Afghanischer Rückzieher

Foto: Flickr.com/Canada en Afghanistan

Die afghanische Wahlfarce ist vorüber. Endlich. Der afghanische Präsident Hamid Karzai und dessen Herausforderer Abdullah Abdullah einigten sich auf den strategischen Rückzug. Abdullah tritt nicht zur Stichwahl an und Karzai bleibt Präsident. Der strategische Rückzug hat in dem langjährigen afghanischen Bürgerkrieg Tradition. Er ist seit vielen Jahren fester Bestandteil der militärischen Auseinandersetzung am Hindkusch. Die gegnerischen Führer bauen ihre Truppen auf, dann beginnt ein Raketenbeschuss, und danach zieht sich in der Regel einer der Feldkommandanten samt Armee zurück und der andere besetzt die beanspruchte Stadt oder Provinz. Eine offene und zudem verlustreiche Feldschlacht wird, wenn es denn irgendwie geht, in Afghanistan vermieden.

Kabul, Kunduz, Herat oder Masar-e-sharif wechselten so viele Male ihre Herren. Die Anführer im afghanischen Bürgerkrieg Achmed Shah Massud, Raschid Dostum oder Gulbuddin Hekmatyar waren allesamt Rückzugsvirtuosen. Und ein Rückzug macht ja auch Sinn. Der Kommandant verliert zwar für einige Zeit einen Streifen Land, aber er behält den Anspruch aufrecht und hat die Truppen gerettet. Der Feldkommandant, der seine Truppen in die Berge ziehen lässt, kann immer behaupten, dass er ungeschlagen sei und im Grunde sogar der eigentliche Sieger, den allein die Umstände zum Rückzug gezwungen haben.

Er hat sein Gesicht gewahrt und kann  zudem noch auf Augenhöhe mit der Gegenseite, die nach dessen Rückzug die Kontrolle der jeweiligen Provinz oder Stadt  übernommen hat, verhandeln. Auch die Gegenseite ist erleichtert, dass ihr ein verlustreicher Kampf erspart geblieben ist, und  daher dem Anführer, der samt Armee in die Berge gezogen ist, zu Dank verpflichtet.

Nach diesem Drehbuch haben Karzai und Abdullah das Wahlspektakel am Hindkusch beendet und dem Land eine Tod und Verderben bringende Stichwahl erspart. Der Präsidentschaftswahlgang in dem von einem Bürgerkrieg zerrissenen Land war von Anfang ein gefährlicher Unsinn. Der Urnengang wurde durchgeführt, damit der Westen die Visionen von einem friedlichen Aufbau in Afghanistan ausleben konnte. Es ist der Klugheit Abdullahs und Karzei zu verdanken, dass sie diesen Rausch auf einer sehr afghanischen Weise beendeten. Über Abdullah müssen wir uns übrigens keine Sorgen machen. Ich bin sicher, dass er bald einen wichtigen Posten von Karzai übertragen bekommt.

Nun wäre es höchste Zeit für die USA, die Nato und Deutschland die Atempause zu nutzen und Realitäten in Afghanistan anzuerkennen:

I. In Afghanistan herrscht Bürgerkrieg

II. In diesem Bürgerkrieg sind internationale Truppen keine Aufbauhelfer sondern Kriegspartei

III.  Wahlgänge in einem Bürgerkrieg, die nur von einer Kriegspartei getragen werden, haben keinen Nutzen

IV. Wenn man in einem Bürgerkrieg die Gegenseite nicht vernichten kann, muss man mit ihr verhandeln

VI. Die Taliban müssen für eine afghanische Friedensordnung als Verhandlungspartner anerkannt werden

VII. Nach Friedensverhandlungen sind Wahlen mit Beteiligung der Taliban abzuhalten

3 für 7 – 3 Kulturtipps für die nächsten 7 Tage

Menschen sind ja meist beschäftigt. Also braucht die Gesellschaft eine Art Schmiermittel, damit mensch schnell ins Träumen und/oder Kuscheln – oder so, genau – kommt. (Manche sogenannte Kreative leben professionell den ganzen Tag in diesen Schmiermitteln.) Nun kommt also historisch verspätet, aber irgendwie gerecht zu 2010 hin das Ruhrgebiet zu ganz viel Pop, Kultur und Popkultur. Es wurde – schon wegen dem alten Gedankenknast "Gorny = Rockbüro" – bisher viel auf Musik geachtet. Gut, auch auf Museales, Architektur und Design. Aber so sachte kommt das Thema "Film" verstärkt ins öffentliche Visier. (Ein bisschen spät für manche, aber naja.) Und in dieser Woche an dieser Stelle zudem auch ein schönes Musikspezialgebiet, das im Ruhrgebiet schon immer schön geschmiert hat: Schlager. (Für Porno wird an dieser Stelle nicht geworben!) Diesmal: Duisburger Filmwoche, Kitty Hoff und Jochen Distelmeyer.

Herbst/Winter, Aufschlag Duisburg. Eine schöne Gelegenheit an dieser Stelle endlich einmal wieder auf das Eck am Hundertmeister hinzuweisen, ein angenehmer, wenn auch nicht überbordernder Quell mittelschwerer Kultur in der Stadt mit dem Rhein (auch) dran. Der Autor fühlt sich in den letzten Wochen schon extrem Ruhr-Propaganda-kopfgewaschen und freut sich an dieser Stelle mitzuteilen, dass der Film "Ruhr" schon zur Eröffnung dieses Festivals deutschsprachiger Dokumentarfilme lief. Knapp eine Woche lang gibt es aber auch noch andere und anderes am Dellplatz.

