Vorausgeschickt: ich bin nicht neutral. Es geht um meinen besten Freund in der „Freitag“-Redaktion, den Literatur-Redakteur, zeitweiligen Feuilleton-Chef, zeitweiligen Chefredakteur Ingo Arend. Er streitet sich mit der Freitag-Verlagsgesellschaft, die heute Jakob Augstein gehört, vor dem Arbeitsgericht. Und die Frage, die sich dabei stellt, ist, was das für das politische Projekt „Der Freitag“ bedeutet.
Ingo Arend hat mich vor ca. 8 Jahren gefragt, ob ich nicht auch im „Freitag“ schreiben wollte. Damals gehörte der einer Gruppe von VerlegerInnen, darunter den Journalisten Wolfgang Storz und Holger Schmale, die ihn vor der Pleite gerettet hatten, eine „operative schwarze 0“ schafften, aber die Altschulden nicht wegkriegten, für sie alle ein existenzielles Risiko. Davor hatte und habe ich einen Riesenrespekt und war zu jeder Hilfe bereit. Schreiben hat mir dann vor allem viel Spass gemacht. Ich tat es vorwigend zu medienpolitischen Themen, in einer wunderbar angenehmen und effizienten Zusammenarbeit mit der damaligen Medienredakteurin Barbara Schweizerhof (heute bei epd-Film).
Der „Freitag“ trat jedoch strategisch auf der Stelle. Zu alte LeserInnenschaft, zu wenig innovative Themen, keine Chance zu aggressiver Expansion (wg. der Altschulden). Da war es für seine VerlegerInnen nur folgerichtig, ihn an einen reichen und publizistisch ehrgeizigen Mann zu verkaufen. Jakob Augstein ist als Miteigentümer des „Spiegel“ sehr reich, beim „Spiegel“ allerdings überhaupt nicht mächtig, weil er aufgrund des Testaments von Rudolf Augstein dort über keine Sperrminorität verfügt.
Er brachte neue und vernünftige Ideen mit, z.B. Ausbau der Onlinepräsenz, und auch einige neue Leute – die Mehrheit der Alt-Redaktion, auch Ingo Arend, war froh über die neuen Chancen.
Jetzt ist das Projekt in dem Stadium, dass sich die Hoffnungen bisher nicht erfüllt haben. Die Auflage steigt nicht wirklich, viele der dogmatischen Alt-LeserInnen sind sauer über das ganze neumodische Zeugs und die größere politische Diskussionsbreite, nur wenige neue und jüngere wurden hinzugewonnen. Der Verleger will rationalisieren. Ingo Arend ist der dienstälteste und damit teuerste Redakteur und ausserdem ja „nur“ für Literatur zuständig. Darum ist er das erste Opfer. Das ist schade. Denn er gehört sicherlich nicht zu den PDS-nahen Eisenärschen in der Redaktion.
In seiner Jugend war er Juso, hat sich aber, weniger politisch als alltagskulturell, im weiteren Leben sehr weit von traditioneller Parteipolitik entfernt, was ihn zu einem sehr angenehm diskussionsfreudigen Mitmenschen und zu einem erstklassigen Kulturjournalisten gemacht hat. Darum ist er als Rationalisierungsopfer beim „Freitag“ besonders schlecht gewählt – meine ich. Das finden auch viele angesehene Schriftsteller wie Christoph Hein, Anett Gröschner und Raul Zelik, in deren illustrer Gesellschaft ich mich als Mitunterzeichner beim Verleger über diesen beabsichtigten Rausschmiss beschwert habe.
Dieser traurige Vorgang könnte die Sichtweise bestätigen, die ich aus Berlin schon oft gehört habe:
Augstein und seine Freunde haben eine Menge modernerer Ideen für den Freitag mitgebracht, aber ihnen fehlt ein eigener politischer Kompass. Schade eigentlich.
