Seit Dienstag Nachmittag besetzen Studierende die beiden größten Hörsäle in Essen und Duisburg. Sie protestieren gegen die Studiengebühren und die Verschulung der Studiengänge. „Wir bleiben hier so lange bis unsere Forderungen erfüllt werden“, sagen Studenten und packen am Abend ihre Schlafsäcke in den Unihallen aus.
„Es riecht nach Revolution“ lautet eine Überschrift in der frischen Ausgabe der Campus-Zeitung „pflichtlektüre“, die auf dem Rednerpult im Essener Audimax liegt. Im Artikel geht es um die Unzufriedenheit der Dortmunder Dekane mit den neuen Studienabschlüssen Bachelor und Master. Die Geschichte war wohl gut recherchiert und seit langem geplant. Anders als die Protestaktion von Essener Studenten, die den größten Hörsaal seit Dienstag Nachmittag besetzen.
Es war ein ganz gewöhnliches Germanistik-Seminar kurz nach 15 Uhr im R12-Gebäude am Essener Campus. Plötzlich ging die Tür auf und den Raum betraten etwa zehn junge Menschen. „Hallo! Auf der Vollversammlung der Studierenden wurde gerade beschlossen, das Audimax zu besetzen. Wir protestieren gegen die Studiengebühren, gegen den Bolognaprozess und die Teilnahmepflicht für die Uni-Veranstaltungen. Kommt mit uns, um eure Solidarität zu zeigen“, sagt ein dunkelhaariger Student mit der Brille. Mit dem Bolognaprozess ist gemeint, dass die Studienfächer in ganz Europa vergleichbar werden sollen. Deswegen wurde in Deutschland etwa der alte Diplom-Ingenieur abgeschafft und stattdessen die nach Modulen strukturierten Bachelor- und Masterstudiengänge eingeführt. Der Student ruft: „Wir machen das doch für euch. Wenn wir etwas erreichen, werdet ihr auch davon profitieren.“ Die Seminarteilnehmer bleiben still sitzen. Als die Organisatoren der Aktion und überraschenderweise auch die Dozentin rausgehen, stimmen die Studenten ab, ob sie das Seminar verlassen und den Protest unterstützen wollen. „Ich finde es schon irgendwie wichtig“, meldet sich ein blondes Mädchen. „Ich auch“, sagt ihre Nachbarin. „Vielleicht retten wir auch Karstadt“, flüstert die Stimme aus der hinteren Reihe. Das Seminar wird also abgebrochen.
Es riecht nach Kaffee im Essener Audimax. In der linken Ecke der Bühne steht ein Tisch mit mehreren Kaffee- und Milchpackungen, Brot, Schokocreme und Marmelade. Die Volksküche wurde vor dem sich spontan organisierten Arbeitskreis „Infrastruktur“ eingerichtet. "Wir haben eine kleine Spendenrunde gemacht und für das gesammelte Geld die Produkte eingekauft", erzählen die Lehramtstudenten Ina und Michael. Der Arbeitskreis „Besetzung“ studiert die Foderungsformulierungen der Potsdamer Kommilitonennen, die seit einer Woche ihre Uni besetzen. Etwa 100 Studenten befinden sich im Audimax. Einige beschäftigen sich auf der Bühne mit der Organisation der Protestaktion, andere machen in den hinteren Reihen ihre Hausaufgaben.
Kurz vor dem Plenum, wo die Liste der Forderungen erarbeitet werden soll, wird die harmonisch scheinende Arbeitsatmosphäre gestört. Im Audimax sind Studierende der Wirtschaftswissenschaften eingetroffen. Sie wissen nichts von der Protestaktion im Hörsaal, sie sollen hier gerade eine Vorlesung haben. Doch die Sitzplätze sowie das Rednerpult sind von den Protestierenden besetzt. Die WiWis sind empört: „Wir haben die Studiengebühren für diese Vorlesung bezahlt.“ Ein junger Mann mit den langen gebundenen Haaren drängt sich zum Mikrophon: „Die Audimax-Besetzung wurde bei der Vollversammlung demokratisch abgestimmt. Wir gehen nicht raus.“ Nach einer hitzigen Diskussion müssen die Wirtschaftstudenten nachgeben. "Es ist gut, eine Meinung zu vertreten und sich für die Belange der Studierenden einzusetzenn. Aber es ist Frechheit, den größten Hörsaal zu besetzen und damit uns, den Wirtschaftstudenten , die Möglichkeit zu studieren wegzunehmen. Wenn man auffallen will, kann man nackt durch die Stadt laufen oder das Dekanat stürmen", sagt der Erstsemestler Christoph.
Der BWL-Student Peter sitzt in der ersten Reihe. "Ich war heute bei der Vollversammlung dabei. Ich fand es interessant, dass die Besetzung festgelegt worden war, bevor es über die Forderungen nachgadacht wurde. Ich persönlich bin nicht gegen die Studiengebühren, sondern gegen die Art und Weise, wie die benutzt werden", sagt der Student. Er ist gespannt, welche Forderungen im Plenum ausdiskutiert werden.
Zum Beginn des Plenums sprechen ein Verdi- und zwei Schülervertreter den Studierenden ihre Grußworte aus. Um 19 Uhr ist der Hörsaal gut gefüllt. Nach der dreistündigen Debatte einigen sich die Teilnehmende schließlich auf drei Punkte: Abschaffung der Studiengebühren in jeglicher Form, Aufhebung der Bachelor- und Master-Studienabschlüsse in jetziger Form sowie Beibehaltung der "alten" Studienabschlüsse Diplom und Magister und Abschaffung der Anwesendheitspflicht für die Uni-Veranstaltungen.
Kurz vor 23 Uhr verlassen müde Studenten das Audimax. Sie wollen morgen früh wieder kommen, um die Aktion fortzusetzen. Etwa 40 Studierende entscheiden sich für die Übernachtung auf dem kalten Audimax-Boden. Für Essen, Trinken und Schlafsäcke wurde gesorgt. Die Taschenlampen wurden auf alle Fälle auch gebracht. Die Studenten an der Ruhr haben sich also den Kommilitoninnen in Potsdam, Greifswald, Leipzig, Mönchengladbach, Münster und Wien angeschlossen, wo ebenso Uni-Hörsäle aus Protest besetzt wurden.