Auch Gorny will Sperren

Dass Kinderpornografie nur der Auftakt für weitere Sperren war, wussten wir alle. Nun will die Musikindustrie Internetseiten bei Urheberrechtsverletzungen sperren lassen.

Dieter Gorny, Vorsitzender des Bundesverbands der Musikindustrie, fordert in Der Westen die Sperrung von Internetseiten bei Urheberrechtsverletzungen. Der Musikfunktionär sieht durch die angeblich zunehmende Zahl der Raubkopien das Geschäftsmodell der Musikindustrie in Gefahr. 

Dass Gorny, auch als Direktor bei der Kulturhauptstadt aktiv, so schnell aus den Büschen kommen würde, wundert mich ein wenig. Ich habe geglaubt, dass die Enttabuisierung der Sperren langsamer und konsensorientierter laufen würde, und als nächstes Nazi-Sites thematisiert werden würden. Dass die Schamfrist so schnell vorbeisein würde, hätte ich nicht gedacht. So irrt man sich.

In dem Interview spricht sich Gorny auch gegen eine Kulturflatrate aus, die ich für eine gute Idee halte. Gorny sieht in ihr einen Schritt zur Überwachung aller und fragt sich, ob es dann den Handel mit CDs nicht mehr geben wird. Gorny: "Was heißt das eigentlich für den haptischen Handel – gibt es den dann nicht mehr? Verkauft dann Media Markt keine DVDs, die Meyer’sche keine Bücher mehr?" Im Idealfall werden die Künstler künftig direkt an ihren Produkten verdienen – ohne Media Markt und Musikindustrie – und ohne Funktionäre wie Gorny. Das Dumme ist, dass Gorny gut vernetzt ist, Zugang zur Politik hat und mit im Raum sitzt, wenn in der Politik über Fragen wie Urheberrecht diskutiert wird. Auch wenn die von ihm initiierte Messe Popkomm mittlerweile floppt, und der von ihm gegründete Sender Viva längst vom Wettbewerber MTV übernommen wurde, unterstellen viele Gorny eine gewisse Kompetenz in Musikfragen.

Die Umsatzeinbrüche der Musikindustrie auf Raubkopien abzuschieben halte ich für etwas blauäugig – diese These ignoriert den demografischen Wandel – es gibt wesentlich weniger Jugendliche als vor 30 Jahren, und die sind nun einmal die Hauptzielgruppe – und Musik ist viel präsenter als früher: Mainstream-Pop und mehr kann ich auch ohne das Internet heute ständig über Radios,  TV und das Internet hören. Die Motivation, Geld für ein omnipräsentes Produkt auszugeben, das ich ständig gratis legal konsumieren kann (nur nicht genau zu dem Zeitpunkt an dem ich es will) ist natürlich gering.

Ruhrpilot

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Wie sich „Volksparteien“ dem Volk entfremden – ein Lehrstück um ein Festspielhaus für Bonn

Foto: Lohmeyer/jokerfoto.de

 

 

Zunächst vorausgeschickt: ich bin Partei. Im wörtlichen Sinne. Ich arbeite im Hauptberuf für die Bonner Stadtratsfraktion der Grünen. Ich bin im Ruhrgebiet erwachsen geworden, und habe daher, wie fast alle dort, eine Art Haßliebe zur SPD. Ja, ich habe sie auch vereinzelt gewählt. Und ich verstehe sie nicht mehr.

 

Jetzt zum Lehrstück: Karin Hempel-Soos, eine umtriebige und respektable Kulturlobbyistin (und Sozialdemokratin), Peer Steinbrück, Bundesfinanzminister mit Bonner Wohnsitz (und Sozialdemokrat), Bärbel Dieckmann, Bonner Oberbürgermeisterin (und zeitweilig stellv. SPD-Bundesvorsitzende) und Klaus Zumwinkel, zeitweilig Vorstandschef der Deutschen Post und Aufsichtsratschef der Telekom (war der eigentlich auch Sozialdemokrat?) hatten sich ausgemalt, wie chic es doch wäre, in der "Beethovenstadt Bonn" ein Festspielhaus zu haben, auf dass die Stadt "mit Bayreuth und Salzburg gesellschaftlich konkurrieren" könne (Hempel-Soos). Die drei "Dax-Konzerne" Telekom, Post und Postbank – zufällig alles Konzerne mit Staatsbeteiligung, vertreten durch den Genossen Peer – könnten den Bau der Stadt schenken, mit einem kulturellen Imagetransfer und Steuerminderungswirkung für sich selbst inklusive.

