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Klimagipfel II: Climagate und die Schleusenwärter…Achgut

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Iran II: Regime hat Angst vor Studentenproteste…Zeit

Wirtrschaft: Norbert Walter und die Löhne…Weissgarnix

 

 

Bo-alternativ: Der Staatsschutz liest mit!

Seit 10 Jahren gibt es Bo-Alternativ. Rückblickend war es einer der ersten Blog-Gründungen Deutschlands. Und bald kann auch kommentiert werden, verspricht Martin Budich, der Gründer der Seite.

Ruhrbarone: 10 Jahre Bo-alternativ – da gratulieren wir natürlich aus ganzem Herzen. Aber warum habt ihr damals überhaupt ein neues lokales Medium gegründet und warum im Internet und nicht als Papiermagazin?

Martin Budich: Ich war bis zum NATO-Krieg gegen Jugoslawien Mitglied der Grünen und im Bochumer Kreisvorstand für die Webseite der Grünen verantwortlich. Hier haben wir nicht Parteipropaganda gemacht, sondern viele Infos aus der alternativen Szene veröffentlicht. Irgendwann habe ich mal mit dem Webmaster der Bundes-Grünen telefoniert und er erzählte mir, dass die Webseite der Bochumer Grünen unglaublich hohe Zugriffszahlen habe. Ich wusste also, dass es Interesse für eine solche Seite gab. Als ich dann bei den Grünen ausgetreten war, hat mich Horst Hohmeier, mit dem ich schon lange im Anti-Atomplenum und anderen Bewegungen eng zusammengearbeitet habe, motiviert, so eine Seite für die alternative Szene in Bochum weiterzumachen. Als Geschäftsführer seiner Kommunikationsfabrik Pronetics hat er auch gleich angeboten, eine Webseite anzumelden und zur Verfügung zu stellen. Mehrere Bekannte versprachen, das Projekt redaktionell zu unterstützen. Bo-alternativ.de ist also aus diesem Prozess und nicht aus konzeptionellen Überlegungen entstanden. Bo-alternativ.de war als Webseite schon angemeldet, als wir begannen, uns über das Konzept Gedanken zu machen.
 
Habt ihr eine eigene Redaktion oder setzt ihr vor allem die Pressemitteilungen von Initiativen, Parteien und Gruppen online?
    
Wir sind z. Z. eine fünf-köpfige Redaktion. Wir verstehen bo-alternativ.de als Sprachrohr von Initiativen und Gruppen. Wir veröffentlichen ziemlich alles, was sie verlautbaren. Wir suchen nach Berichten über die Szene, wie z. B. den Beitrag der Ruhrbarone über die kritische Kulturhauptstadt-Veranstaltung in der Goldkante oder ein Artikel über eine Demo der Bochumer Antifa-Jugend auf indymedia und machen unsere LeserInnen darauf aufmerksam. Wir veröffentlichen aber auch Erklärungen von Parteien oder Organisationen, von denen wir wissen, dass dies unsere LeserInnen interessiert. Dies gilt insbesondere für die linke Opposition im Rat und für die Gewerkschaften. Sehr häufig ermutigen wir Initiativen Beiträge zu schreiben und sie nicht nur uns sondern auch anderen Medien zu schicken. Für neue Initiativen haben wir eine Presseverteiler erstellt. Wenn wir merken, dass zu einem unserer Ansicht nach wichtigen Thema nichts kommt, recherchieren und schreiben wir selber Beiträge oder fragen unsere MedienpartnerInnen von der BSZ, ob sie das Thema aufgreifen wollen und berichten dann über den BSZ-Artikel. In diesem Moment ist das Verhältnis redaktionell erarbeiteter Beitrage zur bloßen Veröffentlichung von Mitteilungen auf der Startseite exakt 50:50. Im Schnitt schätze ich den Anteil redaktioneller Beiträge aber eher nur auf 30 Prozent. Ein Redaktionsmitglied ist übrigens fast ausschließlich damit beschäftigt, unseren umfangreichen Terminkalender zu aktualisieren.    

Wer liest Bo-alternativ? Seit Ihr eine reines Szenemedium oder werdet ihr auch über die Szene hinaus wahrgenommen?

