Aus gegebenem Anlaß

Der Konflikt im Iran zeigt, wie wichtig die freie Presse ist. Menschen müssen ihre Meinung sagen können, um Unterdrückung und Diktaturen zu bekämpfen. Vor einem Monat ungefähr habe ich für ein paar Journalistenorganisationen mit Thorben Korpel, Andreas Schmitz und Hilger Tintel einen Film gemacht, um an die Reporter zu erinnern, die für diese Aufgabe Ihr Leben gelassen haben. Der Film lief hier schon mal. Trotzdem denke ich, kann man ihn aus gegebenem Anlaß nochmal zeigen.

Falls jemand den Film runterladen will, um ihn weiter zu verbreiten oder auf seiner eigene Seite einzubauen. Eine gute Version gibt es unter for-freedom.cc

State of Play: A first Look

Für unsereins der Pflichtbesuch im Kinosommer: State of Play (Kinostart, morgen). Ein Film über investigativen Journalismus, über Zeitungskrise und das Binnenverhältnis zwischen Onlinern und Print-Leuten. Wirklich sehenswert ist die Karre von Cal McCaffrey (Russell Crowe) vom Washington Globe. Natürlich ein 1990er Saab (Koenigsegg) – offenbar das globale Lieblingsvehikel der Medienmeute. Hier schon einmal tolle Autobilder und ein schöner Dialog.

Online: Ich bin Della, Della Fry, ich schreib den Capitol Hill Blog, Online-Redaktion. Ich bin ein großer Fan von ihnen. Ich schreib gerade etwas über private Beziehungen innerhalb der Politik, alleinstehende Frauen, so was. Und wie Sie sicher wissen, gab es mit ihrem Freund heute im Capitol diesen Zwischenfall.

Print: Ist da irgendwo eine Frage in Sicht?

Online: Ja, haben Sie heute mit ihm gesprochen?

Print: Wollen Sie mich etwa in Ihren Artikel einbauen?

Online: Nein, ich will nur etwas Hintergrundmaterial.

Print: Soll heißen: schmutzige Geschichten?

Online: Meinen Sie, das er eine Affäre mit der Frau hatte?

Print: Tja. Della? Keine Ahnung. Da müsste ich wohl vorher ein paar Blogs lesen, um mir eine Meinung zu bilden.

Quelle: trailer/ state-of-play.de

Die WAZ und die Evangelikalen

 

Der Niedergang der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung schreitet weiter voran. Die Veröffentlichung von verfremdeten Fotos der vermeintlichen Opfer aus dem Jemen auf der ersten Seite macht das mehr als deutlich. Das bewegt sich fast schon auf dem Niveau von Bild, wo die Frauen allerdings ohne Verfremdung gezeigt werden. Weiter geht es mit dem Bericht über die Bibelschule Brake vom Hayke Lanwert im Innenteil der Zeitung. Von hier sind die beiden Frauen als Teil ihrer Ausbildung zu einem Praktikum in den Jemen aufgebrochen. Es entsteht der Eindruck, dass in Ostwestfalen Menschen ausgebildet werden, um in aller Welt zu helfen und Gutes zu tun. Das wird dem Charakter der Bibelschule allerdings nicht ganz gerecht, denn es handelt es sich um eine evangelikale Bildungseinrichtung und das Ziel ist eindeutig die Missionierung. Um das festzustellen reicht schon ein Blick auf die Internetseite der Bibelschule und dem dort formulierten Glaubensbekenntnis: „Wir glauben an die göttliche Inspiration, Unfehlbarkeit und Autorität der gesamten Heiligen Schrift.“ Die Ausbilder und Lehrer haben in der Regel einen Abschluss einer evangelikalen Bildungseinrichtung in Deutschland oder den USA.

