Billers Beschwerden


Es ist das Schicksal des Maxim Biller, dass ausgerechnet sein bestes Buch Esra vor einigen Jahren vom Bundesverfassungsgericht verboten wurde. Weder vorher noch nachher ist dem in Prag geborenen Autor ein vergleichbares Werk gelungen. Nun legt Biller sein neues Werk vor: „Der gebrauchte Jude“. Eine Kritik.

Als Maxim Billers erster Roman Die Tochter im Jahr 2000 im Literarischen Quartett vorgestellt wurde, charakterisierte Marcel Reich-Ranicki den Sohn russischer Emigranten als einen „unerhört aggressiven, provozierenden Autor“. Seine journalistischen Texte seien intelligent geschrieben und, was nicht als Kompliment zu verstehen sei, durch „große Aggressivität“ gekennzeichnet. Gemeint war Billers inzwischen geradezu legendäre Kolumne 100 Zeilen Hass in der mittlerweile eingegangenen Monatszeitschrift Tempo. Dass Maxim Biller seitdem nur unwesentlich umgänglicher geworden ist und nach wie vor nur allzu gerne provoziert, belegt sein neues Buch Der gebrauchte Jude. In diesem an eine Autobiografie erinnernden Selbstporträt beschreibt der Autor, wie er zu der Person wurde, die er heute ist. Dabei dauert es nicht lange, bis Biller die Unmöglichkeit erwähnt, als Jude in Deutschland ein glückliches Leben zu führen.

„Ich merkte nicht, dass ich als Deutschenhasser benutzt wurde“, schreibt er rückblickend über seine Arbeit als Journalist. Man habe ihm die 100 Zeilen Hass angeboten, um aus ihm einen jüdischen Nazi zu machen, „in dessen publizistischer Lederjacke zwei Hass-Runen eingenäht sind“. Dass Biller, sollte seine Vermutung überhaupt zutreffend sein, diese Rolle nur zu gerne ausfüllte, scheint er dabei komplett auszublenden. Stets sind es „die herzlosen Deutschen“, die ihn von Beginn an bestenfalls ignoriert, erfahrungsgemäß aber instrumentalisiert, marginalisiert und diffamiert hätten.

Eine scheinbar unbedeutende Anekdote indes verrät mehr über den Charakter des Schriftstellers, als ihm womöglich recht ist. Als Biller im Sommer 1980 für drei Wochen in einen Kibbuz geht, wird er nach wenigen Tagen rausgeschmissen, weil er sich weigert, um fünf Uhr morgens aufzustehen und arbeiten zu gehen. Billers Reaktion auf den Rauswurf spricht für sich: Um sich zu rächen, pinkelt er, trotzig wie ein Kleinkind, in den kibbuzeigenen Zitronenhain und verschwindet. Seit dieser Szene sind fast drei Jahrzehnte vergangen, doch das Prinzip Biller funktioniert immer noch nach diesem Muster. Erst stößt er jemandem vor den Kopf, woraufhin dieser naturgemäß mit Ablehnung reagiert, worauf Biller wiederum aus einem Gefühl der Beleidigung heraus sein Gegenüber zu verletzen versucht. Hält er sich dann auch noch in Deutschland und nicht in Israel auf, steht für ihn fest: Derjenige, der ihn kränkt, muss Antisemit sein. Man weise ihn ab und begegne ihm mit Geringschätzung, weil er Jude sei und es ihn in Deutschland eigentlich gar nicht geben dürfe, so erklärt er sich die Welt und seine missliche Lage. Aus diesem Grund küssen die Mädchen an der Universität, stets „groß, deutsch und zu Hause ein Bett aus Daunen“, auch nicht ihn, sondern lieber ihre deutschen Freunde. Dabei gibt Biller an anderer Stelle zu: „Ich bin Jude, weil ich eines Tages merkte, wie sehr es mir gefällt, die anderen damit zu verwirren, dass ich Jude bin.“

