Anfrage-Email wird im Uhlenberg-Untersuchungausschuss verteilt

Foto: Umweltministerium / Uhlenberg steht links

Am Freitag tagte im Düsseldorfer Landtag der Uhlenberg-Untersuchungsausschuss zur Affäre Friedrich. Es geht dort darum, zu klären, ob es politische Hände gab, die das Monsterverfahren anschoben und deckten. Am Freitag wurde der Zeuge Markus Fliege vernommen. Das ist der Pressesprecher von NRW-Umweltminister Eckhard Uhlenberg. Zu meiner Überraschung hat sich Fliege über mich beschwert und meine Rolle in dem Verfahren, wie mir mehrere Gewährsleute berichteten. Er brachte eine Email von mir mit einer meiner Anfragen vor. Der Untersuchungsausschuss wurde unterbrochen. Man überlegte, ob man diese Email beschlagnahmen soll. Das ginge nicht, entschieden die Parlamentarier und ließen sich die Email von Fliege zu Protokoll vorlesen.

Ich halte das für eine nicht ganz so glückliche Idee. Hätte man mich gefragt, ich hätte die Email gerne allen Interessierten in die Hand gegeben oder persönlich zugestellt. Denn mich interessieren die Antworten.

Es geht in der Email-Anfrage um den Anfang des Ermittlungsverfahrens gegen Harald Friedrich.

Nach den Unterlagen, die mir vorliegen, ging es so los. Harald Friedrich wurde am 16. Juni 2006 gefeuert. Darüber unterrichtete Umweltstaatssekretär Alexander Schink in einem persönlichen Vermerk detailliert seinen Minister Eckhard Uhlenberg am 18. Juni. Auf Seite zwei des Vermerks, im letzten Absatz, wird eine Sprachregelung festgelegt. Hier gibt es den Vermerk zum runterladen. Klick.

Demnach soll die Kündigung nicht aktiv kommuniziert werden. Nur wenn es Nachfragen gibt, soll gesagt werden, dass wegen Dienstvergehen Friedrich gefeuert wurde. Erst am „Mittwoch“ sollen die Dienstvergehen – vulgo: alle möglichen Gerüchte – „näher konkretisiert“ werden.

Ich frage mich, ob dahinter die Absicht steckte, eine Rufmordkampagne über die Presse geschickt zu lancieren. Vielleicht sogar die Idee, über die Presse eine Anzeige an die Staatsanwaltschaft zu stellen, so dass sie später Ermittlungen aufnehmen muss.

Der Verdacht, dass diese Vermutung nicht ganz aus der Luft gegriffen sein muss, lässt sich anhand der folgenden Abläufe erhärten. Noch im Juni berichteten zunächst ein Kollege vom Kölner Staatanzeiger und dann ich in der Welt am Sonntag über die Angelegenheit. Nachdem nichts passierte, legte die Bild-Zeitung am 12. Juli mit der gleichen Geschichte nach. Die Nachrichtenagentur dpa faxte die Berichte dann an die Staatsanwaltschaft Düsseldorf und fragte nach, ob Ermittlungen aufgenommen werden sollten. Der Staatsanwalt verneinte und sagte sinngemäß, es müsse abgewartet werden, ob das Umweltministerium eine Anzeige stellt. Dann sprach das LKA mit dem Ministerium und das Ministerium stellte seine erste Anzeige. Eine eindeutige Korruptionsanzeige. Zwei weitere Anzeigen folgten. Unterlagen, die diesen Ablauf beweisen, liegen mir vor.

Vor dem Landtag behauptete Umweltstaatssekretär Schink später, nichts von dieser ersten, der Korruptionsanzeige gewusst zu haben. Nur die beiden folgenden bestätigte er.

Weil er dachte, die Intrige über die Presse habe funktioniert, er habe über die Presse die erste, die Korruptionsanzeige lanciert, ohne selbst in den Büchern aufzutauchen?

Ich habe den Pressesprecher von Uhlenberg und Schink, Herrn Fliege, danach gefragt – und zwar so:

 

Gesendet: Mittwoch, 4. November 2009 20:47

 

An: Fliege, Markus

Sehr geehrter Herr Fliege,

Im Zusammenhang mit dem Untersuchungsausschuss im NRW-Landtag habe ich folgende Fragen an Sie:

– trifft es zu, dass Sie ab dem 19. Juni 2006 auf Nachfrage erklärt haben, Herr Friedrich sei vom Dienst suspendiert worden?

– trifft es zu, dass es zu der Suspendierung eine mit der Hausspitze abgestimmte Sprachregelung gab? (siehe dazu persönlichen Vermerk STS Schink an Minister Uhlenberg zu Suspendierung Friedrich)

– trifft es zu, dass diese Sprachregelung hieß, Herr Friedrich sei aufgrund von "Dienstvergehen" suspendiert worden?

– trifft es zu, dass Sie ab dem 21. Juni auf Anfrage zudem sagten, wie es mit der Hausspitze abgestimmt war, bei den angeführten Dienstvergehen habe es sich unter anderem darum gehandelt, dass Herr Friedrich Vergaben an die TH Aachen verschoben habe, wo er auch Vorträge hielt? Und er zudem bei mindestens einer Einstellung geschummelt habe, oder wenigstens eine Festplatte aus einem Dienstcomputer mit nach Hause nahm?

