Im Hintergrund – Steinmeier Foto: ruhrbarone
Der Parteitag liest. Und zwar Zeitung(en). Während Frank-Walter Steinmeier am Samstagmorgen eine ordentliche Wahlkampfrede hielt – „Schwarzgelb,das ist Schuldenpolitik im Blindflug.“ –, interessierten sich die Delegierten und Gäste mehr dafür, wie Günter Bannas und Co. in FAZ und Konsorten den Neuaufbruch der SPD bewerten. Tenor: Oho, aber… ein Bericht von Gastbaron Uwe Knüpfer aus Dresden
Nun ist ein Parteitag ein Printparadies, Zeitunglesers Schlaraffenland. Zeitungen liegen hier im Dutzend aus, und alle sind umsonst, von Abendzeitung bis Zürcher, vom Neuen Deutschland bis zur alten Rheinischen Post. Nur Ruhrgebietstitel sind weit und breit nicht zu finden, nirgends, und das liegt nicht daran, dass sie vergriffen wären.
Auch im Plenum des Parteitags fällt die Fast-immer-noch-Hochburg der Sozialdemokratie durch Zurückhaltung auf. Während sich Genossinnen und Genossen aus Schleswig-Holstein, Bayern und Südhessen zu beinahe jedem Thema zu Wort melden, hat die Ruhr-Sozialdemokratie zum Neuaufbruch der SPD offenbar nichts bis wenig beizutragen. Dabei gelten Dortmund und Umgebung doch als „Herzkammer der SPD“. Schlagen soll es wohl, das Herz, doch nachgedacht wird anderswo.
Michael Groschek aus Oberhausen immerhin trat auf – und schaffte es dennoch erst im zweiten Wahlgang in den Parteivorstand (mit 298 Stimmen, im ersten Wahlgang waren es 224). Deutschlands größte urbane Agglomeration (um das Wort Stadt zu vermeiden) wird im 45köpfigen Leitungsgremium der SPD jetzt von Hannelore Kraft aus Mülheim, Ulla Burchardt aus Dortmund (278 Stimmen) und Joachim Poss aus Gelsenkirchen (er bekam respektable 335 Stimmen) vertreten. Thomas Schlenz, Gesamtbetriebsratsvorsitzender von Thyssen-Krupp, im 1. Wahlgang missachtet, kam erst nach einer wuchtigen Intervention des neuen Vorsitzenden im weiten Durchgang auf 458 Stimmen.
Ohne jemandem zu nahe zu treten: so richtig prominent und lautstark macht das Revier im Leitungsgremium der SPD nicht auf sich aufmerksam. Dabei hat die SPD doch hier, jedenfalls bei den Kommunalwahlen, vorgeführt, dass sie noch gewinnen kann; in Gelsenkirchen zum Beispiel, wo das auch nicht ganz so einfach ist.
Die SPD hat ihre Liebe zu Losern entdeckt. Wie sonst könnte sie eine Politikerin mit der anspruchsvollen Aufgabe betrauen, der Partei neues Debattenleben einzuhauchen, die bei der Bundestagswahl die Wähler in ihrem eigenen Wahlkreis nicht zu überzeugen wusste, trotz fleißiger Präsenz vor Ort (oder vielleicht deswegen?). Dass Andrea Nahles Sigmar Gabriel allenfalls ein Papiertaschentuch reichen kann, wie während dessen Rede am Freitag geschehen – er war verschnupft -, aber nicht das Wasser, hat die Partei bislang nur klammheimlich begriffen. Mit 69,6 Prozent (255 Stimmen) erzielte Frau Nahles immerhin das schlechteste Ergebnis bei der Besetzung der Spitzenpositionen.
Hannelore Kraft kam bei der Wahl der stellvertretenden Vorsitzenden auf 90,2 Prozent, ein Kredit, den sie jetzt bei der NRW-Landtagswahl im Mai 2010 einlösen muss. Klaus Wowereit, der immerhin schon Wahlen gewonnen hat, erhielt 89,6 Prozent. Sogar die blonde, junge Manuela Schwesig („Ich bin die Neue.“), die sozialdemokratische Antwort auf Frau Koch-Mehrin, durfte sich über 87,8 Prozent fotogen freuen.
