Kreativität ist weder zeitlich noch räumlich steuerbar. Deswegen werden Kreative nach dem Ergebnis und nicht nach der Effizienz ihrer Arbeit beurteilt und bezahlt. Die ist ausschließlich ihre eigene Sache und führt unausweichlich bei den noch nicht angemessen Entlohnten unter ihnen zu enormer (Selbst-)Ausbeutung
Bild: Ruhrgebietskreativer mit Stoffelefant
Kreative sind ihrer Kreativität nämlich in gewisser Weise ausgeliefert. Sie kommt und geht wann sie will, lässt sich nicht erzwingen, ist im Prinzip überall möglich und kann sich sehr plötzlich beschleunigen oder auch bis zum Stillstand verlangsamen. Zeitliche und räumliche Flexibilität sind deswegen das Nonplusultra eines kreativen Prozesses. Das sieht für Außenstehende nach großer Freiheit aus, ist für die Betroffenen aber pure Notwendigkeit. Sie wissen einfach nicht genau wann und wo ihnen etwas einfällt.
Deswegen schleppen die Kreativen der Wissensgesellschaft fast immer ihren Laptop und ihr Handy mit sich herum. Wie es schon die Wandergesellen im Zeitalter der Manufaktur mit ihrem Handwerkszeug gemacht haben. Da kreative Prozesse oft in direkten Zusammenhang mit anderen geistigen und materiellen Produktionsprozessen stehen, die räumlich unbeweglicher sind, ist direkter und permanenter Kommunikationszugang die andere Seite der räumlichen Ungebundenheit. Konkret heißt das, ständig Online sein und/oder das Handy nie abschalten.
Das setzt wiederum eine bestimmte räumliche und technische Infrastruktur voraus. Kneipen, Parks, Hotels und andere öffentliche sowie private Orte die weder im Funkloch liegen noch für den flächendeckenden Online-Zugang private Kosten verursachen sind deswegen für Kreative beliebte Aufenthaltsorte jenseits der eigenen Wohnung und/oder des Büros. Erst recht, wenn Letzteres (noch) gar nicht vorhanden oder klitzeklein ist.
Verfügen diese Orte obendrein über inspirierende natürliche (Wasser, Flora und Fauna usw.), und/oder bauliche (Architektur, Ambiente usw.) und/oder soziale (Multikulti, hohe Besucherfrequenz, andere Kreative usw.) Elemente, dann werden sie besonders bevorzugt. Fügen sich alle Elemente an einem Ort zusammen wird er für die Kreativen zum sogenannten „Hot Spot“, was nichts anderes als eine begriffliche Übertragung des Begriffs Hot House (Treibhaus) auf Räume im Allgemeinen ist.
Dazu gehören, was die Nahversorgung betrifft, wenn möglich auch Restaurants, Kinos, und Geschäfte die 24 Stunden, zumindest aber bis in die späten Abend- respektive frühen Morgenstunden geöffnet haben. Arbeitspausen haben bei Innovationsprozessen keinen festen Rhythmus und damit auch nicht das Bedürfnis nach Ablenkung, Mahlzeit oder einfach nur „Chillen“. Vervielfältigungs- und sonstige mediale Produktions- und Reproduktionsdienstleistungen sollten, weil meistens „outgesourct“, auch in der Nähe und (fast) durchgehend zugänglich sein.
Es gibt aber für Kreative auch einen innerhäuslichen Anpassungszwang an die Gesetze der Flexibilität. Die überdachten und zugleich nicht öffentlichen Orte ihrer Arbeit, also Büro/Werkstatt und/oder Wohnung müssen schon deswegen multifunktional ausgestattet sein, weil es auf Grund der Nichtsteuerbarkeit von Innovationen für die Akteure keine Trennung zwischen Arbeit und Leben gibt. Weder eine räumliche noch eine zeitliche. Obendrein gilt, dass jede Innovation unerwartete Elemente ins Spiel bringt.
