Wallraff im Ringlokschuppen

 

Er kann es nicht lassen. Und das ist gut so. Wallraff hat wieder die Perspektive gewechselt.

Immer wieder verbringt Günter Wallraff Monate oder sogar Jahre unter dem Deckmantel fiktiver Identitäten. Sie erlauben es ihm, in die Tiefen sozialer Ungerechtigkeiten und moralischer Vergehen einzutauchen. 1985 schafft er mit seinem Werk „Ganz unten“ den Durchbruch. Als Türke „Ali“ berichtet er von dem empörenden Handel mit Leiharbeitern. Der Erfolg gibt ihm Recht: mit über fünf Millionen verkauften Exemplaren wurde „Ganz unten“ ein sensationeller Erfolg.

Nun war er wieder unterwegs. Als „Michael G.“ hat er die deutschen Callcenter auf Herz und Nieren geprüft und als Niedriglöhner für Lidl Fabrik-Brötchen gebacken. Außerdem hat er als Obdachloser das Leben ohne zu Hause aus nächster Nähe inspiziert. Seine Erfahrungsberichte bekommen wir in seinem neusten Buch „Aus der schönen neuen Welt“ druckfrisch serviert. Wer aber nicht nur sein Buch, sondern auch seine Stimme will, der sollte am 29.10.09 zum Ringlokschuppen in Mülheim pilgern. Dort liest Wallraff aus seinem neuen Buch und diskutiert im Anschluss mit neugierigen Zuhörern.

 

Donnerstag, 29.10.2009

Start 20:00 Uhr

Eintritt 15,-€

 

3 FÜR 7 – Literatur-Special

Letzte Tage habe ich denn mal "Lenin kam nur bis Lüdenscheid" zu Ende gelesen. Dabei lese ich selten Biografien. Das Lokale, die Erziehung und das Umfeld des Protagonisten, sowie die Tatsache dass er ein ähnlicher Jahrgang wie ich ist, haben in diesem Fall wohl ausnahmsweise den Ausschlag gegeben. Bücher lesen hat immer so etwas richtig old-school-Persönliches, fast Vertrauliches – hm, kommt natürlich auf die Bücher und Schreibenden an. Wie steht es also diesbezüglich um: Sibylle Berg, Harry Rowohlt, Otto Sander?

Aus irgendeinem Grund schaut der Autor dieser Zeilen also nach Monaten wieder diese Harald Schmidt Sendung – wegen einer positiven Kritik in einer Zeitung wohl. Und wer stellt da ihr Buch vor und lässt den Gastgeber wie einen schmierig-schmuddeligen Possenreißer dastehen? Genau, Frau Berg (Foto: Tom Produkt). Ist ja immer schwierig, sich über Menschen ein Bild zu machen, wenn man sie nur aus der Kamera- oder Bühnensituation kennt. Manche beginnen ja dann, sich diesem Image zumindest vom Autoren-Ich her anzupassen. Dabei mögen sie dieses Ich vielleicht gar nicht besonders. Hat das etwas mit Sibylle Berg zu tun? Gute Frage! Jedenfalls liest neben ihr auch Katja Riemann aus "Der Mann schläft".

Harry Rowohlt scheint immer gleich einen ganzen Menschenschlag zu repräsentieren. Gleichzeitig ist er irgendwie der Bär, der es aus einer Art Sesamstraßenkommune eines Paralleluniversums mit lauter 50er-Jahre Eckhäusern hier rübergemacht hat – ah ja, eine Hamburg-Variante davon, genau. Nun, und den dem gegenüber jugendlich frisch wirkenden Part bei der Lesung von Klassikern der komischen Lyrik darf dann halt Christian Maintz einnehmen, und der wirkt auf dem Foto im Programmheft tatsächlich wie der FDP-Vize neben dem DKP-Kanzler.

Otto Sander hat sich im Rahmen dieser ähem Netzseite hier ja bereits im Rahmen eines Interviews selbst darstellen dürfen. Und nun macht er tatsächlich den Jim Morrison bei "American Poet". Der Sinn dieser Aktion erschließt sich vielleicht nicht direkt, aber in der Postmoderne darf ja jedeR jedeN darstellen. Ach ja, klar: Sie sind etwa eine Generation! Nur ist Jim ewig jung geblieben – so eben.