Eine politische Mehrheit im Stadtrat zu finden war das geringste Problem. Die dankbare Begeisterung verteilte sich gleichmässig über CDU, SPD, FDP und Bürgerbund. Nur die Grünen stellten dauernd kritische Fragen nach inhaltlichem Konzept, Finanzierung, durchgerechneten Businessplänen. Meckerer eben. (Die Linkspartei hat in Bonn nur einen Einzelabgeordneten)

Mittlerweile ist einiges dumm gelaufen. Eine Wirtschaftskrise ist ausgebrochen. Zumwinkel ist verhaftet worden. Telekom und Post wollen, dass ihre Beschäftigten weniger Geld bekommen und zum Ausgleich dafür mehr arbeiten. Die Stiftungssumme für die Stiftung, die das Festspielhaus betreiben soll, will nicht zusammenkommen, obwohl der Genosse Peer – was kostet die Welt? – schon knapp 40 Mio. dafür gestiftet hat. Die affärengestählte Stadtsparkasse KölnBonn hat sich auch nicht lange bitten lassen.

Und jetzt kommen auch noch die Bonner Bürgerinnen und Bürger. Sie wollen wissen, wer die Kosten übernimmt, wenn die Baukosten – völlig überraschend – während des Baus steigen sollten. Wer das Programm bestimmen wird in der Stiftung, die Konzerne oder die Vertreter der Öffentlichkeit? Wie hoch die jährlichen Betriebsdefizite sein werden (die Meinungen dazu schwanken zwischen 1,5 und 10 Mio.)? Woher die BesucherInnen kommen sollen? Aus Köln, Düsseldorf, Duisburg, Essen, Bochum, Dortmund, wo bereits solche Häuser stehen oder in Bau oder Planung sind? (Frau Hempel-Soos denkt an Flugzeugladungen voller Japaner) Fragen, die im Ruhrgebiet ja schon bestens bekannt sind. In Münster war ein Bürgerentscheid gegen ein Konzerthaus (und gegen CDUSPDFDP) erfolgreich. In Bonn wird das nun gefürchtet; ein Antrag der Grünen, dass der Rat einen Bürgerentscheid durchführen lässt, wurde abgelehnt.

Aus gutem Grund. Denn gar nicht lustig finden die Menschen in Bonn, dass die denkmalsgeschützte Beethovenhalle (Baujahr 1959), die immerhin in öffentlichem Eigentum ist, für den neuen Stararchitektinnenbau (Zarah Hadid) abgerissen werden soll. Und dass niemand weiss, wie der Sanierungsbedarf der Bonner Oper (ca. 20 Mio. Euro) finanziert werden soll. Sie fürchten, dass die bestehenden Kultureinrichtungen bluten müssen, damit der Imagetransfer der Dax-Konzerne funktioniert und sind nicht amüsiert.

Undankbare Bürger! Meinen die Parteien und Konzerne. Doch, nein. Der Finanzvorstand der Telekom Höttges (Schuri, ist der mit dem berühmten Eisenfuß von ’66 verwandt?) sieht Nacharbeitsbedarf. Auf Empfängen soll er sogar gewispert haben, dass es "keinen Cent" von ihm gäbe, wenn die Lage so bleibe, wie sie ist. Hempel-Soos lobbyiert in Berlin, um noch 10 Mio. zusätzliche Euro loszueisen, denn es droht ja die Gefahr, dass der Genosse Peer schon im September in den Ruhestand versetzt wird.

Graf Lambsdorff, ja der Alte, Parteispenden-Otto, setzte sich bei einer überlaufenen Veranstaltung der Grünen zum Bonner Festspielhaus mit Gattin demonstrativ in die erste Reihe. Nachdem seine Gattin in der Publikumsdiskussion den grünen OB-Kandidaten ausdrücklich gelobt hatte, wies der Graf persönlich den Post-Sprecher Harnischfeger auf das in seinen Augen nicht EU-konforme Ausschreibungsverfahren für den Festspielhausbau hin. So könnte das Scheitern des Projekts kommen: Schuld ist dann Brüssel, und alle kommen heil wieder raus.