Es ist Wahlkampf in NRW und mit Andreas Krautscheid hat Mr. Angriff das Generalsekretariat der CDU in Düsseldorf übernommen. Kaum im Amt folgt schon die erste Attacke in Sachen Miet-Mich-Rüttgers. Es geht gegen die Presse. Genauer, gegen zwei Blogs. Genauer gegen Wir-in-nrw-blog.de und uns, die Ruhrbarone.
Mir wirft Krautscheid zum Beispiel öffentlich vor, geschrieben zu haben:
Allerdings werde Hannelore Kraft im Wahlkampf auch NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) helfen,
„dem im Wahlkampf noch jede Menge böser Enthüllungen drohen. Allein in den kommenden zwei Wochen stehen dem Mann einige miese Überraschungen bevor, vor denen ich jetzt schon Angst hätte, wenn ich er wäre.
Nach Ansicht von Krautscheid ist das eine Drohung, die sich auf illegal beschaffte Daten beruft, die aus der CDU-Zentrale durchgestochen wurden.
Das steht heute so in zig Zeitungen. Laut Handelsblatt sagte Krautscheid bespielsweise:
Vor allem im Auge hat Krautscheid die Blogs „Wir in NRW“ und „Ruhrbarone“, die in der Vergangenheit aus internem CDU-Material berichtet hatten. „Ruhrbarone“ habe mit weiteren Enthüllungen gedroht, so Krautscheid. „Es ist eine neue Qualität, dass ein Blog mit geklauten E-Mails arbeitet“, sagte der CDU-Mann.
Ähnliche Töne in der WAZ und sonst wo. Die FAZ fügte noch die falsche Information hinzu, ich hätte den entscheidenden Satz hier bei den Ruhrbaronen gelöscht. Was ein Unfug. Natürlich lösche ich den Satz nicht.
Es wird Zeit, den “Joseph Fouché” der Landesregierung über uns aufzuklären.
Wir arbeiten hier bei den Ruhrbaronen mit allen Informationen, die es wert sind veröffentlicht zu werden. Unabhängig vom Ansehen der Person. Wenn Hannelore Kraft (SPD) Mist macht, berichten wir das. Wenn Silvana Koch-Mehrin (FDP) zu faul für ihr Mandat ist, schreiben wir das auf. Wir halten es da mit der Freiheit. Und dazu gehört es eben auch, Sachen zu bringen, die den Herrschenden nicht gefallen. Es ist geradezu unsere Aufgabe Verborgenes zu enthüllen.
Krautscheid hat nun Anzeige gegen unbekannt erstattet, um gegen die Enthüllungen vorzugehen. Die Staatsanwaltschaft soll im Auftrag von Rüttgers die Quellen der Informationen herausfinden und verstopfen.
Das lässt mich kalt. Mich hat mal der Stromkonzern RWE verklagt, weil ich eine geheimes Schriftstück des Energieriesen aus dem Aufsichtsrat veröffentlicht habe. Auch da war der Vorwurf „Beihilfe zum Geheimnisverrat“. Ich habe vor dem Hamburger Landgericht gewonnen.
Selbstverständlich hätten wir auch die Emails aus der CDU-Landeszentrale gebracht, die den Miet-Mich-Rüttgers-Skandal enthüllt hätten. Wir wären stolz darauf, dieses Geheimnis der Allgemeinheit zugänglich zu machen. Allein, wir waren es nicht, das war der Spiegel. Will Krautscheid eine neue Spiegel-Affäre?
Es ist nicht nur unsere Aufgabe als Blog, sondern die Aufgabe der ganzen freien Presse, geheime Emails zu veröffentlichen, wenn damit solche Skandale wie der um den Miet-Mich-Rüttgers aufgedeckt werden.
Krautscheid fordert von uns, keine Informationen im Sinne und zum Nutzen der Öffentlichkeit zu verwenden, die aus dubiosen Quellen kommen. Wie bigott diese Argumentation ist, zeigt ein Beispiel:
Vor ein paar Tagen hat die CDU-Landesregierung eine CD gekauft, auf der Steuerdaten von Leuten sind, die ihr Geld in der Schweiz geparkt haben. Wir wissen nicht mal, ob es dabei immer um Steuerhinterziehung geht. Trotzdem hat die Landesregierung dem Dieb aus der Schweiz 2,5 Mio. Euro für die geklauten Informationen bezahlt.