Viele Journalisten schauen hier gerne weg und haben in den letzten Jahren lieber über die Aktivitäten des „deutschen Papstes“ berichtet. Das die evangelischen Fundamentalisten in der Regel eine „gute Presse“ haben, liegt auch an ihrer intensiven Lobby und Medienarbeit. Diese besonders bibeltreuen Protestanten sprechen sich gegen Abtreibung aus und zweifeln an der Gültigkeit der Evolutionstheorie. Experten schätzten die Zahl der Anhänger evangelikaler Ideen in Deutschland auf etwa zweieinhalb Millionen Menschen. Die sind vor allem in freikirchlichen Gemeinden organisiert. „Diese Bemühungen sind nicht alle auf die Verbreitung fundamentalistischer Ideen ausgerichtet. Viele davon sind auch missionarisch orientiert“, sagt Hans Jörg Hemminger, Beauftragter für Weltanschauungsfragen der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. „Das man sich in der modernen Gesellschaft, auch im öffentlichen Meinungskampf zeigen muss, diese Überzeugung hat sehr zugenommen.“

Die evangelikalen Christen haben in Deutschland in den vergangen Jahrzehnten ein umfangreiches Netzwerk an Medien aufgebaut. Dazu gehören der Nachrichtendienst “idea”, Fernsehsender wie “Bibel TV” oder das “Deutsche Christliche Fernsehen” und Zeitschriften wie das christliche Medienmagazin pro. Ein wesentliches Element dieser Weltanschauung ist der Kreationismus. „Das ist die Ablehnung der Evolutionstheorie aus religiösen Gründen. Im christlichen Bereich meistens, weil man die Schöpfungsgeschichte der Bibel für eine historische, naturwissenschaftliche Darstellung hält“, sagt Hans Jörg Hemminger. „Dann geht man davon aus, dass die Erde sechs bis zehntausend Jahre alt ist, anstatt vier Milliarden Jahre. Damit legt man sich mit einem großen Teil der etablierten Naturwissenschaften an.“

Die evangelikalen Medienaktivitäten sind in der Regel über Spenden finanziert. Mit den Möglichkeiten moderner Medientechnik und großem Engagement erreichen die Evangelikalen sehr viele Menschen. Viele Wissenschaftler kritisieren, dass die Amtskirchen sich nicht eindeutiger für die Evolutionstheorie aussprechen und sich fundamentalistische Ideen so leichter in der Gesellschaft etablieren. „Es gibt eine kreationistisches Lehrbuch der Evolution und da stellt sich natürlich die Frage, warum schreibt jemand der die Evolution für Humbug hält, ein solches Buch“, fragt sich der Biologe Thomas Junker, der in Tübingen eine Professur hat. „Sie versuchen in die Breite zu gehen, indem sie quasi seriöse Publikationen verfassen, die dann über den normalen Buchhandel vertrieben werden. Der Erfolg scheint den bibeltreuen Christen Recht zu geben, denn der thüringische Ministerpräsident Dieter Althaus hat dieses Buch sehr gelobt.“

Wie erfolgreich hier gearbeitet wird, zeigt auch die Preisverleihung des Goldenen Kompasses im letzten Jahr in der Schalker Arena. Den bekamen einige Fußballspieler des FC Schalke 04 für ihre Mitwirkung an dem Buch: Mit Gott auf Schalke. Ausgeschrieben wird der Preis vom Christlichen Medienverbund KEP. Der hat es sich zur Aufgabe gemacht, die evangelikale Öffentlichkeitsarbeit voranzutreiben. Bibeltreue Christen drängen weiter in die Öffentlichkeit und für 2009 sind weitere Fernsehsender geplant. Das ist eine Herausforderung für die Kontrolleure der Medien. „Sie dürfen nicht werben im klassischen Sinne, das heißt sie dürfen nicht offen zu Spenden aufrufen, sie dürfen keine Produkte verkaufen, denn das ist eine religiöse Werbung im eigentlichen Sinne“, erklärt Holger Gierbig, der bei der Landesanstalt für Medien in Nordrhein-Westfalen für die Programmaufsicht zuständig ist. „Die ist dem Staatsvertrag, der die Zulassungskriterien für solche Dinge regelt, verboten.“ Es sind auch die Missionierung und die Anwerbung neuer Mitglieder verboten. Wann man es mit Missionierung zu tun hat, ist für die Kontrolleure nur schwer zu beurteilen. Die Aktivitäten der evangelikalen Medien bewegen sich in hier in einem Grenzbereich. Verkündigung, Missionierung und Zweifel an den Naturwissenschaften werden weiter auf allen Kanälen gesendet.

Hier ist der Link zu dem Artikel in der WAZ.

