Die Entscheidung über die grünen Kandidaten für die Landtagswahl im Mai auf dem Parteitag in Hamm markiert eine Zäsur in der Geschichte der Grünen in NRW. So etwas passiert selten. Deswegen denke ich, ist es wichtig, darüber zu berichten. Die Grünen haben ihre Flügelkämpfe beendet. Es gibt keine Realos und Linken mehr, sondern nur noch Pragmatiker der Macht.
Normalerweise sind diese so genannten Listenparteitage langweilig. Auf ihnen wird zwar festgelegt, wer auf einen aussichtsreichen Platz für das nächste Parlament kommt und wer nicht. Aber von den spannenden Details kriegt der Außenstehende wenig mit. Da gibt es Absprachen der beiden wichtigsten Seilschaften der NRW-Grünen über die Listenstellen bis auf Platz 20 oder so. Dramatisch wird es nur, wenn eine Seilschaft versucht, die andere auf einem aussichtsreichen Platz auszustechen oder wenn ein Außenseiter in die Arena einsteigt und überraschenderweise den vorgesehenen Seilschaftskandidaten verdrängt. Aber selbst diese Zänkereien interessieren eher Polit-Freaks, und nicht die breite Öffentlichkeit.
Anders ist es jetzt. Die Liste der Grünen für die Landtagswahl im Mai 2010 verrät eine Neuausrichtung der Partei. Es gibt keine Realos mehr und keine Linken. Es gibt nur noch einen Flügel – und das ist der Flügel der Pragmatiker. Die Grünen in NRW haben ihr Gesicht verändert. Das ist für alle in NRW interessant, denn die Neuausrichtung kann das Herrschaftsgefüge im Land komplett verändern.
Wie konnte es soweit kommen? Nachdem Michael Vesper aus dem Machtgeflecht der Grünen in NRW ausgeschieden ist, verlor der so genannte Realo-Flügel an Schärfe. Der ehemalige Landesvorstand und grüne Vordenker Reiner Priggen konsolidierte die Macht auf der Vesper-Seite.
Und er konnte eine weitreichende Einigung mit Bärbel Höhn erzielen. Es lief im Endeffekt auf eine Verschmelzung hinaus. Die Priggen-Seilschaften waren bereit Höhn auf Bundesebene zu unterstützen, etwa wenn es darum ging, der Linken Frontfrau einen Posten als energiepolitische Sprecherin und stellvertretende Vorsitzende der grünen Bundestagsfraktion zu sichern. Im Gegenzug akzeptierte Höhn die Macht der Pragmatiker in NRW und ordnete ihre Seilschaft in die Strukturen von Priggen und Co. ein. Ich schätze, mindestens über die ersten zwölf Listenplätze gab es einen gemeinsame Übereinkunft.
Von den alten etablierten so genannten Linken, die sich einst in einer Seilschaft um Bärbel Höhn organisierten, ist wenig geblieben. Nur noch vereinzelte Vertreter tauchen auf der Liste auf und selbst diese sind äußert pragmatisch und jederzeit in der Lage und bereit Bündnisse mit der CDU einzugehen. Nehmen wir zwei der interessantesten Vertreter dieser Seilschaft. Zum einen Barbara Steffens, sie ist mit einem CDU-Mann verheiratet, und in der Lage politische Konflikte ruhig auszutragen. Wenn es nötig ist, kann Steffens mit Wolfgang Clement (Ex-SPD) koalieren. Warum nicht auch mit Jürgen Rüttgers. Oder Mehrdad Mostofizadeh aus Essen. Er hat mit der CDU in der Revierstadt zusammengearbeitet. Er war pragmatisch genug, auch schwierige Situationen mit den Konservativen zu meistern. Diese beiden Vertreter der „Linken“ würden einem Bündnis nach rechts nicht im Weg stehen, wenn dafür auch grüne Inhalte in der neuen Landesregierung berücksichtigt würden.