Wir haben für unsere Informationen nichts bezahlt. Keinen Pfennig. Aber wir sind laut Krautscheid die Bösen. Bigott. Krautscheid fordert nicht weniger als das Ende des investigativen Journalismus.
Wie glaubt Krautscheid eigentlich, soll Pressearbeit oder Blog-Öffentlichkeit aussehen? So handzahm und devot wie der klare-kante-blog? Sollen wir nur noch berichten, was er nächtens im Scheine seiner Schreibtischlampe genehmigt hat?
Nein, Herr Krautscheid, das wird nicht passieren. Wir berichten, was es sich in unseren Augen lohnt zu berichten und nicht das, was Ihnen in den Kram passt.
Ich hatte geschrieben, dass Rüttgers Angst haben muss, vor den drohenden Enthüllungen, die sicher kommen werden. Und offensichtlich habe ich mit diesem Pfeil genau das Auge des Bullen getroffen.
Rüttgers und seine Wahlkampfzentrale haben Angst vor uns Blogs. Weil wir nicht einzunorden sind. Weil wir unabhängig sind und bleiben.
Aber nicht nur vor uns haben Rüttgers und Kumpels Bange. Sie fürchten ihre eigenen Untergebenen. Die Leute, die sie jahrelang unterdrückt, die sie gemobbt, die sie am Ende gefeuert haben. Denn diese Menschen aus dem Innersten der CDU sind es, die heute die Informationen unter großer persönlicher Gefahr nach draußen tragen.
Das sind die fast durchweg aufrechte und wertkonservative Menschen, die Angst haben vor einer Regierung, die in ihrem Kern nur noch aus Rüttgers, Krautscheid und dem Ex-Militär Boris Berger besteht. Das sind Menschen, die nicht wollen, dass die Regierung ihre Macht zum persönlichen Vorteil nutzt. Das sind Bürger, die sich Gedanken machen um die Presse in NRW. Das sind Demokraten, die im Dienste des Volkes persönliche Nachteile in Kauf nehmen. Das sind keine Verräter.
In meinen Augen ist es absurd, diese Menschen mit Dieben zu vergleichen und mit der Polizei zu hetzen. Die Anzeigen von Rüttgers und Co zeigen nur wieder, wie weit die Regierung unter diesem Ministerpräsidenten bereit ist, zu gehen. Im Dienste der Macht wird mitten im Wahlkampf die Strafverfolgung als Staatswaffe eingesetzt, um die eigene Position abzusichern.
Diese Methode zeigt deutlich, wie moralisch zweifelhaft Rüttgers und Co agieren.
Krautscheid sagt laut eigener Pressemitteilung wörtlich:
Wir wollen mit Hilfe der Staatsanwaltschaft lediglich verhindern, dass illegal ausgespähte Daten zum Gegenstand von Wahlkampfauseinandersetzungen zwischen Parteien werden.
Warum ist es nicht das Problem, dass ich mir Rüttgers für ein Tete-a-Tete mieten könnte, wenn ich wollte. Warum ist es das Problem, dass jemand diesen Miet-Service enthüllt?
Uahhh. Ich muss mich schütteln.
Mit seinen Vorwürfen will Fouché-Krautscheid nur ablenken. Denn er weiß, dass da noch was kommt. Dass da noch was Böses kommt.
Krautscheid will vorab diffamieren, um sich nachher nicht rechtfertigen zu müssen. Das ist seine Kommunikationsstrategie. Er will die Überbringer der Nachrichten in ein schlechtes Licht rücken. Mehr hat er nicht mehr in der Hand. Er will, dass sich WAZ, FAZ und Co nicht auf Blogs als Quellen berufen. Mehr nicht.
