Foto: Umweltministerium / Uhlenberg steht links
Wenn ich darüber nachdenke, wie der Beschuldigte Harald Friedrich aussieht, denke ich an einen kleinen Mann, mit grauen Haare und einen Vollbart. Er hat einen Bauch, und wenn er geht, hinkt er manchmal. Dann hat er Gicht. Harald F. ist ende Fünzig. Er gleicht einem Lehrer, einem Uni-Dozenten, vielleicht einem Beamten, meist aber einem Wissenschaftler. Er ist ein Mensch, der ungeduldig ist, vieles gleichzeitig macht. Er trinkt Cola und ist gerne Fleisch. Er ist so normal und unnormal, wie wir alle. Und er ist kein Schwerkrimineller.
Doch dazu hat ihn die Verfolgungswut der Ermittlungsbehörden gemacht. Ihm, dem ehemaligen Abteilungsleiter im NRW-Umweltministerium, und mit ihm 13 Mitbeschuldigten wurde banden- und gewerbsmäßige Betrugs und der Korruption vorgeworfen. Das ist so ziemlich der härteste Vorwurf, den man einem Bediensteten des Staates machen kann. Mehrere Millionen soll diese Art von Umwelt-Mafia unterschlagen und an einen Kreis von Begünstigten verteilt haben.
Die Vorwürfe gegen ihn und seine angebliche Bande füllen mittlerweile hunderte Aktenordner. Kaum einer hat noch den Durchblick, wo Unterlagen auftauschen oder verschwinden. Mehrere Ministerien beschäftigen sich mit dem Fall, obwohl mittlerweile die meisten Ermittlungen eingestellt wurden. Kein Vorwurf der Bande existiert mehr, kein Vorwurf der Korruption, kein Vorwurf des gewerbsmäßigen Betrugs. Nichts. Fast alles hat sich in Luft aufgelöst.
Nun versucht seit Montag ein Untersuchungsausschuss im Düsseldorfer Landtag Licht in das Dunkel zu bringen. Denn es gibt viel aufzuklären.
Da ist zum Beispiel zu klären, ob ein großer Lauschangriff im Verfahren Friedrich gerechtfertigt war. 2500 Telefonate wurden mitgeschnitten, Autos mit Peilsendern ausgestattet, Personen beschattet, 2300 Emails mitgeschrieben. Eigentlich sollte alles seit Dezember auf Anordnung der zuständigen Staatsanwaltschaft in Wuppertal gelöscht sein, doch mittlerweile musste der Direktor des Landeskriminalamt (LKA), Wolfgang Gatzke, zugeben, dass bis vor wenigen Tagen immer noch mehrere Gesprächsprotokolle in seinem Amt und anderswo aufbewahrt wurden. Ist nun alles gelöscht? Gatzke versucht sich zu erklären, spricht davon, dass nur hier und da ein paar Telefonatsmitschnitte in den Akten steckten. Weil sie Bestandteile anderer Vorgänge wurden. Mich erinnert das an eine Art Kafkaesker Akte. Nichtlöschbar wabern die einmal abgeschriebenen Gespräche von Zimmer zu Zimmer, sickern immer weiter, bis sie jemand findet, der damit was anfangen kann.
Die Sammelwut der Abhörer war tatsächlich kaum zu bremsen. Mir liegen Unterlagen vor, aus denen hervorgeht, dass nicht nur politische Gespräche des Landtagsabgeordneten Johannes Remmel (Grüne) abgehört wurden. Da wurde das Gespräch zwischen der Frau eines Beschuldigten mit ihrem Priester belauscht. Die Frau eines anderen Beschuldigten wurde bei einem Telefonat mit ihrem Arzt abgehört. Und das Telefon des Sohnes eines weiteren Beschuldigten fiel nur in das Fahndungsraster, weil das LKA damit rechnete, der Vater könne den Anschluss nutzen. Der Lauschangriff richtete sich nicht gegen Terroristen, sondern gegen Professoren, Firmeninhaber und Institutsleiter. Wo tauchen die Gespräche jetzt auf? Ist tatsächlich alles gelöscht, wie die Ministerin irgendwann im Herbst 2008 behauptete, oder im Dezember 2008, wie der LKA-Chef Gatzke vor ein paar Wochen sagte, oder erst jetzt, wie Gatzke nun sagte? Ich weiß es nicht. Keine Ahnung. Ich vermute eher, da gibt es immer noch Abschriften in irgendwelchen Schreibtischen.
