Stärker als allen Revolutionären gelingt es der politischen Klasse, das System zu bekämpfen. "Politische Klasse", das sind nicht nur Profipolitiker, sondern auch die die sie bespiegeln, ihre Strippenzieher und Spindoctors, und die, die die Produkte der Zieher und Doctors weiterverkaufen. Was wir uns davon andrehen lassen, und was nicht, dafür sind wir letztendlich auch selbst verantwortlich. Es sind also nicht immer alles irgendwelche Anderen schuld.
Jetzt dreht sich in den Traditionsmedien einiges darum, dass erst die Kanzlerin und dann auch ihr Nicht-Wirklich-Herausforderer aus einer "Berliner Runde" des ZDF gar nicht erst ein- die Eine, und ausgestiegen der Andere, sind. Und der wackere ZDF-Chefredakteur Brender meint nicht ganz falsch, sie versündigten sich damit an der politischen Kultur.
Das Tragische für die oben beschriebene Politische Klasse ist, wie wenig gesellschaftlichen Wandel sie wahrnimmt. Kein Wunder, sie drehen sich ja überwiegend um sich selbst. Die einen am Ostrand unserer Republik, von wo aus sie kaum noch nachhause kommen, die andern in Sendeanstaltsbunkern und auf beamtengleichen Redaktionsstellen, von wo aus sie übermenschliche Fantasie aufbringen müssten, um die Wirklichkeit um sich greifender Prekarität da draussen im Lande überhaupt zu verstehen. Bei Privatsendern ist das nicht viel besser: dort wissen zwar mehr Beschäftigte, was Prekarität ist, gerade deswegen ist ihnen aber vorauseilender Gehorsam und Selbstzensur nicht fremd. Die eine Senderkette – RTL – gehört mehrheitlich der Familie Mohn, deren Matriarchin Mitglied der Friends of Merkel ist; die andere Senderkette gehört mehreren "Heuschrecken". Das ist es wirklich schwer zu sagen, was schlimmer ist.
Aus all dem ist letzten Sonntag das Staatsfernsehduett Merkel/Steinmeier entstanden, das von der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger mit Missachtung gestraft wurde, ganz im Gegensatz zu den Medien, wozu an dieser Stelle auch ich als Ruhrbaron zu zählen bin (ich habs aus Langeweile nicht geguckt, schreibe aber drüber), Wenn die gleichen Medien nun beklagen, dass die Kanzlerin nicht mit Steimeier, Westerwelle, Trittin und Lafontaine diskutieren will – wenn ich so mal rein menschlich drüber nachdenke, verstehen kann ich das schon – sind sie dann nicht selber schuld?
Schon Helmut Kohl hat solche Zusammentreffen vermieden, weil er gut beraten wurde. Er ist bei Widerworten regelmässig ausgerastet, man denke nur an den Eierwerfer (war es in Magdeburg?), den er fast eigenhändig verprügelte. Nicht auszudenken, Kohl wäre in seinen frühen Kanzlerjahren in den 80ern auf Rainer Trampert getroffen, der sogar einen jesuitengeschulten Heiner Geißler auf jede bereitstehende Palme getrieben hat – bei den Grünen gabs damals sogar drei Vorsitzende, so dass Trampert leider nur jedes dritte Mal drankam. Diese Auftritte wären mal eine eigene DVD-Edition wert.
Aber wir schweifen ab. Sendeanstalten, die Frau Merkel jedes Podium hinstellen, Soloauftritt bei Frau Christiansen, Soloauftritt bei Frau Will, Soloauftritt bei Frau Illner, Duett mit Herrn Steinmeier, die sollten keine Krokodilstränen vergiessen. Das Publikum wendet sich dann eben anderen Medien – und übrigens immer mehr auch anderen Parteien – zu. Und das ist auch gut so.