Und damit könnte man jetzt – wie z.B. im Prinz – mal so eine schicke Gegenüberstellung machen: Kitty vs. Jochen. Beide kommen aus NRW (, oder?). Beide sind wieder mit Band auf Tour! Beide singen über Erfahrungen und Nicht-Erfahrungen im Zwischenmenschlichen, geben sich aber auch gesellschaftspolitisch bewusst. Sie wendet sich eher dem Kammerorchestral/Jazzigen bis Caféhaftem, er eher dem Poprockigen bis KleineHallen-mäßigen zu. "Schlager" war ja früher mal, wenn nichts in einem Lied über Partnerschaft, Party oder Folklore hinausweist. Dies umgehen beide recht geschickt, Jochen hat aber mehr die deutschen Kulturarbeiter im Rücken, die er vom Scheitel über das Hemd, Zitatfreundlichkeit, Feuilleton-Affinität und Popakademie-Kompatibilität besser bedient. "Schlager" war ja auch schon immer etwas sehr Deutsches, Piefiges, insofern kann Kitty (Foto: Promo) zugute gehalten werden, dass sie eher Chanson macht und Jochen, dass er vielen hiesigen jungen Wilden den Weg in ein irgendwie machbares Leben gewiesen hat, in dem sich das Private auch mal schön politisch anfühlen darf. Kann halt zugute gehalten werden, muss aber nicht. Wir sind ja nicht im Kino hier. (Mieses Ende des Artikels, also: Zugabe.)

Duisburger Filmwoche noch bis kommenden Sonntag.
Kitty Hoff & Forêt-Noire am Dienstag im Ebertbad, am Mittwoch im Rex-Theater und am Donnerstag im Savoy-Theater.
Jochen Distelmeyer (und Band) am Donnerstag im FZW und am Samstag im Ringlokschuppen.

 

Dreckige Wäsche bei Rot-Weiß Essen. Sohn des Stadtdirektors verbreitete öffentlich Lügen über Aufsichtsrat

OB Reiniger (CDU und 2. vr) ließ sich bei Rot-Weiß Essen feiern. Foto: Stadt Essen

Wenn jemand im Ruhrgebiet derzeit von Problemen im Fussball spricht, denken zuerst alle an den Schalke 04. Doch auch beim durchaus genauso beliebten oder ungeliebten Nachbarn im Westen, dem Club Rot-Weiß Essen, gibt es was zu berichten. Da ist die unsichere Lage beim Stadionneubau zu erwähnen und ein Machtkonflikt in der Führungsetage der Kicker-Vereinigung. Denn der Verein Rot-Weiß Essen ist in die Hände von Vorständen kommunaler Betriebe gefallen und damit in die Hände von Politikern. Und die versuchen jetzt ihre Macht durchzusetzen.

Zunächst zum Hintergrund: Bis zu diesem Sommer regierte die CDU in Essen. Sie hatte für den diesjährigen Wahlkampf das Georg-Melches-Stadion von Rot-Weiß als Thema entdeckt. Nachdem mit Philharmonie und Museen die Kultur für die Vermögenden gefördert worden war, sollte jetzt was für die Massen getan werden. Nämlich das alte Stadion von RWE im armen Essener Norden durch ein Neues ersetzt werden. Soweit so gut.

Ziemlich schnell gab es allerdings wegen der Finanzierung Trubel. Ich habe darüber berichtet. Hier klicken. Im Kern kann man sagen, der Bezirksregierung hat es nicht gepasst, dass die Stadt über eine kommunale Tochter Millionen in die Kampfbahn eines Vierligisten pumpen will. Dazu kam die Millionenschwere Auflösung dubioser Marketingverträge mit einem untergegangenen Kinofuzzi. Und Beraterverträge mit einem abgehalfterten Ex-Fußballprofi.

Alles in allem war die Stadt unter dem damaligen CDU-Oberbürgermeister Wolfgang Reiniger bereit für RWE gut und gerne 30 Mio. Euro springen zu lassen. Ein guter Teil des Stadions wurde bereits vor der Wahl abgerissen um den Massen zu zeigen, dass die CDU das ernst meint.

Strippenzieher auf Seiten der Stadt war vor allem Stadtdirektor Christian Hülsmann von der CDU. Dieser Politiker und Beamte wollte den Neubau des Stadions unbedingt umsetzen. Vor den Wahlen spitze sich die Situation zu. Zum einen war klar, dass die CDU keinen Durchmarsch hinlegen würde, zum anderen geriet die Finanzierung des Stadions nicht zuletzt bei den Ruhrbaronen in die öffentliche Kritik.

Offensichtlich wurde das zumindest einem Hülsmann zuviel. Zumindest legt das folgender Vorgang nahe. Den Ruhrbaronen liegen Beweise vor, wonach der Sohn von Christian Hülsmann sich aktiv mit öffentlichen Verleumdungen in die Debatte eingemischt hat. Er griff unter einem falschen Namen von seinem Dienstcomputer über die Internetseiten der Zeitung Revier-Sport einen Aufsichtsrat von Rot-Weiß Essen an, der sich zuvor intern im Aufsichtsrat kritisch über die Stadionpläne von Hülsmann senior geäußert hatte. Er schrieb, dieser Aufsichtsrat würde der Presse alle möglichen Informationen stecken und so einen Kampagne gegen die CDU fahren.

Als ich in einer früheren Geschichte über Rot-Weiß eine schriftliche Anfrage an die Dienstadresse von Stadtdirektor Hülsmann geschickt hatte, wurden mir über einen Mittelsmann die Verleumdungen des Juniors zugespielt.