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Die Grundfesten des Iran sind erschüttert – von Navid Kermani

Foto: flickr.com

Navid Kermani ist ein Schriftsteller, ein Orientalist. Er lebt in Köln. Sein Lebenslauf ist verdammt beeindruckend. Für sein akademisches und literarisches Werk ist er mehrfach ausgezeichnet worden, zuletzt mit dem Stipendium der Villa Massimo. Er ist Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und der Deutschen Islamkonferenz. 2008 berief ihn das Haus der Kulturen der Welt in Berlin zum Permanent Fellow. Navid Kermani wurde 1967 in Siegen geboren. Er ist das vierte Kind iranischer Eltern. Gerade ist er nach Teheran geflogen. Kermani beobachtet dort den sich anbahnenden Umsturz. Er glaubt, die geeinte Opposition aus schiitischen Geistlichen und laizistischen Gegenern des Regimes erschüttert mit ihren Protesten die Grundfesten der islamischen Republik. Kermani hat uns erlaubt, seinen Text hier zu bringen, den er zuvor in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht hat. Er erklärt die Geschehnisse:

Die Geschichte des vergangenen Wochenendes beginnt im Sommer 1998. Ein Jahr nach dem triumphalen Wahlsieg Mohammad Chatamis, der mit dem Versprechen angetreten war, die Islamische Republik zu liberalisieren, wurden kurz nacheinander mehrere berühmte Schriftsteller und Intellektuelle des Landes ermordet. Ein Jahr später knüppelten die Sicherheitskräfte demonstrierende Studenten in aller Öffentlichkeit nieder.

Tausende wurden verhaftet, viele der damaligen Wortführer sitzen bis heute im Gefängnis. Im März 2000 folgten das Verbot fast aller kritischen Zeitungen und die Verhaftungen zahlreicher Theologen, Journalisten und Reformpolitiker. Chatami blieb formell im Amt, war aber faktisch entmachtet.

Daran änderte auch seine Wiederwahl im Jahr 2001 nichts. Von den darauffolgenden Parlamentswahlen wurden fast alle reformorientierten Kandidaten ausgeschlossen. Es liegen etliche Äußerungen von Generälen der Revolutionsgarde vor, die belegen, dass sich damals ein stiller Putsch vollzog.

Dessen Ziel sprachen radikale Geistliche wie Ayatollah Mesbah-Yazdi offen aus: Statt einer "Islamischen Republik Iran" ein "Islamisches Iran", statt der sogenannten "Herrschaft des Rechtsgelehrten" die "Absolute Herrschaft des Rechtsgelehrten", soll heißen des Obersten Geistlichen Führers, Ayatollah Chamenei. Wie sie die Anwendung von Gewalt und die Missachtung von Wahlergebnissen ideologisch rechtfertigen, hielten sie ebenso wenig geheim: Wer den göttlichen Willen befolgt, muss notfalls den Volkswillen brechen.

Die Präsidentschaftswahlen 2005, bei denen Chatami nicht mehr antreten durfte, gewann überraschend der fast unbekannte Mahmud Ahmadinedschad, dessen Karriere bei der Revolutionsgarde begann und der zu eben den extremistischen Zirkeln gehört, die sich göttlich berufen fühlen, die Islamische Republik vor allen Konterrevolutionären, liberalen Geistlichen und Säkularisten zu retten.

Bei geringer Wahlbeteiligung reichten ihm gut fünfeinhalb Millionen Stimmen, um in die Stichwahl gegen Ali Akbar Haschemi Rafsandschani zu kommen. Schon damals beklagten seine Mitbewerber, dass Ahmadinedschad nur durch Manipulationen auf den zweiten Platz gelangt ist. Aber niemand in Iran bezweifelt, dass er sich im zweiten Durchgang tatsächlich gegen den früheren Staatspräsidenten Ali Akbar Haschemi Rafsandschani durchgesetzt hat.

Rafsandschani galt als einer der reichsten und korruptesten Männer des Landes, der wie kein anderer die religiöse Nomenklatur der Islamischen Republik verkörpert. Ahmadinedschad hingegen präsentierte sich als ein Mann aus einfachen Verhältnissen, der gegen das gutsituierte Establishment kämpft.

Vier Jahre hatten die Iraner nun Gelegenheit, Mahmud Ahmadinedschad kennenzulernen. Für Oppositionelle, für die Studenten- und die Frauenbewegung, für Künstler und Intellektuelle, für die religiöse Minderheit der Bahais oder die zahlreichen Anhänger des mystischen Islams waren es vier katastrophale Jahre; für das Ansehen Irans in der Welt nicht minder.

