Ruhr oder Berlin Teil 5 – Kreativität und Provinz

Die Provinz ist für den oder die Kreative/n ein hartes Pflaster, wie man es im Ruhrgebiet bestens studieren kann. Wer hier gegen die Konventionen verstößt konnte es lange Zeit nur unter Einkalkulierung seines  eigenen Untergangs tun. Die kulturelle und politische Hegemonie der Sozialdemokratie vereint mit der ökonomische Dominanz des Montanindustriellen Komplexes hat selbst noch zu Zeiten der IBA-Emscherpark bei den dort leitend Aktiven die Frage hervor gerufen , ob „Innovationen in einem strukturell innovationsfeindlichen Milieu“  überhaupt durchzusetzen sind.

Dass sich dann die städtebaulichen Erneuerer zwar durchsetzten, sich dabei selbst jedoch gegen jede äußere und öffentliche Kritik abschotteten, zeigte, dass in der Provinz selbst die Kreativen, und als solche sind die Leute um Karl Ganser sicher zu bezeichnen gewesen, den übergeordneten Gesetzen der Provinz zu fügen haben bzw. diese sich in deren Hinterkopf unhinterfragt, wenn nicht sogar unbewusst wieder einnisten.

Was der Provinzkreative aber eher lernt als der metropolitane Erneuerer ist Subversion und Durchhaltevermögen. Insofern sollte jeder Kreative in seinem Leben zumindest einige Jahre in der Provinz verbringen ehe er/sie sich zum Beispiel nach Berlin zu gehen traut. Da ist es nämlich im Ernstfall nicht viel besser. Genauer gesagt ist in der Metropole nur das Klima innovationsfreundlicher, nicht die realen Verhältnisse.

Da ein gutes Klima nicht zu unterschätzen ist, trifft man dort auch mehr Menschen, die es brauchen. Da es aber nicht ausreicht, wenn nicht auch Aufträge auf einen warten, die einen ernähren, wird diese Gruppe gerade in Berlin immer wieder um die dezimiert, die letztlich von ihrer Kreativität auch zu leben gezwungen sind . Nach einigen Jahren struktureller Unterbezahlung sind sie zum Tausch von richtigen Aufträgen gegen innovatives Klima gezwungen, sprich dazu, Berlin wieder zu verlassen.

Die, die erst gar nicht aus dem Ruhrgebiet weggehen, haben jedoch häufig weder ein förderliches Klima noch Aufträge. Zumindest nicht von außerhalb der Agglomeration. Egal wie viele Preise und Fachrenommee sie erobern, die Städte im Ruhrgebiet sind für sie keine gute Adresse, wenn man sich außerhalb um Aufträge bemüht. Und selbst innerhalb der Ruhrstadt werden die Bewerber aus den metropolitanen Kreativstädten systematisch bevorzugt . Selbst bei den Machern der Kulturhauptstadt. Selbst bei denen, die sich dort speziell der Förderung des Kreativen verschrieben haben. Bei der IBA-Emscherpark war es übrigens auch schon so.

Was also ist zu tun? Soll man bleiben oder gehen? Und was macht man wenn man nicht gehen will oder kann? Wie kommt man dann im Ruhrgebiet an Aufträge die einen in Dimension und Aufgabenstellung wirklich voran bringen? Wie kommt man hier in die Liga, die auch in den Metropolen chancenreich mitbieten kann?  Die Aufträge die das fördern gibt es nämlich auch hier.

Ob dabei die vom Gorny-Team kreierten Kreativquartiere helfen, werden wir in den nächsten Jahren erst feststellen können. Ich bin da eher skeptisch. Auf jeden Fall werden von den jetzt geplanten nur wenige überbleiben bzw. den Namen wirklich verdienen. Aber die von der gleichen Truppe dadurch vorangetriebene  lokale und regionale Vernetzung zeigt jetzt schon unbestreitbare Erfolge. Ja sie verändert sogar schon etwas das so viel gerühmte Klima, in dem sie das Thema kulturstadtrelevant gemacht hat. Es wurde noch nie so viel über die Rolle der Kreativität für die Zukunft des Ruhrgebietes diskutiert wie jetzt.

Manchmal kann ich mich sogar des Eindrucks nicht erwehren, dass es mittlerweile mehr Menschen in der Ruhrstadt gibt, die ihre Kreativen suchen, beobachten und analysieren als Kreative selbst. Nichtsdestotrotz bewegt sich die Provinz wenigstens hier ein Stück in Richtung Metropole.

 

H1N1 in EN – ein Impfversuch in Witten

Heute habe ich versucht, in Witten einen Termin für die Impfung gegen die "Schweinegrippe"zu bekommen und hier folgt mein Bericht.

Es gibt einige Gründe, gegen und für diese Impfung zu sein, googled Euch die bitte selbst zusammen, ich habe wollte mich jedenfalls aus folgenden Gründen für eine Impfung entscheiden:

1. Wir haben viele Kinder unter zwei Jahren in unserer Umgebung.

2. Wir haben ein herzkrankes Kind in unserem Umfeld

3. Auch wenn ich weiß, dass ich eine Infektion mit dem H1N1-Virus wohl überstehen würde (toi, toi, toi) finde ich es ganz nett, andere, von denen ich nicht weiß, ob sie das schaffen, nicht anzustecken.

Aus diesen Gründen wollte ich mal herausfinden, wie das denn wohl so geht, hier in Witten im EN-Kreis. Gefragt war eine Impfung für Erwachsene und unsere zwei Kinder. Und das ging in Witten so: Ich rufe im Sprechzimmer unserer Kinderärztin an. Dort bekomme ich mitgeteilt, dass man sich entschieden habe, diese Impfung für Kinder nicht anzubieten, da unserer Ärztin die bisherigen Tests des Impfstoffes nicht ausreichen. Ok, denke ich, die ist ein bisschen alternativ angehaucht, das kenne ich ja von ihr.

Als nächstes also ein Anruf bei der zuständigen Kreisbehörde in Schwelm. Der Kollege vom Gesundheitsamt Schwelm teilt mir mit, dass er keine Ahnung habe, welche Kinderärzte in Witten diese Impfung anbieten, gibt mir aber eine Web-Adresse (PDF) und eine Telefonnummer von einer Kollegin, die sich in Witten "auskenne". Ihr ahnt schon, dass das PDF nicht deutlich macht, ob jemand Kinderarzt ist, oder nicht, oder?