Für Kreative die nicht nur mit dem Computer sondern auch oder vorwiegend mit Pinsel, Farbe, Bleistift und Leinwand, ja sogar mit Modellen und/oder kleineren Werkzeugen und Maschinen arbeiten, ergibt sich dadurch in der Regel ein überdurchschnittlicher Platzbedarf. Viel natürliches Licht und große hohe Räume sind da ein großer Produktionsvorteil. Die Möglichkeit zu jeder Tages- und Nachtzeit einen gewissen Grad von Lärm/Unruhe zu erzeugen ebenfalls.
Lofts, erst recht in dickmäuerigen ehemaligen Fabrikgebäuden, sind deswegen für Kreative nicht nur Wohn- oder Lifestyle sondern vor allem notwendige bis optimale Arbeitsvoraussetzungen. Wenn dann in der Nähe dichtes Leben stattfindet d.h. das eigene oder mit anderen geteilte Loft Teil eines „Hot Spots“ ist oder dieser zumindest in erreichbarer Nähe liegt, dann ist der Standort perfekt.
Im Gegensatz zu Berlin gibt es Lofts und „Hot-Spots“ in dieser engen räumlichen Kombination im Ruhrgebiet so gut wie gar nicht, bzw. müssen sie hier erst entwickelt respektive gebaut werden. Das obwohl viele der durch den vielgerühmten Strukturwandel leergefallenen Fabrik- und Zechengelände innerstädtische Lagen haben oder hatten. Es ist vielmehr keiner (rechtzeitig) auf die Idee gekommen, sie auch in diese Richtung um zu nutzen.
In Ruhr sind deswegen Fabriklofts zur Zeit, wiederum im Gegensatz zu Berlin, eher in städtischen Rand- oder Zwischenlagen zu finden. Manche davon sehr wohl mit inspirierendem Blick auf Wasser und/oder Natur und/oder guter, ja spektakulärer Industriearchitektur, dafür aber meilenweit entfernt von etwas, das man „Hot Spot“ nennen oder was man dazu entwickeln könnte. Erst recht wenn man nicht über einen privaten PKW verfügt. Für die Kombination aus Hot-Spot und Loft haben der Innenhafen von Duisburg und der Dortmunder Stadthafen noch die meisten Qualitäten, liegen aber nach meiner Einschätzung schon zu weit von den jeweiligen Hauptbahnhöfen entfernt.
Das Ruhrtal hat dagegen, was die landschaftliche Umgebung der dortigen Lofts betrifft, innerhalb des Ruhrgebietes faktisch ein Alleinstellungsmerkmal, liegt aber von den Nahverkehrsanbindungen noch weiter vom Schuss. Ganz anders z.B. das Girardet-Haus in Essen-Rüttenscheid, von dessen Art es in Berlin allerdings dutzende in innerstädtischer Lage gibt.
Bleiben die vielen Kanäle und still gelegten Kanalhäfen des Ruhrgebietes. Hier wäre die Bildung ganz spezieller und urban eigenständiger „Hot Spots“ möglich, wenn die Hausbootkultur massiv gefördert und wasseramtlich erlaubt wird. (Natürlich erst recht in Teilen der oben schon erwähnten Stadthäfen von Duisburg und Dortmund)
Das gleiche gilt für die Kultur der landgebunden Mobile-Homes die auf den großen noch vorhandenen wilden Freiflächen des“ Ruhr-Stadt-Dschungels“ eigene kreative Dörfer mit W-LAN-Anschluss ausbilden könnten. Auch hier wäre allerdings amtliche Erlaubnis und ideelle und materielle Unterstützung nötig.
Während sich Berlin auf Grund der kompakteren Stadtform mit den Mobile Homes, speziell in Form der „Wagenburgen“ schwer tut, hat sie sich auch bezüglich der schwimmenden Siedlungen schon einen Vorsprung erarbeitet, in dem sie dafür offizielle Stellen/Wasserflächen innerhalb des gesamten Stadtgebietes ausweisen wird, bzw. teilweise schon ausgewiesen hat. Fabriklofts aber auch Loft- und Atelierneubauten direkt am Wasser und zugleich in zentraler Lage gibt es schon lange und in enorm großer Auswahl.