Dabei übersieht Krautscheid leider, dass die bösen Stories nicht nur beim Wir-in-nrw-blog oder bei uns erscheinen. Sondern in allen möglichen Medien. Wer weiß, wo der nächste Schlag herkommt. Ich hab keine Ahnung.
Ich bin mir nur sicher, dass was kommt. Denn Wahlen sind das in der Demokratie vorgesehen Regulativ für mieses Verhalten. Wann also wenn nicht jetzt, sollte jemand seine Meinung über Rüttgers kundtun. Jetzt könnten diese Informationen Gewicht haben. Darüber sollten der Ministerpräsident, sein Offizier Berger und sein Fouché Krautscheid nachdenken.
Wir jedenfalls werden nicht klein bei geben.
Das haben wir noch nie getan. Wir bleiben unbequem.
Deswegen hat uns NRW-Umwelt- und Märchenminister Eckhard Uhlenberg in Sachen PFT-Skandal ja auch schon mal vor dem Landtag angegriffen. Hier zur Erinnerung seine Tirade gegen die Ruhrbarone im Film.
Sollte die neoliberale Weltverschwörung am 9. Mai bei den Lanstagswahlen in NRW eine Schlappe erleiden und der Sieg des Proletariats in greifbare Nähe rücken, ist die Linkspartei gut vorbereitet: Sie hat den Terminkalender zur Macht längst fertig.
Noch ist die Linkspartei in NRW nicht im Landtag und auch der Sprung über die 5-Prozent Hürde könnte noch misslingen. Aber über solche Szenarien mag man in der Parteizentrale in Düsseldorf und dem Wahlkampfhauptquartier in Bochum offensichtlich nicht nachdenken. Hier plant man für den Sieg des Proletariats, für den Griff der Ausgebeuteten und Geschundenen dieser Welt nach der Macht.
Für den Fall, dass es nach der Wahl zu einer Koalition der Linkspartei mit SPD und Grünen kommen könnte, steht der Fahrplan der Linken fest: Zwischen dem 25. und 29. Mai soll auf Regionalkonferenzen über die Ergebnisse der Gespräche mit Grünen und SPD diskutiert werden. Die Termine sind im Linkskalender bescheiden mit ggf. (gegebenenfalls) gekennzeichnet. Und am 30. Mai könnte dann auf einem Sonderparteitag die Entscheidung über die Gründung der Volksrepublik Nordrhein-Westfalen fallen. Oder einfach nur über die Verteilung von einem ganzen Haufen Staatsknete. Sollte alles etwas komplizierter werden, sind weitere Sonderparteitage für den 27. Juni und den 4. Juli eingeplant.
Also, all ihr Bonzen da draußen, ihr Freunde von Kirche und Kapital, ihr Büttel des Klassenfeindes: Spätestens am 5. Juli ist die neoliberale Ausbeuterparty vorbei. Gegebenenfalls.
Der Tod von Hanns-Ludwig Brauser hat uns bei den Ruhrbaronen geschockt. Wir haben ihn kennengelernt als engagierten Mann im Ruhrgebiet, jemanden, dem die Region am Herzen lag. Nicht immer waren wir einer Meinung, oft haben wir uns gestritten, auch heftig. Aber es ging um die Sache. Und da war es schön, mit Hanns-Ludwig Brauser jemanden zu haben, mit dem man sich engagiert über die vielen Themen des Ruhrgebietes streiten konnte.