P.S.: "Die drei ??? und der seltsame Wecker" in der Grugahalle ist selbstverständlich ausverkauft.

Berg und Riemann am Dienstag ab 20 Uhr in den Kammerspielen.
Rowohlt und Maintz am Donnerstag ab 20 Uhr in Gladbeck.
Die Premiere von Sander und Morrison am Samstag ab 20 Uhr in der Rottstr. 5.

 

Uhlenberg verbreitet weiter PFT-Märchen

Recherchen von Westpol offenbaren: Es tut sich immer noch nichts bei der Bekämpfung der Gifteinleitungen in die Ruhr. Toll.

Zitat: Nach dem Skandal um PFT in nordrhein-westfälischen Flüssen hatte Umweltminister Uhlenberg vor zwei Jahren Besserung versprochen. Doch passiert ist bislang wenig. Nach Westpol-Informationen werden in zahlreichen Kläranlagen immer noch erhöhte Werte gemessen. Stadtwerke fordern deshalb, die Industriebetriebe, die die Giftstoffe einleiten, stärker in die Pflicht zu nehmen.

Den ganzen Beitrag gibt es hier: klack

 

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Dortmund: Sieraus erster Tag im Amt…Ruhr Nachrichten

Dortmund II: Hengstenberg verzichtet auf CDU-Chef-Kandidatur…Der Westen

Bundestag: Kein Spiegel der Gesellschaft…FAZ

WAZ: Meinungsmache und Moral…Zoom

SPD: Nicht mehr sexy…Der Westen

Nazis: Prozess endete mit Freispruch…Der Westen

Wirtschaft: Mehr als Döner…Ruhr Nachrichten

Lesen: Gegenwartsliteratur im Revier…Bo Alternativ

Kunst: C.A.R. 09…Hometown Glory

Ruhr2010: Gerz hat seine Straßen…Der Westen

Kolaitionsvertrag: Aggression auf Filzlatschen…Weissgarnix

 

 

Rettet die SPD!

Die SPD ist in „katastrophalem Zustand“. Das sagt, immerhin, ihr künftiger Vorsitzender. Sigmar Gabriel hat Recht. Die Partei, die er führen will, hat sich allmählich aufgegeben. Überflüssig ist sie nicht, im Gegenteil. Nur völlig desorientiert.
Von unserem Gastautor Uwe Knüpfer

Als die SPD entstand, vor fast 150 Jahren, entwurzelte die Globalisierung Millionen von Menschen; wirtschaftlich und geistig. Neue Wirtschaftsimperien entstanden, es wurden gewaltige Reichtümer aufgehäuft. Gleichzeitig wuchs die Kluft zwischen Arm und Reich. In guten Schulen und Universitäten waren die Kinder des Adels und der Reichen unter sich.

Klingt irgendwie vertraut. Zwar sind wir weit von den sozialen Verhältnissen des 19. Jahrhunderts entfernt. Doch die alten Themen tauchen wieder auf. Was nur zeigt: die SPD wird gebraucht. Vielleicht sollte sie sich erinnern:

Bevor die Sozialdemokratie eine Partei wurde, bestand sie aus Arbeiterbildungsvereinen. Statt Brot und Spiele für die Armen verlangte sie Aufstiegschancen. Mitbeteiligung. Sie folgerte aus der universellen Geltung der Menschenrechte, dass auch Arbeiter Bürger sind; gleichberechtigte Bürger. Das war revolutionär.

Einem Teil der sozialdemokratischen Bewegung war das nicht revolutionär genug. Während die Mehrheitssozialdemokratie die Mitverwaltung der bürgerlichen Gesellschaft anstrebte – also einen Kapitalismus mit menschlichem Antlitz – , wollte eine Minderheit etwas anderes. Dieses „Andere“ ging dann später als „Diktatur des Proletariats“ in die Geschichte ein.

Die Spaltung der Bewegung in Sozialdemokraten und Kommunisten war folgerichtig und ist es noch heute.