Alle? Nein. Zugegeben wird das alles natürlich erst nach der Wahl (Kommunal: 30.8.; Bundes 27.9.). Die niederländischen Sozialdemokraten sind bei der Europawahl von 22 auf 12% gefallen. Muss es in Deutschland auch erst so weit kommen?

Wer gegen wen? Wie die Funzelliga startet

Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus. Im Frühjahr wurde die Einführung der Funzelliga vom außerordentlichen DFB-Funzeltag in Düsseldorf abgenickt. Und morgen, Donnerstag 2. Juli um 11 Uhr ist es soweit. Die Liga stellt – natürlich live – den Spielplan für die beiden ersten Funzelligen vor, die am Freitag, 7. August mit dem "obligatorischen Freitagspiel" starten. Und wetten, dass zum Auftakt Magaths Schalke auf Ex-Magaths Wolfsburg trifft?!

Abb: ruhrbarone.de

Danach wird der Fußball aber ziemlich unübersichtlich. Zwischen Freitag 18 Uhr und Montag 22.15 gibt es rund 20 Stunden Livefußball im Fernsehen. Und bei dieser Dauerbefunzelung ist die 3. Liga – beginnt bereits Ende Juli – noch gar nicht mitgerechnet. Es kommen noch einmal zehn Spiele (zwei am Freitag, sechsmal Samstag, zweimal Sonntag; zumeist 14 Uhr) dazu – in der Regel.

Natürlich gibt es auch einige Ausnahmen vom so genannten "Kernspieltag". Aus den fünf "Parallelspielen" am Samstag um 15.30 werden nach "Abstellungsperioden des Weltverbands FIFA" sechs und das Freitagabendspiel um 20.30 wird stattdessen von Zweitligisten ausgetragen. Außerdem finden in fünf UEFA-Cup-Wochen keine Samstagsspiele während der ARD-Sportschau statt. Was ja ohnehin keinen Sinn macht, außer dass sich zwei Sendeformate hübsch kannibalisieren. Natürlich steht der Samstags-Sieger auch schon fest – es ist der gute alte Videotext.

Das ganze noch einmal in einer grafischen Zusammenfassung, gute Unterhaltung:

 

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Interview mit Kultautor Jeffrey Thomas

Jeffrey Thomas wurde am 3. Oktober 1957 geboren und ist Autor grandioser Sci-Fi-Epen. Seine erschaffene Stadt Paxton, kurz Punktown genannt, begeistert rund um den Globus Science-Fiction und Horror-Fans. Seine Kurzgeschichten wurden unter anderem in St. Martins The Year’s best Fantasy and Horror # 14, The Year’s best Horror Stories # 12, The Year’s best Fantastic Fiction und Quick Chills II: The Best Horror Fiction from the Speciality Press veröffentlicht. Wir haben uns ausführlich mit Thomas unterhalten.

Ruhrbarone: Zunächst einmal Jeffrey, würdest du gern in Punktown leben?

Jeffrey Thomas: Vielleicht nicht dort leben, denn es ist ein gefährlicher Ort, aber ich würde dort liebend gern regelmäßig zu Besuch sein, weil es ebenso ein reichlich faszinierender Ort ist. Das ist die Sache mit Punktown – ich möchte nicht, dass es nur unheimlich ist. Unsere eigene Welt ist nicht nur Angst einflößend. Sie ist vielschichtig, und Punktown genauso – nur vergrößert. Ich sehe Punktown wirklich nicht als absolute Dystopie. Ich denke, es ist auch schön dort, teilweise.

Wenn ich mir deine Biographie anschaue, dann scheint es, als hätte der Autor in dir lange geschlafen. Wann hast du zu schreiben begonnen und wie hast du eine ganze Stadt erfunden?

Eigentlich begann ich in sehr jungem Alter zu schreiben (meinen ersten Roman beendete ich mit 14); es ist bloß so, dass es eine lange Zeit gedauert hat, bis meine Werke veröffentlicht wurden. In den späten 80er Jahren begann ich, Kurzgeschichten an kleine Pressepublikationen zu verkaufen, und meine ersten beiden Bücher – die englischsprachige Punktown-Ausgabe und die Horrorsammlung Terror Incognita – erschienen im Jahr 2000. Seitdem habe ich viele Bücher veröffentlicht, einige davon wurden ins Deutsche, Russische, Griechische und Chinesische übersetzt, und diese Bücher enthielten viel von dem Stoff, den ich bereits in den 80ern geschrieben hatte, bloß eben erst spät verkaufen konnte. Zur Herkunft von Punktown: Die ganze Idee kam mir 1980 – als hätte sie im Schatten meines Unterbewusstseins nur darauf gewartet. Ab dann begann ich Romane zu schreiben, die in Punktown spielen, später kamen Kurzgeschichten dazu, vermutlich habe ich genauso viel unveröffentlichtes Punktown-Material wie veröffentlichtes. Und ich schreibe weiter!