– trifft es zu, dass Sie die Quelle sind für die entsprechenden Angaben in den Artikel des Kölner Stadtanzeigers vom 23. Juni 2006, der WAMS vom 25. Juni 2006 und der Bild vom 12. Juli 2006?

– warum haben sie das getan? Sollten Strafermittlungen gegen Herrn Friedrich über die Presse provoziert werden?

Ich bedanke mich schon jetzt für Ihre Auskünfte, die ich in der aktuellen Berichterstattung berücksichtigen möchte.

mit freundlichen Grüßen

Diese Frage hat Pressesprecher Fliege im Landtag vorgelesen. Ich warte noch auf Antworten. Wo bleiben sie?

Ich habe schon öfter über den Skandal berichtet. Hier gibt es mehr zum Thema:

LKA-Vermerk aus dem Uhlenberg-Ausschuss: “Hat Frau Delpino die Ermittlungen geführt?”

Uhlenberg-Skandal wird richtig übel

Dubiose Belastungszeugin präsentiert dubiose Belege

Der Untersuchungsausschuss “Uhlenberg” hat viel zu tun

Die Akte F – wie das NRW-Umweltministerium einen Ex-Mitarbeiter verfolgt

Berichte aus dem Sumpf, in dem Uhlenberg und das LKA sitzen

Abhörskandal im PFT-Fall

Mega-Lauschangriff in NRW

Der Fall F. – Ministerium erhält Einblick in Ermittlungsakte

Offene Akten für die Belastungszeugin

Verfahren Harald F – Pleite für die Staatsanwatschaft dräut

Das Ende des unbekannten Kompetenz-Zentrums

Eine Ära geht zu Ende. Eine Ära allerdings, von der kaum jemand etwas wird bemerkt haben: das ECMC  in Marl wird geschlossen.  Nach dem  kommenden Jahr wird es ein Teil des Adolf Grimme Instituts sein.

Als das ECMC, das Europäische Zentrum für Medienkompetenz, 1997 gegründet wurde, war es ein Kind des Zeitgeistes. Was heute die Kreativwirtschaft ist, der Hoffnungsträger für die wirtschaftliche Erneuerung des Ruhrgebiets, war damals die Medienwirtschaft. Ganz wuschig wurden die damaligen Wirtschaftsförderer bei dem Gedanken an Fernsehsender und neue Medien. Denn NRW unter Wolfgang Clement sollte das Medienzentrum Deutschlands werden. In Köln errichteten sie den Mediapark, die dortige Stadtsparkasse ruinierte sich fast bei der Finanzierung des Senders VOX und am Medienhafen in Düsseldorf siedelte sich der TV Sender Nickelodeon an. Klar, dass das Ruhrgebiet auch bei dieser Entwicklung nicht abseits stehen durfte, auch wenn es eher die Krümmel vom Kuchen waren, auf die man hoffte. In Dortmund entstand mit Steuergeldern ein komplettes Fernsehstudio im Technologiepark, im Stiftsgebäude in Hörde siedelte sich Sat 1 an, und dort unternahm Verona Feldbusch ihre ersten stöckelnden Schritte hinein in die TV-Welt und sogar ein bundesweiter Musiksender sendete ab 1996 aus der ehemaligen Stahl und Bierstadt: Onyx, der einzige Musiksender, der sich der Förderung des deutschen Liedgutes widmete – ein Schlagersender. Dem hielt es allerdings nicht lange in Dortmund: schon 1999 verabschiedete man sich und zog nach Köln. "Wir wollen dahin, wo die Musik spielt", so der damalige Geschäftsführer.

Auch in Essen setzte man auf das Fernsehen. Die WAZ richtete ein komplettes Fernsehstudio ein, leistete sich einen Fernseherbeauftragten und auch freie Produktionsgesellschaften siedelten sich an. So mancher Witwenschüttler betrieb sein Geschäft in den folgenden Jahren vom Standort Essen aus.
In Bochum gab man sich hingegen ganz innovativ und setzte auf ein damals ganz neues Segment: TV Shopping. Man hoffte auf die Ansiedlung des US Kanals QVC, der allerdings sein Studio in Düsseldorf eröffnete. Nur das noch unglamouröse Call Center ist bis heute dem Standort Bochum treu geblieben. Von hier aus werden noch immer schlaflose Rentner betreut, die sich mitten in der Nacht via Telefon mit Billigschmuck, Ramschhandys oder Heizkissen eindecken.