Gleiches Recht und gleiches Stimmrecht für alle. Freier Zugang zu jeder Form von Bildung für jeden. Abschaffung unverdienter Privilegien. Kampf dem Militarismus. Gemeinwirtschaft statt ungehemmtem Profitstreben. Zähmung der Marktkräfte durch staatliche Regeln und Aufsicht. Internationale Solidarität. Darauf fußte das Programm der SPD, und:

Arbeit sollte sich lohnen. Nicht wer von Papa Titel oder Konto geerbt hatte, sollte in der Gesellschaft und in der Politik den Ton angeben, sondern wer sich durch Fleiß und gute Arbeit ausgezeichnet hat. Die Sozialdemokratie verstand sich als eine Selbsthilfeorganisation der unterprivilegierten Leistungsträger.

Würde die SPD diese Ziele wieder ernst nehmen, wäre der erste Schritt zu ihrer Rettung getan. Der zweite müsste folgen:

Bevor die Sozialdemokratie Partei wurde, war sie Verein. Eben eine Selbsthilfeorganisation. Irgendwann ist der SPD das peinlich geworden. Irgendwann hat sie sogar die Hauskassierer abgeschafft, die von Tür zu Tür gingen, um Mitgliedsbeiträge einzusammeln und dabei nach Sorgen und Nöten zu fragen. Heute werden neue Genossen längst nicht mehr persönlich begrüßt, geschweige denn gefragt, warum und wie und wo sie ihren Platz in der SPD finden wollen. Richtet einen Dauerauftrag ein und spendet zusätzlich, wenn Wahlkampf ist! Mehr scheint die SPD von denen, die ihr Mit-Glied sein wollen, nicht zu verlangen.

Ihren Höhepunkt erreichte die Entvereinigung der SPD unter Gerhard Schröder. Für ihn und die Seinen war die Partei nur noch als Resonanzboden wichtig, ansonsten lästig. Aus Parteitagen wurden Akklamationsveranstaltungen. An die Stelle von Debatten traten Heldenverehrungen. Meinungsbildung im öffentlichen Raum war unerwünscht; sie fand in kleinen und immer kleineren Kreisen statt, allenfalls unter Einbeziehung geladener „Experten“, Demoskopen und Journalisten.

Das galt als modern. Das hatten Kampagnentechnokraten in Amerika gelernt – übersehend, dass Parteien in den USA ganz andere Traditionen haben als bei uns. Ganz selten gelingt es dort einem kleinen Zirkel von Parteifunktionären, einen der Ihren zum Kandidaten für hohe Regierungsämter zu küren. In Wahrheit muss sich jeder Kandidat einer Vielzahl von Prüfungen stellen; er muss sich vor Ort, im Kontakt mit Menschen bewähren, bevor er in die Welt der Kameras und Photo-Opportunities entschwebt.

Die SPD hat diesen Weg abgekürzt. In ihr ist es gang und gäbe geworden, „den Gremien“ zu sagen, was sie zu entscheiden und wen sie bitte schön zu wählen haben. Die Bolschewiken, gäbe es sie noch, würden vor Neid erblassen. Den „demokratischen Zentralismus“ hatten eigentlich sie erfunden – um das Unberechenbare wahrhaft demokratischer, offener Mehrheitsbildungen und Wahlen auszuschließen.

Wer die SPD retten will, muss sie in neuem Sinne wieder-vereinen. Überall findet man Menschen, denen es wichtig wäre, die alten Ziele der SPD in die neue Zeit zu übertragen. Überall gibt es Menschen, denen es ernst damit ist, Schulen so zu gestalten, dass dort jedes Talent entdeckt und gefördert werden kann. Die wissen wollen, wie den wieder enthemmten Kräften des Kapitalismus beizukommen ist. Die sich sorgen, militaristisches, nationalistisches Denken könne wieder um sich greifen.

Die SPD müsste sich die Mühe machen, solche Menschen zu sammeln. Sie miteinander ins Gespräch zu bringen. Sie aus der Geschichte lernen zu lassen. Ihren Ideen Ausdruck zu geben.