Irgendwo las ich etwas über eine mysteriös verloren gegangene Punktown-Homepage. Ist daran etwas Wahres und wenn, was ist passiert?

Im Jahr 2000 erschuf ich zur Vermarktung der Punktown Originalausgabe eine kostenlose Webseite namens „Punktown City Limits“ und ich war ziemlich erfinderisch. Wenn man auf verschiedene Seiten schaute, spielten Musik und von mir verzerrte Soundeffekte im Hintergrund, und ich stellte seltsame Bilder und von mir erschaffene Kunstwerke ein, und ich schrieb kleine Geschichten darüber. Ich postete Probegeschichten in voller Länge. Und dann, ohne ausreichende Warnung, wurden all diese freien Webseiten eingestellt, bevor ich die Chance hatte, sie irgendwohin zu verschieben oder zu speichern, oder sie zumindest auszudrucken, so verlor ich die Kurzgeschichten. Es ist traurig, es war eine lustige kleine Seite, und ich fand niemals die Zeit, wieder etwas ähnliches zu erstellen.

Wenn ich mir Punktown als Kinofilm vorstelle, sehe ich ich etwas zwischen dem Sin City- Filmstil und Blade Runner trifft den Herr der Ringe. Gibt es Pläne, die Geschichte auf die große Leinwand zu bringen?

Ha … Zuweilen ziehen die Leute den Vergleich zu Sin City, aber ich habe bereits lang vor dem Film über Punktown geschrieben – sogar ein paar Jahre bevor Blade Runner erschien. Aber diese Filme fangen etwas von dem Punktown-Gefühl ein, wie auch Das fünfte Element (vielleicht noch stärker). Herr der Ringe? Da bin ich mir nicht so sicher … aber ich habe ihn noch nie gesehen. Es gab tatsächlich einiges Interesse an meiner Punktown-Arbeit. Ridley Scotts Produktionsfirma fragte nach einer Kopie meines auf Punktown basierenden Romans Deadstock, als dieser eine lobende Rezension im Publisher`s Weekly erhielt, und New Line Cinema fragte kürzlich nach all meinen Punktown Büchern. Nicholas Cages Produktionsfirma interessierte sich für meinen düsteren Fantasy-Roman Letters from hades, und andere Hollywood-Typen haben sich den Roman auch angesehen. Momentan bin ich im Gespräch mit dem Regisseur von The Blair Witch Projekt. Aber bis heute hat mir niemand ein wirkliches Angebot gemacht. Also warte ich und hoffe, dass es irgendwann passiert. Meine Geschichten sind sehr visuell, was sie für die Filmemacher attraktiv macht, aber sie haben auch gelegentlich komplexe und unkonventionelle Inhalte, was es schwierig oder anspruchsvoll macht, sie in einen Film zu übersetzen. Immerhin wurde eine Reihe meiner Punktown-Geschichten in einer Serie deutscher Hörspiel-CDs von der Firma Lausch umgesetzt, und sie haben da eine brillante Arbeit abgeliefert.

Wächst Paxton weiter oder konzentrierst du dich zukünftig auf andere Geschichten?

Beides! Punktown wird weiter wachsen und sich entwickeln, ich bin mir sicher, sogar hinter meinem Rücken, wenn ich mich eine Weile abwende. Aber ich vermute, ich werde weiterhin viele meiner Geschichten auf ewig in Punktown ansiedeln, weil dort alles passieren kann. Es ist eine Szenerie, die sich für so viele Arten von Handlung eignet. Aber ich möchte auch frei sein, über andere Umgebungen zu schreiben, einschließlich unserer eigenen Welt. Eben erst habe ich eine Kurzgeschichte verkauft, die im heutigen Vietnam spielt (welches ich sechs Mal besuchte), Lovecraft’s Cthulhu Mythos einbeziehend, und gegenwärtig arbeite ich an einem Roman aus der Hölle namens The fall of hades, eine Fortsetzung zu meinem Letters from hades.