In dieser Zeit fiel auch die Gründung des ECMC.  Es hatte 1997 gleich zwei Funktionen zu erfüllen: zum einen galt es, die damals bei den Marler Kommunalpolitikern noch lebendige Ideen von Marl als Medienstadt nicht ganz untergehen zu lassen und mithilfe des ECMC in die ebenso gegenstandslose Vorstellung von Marl als Stadt der Medienkompetenz zu transferieren. Zum anderen sollte das ECMC den Wandel Nordrhein-Westfalens zum Medienstandort wissenschaftlich begleiten.  Irgendwas mit Internet und neuen Medien sollte das Hauptthema werden. Dass dies zu keinem Zeitpunkt ganz ernst gemeint war, zeigte damals schon eine Auswahl des ersten Geschäftsführers Klaus Klenke. Der kam um Radio, war mit VOX gescheitert und hatte vor allem gute Kontakte zu Wolfgang Clement.  Von neuen Medien hatte Klenke ungefähr so viel Ahnung wie ein militanter Veganer von der Zubereitung eines herzhaften Gulasch. Die Frage, was ihn zur Übernahme dieses Postens qualifiziere, beantwortete er damals via Fax mit einem selbstgemalten Smiley.

Nun wird das ECMC zu einem Teil des Adolf Grimme Instituts und beendet damit seine ohnehin überflüssige Existenz. Noch nicht einmal für einen eigenen Wikipediabeitrag hat es gereicht – zu unspektakulär waren die Aktionen und Arbeitsergebnisse des Zentrums. Und auch vom Medienstandort Ruhrgebiet, ja NRW, spricht kaum einer mehr, wenn es um den Aufbruch zu neuen wirtschaftlichen Ufern geht. Vox ist kaum mehr als eine Abspielstation von Kochsendungen und drittklassigen Spielfilmen, der damals mit viel Trara gegründete Musiksender Viva längst ein Ableger von MTV und die paar Fernsehproduzenten, die es noch im Ruhrgebiet gibt, interessieren schon lange niemanden mehr.

Denn längst wird nicht mehr die Sau Medienwirtschaft durch Dorf getrieben – ein neues Ferkel mit niedlicher Steckdosennase und rosaner Haut ist der neue Liebling von Medien, Politik und Wirtschaftsförderungen: die Kreativwirtschaft. Der Hype steigert sich seit Jahren und wird im kommenden Jahr im Zeichen der Kulturhauptstadt 2010 seinen Höhepunkt erreichen. Die Kreativwirtschaft soll Arbeitsplätze bringen, bei der Sanierung von heruntergekommenen Stadtteilen helfen und der Region zu neuem Glanz verhelfen. Es braucht keine sonderlich ausgeprägten Wahrsagerischen um heute schon vorauszusehen, dass ihr die Zukunft bevorsteht, welche die Medienwirtschaft hinter sich hat. In zehn Jahren wird kaum jemand im Ruhrgebiet noch von der Kreativwirtschaft sprechen und ob es da noch das von Dieter Gorny gerade gegründete Kreativwirtschaftsinstitut noch geben wird, ist mehr als fraglich. Zu offensichtlich sind die Parallelen der beiden Entwicklungen. Heute wie damals wird ohne Berücksichtigung der vorhandenen Strukturen mit viel Geld und importierten Möchtegern-Experten ein Spektakel veranstaltet. Mit dem Ruhrgebiet, seinen Chancen und Defiziten hat das nicht viel zu tun. Mich ärgert es noch nicht einmal mehr dass wir wieder einmal den Hintergrund für die Subventionierung umherziehender Beratern liefern dürfen.  Nur dass ich sie und ihre Konzepte ernst nehmen soll, kann niemand verlangen.

Die Kafka-Falle in NRW: Was abgehört wird, verschwindet selten. Löschknopf fehlt

Foto: Flickr.com / sunside

Nach meinen Recherchen scheint es, als hätten die Polizei- und Justizbehörden in Nordrhein-Westfalen ein echtes Problem den gesetzlichen Anforderungen zur Löschung von Telefonüberwachungen nachzukommen. Wie das Innenministerium auf meine Anfrage bestätigte, gibt es bis heute bei den elektronisch aufgezeichneten Gesprächen keine Softwarelösung, um einmal gespeicherte Unterhaltungen aus dem „Kernbereich der privaten Lebensführung“ dauerhaft zu entfernen. Dabei ist das seit dem 1. Januar 2008 gesetzlich vorgeschrieben. Es fehlt schlicht der Löschknopf in den Systemen der Überwachungsbehörden. Eine Situation wie aus einem Kafka-Roman.

Jeder, der einmal in das Netz einer Schleppfahndung per Telefon geraten ist, muss damit rechnen, dass seine Gespräche mit Ärzten, Pfarrern, Parlamentariern oder Rechtsanwälten auf den Servern der Behörden liegen. Egal ob es sich um Terroristen oder zu unrecht verfolgte Bürger handelt. Dabei müssen laut Gesetz Gespräche, die das intimste eines Menschen berühren "unverzüglich" gelöscht werden. Aber stattdessen lagern die Sachen in NRW monatelang oder ewig auf den Rechnern der Ämter.

Nach Auskunft des NRW-Justizministeriums wurden im Jahre 2007 in 627 Ermittlungsverfahren Telefone überwacht. Im Jahre 2008 waren es 578 Verfahren. In den letztgenannten Verfahren wurden 1.706 Telefone abgehört. Zahlen für das laufende Jahr 2009 liegen noch nicht vor.