Natürlich habe ich die Infos überprüft und ziemlich schnell festgestellt, dass mit den Erzählungen von Hülsmann Junior nur die öffentliche Meinung manipuliert werden sollte. Kaum etwas von dem, was Junior schrieb, war belastbar. Die Behauptung, der Aufsichtsrat würde „höchst vertrauliche Informationen aus dem RWE-Aufsichtsrat“ durchstechen, reiner Bullshit, frei jeder Kenntnis der tatsächlichen Abläufe. Der Vorwurf, der Aufsichtsrat würde versuchen, mit seinen Kontakten das Stadionprojekt zu kippen: Quatsch, offenbar frei erfunden vom Sohn des Stadtdirektors Hülsmann.

Die Frage ist nun, hat der Filius das für den Senior freiwillig getan? Könnte sein, denn Hülsmann Junior war auch mal eine Zeitlang bei Rot-Weiß Essen in der Geschäftsstelle beschäftigt. Könnte es aber auch sein, dass er mit Kenntnis des Vaters Schmähungen verbreitete? Für letzteres spricht die erwähnte Tatsache, dass mir die Aussagen des Juniors, wie erwähnt, nach einer Anfrage beim Senior, über einen Krisen-PR-Mittelsmann zugespielt worden sind. Ob für die schwarze Public-Relation Geld an den PR-Mittelsmann geflossen ist und wer das gegebenenfalls bezahlt hat, entzieht sich meiner Kenntnis.

Ich bin gespannt, wie Stadtdirektor Hülsmann mit dieser Sache umgeht. Vor allem weil die Frage offen ist, welchen Anteil das Krisenmanagement um Rot-Weiß Essen von Hülsmann an der Wahlniederlage der örtlichen CDU hat. Ich vermute ja einen großen.

Denn bei Rot-Weiß tobt, wie gesagt, derzeit ein Machtkampf zwischen dem Aufsichtsratchef des Clubs Dietmar Bückemeyer, Vorstand der Stadtwerke Essen AG, und dem Chef der Druckerei VVA und gleichzeitigem RWE-Vorstandschef Stefan Meutsch.

Entzündet hatte sich der Kampf um die Entlassung von Thomas Strunz als Teamchef des Clubs Ende September wegen erwiesener Erfolglosigkeit. Meutsch hatte Strunz direkt nach der Niederlage gegen die Reserve aus Köln rausgeschmissen, ohne Bückemeyer zu konsultieren, wie es hieß.

Bei der Stadt und damit bei Stadtdirektor Hülsmann kam das nicht gut an. Vor allem Bückemeyer kritisierte, dass man ihn nicht gefragt hat, bevor Strunz gefeuert wurde. Dabei hatte er zuvor verlangt, dass man ihn bei einer derart wichtigen Entscheidung, wie der Entlassung des Teamchefs um Rat fragt.

Für die Meutsch-Fraktion im Aufsichtsrat kann das nicht sein. Für diese Männer stellt sich die Frage, was die Stadt will? Personalpolitik in einem Fussballclub machen? Das könne doch kaum Aufgabe der Verwaltung sein.

Es wird von Essenes neuem Oberbürgermeister  Reinhard Paß abhängen, ob aufgeräumt wird. Der SPD-Mann wurde vor wenigen Tagen vereidigt.

Ich frage mich vor allem, wer Strunz jetzt bezahlt? Bei Rot-Weiß Essen sollen Gehaltspfändungen des Ex-Profikickers eintrudeln. Kriegt er jetzt noch Kohle von der Stadt, wie noch bis vor ein paar Monaten als angeblicher Berater? Oder hat er einen Job bekommen bei einer Stadtnahen Firma? Etwa einer Firma, die auch den Stadionneubau plant? Ich weiß es nicht. Würde mich ja interessieren.

Ruhrpilot

Das Navigationssystem für das Ruhrgebiet

Afghanistan: Stichwahl abgesagt… SPIEGEL ONLINE

WAZ-Mediengruppe: Reine PR in der Westfalenpost und DerWesten… zoom

Oberhausen: Depeche Mode in Bestform… Ruhr Nachrichten

Dortmund: Schlag gegen Drogenhändler… DerWesten

Welt am Sonntag: Flashiges, multimediales, monatliches eMagazin… Pottblog

Duisburg: Filmwoche wird mit „Ruhr“ eröffnet… DerWesten

Bochum: Hinter den Kulissen des Starlight Express… DerWesten

Städte und Gemeinden: Haushalte vor Zerreißprobe… DerWesten

Links anne Ruhr: Der Ruhrpilot stößt auf Begeisterung – denn (durchaus geschätzte) Nachahmung ist die höchste Form des Lobes… Pottblog / Pottblog

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LKA-Vermerk aus dem Uhlenberg-Ausschuss: „Hat Frau Delpino die Ermittlungen geführt?“

Foto: Umweltministerium / Uhlenberg steht links

Wenn ich darüber nachdenke, wie der Beschuldigte Harald Friedrich aussieht, denke ich an einen kleinen Mann, mit grauen Haare und einen Vollbart. Er hat einen Bauch, und wenn er geht, hinkt er manchmal. Dann hat er Gicht. Harald F. ist ende Fünzig. Er gleicht einem Lehrer, einem Uni-Dozenten, vielleicht einem Beamten, meist aber einem Wissenschaftler. Er ist ein Mensch, der ungeduldig ist, vieles gleichzeitig macht. Er trinkt Cola und ist gerne Fleisch. Er ist so normal und unnormal, wie wir alle. Und er ist kein Schwerkrimineller.

Doch dazu hat ihn die Verfolgungswut der Ermittlungsbehörden gemacht. Ihm, dem ehemaligen Abteilungsleiter im NRW-Umweltministerium, und mit ihm 13 Mitbeschuldigten wurde banden- und gewerbsmäßige Betrugs und der Korruption vorgeworfen. Das ist so ziemlich der härteste Vorwurf, den man einem Bediensteten des Staates machen kann. Mehrere Millionen soll diese Art von Umwelt-Mafia unterschlagen und an einen Kreis von Begünstigten verteilt haben.