Aber Mahmud Ahmadinedschad hat einige seiner Wahlversprechen eingelöst: Er hat die Öleinnahmen in Form von Subventionen oder verdoppelten Renten an die Armen verteilt und sich als erster iranischer Präsident um die Belange der Landbevölkerung gekümmert. Nicht wenigen Iranern imponierten auch die starken Sprüche, mit denen er den Westen provozierte, ebenso wie die Kompromisslosigkeit, mit der er Irans nukleare Ambitionen vertrat.

Vor Beginn des kurzen Wahlkampfes schien seine Wiederwahl relativ wahrscheinlich zu sein, zumal die einzigen drei Gegenkandidaten, die der Wächterrat unter 475 Bewerben zur Präsidentschaftswahl zugelassen hatte, nicht eben charismatisch wirkten.

Doch dann gelang es Mir Hussein Mussawi, innerhalb weniger Wochen die Apathie zu vertreiben, die sich nach dem Scheitern des Reformprozesses ausgebreitet hatte, und gerade auch jene Iraner für sich zu gewinnen, die in der Islamischen Republik sonst nicht wählen gehen. Geholfen haben ihm die Unterstützung Chatamis, eine äußerst clevere Kampagne – und vor allem Mahmud Ahmadinedschad.

Man kann den Moment, an dem Ahmadinedschad seine Gegner mobilisierte, ziemlich genau benennen. Argumentativ in Bedrängnis gebracht, ließ er in der live übertragenen Fernsehdebatte mit Mussawi sein Lächeln fallen und wurde wieder zu dem Revolutionswächter, der er einmal gewesen war.

Wie ein Geheimdienstagent, der einen Verdächtigen verhört, versuchte er mit Fangfragen, Verdächtigungen und angeblichen Beweisen seinen Kontrahenten moralischer Untugenden zu überführen. Als er plötzlich ein DIN A4 großes Dokument mit dem Photo von Mussawis Frau Zahra Rahnaward in die Höhe hielt und behauptete, sie habe ihre Diplome erschlichen, war klar, dass die Stimmung im Land kippen würde.

Denn Millionen Iraner und insbesondere die jungen Menschen kennen diese Situation: von einem Sittenwächter, einem Schuldirektor, einem Angehörigen der Freiwilligenmiliz in den Universitäten oder direkt von einem Geheimdienstbeamten in die Enge getrieben zu werden. Das Bild von Ahmadinedschad, der einen angeblichen Beweis in die Höhe hielt, weckte traumatische Erinnerungen. Besonders viele Frauen, ob reich oder arm, religiös oder nicht, solidarisierten sich instinktiv mit der angesehenen Professorin, die auf so infame Weise an den Pranger gestellt wurde, ohne sich wehren zu können.

In der darauffolgenden Debatte geschah etwas, was kaum jemand Mussawi zugetraut hatte: Der spröde Kandidat, der beim Reden fast immer auf sein Manuskript schaut, verteidigte in einem Gefühlsausbruch seine Frau und attackierte Ahmadinedschad als Lügner und politischen Bankrotteur. Auch für dessen Unterstützer innerhalb des Machtapparats und der staatlichen Medien fand Mussawi Worte, wie sie deutlicher im iranischen Fernsehen noch nie zu hören gewesen waren. Vergeblich versuchte der Fernsehmoderator, dem sonst so beherrscht auftretenden Kandidaten Einhalt zu gebieten.

In den folgenden Tagen erfasste die grüne Welle seiner Kampagne das gesamte Land. Selbst Groß-Ayatollah Hussein Ali Montaseri, der als ranghöchster Theologe des Landes in scharfer Opposition zum Revolutionsführer steht, kündigte an, zum ersten Mal nach über zwanzig Jahren wieder an die Urne zu gehen.

Um so größer war der Schock, als das Innenministerium in der Nacht von Freitag zu Samstag die Wahlergebnisse bekanntgab, nach denen Ahmadinedschad konstant 60 bis 65 Prozent der Stimmen erhalten habe, in den ländlichen Provinzen ebenso wie in den Städten. Hatten sich alle Beobachter verschätzt? Ist die Stimmung auf dem Land oder unter den Armen wirklich so sehr anders gewesen als in den Städten?