Gewählt ist gewählt, mag Andrea Nahles sich gedacht haben, und strahlte auf dem „Parteiabend“ Freitagnacht in einer ruhrgebietsartigen Industriehalle, als wäre ihr der Weihnachtsmann leibhaftig erschienen. Am Samstag durfte sie dann schon vor Franz Müntefering sitzen, der ihren Aufstieg einst fürs erste verhindern konnte. Der Alt-Vorsitzende musste sich jetzt mit einem Platz in der zweiten Reihe begnügen, in der Nachbarschaft von Ute Vogt und Chistoph Matschie. Aber immerhin noch auf dem Podium.
Ihre politische Endstation hat in Dresden Ursula Engelen-Kefer erreicht, die einst hellste Stimme der deutschen Arbeitervertretungsbewegung. Im ersten Wahlgang wählten sie nur 204 Delegierte. Sie trat dennoch ein zweites Mal an, wohl auf die Frauenquote vertrauend. Falsch. Jetzt waren es nur noch 183 Stimmen. Wahlen sind manchmal auch brutal.
Wolfgang Tiefensee, bis neulich immerhin Bundesverkehrsminister und, als er noch in Leipzig Oberbürgermeister war, ein Hoffnungsträger der ostdeutschen SPD, zog vorsichtshalber kurz vor der Wahl seine Kandidatur zurück. Von ihm wird in Erinnerung bleiben, dass er die Bahn gegen den erkennbaren Willen seiner Partei privatisieren wollte.
Frank-Walter Steinmeier darf Oppositionsführer im Bundestag bleiben, jedenfalls solange, bis es wieder ernst wird mit dem Kampf um die höchste Macht im Staat. Verräterisch, wie Versammlungsleiterin Doris Ahnen den Soeben-noch-Kanzlerkandidaten am Samstag ankündigte: „Wir freuen uns auf die Rede von Frank-Walter Steinmeier. Bitte im Raum bleiben!“
Urplötzlich lebendig war das Plenum dagegen einige Minuten früher geworden. Da war Kurt Beck ans Rednerpult getreten, um die Opel-Arbeiter der Solidarität der Sozialdemokratie zu versichern. Es erhob sich spontaner, kräftiger Applaus. Das war keine Routine. Das war Labsal auf die Seele des erst kürzlich aus dem Amt gejagten Ex-Vorsitzenden. Der Applaus am Ende der Steinmeierrede verplätscherte dagegen pflichtgemäß.
Die SPD will jetzt laut Leitantrag eine neue Sprache sprechen lernen, denn „…sie muss von allen Bürgerinnen und Bürgern verstanden werden.“ Eine klare Sprache sei „das wichtigste Medium der Politik.“ Eine interessante Erkenntnis. Noch allerdings klingt die SPD oft so wie im Antrag B4 zur Bildungspolitik: „Ziel des Bolognaprozesses (…) ist eine Bildungsexpansion und keinesfalls eine Bildungsexklusion zum Zwecke der Kostenersparnis.“
Insofern ist ausgiebige und regelmäßige Zeitungslektüre vielleicht eine gute Schule. Sigmar Gabriel geht mit gutem Beispiel voran, wie es sich für einen Vorsitzenden gehört. Er offenbarte sich als Leser von Handelsblatt, Süddeutscher Zeitung und vor allem der FAZ, die er (Ironie!) den Genossinnen und Genossen als „SPD-Kampfblatt“ zum Abonnement empfahl: wegen der Kritik der FAZ an der Finanzpolitik der schwarzgelben Bundesregierung.
Sogar acht Tageszeitungen liest nach eigenem Bekunden Christoph Zöpel, täglich, der in Bochum wohnt und viel zu sagen hätte, aber schon Minister und PV-Mitglied gewesen ist, in Dresden nur Zuschauer ist und offenbar nichts mehr werden will.