Die Lektüre von Philip Roths Roman Portnoys Beschwerden erlebt der junge Biller als eine Art literarisches Erweckungserlebnis: „Ich konnte es nicht glauben. Es gab wirklich Menschen auf der Welt, die genauso nervös, witzig und tyrannisch waren wie meine eigene Familie, und man schrieb Bücher über sie.“ In den Geschichten des amerikanischen Romanciers erkennt er die Möglichkeiten der eigenen literarischen Arbeit. „Warum schrieb ich nicht über so was?“, fragt er sich und verfasst seitdem in Roths Stil Geschichten, die in jüdischen Kreisen spielen. Wie in den Romanen seines Vorbilds hadert auch Biller mit seiner jüdischen Identität und den Meschuggas seiner Familie. Indes: Auch wenn der Autor sich als deutscher Philip Roth geriert, trennt beide ein unüberbrückbarer Gegensatz: Denn was beim amerikanischen Großmeister der Beschreibung existenzieller (jüdischer) Krisen stets originell und trotz der Schwere seiner Themen ungemein leicht daherkommt, klingt bei Biller nicht selten bemüht und unbeholfen. Bei der Lektüre seines Selbstporträts drängt sich einem unweigerlich das Gefühl auf, dass sein Plan als Schriftsteller einzig und allein darin besteht, die Nöte der Figuren Roths auf deutsche Verhältnisse zu übertragen. In Der gebrauchte Jude vermögen lediglich die Passagen beim Leser auf Anhieb einen Sog zu entwickeln, in denen Biller seine Begegnungen mit Henryk M. Broder, Rachel Salamander oder Marcel Reich-Ranicki beschreibt. Allerdings liest man diese Schilderungen mit demselben Gefühl, mit dem man beim Hausarzt Personality-Magazine durchblättert: Man möchte mehr vom Leben der Prominenten erfahren. Große Literatur ist es deshalb noch lange nicht.

Maxim Biller: Der gebrauchte Jude. Selbstporträt. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2009, 174 S., 22,90 €

Die Rezension erschien auch in der Wochenzeitung „Jüdische Allgemeine“.

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Steuersünder sind nervös

Ich habe mich vor ein paar Tagen etwas länger mit einem Steuerberater unterhalten. Ich traf ihn auf einer Party. Er arbeitet bei einer großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in Frankfurt und er sagte, er hätte im Moment eine Menge zu tun: Viele der Mandanten seiner Gesellschaft seien wegen der Steuer-CDs ziemlich nervös.

Sie haben Geld auf Schweizer-Konten. Und sie haben die Kohle nicht versteuert. Jetzt wollen sie wissen, was sie machen müssen, um ihren Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Steuern hinterziehen ist in ihren Kreisen ein Kavaliersdelikt – eine Vorstrafe hingegen gilt als eher unflott. Und teuer wird es auch, wenn zu den nachzuzahlenden Steuern noch die Strafe draufkommt,

Der Steuermann rät ihnen natürlich zur Selbstanzeige, wobei genau dieses Wort im Gespräch mit dem Finanzamt nie fallen darf. Der Steuerhinterzieher, so erklärte er mir, darf nie sagen, dass er Steuern hinterzogen hat und sich jetzt selbst anzeigen möchte. Er muss so tun, als ob er vergessen hat, etwas anzugeben: Ein paar Millionen auf einer Bank in der Schweiz zum Beispiel.

Was den Berater verwundert ist, dass auch angesichts der drohenden Strafen fast alle noch versuchen zu zocken und nicht alles angeben wollen. Davon etwas zu verstecken rät er seinen Mandanten allerdings ab – wer sich jetzt beim Finanzamt meldet, müsse die Hosen runterlassen. Ganz. Auch die Unterhose. Sonst werden die nämlich verdammt sauer – und bei allen, die jetzt auf einmal noch ein paar Millionen finden, werden sie sehr genau nachschauen. Beim Finanzamt, das sollte man nie vergessen, arbeitet die Elite des öffentlichen Dienstes. Mit denen bei der Arbeitsagentur sollte man sie nicht verwechseln.

Er sagt, er erklärt ihnen immer, dass Steuern dazu gehören, dass man sich an die Gesetze des Landes, in dem lebt, halten muss und wenn man findet, dass die Steuern zu hoch sind man sich dafür einsetzen muss, dass sich das ändert: Auf dem politischen Weg. Nicht auf kriminellem. Er sagt aber auch, dass er seine Mandanten damit nicht wirklich überzeugen kann. Der Mann mit dem ich mich unterhalten habe verdient nicht schlecht, aber im Vergleich zu seinen Mandanten natürlich nur Peanuts, Und irgendwie klang er schadenfroh.