Es ist richtig, dass Ahmadinedschad Geld und Lebensmittel verteilt hatte – aber was die Armen bekamen, wurde ihnen durch die rasante Inflation, die seiner Wirtschaftspolitik geschuldet ist, oft wieder genommen. Und auch auf dem Land ist die Mehrheit der Menschen jung und keineswegs so traditionell ausgerichtet, wie es derzeit in den Berichten immer wieder heißt. Auch dort sind die Hälfte der Wähler Frauen, die sich in großer Mehrheit von Ahmadinedschads Attacke auf Zahra Rahnaward abgestoßen fühlten. Und vor allem ist Iran ein Vielvölkerstaat, in dem die Perser nur etwa 55 Prozent der Bevölkerung bilden.

Dass Mussawi als Aserbaidschaner sogar in seiner Heimatprovinz die Wahl verloren haben oder Mitbewerber Karrubi als Lore nur von 20.000 Loren gewählt worden sein soll, erscheint irreal. Der Vorwurf betrifft nicht Manipulationen in einzelnen Wahllokalen. Es geht darum, dass im Innenministerium, wo die Ergebnisse zusammenliefen, die Zahlen willkürlich ausgetauscht worden sein sollen.

Das Spektrum der Menschen, die wegen des offiziellen Wahlergebnisses aufbegehren, war seit der Islamischen Revolution 1979 noch nie so groß. Der Widerstand reicht auf der einen Seite tief in die schiitische Geistlichkeit, auf der anderen Seite bis zur laizistischen oder monarchistischen Opposition im Ausland. All diese Iraner sind sich keineswegs einig, wofür sie sind. Aber zum ersten Mal haben sie einen gemeinsamen Gegner.

Auf den iranischen Straßen schien diese Opposition keine Chance zu haben. Der Sicherheitsapparat wirkte zu stark, zu brutal und zu entschlossen. Zudem verfügt auch Ahmadinejad über Hunderttausende Anhänger, die sich über die Freiwilligenmilizen, Märtyrerverbände, Moscheeorganisationen oder die Armee innerhalb kürzester Zeit mobilisieren lassen.

Aber nun haben die Proteste ein solch gewaltiges Ausmaß angenommen, dass sie das Regime in seinen Grundfesten erschüttern. Jetzt schon ist nicht abzusehen, wie Revolutionsführer Chamenei gegen eine solche Massenbewegung und mit einer so massiv geschrumpften Machtbasis innerhalb des Apparats und der religiösen Elite dauerhaft herrschen will. Dass Iran zum Status quo vor den Wahlen zurückkehren könnte, mag man angesichts der gestrigen Bilder und Nachrichten nicht glauben. Leider muss allerdings immer noch mit einem Blutbad gerechnet werden, denn wer Gottes Willen auszuführen glaubt, für den zählen Menschenleben nicht unbedingt viel.

Die internationale Staatengemeinschaft hat auf diesen Machtkampf in Teheran und Ghom kaum Einfluss. Sie kann den Wahlbetrug auch nicht beweisen. Aber die Indizien, dass es ihn gegeben hat, sind so stark, dass die Welt auf einer unabhängigen Untersuchung der Vorwürfe beharren muss. Da es diese Aufklärung vermutlich nie geben wird, schließt das die Bereitschaft ein, notfalls die Kontakte mit der iranischen Regierung auf allen Ebenen zu stoppen, sie vollständig zu isolieren und härtere Sanktionen zu verhängen, als man es bisher der eigenen Wirtschaft zumuten wollte.

The good ol? SPD

Das ganze Internet ist voller mehr oder weniger empörter mehr oder weniger junger Menschen, die wegen der Netzsperren von der SPD enttäuscht sind. Warum eigentlich?