Da ein Löschknopf fehlt, würden alle notwendigen „Löschungen mit hohem personellem und zeitlichem Aufwand manuell in den Erfassungssystemen vorgenommen“, sagte eine Sprecherin des zuständigen Landesamtes für Zentrale Polizeiliche Dienste. Und weiter heißt es: „Die nordrhein-westfälische Polizei hält bei der Telekommunikationsüberwachung alle rechtlichen Vorgaben strikt ein.“

Doch so ganz scheint das nicht zu stimmen. Es geht um Spitzfindigkeiten. So weigert sich das Justizministerium mitzuteilen, in wie vielen Fällen überhaupt Gespräche gelöscht wurden, die zu Unrecht aufgezeichnet wurden. „weil dies eine händische Auswertung zahlreicher Akten bei sämtlichen Staatsanwaltschaften des Landes voraussetzen würde, die in Anbetracht von deren Arbeitsbelastung nicht zu leisten ist.“

Stattdessen heißt es, die Pflicht zur „unverzüglichen Löschung“ hätte zunächst der abhörende Polizist. In Zweifelsfällen würden diese sich an die zuständige Staatsanwaltschaft wenden. Diese würde dann Löschungen anordnen. Und genau darauf scheint sich die Sprecherin der Abhörbehörde zu beziehen. Sie sagt, in allen Fällen, in denen "nach Maßgaben justizieller Anordnungen" – sprich auf Anweisung der Staatsanwaltschaften – Löschungen notwendig gewesen seien, wären diese auch umgesetzt worden. Anders ausgedrückt könnte das bedeuten, kein Polizeibeamter hat aus eigenem Antrieb „unverzüglich“ Daten gelöscht, wenn er beim Abhören bemerkt hat, dass es um Sachen ging, die keinen was angehen.

Diese Vermutung wird durch einen vorliegenden internen Vermerk des Landesamtes für Zentrale Polizeiliche Dienste aus dem September 2008 bestärkt, den man hier herunterladen kann: klick. Es heißt dort, bis in den vergangenen Herbst hinein seien in insgesamt „EINEM FALL“ intime Daten manuell auf Anordnung der Staatsanwaltschaft „mit hohem Aufwand“ gelöscht worden. Dazu kam später ein weiteres Verfahren. In 576 Lauschangriffen (TKÜ) geschah also wenig bis nichts. Weiter heißt es in dem Vermerk: „Das neue TKÜ-System der Polizei des Landes NRW (…) besitzt derzeit keine standardisierten Möglichkeiten zur Löschung bestimmter Daten.“

Nach Auskunft des Innenministeriums NRW soll bald ein Löschknopf für die Programme eingebaut werden. Wann genau ist noch unklar. Die beteiligtem Firmen sagte, sie dürften oder würden nichts zu der neuen Software sagen. Einer meinte „das hat auch was mit dem bezahlen zu tun.“ Das Innenministerium sagt, das Geld für den Löschknopf sei im Haushalt 2009 vorgesehen.

Wie viele intimste Gespräche aus Lauschangriffen derzeit noch auf den Servern der Polizei ruhen und wer darauf Zugriff hat, ist nicht absehbar. Sie lagern in den Systemen Gemini oder Case. Ich bin gespannt, wann der erste ein intimes Gespräch veröffentlicht.

Schalkes Konzernbilanz: 55,9 Mio Euro bilanzielle Überschuldung

Das Unentschieden bei Bayern München war hart erkämpft. Immer in der Abwehr, wenige Entlastungsangriffe, ein glücklicher Ausgleichstreffer eines Neulings – ansonsten viel Hoffnung, dass es weiter nach oben geht. Doch wie lange kann das Glück halten? Wann reicht es nicht mehr aus? Denn auch in den Untiefen der Finanzen wird geknüppelt, getrickst und gehofft. Es geht um den großen Stadion-Deal. Die Arena soll zu einem Großteil an eine Tochterfirma der Stadt Gelsenkirchen verkauft werden. Für Schalke unter Umständen eine Frage des Überlebens. Gelingt das Geschäft nicht, droht der Untergang.

Wie ernst die Lage ist, zeigt ein Blick in die Konzernbilanz des Clubs. Die bislang streng geheim gehaltenen Dokumente liegen mir vor. Aus ihnen lässt sich erstmals öffentlich ein Bild der wirtschaftlichen Situation des Schalker Geflechts rund um die kaum überschaubaren Tochterfirmen zeichnen. Und die Lage ist offensichtlich nicht rosig. So hat die Schalke-Gruppe Ende 2008 bei einem Umsatz von 162,1 Mio. Euro allein Personalausgaben von 73,7 Mio. Euro. Aktuell kommen dazu noch die Gehälter für das neue Trainerteam rund um Felix Magath hinzu. Mehrere Ex-Trainer oder Ex-Manager stehen nach wie vor auf der Pay-Roll. Tatsächliche Abgänge in nennenswerter Höhe waren selten.

Selbst in einem guten Jahr wie 2008 blieb der Schalke-Gruppe dank Champions-League-Teilnahme nur ein schmaler Gewinn von 2,1 Mio. Euro. Ohne die Meister-Klasse aber surren die Einnahmen zusammen. Die Rede ist von einer Summe zwischen 20 und 30 Mio. Euro, die bei kaum reduziertem Personalaufwand fehlt.