Auch die Finanzen der Bürger fanden die Ermittler spannend. Duzende Konten und Sparbücher von Kindern, von Vereinen oder Stiftungen wurden durchleuchtet, wenn sie nur irgendwie am Rand mit Leuten im Verfahren in Verbindung gebracht werden konnten. Die Sammelwut fiel auch im LKA auf. Ein leitender Beamter schrieb in einem Vermerk kritisch: „Wo sind die Ergebnisse der umfangreichen Finanzermittlungen, mit denen ich so nicht einverstanden war und gegen die ich rechtliche Bedenken vorgetragen hatte?“
Eine Firma wurde in die Pleite getrieben, Arbeitsplätze gingen verloren und die bürgerliche Existenz eines Mannes ging zu Grunde.
Ich habe den Vermerk wegen seiner außergewöhnlichen Bedeutung hier veröffentlicht. Einfach auf den Link klicken. Er zeigt, wie stark das LKA außer Rand und Band geraten ist, wie kritische Stimmen ignoriert wurden. Der Vermerk ist ein Dokument des Versagens. Die Öffentlichkeit hat ein Recht ihn zu lesen. Ich zitiere unten noch mal aus dem Vermerk.
Denn alle Fragen nutzen nichts. Wie von unsichtbarer Hand getrieben, ging es weiter. Ende Mai 2008 durchsuchten hunderte Polizisten duzende Wohnungen in ganz Deutschland und steckten den Hauptbeschuldigten Harald Friedrich für drei Wochen in ein Wuppertaler Gefängnis zu Mördern, Totschlägern und Betrügern.
Mittlerweile wurden die meisten Verfahren eingestellt. Deswegen wird es Zeit, sich dem Ursprung des Verfahrens zuzuwenden. Wer steckt hinter der maßlosen Verfolgung? Es gibt Spuren, die direkt zu Umweltminister Eckhard Uhlenberg führen.
Harald Friedrich galt in seinem Ministerium als unbequem. Die ehemalige Grüne Umweltministerin Bärbel Höhn hatte ihren Parteifreund als Leiter der Abteilung für Wasserwirtschaft eingestellt. Er setzte sich energisch für die Verbesserung der Wasserqualität ein und hielt seine Beamten auf Trab. Einigen war er unsympathisch, seine Arbeitswut irritierte sie, die nächtlichen Besprechungen, die immer neuen Forderungen, der manchmal barsche Ton. Fast alle verstanden, warum er „Höhns Kettenhund“ genannt wurde. Er suchte Machtmittel und setzte sie auch gegen Mächtige ein. Die Geschäftsführer vieler Umweltunternehmen werden das bestätigen. Feinde hat Friedrich mehr als genug. Wer mit Argumenten kam, die er dumm fand, hatte zu leiden. Selbst in seiner neuen Heimat im Sauerland werfen sie ihm vor, die Grünen gespalten zu haben.
Aber Friedrich war auch jemand, auf den Verlass war, der Menschen an sich binden konnte. Ein Mann, der menschlich korrekt war, auch wenn er in der Sache hart blieb. Ein Abteilungsleiter, der Dinge bewegte. Und neue Standards setzen konnte. Er hat noch immer in der Umweltverwaltung Freunde und Menschen, die zu ihm stehen. Die ihn nicht vergessen haben. Genauso wie er Feinde hat hat er Freunde. Friedirch polarisiert eben.