Wer ist eigentlich Schuld daran, dass die SPD im Internet im Augenblick so beliebt, ist wie einer dieser ganz ekeligen Hautausschläge, die man so schwer wegbekommt? Dieter Wiefelspütz? Franz Müntefering? Frank Walter Steinmeier? Nein, sie alle haben auch in den vergangenen Wochen relativ unspektakulär das ganze sozialdemokratische Elend verwaltet. Haben sich tapfer nach der Europawahl vor die Kameras gestellt oder in irgendwelchen Berliner Kongresscentern die beste Rede ihres Lebens gehalten. Nein, Schuld an dem Donnerwetter, das sich gerade über die SPD entlädt, ist Oliver Zeisberger. Oliver Zeisberger ist der Chef der Online-Werbeagentur Barracuda, die für die SPD arbeitet, und er versteht seinen Job: Dass Thorsten Schäfer Gümbel mit seiner Twitterei für mehr Schlagzeilen sorgte als Ypsilanti mit ihrem gescheiterten Versuch ein Wahlversprechen zu halten, hat die SPD Zeisberger zu verdanken. Dass der öde Frank Walter Steinmeier eine Webseite hat, die attraktiver ist als die Internetpräsenz von Catherine Zeta-Jones ist Zeisbergers Verdienst und dass jeder Vorortjungsozialist zeitweise twitterte, als ob es um die Zukunft der Partei ginge, geht auch auf seine Kappe. Und das Schlimmste ist: Zeisberger machte seinen Job so gut, hatte so tolle Ideen und konnte die SPD-Mitglieder so motivieren, dass eine Menge Leute sich dachten: Hey, die Jungs und Mädels in der SPD sind ja eigentlich ganz cool drauf. Die sind ja so wie wir. Und das sollten auch viele denken. Prima.

Nein, nicht prima. Die SPD ist keine Partei voller lockerer, netter Kumpelinen sondern die Partei des öffentlichen Dienstes. Sie ist so sexy wie der Typ auf dem Finanzamt, der Deinen Antrag auf Stundung der Umsatzsteuervorauszahlung ablehnt und hat das Internet so gut verstanden wie die meisten von uns die Funktionsweise eines Quantencomputers. Sozialdemokraten sind ernste Leute, die sich mit Dingen beschäftigen, die man festlegen und regulieren kann. Und sie lieben es, Dinge zu regulieren und festzulegen. Dabei kommen ab und an gute Sachen heraus wie das Verbot der Kinderarbeit, aber oft auch Unfug wie die Netzsperren.

Und sie glauben an den Staat. Er bestimmt ihr Denken und ihr Fühlen. Und die SPD hat schon immer Idealisten enttäuscht, die glaubten, sie würde auf ihrer Seite stehen. Das war bei den Kriegskrediten so, als Nazis und Rechte 1932  in Preußen putschten und die SPD nicht zum militanten Widerstand aufrief, dass war beim Nato-Doppelbeschluss so und bei Hartz IV. Nicht alle Entscheidungen die die SPD getroffen hat waren falsch: Hartz IV und der Doppelbeschluss waren richtig. Aber die SPD ist keine idealistische Partei, sondern eine Partei, die gerne idealistisch wäre, aber pragmatisch ist. Und sehr konsvervativ.

Und weil Internetseiten, die zu solchen Leuten passen würden, Scheiße aussehen würden, hat sich Zeisberger gedacht, er macht Internetseiten, die zu Leuten passen, die modern  sind. Die kommunizieren wollen. Die auf Argumente hören und an etwas glauben. Solche Seiten sehen gut aus. Solche Leute sagen Sachen mit Gewicht, und sie meinen sie ernst. Und nun merken alle: Die SPD ist gar nicht so wie Zeisberger sie präsentiert hat. Eigentlich hätte er der SPD graue Seiten machen müssen. OK, das wäre nicht so gut angekommen, aber es wäre ehrlicher gewesen. Und niemand wäre enttäuscht gewesen, wenn er gemerkt hätte, dass die SPD das ist, was sie eigentlich fast immer war: Eine langweilige Partei mit langweiligen Leuten, deren letzte Idee die Neuausrichtung der Ostpolitik war. Und das ist jetzt schon 40 Jahre her…