Egal, weiter geht’s. Ich erreiche seine Kollegin nicht – "Außentermin" – aber einen Kollegen der Kollegin. Der sagt mir, dass es in Witten und Umgebung nur wenige Kinderärzte gebe, die die Impfung druchführen würden. "Macht nix", sage ich, "einer mit zwei Spritzen reicht mir". Auch den oder die gibt es nicht, sagt mit der Gesundheitsmann zerknirscht am Telefon. Alle Kinderärzte in Witten hätten gegen die Imfung Vorbehalte gehabt und böten diese deshalb nicht an.

Ok, Anthro-Stadt, denke ich, also weiter nach…Sprockhövel. "Was ist mit Kinderärzten in Sprockhövel?" verlange ich nach Adjuvanzien. "Hmm…, Gynäkologin, …Allgemeinmediziner… nein, leider nicht", sagt der Gesundheitsmann. Er erklärt mir noch, dass das Gesundheitsamt selbst wegen der schnellen Verfallsdauer des Impfstoffes keine Impfungen durchführt. Daraufhin beende ich das Telefonat.

Ok, denke ich, wenn ich die Kinder in Witten schon nicht impfen lassen kann, dann will ich sie wenigstens nicht anstecken. Ich rufe bei meiner Diabetologin (bin Diabetiker) an. Die ist zusätzlich auf alte Leute spezialisiert, müsste den Impfstoff also eigentlich Eimerweise haben. Außerdem steht sie im PDF der Kreisgesundheitsbehörde. "Hallo, ich würde gerne einen Impftermin ausmachen. Ich bräuchte eine Impfung gegen H1N1."

Die gute Dame Arzthelferin reagiert äußerst routiniert. "Jaha. Machen Sie das. Kommen Sie hier vorbei, tragen Sie sich in die Warteliste ein. Dann machen wir hier einen Termin. Dann nehmen Sie den Merkzettel mit nach Hause und dann unterschreiben Sie das beiliegende Formular. Das bringen Sie dann bitte zum vereinbarten Termin wieder mit". Aha. Kurze Denkpause meinerseits und dann ein letzter Versuch: "Kann ich telefonisch keinen Termin ausmachen?" "Nein", sagte die gute Dame, "zuerst müssen Sie persönlich das Merkblatt und die Einwiliigung abholen".

Ok. Vielleicht ist meine Ärztin zu sehr beschäftigt. Also nochmal die Kreisgesundheitsbehörde. "Ja, das machen alle Ärzte in Witten so. Weil der Impfstoff noch nicht so erprobt ist. Das ist ja schließlich keine Tetanus-Impfung, da wollen die Ärzte sich schon absichern wegen der Folgen und eine unterschriebene Einverständniserklärung haben", sagt der Mann vom Amt. Außerdem würden diese Wartelisten geführt, damit von den Impfdosen keine ungenutzt weggeworfen werden müsse, schließlich seien diese nach dem Öffnen nur rund 12 Stunden haltbar und sollten dementsprechend auch aufgebraucht werden.

Ich bin jetzt jedenfalls kuriert und freue mich auf Eure Erfahrungen aus den anderen Städten. Komm‘ doch, Grippe, ich hau Dich mit Bürokratie kaputt!

Presseschau Migration/Integration aus dem Oktober 09

Foto: Beate Moser

Das Ruhrgebiet ist die größte Einwanderungsregion Europas. Da kann es nichts schaden manchmal über den Tellerrand zu schauen, wie es in der Einwanderungs-, Integrations- und Flüchtlingspolitik zugeht. An dieser Stelle erscheint ca. einmal im Monat eine Presseschau zu diesem Thema. Sie erhebt keinen Anspruch auf enzyklopädische Vollständigkeit, sie enthält Texte, die aus meiner Sicht für – die oftmals kontroverse – Debatte in diesem Themenbereich von Interesse sind. Die Aufnahme von Texten bedeutet keine Identifikation mit ihren inhaltlichen Aussagen. Auf den Link klicken führt zum Text.

Zum unvermeidlichen Sarrazin nur das hier: Ratschläge und Erkenntnisse zum Problem der Unterschicht (Telepolis)

Das Essener "Zentrum für Türkeistudien" widerspricht der These von der gescheiterten Integration (Zeit)

Die NRZ berichtet über die Merkez-Moschee in Duisburg-Marxloh und derwesten.de hat die Kommentarfunktion mal wieder abgeschaltet (derwesten.de), und hier über die Moschee in Berlin-Heinersdorf (Tagesspiegel)

Jugendliche Doppelstaatler müssen sich für eine Staatsbürgerschaft entscheiden (Zeit)

Immer mehr türkischstämmige Akademiker wollen Deutschland verlassen (Telepolis)

Ein Berliner Sozialarbeiter fordert ein integrationspolitisches "Rettungsprogramm wie bei den Banken" (KStA)

Die taz über die Selbstvermarktung des SPD-Bezirksbürgermeisters von Berlin-Neukölln Buschkowsky (taz), Die FAZ sieht dort eine Parallelgesellschaft – wie Buschkowsky (FAZ), Ambros Waibel meint, Westdeutschland solle Neukölln endlich in Ruhe lassen (taz), Duisburgs Dezernent Dressler findet türkische Stadtteile gut, auch hier mit abgeschalteter Kommentarfunktion (derwesten.de)

Daniel Bax kommentiert den Prozessbeginn zum Mord an Marwa El Sherbini in Dresden (taz)

Die FR dokumentiert Passagen aus einem Buch und Theaterstück über Jugendszenen in Bonn-Bad Godesberg, das aufgrund der quasi entanonymisierten Statements für viel Stress bei den Betroffenen gesorgt hat (FR)

Ein junger Türke über sein früheres Gangstertum in Berlin (Berl. Zt.)

derwesten.de berichtet über binationale Paare und hat diesmal die Kommentarfunktion nicht abgeschaltet (derwesten.de)

Türkische Frauen über ihre Sexualität, Interview mit der Buchautorin Hülya Adak (Süddeutsche)

Deutschland will 10.000 Roma ins Kosovo abschieben (Jungle World)

