Dortmund: Wahlen mit bundesweiter Bedeutung

Noch nie wurde in einer deutschen Großstadt wegen des Verschweigens von Haushaltsproblemen eine Wahl wiederholt. Wenn der Dortmunder Rat in seiner Sitzung am 10. Dezember eine Wiederholung der Kommunalwahl beschließt, setzt er bundesweit Maßstäbe für einen neuen Umgang der Politik mit der Wahrheit.

Von Bundeskanzler Konrad Adenauer stammt der Satz "Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern." und auch der ehemalige Parteichef der SPD empfand es als ungerecht, Parteien an ihren Versprechen vor der Wahl zu messen. Aus beiden Aussagen sprach ein erhebliches Maß an Verachtung für den Wähler. Und auch amtierende Oberbürgermeister konnten es sich bislang erlauben, vor der Wahl die Situation in ihrer Stadt deutlich besser darzustellen, als es der Realität entsprach. Das Gedächtnis der Wähler galt als kurz – bei der nächsten Wahl, so die Überzeugung vieler Politiker, ist eh alles vergessen.

Der Dortmunder Rat und Oberbürgermeister Ullrich Sierau brechen mit dieser Kultur der Wählerverachtung. Nach monatelanger Diskussion und zwei Gutachten scheint jetzt klar zu sein: Im kommenden Jahr werden OB, Rat und Bezirksvertretungen neu gewählt. Es wird noch Streit um den Termin, noch Diskussionen um das genaue Verfahren und vielleicht einzelne Klagen von Hinterbänklern geben, aber der Beschluss des Rates wird eine Bedeutung weit über Dortmund hinaus haben.           

Er setzt Maßstäbe im Umgang der Politik mit dem Bürger. Sicher, erst einmal "nur" auf kommunaler Ebene, aber wie sollen sich künftig Landes- oder Bundespolitiker der "neuen Ehrlichkeit" entziehen? Werden wir jetzt eine Welle von Neuwahlen haben? Nein, vielleicht noch in Krefeld, wo die Bürger ebenfalls über den wahren Zustand der Finanzen belogen wurden – in diesem Fall von einem CDU Oberbürgermeister. Aber künftig wird von Politikern erwartet, dass sie aus Betrügereien vor der Wahl Konsequenzen ziehen und sie nicht mehr einfach aussitzen. Der Rat der Stadt Dortmund und Oberbürgermeister Ullrich Sierau haben sich einen großen Verdienst erworben – nicht ganz freiwillig, aber immerhin. 

Sierau macht Weg für Dortmunder Neuwahlen frei

Ullrich Sierau hat den Weg endgültig für eine Wiederholung der Wahlen frei gemacht. Hier seine Erklärung – er schiebt alle Schuld auf den Alt-Oberbürgermeister Gerhard Langemeyer – seinen Sieg hat er selbst verspielt:

Die Bürgerinnen und Bürger sind wie ich das juristische Hickhack um die Rechtsgültigkeit der Wahl leid. Es darf deshalb keine weiteren juristischen Auseinandersetzungen geben. Die Zukunft der Stadt gehört in die Hände der Bürgerschaft. Wir sind in Dortmund angesichts der eingetretenen Situation aufgefordert, neue Maßstäbe in Sachen politischer Kultur zu setzen. Sowohl im Wahlkampf als auch bei der Annahme der Wahl in das Amt des Oberbürgermeisters bin ich für Transparenz, Dialog, Offenheit und Bürgernähe eingetreten. Diesen Prinzipien fühle ich mich nach wie vor verpflichtet.

Für diesen Kurs stehen etwa die verwaltungsseitige Vorbereitung der Nachtragshaushaltssatzung, die Gespräche mit Eltern-, Schüler- und Lehrerschaft der drei Dortmunder Grundschulen, sowie die fünf Dialogveranstaltungen mit rund 6.000 Beschäftigten der Stadtverwaltung im Konzerthaus. Diesen eingeschlagenen Weg will und werde ich fortsetzen. Er stellt den von mir gewünschten Systemwechsel zu früheren Jahren dar. Hierfür bitte ich um das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler.

Ich weiß, dass meine Rolle in der Haushaltsfrage in Teilen der Öffentlichkeit kritisch gesehen und bewertet wird. Gutachter Bätge sieht hier keine Amtspflichtverletzung, Gutachter Beckmann kommt zu der Aussage, das der damals amtierende Oberbürgermeister spätestens nach dem 11.08.2009 über die Haushaltslage hätte informieren müssen (S. 34 des Gutachtens).

Damit bestätigt er meine Sicht, die ich im Zusammenhang mit der Annahme der Wahl erläutert habe: ‚Denn ich sage in aller Deutlichkeit: Ich hätte anders gehandelt. Wäre ich bereits am 11.August 2009 Oberbürgermeister diese Stadt gewesen, dann wäre ich dem Vorschlag der Kämmerei bzw. der Kämmerin gefolgt und hätte dem unmittelbaren Inkrafttreten einer Haushaltssperre und der Aufstellung einer Nachtragshaushaltssatzung zugestimmt. Die Menschen in dieser Stadt können sehr gut mit der Wahrheit umgehen. Ich hätte auch unmittelbar den Kontakt zum Rat der Stadt Dortmund und zur Bezirksregierung Arnsberg hergestellt bzw. herstellen lassen, um endlich eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zu ermöglichen.’ (Erklärung vom 14.09.2009).