Ruhrpilot

Das Navigationssystem für das Ruhrgebiet

Iran: Persepolis…Der Morgen

Arcandor: SAL. Oppenheim will raus…Handelsblatt

WAZ: Aus für Soest und Werl…ddp

Kommunalwahl: Pohlmanns Programm…Ruhr Nachrichten

Energie: Kraftwerk in Lünen?…Ruhr Nachrichten

Kino: 1. Türkische Filmtage…Der Westen

Agrarsubventionen: Mehr Transparenz…Zoom

Islam: Kompromiss bei Islam-Unterricht möglich…Der Westen

Berlin: Revier in der Hauptstadt…Der Westen

Bildung: Die 10. Bildungskrisen…taz

Politiker: Monitored…Kueperpunk

Netzsperren: Demo in Berlin…Netzpolitik

Netzsperren II: Auf Nimmerwiedersehen, SPD…Spreeblick

Netzsperren III: Community sagt alle Gespräche mit der SPD ab…AK Zensur

Netzsperren IV: Grüne wollen Namen…unkreativ

 

iSPD: Welche Funktionen ich mir wünsche

Cool: Bald kann ich mir ein SPD-App auf mein iPhone laden. Für das erste Update habe ich sogar schon ein paar Ideen.

SperrMe: Schnell Seiten melden, die man gesperrt haben will.

Jobless: Ein Button, der mir bei jedem neuen Umfragetief zeigt, welche SPD-Abgeordneten ihre Mandate verlieren werden.

Members: Wie viele Mitglieder verlassen gerade die SPD?

Juhuu: Automatische Jubelmeldungen bei neuen Spitzenkandidaten und Parteivorsitzenden.

Müntomat: Ich kann aus zehn Worten durch das Schütteln des iPhones neue Sätze bilden: Helm ,offen, festschnallen, kämpfen,  entschieden, nicht, Sauerland, Wahl, gut und Glückauf.

Raus: Der online Parteiaustritt – sicher, schnell und unbürokratisch.

Lach: Eingehende SPD-Wahlergebnissen meldet das iPhone durch lautes Lachen. 

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Hannelore-Kraft-Tag (2): Eine Bewerbung?

Hannelore-Kraft-Tag bei den Ruhrbaronen. Erst die Bioverschönerung (klick) auf dem Zenit der Macht. Jetzt noch ein seltsamer Beitrag der SPD-Kandidatin in der "Welt": In einer "Polemik" hat sich die erfolgsarme Landesvorsitzende an Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (UvdL) abgearbeitet. Dabei sitzt die doch in Berlin. Vielleicht ja deshalb. Es gibt Gerüchte, dass Kraft 2010 doch nicht gegen Rüttgers antreten wird (soll, will). Spekuliert die Ex-Landesministerin mit einem Ministerium in Berlin? Wie ihre Vorgänger Müntefering, Clement, Steinbrück? Eine kleine Textanalyse.

1) Talkin Heads
"Niemand" sei so oft in Talkshows wie Frau von der Leyen, das ist die argumentative Klammer von HK. Das würden die Statistiken belegen. Aber: Gibt es Statistiken über Talkshowbesuche? Und was ist mit Norbert Röttgen oder Wolfgang Bosbach, mit Sky du Mont, Uschi Glas oder Karl Lagerfeld? Das Problem an den UvdL-Auftritten ist nicht das wie oft, sondern das wie. Klingt leicht neidisch.

2) Kurzarbeit
HK zeichnet ein Bild von der Wirtschaftskrise, man möchte hoffen, sie meint das nicht ernst: Millionen Kurzarbeiter, so HK, hätten morgens ihren Kindern zu erklären, warum sie nicht zur Arbeit fahren. Ist das so? "Du, Miro, der Papi fährt erst morgen wieder ins Werk!" – "Oooch, echt, bist du jetzt ein Versager, Papi?". Auch den anderen gehe es schlecht, weiß Kraft: Die einen würden Angst haben, ihre Arbeit zu verlieren. Die bereits Arbeitslosen verlören angesichts der "Horrormeldungen aus der Wirtschaft", Stück für Stück die Hoffnung. Ist es wirklich so arg da draußen? Oder schiebt da jemand selbst  Zukunftsangst?