Er gehörte zu den Menschen, die das Ruhrgebiet in den vergangenen Jahren geprägt haben: Hanns-Ludwig Brauser, der Chef der Wirtschaftsförderung Metropole Ruhr, ist gestern nach kurzer und schwerer Krankheit im Alter von 62 Jahren gestorben. An die Metropole glaubte Brauser selbst nicht. So ein PR-Sprech war nicht seine Sache. Brauser wollte die realen Stärken des Ruhrgebiets betonen, um so Investoren für die Region zu interessieren: Logistik, Werkstoffentwicklung, Chemie. Er konnte einem stundenlang anhand von Untersuchungen und Tabellen erklären, warum genau diese Bereiche wichtig sind. Über die Metropolenträumereien machte er sich lustig: „Wer von Metropole Ruhr redet, hängt alten Ideen nach.“
Brauser hatte einen schweren Stand, als er von Düsseldorf in das Ruhrgebiet kam, um die Projekt Ruhr GmbH zu führen. Sie war kaum mehr als der verlängerte Arm der Landesregierung, geschaffen von Clement, um den letzten Rest an Selbstverwaltung im Ruhrgebiet zu zerschlagen: den Kommunalverband Ruhrgebiet. In dieser Zeit wurde Brauser immer wieder – und oft auch zu Recht – kritisiert. Aber schon damals setzte er Zeichen: Hanns-Ludwig Brauser hat bereits in den 90ern Themen wie die Bildungsarmut im Ruhrgebiet nach vorne gespielt und gleichzeitig für Lösungsansätze geworben. Es ist unter anderem ihm zu verdanken, dass die Migranten als eigenes Thema in der Wirtschaftsförderung erkannt wurden. Er hat mit den Boden bereitet, dass heute türkische Unternehmer gefördert und nicht behindert werden.
Als der Vater von vier Kindern im Jahr 2007 Chef der Ruhrgebiets-Wirtschaftsförderung wurde, war schnell klar, dass dies der Job war, der perfekt zu ihm passte. Hier war er unabhängiger, konnte selbst den Kurs bestimmen. Klar, er musste mit den Städten und lokalen Wirtschaftsförderern kooperieren, aber das konnte er hervorragend: Hanns-Ludwig Brauser war gut vernetzt, kannte noch den unwichtigsten Geschäftsführer irgendeiner Ratsfraktion in irgendeinem Kaff persönlich. Und wenn er wollte, konnte er sie mit der Kraft seiner Argumente und seiner Beharrlichkeit von seinen Ideen überzeugen und auf Linie bringen.
Hanns-Ludwig Brauser hat immer für das Ruhrgebiet geworben. Er hat es nicht aufgegeben, wie so viele andere. Er hat die Probleme der Städte erkannt, er hat die Lösung in einem Mehr an Zusammenarbeit gesehen. Er wollte ein starkes Ruhrgebiet. Und er legte sich immer wieder mit den zaghaften Kommunalpolitikern an: Er ließ Studien anfertigen, in denen die Probleme des Ruhrgebiets offen gelegt wurden. Im Verkehrsbereich zum Beispiel. Und bei aller Geduld konnte er auch ungeduldig sein: „Wenn es in zehn Jahren nicht weniger Nahverkehrsgesellschaften als heute gibt, haben wir etwas falsch gemacht,“ sagte er damals.
Wir bei den Ruhrbaronen hätten uns oft ein schnelleres Vorgehen gewünscht, während Hanns-Ludwig Brauser für den Konsens und damit für den kleinsten gemeinsamen Nenner warb. Aber, und das ist wichtig: vielleicht war Hanns-Ludwig Brauser einfach der größere Realist, der bessere Politiker, der Mann, der das Machbare auch schaffte, während wir Utopien forderten. Wir werden Hanns-Ludwig Brauser als streitbaren Mann für das Ruhrgebiet vermissen.
Unser tief empfundenes Beileid gilt seiner Familie
Houellebecq ist doof bzw. ein übler Selbstdarsteller. Man kann es nämlich alles auch kürzer und einfacher sagen. Z.B.: Natürlich glauben die Leute nicht nur was ihnen passt, sondern sie glauben auch Leuten gern, die sie z.B. ganz stumpf sexy finden (wollen). Daher all die schicken Moderations-Nichtpersonen bei TV & Co., aber das gilt selbstredend auch für die Trendpostillen, Blogs, etc. – bei denen zur Newsproduktion auch immer ein gehöriges Maß an Sich-selbst-Produzieren dazugehört. Deshalb stolziert auch jede Wasserstandsmeldung neuerdings daher, als wolle sie als letztes aus einem Container raus oder sonst einen Contest gewinnen. Wie blasiert! Themen: Tanz, Jingo de Lunch, eine Kunstakademie.