Operiert ein ruandischer Völkermörder von Deutschland aus? (taz), hier eine Reportage über das Kigali von heute (Tagesspiegel)

Ist Bundesgesundheitsminister Rösler "für immer Asiat"? (taz)

Ein Pro und Contra zum "Schwarz-Somalier" Wallraff (taz), die schwarze Autorin Sheila Mysorekar reagiert darauf verständnislos (taz), ebenso Sven Mekarides vom Berliner Afrika-Rat (Tagesspiegel), sowie weitere schwarze Deutsche (Sp-on), Wallraffs Originatext aus der "Zeit" hier (Zeit)

"Die Zeit" über einen "neuen Cem Özdemir" (Zeit)

Ein weiteres Interview mit der deutschen Fußballnationalspielerin Lira Bajramaj, diesmal von Roger Willemsen (Zeit), ein Porträt des malischen Nationalspielers Frederic Kanoute, der beim FC Sevilla spielt (taz) und weitere Begeisterung über Mesut Özil (FAZ), der meint, sein Ballgefühl sei "türkisch" (Tagesspiegel)

Barack Obama – ein konsensfixierter Zauderer? (Berl. Zt.), das sei eine Täuschung von Linken mit der Lust am Scheitern, meint Robert Misik (taz)

Kurdische Frauenorganisationen machen Kampagne gegen Ehrenmorde (Junge Welt)

In Italien gibt es – sehr spät, aber immerhin – einen Frauenaufstand gegen Berlusconi (Berl. Zt.)

Strukturwandel in Wien: Wird der Ortsteil Ottakring zu einer "Republik Bionade"? (Zeit)

Wie Müllrecycling in Istanbul funktioniert (Freitag)

Die taz berichtet über eine LeserInnenreise in die Kulturkampfmetropole-Istanbul (taz), dazu ein Interview mit dem Reiseführer (taz)

Wie die "Schweinegrippe", die nichts mit Schweinen zu tun hat, in Kairo für "Strukturwandel" und soziale Verwerfungen gesorgt hat (FAZ)

Wie man in Dänemark gutes Fernsehen macht: "Protectors" , z.Z. sonntags 22 h im ZDF (taz)

Was der Westen von China lernen kann (taz)

Reza Hajatpour über Probleme islamischer Theologie (FAZ)

Partynächte in Teheran, Kairo und Damaskus (Sp-on)

 

Afghanischer Rückzieher

Foto: Flickr.com/Canada en Afghanistan

Die afghanische Wahlfarce ist vorüber. Endlich. Der afghanische Präsident Hamid Karzai und dessen Herausforderer Abdullah Abdullah einigten sich auf den strategischen Rückzug. Abdullah tritt nicht zur Stichwahl an und Karzai bleibt Präsident. Der strategische Rückzug hat in dem langjährigen afghanischen Bürgerkrieg Tradition. Er ist seit vielen Jahren fester Bestandteil der militärischen Auseinandersetzung am Hindkusch. Die gegnerischen Führer bauen ihre Truppen auf, dann beginnt ein Raketenbeschuss, und danach zieht sich in der Regel einer der Feldkommandanten samt Armee zurück und der andere besetzt die beanspruchte Stadt oder Provinz. Eine offene und zudem verlustreiche Feldschlacht wird, wenn es denn irgendwie geht, in Afghanistan vermieden.

Kabul, Kunduz, Herat oder Masar-e-sharif wechselten so viele Male ihre Herren. Die Anführer im afghanischen Bürgerkrieg Achmed Shah Massud, Raschid Dostum oder Gulbuddin Hekmatyar waren allesamt Rückzugsvirtuosen. Und ein Rückzug macht ja auch Sinn. Der Kommandant verliert zwar für einige Zeit einen Streifen Land, aber er behält den Anspruch aufrecht und hat die Truppen gerettet. Der Feldkommandant, der seine Truppen in die Berge ziehen lässt, kann immer behaupten, dass er ungeschlagen sei und im Grunde sogar der eigentliche Sieger, den allein die Umstände zum Rückzug gezwungen haben.

Er hat sein Gesicht gewahrt und kann  zudem noch auf Augenhöhe mit der Gegenseite, die nach dessen Rückzug die Kontrolle der jeweiligen Provinz oder Stadt  übernommen hat, verhandeln. Auch die Gegenseite ist erleichtert, dass ihr ein verlustreicher Kampf erspart geblieben ist, und  daher dem Anführer, der samt Armee in die Berge gezogen ist, zu Dank verpflichtet.

Nach diesem Drehbuch haben Karzai und Abdullah das Wahlspektakel am Hindkusch beendet und dem Land eine Tod und Verderben bringende Stichwahl erspart. Der Präsidentschaftswahlgang in dem von einem Bürgerkrieg zerrissenen Land war von Anfang ein gefährlicher Unsinn. Der Urnengang wurde durchgeführt, damit der Westen die Visionen von einem friedlichen Aufbau in Afghanistan ausleben konnte. Es ist der Klugheit Abdullahs und Karzei zu verdanken, dass sie diesen Rausch auf einer sehr afghanischen Weise beendeten. Über Abdullah müssen wir uns übrigens keine Sorgen machen. Ich bin sicher, dass er bald einen wichtigen Posten von Karzai übertragen bekommt.

Nun wäre es höchste Zeit für die USA, die Nato und Deutschland die Atempause zu nutzen und Realitäten in Afghanistan anzuerkennen:

I. In Afghanistan herrscht Bürgerkrieg

II. In diesem Bürgerkrieg sind internationale Truppen keine Aufbauhelfer sondern Kriegspartei

III.  Wahlgänge in einem Bürgerkrieg, die nur von einer Kriegspartei getragen werden, haben keinen Nutzen

IV. Wenn man in einem Bürgerkrieg die Gegenseite nicht vernichten kann, muss man mit ihr verhandeln

VI. Die Taliban müssen für eine afghanische Friedensordnung als Verhandlungspartner anerkannt werden

VII. Nach Friedensverhandlungen sind Wahlen mit Beteiligung der Taliban abzuhalten

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3 für 7 – 3 Kulturtipps für die nächsten 7 Tage

Menschen sind ja meist beschäftigt. Also braucht die Gesellschaft eine Art Schmiermittel, damit mensch schnell ins Träumen und/oder Kuscheln – oder so, genau – kommt. (Manche sogenannte Kreative leben professionell den ganzen Tag in diesen Schmiermitteln.) Nun kommt also historisch verspätet, aber irgendwie gerecht zu 2010 hin das Ruhrgebiet zu ganz viel Pop, Kultur und Popkultur. Es wurde – schon wegen dem alten Gedankenknast "Gorny = Rockbüro" – bisher viel auf Musik geachtet. Gut, auch auf Museales, Architektur und Design. Aber so sachte kommt das Thema "Film" verstärkt ins öffentliche Visier. (Ein bisschen spät für manche, aber naja.) Und in dieser Woche an dieser Stelle zudem auch ein schönes Musikspezialgebiet, das im Ruhrgebiet schon immer schön geschmiert hat: Schlager. (Für Porno wird an dieser Stelle nicht geworben!) Diesmal: Duisburger Filmwoche, Kitty Hoff und Jochen Distelmeyer.