Wir haben nur wenige harte Fakten über die Zusammensetzung unsere LeserInnenschaft. Der Bochumer Staatsschutz hat in einem Prozess gesagt, dass er morgens als erstes immer bo-alternativ.de liest. Von einem halben Dutzend JournalistInnen weiß ich, dass sie sich bo-alternativ.de als RSS-Feed auf ihr Mobiltelefon schicken lassen. In meinem Bekanntenkreis tuen sich viele die WAZ und die Ruhr Nachrichten nicht als ABO-Zeitung an. Sie lesen taz, Süddeutsche, FR oder Junge Welt. Sie erwarten, dass sie auf bo-alternativ.de über lokal interessante Dinge informiert werden. Aufgrund der IP-Adressen wissen wir, dass die größte Gruppe der LeserInnen im Rathaus sitzt. Die Zahl von insgesamt mehr als 50.000 unterschiedlicher IP-Adressen im Monat, von denen aus bo-alternativ.de angeklickt wird, lässt vermuten, dass wir wahrscheinlich auch über die Szene hinaus wahrgenommen werden. Nichts genaues wissen wir!

Auf Bo-alternativ gibt es keine Werbung. Wie finanziert Ihr Euch?

Die Kosten für den Server, auf dem bo-alternativ.de läuft, betragen weniger als 40 Euro im Monat. Das kann ich mir als Hobby leisten. Richtig teuer sind die Kosten für RechtsanwältInnen und Gerichtskosten. Wir überlegen, ein Spendenkonto einzurichten, damit ich in ein paar Jahren mal in Rente gehen kann und diejenigen, die dann die Verantwortung übernehmen, nicht überlegen müssen, ob sie sich das finanziell leisten können.    

Seit einiger Zeit nutzt ihr die Blog-Software WordPress – Kommentieren kann man bei Euch trotzdem nicht. Warum?

Es war uns zu nervig, ständig die Beiträge von Nazis oder ähnlichen Schreiberlingen zu entfernen. Wir dachten die Rubrik "LeserInnenbriefe" reicht. Aber die Erfahrungen von anderen Webseiten hat uns überzeugt. Die Nervensägen geben bald auf, wenn ihre Beiträge nicht veröffentlicht werden. Die Kommentare sind häufig ein echter Gewinn – manchmal sogar informativer als die eigentlichen Beiträge – und ersetzen gelegentlich einen politischen Diskurs, der an anderen Orten verloren geht. Wir testen gerade, wie die LeserInnenbeiträge am besten direkt im Bezug zu den Artikeln dargestellt werden sollen und werden das in den nächsten Tagen für alle Beiträge freischalten.
 
Ihr habt ja häufiger – Stichwort Emily – Ärger mit der Bochumer Polizei. Wäre das in jeder Stadt genau so oder gibt es eine besondere Bochumer Linie?

Entscheidend ist für uns weniger das Verhalten der Polizei als vielmehr das Vorgehen der Staatsanwaltschaft. Die politische Abteilung der Staatsanwaltschaft definiert ihre Position in einer eigentümlichen Äquidistanz zu links und rechts. Wenn dann Nazi-Aufmärsche in Bochum stattfinden und dabei augenfällige Straftaten verübt werden, die sie verfolgen muss, dann sucht sie auch nach Vergehen bei den GegendemonstrantInnen. Wenn da aber auch gar nichts zu finden ist, dann weicht sie ins Virtuelle aus. Bo-alternativ.de ist für die Staatsanwaltschaft das Symbol der Linken in Bochum, an dem sie sich abarbeitet. Im laufenden "Torten-Prozess" (Kein Zuckerschlecken für Nazis!) wurde z. B. nur gegen bo-alternativ.de ermittelt und Anklage erhoben. Das Plakat war Hunderte Male in Bochum geklebt worden, dutzende Webseiten hatten das Motiv übernommen. Es war überdeutlich, dass wir es nur dokumentierten. Selbst als der Prozess mit einem Freispruch endete und dort auch der Prozessvertreter der Staatsanwaltschaft – der allerdings nicht aus der politischen Abteilung kam – für Freispruch plädiert hatte, gab die Politabteilung der Staatsanwaltschaft keine Ruhe und ging in Revision. Ein ähnliches, schon ein wenig zwangshafte Verhalten, der Staatsanwaltschaft ist in Essen, Düsseldorf oder Köln nicht zu beobachten. Die Revisionsverhandlung im Torten-Prozess findet übrigens am 12. Januar vor dem Oberlandesgericht im Hamm statt.