Das sollte heutzutage viel leichter sein als im 19. Jahrhundert. Das Grundgesetz garantiert die Rede-, Presse- und Versammlungsfreiheit. Und das Internet kann enorm bei Organisation und Meinungsbildung helfen. Doch das Wichtigste wird sein, den Orts-Verein, die Kernzelle der SPD, neu zu erfinden. Als einen Ort, an dem Menschen zusammenkommen, um ernsthafte Anliegen ernsthaft zu diskutieren – und schließlich Einfluss zu nehmen. Und nicht, um sich anzuhören, was aus Funk und Illustrierten bekannte „Spitzenpolitiker“ ihnen auftischen; in der Regel Aufgewärmtes, vielfach schon Gehörtes und Gelesenes. Und auch nicht, um sich gegenseitig auf die Schulter zu klopfen, die Türen fest zu verriegeln und das nächste Sommerfest zu planen.

Kurt Tucholsky hat mal vorgeschlagen, die SPD umzubenennen – in: „Hier können Familien Kaffee trinken“. Ihm war die SPD zu kleinkariert, zu bräsig und konfliktscheu. OK. Das ist sie immer noch. Aber welcher Familie käme es heute in den Sinn, bei und mit den Genossen Kaffee zu trinken?

Wenn sie das wieder schafft: wenn Menschen, ganze Familien gar, wieder Lust haben, bei der SPD „Kaffee zu trinken“ und dabei, zum Beispiel, über Erziehung, das Genossenschaftswesen oder den Krieg am Hindukusch zu sprechen, wird ihr Wiederaufstieg unaufhaltsam sein.

Was für ein Mensch ist Alex W.?

Zunächst: Alex W. ist ein Mörder, und zwar einer mit rassistischem und kulturalistischem Hintergrund. Nun beginnt der Prozess gegen diesen Mann, der vor knapp vier Monaten in einem hiesigen Gerichtssaal Marwa El Sherbini mit einem Messer getötet hat, vor den Augen ihres dreijährigen Kindes, sie im dritten Monat schwanger. Die Dresdenerin hatte ihn verklagt, weil er sie unflätig beschimpft hatte. Ihr Mann wurde direkt nach der Tat von einem Polizisten angeschossen. Nun berichtet die deutsche Presse – auf rassistische Weise?

Der Verdacht keimt bei der Lektüre der WAZ auf. In der letzten Woche hatte ich hier eher beiläufig, aber keinesfalls unernst, über die Probleme unrassistischer Berichterstattung über (potentiell) rassistisch motivierte Aktionen und Texte geschrieben. Nun also folgende Zuschreibung für Alex W.: "Russlanddeutscher". In der Süddeutschen dieselbe Formulierung, aber auch "der aus Russland stammende Deutsche". Ich frage einen älteren Herrn am Nebentisch, was ein "Russlanddeutscher" sei. Er sagt: "Na, das kennt man doch von den Sudetendeutschen (mag sein dass das hier auch in Anführungszeichen gehört – Anm. d. V.). Das sind Deutsche, die in Russland leben." Ich verstehe was er meint, er meint Russen mit deutschem Migrationshintergrund, man könnte auch deutschlandstämmige Russen dazu sagen. ("Ethnisch deutsche bzw. deutschstämmige Minderheit in Russland" sagt das Online-Standardlexikon.)

Nun ist es offenbar schwierig, gerade für Begriffe einfach mal übernehmende Journalist/innen, bei der Beschreibung von Rassismus nicht in selbigen zu verfallen, zumindest sprachlich. Denn was besagt "Russlanddeutscher"? Es sagt "in erster Linie deutsch, in zweiter russisch". (Beispiel: Eine Beutelratte ist eine Ratte und kein Beutel.) Aber gibt es Texasdeutsche? Japandeutsche? Man will es gar nicht erwähnen, stammt die Bezeichnung doch ganz klar aus Zeiten eines Expansionsdranges nach Osten, durchaus auch einfach durch Migration – wie auch in Teilen meiner Familie. Meine verstorbene Großmutter mütterlicherseits würde ich z.B. als "Russlanddeutsche" bezeichnen, aber nicht weil ihre Vorfahren zum Teil aus Deutschland kamen, sondern weil sie (die meiste Zeit ihres Lebens) eine aus Russland stammende Frau mit deutschem Pass war. Wahrscheinlich ist sie also ein "ähnlicher Fall" wie Alex W.