Deine Sprache ist radikal, manchmal ekelst du deine Leser. Bist du im wirklichen Leben ein Freund der radikalen Worte und Sprache oder ist das „nur“ deine schreibende Stimme? Ekelst du dich manchmal selber beim Schreiben?

Ich habe die schlechte Angewohnheit, viel zu fluchen, wie viele Amerikaner könnte man sagen, wenn du jemals einen Martin Scorsese Film gesehen hast! Der Job eines Autoren ist es, eine Reaktion beim Leser hervorzurufen, egal ob es Angst, Tränen oder Gelächter sind. Den Leser zu ekeln ist ein legitimes Ziel, wenn es für die Geschichte nützlich ist. Manchmal ist es eine gute Sache, eine wichtige Sache, den Leser zu ekeln. Wenn ich mich beispielsweise von religiös angetriebenen Mördern abgestoßen fühle, kann ich wollen, dass die Abscheu über einen fiktiven Text den Leser erreicht. Aber Ekel kann mit dem Wunsch, den Leser zu verunsichern, leicht verknüpft sein, Angst in ihnen zu provozieren, zu reiner Unterhaltung statt zum Nachdenken anzuregen. Ekel ist nur eine weitere Farbe auf der Künstlerpalette. Ekele ich mich mit meinem Geschriebenen selbst? Nicht wirklich, nicht mehr als ich mich selber erschrecke. Seit das Schreiben eine intellektuelle Praxis ist, realisiere ich, dass was ich schreibe erschreckend oder ekelig ist – würde ich den selben Stoff in dem Buch eines anderes lesen, würde es mich klar erschrecken oder ekeln – aber ich scheine immun gegenüber meinen eigenen Werken zu sein. Merkwürdigerweise jedoch kann ich mich mit meinen eigenen Geschichten zum weinen und lachen bringen oder mich selbst erregen. Also ich weiß nicht genau, warum ich mich nicht erschrecken oder ekeln kann.

Woher erhältst du deine Inspiration? Und wie gefällt es dir, dass in Deutschland Bilder von HR Giger die Titel deiner Romane zieren? Ist das für dich ästhetisch, wenn du an das Punktown-Kunstwerk denkst?

Ich erhalte meine Inspiration von überall her. Aus dem wirklichen Leben, von Orten und Menschen, die ich kenne, aus Träumen, von Musik, die ich höre, aus Büchern, die ich lese, Filmen und Videospielen (aber man sollte vorsichtig „Inspiration“ von „Einfluss“ trennen sage ich immer). Giger ist mein Lieblingskünstler, seit ich seine Arbeiten vor dreißig Jahren erstmalig gesehen habe, und er hat mich natürlich inspiriert, er ist der einflussreichste Künstler, den das fantastische Genre jemals gekannt hat. Es hat sich also ein Traum erfüllt – jenseits meiner Träume, wirklich – damit, dass er einverstanden war, mit seiner Kunst die Hardcover-Ausgabe des deutschsprachigen Punktowns (im Festa Verlag) zu zieren. Und er unterschrieb auch jede Kopie dieser Ausgabe. Es ist noch immer schwer für mich, das zu glauben. Übrigens wählte er genau das Bild für das Cover, von dem ich gehofft hatte, dass er es wählt. Er ist ein Genie, dessen Arbeit in seiner eigenwilligen Mischung aus dem Schönem mit dem Revoltierenden, dem Organischen mit dem Mechanischem, nicht übertroffen werden kann.

Du bist mit deinen Kurzgeschichten bekannt geworden. In vielen Ländern (wie Deutschland) gibt es aber keinen Markt für Kurzgeschichten (es gibt dort keine Magazine oder ähnliches dafür). Denkst du, es ist schwieriger eine Kurzgeschichte oder einen 300-Seiten-Roman zu schreiben?