Die Vorwürfe gegen ihn und seine angebliche Bande füllen mittlerweile hunderte Aktenordner. Kaum einer hat noch den Durchblick, wo Unterlagen auftauschen oder verschwinden. Mehrere Ministerien beschäftigen sich mit dem Fall, obwohl mittlerweile die meisten Ermittlungen eingestellt wurden. Kein Vorwurf der Bande existiert mehr, kein Vorwurf der Korruption, kein Vorwurf des gewerbsmäßigen Betrugs. Nichts. Fast alles hat sich in Luft aufgelöst.

Nun versucht seit Montag ein Untersuchungsausschuss im Düsseldorfer Landtag Licht in das Dunkel zu bringen. Denn es gibt viel aufzuklären.

Da ist zum Beispiel zu klären, ob ein großer Lauschangriff im Verfahren Friedrich gerechtfertigt war. 2500 Telefonate wurden mitgeschnitten, Autos mit Peilsendern ausgestattet, Personen beschattet, 2300 Emails mitgeschrieben. Eigentlich sollte alles seit Dezember auf Anordnung der zuständigen Staatsanwaltschaft in Wuppertal gelöscht sein, doch mittlerweile musste der Direktor des Landeskriminalamt (LKA), Wolfgang Gatzke, zugeben, dass bis vor wenigen Tagen immer noch mehrere Gesprächsprotokolle in seinem Amt und anderswo aufbewahrt wurden. Ist nun alles gelöscht? Gatzke versucht sich zu erklären, spricht davon, dass nur hier und da ein paar Telefonatsmitschnitte in den Akten steckten. Weil sie Bestandteile anderer Vorgänge wurden. Mich erinnert das an eine Art Kafkaesker Akte. Nichtlöschbar wabern die einmal abgeschriebenen Gespräche von Zimmer zu Zimmer, sickern immer weiter, bis sie jemand findet, der damit was anfangen kann.

Die Sammelwut der Abhörer war tatsächlich kaum zu bremsen. Mir liegen Unterlagen vor, aus denen hervorgeht, dass nicht nur politische Gespräche des Landtagsabgeordneten Johannes Remmel (Grüne) abgehört wurden. Da wurde das Gespräch zwischen der Frau eines Beschuldigten mit ihrem Priester belauscht. Die Frau eines anderen Beschuldigten wurde bei einem Telefonat mit ihrem Arzt abgehört. Und das Telefon des Sohnes eines weiteren Beschuldigten fiel nur in das Fahndungsraster, weil das LKA damit rechnete, der Vater könne den Anschluss nutzen. Der Lauschangriff richtete sich nicht gegen Terroristen, sondern gegen Professoren, Firmeninhaber und Institutsleiter. Wo tauchen die Gespräche jetzt auf? Ist tatsächlich alles gelöscht, wie die Ministerin irgendwann im Herbst 2008 behauptete, oder im Dezember 2008, wie der LKA-Chef Gatzke vor ein paar Wochen sagte, oder erst jetzt, wie Gatzke nun sagte? Ich weiß es nicht. Keine Ahnung. Ich vermute eher, da gibt es immer noch Abschriften in irgendwelchen Schreibtischen.

Auch die Finanzen der Bürger fanden die Ermittler spannend. Duzende Konten und Sparbücher von Kindern, von Vereinen oder Stiftungen wurden durchleuchtet, wenn sie nur irgendwie am Rand mit Leuten im Verfahren in Verbindung gebracht werden konnten. Die Sammelwut fiel auch im LKA auf. Ein leitender Beamter schrieb in einem Vermerk kritisch: „Wo sind die Ergebnisse der umfangreichen Finanzermittlungen, mit denen ich so nicht einverstanden war und gegen die ich rechtliche Bedenken vorgetragen hatte?“

Eine Firma wurde in die Pleite getrieben, Arbeitsplätze gingen verloren und die bürgerliche Existenz eines Mannes ging zu Grunde.

Ich habe den Vermerk wegen seiner außergewöhnlichen Bedeutung hier veröffentlicht. Einfach auf den Link klicken. Er zeigt, wie stark das LKA außer Rand und Band geraten ist, wie kritische Stimmen ignoriert wurden. Der Vermerk ist ein Dokument des Versagens. Die Öffentlichkeit hat ein Recht ihn zu lesen. Ich zitiere unten noch mal aus dem Vermerk.

Denn alle Fragen nutzen nichts. Wie von unsichtbarer Hand getrieben, ging es weiter. Ende Mai 2008 durchsuchten hunderte Polizisten duzende Wohnungen in ganz Deutschland und steckten den Hauptbeschuldigten Harald Friedrich für drei Wochen in ein Wuppertaler Gefängnis zu Mördern, Totschlägern und Betrügern.

Mittlerweile wurden die meisten Verfahren eingestellt. Deswegen wird es Zeit, sich dem Ursprung des Verfahrens zuzuwenden. Wer steckt hinter der maßlosen Verfolgung? Es gibt Spuren, die direkt zu Umweltminister Eckhard Uhlenberg führen.

Harald Friedrich galt in seinem Ministerium als unbequem. Die ehemalige Grüne Umweltministerin Bärbel Höhn hatte ihren Parteifreund als Leiter der Abteilung für Wasserwirtschaft eingestellt. Er setzte sich energisch für die Verbesserung der Wasserqualität ein und hielt seine Beamten auf Trab. Einigen war er unsympathisch, seine Arbeitswut irritierte sie, die nächtlichen Besprechungen, die immer neuen Forderungen, der manchmal barsche Ton. Fast alle verstanden, warum er „Höhns Kettenhund“ genannt wurde. Er suchte Machtmittel und setzte sie auch gegen Mächtige ein. Die Geschäftsführer vieler Umweltunternehmen werden das bestätigen. Feinde hat Friedrich mehr als genug. Wer mit Argumenten kam, die er dumm fand, hatte zu leiden. Selbst in seiner neuen Heimat im Sauerland werfen sie ihm vor, die Grünen gespalten zu haben.