Bald nach dem Übergang von Höhn zum neuen CDU-Minister Uhlenberg finden sich Bemühungen im Umweltministerium, Friedrich kalt zu stellen. Im Haus wird Material gesammelt. Eine Mitarbeiterin von Friedrich tat sich dabei besonders hervor. Sie heißt Dorothea Delpino und spielte die Rolle der Hauptbelastungszeugin. Sie schickte Spitzelberichte direkt aus Friedrichs Umfeld an Uhlenbergs Staatssekretär Alexander Schink (CDU).
Dabei wurde die Rolle der Zeugin Delpino auch im Umweltministerium nicht unkritisch gesehen. Spitzenbeamte von Uhlenberg fragten nach der Motivation hinter den Spitzeleien. In einem internen Vermerk der Abteilung I-4 heißt es, die Aussagen von Delpino könnten angegriffen würden, weil diese „persönliche Motive für die Diskreditierung“ des Beschuldigten habe. Die Rede ist von Mobbing. Dann sei Delpino eine Beförderung unter Friedrich verweigert worden. Sie habe dagegen klagen wollen, stelle diese Klage jedoch "im Kontext des aktuellen Vorgangs" gegen Friedrich zurück. Und weiter: „Bei Durchsicht der Unterlagen der Zeugin zeigt sich, dass die Zeugin teilweise als eine Art agent provocateur handelte.“
Dennoch suspendierte Schink vor allem auf Basis der Delpino-Berichte am 16. Juni 2006 Harald Friedrich vom Dienst. Mehr noch: am gleichen Tag beförderte er die Zeugin zur stellvertretenden Abteilungsleiterin, wie aus einem persönlichen Schreiben von Schink an Uhlenberg hervorgeht. Im Juli dann stellte Schink vor allem auf Basis der Delpino-Berichte gleich drei Strafanzeigen gegen Harald F. wegen des Verdachts auf Korruption und Geheimnisverrat beim LKA, wie Unterlagen der Behörde zeigen.
Hat Schink das auf eigene Rechnung getan? Oder in Abstimmung mit seinem Minister Uhlenberg? Bereits am 18. Juni 2006 verfasste Schink jedenfalls ein persönliches Schreiben an den „lieben Eckhard“. Darin unterrichtet er den Minister detailliert über das Vorgehen gegen den Abteilungsleiter. Auch an die Presse wird gedacht. Als Sprachregelung sei vereinbart worden, dass Friedrich wegen Dienstvergehen gefeuert worden sei. Weiter heißt es, „erst ab Mittwoch sollten diese Dienstvergehen näher konkretisiert werden“, wenn die Presse nach dem gekündigten Abteilungsleiter frage.
Auch im Landeskriminalamt gab es früh Zweifel, ob die Zeugin Delpino ausreicht, ein großes Verfahren anzustrengen. Vor allem die Recherchen des Leiters der Ermittlungskommission (EK) „Stuhl“ Eckhard Lech auf Basis der Zeugin wurden hinterfragt. In einem Vermerk schreibt ein Vorgesetzter an den EK-Leiter über dessen Bericht, mit dem er Durchsuchungsbeschlüsse beantragen will:
„Ich finde einen Bericht vor, der nahezu ausschließlich oder überwiegend mit Zitaten der Zeugin Delpino gespickt ist. Hat Frau Delpino die Ermittlungen geführt? Ist sie die einzige Quelle der bisherigen Ermittlungsergebnisse, oder ist diese Ausarbeitung lediglich als Anzeige (von Frau Delpino) zu verstehen? Warum wird die Rolle von Frau Delpino so unkritisch gesehen, immerhin muss eine engere Verbindung zwischen ihr und Herrn Friedrich existiert haben, wie sonst ist das zu ihren Gunsten manipulierte Auswahlverfahren zu verstehen? Wurde berücksichtigt, dass vielleicht auch Rachegelüste eine gewisse Rolle spielen könnten?? Wissen wir wie es genau und warum zwischen dem Bruch zwischen Frau Delpino und Herrn Friedrich gekommen ist? Die Merkwürdigkeiten wurden jedenfalls mit keiner Silbe erwähnt “
Lech selbst war früh die politische Dimension des Verfahrens bewusst. In einem internen Vermerk vom 5. März 2007 gibt er zu, dass bei seinen Recherchen „aufgrund der Fachlichkeit eine Abhängigkeit vom MUNLV besteht“. Es „muss zumindest bedacht werden, dass ggf. versucht wird, die Ermittlungen politisch zu instrumentalisieren.“
Warum wurden diese Bedenken nicht gehört? Wer hatte die unsichtbare Hand, die alles am Laufen hielt? Oder waren es nur wild gewordene Bürokraten, die auf einen Anschub aus dem Umweltministerium hin, einen Selbstläufer produzierten?