Herbst/Winter, Aufschlag Duisburg. Eine schöne Gelegenheit an dieser Stelle endlich einmal wieder auf das Eck am Hundertmeister hinzuweisen, ein angenehmer, wenn auch nicht überbordernder Quell mittelschwerer Kultur in der Stadt mit dem Rhein (auch) dran. Der Autor fühlt sich in den letzten Wochen schon extrem Ruhr-Propaganda-kopfgewaschen und freut sich an dieser Stelle mitzuteilen, dass der Film "Ruhr" schon zur Eröffnung dieses Festivals deutschsprachiger Dokumentarfilme lief. Knapp eine Woche lang gibt es aber auch noch andere und anderes am Dellplatz.

Und damit könnte man jetzt – wie z.B. im Prinz – mal so eine schicke Gegenüberstellung machen: Kitty vs. Jochen. Beide kommen aus NRW (, oder?). Beide sind wieder mit Band auf Tour! Beide singen über Erfahrungen und Nicht-Erfahrungen im Zwischenmenschlichen, geben sich aber auch gesellschaftspolitisch bewusst. Sie wendet sich eher dem Kammerorchestral/Jazzigen bis Caféhaftem, er eher dem Poprockigen bis KleineHallen-mäßigen zu. "Schlager" war ja früher mal, wenn nichts in einem Lied über Partnerschaft, Party oder Folklore hinausweist. Dies umgehen beide recht geschickt, Jochen hat aber mehr die deutschen Kulturarbeiter im Rücken, die er vom Scheitel über das Hemd, Zitatfreundlichkeit, Feuilleton-Affinität und Popakademie-Kompatibilität besser bedient. "Schlager" war ja auch schon immer etwas sehr Deutsches, Piefiges, insofern kann Kitty (Foto: Promo) zugute gehalten werden, dass sie eher Chanson macht und Jochen, dass er vielen hiesigen jungen Wilden den Weg in ein irgendwie machbares Leben gewiesen hat, in dem sich das Private auch mal schön politisch anfühlen darf. Kann halt zugute gehalten werden, muss aber nicht. Wir sind ja nicht im Kino hier. (Mieses Ende des Artikels, also: Zugabe.)

Duisburger Filmwoche noch bis kommenden Sonntag.
Kitty Hoff & Forêt-Noire am Dienstag im Ebertbad, am Mittwoch im Rex-Theater und am Donnerstag im Savoy-Theater.
Jochen Distelmeyer (und Band) am Donnerstag im FZW und am Samstag im Ringlokschuppen.

 

Dreckige Wäsche bei Rot-Weiß Essen. Sohn des Stadtdirektors verbreitete öffentlich Lügen über Aufsichtsrat

OB Reiniger (CDU und 2. vr) ließ sich bei Rot-Weiß Essen feiern. Foto: Stadt Essen

Wenn jemand im Ruhrgebiet derzeit von Problemen im Fussball spricht, denken zuerst alle an den Schalke 04. Doch auch beim durchaus genauso beliebten oder ungeliebten Nachbarn im Westen, dem Club Rot-Weiß Essen, gibt es was zu berichten. Da ist die unsichere Lage beim Stadionneubau zu erwähnen und ein Machtkonflikt in der Führungsetage der Kicker-Vereinigung. Denn der Verein Rot-Weiß Essen ist in die Hände von Vorständen kommunaler Betriebe gefallen und damit in die Hände von Politikern. Und die versuchen jetzt ihre Macht durchzusetzen.

Zunächst zum Hintergrund: Bis zu diesem Sommer regierte die CDU in Essen. Sie hatte für den diesjährigen Wahlkampf das Georg-Melches-Stadion von Rot-Weiß als Thema entdeckt. Nachdem mit Philharmonie und Museen die Kultur für die Vermögenden gefördert worden war, sollte jetzt was für die Massen getan werden. Nämlich das alte Stadion von RWE im armen Essener Norden durch ein Neues ersetzt werden. Soweit so gut.

Ziemlich schnell gab es allerdings wegen der Finanzierung Trubel. Ich habe darüber berichtet. Hier klicken. Im Kern kann man sagen, der Bezirksregierung hat es nicht gepasst, dass die Stadt über eine kommunale Tochter Millionen in die Kampfbahn eines Vierligisten pumpen will. Dazu kam die Millionenschwere Auflösung dubioser Marketingverträge mit einem untergegangenen Kinofuzzi. Und Beraterverträge mit einem abgehalfterten Ex-Fußballprofi.

Alles in allem war die Stadt unter dem damaligen CDU-Oberbürgermeister Wolfgang Reiniger bereit für RWE gut und gerne 30 Mio. Euro springen zu lassen. Ein guter Teil des Stadions wurde bereits vor der Wahl abgerissen um den Massen zu zeigen, dass die CDU das ernst meint.

Strippenzieher auf Seiten der Stadt war vor allem Stadtdirektor Christian Hülsmann von der CDU. Dieser Politiker und Beamte wollte den Neubau des Stadions unbedingt umsetzen. Vor den Wahlen spitze sich die Situation zu. Zum einen war klar, dass die CDU keinen Durchmarsch hinlegen würde, zum anderen geriet die Finanzierung des Stadions nicht zuletzt bei den Ruhrbaronen in die öffentliche Kritik.