Aber Friedrich war auch jemand, auf den Verlass war, der Menschen an sich binden konnte. Ein Mann, der menschlich korrekt war, auch wenn er in der Sache hart blieb. Ein Abteilungsleiter, der Dinge bewegte. Und neue Standards setzen konnte. Er hat noch immer in der Umweltverwaltung Freunde und Menschen, die zu ihm stehen. Die ihn nicht vergessen haben. Genauso wie er Feinde hat hat er Freunde. Friedirch polarisiert eben.

Bald nach dem Übergang von Höhn zum neuen CDU-Minister Uhlenberg finden sich Bemühungen im Umweltministerium, Friedrich kalt zu stellen. Im Haus wird Material gesammelt. Eine Mitarbeiterin von Friedrich tat sich dabei besonders hervor. Sie heißt Dorothea Delpino und spielte die Rolle der Hauptbelastungszeugin. Sie schickte Spitzelberichte direkt aus Friedrichs Umfeld an Uhlenbergs Staatssekretär Alexander Schink (CDU).

Dabei wurde die Rolle der Zeugin Delpino auch im Umweltministerium nicht unkritisch gesehen. Spitzenbeamte von Uhlenberg fragten nach der Motivation hinter den Spitzeleien. In einem internen Vermerk der Abteilung I-4 heißt es, die Aussagen von Delpino könnten angegriffen würden, weil diese „persönliche Motive für die Diskreditierung“ des Beschuldigten habe. Die Rede ist von Mobbing. Dann sei Delpino eine Beförderung unter Friedrich verweigert worden. Sie habe dagegen klagen wollen, stelle diese Klage jedoch "im Kontext des aktuellen Vorgangs" gegen Friedrich zurück. Und weiter: „Bei Durchsicht der Unterlagen der Zeugin zeigt sich, dass die Zeugin teilweise als eine Art agent provocateur handelte.“

Dennoch suspendierte Schink vor allem auf Basis der Delpino-Berichte am 16. Juni 2006 Harald Friedrich vom Dienst. Mehr noch: am gleichen Tag beförderte er die Zeugin zur stellvertretenden Abteilungsleiterin, wie aus einem persönlichen Schreiben von Schink an Uhlenberg hervorgeht. Im Juli dann stellte Schink vor allem auf Basis der Delpino-Berichte gleich drei Strafanzeigen gegen Harald F. wegen des Verdachts auf Korruption und Geheimnisverrat beim LKA, wie Unterlagen der Behörde zeigen.

Hat Schink das auf eigene Rechnung getan? Oder in Abstimmung mit seinem Minister Uhlenberg? Bereits am 18. Juni 2006 verfasste Schink jedenfalls ein persönliches Schreiben an den „lieben Eckhard“. Darin unterrichtet er den Minister detailliert über das Vorgehen gegen den Abteilungsleiter. Auch an die Presse wird gedacht. Als Sprachregelung sei vereinbart worden, dass Friedrich wegen Dienstvergehen gefeuert worden sei. Weiter heißt es, „erst ab Mittwoch sollten diese Dienstvergehen näher konkretisiert werden“, wenn die Presse nach dem gekündigten Abteilungsleiter frage.

Auch im Landeskriminalamt gab es früh Zweifel, ob die Zeugin Delpino ausreicht, ein großes Verfahren anzustrengen. Vor allem die Recherchen des Leiters der Ermittlungskommission (EK) „Stuhl“ Eckhard Lech auf Basis der Zeugin wurden hinterfragt. In einem Vermerk schreibt ein Vorgesetzter an den EK-Leiter über dessen Bericht, mit dem er Durchsuchungsbeschlüsse beantragen will:

„Ich finde einen Bericht vor, der nahezu ausschließlich oder überwiegend mit Zitaten der Zeugin Delpino gespickt ist. Hat Frau Delpino die Ermittlungen geführt? Ist sie die einzige Quelle der bisherigen Ermittlungsergebnisse, oder ist diese Ausarbeitung lediglich als Anzeige (von Frau Delpino) zu verstehen? Warum wird die Rolle von Frau Delpino so unkritisch gesehen, immerhin muss eine engere Verbindung zwischen ihr und Herrn Friedrich existiert haben, wie sonst ist das zu ihren Gunsten manipulierte Auswahlverfahren zu verstehen? Wurde berücksichtigt, dass vielleicht auch Rachegelüste eine gewisse Rolle spielen könnten?? Wissen wir wie es genau und warum zwischen dem Bruch zwischen Frau Delpino und Herrn Friedrich gekommen ist? Die Merkwürdigkeiten wurden jedenfalls mit keiner Silbe erwähnt “

Lech selbst war früh die politische Dimension des Verfahrens bewusst. In einem internen Vermerk vom 5. März 2007 gibt er zu, dass bei seinen Recherchen „aufgrund der Fachlichkeit eine Abhängigkeit vom MUNLV besteht“. Es „muss zumindest bedacht werden, dass ggf. versucht wird, die Ermittlungen politisch zu instrumentalisieren.“

Warum wurden diese Bedenken nicht gehört? Wer hatte die unsichtbare Hand, die alles am Laufen hielt? Oder waren es nur wild gewordene Bürokraten, die auf einen Anschub aus dem Umweltministerium hin, einen Selbstläufer produzierten?