Hier soll jetzt die Stadt retten, was zu retten ist. Für Arena-Anteile in Höhe von gut 40 Prozent und weitere Darlehen will die mit gut 600 Mio. Euro verschuldete Gemeinde und ihre Tochter GEW 25,5 Mio. Euro in den Verein pumpen. In der kommenden Woche will der Stadtrat den Deal absegnen. Die zuständige Bezirksregierung in Münster unter dem Regierungspräsidenten und Mitglied des Schalker Ehrenrat Peter Paziorek sagte zu, alles zu prüfen – sobald Verträge vorliegen. Der Deutschen Fußballliga (DFL) reichte aber wohl schon die Absichtserklärung bei der Nachlizenzierung aus, harte Konsequenzen aus einem möglichen Lizenzverstoß sind kaum zu erwarten.

Dabei wird das frische Geld der Stadt kaum ausreichen, die Schalker Probleme zu lösen. Wie aus der Konzernbilanz ersichtlich ist, hat der Verein sein gesamtes Eigenkapital aufgebraucht. Es ist mit einem hohen zweistelligen Betrag ins Minus gerutscht. Darauf kommen Schulden von 235,1 Mio. Euro. Allein die Lieferanten bekamen Ende des vergangenen Jahres 16,7 Mio. Euro. Die "sonstigen Passiva“, wie etwa die bereits kassierten Gazprom-Einnahmen der kommenden Jahre stehen zusätzlich mit 52 Mio. Euro in de Büchern.

Alles zusammen wies die Schalke-Gruppe im Dezember eine bilanzielle Überschuldung in Höhe von 55,9 Mio. Euro aus.

Schlechte Zahlen. Eine Stahlschmiede mit einer ähnlichen Verschuldung wäre pleite. Bei Schalke kann man noch auf stille Reserven spekulieren. Etwa wenn die Marke des Vereins an einen Investor verkauft werden könnte.

Auf Schalke wäre das aber kaum vermittelbar. Stattdessen soll der Handel mit der Arena das rettende Geschäft sein. Mit der Mehrheit an der Halle hofft Finanzvorstand Peter Peters gleichzeitig die Schulden der Arena aus der Konzernbilanz loszuwerden. Dazu müsste Schalke allerdings nicht nur die Mehrheit an der Arena, sondern auch die Kontrolle an der Hallengesellschaft über die FC Schalke 04-Stadion-Beteiligungs GmbH abgeben. Es ist allerdings unklar, ob das passiert. Würde stattdessen die GEW die Kontrolle über die Arena übernehmen, könnten im Extremfall die über 100 Mio. Euro Schulden der Arena aus den Bilanzen der Schalke-Gruppe verschwin den und in den Konzernbüchern der städtischen Tochter auftauchen. Die GEW hätte also für 15 Mio. Euro und 10 Mio. Euro Darlehen vor allem Schulden gekauft.

Aus der Konzernbilanz lässt sich allerdings nachlesen, warum die Investoren der Schechter-Anleihe gegen den Verkauf Arena sein könnten. Lässt man die Spielerwerte in Höhe von 42,9 Mio. Euro beiseite, lag das Vermögen der Schalke-Gruppe in harten Rechten und Bauten nur bei 152,8 Mio. Euro. Nach dem Verkauf der Arena-Anteile würde das Vermögen abschmelzen. Es bliebe immer noch viel Luft. Das Parkstadion ist etwa eine Ruine, steht aber mit 15,6 Mio. Euro in den Büchern. Bei Grundstücken die ausgewiesen werden, handelt es sich oft um Erbpachten. Und die „harten Rechte“ sind auch vor allem Vermögen, das auf dem Papier steht. Sicherheiten für eine 85 Mio.-Euro-Anleihe sehen jedenfalls anders aus.

Angesichts der Lage wächst im Schalker Aufsichtsrat die Angst, Investoren, wie der US-Lehrerverband TIAA-CREF, könnten deshalb den rettenden Arena-Deal blockieren. Und dazu könnte es tatsächlich kommen. Denn der Verein hat sich in den Verträgen zur Anleihe verpflichtet, nicht frei über die Arena-Anteile zu verfügen. Sie dienen als Sicherheiten für die 85-Mio.-Euro-Anleihe. Nur wenn die Investoren in den kommenden Tagen ihre schriftliche Zustimmung zu dem Verkauf geben, darf die GEW die Arena-Anteile übernehmen. Es wird darüber spekuliert, dass die Investoren als Gegenleistung auf einer Rückzahlung der Schechter-Anleihe bestehen, um ihr Investment zu sichern. Laut Vertrag dürften sie das jedenfalls tun, solange Schalke die Erlöse aus dem Arena-verkauf nicht in "neue Steine" steckt. Bislang versichern alle Seiten auf Nachfragen, außer einer nicht rechtlich bindenden Absichtserklärung sei noch nichts abgemacht. Das hört sich schon ganz anders an, als die ursprüngliche Botschaft, die Ende Oktober offiziell verbreitet wurde: „Diese Vereinbarung ist von allen Vorständen und Geschäftsführern unterschrieben und steht nur noch unter Gremienvorbehalt.“

Damals ging es wohl darum, der DFL pünktlich irgendetwas glaubwürdig vorzulegen, das nachweisen sollte, das Geld fließen wird, damit die Liga keine Lizenzstrafe verteilt. Egal wie dünn das Brett ist, auf dem man steht. Die DFL ist wohl drauf eingegangen. Irgendwie hätte es ja auch dumm ausgesehen, Schalkes Finanzchef Peter Peters als Vize-Präsident des Ligaverbandes und stellvertretenden Vorsitzenden des DFL-Aufsichtsrates zu bestrafen.