Offensichtlich wurde das zumindest einem Hülsmann zuviel. Zumindest legt das folgender Vorgang nahe. Den Ruhrbaronen liegen Beweise vor, wonach der Sohn von Christian Hülsmann sich aktiv mit öffentlichen Verleumdungen in die Debatte eingemischt hat. Er griff unter einem falschen Namen von seinem Dienstcomputer über die Internetseiten der Zeitung Revier-Sport einen Aufsichtsrat von Rot-Weiß Essen an, der sich zuvor intern im Aufsichtsrat kritisch über die Stadionpläne von Hülsmann senior geäußert hatte. Er schrieb, dieser Aufsichtsrat würde der Presse alle möglichen Informationen stecken und so einen Kampagne gegen die CDU fahren.

Als ich in einer früheren Geschichte über Rot-Weiß eine schriftliche Anfrage an die Dienstadresse von Stadtdirektor Hülsmann geschickt hatte, wurden mir über einen Mittelsmann die Verleumdungen des Juniors zugespielt.

Natürlich habe ich die Infos überprüft und ziemlich schnell festgestellt, dass mit den Erzählungen von Hülsmann Junior nur die öffentliche Meinung manipuliert werden sollte. Kaum etwas von dem, was Junior schrieb, war belastbar. Die Behauptung, der Aufsichtsrat würde „höchst vertrauliche Informationen aus dem RWE-Aufsichtsrat“ durchstechen, reiner Bullshit, frei jeder Kenntnis der tatsächlichen Abläufe. Der Vorwurf, der Aufsichtsrat würde versuchen, mit seinen Kontakten das Stadionprojekt zu kippen: Quatsch, offenbar frei erfunden vom Sohn des Stadtdirektors Hülsmann.

Die Frage ist nun, hat der Filius das für den Senior freiwillig getan? Könnte sein, denn Hülsmann Junior war auch mal eine Zeitlang bei Rot-Weiß Essen in der Geschäftsstelle beschäftigt. Könnte es aber auch sein, dass er mit Kenntnis des Vaters Schmähungen verbreitete? Für letzteres spricht die erwähnte Tatsache, dass mir die Aussagen des Juniors, wie erwähnt, nach einer Anfrage beim Senior, über einen Krisen-PR-Mittelsmann zugespielt worden sind. Ob für die schwarze Public-Relation Geld an den PR-Mittelsmann geflossen ist und wer das gegebenenfalls bezahlt hat, entzieht sich meiner Kenntnis.

Ich bin gespannt, wie Stadtdirektor Hülsmann mit dieser Sache umgeht. Vor allem weil die Frage offen ist, welchen Anteil das Krisenmanagement um Rot-Weiß Essen von Hülsmann an der Wahlniederlage der örtlichen CDU hat. Ich vermute ja einen großen.

Denn bei Rot-Weiß tobt, wie gesagt, derzeit ein Machtkampf zwischen dem Aufsichtsratchef des Clubs Dietmar Bückemeyer, Vorstand der Stadtwerke Essen AG, und dem Chef der Druckerei VVA und gleichzeitigem RWE-Vorstandschef Stefan Meutsch.

Entzündet hatte sich der Kampf um die Entlassung von Thomas Strunz als Teamchef des Clubs Ende September wegen erwiesener Erfolglosigkeit. Meutsch hatte Strunz direkt nach der Niederlage gegen die Reserve aus Köln rausgeschmissen, ohne Bückemeyer zu konsultieren, wie es hieß.

Bei der Stadt und damit bei Stadtdirektor Hülsmann kam das nicht gut an. Vor allem Bückemeyer kritisierte, dass man ihn nicht gefragt hat, bevor Strunz gefeuert wurde. Dabei hatte er zuvor verlangt, dass man ihn bei einer derart wichtigen Entscheidung, wie der Entlassung des Teamchefs um Rat fragt.

Für die Meutsch-Fraktion im Aufsichtsrat kann das nicht sein. Für diese Männer stellt sich die Frage, was die Stadt will? Personalpolitik in einem Fussballclub machen? Das könne doch kaum Aufgabe der Verwaltung sein.

Es wird von Essenes neuem Oberbürgermeister  Reinhard Paß abhängen, ob aufgeräumt wird. Der SPD-Mann wurde vor wenigen Tagen vereidigt.

Ich frage mich vor allem, wer Strunz jetzt bezahlt? Bei Rot-Weiß Essen sollen Gehaltspfändungen des Ex-Profikickers eintrudeln. Kriegt er jetzt noch Kohle von der Stadt, wie noch bis vor ein paar Monaten als angeblicher Berater? Oder hat er einen Job bekommen bei einer Stadtnahen Firma? Etwa einer Firma, die auch den Stadionneubau plant? Ich weiß es nicht. Würde mich ja interessieren.

Ruhrpilot

Das Navigationssystem für das Ruhrgebiet

Afghanistan: Stichwahl abgesagt… SPIEGEL ONLINE

WAZ-Mediengruppe: Reine PR in der Westfalenpost und DerWesten… zoom

Oberhausen: Depeche Mode in Bestform… Ruhr Nachrichten

Dortmund: Schlag gegen Drogenhändler… DerWesten

Welt am Sonntag: Flashiges, multimediales, monatliches eMagazin… Pottblog

Duisburg: Filmwoche wird mit „Ruhr“ eröffnet… DerWesten

Bochum: Hinter den Kulissen des Starlight Express… DerWesten

Städte und Gemeinden: Haushalte vor Zerreißprobe… DerWesten

Links anne Ruhr: Der Ruhrpilot stößt auf Begeisterung – denn (durchaus geschätzte) Nachahmung ist die höchste Form des Lobes… Pottblog / Pottblog

LKA-Vermerk aus dem Uhlenberg-Ausschuss: „Hat Frau Delpino die Ermittlungen geführt?“

Foto: Umweltministerium / Uhlenberg steht links

Wenn ich darüber nachdenke, wie der Beschuldigte Harald Friedrich aussieht, denke ich an einen kleinen Mann, mit grauen Haare und einen Vollbart. Er hat einen Bauch, und wenn er geht, hinkt er manchmal. Dann hat er Gicht. Harald F. ist ende Fünzig. Er gleicht einem Lehrer, einem Uni-Dozenten, vielleicht einem Beamten, meist aber einem Wissenschaftler. Er ist ein Mensch, der ungeduldig ist, vieles gleichzeitig macht. Er trinkt Cola und ist gerne Fleisch. Er ist so normal und unnormal, wie wir alle. Und er ist kein Schwerkrimineller.