Wird in Hamm der Unfug ein Ende haben? Die Bochumer Staatsanwaltschaft hat sich mit dem Torten-Prozess doch bis auf die Knochen blamiert.

Bei politischen Prozessen sind Prognosen unmöglich. In der ersten Instanz beim Torten Prozess hatten wir das Glück, dass ein liberaler Richter mehrfach beteuerte, dass er politisch mit uns nicht übereinstimmt, aber dass er das Grundrecht auf Meinungs- und Pressefreiheit für einen herausragenden Wert unseres Rechtssystems hält. Im ähnlich gelagerten Emily-Prozess hat der Oberstaatsanwalt in der zweiten Instanz offen eingeräumt, dass es ihm nicht um den aktuellen Fall geht, sondern dass ich grundsätzlich mal bestraft werden sollte. Der Richter hat ihn daraufhin ziemlich angemacht und erklärt, warum ich nicht verurteilt werden kann. Dann gab es eine Mittagspause und der Richter eröffnete anschließend wieder die Sitzung mit den Worten: "Sie werden jetzt etwas überrascht sein" Dann folgte er in seinem Urteil zu hundert Prozent der Linie der Staatsanwaltschaft. Ich weiß nicht, was da in der Mittagspause passiert ist. Ich habe jedenfalls in den Verfahren gelernt, dass RichterInnen in politischen Prozessen immer ein Urteil über sich selbst fällen. Sie beschreiben im Urteil ihre politische Meinung und begründen dies mehr oder weniger qualifiziert mit juristischen Argumenten.
    

Was waren für Dich in den vergangenen 10 Jahren die Höhepunkte auf Bo-Alternativ?

Am Anfang waren wir natürlich sehr stark damit beschäftigt, überhaupt Informationen zu bekommen. Als nach zwei, drei Jahren die Situation kippte und wir mehr Informationen bekamen, als wir veröffentlichen können und sich Leute nach ein paar Stunden beschwerten, warum ihre Meldung noch nicht auf bo-alternativ steht, war das ein gewisser Durchbruch und sicherlich ein erster Höhepunkt. Vor fünf Jahren dann haben wir vom Friedensplenum ein Transparent beim SPD Stadtfest entfaltet, das durch das SPD-Logo wie ein Werbebanner der SPD aussah und auf dem stand "Eurofighter statt Zahnersatz".  Der  damalige SPD-Unterbezirksvorsitzende Prof. Faulenbach ist daraufhin ans Mikrofon gestürzt und hat voller erregter Verachtung erklärt, dass "Bochum-alternativ nur aus ganz wenigen Leuten besteht und ganz unbedeutend ist." Das war schon ein ungewöhnlich nettes Kompliment. Am meisten hat uns beeindruckt, wie viele Geheim- bzw. Nachrichtendienste der führenden NATO-Länder in den Monaten um den G-8-Gipfels in Heiligendamm mehrfach täglich bo-alternativ.de gelesen oder gescannt haben.
Ganz subjektiv war es völlig überwältigend, welch liebevolle Solidarität und riesige Unterstützung ich im Tortenprozess erfahren habe. Das lässt sich kaum beschreiben. Eigentlich müsste ich der Bochumer Staatsanwaltschaft dankbar sein.

Wo siehst Du Bo-alternativ in zehn Jahren?

Mein Traum ist, dass bo-alternativ.de dann ein kleines Mosaiksteinchen in einem großen Ruhrgebietsprojekt ist. In allen Städten gibt es vergleichbare Portale und überregional interessante Geschichten werden  auf einer  gemeinsamen  Seite veröffentlicht.
Ganz real hoffe ich, dass wir es schaffen, unsere Terminübersicht so weiter zu entwickeln, dass alle Initiativen frühzeitig ihre Termine dort eintragen und ärgerliche Terminüberschneidungen vermieden werden. Das klingt vielleicht etwas banal, wäre aber – wie bo-alternativ.de insgesamt – eine ziemlich einmalige Geschichte in unserer Republik.