Nach außen geben sich die Verantwortlichen kämpferisch. So als hofften sie auf einen Treffer in der Nachspielzeit. Die Saison sei sauber durchfinanziert, sagt Finanzchef Peter Peters. "Ein weiterer Verkauf von Rechten, Anteilen oder Spielern ist aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus nicht notwendig.“

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Karstadt: MItarbeiter verzichten auf 150 Millionen…Ruhr Nachrichten

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Von Wäschewagen-Randalen zur Party auf Malle – wozu noch Zivildienst?

Inspiriert von den Wäschewagen-Randalen des Kollegen Meiser einige grundsätzlichere Gedanken zum Thema Zivildienst, und warum man dieses Relikt aus dem Kalten Krieg abschaffen sollte. Oder einfach nur zwei Kategorien, in denen man das diskutieren kann. Erst die Moral, wie es sich gehört, dann die volkswirtschaftlichen Ineffizienzen.

Zivildienst ist ungerecht, denn nur die Hälfte muss ihn machen. Frauen nicht. (Das einzig valide Gegenargument, das ich zu diesem Punkt bisher gehört habe: Frauen müssen mit ihrer Lebenszeit haushalten, weil sie nicht ewig Kinder bekommen können. Dass Frauen und Familien Kinder und Beruf hinbekommen, ist für mich eine unserer großen Herausforderungen. Wir brauchen Kinder. Was letzlich mehr wiegt, weiß ich nicht.)

Es gibt also keine Wehrgerechtigkeit, nur etwas über der Hälfte der Hälfte muss den Dienst leisten, denn weniger als zwei Drittel der Männer eines Jahrgangs leisten Wehr- oder Zivildienst.

Zur Wirtschaft. Ohne Zivildienst hätten wir nach einer Anpassungsphase einen Jahrgang mehr im Arbeitsmarkt (minus Wehrungerechtigkeit!). Das erhöht die Lebensarbeitszeit und entlastet die Rentenkassen. Es ist ein verlorenes Jahr für junge Leute im besten Alter, in dem sie Ausbildung und Bildung vertiefen können. Wer Leichen im Krankenhaus umher schiebt, nimmt von mir aus etwas fürs Leben mit. Hört man auch mal als Argument. (Wer nach der Schule nicht weiß, wo er hin will, kann ja immer noch ein FSJ machen.) Aber im globalen Wettbewerb ist Bildung und Ausbildung wichtiger.

Wenn ich jemandem etwas umsonst gebe, der sich dran gewöhnt, kommt er nicht mehr davon los: Träger werden heulen und zetern und fluchen, dass sie nicht auf die billigen Arbeitskräfte verzichten können. Aber billige Arbeitskräfte werden nicht effektiv eingesetzt. Eben weil sie billig sind. Grundlegendes Prinzip der Wirtschaft.

Reguläre Arbeitskräfte sind sehr viel teurer. Aber wieviel produktiver sind sie, wenn sie über Jahre aufgebaut werden, Wissen ansammlen, sich mit ihrem Arbeitgeber identifizieren? Wie produktiv ist ein Zivi, der in der Woche direkt aus der Disko halbwegs ausgenüchtert beim Dienst aufschlägt? Kann von seinem Arbeitgeber ja nicht wirklich belangt? Der Zivildienst ist ein Jahr mit viel Party und wenig Verantwortung.

Ich habe keinen blassen Schimmer von Krankenhaus-Management, aber mich würde interessieren, wieviele reguläre Arbeitsplätze durch den Wegfall von zehn Zivistellen entstehen würden. Sagen wir mal zwei – das sind halbwegs sozialversicherte Jobs, die Steuern bringen. Mit in die volkswirtschaftliche Bilanz müsste einfließen, dass zehn jungen Leuten ein Jahr lang etwas beigebracht werden kann. Oder sie arbeiten und zahlen auch Steuern.

Zivis dürfen nicht in der Verwaltung eingesetzt werden – in der Praxis hört man aber immer wieder, dass das geschieht. Oder, sicherlich ein extremer Fall: Zivis organisieren in einem Altenheim für Millionäre das hauseigene Café – und verprassen ihre Trinkgelder an Wochenenden beim Skifahren in den Alpen oder auf Mallorca. Ist das Sinn der Sache? Solche Dienstleistungen sollten wirklich von der Wirtschaft bezogen werden, das schafft Arbeitsplätze in der Gastronomie.