Es kann schwerer sein, eine Kurzgeschichte zu schreiben, weil man prägnant sein muss. Es gibt so viel weniger Raum, in dem sich ein Charakter entwickeln und die Handlung aufbauen muss, um den Leser zu fesseln. Aber es geht. Ich habe Gedichte gelesen, die in mir eine größere Reaktion hervorgerufen haben als ganze Romane. Es hängt allein von der Fertigkeit des Schreibers ab. Aber aus irgendeinem Grund gibt es einen kleineren Markt für Sammlungen von Kurzgeschichten als für Romane. Ich weiß nicht, weshalb – Kurzgeschichten sind in der Freizeit so leicht zu verschlingen. Und man könnte argumentieren, dass sich Horrorgeschichten besser für die kurze Form eignen, seitdem sie sich aus gruseligen Lagerfeuergeschichten und beängstigenden, warnenden Märchen entwickelt haben.

Jeffrey Thomas, wir danken für das Gespräch!

Ruhrpilot

Das Navigationssystem für das Ruhrgebiet

Peer Steinbrück Foto: nrw.de

Kraft: Neue Job für Steinbrück?…Sprengsatz

Opel: Rettung macht EU-Misstrauisch…FTD

Arbeitslose: Duisburg hat die rote Laterne…Der Westen

Ruhr2010: Verkorkste Orte im Revier…Deutschlandfunk

Ruhr2010 II: La Ruhr, capitale européenne…Liberation

Ruhr2010 III: Weitere Kulturhauptstadtprojekte vor dem Aus…Der Westen

Ruhr2010 IV: Größtes Orgelfestival…Bild

Recht: Grundrechtsreport erschienen…FIXMBR

Reform: Hartz und Polylog…Prospero

Netzsperren: Probleme durch Firefox 3.5…Verlorene Generation

Party: Chaos BBQ…Ruhr Digital

Gelsenkirchen: Neues aus dem Norden…Hometown Glory

RWE-Aktien: Klage gegen Landrat…Zoom

Wahl: Landtagswahl am 9. Mai 2010…Ruhr Nachrichten

Weniger Kurzarbeit bei ThyssenKrupp

Die Mitarbeiter von ThyssenKrupp Steel können sich freuen. Die Nachfrage nach Stahl zieht wieder an. Wie man im Unternehmen hört, soll nun die Produktion wieder hochgefahren werden. Das bedeutet mehr Arbeit – und damit weniger Kurzarbeit.

In den ersten Monaten dieses Jahres haben die Hochöfen in Duisburg nur mit halber Kraft gearbeitet, an manchen Tagen sogar nur mit 40 Prozent. Für die rund 20 000 Menschen am Standort eine ungewohnte Erfahrung. Denn noch Mitte vergangenen Jahres wurden die Maschinen an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit gepeitscht, um den Stahlhunger der Kunden zu befriedigen. Im Konzern galt die Sparte als Cash-Cow, nun ist sie die Problemzone.

Tiefrote Zahlen weist ThyssenKrupp im Stahlgeschäft aus; und auch nach den jüngsten Preiserhöhungen ist keine Entspannung in Sicht. Aber immerhin zieht die Nachfrage wieder an. Die Kunden bestellen wieder, wenn auch auf niedrigem Niveau, heißt es im Unternehmen.

Presseschau Migration/Integration (Mit viel Iran)

Foto: Beate Moser

Das Ruhrgebiet ist die größte Einwanderungsregion Europas. Da kann es nichts schaden manchmal über den Tellerrand zu schauen, wie es in der Einwanderungs-, Integrations- und Flüchtlingspolitik zugeht. An dieser Stelle erscheint ca. einmal im Monat eine Presseschau zu diesem Thema. Sie erhebt keinen Anspruch auf enzyklopädische Vollständigkeit, sie enthält Texte, die aus meiner Sicht für – die oftmals kontroverse – Debatte in diesem Themenbereich von Interesse sind. Die Aufnahme von Texten bedeutet keine Identifikation mit ihren inhaltlichen Aussagen. Auf den Link klicken führt zum Text.