Nikolaus

Tja, was sagt man an Nikolaus? Herzlichen Glückwunsch? Alle Gute? Gute Rute? Auf jeden Fall: Einen schönen Nikolaustag!

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Wirtschaft: RWI-Chef gegen Solarförderung…Spiegel

Der Westen: Borchert geht früher…Meedia

Unis: Hochschulen kämpfen mit Formen ohne Inhalt…Welt

Leistungsschutzrecht: Lieber Herr DuMont…FXMBR

Klima: Skeptiker auf dem Mount Everest…xtranews

Literatur: Weihnachtslesung in Second Life…Kueperpunk

Minarettstreit: Flascher Applaus…Blick

Kultur: Kartenvorverkauf Klavierfestival Ruhr gestartet…Der Westen

Kultur II: Markenzeichen für NRW…nmz

Ruhr2010: Berlin – Stadt der verspielten Chancen…Welt

 

Gierschlund

Auf Hendriks Mund lass ich nichts kommen,
was dieser spricht, ist wahr, so wahr
Gott selbst Wüsts Hendrik inspirierte,
schuf eigenhändig die Jott U.

In Bocholt, wo er damals residierte,
ging es für ihn steil bergauf:
Ob Rat, Partei, er kandidierte
sich bis nach Düsseldorf hinauf.

Sein großer Mund, den er so oft riskierte,
macht unermüdlich Lärm, ja, Krach.
Von Links bis Kraft, sein antiquierter
Kompass weist ihm den rechten Pfad.

Doch nun stört Gier auf die Diäten,
auf zweimal Krankengeld vom Staat,
Jung-Hendrik in Karrierenöten,
ohn‘ Mund ging’s längst zurück auf Start.  

 

Zeichung: ruhrbarone

Yo! Jesus!

Nein sind die lässig. Und so modern. Offen irgendwie. Keine sabbernden Katholiken, die Messdienern an die Wäsche gehen oder friedensbewegte evangelische Pastorinnen mit Doppel- Dreifach- oder Vierfachnamen, sondern echt coole Jungs. Logisch, denn auch Jesus war ja nicht in erster Linie Zimmermann und Prediger sondern vor allem eine echt coole Socke.

Und cool ist auch das Christus Centrum Ruhr.  Gegründet von dem Ex-Musiker Hajo Klösel, der seiner Karriere als Schlagzeuger sicher an den Nagel hängte, weil ihm die Trillionen, die er als Popstar verdiente, irgendwie nicht erfüllten, meint es ernst. Das Vorbild ist die Urchristengemeinde in Jerusalem, von der man nun wirklich nicht allzu viel weiß, was es ja um so leichter macht, sie sich als Vorbild zu nehmen. Und die Bibel? Klar, die muß wörtlich ausgelegt werden. So mit Jungfrauengeburt, Wasser zu Wein mache und Erde mal eben in sieben Tagen erschaffen. Über so einen Unfug wie Evolution müssen wir da gar nicht reden.

Schön ist der Link zur "Weltmission" wo man eine Link zu Etnopedia findet. Dort kann man sich über die Missionsfortschritte der Jesus-Jünger informieren: Bei den Aluo zum Beispiel wartet auf die Prediger noch eine ganze Menge Arbeit.

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Foto: Mathias Schumacher, Matschbild.de

Bochum: Volles Programm im besetzten Audimax…Bo Alternativ

Abgehängt: Trübes Ruhrgebiet…RP Online

WM: Deutschland nicht im Halbfinale…Verlorene Generation

Ruhr2010: U-Turm wird teurer…Ruhr Nachrichten

Ruhr2010 II: Schwarzer Diamant eröffnet…Ruhr Nachrichten

Ruhr2010 III: Besucherzentrum eröffnet…Der Westen

Ruhr2010 IV: Kulturmarathon…Hamburger Abendblatt

Einkaufen: Verkaufsoffene Sonntage am 2. Advent…Pottblog

Herten: Was macht der Zechenbaron?…Hometown Glory

Duisburg: Stühlerücken im Rathaus…Der Westen

Pleite: Oer-Erkenschwick muss alle Ausgaben über 60 Euro genehmigen lassen…Recklinghäuser Zeitung

