Die Parteien konnten auch im Jahr 2009 mit dem Internet nicht viel anfangen. Aber die Online-Community begann Einfluss auf die Parteien auszuüben.
2008 schauten Wahlkampfmanager fasziniert in die USA. Obama, hatte die Präsidentenwahl auch im Internet gewonnen, dort die Spenden für seine Kampagne gesammelt und via Twitter engen Kontakt zu seinen Anhängern gehalten. Also rüsteten die Parteien digital auf: Die Internetseiten wurden erneuert, Facebook-Seiten eingerichtet und die SPD startete sogar ein iPhone-App um die weniger werdenden Anhänger in den Wahlkampf einzubinden. Zeitweise hatte man den Eindruck als ob alle Parteimitglieder den Tag nur noch twitternd verbringen würden. Vor allem vor der Europawahl war das digitale Engagement groß. Das Internet wurde von den Parteien vor allem als PR-Plattform wahrgenommen, über die man noch den größten Schwachsinn verbreiten konnte. Einer der absurdesten Twitter-Feeds die ich in dieser Zeit gelesen haben war "Martin Schulz hat das Tempodrom zum Kochen gebracht!" Martin Schulz? Schon heute weiß kaum jemand mehr wer das ist und zum Kochen hat der in seinem Leben höchstens das Wasser in einem Nudeltopf gebracht.
Die Union war die ganze Zeit etwas zurückhaltender um fremdelte mit dem für sie neuen Medium – eher lieblos machte man was online weil man online was machen musste. Einen Blumentopf wollte man erst gar nicht gewinnen und bei der Digital-Politik der CDU war wohl auch den Wahlkamfmanagern klar, das die Investitin in Gratis-Streuselkuchen für Senioren rentierlicher sein würde.
Trotzdem wurden die Online-Schritte der Parteien von vielen Anfangs mit Wohlwollen betrachtet. Sie gaben sich teilweise zumindest Mühe. Womit niemand, vor allem bei den Parteien, nicht gerechnet hatten war, dass die umworbene Online-Community selbst das Thema setzen würde, dass im Internet den Wahlkampf und das Ansehen der Parteien bestimmt hat.
Sicher hat Don Alphonso recht, wenn er schreibt, dass die Frage der Netzsperren ein randständiges Thema war und ist, das an großen Teilen der Bevölkerung vorbeigeht, – aber an der ging in diesem Jahr ohnehin alles vorbei. Dafür dass wir 2009 in der schwersten Wirtschaftskrise seit dem zweiten Weltkrieg steckten – deren Folgen wir noch viele Jahre spüren werden – wurde im Wahlkampf kaum über Politik diskutiert. Der Kuschelwahlkampf 2009 mit einer in sich ruhenden Kanzlerin auf der einen und einem blassen SPD-Kandidaten auf der anderen Seite, war einer der verpassten Chancen: Wann, wenn nicht 2009 hätten die Parteien die Unterschiedlichkeit ihrer Programme im Wahlkampf besser herausarbeiten können? Stattdessen wurde getwittert und gefacebooked was das Zeug hielt.
In diesen inhaltsleeren Raum stieß die Debatte um die Netzsperren hinein – und die Online-Community berauschte sich an ihrer eigenen Stärke: Im Sekundentakt wurde via Twitter die Zahl der Unterschriften unter der E-Petition von Franziska Heine bekannt gegeben und sie stieg in bis dahin unbekannte Höhen: 134.015 Menschen hatten bis zum 16. Juni gegen den Netzsperren unterschrieben.
Erst erwischte der Protest die Union. Aus Ursula von der Leyen wurde Zensursula und auch viele Sozialdemokraten schlossen sich dem Protest gegen die Netzsperren und dem Bashing von der Leyens an – bis sie erstaunt feststellten, dass die eigene Partei ja mit am Kabinettstisch saß und die SPD-Minister die Netzsperren-Beschlüsse mit trugen. Auf dem SPD-Parteitag im Juni wurde ein Antrag von Björn Böhning das Netzsperren-Gesetz nicht zu unterstützen noch nicht einmal diskutiert.
Nun traf der Zorn der Netzes mit voller Wucht die SPD. Wer hat uns Verraten? Sozialdemokraten! Nunja, es scheint so zu sein dass diese Erfahrung jede Generation immer wieder neu machen muss. Dass die SPD dann in der Opposition ihre Positionen revidiert ist auch nicht neu und lässt nicht die geringsten Rückschlüsse auf künftiges sozialdemokratischen Regierungshandel zu.
Aber zu diesem Zeitpunkt war es gelungen, dass ein eher randständiges Thema auf einmal breit diskutiert wurde. Die Piratenpartei geriert nach ihrem Überraschungserfolg bei der Europawahl in den Blickpunkt der Medien. Sicher, viele, die heute bei den Piraten rumlaufen, sind mit dem Begriff Irre noch freundlich beschrieben – Kinderschänder, nur halbwegs verkappte Rechtsextreme und viel andere Spinner sammeln sich bei den Piraten – aber das gab es dass auch alles in den Anfangstagen bei den Grünen und selbst die SPD hat als Chaostruppe angefangen und ihren ersten Vorsitzenden bei einem Duell um das Herz einer attraktiven Dame verloren. Wohin sich die Piraten entwickeln wird sich zeigen: Gelingt es ihnen sich schnelle von den Irren und Trittbrettfahrern zu trennen und den langen Atem aufzubringen, den der Aufbau einer Partei mit allen Diskussionen und Rückschlägen erfordert könnten sie die Partei sein, die das Thema Digitalisierung so in die Politik einführt wie es den Grünen mit der Ökologie gelungen ist.
Ein Hauptproblem, und auch da muss man Don Alphonso schon wieder recht geben, ist, dass im Internet nicht intensiv genug über andere politische Themen diskutiert wird und das ist auch selbstkritisch gemeint: Wir haben viele Themen in der Vergangenheit einfach nicht beachtet. Das wird sich ändern. Blogs sind bis heute was ihre Themen betrifft in hohem Maße selbstreferentiell: Irgendein neues Feature auf Twitter oder lustiges Muppetvideo rocken die deutschsprachige Blogszene. Afghanistan? Erhöhung der Sozialbeiträge? Alles irgendwie nicht ganz so spannend und irgendwie vielleicht auch viel zu kompliziert.
In diesem Jahr ist es gelungen Themen wie die Netzsperren auf die Agenda zu setzen und das nicht ohne Erfolg: Die Netzsperren sind ausgesetzt, FDP und Grüne haben das Thema Freiheit im Internet für sich erkannt. Prima. Aber das kann alles nur der Anfang gewesen sein. Die Bedeutung der Zeitungen nimmt ab – ich kann nicht sagen dass mir das gefällt und ich das ohne Sorgen sehe, aber es ist nun einmal so. Blogs könnten einen Beitrag leisten sie zu ersetzen – als Medium dass Diskurse anstößt und ihnen den nötigen Raum gibt. Ob das klappt? Wir werden es sehen, aber wir haben es selbst in der Hand.