Meine Großmutter hatte z.B. keine doppelte Staatsangehörigkeit. Auch so etwas ist ja denkbar. Denn wenn jemand "Russlanddeutscher" (nach Lexikondefinition) ist und gleichzeitig "aus Russland stammender Deutscher" (also anscheinend Deutscher mit russischem Migrationshintergrund), dann wäre diese Person laut Süddeutscher beides. Leider hat diesen Artikel eine Frau mit zur Hälfte deutschem und zur anderen Hälfte ägyptischem Namen geschrieben, in der taz übrigens ein Mensch mit rein ägyptischem Namen, hier findet sich der Begriff "deutsch-russisch". Die Frage stellt sich also immer wieder und auch für mich: Wie Rassismus richtig begegnen, auch sprachlich, wenn über ihn verhandelt wird – ohne ihn zu übernehmen.

Alex W. steht vor einem Gericht Deutschlands (nicht Russlands – und auch nicht Ägyptens). Es heißt, Rassismus sei hier geächtet – auch wenn eine solche Tat in einem Gerichtssaal voller nicht oder falsch einschreitender Menschen möglich ist. Und auch obwohl der Polizist, der ohne Grund auf Marwa El Sherninis Mann schoss, kaum mehr Thema ist. Deutschland sollte vielleicht besser aufpassen, seine Überheblichkeit in Bezug auf Menschenrechte und Fortschrittlichkeit nicht schon in seiner Sprache als rein taktisches Manöver zu entlarven. In Ägypten würde dieser aus Russland stammende Deutsche, dessen Vorfahren einen deutschen Migrationshintergrund hatten, für seine Tat womöglich am Strick aufgehangen. Seine letzten Worte vor der Tat im Gerichtsaal waren übrigens: "Haben Sie überhaupt ein Recht in Deutschland zu sein? Sie haben hier nichts zu suchen! (…) Wenn die NPD an die Macht kommt ist damit Schluss. Ich habe NPD gewählt." Dann stürzte er sich auf die schwangere Frau und versetzte ihr 18 Stiche in einer halben Minute. Prozessbeginn ist heute, die Medien werden weiterhin berichten, zum Glück auch außerhalb Deutschlands. (Illustration: jumedia)

 

Ruhr oder Berlin Teil 4 – Der Kreative als solcher

Was macht ihn eigentlich aus?  Und aus was besteht eigentlich die aktuell so viel gerühmte  „Keative Klasse“ ? Was steckt hinter dieser schon nicht mehr ganz neuen “Begriffs-Sau“ die seit einiger  Zeit durchs weltweite Medien-Dorf getrieben wird? Nach dem ich in den ersten drei Teilen die Rahmenbedingungen für Kreativität geklärt habe, möchte ich mich heute denen zuwenden, die den Kern der Sache ausmachen. Genauergesagt der Eigenschaft die sie als ihr Hauptmerkmal verbreiten: ihrer  Kreativität.

Bild: Kreativer am Samstagvormittag

Ist die eigentlich angeboren? Oder kann man die erlernen? Beides scheint der Fall zu sein, wenn man den Wissenschaftlern traut, die sich damit beschäftigen.  Seit den ersten Intelligenzdefinitionen die sich auch der Empirie zu stellen hatten, was natürlich mal wieder eine Idee des (amerikanischen) Militärs war, stand diese Frage im Raum. Welche Eigenschaften muss der Mensch haben, der in der Lage ist, etwas Neues zu  denken. Sei es weil er dazu gezwungen ist, weil die alten Problemlösungen nicht mehr funktionieren. Sei es weil  er einfach Spaß daran hat, Dinge nicht hinzunehmen wie sie sind. Sei es weil er in einem Metier beschäftigt ist dass davon lebt, dass nichts so bleibt wie es ist, wie z.B. in der Mode. Sei es weil er sich mit seiner ganzen Persönlichkeit der Berufung verschrieben hat, ein Erfinder zu sein.

Intelligenz, so stellte sich heraus,  ist nicht die Folge sondern die Voraussetzung von Kreativität. Blöde kommen – wie die meisten auch aus ihrer Alltagserfahrung wissen –  selten auf neue Gedanken und können deswegen auch schlecht Probleme lösen. Zumindest nicht absichtlich und bewusst. Umgekehrt , so fanden unsere Forscher heraus, gilt aber nicht der Satz: Je intelligenter je kreativer. Es gibt (leider) auch viele Menschen mit einem hohen IQ denen nicht viel Neues einfällt. Selbst wenn es dringend notwendig ist. Erleben wir gerade wieder, oder?