Leider kann man den Zivildienst nicht isoliert von der Wehrpolitik betrachten. Eine Wehrpflichtigenarmee liegt mir eher als eine Berufsarmee. Wir sind eine Wissensgesellschaft (oder haben diesen Anspruch), in der jeder Mann und jede Frau an einer Waffe eine Verschwendung ist, aber wer weiß, wie die Welt in fünfzig oder hundert Jahren aussieht. Irgendwann brauchen wir wieder eine Armee, die in der Gesellschaft verankert ist. Aber man sollte nicht die Augen vor den Fragwürdigkeiten des Zivildiensts verschließen.

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Preis: Red Dot Award in Essen…Ruhr Digital

 

 

 

 

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Der ewige Opel-Patient

Bochum muss nach dem geplatzten Deal mal wieder um seine Jobs beim Autobauer bangen

Foto: Ruhrbarone

Bochum. Als sich morgens um kurz vor sechs Uhr die Kameras auf ihn richteten wusste Daniel Hadert sofort: Sein Job ist in Gefahr. „Es ist die fünfte Krise die ich durchmache“, sagt der 42-Jährige Bandarbeiter bei Opel. Aber diesmal sei alles noch viel schlimmer. In der ersten Schicht des Tages sei es still gewesen unter den Opelaner. „Was sollen wir denn noch sagen?“, fragt der schlaksige Mann.

Vielen Arbeitern scheinen am Tag nach der überraschenden Wende von General Motors die Worte zu fehlen. Beim Schichtwechsel rennen sie im Nieselregen zu ihren vorm Werkstor geparkten Astras und Omegas. Sie kennen die Rituale der Krise, die fragenden Reporter, die Kameras. Vor wenigen Monaten erst bangten sie um einen Milliardenkredit der Bundesregierung, dann hofften sie auf einen Verkauf an Magna. Nun beginnt das Spiel von vorne.

„Reine Veräppelung war alles“, sagt Ralf Beneke und setzt sich in seinen historischen und giftgrünen Ascona. Unter der Belegschaft blühen inzwischen ganz eigene Theorien über den geplatzten Deal. „Es ist doch sonnenklar, dass ein Amerikaner einem Russen nichts verkauft“, sagt Beneke. Und die Bundesregierung habe nur versucht, sich über die Wahl zu retten. „Das ist ein ganz übles Spiel“, sagt er und macht mit dem Zeigefinger das Kotzzeichen. Seiner Meinung nach sollte nun nicht mehr über Lohnzugeständnisse verhandelt werden. „Wir haben die letzten zehn Jahre verzichtet und gebracht hat das gar nichts“, sagt er aufgebracht. Am Ende würden alle nur weniger Arbeitslosengeld bekommen. Die Bochumer sind ausgelaugt. Sie haben das Gefühl, bei ihnen würde immer als erstes gespart, schlimmer als am Hauptwerk in Rüsselsheim. „Wir sind am Ende der Kette“, sagt Beneke.

In der Krise sind die Opel-Arbeiter zwischenzeitlich immer mal wieder zu Konkurrenten geworden. Schon immer hat General Motors versucht die einzelnen Werke gegeneinander auszuspielen. Dabei hat bislang jedes Werk bluten müssen. Knapp 6000 Menschen arbeiten bei Opel in Bochum, 35 Betriebsräte wachen über die Löhne und Stellen. Früher eine dankbare Aufgabe: Die zu Spitzenzeiten rund 25 000 Arbeiter verdienten überdurchschnittlich, hatten viele Urlaubstage und jedes Jahr mehr Kollegen. Seit 15 Jahren kriselt es. Betriebsrätin Annegret Gärtner-Leymann fordert nun eine harte Reaktion. „Wir können nicht nur zwei Stunden lang die Arbeit nieder legen und dann wird alles gut“, sagt sie mit Blick auf die so genannten „Informationsveranstaltungen“, die am heutigen Donnerstag republikweit stattfinden sollen. Jetzt müssten alle Werke in Europa zusammen stehen. „Wir werden um wirklich jeden Arbeitsplatz kämpfen“, so die Betriebsrätin. Ein bloßer Erhalt der Standorte sage noch gar nichts aus. „Das kann auch heißen das nur noch der Pförtner dort rumsitzt.“ Jahrelanges Feilschen um Stellen und Geld haben die Arbeitnehmervertreterin misstrauisch gemacht.

Vor vier Jahren waren sie noch mächtiger. Mit ihrem wilden Streik hatten sie damals die Produktion in Europa lahm legen können. Diese Druckmittel sind nun verschwunden– General Motors hat nach dem eindrucksvollen Arbeitskampf die Produktion der Werke unabhängig gemacht. Aus Bochum kommen nur noch einige Pressteile für England und Antwerpen. Nun können die Bochumer nur noch ihre eigenen Bänder still legen.

Eine bedrohliche Situation in einer Stadt, die erst im vergangenen Jahr 2500 Jobs bei Nokia verloren hat. Opel ist – neben der Ruhruniversität- der größte Arbeitgeber der Ruhrgebietskommune. Das Opelwerk ist für das Ruhrgebiet nicht einfach nur eine Fabrik. Es war seit der Ansiedlung in den 1960er Jahren ein Symbol für den Strukturwandel, für eine Zukunft nach der Zeche, auf deren Grundstücken die Werke hochgezogen wurden.

