Das Hinterzimmer des Stuttgarter Restaurants hat eine große Scheibe, dahinter blitzt ein erster Frühlingstag, Kinder und Hunde tanzen vor dem blitzblank restaurierten Schloss in der Sonne. Gleich wird hier die US-Linksintellektuellen Legende Noam Chomsky sprechen – in kleiner Runde. Es ist der erste Vortrag auf seiner Deutschlandreise, am nächsten Tag werden ihn mehr als 1000 Studenten in Mainz hören. Es geht um die Frage, ob die amerikanische Arbeiterschaft ähnlich verzweifelt ist, wie die deutsche in der Weimarer Republik und könnte sie das Land in eine faschistische Diktatur stürzen? von unserem Gastautor: Peter
Man muss ganz genau hinhören, sonst versteht man Chomsky kaum. Obwohl er die Welt scharf unterteilt in Eliten, die zu ihrem Vorteil die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung manipulieren, und diesem mehr oder weniger nutzlosen Rest, spricht er zurueckhaltend, beinahe murmelnd.
Er hat Ausführungen über die amerikanischen Arbeiter und über einen Selbstmord im Gepäck.
Was würde passieren, wenn die USA zu einer faschistischen Diktatur werden würde? Was, wenn in einem Land, militärisch und wirtschaftlich mächtiger als jedes andere, in einem Land, das keine internationalen Gerichtsbarkeit akzeptiert, der letzten Rest demokratischer Kontrolle verlören ginge und eine Gewaltherrschaft ausbräche?
Wenn Terror die Kontrolle der eigenen Bevölkerung durch Propaganda in Werbung und Medien ersetzen würde und offene und verdeckte Kriege im Ausland noch ungehemmter geführt würden?
Man mag diese Gefahr für weit hergeholt halten, wenn man, so Chomsky, aber seinen Blick auf den Teil der amerikanischen Bevölkerung wendet, der in der veröffentlichten Öffentlichkeit keine Rolle spielt, findet man Parallelen zwischen den heutigen USA und dem Deutschland der Weimarer Republik.
Man findet eine Marginalisierung großer Teile des Landes, eine Interessenspolitik im Sinne führender Eliten und einen Mangel an Alternativen in beiden Staaten. Zumindest in der deutschen Geschichte sind die Folgen bekannt.
Die Wahl von Barak Obama in all ihrer Einzigartigkeit und der berichtete Optimismus, der damit einherging, lassen in den USA möglicherweise eine andere Zukunft vermuten. Doch Chomsky zeigen eine düstere Perspektive als ebenso realistisch auf.
Denn die Hoffnung, die die Wähler in Obama gesetzt haben ist gleichzeitig Gradmesser für die Verzweiflung, die hinter seiner Wahl steht. Was passiert also, wenn Barak Obama die in Ihn gesetzte Hoffnung enttäuscht?
Diese Situation in den USA ähnelt den deutschen Verhältnissen vor der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933: Ebenso wie in der Weimarer Republik ist in den USA der überwiegende Teil der Bevölkerung aus dem politischen Leben ausgeschlossen und in seinen Interessen nicht im Parlament vertreten – und nimmt dies auch so wahr, sagte Chomsky auf einer Veranstaltung in Stuttgart.
Es ist ziemlich ähnlich zur späten Weimarer Republik. Die Parteien brachen zusammen, es gab enorme Missstände, derer sich niemand angenommen hat und die Leute waren ziemlich unglücklich über die bedeutungslosen Debatten im Parlament.“
Die Anzeichen der heutigen Verzweiflung in den USA sind sichtbar, sie zeigen sich immer wieder in scheinbar widersprüchlichen Handlungen. Beispielsweise in einem Selbstmord im Februar mit einem eindrucksvollen Abschiedsbrief, oder bei der Senatorenwahl in Massachusetts im Januar, so Chomsky.
Die Senatorenwahl war eine Wahl für oder gegen Obamas Pläne für eine allgemeine Krankenversicherung – ein Begehren einer Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung, das seit Jahrzehnten von der Politik ignoriert wird. Für viele wurde diese Absicherung durch die Wahl Obamas eine realistische Perspektive.
Doch die Arbeiter fühlen sich von Obama schon im zweiten Jahr seiner Präsidentschaft in ihrem Anliegen dermaßen enttäuscht, so Chomsky, dass sie in Massachusetts nicht etwa einen Parteigenossen Obamas von der demokratischen Partei wählten, sondern den Republikaner Scott Brown.
„Sie haben sich selbst geschadet, es ist eine irrationale Entscheidung.“ Und genau von dieser Geisteshaltung geht die Gefahr aus, sagt der US-Intellektuelle. „Das sollte Erinnerungen wach werden lassen.“
Stellvertretend für das, was viele denken und möglicherweise eine berechtigte Analyse der amerikanischen Gesellschaft ist der Abschiedsbrief eines Arbeiters, der im Februar diesen Jahres in Austin, Texas Selbstmord beging, indem er ein Kleinflugzeug in das Gebäude des Finanzamts flog: Klick
Es gäbe durchaus Auswege, doch diese sind mit Bedacht und systematisch in unerreichbare Ferne gerückt worden. Die Arbeiter etwa in der Automobilindustrie könnten sich organisieren und die Fabriken übernehmen, die geschlossen werden und in diesen Waren wie etwa Züge produzieren, die die USA gerade im Ausland einkauft.
Doch dies würde einerseits die Bereitschaft der Politik voraussetzen, die Arbeiter und nicht etwa den Finanzsektor zu unterstützen – und es verlangt nach Arbeitern, die diese Möglichkeiten sehen. Chomsky:
Es bedarf einer aufgeklärten Arbeiterschaft. Was wir aber sehen ist eine selbstzerstörerische Arbeiterschaft“,
Wenn man dieser Beobachtung zustimmt, kann man auch die damit einhergehende Gefahr nicht mehr leugnen. Allerdings haben die Amerikaner schon oft gegen ihre Interessen gewählt, man denke nur an die Wahl Ronald Reagans zum Praesidenten 1981, der die Gewerkschaftsgesetzgebung praktisch ausser Kraft gesetzt hat. Somit besteht die heutige Gefahr im Prinzip schon seit Jahrzehnten – eine Tatsache, die sie möglicherweise eher noch gefährlicher macht.
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