Die sublimierte Erotik des Tanzes: Das ist ja immer ein wenig heikel. Wo früher Söhne und Töchter aus nicht unreichem Hause zum Erbauen älterer Mitglieder der Gemeinde ein adrettes Ballett auf die Bühne brachten, sind mittlerweile ein wenig mehr Autoerotik und Verkopftheit eingezogen. Die Beziehung zwischen Dramaturgen bzw. Lehrern und Tänzern ist weniger offen autoritär, dafür müssen die Zuschauer nun auch verstärkt im Grunde Untanzbares getanzt sehen – fast wie ja denn nach Auschwitz doch eben genau mehr denn je Gedichte und Lieder geschrieben werden als je zuvor. Wilde Zusammenhänge hier: Massenmord, Erotik, 68er! Na, macht das an? Jedenfalls ist am Freitag Großtanztag in Essen: Im Rahmen der Biennale Tanzausbildung und darüber hinaus Mary Wigman und Gerhard Bohner bei PACT Zollverein.
Der derbe Charme von Kreuzberg-Rockern: Uh, yeah!!! Ausgezogen aus der Klein- oder Großstadt dahin, wo mitten in Deutschland total selbstbestimmtes Leben erkämpft werden soll – wie romantisch! Und dazu gehört dann auch „auf die Fresse“, „zünd an“ und „Rock!“, na klar! Oder gleich da geboren sein, wo Traditionen, wenn auch nicht sehr alte, so hoch gehandelt werden wie sonst nur in bayerischen Dörfern. Süßes, schmutziges, muskelbepacktes Alternativ-Berlin: hat was (für manche). Pomade und Tattoos, Jeans und Leder, Gitarre und Rumspucken sind da natürlich nur ein ähem Ausfluss des Ganzen, und natürlich finden sich in benachbarten Arealen leicht andere Appeals. Aber bei Jingo de Lunch(übersetzt: Typ aus Essen; Foto: Promo) in der Zeche Carl wird doch wohl deutlich, worum es geht: Rock’n’Roll wird erst dann sterben, wenn New York und Berlin endlich dicht gemacht sind. Bis dahin also schnell noch solche Konzerte gucken! (Interview mit der Support-Band Die Zelten! hier.)
Selbstverwirklichung an der Akademie: Ja, hurra! Freie Künste sind etwas Feines, sozusagen der Ursprung der modernen Ich-AG-Produktion: Es wird an sich und am eigenen Stil und schließlich der Verwertbarkeit von Image und Schöpfung gearbeitet, bis entweder davon gelebt werden kann – oder über andere geschrieben werden muss. Das ist natürlich bei allen äh Wissenschaften so, bei Bildender Kunst gibt es jenseits des Herbeizitierzwangs irgendwelcher „Vorbilder“ und „Inspirationen“ aber kaum irgendwelche Hemmnisse, einfach ganz in Leben und Werk aufzugehen. Zum Glück sind manche Künstler/innen sozusagen schizophrenie-fähig, sonst gäbe es nur noch Fulltime-Künstler auf der Welt, ganz Image, ganz unerschütterlich – und wenn was passiert da draußen: Schnell in Kunst und Aufmerksamkeit für eineN selbst umwandeln! Ts. Was war? Ach ja: Der Rundgang 2010 bei der Freien Akademie der bildenden Künste. Für Leute, die sich ganz zwanglos für die Kunst anderer Leute interessieren.
Nächste Woche: Was das alles mit dem sogenannten Kapitalismus zu tun hat und welche Formen von Währungen es sonst noch so geben könnte. (Mal sehen.)