Auch heute wird noch gegen Friedrich ermittelt. Die Staatsanwaltschaft Wuppertal ist optimistisch eine Anklage hinzubekommen. Es geht um kleinere Delikte. Friedrich soll über Jahre hinweg duzenden Essen im Gesamtwert von über 1000 Euro angenommen haben. Das könnte eine Vorteilsannahme im Amt sein. Das zu beweisen, ist für die Ermittler sehr schwer. Manchmal wissen die Ermittler nicht, wieviele Leute beim Essen dabei waren und auch wenn Friedrich alleine mit dem angeblichen Vorteilsgeber war, ist nicht klar, wer bezahlt hat. Es ist nur klar, wer den Beleg bei der Steuer eingereicht hat. Wenn Friedrich und sein Gegenüber zur Frage schweigen, wer für Pommes oder Fischplatte aufkam, wird man sie nur sehr schwer verurteilen können. Aus diesem Grund wird mit keiner Aussage von Friedrich vor der Staatsanwaltschaft zu rechnen sein.

Im zweiten Fall heißt es, Friedrich habe unberechtigt Unterlagen aus dem Ministerium zu Hause aufbewahrt – ein möglicher Verwahrbruch. Auch hier ist es schwer einen Vorsatz zu belegen. Friedrich durfte als Abteilungsleiter Unterlagen zu Hause bearbeiten. Hat er die Sachen zu Hause vergessen oder unterschlagen? Schwer zu beweisen, was wahr ist, wenn jemand zehn Jahre im Amt war.

Aufgrund der Schwierigkeiten ist es ungewiss, ob beide Fälle vor Gericht landen. Eine Verurteilung ist noch unsicherer. Die Wuppertaler Behörde streitet seit Monaten mit der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf darüber, was zulässig ist. In etlichen Anweisungen wurden die Wuppertaler schon angewiesen, ihren Zorn und ihre Wut zu mäßigen, und die Verfolgungen einzustellen.

Es scheint, als hätten der leitende Staatsanwalt in Wuppertal sein Maß verloren. Man könnte meinen, er sitzt in einem Bunker und glaubt an den Endsieg. Die ihn erlösende Anklage. Er wird Freunde haben, die ihn unterstützen. Er wird bestärkt in Emails aus dem LKA, vom Ermittler Lech etwa. Diese liegen mir vor.

Es ist das Bild einer Runde von Männern, die nicht verstehen können, warum es ungehörig sein sollte, einen Mann wegen sich in Luft auflösender Vorwürfe drei Wochen in Haft zu stecken, Menschen abzuhören, Konten unbescholtener Bürger zu durchleuchten, eine Firma, Arbeitsplätze und Existenzen zu vernichten.

Sie scheinen zu glauben, unsichere Vorwürfe der unberechtigten Essensannahme oder der Falschaufbewahrung von Dokumenten könnten diese Eingriffe in die Intimsspähre duzender Menschen irgendwie rechtfertigen.

Was sollen die Leute der Firmen M. oder A. dazu sagen? Als deren Büros in Düsseldorf und Aachen durchsucht wurden?  Als deren Geschäftsführer nicht wussten, ob sie jetzt in die Pleite getrieben werden?

Die Beamten in Wuppertal und im LKA können offensichtlich nicht verstehen, was Sie getan haben.

Sie fühlen sich im Recht. Noch.

Mag Panorama (ARD) YouTube als Quelle für das Honecker-Video nicht?

Margot Honecker im Internet-Video (bei Panorama, ARD)Am vergangenen Donnerstag wurde im ARD-Nachrichtenmagazin Panorama dem 20-jährigen Jubiläum des Mauerfalls gedacht. Grundsätzlich eine gute Sache. Man versuchte jedoch auch, mit der in Chile lebenden Margot Honecker, der Witwe des ehemaligen DDR-Diktators Erich Honecker, in Kontakt zu treten und kündigte im Vorfeld auch ein Interview mit ihr an.

Dieses "Interview" besteht daraus, dass eine 82-jährige alte, verbitterte Frau, die sich vorab gegen einen Interviewtermin gesträubt hatte, auf offener Straße von einer ARD-Reporterin verfolgt und angesprochen wird. Margot Honecker schweigt fast komplett und äußert fast nur ihren Willen, an diesem Interview nicht teilzunehmen um dann kurze Zeit später doch noch was zu sagen bzw. zu lachen. Sie lacht nämlich als ihr das Zitat von Willy Brandt ("Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört!") genannt wird. Warum sie lacht – das erfährt man nicht, das kann die investigative Reporterin, der es gelungen ist eine 82-Jährige nach einem Marktbesuch oder ähnlichem aufzulauern, nicht mehr klären.

Nach dem ziemlich nichts sagenden Panorama-Bericht erwähnt dann die Panorama-Moderatorin im Abspann ein "Internet-Video", in dem sich Margot Honecker vor ihren Freunden dann etwas offener äußert (siehe Abbildung). Dort äußert sie sich dann auch gleich zur Bundestagswahl, zeigt sich erfreut, dass die Linke mehr Stimmen erhalten hat, die SPD wegen ihrer unsozialen Politik Stimmen verloren hat usw.

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Ex-Kanzlerkandidat sitzt in Bezirksvertretung

Ehemaliger Kanzlerkandidat – ein hartes Schicksal. Aber nicht alle zerbrechen an ihren gescheiterten Träumen vom Griff nach der Macht. Manch einen zieht es auch zurück an die Basis. Wolfgang Wendland zum Beispiel.

