Zweimal Rüttgers – eine Rolle

NRW-Ministerpräsidenten-Kandidat Jürgen Rüttgers, CDU, am 7. September 1999

Der Weg in die Staatskanzlei führt über die Rathäuser“

NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers, CDU, am 30. August 2009

Zunächst einmal ist jeder Fall anders, wenn Sie sich das anschauen. Kommunalwahlen sind Kommunalwahlen, die haben in der Regel örtliche Gründe. Deshalb habe ich ja auch vor der Wahl gesagt und sage es auch jetzt, obwohl das Ergebnis gut ist: Es ist keine Testwahl“

NRW 9.5

Das waren mehr als Posen – gestern Abend bei der SPD-Landespartei. Hinter Glücksdaumen blitzte Generalsekretär Michael Groscheks satt befreites Lachen auf. Bei Spitzenkandidatin Hannelore Kraft konnte man eine Spontanheilung bewundern. Auch wenn Fußballvergleiche nerven, die Mülheimerin jubelte wie Klose, wenn der nach eintausendzweihundertvier Minuten Ladehemmung wieder mal ein Tor geschossen hat.

montage: ruhrbarone

Es gab tatsächlich ein paar passable Ergebnisse in den Großstädten. Und der SPD-Sieg bei den OB-Wahlen in Bielefeld ließ Hannelore Kraft für einen Augenblick alle Verkniffenheit, Münteferinghaftigkeit, Dauerdoppeldeckung aufgeben. Kein Wunder. Die SPD wird im Land nun etwas in Angriff nehmen, was außerhalb aller Reichweite erschien: den Wiedereinzug in die Landesregierung am 9.5.2010.

Die Rechnung ist einfach: Die NRW-SPD hat sich gestern – zwar auf niedrigstem Niveau, aber immerhin – kommunal konsolidiert nach einem Jahrzehnt im Sturzflug. Denken wir die gestrigen Wahlergebnisse ein paar Wochen weiter, werden die nordrhein-westfälischen Sozialdemokraten Ende September zwar nicht das Schrödersche Bundestagswahlergebnis 2005 einholen, es aber auch nicht stark unterbieten. Und das hat Auswirkungen in Berlin: Sackt die SPD im Westen nicht ab, kann es keine Bundeswunschkoalitionen geben. Die Kanzlerinnen-Union – nicht die SPD – wird geschwächt aus den Wahlen kommen. Merkel hat wiederum ihr Wahlziel verpasst, sie wird regieren können, aber in einer Minderheitsregierung, einer Zweiten Großen Koalition oder einer abenteuerlichen Dreiparteienkonstellation gegen Starkwindopposition.

Jeder dieser Konstellationen ist freilich äußerst schwach und eine Enttäuschung für die Wählerschaft. Jede fällt der Bundeskanzlerin vor die Füße. Vermutlich schon nach rund zweihundert Amtstagen – im Mai 2010 in Nordrhein-Westfalen. Ziemlich wahrscheinlich gibts eine Test- bzw. Denkzettelwahl und große Chance für die NRW-SPD. Samt Hannelore Kraft. Denn wer so feiert, erwartet alles, aber keine Personaldiskussion.

Wow, Revier ist wieder rot.

Was ein Wahlergebnis. Das NRW-weite Ergebnis habe ich erwartet. Hohe Verluste bei CDU, geringe bei der SPD. Und dann Gewinne bei Grünen und FDP. Nur habe ich geglaubt, dass die Linke noch stärker wächst. Aber ich habe nicht mit den starken Ergebnissen der SPD im Ruhrgebiet gerechnet. Wow, was ein Sieg. Nur ganz leichte Verluste oder Siege in den Räten und fast alle Spitzenjobs. Kompliment dem Sieger. Nun wird die SPD aus dem Revier DIE Rolle in der NRW-SPD spielen müssen. Vielleicht wird es einen neuen Vormann geben.

grafik: ruhrbarone

Das Ergebnis der SPD in Essen finde ich richtig erfreulich. Nach zehn Jahren wieder oben. Schön. Zum Glück hat die SPD keine absolute Mehrheit, das wäre schon doof gewesen. Aber die Leute haben wohl gemerkt, dass die Reiniger-Hülsmann CDU zu wenig für die Stadt getan hat. Bischen viel Kultur, würde ich sagen.