3) In der Klemme
Als ob die Wirtschaftskrise nicht fies genug ist, kennt Hannelore Kraft (48) noch etwas gemeineres. Die "Generationenklemme ab 40". Was keine Streckfolter ist, sondern ein genereller Trübsinn, der alle über Vierzigjährigen erfasse, vor allem die weiblichen. Die Sorgen um die eigene und die Zukunft der Nachwachsenden mischten sich jetzt nämlich mit "Gedanken über die Gesundheit und die Versorgung der eigenen Eltern, die oft genug weit weg wohnen". Außerdem, schreibt die Wirtschaftswissenschaftlerin, herrsche große Furcht vor steigenden Mieten, vor den Ratenzahlungen fürs Haus, den schlechten Schulnoten beim "Sohnemann". Kein Wunder, so Kraft, dass gerade die Frauen "schlaflose" Nächte "erleiden". Hat sie aber nicht etwas vergessen: Was ist mit seltenen Krankheiten, fehlenden Rauchmeldern, Starkregenereignissen, Flugzeugunglücken – alles furchtbar: "Familien und Frauen sind die großen Verlierer der Krise!", jault die Mülheimerin jedenfalls. Aber das Familienministerium in Berlin, das interessiere sich nur für ein "kleines Segment" unter ihnen. Hm, ich mache mir auch langsam Sorgen – um Frau Kraft.
     
4) Rot-grüner Kanon
Außerdem ist die Bundesfamilienministerin genau wie Krafts Hauptgegner, wie Jürgen Rüttgers, der Ministerpräsident, den viele für einen Sozi halten, einen Arbeiterführer, für Johannes Rau den II. Denn auch UvdL fische beim politischen Gegner, ärgert sich Hannelore Kraft: Die "gut situierten Akademikerfamilien", die eher zum "rot-grünen Wertekandon tendieren", würden von der Bundesministerin mit "lobenswerten Initiativen bedient", die "oft von Sozialdemokraten erarbeitet wurden". Und die anderen "Segmente" zu wenig. Was kleinlich beleidigt klingt, dabei wüsste ich viel lieber, was der "rot-grüne Wertekanon" ist, schade!

5)  Kein Fototermin
Krafts konkrete Kritik an der Politik der Bundesfamilienministerin fällt immerhin solide aus. Es geht um unsoziale Kinderfreibeträge, Dumpinglöhne, bessere Steuerklassen für Zweitverdiener, Ehe-Ideologie aus dem "Fotostudio von der Leyen". Alles gut, alles nachvollziehbar, und doch bleibt ein Rätsel: Was hat das mit "Fototerminen", "Fotostudios" von der Leyens zu tun. Das ist nicht polemisch, sondern – erst recht von Frau zu Frau – platt!

6) Knicks vorm Komasaufen  
Habe zunächst "wie Ministerin von der Leyen bei einem großen Jugendproblem, dem Komasaufen, eingenickt ist" gelesen, was mir sehr gefallen hat – die bezecht schlummernde Ministerin. War aber leider nur ein Verleser, weiter: Die Kraftsche Abrechnung mit der konservativen, vornehmen Bundespolitikerin nähert sich dem Ende. UvdL würde sich nicht gerne "die Hände schmutzig" machen, sich fein "heraus halten" und nicht mit den Degenhardschen "Schmuddelkindern" spielen; was vermutlich Unfug ist, aber halt eine Polemik!

7) Die Hausmeisterin
Sehr merkwürdig ist wieder der Schluss. Oder was kümmert es Hannelore Kraft, ob das Familienministerium zu einem "Haus" "für Shows und Fotosessions verkommen" ist? Gibt es in NRW keine verkommenen Ministerien, Häuser? Warum dieser Furor? Weshalb die verräterische Terminologie vom "Haus". Für mich klingt das wie eine besorgte Nachfolgerin! Ein Bewerbungsschreiben für die Berliner Bühne. Und eben nicht nach Landespolitikerin, NRW-Oppositionsführerin, Rüttgers-Herausforderin.

Wir sind jetzt Iraner

Wir sind jetzt Iraner – zumindest auf Twitter. Und dafür gibt es gute Gründe.

Durch die Zensur der klassischen Medien sind Twitter, Blogs und Youtube für viele Oppositionelle im Iran die einzige Möglichkeit der Kommunikation. Aber auch im Netz werden sie verfolgt. Um sie zu schützen hat das Networkes Cultures einige Tipps herausgegeben, wie man ohne großen Aufwand die Opposition im Iran unterstützen kann.  Einer ist die Zahl der Twitterer aus dem Iran virtuell zu erhöhen und im Twitter-Account als Ort Teheran und die entsprechende Uhrzeit einzutragen: "Security forces are hunting for bloggers using location and timezone searches.  If we all become ‘Iranians’ it becomes much harder to find them."

Also sind wir auf Twitter bis auf weiteres Iraner. Via Piratenpartei