Wo also ist das Gen, das der Intelligenz z.B. eines Rechengenies die Fähigkeit, ja sogar Neigung, hinzufügt, um die Ecke oder Quer oder anders herum zu kalkulieren?  Die Sache auf den Kopf zu stellen? Sich aus den gewohnten Bahnen heraus zu katapultieren? Ob das ein richtiges Gen ist, weiß bis heute noch keiner so richtig. Aber es gibt, das weiß auch unsereins,  Menschen die für alle andreren nachprüfbar so sind. Wir nennen sie gewöhnlich unkonventionell. Nicht nur anders im Sinne von Unterschied, sondern im Sinne von gegensätzlich, zumindest aber im Sinne von sich nicht dem Gängigen fügend.   Unkonventionell eben.

Über diesen Verhaltenstypus gibt es entsprechend auch, und natürlich wissenschaftlich etwas komplizierter und ausschweifender, reichlich empirische Untersuchungen und die haben im großen und ganzen ein Ergebnis: er ist in allen diesbezüglich untersuchten Gesellschaften in der Minderheit. Auf gut Deutsch: Der Unkonventionelle ist, wie der Name es ja auch sagt, kein Herdentier.  Wenn überhaupt und allerhöchstens macht er gut ein Drittel der Bevölkerung aus.  Als Denkender aber nur!

Als Handelnder verringert sich seine Prozentzahl nochmal erheblich. Denn gegen die Konventionen zu handeln erfordert Mut , wie wir alle wissen. Und sein Auftreten hängt dazu noch von der Unterstützung der sozialen Umgebung ab. Sind alle um einen herum eher ängstlich sinkt der eigene Mut. Mit jeden weiteren Mutigen steigt er an. Auch das ist mittlerweile wissenschaftlich erwiesen.Bringen wir das ganze wieder mit der Kreativität zusammen so erfordert sie Intelligenz  u n d  Mut. Oft zumindest.

Wie kommt also jemand auf die Idee diese sehr besondere individuelle und zugleich nur wenigen Menschen nur unter ganz bestimmten Bedingungen zugängliche Eigenschaft mit dem Begriff der „Klasse“ zu verbinden? Also einem recht hemdsärmelig gebrauchten soziologischen Begriff der sich z.B. , wie es sein berühmtester Vertreter Richard Florida tut, mit einer oder mehreren ganz  bestimmten Berufskategorie verknüpfen lässt um sie (relativ) genau zählbar und damit räumlich und sozial  verortbar zu machen? Oder konkreter gefragt: Ist z.B. ein Architekt schon per Berufsdefinition als Kreativer zu bezeichnen?

Wer sich jeden Tag unsere gebaute Umwelt anschaut weiß: das Gegenteil ist der Fall. Das gleiche gilt z.B. für Designer, Werbe- und Modefuzzis, die mittlerweile ebenso automatisch zur Kreativen Klasse gezählt werden. Dagegen haben sich die Banker, die lange quasi als Markenzeichen für Solidität eben auch als Ausgeburt des Unschöpferischen gegolten haben, in den letzten Jahren als ausgesprochen kreativ erwiesen.  Womit augenscheinlich ein weiteres Problem der so viel gelobten Kreativität aufscheint: Kreativ in was und für wen? Oder anders ausgedrückt: Kreativität ist ähnlich wie Intelligenz und Unkonventionalität ein gefährlich inhaltsleerer Begriff. Und er ist keineswegs automatisch mit dem verknüpft, was der Begriff „Klasse“ andeutet: Elite im Sinne von verantwortlicher Führungsfähigkeit.