Mich haben total die starken Ergebnisse der SPD-OB-Frauen in Mülheim und Bochum überrascht. Ich hätte nie gedacht, dass die Damen Mühlenfeld und Scholz so souverän das Rennen machen. Ich habe an ein knappes Rennen geglaubt. In Bochum ahnte ich noch etwas von besonderen "Bochumer Verhältnisse", aber zumindest in Mülheim glaubte ich an ein Foto-Finish. Boah, hab ich wenig Ahnung von den Städten gehabt. Mein Kompliment an die Oberbürgermeisterinnen.

Ergebnisse wie in Bottrop oder Oberhausen waren dagegen absehbar. Da ist die SPD stark wie immer. Da können die anderen nichts holen. Allenfalls in Details gibt es Bemerkungen. So haben die Solzialdemokraten in Oberhausen die größten Verluste in einer Reviergroßstadt hinnehmen müssen und die absolute Mehrheit verloren. OK, aber sie haben immer noch 44 Prozent und stellen den Oberbürgermeister.  Also: alles halb so wild.

Bin gespannt, welches Signal die SPD in NRW jetzt aus dem Reviersieg für sich zieht. Weil übers Land sieht das Ergebnis nicht gut aus. Keine Strahlkraft würde ich sagen. Wird nun der Sieger aus dem Pott, Frank Baranowski aus Gelsenkirchen, eine führende Rolle im Land übernehmen? Könnte ich mir gut vorstellen.

Nachtrag:

Grade hab ich mitgekriegt, wie Baranowski in den Düsseldorfer Landtag hineintelefonierte und gegenüber Journalisten dementierte, dass er als Kraft-Ersatz zur Verfügung steht.  Es heißt, er wolle die ganze Amtszeit durchhalten als Gelsenkirchener OB.

Hier fliegen gleich die Löcher aus dem Käse…

Am Samstag war ich mir ziemlich sicher, dass die SPD die Kommunalwahl verliert.

Ich bin mit einem Freund auf der Suche nach dem mächtigen Schneeleoparden über die Bochumer Fußgängerzone geschlendert.  Irgendwann kamen wir am SPD-Stand vorbei. Gottlieb Wendehals dröhnte aus allen Lautsprechern: "Hier fliegen gleich die Löcher aus dem Käse und dann geht sie los unsre Polonäse…"

Ich war mir sicher: Wer mit Billig-Schlager aus den 70ern versucht, Wahlen zu gewinnen, wird scheitern. Auf jeden Fall in Bochum. Die Stadt hat eine Universität, vier Fachhochschulen, ein Schauspielhaus, will ein Konzerthaus bauen…

Es war egal. Nach 15 Jahren, in denen die Politik im Ruhrgebiet ein wenig Offenheit versprach, in denen Politikwechsel möglich und alte Filzstrukturen aufzubrechen schienen, sind wir wieder am Ausgangspunkt angekomen: Im Ruhrgebiet wird jeder Besenstil gewählt, wenn er nur rot ist. Das Ruhrgebiet hat sich gestern für die Vergangenheit entschieden. Und nun alle zusammen: "… und Dieter packte der Heidi von hinten an die …"

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Ruhrpilot

Das Navigatiossystem für das Ruhrgebiet

Kommunalwahl I: CDU verteidigt Vorherrschaft in den Räten…Welt

Kommunalwahl II: Ruhrgebiet glänz wieder rot…RP Online

Kommunalwahl III: Die CDU muß draussen bleiben…FR Online

Kommunalwahl IV: SPD-Kandidaten gewinnen die Großstädte…FAZ

Kommunalwahl V: SPD erorbert das Revier zurück…Der Westen

Kommunalwahl VI: Demo gegen Nazis im Dortmunder Rat…S5

Kommunalwahl VII: Schwache SPD und schwche CDU bringen Nazis in den Rat…Bo Alternativ

Kommunalwahl VIII: Baranwoski deklassiert Gegner…Gelsenkirchen Blog

Kommunalwahl IX: So endet eine spannende Nacht…unkreativ

Kommunalwahl X: Hauer versagt….Hometown Glory

Kommunalwahl XI: Drei Mal das kleinere Übel…Küperpunk

Kommunalwahl XII: FDP plündert CDU…Zoom

Landtagswahlen I: Rückschlag für Schwarz-Gelb…Spiegel

Landtagswahlen II: Grüne Königsmacher…FXMBR

Landtagsahlen III: Schockstarre bei der CDU…FAZ

Landtagswahlen IV: Union kritisiert Merkens Wahlkampfstil…Welt

Landtagswahlen V: Der Twitter Hoax…FXMBR

GM: Das hat Opel nicht verdient…FAZ

Community: Termine…Ruhr Digital

 

 

Wo bleibt das Ruhrgebietsergebnis?