In meinen Augen zeichnet das die gesamte Liste aus. Diese Abgeordneten der Grünen werden bereit sein, Verantwortung zu übernehmen. Sie werden nicht bereit sein, ein rot-rot-grünes Bündnis zu unterstützen.
Auch dies wiederum aus pragmatischen Gründen. Die Linke in NRW ist in Augen dieser grünen Liste nicht in der Lage verlässlich und dauerhaft politisch zu arbeiten. Dabei geht es nicht nur um das Programm der Linken, das in manchen Stellen naiv bis dumm ist. Es geht vor allem um die Köpfe der Linken, die wahrscheinlich ins Parlament kommen. Die meisten Grünen kennen den Ex-Grünen Sagel aus eigener Erfahrung. Und dieser ehemalige Linke Grüne ist der klügste und erfahrenste Politiker, der jetzt von der Linkspartei ins NRW Parlament geschickt werden soll. Die anderen Linken auf den vorderen Plätzen sind in den Augen der Grünen indiskutable Typen. Das ist ein Fakt.
Ich nehme an, der Grüne Vordenker Priggen wird die Grünen soweit bringen, dass sie schwarz-grün oder sogar Jamaika akzeptieren – um rot-rot-grün zu verhindern. Er hat an wesentlichen Positionen diese Landesliste mitgeformt. Um es deutlich zu sagen. Mit dieser grünen Liste ist in meinen Augen rot-rot-grün in NRW gestorben.
Es gibt also nur noch die Chance auf rot-grün pur – wogegen sich zwar niemand wehren würde, das aber so wahrscheinlich ist, wie Olympiagold für Hannelore Kraft (SPD) in 100 Meter Hürdenlauf.
Dann aber gibt es nun die Chancen auf Farbenspiele mit Schwarz. Ich persönlich halte diese Varianten für sehr wahrscheinlich. Ich denke derzeit nicht, dass CDU und FDP wieder gemeinsam eine stabile Mehrheit bekommen. Dazu schlägt der Koalition in Düsseldorf zu sehr der Wind aus Berlin ins Gesicht. Zudem schaden CDU-Minister wie Eckhard Uhlenberg (Umweltressort) der Partei. Die Dauer seiner Affäre rund um Harald Friedrich kostet die entscheidenden kleinen Prozentpünktchen. Der U-Ausschuss im Landtag zu der Sache wird noch lange dauern, es wird noch viele Enthüllungen geben. Dazu kommt immer noch die nicht gelöste Giftproblematik in der Ruhr. Alleine auf meinem Schreibtisch stapeln sich die Papiere – tief aus dem inneren der Verwaltung. Bei anderen Reportern wird es nicht anders aussehen. Wenn Rüttgers einen großen Vorsprung hätte und aus Berlin kein Gegenwind käme, könnte die CDU die Affären rund um Uhlenberg ignorieren. So allerdings könnte genau dieses Ding die entscheidenden Punkte kosten, um die schwarz-gelbe Regierung in NRW zu beenden.
Naja, wir werden sehen. Vielleicht wird Uhlenberg ja auch unerwartet gefeuert und Rüttgers versucht doch noch einen späten Neuanfang im Umweltministerium.
Und es könnte ja auch sein, das Rüttgers sich überlegt, nach den nächsten Wahlen mit der SPD ins Bett zu gehen. Auch wenn ich mir das überhaupt nicht vorstellen kann, könnte es passieren.
Bis ich das sehe, glaube ich aber – wie gesagt – eher an eine Lösung mit den Farben schwarz, grün und gelb. In irgendeiner Kombination.
Natürlich muss bis dahin noch einiges passieren. Aber alles was nötig ist, ist mit den Pragmatikern auf allen Seiten des Farbspektrums möglich. Nur für leichtrot und tiefrot sehe ich schwarz. Mit denen wird erstmal keiner spielen wollen.
Ob es nachher zu einer großen Koalition kommt? Keine Ahnung.