mich nicht ausgenutzt, denn ich weiß ja, dass solche Verträge pro Forma für alle Eventualitäten aufgesetzt werden und ich ja nicht hier bin um mit meinem Schreiben Geld zu verdienen, sondern um festzustellen, ob ich nach einem Jahr täglichen Schreiben erst mal davon gesättigt bin, oder ob ich immer weiter schreiben könnte. Was dann 2011 passiert bleibt abzuwarten und ist vielleicht für mich noch viel spannender als 2-3 Strassen.

Wie würden Sie ihr Verhältnis zum Künstler beschreiben? Chef und Angestellter? Gleichberechtigt? Oder sind Sie ein Versuchskaninchen?

Ich nenne meinen Künstler schon jetzt gerne meinen Meister, denn er dient mir als Inspirationsquelle. Auch ist er so was wie ein Trainer, der uns durch seine Ansprache schon zu motivieren versteht. Aber trotzdem sind wir natürlich gleichberechtigt, denn ich bin hier aus eigenen Antrieb, um mein eigenes Leben zu bereichern und wenn Herr Gerz was mit meinem Output anfangen kann ist das schön für ihn, wenn nicht interessiert mich das aber nicht die Bohne. Von daher sind Definitionen die an die Arbeitswelt erinnern völlig falsch, außer vielleicht der Begriff des Versuchkaninchen, wobei ich mich ja selbst in das Labor gestürzt habe und auch jeder Zeit wieder gehen kann.

Haben Sie Kontakt zu den anderen Leuten, die in dem Projekt mitmachen?

Zum einen habe ich natürlich Kontakt zu meinem Mitbewohner, den ich ja ohne 2-3 Straßen nie kennen gelernt hätte. Dann gibt es am Borsigplatz ein Büro in der Mitarbeiter von Herrn Gerz sitzen und sich um uns kümmern. Über sie enthält man dann z.B. Einladungen von anderen Bewohnern, morgen führt uns z.B. eine Teilnehmerin die aus Dortmund kommt durch die Stadt. Ich habe aber auch schon Teilnehmer auf der Straße getroffen, die mich dann gleich zu sich eingeladen haben. So schnell wie hier habe ich also noch nie Nachbarn kennen gelernt, aber darum geht es ja auch.

Glauben Sie aus ihrer Straße kann ein Abbild des Ruhrgebietes erschaffen werden? Oder werden einfach Klischees transportiert? Oder anders gefragt, wird auch eine Straße in Essen-Überruhr oder in Bochum-Stiepel im Rahmen des Projektes untersucht?

Die Straßen die für das Projekt ausgesucht wurden liegen alle in sogenannten Sozialen Brennpunkten. Das hat ja auch einen pragmatischen Grund, denn nur hier stehen die benötigten leeren Wohnungen zu Verfügung. Deshalb ist der Projekt schon auch Repräsentativ für andere prekäre Standorte im Ruhrgebiet. Die Lebenswirklichkeit von wohlhabenden Gegenden wie Bochum-Stiepel kann man hier aber bestimmt nicht untersuchen. Ob am Ende dann die Klischees transportiert werden bleibt abzuwarten. Jochen Gerz will das bestimmt nicht, ich Frage mich aber ob das wirklich so schlimm ist, wenn man sich dann über Fußball, Bier und Halal-Grillen näher kommt. Die Klischees sind ja immer auch Teil der Realität und wenn in dieser Region schon lauthals besungen wird, dass die Ruhrgebietler ehrliche Häute sind die sich ohne Schminke geben, dann erfüllt dieses Klischee als self fulfilling prophecy doch durchaus seinen Zweck.

Zum Schluss, wie ist das am Borsigplatz denn so? Wie man hört, ist die Gegend ganz schön runtergekommen.

Das jetztzeitige Ruhrgebiet ist ja eine Kraftanstrengung um gegen das Phänomen der shrinking-cities in postindustriellen Ballungsräumen anzugehen. Das ganze trägt dann den schönen Namen Strukturwandel und kostet Land und Bund seit Jahrzehnten Millionen. Am Borsigplatz geht dieser Kampf teilweise verloren. Trotzdem sind wir hier noch weit entfernt von Zuständen wie Detroit, denn die Fenster sind zwar schwarz verklebt aber noch nicht eingeschmissen. Aber man muss gerade in Stadtteilen wie diesen alles tun um einer weiteren Verödung entgegenzuwirken, denn es gibt einen Punkt off-no-return ab dem keine Menschen mehr bereit sind wieder in die verlassenen, heruntergekommenen Stadtteil zu ziehen. Die Gegend hier steht an dieser Grenze und es sind kreative Lösungsmöglichkeiten gefragt um solche Quartiere wieder auf die Bahn zu kriegen. An den Plattenbaustädten in Ostdeutschland hat man gesehen, dass z.B. ein partieller Abriss kombiniert mit einer Umstrukturierung die Stimmung in den Städten positiv verändern kann. Dazu bedarf es aber Geld und gerade die Städten an der Ruhr bräuchten ein Äquivalent zu dem Soli-Ost. Ob dieses Geld überhaupt da ist kann ich nicht beurteilen, wenn nicht könnte es allerdings zu einer Abschreibung ganzer Stadtteile des Ruhrgebietes kommen, wie es in Duisburg teilweise schon der Fall sein soll.

Können Sie sich vorstellen, da wohnen zu bleiben, oder gehen Sie nach dem Projekt wieder weg? Falls ja, wohin denn? Nach Spanien?

Diese Wohnung kann ich mir nach diesem Jahr alleine nicht leisten und mein Mitbewohner wird höchstwahrscheinlich die Stadt verlassen, also ist auch für mich am Ende 2010 wieder ein Umzug angesagt. Sollte ich im Ruhrgebiet bleiben, werde ich wieder nach Bochum ziehen, weil mir die Stadt von ihrer Größe aber auch von ihrem Habitus zusagt. Aber wie gesagt sind die Teilnehmer hier, weil ihr altes Leben sie nicht mehr ganz ausgefüllt hat und somit bin auch ich in einem Veränderungsprozess, was dabei am Ende herauskommt und wohin die Reise geht bleibt abzuwarten.

Grafik: 2-3 Straßen

Foto: Tobias Eule

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Almighurt: Es gibt Mais, Baby


Es gibt etwas Neues im Kühlregal: Den Alimghurt Mais.

Erdbeer, Himbeer, Banane – die Zeit der Obst-Joghurte ist definitiv vorbei. Mit dem Almighurt Mais hat ein neues Zeitalter begonnen. Ich hoffe, andere Unternehmen nehmen sich an Ehrmann ein Vorbild und bringen nun auch innovative Lebensmittel auf den Markt: Ein Wurstmüsli zum Beispiel. Milchbier! Schnapskäse! Schinkenfisch! Es gibt noch so viel zu tun…