WM: Fluch für Schwarz-Gelb…Sprengsatz

 

Jugend Kultur Zentren 2010 – Teil 7: Ringlokschuppen Mülheim

In dieser Reihe wurden und werden (zuletzt hier) unterschiedliche Ansätze und Historien von Soziokultur, (Sub-)Kulturermächtigung und durchaus auch Pop orientierter Jugendarbeit vorgestellt. Beteiligt sind immer politisch, wirtschaftlich, gesellig, lokalpatriotisch und/oder individualistisch geprägte Menschen, teils schon in Gruppen organisiert, die irgendwann Bündnisse mit der Kommune schließen. Eine ganz eigene Herangehensweise zeigt sich im Gespräch mit Holger Bergmann, dem Künstlerischen Leiter des Ringlokschuppens.

Jens Kobler ?: Zunächst, wie in dieser Reihe üblich, bitte eine kurze Vorstellung der Institution Ringlokschuppen und auch der eigenen Rolle des Holger Bergmann in diesem Rahmen.

Holger Bergmann !: Nun, der Ringlokschuppen ist einer der jüngsten freien Kulturorte des Ruhrgebietes. Der Start war 1995, das war nach einer langen Phase des Vakuums für freie Räume und Soziokultur in Mülheim. Seit den Achtziger Jahren gab es einige Versuche etwas zu etablieren, aber meist mit dem Erfolg der Nicht-Realisierung, gerade anbetracht der hier agierenden sehr starken Sozialdemokratie genau in diesen Jahren. Exakt in der Zeit des schwarz-grünen Bündnisses, das ja nur ein halbes Jahr getragen hat, wurde der Ringlokschuppen realisiert, dann aber auch mit der Zustimmung der SPD. Das war politisch eine ungewöhnliche Konstruktion.

Der Weg dahin gestaltete sich für mich persönlich u.a. dadurch, dass ich freie Theaterprojekte in der Stadt gemacht habe und wir ein Forum mit verschiedenen Leuten aus der Kunst- und Kulturszene gegründet hatten, die auch eher eine Affinität zur darstellenden Kunst hatten. In diesem Gebäude hier wurde wiederum von Seiten der Stadt eine Bürgerbegegnungsstätte betrieben, nachdem zur Landesgartenschau umgebaut worden war. Als dann auch dort nach 1992 ein inhaltliches Vakuum zu verzeichnen war, wurden Vermietungsverträge geschlossen, u.a. mit Agierenden aus diesem Forum. 1995 sagte man sich dann "Nicht nur den Kuchen, sondern die ganze Bäckerei" und mietete das ganze Haus. Zunächst wurde also Programm gemacht, und dann erfolgte die Gründung des Vereins, auf dass die "Übernahme" möglich wurde.

?: Also gab es nie eine Situation wie "Diese Autonomen dürfen froh sein, da überhaupt etwas machen zu dürfen", sondern es gab von vornherein eine günstige Ausgangslage?

!: Es ging mehr darum, die aktuellen gesellschaftlichen Regularien zu suchen, damit wir unseren Gestaltungswillen verwirklichen können. Denn es war ja auch ganz klar nach 1989.

?: Das deckt sich sehr gut mit einer meiner Generalthesen zu den Unterschieden zwischen all den soziokulturellen Zentren und ihren Verhältnissen zur jeweiligen Stadt. Dass da nämlich genau ein Bruch zu verzeichnen ist, Ende der Achtziger. Mittlerweile wird ja sogar eher im großen Stil versucht, ganze Areale zu recht kommerziell oder kreativwirtschaftlich ausgerichteten Zentren fast eher zu erklären, und von den Ansätzen der späten Siebziger, frühen Achtziger ist in späteren Modellen von Soziokultur und Kreativzentren nichts mehr zu bemerken.

