OB Reiniger (CDU und 2. vr) läßt sich bei Rot-Weiß Essen feiern. Jetzt prüft die Staatsanwaltschaft Essen Ermittlungen in der Causa "Volkseigener Kickerclub" Foto: Stadt Essen
Der Wahlkampf in Essen wird in der letzten Woche spannend. Es geht um den Neubau des Georg-Melches-Stadion, Millionenzahlungen an Unternehmen aus dem Umfeld eines zwielichtigen Ex-Filmrechtehändlers, satte Beraterhonorare für den ehemaligen Fußballprofi Thomas Strunz und ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren gegen den Essener Oberbürgermeister Wolfgang Reiniger.
Die Geschichte beginnt in der Essener City. Hier wurde in den vergangenen Jahren die Philharmonie gebaut, hier wurden Theater und die schönen Künste gepäppelt. Ein Erfolgsreigen für die schwarz-grüne Koalition in der zukünftigen Kulturhauptstadt Europas.
Doch nach all den Segnungen für die Hochkultur fragten sich die Verantwortlichen von CDU und Grünen, ob das genug ist, um die Wahlen in einer Arbeiterstadt zu gewinnen, wie ein Kenner der Essener Politik berichtet. Eine neue Idee kam auf: im armen Essener Norden sollte das marode Stadion des Fußballclubs Rot-Weiß Essen saniert werden, damit die kleinen Leute was bekommen, auf das sie stolz sein können. Lange vor der Kommunalwahl startete also das Projekt Arena. Bevollmächtigter des Vorhabens wurde im Namen von Oberbürgermeister Reiniger Stadtdirektor Christian Hülsmann.
Zunächst sieht alles nach einem Erfolg aus. Am 8. August – pünktlich zur heißen Phase des Wahlkampfes – feierte Reiniger vor der Lokalpresse in der Hafenstraße den „Anstoß“ für die neue Arena. Bei der Zeremonie sagte der CDU-Politiker, nach dem Sturz in die Viertklassigkeit habe die Stadt „das Heft in die Hand“ nehmen müssen. Reiniger sagte, die Stadt werde insgesamt 24 Mio Euro für das Stadion zahlen. Dies sei ein „Beitrag zur sozialen Symmetrie in unserer Stadt”.
Tatsächlich aber war zum Zeitpunkt des Anstoßes nichts in trockenen Tüchern. Im Gegenteil: die gesamte Finanzierung des Stadionbaus ist ungewiss. Mir liegen interne Dokumente der Stadt Essen vor. Aus den Papieren lässt sich lesen, mit welchen Manövern die Verantwortlichen um Reiniger und Hülsmann versuchen, das Projekt durchzuboxen.
Denn bevor die Stadt überhaupt an den Stadionbau gehen konnte, musste zunächst der Fußballverein Rot-Weiß vor der Pleite gerettet werden. Auf dem Club lastete im Frühjahr eine Schuldenlast von rund 11 Mio Euro. Der Verein konnte seine Rechnungen kaum bezahlen. Eine Insolvenz stand unmittelbar bevor.
In einer Notrettung kaufte die Stadt Essen zunächst über ihre Grundstücksverwaltungsgesellschaft GVE ein Darlehen der MK Medien Beteiligungsgesellschaft an den Fußballclub auf, das dieser nicht zurückzahlen konnte. Die MK Medien wurde dabei von Michael Kölmel vertreten. Dieser Mann ist nicht unbekannt. Er hatte den Filmrechte-Konzern Kinowelt gegründet und spektakulär in die Pleite geführt. Kölmel saß vorübergehend in Untersuchungshaft und wurde schließlich wegen Untreue und Insolvenzverschleppung zu einer Haftstrafe von einem Jahr und zehn Monate sowie einer Geldstrafe von 326.000 Euro verurteilt. Die Haftstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt.