Die SPD hat die Kommunalwahl m Ruhrgebiet gewonnen. Aber noch liegt kein Ergebnis für die Gesamtregion vor…

Das ist den IT-Experten im Kreishaus Recklinghausen und den Städten Herten und Dorsten zu verdanken – es gab Zahlendreher, Daten wurden falsch übermittelt und die Internetseite der Stadt Herten war phasenweise überhaupt nicht mehr zu erreichen. Eine Blamage.  Es liegt am Kreis Recklinghausen dass es noch kein Gesamtergebnis für das Ruhrgebiet gibt. Wahrscheinlich hat der SPD-Landratskandidat Cay Süberkrüp die Wahl gewonnen. Der CDU-Gegenkandidat, Josef Hovenjürgen machte jedenfalls im Kreishaus keinen allzu glücklichen Eindruck: Süberkrüp liegt nach inoffiziellen Angaben knapp aber uneinholbar vorne. Aber egal wer gewinnt: Bei der GKD und ihren Kollegen in Herten sollte man mal nachschauen, ob die Jungs auch nur im Ansatz ihren Job verstehen, denn auch bei der letzten Wahl wurde im Kreis ordentlich gepatzt. 

Kommunalwahl: Wahlbeteiligung uneinheitlich

In NRW scheint bei der Kommunalwahl die Wahlbeteiligung leicht über der Wahl von 2004 zu liegen. Jedoch nicht überall.

Eine geringfügig höhere Wahlbeteiligung bei den Kommunalwahlen als vor fünf Jahren meldet RP-Online. Aber das gilt nicht für alle Städte: In Bochum scheint vor allem in SPD-Hochburgen die Wahlbeteilgung einzubrechen. Auch in Mülheim/Ruhr ist die Wahlbeteiligung nicht sehr hoch, in Dortmund liegt sie über dem Niveau der letzten Wahl.  Eine niedrige Wahlbeteiligung in Ruhrgebietsstädten bedeutet hohe Verluste für die SPD.

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Wählen erst ab 18?

Bei der heutigen Kommunalwahl darf man ab 16 sein Kreuzchen machen. Aber was ist, wenn man das Wahllokal erst ab 18 betreten darf.

Michael P. ist ein junge Familienvater und wollte heute in Bochum von seinem Wahlrecht gebrauch machen. Gemeinsam mit seiner Frau und seinem kleinen Sohn machte er sich auf den Weg in sein Wahllokal und staunte nicht schlecht, dass das eine Raucherkneipe war, die man erst ab 18 betreten darf. Und weil seine Frau an Asthma leidet, wollte die auch die Raucherkneipe nicht betreten.  P.: "Wir riefen daraufhin beim Wahlleiter in Bochum an und wollten nachfragen, ob meine Frau noch im Rathaus ihre Stimme abgeben kann." Konnte sie nicht – und wird es auch bei der Bundestagswahl nicht können. Frau P. wurde geraten die Luft anzuhalten. Erst ab dem kommenden Jahr sollen in Bochuzm Raucherlokale keine Wahllokale mehr sein dürfen. P. überlegt sich nun die Wahl in seinem Stimmbezirk anzufechten – nicht nur wegen seiner Frau, sondern auch wegen der 16jährigen, die das Wahllokal eigentlich nicht betreten durften.

Gibt es heute ein Signal für die Bundestagswahl? Manchmal…

Heute Abend wird das große Interpretieren losgehen. Sowohl aus den Ergebnissen der drei Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und dem Saarland als auch aus denen der Kommunalwahl in NRW werden die Spin-Doctors aller Parteien versuchen Honig zu saugen – sowohl für die Bundestagwahl am 27. September als auch für die Landtagswahl in NRW im kommenden Frühjahr.

Vor allem für die SPD ist heute ein entscheidender Tag: Der Rauswurf Becks, die Rückkehr Münteferings und die Nominierung Steinmeiers zu Kanzlerkandidaten – all das hat den Sozialdemokraten nichts genutzt. Die Umfragewerte sind im Keller geblieben und Steinmeier eher eine traurige Figur den ein Hoffnungsträger. Heute ist die letzte Chance die Stimmung vor der Bundestagswahl noch einmal zu drehen- aber dafür muss Trend gedreht werden, müssen Siege her.
Vergessen wir einmal Sachsen: Tillich wird wohl Ministerpräsident bleiben können – ob mit Hilfe der SPD oder der FDP wird sich zeigen.