Doch dazu hat ihn die Verfolgungswut der Ermittlungsbehörden gemacht. Ihm, dem ehemaligen Abteilungsleiter im NRW-Umweltministerium, und mit ihm 13 Mitbeschuldigten wurde banden- und gewerbsmäßige Betrugs und der Korruption vorgeworfen. Das ist so ziemlich der härteste Vorwurf, den man einem Bediensteten des Staates machen kann. Mehrere Millionen soll diese Art von Umwelt-Mafia unterschlagen und an einen Kreis von Begünstigten verteilt haben.

Die Vorwürfe gegen ihn und seine angebliche Bande füllen mittlerweile hunderte Aktenordner. Kaum einer hat noch den Durchblick, wo Unterlagen auftauschen oder verschwinden. Mehrere Ministerien beschäftigen sich mit dem Fall, obwohl mittlerweile die meisten Ermittlungen eingestellt wurden. Kein Vorwurf der Bande existiert mehr, kein Vorwurf der Korruption, kein Vorwurf des gewerbsmäßigen Betrugs. Nichts. Fast alles hat sich in Luft aufgelöst.

Nun versucht seit Montag ein Untersuchungsausschuss im Düsseldorfer Landtag Licht in das Dunkel zu bringen. Denn es gibt viel aufzuklären.

Da ist zum Beispiel zu klären, ob ein großer Lauschangriff im Verfahren Friedrich gerechtfertigt war. 2500 Telefonate wurden mitgeschnitten, Autos mit Peilsendern ausgestattet, Personen beschattet, 2300 Emails mitgeschrieben. Eigentlich sollte alles seit Dezember auf Anordnung der zuständigen Staatsanwaltschaft in Wuppertal gelöscht sein, doch mittlerweile musste der Direktor des Landeskriminalamt (LKA), Wolfgang Gatzke, zugeben, dass bis vor wenigen Tagen immer noch mehrere Gesprächsprotokolle in seinem Amt und anderswo aufbewahrt wurden. Ist nun alles gelöscht? Gatzke versucht sich zu erklären, spricht davon, dass nur hier und da ein paar Telefonatsmitschnitte in den Akten steckten. Weil sie Bestandteile anderer Vorgänge wurden. Mich erinnert das an eine Art Kafkaesker Akte. Nichtlöschbar wabern die einmal abgeschriebenen Gespräche von Zimmer zu Zimmer, sickern immer weiter, bis sie jemand findet, der damit was anfangen kann.

Die Sammelwut der Abhörer war tatsächlich kaum zu bremsen. Mir liegen Unterlagen vor, aus denen hervorgeht, dass nicht nur politische Gespräche des Landtagsabgeordneten Johannes Remmel (Grüne) abgehört wurden. Da wurde das Gespräch zwischen der Frau eines Beschuldigten mit ihrem Priester belauscht. Die Frau eines anderen Beschuldigten wurde bei einem Telefonat mit ihrem Arzt abgehört. Und das Telefon des Sohnes eines weiteren Beschuldigten fiel nur in das Fahndungsraster, weil das LKA damit rechnete, der Vater könne den Anschluss nutzen. Der Lauschangriff richtete sich nicht gegen Terroristen, sondern gegen Professoren, Firmeninhaber und Institutsleiter. Wo tauchen die Gespräche jetzt auf? Ist tatsächlich alles gelöscht, wie die Ministerin irgendwann im Herbst 2008 behauptete, oder im Dezember 2008, wie der LKA-Chef Gatzke vor ein paar Wochen sagte, oder erst jetzt, wie Gatzke nun sagte? Ich weiß es nicht. Keine Ahnung. Ich vermute eher, da gibt es immer noch Abschriften in irgendwelchen Schreibtischen.

Auch die Finanzen der Bürger fanden die Ermittler spannend. Duzende Konten und Sparbücher von Kindern, von Vereinen oder Stiftungen wurden durchleuchtet, wenn sie nur irgendwie am Rand mit Leuten im Verfahren in Verbindung gebracht werden konnten. Die Sammelwut fiel auch im LKA auf. Ein leitender Beamter schrieb in einem Vermerk kritisch: „Wo sind die Ergebnisse der umfangreichen Finanzermittlungen, mit denen ich so nicht einverstanden war und gegen die ich rechtliche Bedenken vorgetragen hatte?“

Eine Firma wurde in die Pleite getrieben, Arbeitsplätze gingen verloren und die bürgerliche Existenz eines Mannes ging zu Grunde.

Ich habe den Vermerk wegen seiner außergewöhnlichen Bedeutung hier veröffentlicht. Einfach auf den Link klicken. Er zeigt, wie stark das LKA außer Rand und Band geraten ist, wie kritische Stimmen ignoriert wurden. Der Vermerk ist ein Dokument des Versagens. Die Öffentlichkeit hat ein Recht ihn zu lesen. Ich zitiere unten noch mal aus dem Vermerk.

Denn alle Fragen nutzen nichts. Wie von unsichtbarer Hand getrieben, ging es weiter. Ende Mai 2008 durchsuchten hunderte Polizisten duzende Wohnungen in ganz Deutschland und steckten den Hauptbeschuldigten Harald Friedrich für drei Wochen in ein Wuppertaler Gefängnis zu Mördern, Totschlägern und Betrügern.

Mittlerweile wurden die meisten Verfahren eingestellt. Deswegen wird es Zeit, sich dem Ursprung des Verfahrens zuzuwenden. Wer steckt hinter der maßlosen Verfolgung? Es gibt Spuren, die direkt zu Umweltminister Eckhard Uhlenberg führen.

Harald Friedrich galt in seinem Ministerium als unbequem. Die ehemalige Grüne Umweltministerin Bärbel Höhn hatte ihren Parteifreund als Leiter der Abteilung für Wasserwirtschaft eingestellt. Er setzte sich energisch für die Verbesserung der Wasserqualität ein und hielt seine Beamten auf Trab. Einigen war er unsympathisch, seine Arbeitswut irritierte sie, die nächtlichen Besprechungen, die immer neuen Forderungen, der manchmal barsche Ton. Fast alle verstanden, warum er „Höhns Kettenhund“ genannt wurde. Er suchte Machtmittel und setzte sie auch gegen Mächtige ein. Die Geschäftsführer vieler Umweltunternehmen werden das bestätigen. Feinde hat Friedrich mehr als genug. Wer mit Argumenten kam, die er dumm fand, hatte zu leiden. Selbst in seiner neuen Heimat im Sauerland werfen sie ihm vor, die Grünen gespalten zu haben.