Jemand als Kreativen zu bezeichnen erfordert also  weit mehr als eine bestimmte  Berufsbezeichnung. Solche Personen lassen  sich nach meiner Ansicht soziologisch gar nicht erfassen. Sie tauchen viel mehr immer wieder als Einzelpersönlichkeiten aus der Masse auf und suchen sich ihren ganz eigenen Weg. Sie lassen sich deswegen auch nicht kategorisieren oder sozial oder kulturell und erst recht nicht ökonomisch einordnen.  Sie tauchen in der Unterschicht genauso auf wie bei den Reichen. Man findet sie nicht nur in den sogenannten innovationsfreundlichen Milieus und Berufsgruppen.  Aber sie sind überall in der Minderheit. Auch da wo Erfindergeist  zum Tagesgeschäft gehört.Uns sie (be)suchen sich gegenseitig, weil sich die eigene  Kreativität ohne Dialog und Außeninspiration nicht steigern lässt.

Deswegen haben sie immer schon das gebildet, was heute als „Cluster“ oder „Netzwerke“ bezeichnet wird. In der Provinz wie in den Metropolen. Ehe Richard Florida sie „entdeckt“ hat, waren sie schon lange da. Und überall machen sie immer die gleiche Erfahrung: Das ihre Kreativität über kurz oder lang den Rest der Gesellschaft nervt.  Das ihr Gebrauchtwerden immer nur auf Zeit ist. Dass sie immer nur in bestimmten Phasen, ja manchmal nur für sehr kurze Momente die Heroen der Mehrheit sind. Das wird auch dieses Mal so sein. Egal ob in Ruhr oder Berlin oder sonstwo.

Teil1, Teil 2, Teil 3

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Opel: Opel-Verkauf verschoben…Ruhr Nachrichten

Priester-Terror: "Keinen Hass sachüren"…Der Westem

Bochum: Kampfkandidatur um CDU-Fraktionsvorsitz…Pottblog

Dortmund: Grüne enttäuscht von Prüsse…Der Westen

Essen: Dezernent für Integration?…Der Westen

Bundesregierung: Ökonomen zerpflücken Steuerversprechen…Spiegel

Baring: Mehr Sarrazins in die Politik…Welt

Ruhrgebiet: RVR kann wieder planen…Welt am Sonntag

1999: Pacta sunt servanda…Frontmotor

Kunst: Kuboshow review…Hometown Glory

Kultur: Jazz und Adorno…Exportabel

Medientage: Ringen um Web-Inhalte…FR Online

China: Fotos von der Potsapokalypse…Kueperpunk

Offene Fragen an den Uhlenberg-Untersuchungsausschuss

Foto: Umweltministerium / Uhlenberg steht links

Spitzenbeamte des Umweltministerium NRW sahen die Belastungszeugin im Fall Harald F. „teilweise als eine Art agent provocateur“. Trotzdem wurden drei Anzeigen gestellt. Wer hatte dafür die politische Verantwortung?

Wenn am Montag die Anhörungen im parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum möglichen Machtmissbrauch von NRW-Umweltminister Eckhard Uhlenberg (CDU) beginnen, werden die Abgeordneten versuchen, Licht eine düstere Affäre zu bringen. Sie werden sich mit dem Strafverfahren gegen den ehemaligen Abteilungsleiter des Umweltministeriums Harald F. befassen, sie werden von einer dubiosen Zeugin hören und von einem großen Lauschangriff.

Früh kam der Verdacht auf, die Verfolgung von Harald F. basiere auf politischem Druck. Der Beschuldigte gilt als einer der wichtigsten Kritiker von Minister Uhlenberg im PFT-Skandal, zudem ist er als grünes Parteimitglied ein Vertrauter von Ex-Ministerin Bärbel Höhn (Grüne). Im Mai 2008 wurde das Haus von Harald F. durchsucht, er selbst wurde als angeblicher Kopf einer kriminellen Bande für mehrere Wochen eingesperrt. Mittlerweile wurden alle Vorwürfe aus dem Haftbefehl fallen gelassen. Lediglich in zwei Randaspekten wird derzeit noch ermittelt. Aber auch hier steht eine Einstellung der Verfahren nach Informationen aus dem NRW-Justizministerium bevor.