Heute reisen Politiker nur noch zu Krisengifpel an. Am heutigen Donnerstag werden sie sich wieder am Werkstor drängeln. Wie vor einigen Monaten und wie vor einigen Jahren. Karina Pietrowska wird dieses Mal nicht dabei sein. Die Produktprüferin „kann nicht mehr.“ Die zierliche Frau mit den wasserstoffblonden kurzen Haaren arbeitet seit zwanzig Jahren bei Opel, auch ihr Schwager und ein Onkel stehen in Bochum am Band. „Wir stehen ständig kurz vor dem Tod“, sagt sie und schließt demonstrativ ihre Augen. An eine neuerliche Wiederbelebung glaubt Pietrowska nicht mehr.

Ruhr oder Berlin Teil 5 – Kreativität und Provinz

Die Provinz ist für den oder die Kreative/n ein hartes Pflaster, wie man es im Ruhrgebiet bestens studieren kann. Wer hier gegen die Konventionen verstößt konnte es lange Zeit nur unter Einkalkulierung seines  eigenen Untergangs tun. Die kulturelle und politische Hegemonie der Sozialdemokratie vereint mit der ökonomische Dominanz des Montanindustriellen Komplexes hat selbst noch zu Zeiten der IBA-Emscherpark bei den dort leitend Aktiven die Frage hervor gerufen , ob „Innovationen in einem strukturell innovationsfeindlichen Milieu“  überhaupt durchzusetzen sind.

Dass sich dann die städtebaulichen Erneuerer zwar durchsetzten, sich dabei selbst jedoch gegen jede äußere und öffentliche Kritik abschotteten, zeigte, dass in der Provinz selbst die Kreativen, und als solche sind die Leute um Karl Ganser sicher zu bezeichnen gewesen, den übergeordneten Gesetzen der Provinz zu fügen haben bzw. diese sich in deren Hinterkopf unhinterfragt, wenn nicht sogar unbewusst wieder einnisten.

Was der Provinzkreative aber eher lernt als der metropolitane Erneuerer ist Subversion und Durchhaltevermögen. Insofern sollte jeder Kreative in seinem Leben zumindest einige Jahre in der Provinz verbringen ehe er/sie sich zum Beispiel nach Berlin zu gehen traut. Da ist es nämlich im Ernstfall nicht viel besser. Genauer gesagt ist in der Metropole nur das Klima innovationsfreundlicher, nicht die realen Verhältnisse.

Da ein gutes Klima nicht zu unterschätzen ist, trifft man dort auch mehr Menschen, die es brauchen. Da es aber nicht ausreicht, wenn nicht auch Aufträge auf einen warten, die einen ernähren, wird diese Gruppe gerade in Berlin immer wieder um die dezimiert, die letztlich von ihrer Kreativität auch zu leben gezwungen sind . Nach einigen Jahren struktureller Unterbezahlung sind sie zum Tausch von richtigen Aufträgen gegen innovatives Klima gezwungen, sprich dazu, Berlin wieder zu verlassen.

Die, die erst gar nicht aus dem Ruhrgebiet weggehen, haben jedoch häufig weder ein förderliches Klima noch Aufträge. Zumindest nicht von außerhalb der Agglomeration. Egal wie viele Preise und Fachrenommee sie erobern, die Städte im Ruhrgebiet sind für sie keine gute Adresse, wenn man sich außerhalb um Aufträge bemüht. Und selbst innerhalb der Ruhrstadt werden die Bewerber aus den metropolitanen Kreativstädten systematisch bevorzugt . Selbst bei den Machern der Kulturhauptstadt. Selbst bei denen, die sich dort speziell der Förderung des Kreativen verschrieben haben. Bei der IBA-Emscherpark war es übrigens auch schon so.

Was also ist zu tun? Soll man bleiben oder gehen? Und was macht man wenn man nicht gehen will oder kann? Wie kommt man dann im Ruhrgebiet an Aufträge die einen in Dimension und Aufgabenstellung wirklich voran bringen? Wie kommt man hier in die Liga, die auch in den Metropolen chancenreich mitbieten kann?  Die Aufträge die das fördern gibt es nämlich auch hier.

Ob dabei die vom Gorny-Team kreierten Kreativquartiere helfen, werden wir in den nächsten Jahren erst feststellen können. Ich bin da eher skeptisch. Auf jeden Fall werden von den jetzt geplanten nur wenige überbleiben bzw. den Namen wirklich verdienen. Aber die von der gleichen Truppe dadurch vorangetriebene  lokale und regionale Vernetzung zeigt jetzt schon unbestreitbare Erfolge. Ja sie verändert sogar schon etwas das so viel gerühmte Klima, in dem sie das Thema kulturstadtrelevant gemacht hat. Es wurde noch nie so viel über die Rolle der Kreativität für die Zukunft des Ruhrgebietes diskutiert wie jetzt.

Manchmal kann ich mich sogar des Eindrucks nicht erwehren, dass es mittlerweile mehr Menschen in der Ruhrstadt gibt, die ihre Kreativen suchen, beobachten und analysieren als Kreative selbst. Nichtsdestotrotz bewegt sich die Provinz wenigstens hier ein Stück in Richtung Metropole.