Aber Friedrich war auch jemand, auf den Verlass war, der Menschen an sich binden konnte. Ein Mann, der menschlich korrekt war, auch wenn er in der Sache hart blieb. Ein Abteilungsleiter, der Dinge bewegte. Und neue Standards setzen konnte. Er hat noch immer in der Umweltverwaltung Freunde und Menschen, die zu ihm stehen. Die ihn nicht vergessen haben. Genauso wie er Feinde hat hat er Freunde. Friedirch polarisiert eben.

Bald nach dem Übergang von Höhn zum neuen CDU-Minister Uhlenberg finden sich Bemühungen im Umweltministerium, Friedrich kalt zu stellen. Im Haus wird Material gesammelt. Eine Mitarbeiterin von Friedrich tat sich dabei besonders hervor. Sie heißt Dorothea Delpino und spielte die Rolle der Hauptbelastungszeugin. Sie schickte Spitzelberichte direkt aus Friedrichs Umfeld an Uhlenbergs Staatssekretär Alexander Schink (CDU).

Dabei wurde die Rolle der Zeugin Delpino auch im Umweltministerium nicht unkritisch gesehen. Spitzenbeamte von Uhlenberg fragten nach der Motivation hinter den Spitzeleien. In einem internen Vermerk der Abteilung I-4 heißt es, die Aussagen von Delpino könnten angegriffen würden, weil diese „persönliche Motive für die Diskreditierung“ des Beschuldigten habe. Die Rede ist von Mobbing. Dann sei Delpino eine Beförderung unter Friedrich verweigert worden. Sie habe dagegen klagen wollen, stelle diese Klage jedoch "im Kontext des aktuellen Vorgangs" gegen Friedrich zurück. Und weiter: „Bei Durchsicht der Unterlagen der Zeugin zeigt sich, dass die Zeugin teilweise als eine Art agent provocateur handelte.“

Dennoch suspendierte Schink vor allem auf Basis der Delpino-Berichte am 16. Juni 2006 Harald Friedrich vom Dienst. Mehr noch: am gleichen Tag beförderte er die Zeugin zur stellvertretenden Abteilungsleiterin, wie aus einem persönlichen Schreiben von Schink an Uhlenberg hervorgeht. Im Juli dann stellte Schink vor allem auf Basis der Delpino-Berichte gleich drei Strafanzeigen gegen Harald F. wegen des Verdachts auf Korruption und Geheimnisverrat beim LKA, wie Unterlagen der Behörde zeigen.

Hat Schink das auf eigene Rechnung getan? Oder in Abstimmung mit seinem Minister Uhlenberg? Bereits am 18. Juni 2006 verfasste Schink jedenfalls ein persönliches Schreiben an den „lieben Eckhard“. Darin unterrichtet er den Minister detailliert über das Vorgehen gegen den Abteilungsleiter. Auch an die Presse wird gedacht. Als Sprachregelung sei vereinbart worden, dass Friedrich wegen Dienstvergehen gefeuert worden sei. Weiter heißt es, „erst ab Mittwoch sollten diese Dienstvergehen näher konkretisiert werden“, wenn die Presse nach dem gekündigten Abteilungsleiter frage.

Auch im Landeskriminalamt gab es früh Zweifel, ob die Zeugin Delpino ausreicht, ein großes Verfahren anzustrengen. Vor allem die Recherchen des Leiters der Ermittlungskommission (EK) „Stuhl“ Eckhard Lech auf Basis der Zeugin wurden hinterfragt. In einem Vermerk schreibt ein Vorgesetzter an den EK-Leiter über dessen Bericht, mit dem er Durchsuchungsbeschlüsse beantragen will:

„Ich finde einen Bericht vor, der nahezu ausschließlich oder überwiegend mit Zitaten der Zeugin Delpino gespickt ist. Hat Frau Delpino die Ermittlungen geführt? Ist sie die einzige Quelle der bisherigen Ermittlungsergebnisse, oder ist diese Ausarbeitung lediglich als Anzeige (von Frau Delpino) zu verstehen? Warum wird die Rolle von Frau Delpino so unkritisch gesehen, immerhin muss eine engere Verbindung zwischen ihr und Herrn Friedrich existiert haben, wie sonst ist das zu ihren Gunsten manipulierte Auswahlverfahren zu verstehen? Wurde berücksichtigt, dass vielleicht auch Rachegelüste eine gewisse Rolle spielen könnten?? Wissen wir wie es genau und warum zwischen dem Bruch zwischen Frau Delpino und Herrn Friedrich gekommen ist? Die Merkwürdigkeiten wurden jedenfalls mit keiner Silbe erwähnt “

Lech selbst war früh die politische Dimension des Verfahrens bewusst. In einem internen Vermerk vom 5. März 2007 gibt er zu, dass bei seinen Recherchen „aufgrund der Fachlichkeit eine Abhängigkeit vom MUNLV besteht“. Es „muss zumindest bedacht werden, dass ggf. versucht wird, die Ermittlungen politisch zu instrumentalisieren.“

Warum wurden diese Bedenken nicht gehört? Wer hatte die unsichtbare Hand, die alles am Laufen hielt? Oder waren es nur wild gewordene Bürokraten, die auf einen Anschub aus dem Umweltministerium hin, einen Selbstläufer produzierten?

Auch heute wird noch gegen Friedrich ermittelt. Die Staatsanwaltschaft Wuppertal ist optimistisch eine Anklage hinzubekommen. Es geht um kleinere Delikte. Friedrich soll über Jahre hinweg duzenden Essen im Gesamtwert von über 1000 Euro angenommen haben. Das könnte eine Vorteilsannahme im Amt sein. Das zu beweisen, ist für die Ermittler sehr schwer. Manchmal wissen die Ermittler nicht, wieviele Leute beim Essen dabei waren und auch wenn Friedrich alleine mit dem angeblichen Vorteilsgeber war, ist nicht klar, wer bezahlt hat. Es ist nur klar, wer den Beleg bei der Steuer eingereicht hat. Wenn Friedrich und sein Gegenüber zur Frage schweigen, wer für Pommes oder Fischplatte aufkam, wird man sie nur sehr schwer verurteilen können. Aus diesem Grund wird mit keiner Aussage von Friedrich vor der Staatsanwaltschaft zu rechnen sein.