Tatsächlich gibt es genügend Gründe, nach einer politischen Motivation zu fragen. Selbst in Reihen des Umweltministeriums wurde die Rolle der Hauptbelastungszeugin Dorothea Delpino nicht unkritisch gesehen. Schon Wochen bevor überhaupt Anzeigen beim Landeskriminalamt (LKA) gestellt wurden, beschäftigten sich Spitzenbeamte von Minister Uhlenberg mit der Motivation der Zeugin. In einem internen Bericht an Umweltstaatssekretär Alexander Schink (CDU) wird detailliert ausgeführt, wie Delpino Akten im ganzen Haus zusammenträg, Spittzelberichte schreibt und den damaligen Abteilungsleiter beschuldigt. Gleichzeitig wird notiert, dass Delpino eine Beförderung im Ministerium verweigert worden sei, die Zeugin aber wegen des anstehenden Angriffs auf den Abteilungsleiter auf eine Klage gegen das Uhlenberg-Haus verzichte. Als Motivation für ihre Beschuldigungen gab Delpino an, sie wolle was gegen Mobbing durch den Abteilungsleiter tun. „Sie könne das nicht mehr mit ihrem Gewissen vereinbaren.“ Zudem heißt es, es müsse damit gerechnet werden, dass die Aussagen von Delpino angegriffen würden, weil diese „persönliche Motive für die Diskreditierung“ des Beschuldigten habe. Und weiter: „Bei Durchsicht der Unterlagen der Zeugin zeigt sich, dass die Zeugin teilweise als eine Art agent provocateur handelte.“

Trotz dieser Erkenntnisse erstatte Umweltstaatssekretär Schink vor allem auf Basis der Beschuldigungen von Delpino im Juli 2006 gleich drei Anzeigen gegen Harald F. wegen des Verdachts auf Korruption und Geheimnisverrat, wie Unterlagen des LKA belegen. Hat Schink das auf eigene Rechnung getan? Oder in Abstimmung mit seinem Minister Uhlenberg? Eine Antwort wird der Untersuchungsausschuss finden müssen.

Auch im Landeskriminalamt gab es früh Zweifel, ob die Zeugin Delpino ausreicht, ein großes Verfahren anzustrengen. Vor allem die Recherchen des Leiters der Ermittlungskommission (EK) „Stuhl“ Eckhard Lech auf Basis der Zeugin wurden hinterfragt. Ihm selbst war früh die politische Dimension des Verfahrens bewusst. In einem internen Vermerk vom 5. März 2007 gibt Lech zu, dass bei seinen Recherchen „aufgrund der Fachlichkeit eine Abhängigkeit vom MUNLV besteht“. Gleichzeitig merkte Lech an, dass im Ministerium während eines arbeitsrechtlichen Verfahrens gegen Harald F. „alles zusammengesucht wurde, um Herrn Dr. F. arbeits- und strafrechtlich zu belasten.“ Dies könne dazu führen, dass die Aussagen von Mitarbeitern des Ministeriums öffentlich angezweifelt würden. Es „muss zumindest bedacht werden, dass ggf. versucht wird, die Ermittlungen politisch zu instrumentalisieren.“

Warum wurden diese Bedenken nicht gehört? Gab es politischen Druck? Fakt ist: Trotz der unsicheren Basis trieb das LKA die Verfolgung des Ex-Abteilungsleiter energisch voran. In einem großen Lauschangriff wurden nicht nur politische Gespräche des Landtagsabgeordneten Johannes Remmel (Grüne) abgehört, sondern nahezu wahllos jedes Telefonat, das auf einen betroffenen Anschluss auflief. Dabei wurden keine Terroristen belauscht, sondern die Anschlüsse von Professoren, Firmeninhabern und Institutsleitern. Mir liegen Unterlagen über ein mitgeschnittenes Gespräch zwischen der Frau des Beschuldigten D. mit ihrem Priester in Dortmund vor. Die Frau des Beschuldigten B. wurde bei einem Gespräch mit ihrem Arzt belauscht. Und das Telefon des erwachsenen Sohnes eines weiteren Beschuldigten wurde abgehört, weil das LKA damit rechnete, der Vater könne den Anschluss nutzen.

Gegen nahezu alle Beschuldigten wurden bereits die Verfahren eingestellt, weil keine Schuld nachweisbar war. Die aufgezeichneten Gespräche, so heißt es, seien vernichtet.

Der Untersuchungsausschuss wird klären müssen, wer die politische Verantwortung für die offenen Fragen übernehmen muss.