Thema Iran:

Eine Reportage vor der Wahl von Charlotte Wiedemann (Zeit)

Eine Reportage der Berliner Zeitung beschreibt die jungen Iraner als USA-Fans

"Das wichtigste Ereignis unserer Zeit" meint Nils Minkmar (FAS)

Abbas Maroufi über die Schlangen auf den Schultern des Zahhak (Tagesspiegel)

Eine iranische Journalistin berichtet über die Angst nach den Massendemonstrationen (Tagesspiegel)

Frauen in der ersten Reihe (Jungle World)

Die FR berichtet über eine Studie über städtische iranische Jugendliche

Navid Kermani berichtet über seine Erlebnisse in Teheran (Zeit)

Die taz porträtiert die Monitor-Redakteurin Isabel Schayani

Die FR porträtiert die Filmemacherin und ehemalige 1live-Moderatorin Siba Shakib

Die Pfründe der iranischen Pasdaran (FAZ)

FR-Kolumnistin Mely Kiyak ist zwischen Deutschland und Iran in Istanbul

Der slowenische Marxist Slavoj Zizek veröffentlichte eine Einschätzung der Entwicklungen im Iran, die von einigen Linken angefeindet wurde (FAS)

Hier eine der Anfeindungen (Telepolis)

Die Junge Welt sieht im Iran wieder die CIA am Werk

und "nichts als unbewiesene Anschuldigungen"

eine ähnliche Sicht bei "Hintergrund"

Mittlerweile ist über die Deutung der iranischen Entwicklungen eine veritable und hitzige deutsche Meta-Debatte entstanden, z.B. hier (Telepolis, mit Links zum Spiegel) und hier (Jungle World)

Weitere Themen:

30.000 geduldeten Flüchtlingen in Deutschland droht die Abschiebung (Jungle World)

Islamkonferenz:

Andrea Dernbach darüber, was die deutsche Islam-Konferenz gebracht hat, und was nicht (Tagesspiegel)

zum gleichen Thema Sabine am Orde (taz)

Weiteres aus dem Inland:

Hilal Sezgin über Tarik Ramadan und seine Thesen zu Islam und Homosexualität (taz)

Eine andere Sicht des gleichen Mannes in der Jungle World

Porträt der Professorin Nilüfer Göle, die verschiedentlich auch im Ruhrgebiet auftrat, jetzt in Paris lehrt (Zeit), es geht u.a. über das Kopftuch als Ausdruck von Modernität

Stuttgart als Muster kommunaler Integrationspolitik (taz)

Die FAZ-Immobilien-Redaktion (!) war in Duisburg-Duissern

Berlin und die Roma (Tagesspiegel) dazu auch ein Kommentar  von Ferda Ataman (Tagesspiegel)

Roger Willemsen sprach mit Sineb El Masrar, die eine Frauenzeitschrift für Migrantinnen macht (Zeit)

Visumspflicht für Türken rechtswidrig (Spiegel)

Die EU-Anstrengungen gegen Einwanderung (Telepolis)

Die hier lebende Rapperin Sister Fa aus dem Senegal berichtet über die Lage in ihrem Herkunftsland (Jungle World)

Reportage aus dem muslimischen Frauen-Fitnessstudio in Köln-Ehrenfeld (FAZ)

Ausland

Türkei: Die Armee bestreitet Putsch-Absichten (Tagesspiegel)

Analyse der schwerreichen Bewegung des Predigers Fethullah Gülen (Junge Welt)

Und hier noch mehr "clash of civilisations":

Magnus Klaue beschreibt Berliner Parallelgesellschaften am Beispiel Lärm (Jungle World)

Nach den ruhrbaronen berichtete auch Telepolis über den missionarischen Hintergrund der Mordopfer im Jemen

Ein niederländischer Sozialdemokrat will sich auf dem Marktplatz stellen, um zu erfahren, was sein Volk will (Jungle World)

Französische Regierung kärchert weiter gegen Jugendbanden (Telepolis)

Ex-Ministerin Rachida Dati erlebte einen Karriereknick (taz)

Ein neuer Frauentyp? Die "digitale Scheherezade" (Tagesspiegel)

taz-Hinweis auf ein Buch über den ersten schwarzen brasilianischen Fußballnationalspieler und "Rassismus a Brasileira" (taz)

In Südafrika sind viele sauer über die koloniale Sicht auf ihre WM- und Confed-Cup-Organisation (Tagesspiegel)

Daniel Theweleit zum Erfolgsgeheimnis der deutschen U21-Europameister – der 4:0-Finalsieg gegen England war bei Erscheinen des Textes noch nicht erspielt (Zeit)

Das Judentum als Projektionsfläche im niederländischen Fußball (Jungle World)

Der US-TV-Moderator Jon Stewart (Berl.Zt.)