Auch heute wird noch gegen Friedrich ermittelt. Die Staatsanwaltschaft Wuppertal ist optimistisch eine Anklage hinzubekommen. Es geht um kleinere Delikte. Friedrich soll über Jahre hinweg duzenden Essen im Gesamtwert von über 1000 Euro angenommen haben. Das könnte eine Vorteilsannahme im Amt sein. Das zu beweisen, ist für die Ermittler sehr schwer. Manchmal wissen die Ermittler nicht, wieviele Leute beim Essen dabei waren und auch wenn Friedrich alleine mit dem angeblichen Vorteilsgeber war, ist nicht klar, wer bezahlt hat. Es ist nur klar, wer den Beleg bei der Steuer eingereicht hat. Wenn Friedrich und sein Gegenüber zur Frage schweigen, wer für Pommes oder Fischplatte aufkam, wird man sie nur sehr schwer verurteilen können. Aus diesem Grund wird mit keiner Aussage von Friedrich vor der Staatsanwaltschaft zu rechnen sein.
Im zweiten Fall heißt es, Friedrich habe unberechtigt Unterlagen aus dem Ministerium zu Hause aufbewahrt – ein möglicher Verwahrbruch. Auch hier ist es schwer einen Vorsatz zu belegen. Friedrich durfte als Abteilungsleiter Unterlagen zu Hause bearbeiten. Hat er die Sachen zu Hause vergessen oder unterschlagen? Schwer zu beweisen, was wahr ist, wenn jemand zehn Jahre im Amt war.
Aufgrund der Schwierigkeiten ist es ungewiss, ob beide Fälle vor Gericht landen. Eine Verurteilung ist noch unsicherer. Die Wuppertaler Behörde streitet seit Monaten mit der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf darüber, was zulässig ist. In etlichen Anweisungen wurden die Wuppertaler schon angewiesen, ihren Zorn und ihre Wut zu mäßigen, und die Verfolgungen einzustellen.
Es scheint, als hätten der leitende Staatsanwalt in Wuppertal sein Maß verloren. Man könnte meinen, er sitzt in einem Bunker und glaubt an den Endsieg. Die ihn erlösende Anklage. Er wird Freunde haben, die ihn unterstützen. Er wird bestärkt in Emails aus dem LKA, vom Ermittler Lech etwa. Diese liegen mir vor.
Es ist das Bild einer Runde von Männern, die nicht verstehen können, warum es ungehörig sein sollte, einen Mann wegen sich in Luft auflösender Vorwürfe drei Wochen in Haft zu stecken, Menschen abzuhören, Konten unbescholtener Bürger zu durchleuchten, eine Firma, Arbeitsplätze und Existenzen zu vernichten.
Sie scheinen zu glauben, unsichere Vorwürfe der unberechtigten Essensannahme oder der Falschaufbewahrung von Dokumenten könnten diese Eingriffe in die Intimsspähre duzender Menschen irgendwie rechtfertigen.
Was sollen die Leute der Firmen M. oder A. dazu sagen? Als deren Büros in Düsseldorf und Aachen durchsucht wurden? Als deren Geschäftsführer nicht wussten, ob sie jetzt in die Pleite getrieben werden?
Die Beamten in Wuppertal und im LKA können offensichtlich nicht verstehen, was Sie getan haben.
Sie fühlen sich im Recht. Noch.