Spannender wird es im Saarland und in Thüringen: Dort könnten es rot-rot-grüne Bündnisse schaffen Müller und Althaus abzulösen. Und vielleicht wird die Thüringer Linkspartei sogar gnadenvoll einen SPD-Ministerpräsidenten mittragen, obwohl die SPD es nur schaffen kann, nach CDU und Linkspartei drittstärkste Kraft im Land zu werden. Die rot-rot-grünen Bündnisse könnten das erhoffte Signal sein – viele Wähler wird die SPD im Westen dadurch kaum noch verlieren. Wer heute noch SPD wählt hat sich längst einen Treueabonnement des Vorwärts verdient und wird sich durch nichts von seiner Wahl abschrecken lassen. Viel zu verlieren haben die Sozialdemokraten also nicht mehr.

Rot-rot-grün könnte aber auch in vielen Rathäusern in NRW zu bestimmenden Farbe werden. Auch das wird die SPD als Erfolg verkaufen wollen – dabei hatte sie zumindest im Revier noch vor 15 Jahren in fast allen Städten die absoluten Mehrheit. Der Verfall der Sozialdemokraten im Ruhrgebiet war atemberaubend – genau wir die Unfähigkeit der Union, davon zu profitieren. Die CDU hat es in den vergangenen Jahren auf kommunaler Ebene nur geschafft ihr Stimmenzahl zu halten. Kaum es SPD-Wähler konnte gewonnen werden. Die prozentualen Zugewinne der Christdemokraten sind der sinkenden Wahlbeteiligung geschuldet. Viele ehemalige SPD-Wähler blieben zu Hause, das ehemalige sozialdemokratische Milieu hat in Teilen aufgehört sich für (Kommunal)politik zu interessieren. Die CDU hat damit die Chance nicht genutzt, ihre eigene  Basis auf Kosten der SPD zu verbreitern. Und die SPD gibt sich der Hoffnung hin, die entflohenen Wähler wären eigentlich ihre. Das ist ein gefährlicher Trugschluss. Die Wähler gehören sich selbst und wissen das auch.
Genau wie die Wahlergebnisse des heutigen Abends zu Trugschlüssen führen könnten: Die Sonderrolle von Lafontaine im Saarland machen Rückschlüsse auf die Bundestagswahl ebenso gefährlich wie die Rolle der Union in Thüringen: Nach 19 Jahren an der Macht  zeigt jede Partei Erschöpfungserscheinungen – auch die CDU in Thüringen. Die Zeit in der ein Bundesland einer Partei gehört ist vorbei. Die Aussagekraft ist also beschränkt.

Kommen wir zu NRW: Auch hier kann niemand das Ergebnis der Kommunal- auf die Landtags- und Bundestagswahlen weiterrechnen: Die Union wird Stimmen an zahlreiche eher konservative freien Wähler verlieren, die sie weder im Bund noch im Land im Augenblick als Konkurrenz zu fürchten hat. Dazu kommt, dass sich in vielen Städten die Bürger von kommunalen Fragen leiten lassen, auch wenn die Parteien im Wahlkampf fast alles unterlassen haben, mit diesen Fragen Wahlkampf zu führen. Ich würde schon gerne detailliert wissen welche Partei in Bochum wie mit der Haushaltsmisere umgehen will. Außer ein paar oberflächlichen Sprüchen will mir das aber niemand sagen. Kein Wunder, das sich für die Kommunalwahl kaum eine interessiert.

In Städten in den es also große Themen vor Ort gibt, ist die Aussagekraft der Wahlergebnisse hinsichtlich der Bundestagswahl gering. Die Verluste, die die SPD schätzungsweise in Bochum einfahren wird, wird sie zum Teil bei der Bundestagswahl wieder ausgleichen können. In Städten ohne große Skandale hingegen ist die Aussagekraft für die anderen Wahlen höher: Gibt es keine großen kommunalen Themen, wählt man wie immer.

Noch problematischer ist es von den OB und Landratswahlen auf Bund oder Land zu schließen: Die SPD mag künftig den OB in Köln stellen, hat dies aber vor allem den Grünen zu verdanken und einer Kölner CDU und deren OB Schramma, die während U-Bahn-Bau-Katastrophe versagt haben. Fällt auch noch Essen an die Genossen, wird es einen medialen Jubelschrei geben, der mit der Wirklichkeit nicht viel zu tun hat: Schauen wir lieber auf die Räte als auf die OBs. Was wir dann heute sehen werden ist, und das sollte Union und SPD Sorgen machen, ein weiteres Anwachsen der kleinen Parteien. Grüne, Linkspartei, freie Wählergruppen und Rechtspopulisten werden zu den Siegern gehören. Union und SPD werden beide verlieren – das Wort Volkspartei können wir langsam aber sicher aus unserem Wortschatz streichen.