Wolfgang Wendland foto: Karl Nagel

Nicht jeder gescheiterte Kanzlerkandidat ging souverän mit seiner Niederlage um: Gerhard Schröder pöbelte im Fernsehen herum und verdingt  sich nun bei russischen Gashändlern,  Stoiber widmete sich der Weiterentwicklung seines Sprachfehlers und Steinmeier sitzt heute der Bundestagsfraktion einer Partei mit dem Namen "SPD" (?) vor.  Gelungener Lebensläufe sehen irgendwie anders aus.

So wie der von Wolfgang "Wölfie" Wendland zum Beispiel. Der Musikant, im Hauptberuf Sänger der Band "Die Kassierer",  war 2005 Kanzlerkandidat der Anarchistischen Pogopartei Deutschlands (APPD) und bereits 1998 in deren Schattenkabinett für Gesundheit und Drogen zuständig. OK, für einen Platz auf der Regierungsbank reichte es beide Male nicht.

Bei der Kommunalwahl am 30. August wurde der heute parteilose Wendland, der lange Zeit auch Mitglied der CDU war, auf dem Ticket der Linkspartei in die Bezirksvertretung des Bochumer Stadtteils Wattenscheid gewählt. Wendland setzt sich seit vielen Jahren für die Förderung von Kultur in Wattenscheid ein – unter anderem mit der Forderung nach Räumen für Kulturinitiativen. Das ist schon was anderes als Gas zu verschachern…

FDP will Entwicklungshilfe an China streichen. Hallo? Die gibt es gar nicht mehr.

Die neue schwarz-gelbe Koalition macht Dampf. Das wurde schon bei der Ausarbeitung des Koalitionsvertrages sichtbar. Und auch wenn viele Punkte und Maßnahmen in diesem etwa 120 Seiten umfassenden Werk derzeit wegen des Finanzierungsvorbehaltes nicht mehr sind als Luftschlösser sind, bei einem hat die neue Bundesregierung schon mächtig vorgelegt: bei den Fettnäpfchen. Von unserem Gastautor Cityboy

Zuerst musste man die Tricksereien mit Schattenhaushalten wegen verfassungsrechtlicher Bedenken aufgeben, dann wurde jedem klar, dass die viel gefeierten Steuersenkungen nur auf Pump und damit in Wahrheit Steuererhöhungen sind – und dass die FDP mit Dirk Niebel den Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit wird, überraschte dann auch noch. Jedem Bundesbürger war danach klar, dass man nicht unbedingt Qualifikationen für das Amt eines Ministers mitbringen muss. Dem Image der Politiker hat diese Benennung einen Bärendienst erwiesen – seit langem war kein Bundesminister mehr so umstritten wie Niebel. Obwohl schon vor der Bundestagswahl die Posten zwischen Angela Merkel (CDU) und Guido Westerwelle (FDP) nach der 8-5-3-Regelung verteilt wurden, sprach sich vor dem Urnengang die FDP im Parteiprogramm noch für die Abschaffung der Bonner Behörde aus. Nun, gerade frisch im Amt, kündigte Niebel gleich mal an, die Entwicklungshilfe an China zu streichen. Allerdings gibt es da ein Problem: Sie gibt es gar nicht mehr.

Vollmundig und in bester Manier eines Partei-Generalsekretärs tönte der ausgebildete Fallschirmspringer, der sich bisher nicht nur außenpolitische oder internationale Erfahrung hervorgetan hat, dass es nun einen Schlussstrich unter die Geldströme aus dem deutschen Steuersäckel in Richtung China gezogen werde. "Armutsbekämpfung ist für Deutschland wichtiger denn je. Dass heißt, unsere Mittel zu konzentrieren und wirksam dort einzusetzen, wo es am meisten Not tut. Wirtschaftsriesen wie China und Indien erfüllen diese Kriterien nicht mehr", sagte Niebel der BILD-Zeitung. Einen Zeitpunkt für das Ende der Hilfen nannte er jedoch nicht. Niebel setzt mit der Ankündigung ein Wahlversprechen der FDP um. Die Liberalen hatten im Wahlkampf unter anderem erklärt, die staatlichen Hilfen für China streichen zu wollen.

Und in der Tat war die Bundesrepublik einmal der zweitgrößte Geldgeber für das Reich der Mitte. 2005 und auch 2006 flossen durchschnittlich 441 Millionen Dollar als Entwicklungshilfe in das Land, dass seit gut einem Jahrzehnt eine beispiellose wirtschaftliche Aufholjagd hinlegt und sich nun anschickt, als Wirtschaftsmotor die USA abzulösen. China und seine enorme Wirtschaftskraft könnten nun dafür sorgen, dass die Weltkonjunktur schnelle aus der Krise kommt als manche erwartet hatte. Allein die Industrieproduktion legte im dritten Quartal um 16 Prozent zu. Schon unter der rot-grünen Vorgänger-Regierung wurde daher über die Reduzierung der Entwicklungshilfe debattiert, ein Gutachten des Deutschen Institutes für Entwicklungspolitik (DIE), einem politischen ThinkTank des Entwicklungshilfeministerium, kam schon 2003 zu dem Fazit, die Entwicklungszusammenarbeit mit dem Ankerland China auf dem Prüfstand zu stellen und einzustellen.

Doch erst 2006, nach der blutigen Niederschlagung der Unruhen in Tibet, wurde die Entwicklungshilfe ausgesetzt. 2007 betonte der damalige Regierungssprecher auf entsprechende Vorhaltungen der FDP, dass Deutschland weiterhin keine Entwicklungshilfe mehr an China zahle. Lediglich für eine wirtschaftliche Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Erneuerbaren Energie würden etwa 70 Millionen Euro fließen – Geld übrigens, von dem die deutsche Solarbranche profitiert. Laufende Projekte würden zwar weitergeführt werden, aber mehr passiere nicht mehr, sagte Steg schon vor zwei Jahren auf entsprechende Angriffe des heutigen Bundeswirtschaftsministers Brüderle – und der CDU.