Im zweiten Fall heißt es, Friedrich habe unberechtigt Unterlagen aus dem Ministerium zu Hause aufbewahrt – ein möglicher Verwahrbruch. Auch hier ist es schwer einen Vorsatz zu belegen. Friedrich durfte als Abteilungsleiter Unterlagen zu Hause bearbeiten. Hat er die Sachen zu Hause vergessen oder unterschlagen? Schwer zu beweisen, was wahr ist, wenn jemand zehn Jahre im Amt war.

Aufgrund der Schwierigkeiten ist es ungewiss, ob beide Fälle vor Gericht landen. Eine Verurteilung ist noch unsicherer. Die Wuppertaler Behörde streitet seit Monaten mit der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf darüber, was zulässig ist. In etlichen Anweisungen wurden die Wuppertaler schon angewiesen, ihren Zorn und ihre Wut zu mäßigen, und die Verfolgungen einzustellen.

Es scheint, als hätten der leitende Staatsanwalt in Wuppertal sein Maß verloren. Man könnte meinen, er sitzt in einem Bunker und glaubt an den Endsieg. Die ihn erlösende Anklage. Er wird Freunde haben, die ihn unterstützen. Er wird bestärkt in Emails aus dem LKA, vom Ermittler Lech etwa. Diese liegen mir vor.

Es ist das Bild einer Runde von Männern, die nicht verstehen können, warum es ungehörig sein sollte, einen Mann wegen sich in Luft auflösender Vorwürfe drei Wochen in Haft zu stecken, Menschen abzuhören, Konten unbescholtener Bürger zu durchleuchten, eine Firma, Arbeitsplätze und Existenzen zu vernichten.

Sie scheinen zu glauben, unsichere Vorwürfe der unberechtigten Essensannahme oder der Falschaufbewahrung von Dokumenten könnten diese Eingriffe in die Intimsspähre duzender Menschen irgendwie rechtfertigen.

Was sollen die Leute der Firmen M. oder A. dazu sagen? Als deren Büros in Düsseldorf und Aachen durchsucht wurden?  Als deren Geschäftsführer nicht wussten, ob sie jetzt in die Pleite getrieben werden?

Die Beamten in Wuppertal und im LKA können offensichtlich nicht verstehen, was Sie getan haben.

Sie fühlen sich im Recht. Noch.

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Mag Panorama (ARD) YouTube als Quelle für das Honecker-Video nicht?

Margot Honecker im Internet-Video (bei Panorama, ARD)Am vergangenen Donnerstag wurde im ARD-Nachrichtenmagazin Panorama dem 20-jährigen Jubiläum des Mauerfalls gedacht. Grundsätzlich eine gute Sache. Man versuchte jedoch auch, mit der in Chile lebenden Margot Honecker, der Witwe des ehemaligen DDR-Diktators Erich Honecker, in Kontakt zu treten und kündigte im Vorfeld auch ein Interview mit ihr an.

Dieses "Interview" besteht daraus, dass eine 82-jährige alte, verbitterte Frau, die sich vorab gegen einen Interviewtermin gesträubt hatte, auf offener Straße von einer ARD-Reporterin verfolgt und angesprochen wird. Margot Honecker schweigt fast komplett und äußert fast nur ihren Willen, an diesem Interview nicht teilzunehmen um dann kurze Zeit später doch noch was zu sagen bzw. zu lachen. Sie lacht nämlich als ihr das Zitat von Willy Brandt ("Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört!") genannt wird. Warum sie lacht – das erfährt man nicht, das kann die investigative Reporterin, der es gelungen ist eine 82-Jährige nach einem Marktbesuch oder ähnlichem aufzulauern, nicht mehr klären.

Nach dem ziemlich nichts sagenden Panorama-Bericht erwähnt dann die Panorama-Moderatorin im Abspann ein "Internet-Video", in dem sich Margot Honecker vor ihren Freunden dann etwas offener äußert (siehe Abbildung). Dort äußert sie sich dann auch gleich zur Bundestagswahl, zeigt sich erfreut, dass die Linke mehr Stimmen erhalten hat, die SPD wegen ihrer unsozialen Politik Stimmen verloren hat usw.

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Ex-Kanzlerkandidat sitzt in Bezirksvertretung

Ehemaliger Kanzlerkandidat – ein hartes Schicksal. Aber nicht alle zerbrechen an ihren gescheiterten Träumen vom Griff nach der Macht. Manch einen zieht es auch zurück an die Basis. Wolfgang Wendland zum Beispiel.

Wolfgang Wendland foto: Karl Nagel

Nicht jeder gescheiterte Kanzlerkandidat ging souverän mit seiner Niederlage um: Gerhard Schröder pöbelte im Fernsehen herum und verdingt  sich nun bei russischen Gashändlern,  Stoiber widmete sich der Weiterentwicklung seines Sprachfehlers und Steinmeier sitzt heute der Bundestagsfraktion einer Partei mit dem Namen "SPD" (?) vor.  Gelungener Lebensläufe sehen irgendwie anders aus.

So wie der von Wolfgang "Wölfie" Wendland zum Beispiel. Der Musikant, im Hauptberuf Sänger der Band "Die Kassierer",  war 2005 Kanzlerkandidat der Anarchistischen Pogopartei Deutschlands (APPD) und bereits 1998 in deren Schattenkabinett für Gesundheit und Drogen zuständig. OK, für einen Platz auf der Regierungsbank reichte es beide Male nicht.

Bei der Kommunalwahl am 30. August wurde der heute parteilose Wendland, der lange Zeit auch Mitglied der CDU war, auf dem Ticket der Linkspartei in die Bezirksvertretung des Bochumer Stadtteils Wattenscheid gewählt. Wendland setzt sich seit vielen Jahren für die Förderung von Kultur in Wattenscheid ein – unter anderem mit der Forderung nach Räumen für Kulturinitiativen. Das ist schon was anderes als Gas zu verschachern…