!: Nun, wir hier sind nicht "gesetzt" von oben. Es gab da keine Strategie die uns sagte "Wir bauen jetzt hier diesen Ringlokschuppen um", sondern im Gegenteil ging es um ein Bürgerbegegnungszentrum, in dem vom Medienhaus über Hühnerzuchtausstellungen alles Mögliche stattfinden sollte, und in dem Kultur nicht besonders vorkam. Aber das, ebenso wie das von Dir gerade Beschriebene,  sind ja durchaus auch alles Verzweiflungsstrategien in einer Region, die immer nur durch das Interesse von Industrie bestimmt war, hier Humankapital anzusiedeln und nur minimal zu versorgen. – Und das hat Anfang des letzten Jahrhunderts sogar in Teilen besser funktioniert, wenn man sich Strukturen wie die Margarethenhöhe in Essen mal anschaut. – Dieser Aufbruch hat allerdings immer unterschlagen dass es eigene Potentiale gibt und hat so die Verknüpfung nicht hinbekommen. An diesem Punkt sieht man auf Zollverein zum Beispiel einerseits gewachsene Strukturen wie PACT!, mit gewachsenen regionalen wie internationalen Strukturen,  andererseits aber auch Aufbruchbehauptungen, die bisher nur schwer realisiert werden konnten.

?: Es ist ja auch durchaus Markenzeichen des Ringlokschuppens, sich eben nicht nur als Veranstaltungshalle zu begreifen und sich von Agenturen und Institutionen vorschreiben zu lassen, wie das Programm zu gestalten sei.

!: Na klar! Rückblickend auf die Neunziger ist es aber auch durchaus okay zu respektieren, wenn sich zu dieser Zeit Leute in Strukturen begeben haben, wo sie arbeiten können und wo sie dafür auch bezahlt werden. Was allerdings nicht richtig ist, ist sich damit zu begnügen. Bei Stuckrad-Barre kann man das schön nachlesen wie es ist, in einem Kulturzentrum aufzutreten, wo einfach immer ein Plakat über das nächste geklebt wird. Das hat natürlich ein Publikum, und das ist auch richtig. Aber es kann ja nicht kulturelle Aufgabe der Häuser sein, nur diesen Weg zu erfüllen. Wir waren hier in den Neunzigern eben in der glücklichen Situation, dass es halt keine freie Kultur gab, die sich mannigfaltig und tausendfach artikulieren wollte – sondern es ging darum das erst einmal herzustellen.
Und man kann ja durchaus mal fragen: Warum geht denn jetzt inzwischen die Oper in diese Fabrikhallen? Was also ist der Vorteil, den diese freie Kultur damals entwickelt hat? Ich denke, es war auch das Fehlen des Genre-Gedankens. Es ging nie um das reine Theater, die reine Musik, das Architekturprojekt, etc. Sondern man holte sich immer verschiedene Kräfte zusammen. Es war auch die Suche nach dem gesellschaftlichen Kontext, nach der Reibungsfläche für die Kultur. Wir haben uns gefragt: Wie können wir das leisten? Wie stellen wir das unter den aktuellen Verhältnissen her? Und ich habe das auch einmal ausgetragen, als ich im Bundesvorstand der soziokulturellen Zentren war. Da war meine Haltung etwa diese: "Ihr könnt doch diese Zentren nicht dem Gestaltungswillen von Geschäftsführern überlassen!" Denn in den Achtzigern ging es plötzlich viel um die ökonomische Struktur der Zentren, aber wenig um Inhalte. Mitte der Achtziger waren bei den meisten die Programmdiskussionen weit passé. Daher gibt es auch hier z.B. keine Intendanz oder nur einen Booker, sondern eine künstlerische Leitung.

?: Hier wird ja auch nicht nur einfach an Disco-Veranstalter oder einzelne Gruppen delegiert. Wie organisiert sich der Ringlokschuppen?

!: Das geschieht schon stark als Team, und das ist keine Floskel. Aber es gibt natürlich Entscheidungsstrukturen, und da wo aus unterschiedlichen Interessen heraus etwas stockt, da wird das dann aufgelöst. Streitigkeiten und Differenzen werden in soziokulturellen Zentren oft über Jahre nicht ausgeräumt, aufgrund festgefahrener Strukturen. Wir haben hier eine Doppelspitze, mit Peter Krause als Kaufmännischer Geschäftsführer und mir als Künstlerischem Leiter. Und ich glaube dass das richtig ist, dass wir zwei uns dann manchmal die Köpfe einschlagen und nicht das ganze Haus. Es ist aber auch Voraussetzung, dass sich jeder wiederfindet und einbringt.