Mit dem Darlehen übernahm die GVE Schulden von Rot-Weiß Essen an die MK Medien in Höhe von 7,5 Mio Euro. Dafür verpflichtete sich die GVE insgesamt 3,5 Mio Euro an die MK Medien zu zahlen. Zusätzlich kaufte die städtische Tochter für insgesamt 3,2 Mio Euro Rechte und Darlehen von der Marketinggesellschaft des Fußballvereins. An der Gesellschaft war zu diesem Zeitpunkt ebenfalls die MK Medien von Michael Kölmel beteiligt. Damit hatte die Stadt Essen Schulden des Fußballclubs Rot-Weiß Essen in Höhe von insgesamt rund 10 Mio Euro übernommen. Diese Darlehen wurden bislang nicht eingetrieben, sondern stehen als wertlose Forderungen in den Büchern der GVE.
Doch auch das reichte noch nicht aus, um den Verein zu retten. Um die Lizenzbedingungen des Deutschen Fußballbundes zu erfüllen, übernahm die Stadt zusätzlich eine 49-Prozent-Beteiligung an der Profiabteilung des Clubs und die Mehrheit an der Marketinggesellschaft.
(Anmerkung: Die gestrichene Passage habe ich – wie von Herrn Hülsmann unten beschrieben – nicht ganz richtig dargestellt. Die GVE hat die Vermartungsrechte von RWE weitgehend übernommen und will die Mehrheit an der Marketingsgesellschaft übernehmen. In der entsprechenden Aufsichtsratsvorlage der GVE heißt es wörtlich: "Die Vermarktung des Lizenzspielerbereichs soll künftig durch eine Vermarktungsgesellschaft erfolgen, an der mehrheitlich die GVE beteiligt sein wird und die auch die Vermarktung des neuen Stadions aus einer Hand übernehmen soll:")
Damit soll offiziell die Verwendung der städtischen Gelder überwacht werden.
Im letzten Schritt schließlich wollte die Stadt dafür sorgen, dass ein Profi den Club in die sportliche Zukunft führt. Aus diesem Grund stimmte sie der Berufung von Thomas Strunz zum sportlichen Direktor zu. Zum Anreiz bekam der Ex-Kicker von Bayern München einen Beratervertrag mit der städtischen Tochter GVE in Höhe von 80.000 Euro, wie die Stadt bestätigt. Dafür sollte Strunz das Unternehmen bei den Umbaumaßnahmen des Stadions beraten. Angeblich bestand sein Beitrag vor allem darin, vom Bau von Entmüdungsbecken in der Gästekabine abzuraten, wie aus dem Aufsichtsrat der GVE kolportiert wird.
Damit schien die Rettung des Vereins gelungen. Der DFB erteilte eine Lizenz. Bleibt die Finanzierung des Stadionbau selbst. Und ausgerechnet hier tauchen neue Probleme auf. Eigentlich solle der Handelshof Essen, eine Immobilie in bester städtischer Lage, von der GVE für 20 Mio Euro verkauft werden, um den Stadionbau zu bezahlen. Allerdings scheint dieser Deal zu floppen, da das Gelände aus einem Cross-Border-Geschäft heraus belastet ist. Essen hatte die U-Bahnen unter dem Handelshof an einen amerikanischen Investor verkauft. Dieser müsste nun angeblich dem Deal zustimmen – und tut es bislang nicht.
(Anmerkung: Kann ja sein, dass der Investor irgendwann zustimmt. Deswegen muss man das hier weicher fassen.)
Was bleibt, gleicht einem Desaster. Die Stadt Essen hat unter Oberbürgermeister Wolfgang Reiniger die Verantwortung für den Verkauf von Fanschals und die Bezahlung von Fußballprofis übernommen. Zudem wurde ein Ex-Profi-Kicker mit einem satten Beratervertrag ausgestattet, an dessen Berechtigung es erhebliche Zweifel gibt – ohne eine stabile Finanzierung des neuen Stadions vorweisen zu können.
Die Staatsanwaltschaft Essen bestätigt, dass eine Anzeige gegen Reiniger und die Verantwortlichen der GVE eingegangen es. Es werden nun offiziell staatsanwaltschaftliche Ermittlungen wegen des Verdachts der Untreue geprüft.
Im Namen der Stadt Essen will Stadtdirektor Hülsmann die Informationen auf Anfrage bis Dienstag kommentieren. Ich bin gespannt.