Zowislo neuer Klartext Co-Chef

Der Essener Klartext Verlag bekommt einen zweiten Geschäftsführer. Gemeinsam mit dem Verlagsgründer Ludger Claßen wird Stefan Zowislo künftig  Klartext leiten.

Stefan Zowislo, bei der WAZ Mediengruppe Leiter des Bereichs Marketing & Event, trat im Sommer als OB KAndidat für die CDU in Mülheim gegen die Amtsinhaberin Dagmar Mühlenfeld (SPD) an und unterlag.   Wie die WAZ-Gruppe mitteilt, soll der der Klartext Verlag, der seit 2007 zu WAZens  gehört, in Zukunft stärker am Buchmarkt positioniert werden: „Künftig erscheint das umfangreiche Verlagsprogramm in vielen Regionen neu am Markt und wird über das Ruhrgebiet hinaus beworben.“

Unter der Leitung von Claßen wurde der 1983 gegründete Klartext Verlag zum wichtigsten Buchverlag des Ruhrgebiets. Über 100 Bücher verlegt Klartext im Jahr. Neben populären Bildbänden und Revierführern erscheinen in dem Verlag auch zahlreiche historische und wissenschaftliche Werke.

Pro Unfug – Widerstand gegen Uhlenberg-Jury für Ehrenruhri

Foto: Umweltministerium / Der Umweltminister Eckhard Uhlenberg (CDU) steht links

Bei der RuhrStadt-Initiative sorgt die Benennung von NRW-Umweltminister Eckhard Uhlenberg (CDU) zum Chef der Jury für die Auswahl des Ruhrgebiets-Ehrenbürgers für Unruhe.

Besonders unter Ruhrgebiets-Unternehmern stößt die Personalie auf. Zur Erinnerung, der Verein Pro Ruhrgebiet hat ausgerechnet den CDU-Wahlkämpfer aus Werl/Soest/Sauerland zum Kopf der Kommission gemacht, die einen Mann oder eine Frau aussuchen soll, die außergewöhnliches für die Integration des Ruhrgebiets geleistet hat. Werl gehört nicht zum Ruhrgebiet und Soest, wo der gelernte Landwirt Uhlenberg der Ehrenvorsitzende des CDU-Kreises ist, ist gefühlt schon Sauerland. Zumindest aus der Sicht des Reviers.

Nach Ansicht von Peter Krämer, führender Aktivist der RuhrStadt-Initiative ist diese Personalie suboptimal.

Der Titel Ehrenbürger, wenn auch in diesem Fall ‚nur’ von einem Verein einer Unternehmergruppe verliehen, dafür aber konkurrenzlos in RuhrStadt, sollte ernsthaft intern diskutiert und entschieden werden. Ein Externen als Chef des Gremiums erweckt den Eindruck, wir könnten es nicht alleine. Dabei wollen wir doch Weltstadt werden oder eigentlich schon sein.“

Damit aber nicht genug. Meiner Ansicht nach ist auch die parteipolitische Aufladung durch den Wahlkämpfer Uhlenberg eigentlich nicht hinnehmbar. Wie soll der Mann, der gerade für die schwarz-gelbe Mehrheit in NRW streitet, unabhängig einen Ehrenbürger für das Ruhrgebiet wählen. Im Zweifel müsste doch der CDU-Mann Uhlenberg die Interessen seiner Sauerländer Freunde vertreten. Und die sind im Zweifel gegen das Revier gerichtet. Zumindest kam in der Vergangenheit immer aus der Ecke Widerstand gegen jede Anstrengung, einen einheitlichen Bezirk oder eine Metropole Ruhrgebiet zu schaffen.

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Bizarre Vorwürfe gegen Soldaten

Heute laufen Meldungen durch die Gazetten und das Netz von Soldaten. Von Soldaten, die einem bizarren Kult frönen. Die Rede ist von Mißhandlungen und Demütigungen, von Dreck und Schmutz. Ich war überrascht. Nach den Geschichten aus Coesfeld im vergangenen Jahr hatte ich gedacht, die Armee hätte den Schmutz überwunden.