Anwälte von 9/11-Opfern wollen gegen saudische Prinzen klagen (Telepolis)

 

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Schwachsinn Bürgerkrieg

Udo Ulfkotte hat ein Buch mit dem Titel „Vorsicht Bürgerkrieg“ geschrieben. „Vorsicht Paranoia“ wäre auch ein schöner Titel gewesen.

Bad Godesberg kurz vor mörderischen Krawallen. Foto: nrw.de

Glaubt man Udo Ulfkotte, stehen wir in Deutschland vor schwersten sozialen Unruhen. Die Bücher des ehemaligen FAZ-Redakteurs erscheinen heute im Kopp-Verlag.  In Nachbarschaft zu Titeln wie „Befreit von dunklen Mächten – Wie kann man fremde Energien und Wesenheiten erkennen oder dämonische Besetzungen bemerken?“ oder Catherine MacCouns „Der Weg zum Alchimisten – Ein Leitfaden für den Magier des 21. Jahrhunderts“ finden wir auch Ulfkottes neues Buch „Vorsicht Bürgerkrieg“.

Gut, von den Rechtsradikalen, die zeitweise seine Nähe suchten, hat sich Ulfkotte distanziert, doch seine Bücher werden immer schriller, haben etwas vom Untergangsprediger, der weiß, dass das Ende nahe ist und der daran leidet, dass niemand ihm glaubt. Liest man Ulfkottes Buch, dessen Thesen zum Teil von der Welt ohne jede Kritik weiter verbreitet wurden, eröffnet sich einem ein Szenario des Untergangs: Die Bundesregierung wusste schon 2003 von dem Crash, Ausländer werden bei der Vergabe von Arbeitsplätzen bevorzugt und bei der Bundesregierung kursieren Listen mit potentiellen Brandherden – der angeblich so genannte "Atlas der Wut". Er listet Stadtteile auf, in denen die Sicherheitsbehörden angeblich von einer hohen Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass es zu schwersten sozialen Unruhen kommt. Akribisch fügt Ulfkotte Beleg an Beleg – da eine Ausschreibung des WDR für einen Mitarbeiter mit Migrationshintergrund, hier einen Artikel aus dem Handelsblatt von 2003, in dem es um Bad Banks geht – und den "Atlas der Wut" durfte er einsehen.

Zu den Stadtteilen, in denen bald marodierende Horden ihr Unwesen treiben könnten gehören das beschauliche Bad-Godesberg, das etwas schmuddelige Bottrop Boy, Berlin-Lichterfelde, das Bochumer Uni-Viertel und Gelsenkirchen Bismarck. Auch Dortmund-Hörde und das sauerländische Attendorn stehen angeblich kurz vor der Explosion. Es wird niemanden überraschen, dass ich beim Nachfragen nach diesem Atlas keine Bestätigung bekam. Mocki Diller, Mitarbeiter des Gelsenkirchener OBs Frank Baranowski hielt schon die Idee für Schwachsinn, bei der politischen Polizei in Bochum brach man in lautes Lachen aus, und bei der Pressestelle der Bundesregierung in Berlin bemerkte man trocken, dass wenn das Märkische Viertel auf der Liste fehlt, was es tut, die Liste sowieso Schrott wäre. Mag sein, dass es so eine Liste trotzdem gibt – es wird tausende von Listen geben.

Was erschreckend ist, ist die Einseitigkeit, mit der Ulfkotte seine Fakten zusammen trägt. Ja, es gibt Probleme mit Islamisten – aber es gibt auch Integrationserfolge. Ja, es gibt rechtsfreie Räume – aber die Kriminalität in Deutschland liegt im internationalen Vergleich auf einem niedrigen Niveau und ist leicht rückläufig. Ja, es gibt faule und korrupte Richter, Polizisten und  Politiker – aber solche Einzelfälle fliegen immer wieder auf und sind, bei aller Kritik an jedem Fall, nicht typisch. Ulfkotte malt das Bild eines Landes im Niedergang – in drastischen, dunklen  Farben. Was nicht zu seiner Katastrophenthese passt, wird ignoriert. Man kann das tun: Man kann alle Probleme auflisten, einen Strich drunterziehen, addieren und dann mit Erschrecken das Ergebnis betrachten: Den Untergang. Man kann sich aber auch die Probleme anschauen, nach erfolgreichen Lösungsansätzen suchen und zeigen, wie es besser geht. Nur, dann wird man keinen reißerischen Titel wie „Vorsicht Bürgerkrieg“ schreiben können.