Die Philharmonie in Essen ist eines der Vorzeigeprojekte im Ruhrgebiet, der Kulturhauptstadt Europas. Hochgelobt und hochgepriesen. Doch irgendwie ist es ruhig geworden um die „gute Stube“ Essens, seit Intendant Michael Kaufmann vor gut anderthalb Jahren rausgeworfen wurde. Warum?
Ich habe mir am Wochenende das Programm der Philharmonie angesehen. Das lag der WAZ bei. In dem Programm waren so ziemlich genau 20 Veranstaltungen in der Philharmonie. Grob überschlagen wird der Bau für diese Veranstaltungen 60 Stunden im Monat genutzt. An nur 15 Tagen wird die Philharmonie im März bespielt. Das bedeutet: jeden zweiten Tag passiert da gar nichts, außer dass die Bürger Essens für den Unterhalt zahlen. Weil geheizt werden muss ja. Ein schöner Saal, der zu oft leer steht.
Im Programm in der WAZ war das aber schön wegfrisiert. Die 15 Spieltage liegen ja nicht gleichmäßig verteilt über den Monat. Sondern die Veranstaltungen knubbeln sich an den Wochenenden. Damit dass dann nicht so aussieht, als passiert in der Philharmonie gar nichts, wurden beispielsweise in eine Wochenlücke ein bunter Platzhalter gesetzt. Dort stand dann, wie man Karten bei der Philharmonie kauft und so was. Schön groß und farblich und auffällig. Anderswo stand in einem Kästchen, was wie ein Programmpunkt, dass ein Konzert mit Barbara Sukowa ausfällt, für das im Internet noch geworben wird.
Und wenn man noch genauer hinschaut, sieht man, dass der Philharmonie Saal sogar nur vielleicht 14 mal für Philharmonische Konzerte benutzt wird. Die anderen sechs Veranstaltungen finden in einem kleineren Nebensaal statt oder es sind Führungen durchs Gebäude oder Events des Jugendamtes oder so Sachen wie der „Boogie Woogie Congress“
Kaufmann wurde damals geschasst, weil er seinen Etat angeblich überzogen hatte. Mir kam es so vor, als habe er dafür zumindest das Haus bespielt. Vielleicht hält heute sein Nachfolger den Etat ein. Dafür setzt aber eine Abwärtsspirale ein. Es wird weniger und weniger und das noch schlechter gemacht.
Damit ist das Haus kaum noch in der Lage, Geld über den Eintritt zu verdienen, um selbst die eigenen Kosten zu tragen. Das bedeutet, noch weniger Veranstaltungen und noch weniger Verdienst-Möglichkeiten können geschaffen werden. Wenn aber zu oft der Boogie Woogie Congress stattfindet, wird der Ruf des Hauses beschädigt, es kommen weitere billige Events – dafür aber irgendwann Anna Sophia Mutter nicht mehr. Ein Teufelskreis, den die Stadt Essen nur mit viel Geld durchbrechen kann, das sie aber offensichtlich nicht hat.
Mir graut vor dieser Lage. Zunächst wird das Problem zugekleistert, bis das Kulturhauptstadt-Jahr um ist. Die Philharmonie gilt immer noch als einer der wenigen Erfolge von Wolfgang Reiniger (CDU) und dessen immer noch amtierenden Stadtdirektor Christian Hülsmann (CDU). Und als einer der wichtigen Säulen der Hochkultur im Pott.
Nach dem Jahr aber geht es bergab mit der Philharmonie. Sie droht, kaputt gespart zu werden. Gott sei Dank wurde zumindest der Bau des nächsten Konzerthauses in Bochum bis auf weiteres abgeblasen. Das wäre die nächste Hochkulturruine geworden.
Ich kann heute die Leute gut verstehen, die sich gegen den Kaufmann-Rauswurf gewehrt haben. Ohne einen renommierten Spitzenmann kann eine Philharmonie schnell zur Halle für billige Volksbespaßung verkommen. Am Wochenende habe ich mit einem Kumpel drüber gesprochen. Der sagte den schönen Satz: „Die wollen Kulturhauptstadt machen, können aber gerade mal Kulturbeutel.“
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