Aber technische Zusammenarbeit ist nun mal keine Entwicklungshilfe. Das müsste eigentlich auch Dirk Niebel wissen.

Brisanz bekommt die Streichung zudem, weil die wirtschaftliche Zusammenarbeit einen neuralgisches Feld betrifft, das sich eigentlich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verpflichtet fühlt – dem weltweiten Klimaschutz. Und China ist nun mal der zweitgrößte Verursacher von klimaschädlichen Gasen. Mit Hilfe deutscher Unternehmen, vor allem aus dem Mittelstand, sollte China durch die staatliche Hilfe aus Deutschland sauberer werden. Die FDP tönt nun, man habe einen weiteren Punkt aus dem Parteiprogramm erfüllt. Das Ministerium hingegen bleibt weiterhin unangetastet – wohl auch, weil Niebel sich seine eigenen staatliche Unterstützung sichern will: In Form einer guten und üppigen Staats-Pension, wenn er die notwendige Dienstzeit als Minister erfüllt.

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Bundeswehr kann keinen Krieg

Der Luftangriff vom 4. September in Afghanistan auf zwei Tanklastwagen kann nur eine Konsequenz haben: Die Bundeswehr muss sofort abziehen. Durch den Untersuchungsbericht der Nato zu dem Luftangriff vom 4. September in Nordafghanistan fühlt sich die Bundeswehr jedoch entlastet. Ein Bundeswehroberst in Kunduz hatte die US Air Force gebeten, zwei von den Taliban gekaperte Tanklastwagen zu bombardieren, die aber in einem Flussbett feststeckten. Der Luftangriff könnte zwischen 17 und 142 Tode und Verletzte gefordert haben. Der Angriff wurde heftig kritisiert. Generalinspekteur der Bundeswehr General Wolfgang Schneiderhan verteidigt den Luftangriff: „Das führte nach meiner Bewertung zu der richtigen Lagebeurteilung, dass der Luftangriff zum damaligen Zeitpunkt militärisch angemessen war.“ General Schneiderhan hätte vielleicht recht, wenn von den Tanklastwagen eine unmittelbare Gefahr ausgegangen wäre. Aber das war wohl nicht der Fall.

Tanklastwagen, die in einem Flussbett stecken geblieben sind, stecken meist für viele Stunde fest. Sie können nicht plötzlich verschwinden oder gar in fahrende Bombe verwandelt werden. Von ihnen geht erstmal keinerlei Gefahr aus.  Das bleibt  auch so, selbst wenn die Tanklaster in einem afghanischen Flussbett stehen und Taliban sie gekapert haben. Bleibt in Afghanistan ein Tanklastwagen in einem Flussbett liegen, ereignet sich aber höchst wahrscheinlich folgendes Szenario: Die Bewohner aus den naheliegenden Dörfern ergreifen Eimer oder Kanister und rennen zum Fluss.

In den meisten Fällen pumpt der Fahrer des Tanklasters Benzin ab, um dessen Gewicht  zu verringern. Die Dörfler erhoffen sich einen Eimer Gratisbenzin. Auch ohne Luftaufklärung und Nachtsichtgeräte sollte ein Offizier der Bundeswehr in Afghanistan zu mindestens ahnen, dass viele Menschen mit Eimern und Kanistern einen solchen Tanklastwagen umringen.

Warum also ließ der Bundeswehroberst die Tanklastwagen bombardieren? Die Tanklastwagen waren doch geortet und steckten zudem noch fest. Die Bundeswehr hätte also die Möglichkeit gehabt, aus dem Lager am Flughafen in Kunduz auszurücken und die Tanklastwagen im Flussbett den Taliban wieder abzujagen. Das Feldlager der Bundeswehr am Flughafen von Kunduz lag doch ganz in der Nähe der Flussbiegung, wo die Tanklaster feststeckten. Hier ein Lageplan dazu.  Das wäre militärisch angemessen gewesen. Aber warum ist das nicht passiert?

Dafür kann es folgende Gründe geben.

I. Die Bundeswehr ist schlicht nicht dafür ausgebildet, nachts in Afghanistan auszurücken, um zwei Tanklastwagen, die im Flussbett stecken, zu sichern.

II. Das Leben der Soldaten sollte bei einem nächtlichen Einsatz nicht riskiert werden.

Stimmt auch nur einer dieser Gründe, dann wäre es besser für die Bundeswehr, Afghanistan sofort zu verlassen. Man kann nicht Kriegspartei in einem Konflikt sein, und nicht kämpfen wollen oder können. Als ich 2006 in Kunduz den damaligen Befehlshaber der Bundeswehr fragte, was dessen wichtigste Aufgabe sei, sagte dieser, die Sicherheit seiner Soldaten zu garantieren. Ich finde diese Aussage ehrenwert. Aber könnte die Bundeswehr diese Aufgabe in der Lüneburger Heide nicht viel besser erfüllen?

Vielleicht sollten wir sogar stolz darauf sein, dass die Bundeswehr keinen Krieg kann. Aber dann ist Afghanistan für die Bundeswehr nicht der richtige Platz, und das ganz davon unabhängig, wie man das militärische Engagement der Nato in Afghanistan bewertet. Denn der ausschließliche Schutzgedanke gegenüber den eigenen Soldaten kann in einem Krieg in Afghanistan mehr Leid verursachen. Er verführt dazu, dass bei einer Einsatzentscheidung die möglichen Opfer unter der afghanischen Zivilbevölkerung geringer bewerten werden als die unter den eigenen Soldaten. Und ich befürchte, dass genau dies der Grund für die Bombardierung der Tanklastwagen am 4. September war. 

 

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