?: Das hiesige inhaltliche und strukturelle Konzept erklärt sich vielleicht am besten über den derzeitigen "Aufstand gegen die Wirklichkeit".

!: Wir konnten darunter einige Projekte zusammen fassen wie die Ruhrtriologie von René Pollesch, unser Stadtteilprojekt "Eichbaumoper" oder – ganz aktuell – "Altneuatlantis" von kainkollektiv. Und so ist manchmal hier auch eine Woche lang nichts los, weil wir einen anderen Ort bespielen oder den Ort herrichten oder anders nutzen müssen. Im Rahmen der RuhrTriennale oder der Kulturhauptstadt realisieren wir auch viele Projekte in anderen Städten, weil für uns diese Auflösung von Stadtgrenzen eh schon lange gegeben ist.

?: Das sind natürlich nicht nur selbst getragene Projekte. Dieser Spagat funktioniert also: Nicht mal eine kommerzielle Disko machen zu müssen, hier auch einmal geschlossen haben können, und inhaltlich keine Abstriche machen zu müssen bei diesen Großprojekten!??

!: Ökonomisch betrachtet bringt so ein Diskobetrieb gar nicht so viel wie es oft heißt. Wir bekommen derzeit einen kommunalen Zuschuss von knapp 500.000 Euro, wovon 300.000 direkt als Mietkosten wieder zurück gehen. Und so haben wir beschlossen, uns keinen zu großen Apparat zu halten. Die Gastronomie ist vermietet, und auch das ist keineswegs ein Nachteil. Insgesamt sind wir hier 13 Leute auf 18 Stellen und haben etwa einen Umsatz von 1,5 Millionen Euro zu machen. Unsere Reihe "Kulturgut" in der Stadthalle ist ausgegliedert und genau der Teil des Programms, wo wir 40, 50 Veranstaltungen pro Jahr machen, wo denn auch Namen wie Esther Ofarim, Herbert Knebel oder Heinz-Rudolf Kunze auftauchen. Diesen Markt bedienen wir halt in der Stadthalle. Und den Part für Jugendliche und Stadtteilarbeit auch übernimmt in Mülheim ja das AZ. Insofern und anbetracht der Tatsache, dass dieses Haus hier das Stadtjubiläum im letzten Jahr kuratiert hat, zeigt sich schon, dass wir bestimmte öffentliche Kulturaufgaben mit übernehmen. Und das ist durchaus eine Position der Anfangsjahre: Besser auch einmal Aufgaben an gemeinnützige Vereine übertragen als neue städtische Strukturen zu schaffen. In dieser Zeit ohne Kultusministerium und wenn der Verzicht auf Kulturdezernenten ein offenes Thema ist, muss bei den zukünftigen Herausforderungen schon gesehen werden, wer die Kulturarbeit dann überhaupt leisten kann.

?: Was ja nicht bedeutet, die Politik und die Kommune aus der Verantwortung zu entlassen…

!: Deshalb haben wir ja immer temporäre Aufgaben übernommen, aber es geht nicht um das Ersetzen von städtischen Strukturen, weder im kulturellen, noch im sozialen Bereich. Der Ringlokschuppen selbst hat sich ja immer mehr zu einem Ort verschiedener Künste entwickelt und es gibt sonst keinen Ort im Ruhrgebiet, der solch einen Fokus auf diese Bereiche bieten kann. Diesen Charakter wollen wir 2010 als temporäres "Theaterhaus Ruhr" stärken, mittels Kooperationen mit z.B. den Stadttheatern im Ruhrgebiet, dem FFT in Düsseldorf oder der Volksbühne Berlin. Mit der zusätzlichen Förderung von je 300.000 Euro, die das Land für zwei Theaterhäuser in Köln und Essen hingeblättert hat, könnten wir hier in unserer Netzwerkstruktur einiges anfangen, das in anderen Haushalten eher verschwindet. Wir sehen unsere Entwicklung im Vergleich als sehr progressiv und werden nicht zurückgehen zu einem Haus, das einfach Kabarett- und Konzertveranstaltungen abliefert. Die Frage an die Landesregierung ist eher, ob solch ein Ort nicht weiter entwickelt werden sollte. Und darum werden wir im nächsten Jahr verstärkt kämpfen.

?: Besten Dank für das aufschlussreiche Gespräch!