Dann habe ich mir die Vorwürfe mal genauer angesehen und nachgedacht. Die Rekruten des Gebirgsjägerbataillon 233 sollen gezwungen worden sein, Rollmöpse mit Frischhefe zu essen und rohes Fleisch. Zudem sollen sie unter Zwang Alkohol getrunken haben, bis zum Erbrechen.

Na und? Ich meine, im Kegelklub „Alle Neune“ aus Wanne Eickel trinken die auch jeden Freitag Alkohol, manche bis zum Kotzen, und wer nicht mitmacht wird ausgelacht. Rohes Schweinefleisch habe ich fast jeden Morgen auf meinem Brötchen. Das nenne ich Mett. Ist zwar nicht supergesund – aber lecker. Und Rollmöpse gekotzt, kitzeln in der Nase, aber ein Verbrechen ist das deutsche Sushi auch nicht.

Wenn man der russischen Armee mit solchen Kinkerlitzchen kommt, lachen die sich kaputt. Die schlagen in der Ältestenherrschaft die jungen Rekruten schon mal tot. Bei uns müssen die Armen saufen. Das zählt da als Belohnung.

Damit wir uns richtig verstehen. Erniedrigungen und Entwürdigungen sind tabu. Das ist kein Spaß. Wir wollen keine Tötungsmaschinen, sondern Bürger in Uniform. Aber trotz allem ist auch die Bundeswehr eine Armee. Die Soldaten sollen im Ernstfall einen Feind mit dem Bajonett niederstechen. Da darf man auch annehmen, dass die mal in eine rohe Schweineleber beißen können. Auch diese Aufnahmerituale sind bis zu einem bestimmten Grad OK. Die gibt es länger als jede Armee. Wenn jemand anerkannter Zimmermann werden will, muss der sich einen Nagel durch das Ohr schlagen lassen. Wer vernünftiger Drucker sein will, muss in ein Fass mit Schwärze tauchen. Ein Gebirgsjäger muss Rollmops kotzen. Ja mey… Ist zwar ziemlich seltsam, aber jetzt auch nicht so schlimm. Bis jetzt habe ich keine Vorwürfe gesehen, die ich richtig schlimm fand. Klar kann sich das ändern, aber im Moment ist da viel Geschrei, mehr nicht. Es geht darum, das Maß zu halten. Sollte es überschritten worden sein, muss man einschreiten. Ansonsten gilt es auch in der Empörung nicht zu überziehen.

Auch dieses Fuxzeug finde ich jetzt nicht wirklich Bahhh. Dass also der Neue erstmal der Arsch für die Älteren ist. Klar, der Knabe muss erstmal zeigen, wer er ist, was er drauf hat. Das ist auch bei einem Fußballverein so. Da wird auch nicht direkt der Neuling zum Kapitän gewählt. Bei den Soldaten kommt erschwerend hinzu, dass die sich auf ihre Leute verlassen müssen, wenn es zum Töten kommt. Da will ich auch wissen, wie der säuft, oder? Eine Armee aus protestantischen Pietisten braucht doch auch keiner.

In der Werkstatt von meinem Kumpel haben sie früher den neuen Kollegen Schmirgelpapier auf das Butterbrot getackert. Die haben Schuhe angenagelt. Die haben mit Druckluftbolzen rumgeballert. Das sind Jungs. Die machen sowas.

Nochmal, eine Erniedrigung, wie in Russland oder in Coesfeld ist sicher schlimm und nicht vertretbar. Aber Saufen bis zum Kotzen ist gerade noch OK. Da gibt es sicher Namen für, Treppensaufen oder was weiß ich. Das machen viele freiwillig. Das kann sogar lustig sein.

Ich hab übrigens damals verweigert. Das geht heute noch. Niemand muss zur Bundeswehr, wenn er nicht will.

Was sagen die Soldaten in den Blogs und Foren dazu? Bisher hab ich so wenig gesehen, dass ich als Ungedienter eine Lanze für die Armee brechen muss.