Hätte ich seinerzeit von den Sachverhalten Kenntnis gehabt, hätte ich mich als amtierender Oberbürgermeister deutlich anders verhalten. Ich habe bei verschiedenen Gelegenheiten immer deutlich gemacht: So etwas darf in dieser Stadt nie wieder passieren. Dafür stehe ich ein. Ich setze auf die Unterstützung dieser Position bei der hoffentlich baldigen Wiederholungswahl für das Amt des Oberbürgermeisters der Stadt Dortmund.

Dortmund: Wahl am 9. Mai?

Ob OB Ullrich Sierau, Fraktionschef Ernst Prüsse oder Parteichef Franz-Josef Drabig: Die Dortmunder SPD setzt auf Wahlwiederholung.

Entscheiden darüber wird am kommenden Dienstag der Beirat, eine Art kleiner Parteitag des Unterbezirks Dortmund, sagte der Unterbezirksvorsitzende Franz-Josef Drabig den Ruhrbaronen. Das wurde gestern Abend bei einem Treffen der SPD-Spitzen beschlossen.

Drabig: "Auf der Beiratssitzung am Dienstag werden sich Ernst Prüsse, Ullrich Sierau und ich für eine Wiederholung der Kommunalwahl aussprechen und hoffentlich die Beiratsmitglieder überzeugen." Der Unterbezirksvorsitzende hält eigentlich einen richtigen Parteitag für das passende Gremium, um einen solchen Beschluss zu diskutieren und zu fällen: "Aber das bekommen wir leider zeitlich nicht hin. Wir müssen uns für die kommende Ratssitzung aufstellen. Ein Parteitag könnte frühestens im Januar zusammenkommen.

Als Grund für die Zustimmung zu einer Wahlwiederholung nennt Drabig die Neuausrichtung der SPD: "Das Systen Langemeyer gibt es nicht mehr. Wir brauchen nach Langemeyer eine neue politische Kultur in Dortmund. Das Gutachten ist für mich dabei nebensächlich."

Auch einen Wahltermin hat die SPD schon ins Auge gefasst: Den 9. Mai, den Tag der Landtagswahl in NRW. "Wir wollen ein ehrliches Ergebnis und das gibt es nur bei einer möglichst hohen Wahlbeteiligung." Zudem würde ein Zusammenlegen der Wahltermine Kosten sparen.

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SPD wird Wahlwiederholung wahrscheinlich zustimmen

Heute abend trifft sich die Dortmunder SPD-Spitze um  die Konsequenzen aus dem Wahlgutachten zu beraten.

Und das Wahrscheinlichste ist, dass die SPD für eine Wiederholung der Wahl optiert. Zumindest verdichten sich die Hinweise, die in diese Richtung gehen. Der SPD bleibt aber bei realistischer Betrachtung  auch keine Alternative. Bei einer Wahlwiederholung wird es keine Neuaufstellung der Listen geben – alle Kandidaten bleiben. Eine Wiederholung des Duells Sierau – Pohlmann wäre die Folge. Allerdings können Klagen betroffener Politiker gegen eine Wahlwiederholung diese auf Jahre verzögern.

Offen bleibt wie sich die SPD bei einer Neuwahl positionieren wird: Während die Fraktion in den vergangene Wochen auf die Union zugegangen ist, wollte die Partei lieber eine Fortführung der Zusammenarbeit mit den Grünen. Festgelegt hat sich schon der neue, erst 25 Jahre alte, CDU-Parteivorsitzende in Dortmund, Steffen Kanitz, hält nichts von einer Koalition mit der SPD.

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25 Jahre Bhopal-Katastrophe und was die Yes Men und Dow daraus machten

Wie die Yes Men vor dem Hauptquartier von Dow Chemical den Miterbeitern der Chemiefirma das Wasser bringen, welches in den Armenvierteln von Bhopal noch immer täglich getrunken wird, kann hier nachgelesen werden. Warum Dow, die 2001 Union Carbide, die Firma, die mitverantwortlich füer die Katastrophe war, kauften, sich für die Katastrophe nicht mehr verantwortlich hält, kann hier (PDF, 60KB) nachgelesen werden.

Erinnerung gibt es bei Dow und deren schlechten Übersetzungsbüro wohl aber nur für Menschen mit Beschäftigung:

"Diejenigen unter uns, die damals schon im Erwerbsleben standen, erinnern sich noch gut an diesen schicksalhaften Tag, und an die folgenden Tage, an denen mehrere tausend Menschen starben", heißt es als zum Vorfall der Giftgaskatastrophe vor 25 Jahren.

Und wer sich ein bisschen besser informieren und eventuell für die Opfer der Katastrophe spenden will, kann das hier machen. Und wer der Meinung ist, dass Protest auch mal Spaß machen darf, sollte sich mal ansehen, wie die Yes Men für eine kurze Zeit den Aktienwert von Dow um 2 Milliarden Dollar abstürzen ließen:

Tönnes: „Jetzt kommt es auf die CDU an.“

In Dortmund beraten die Parteien und Fraktionen das gestern veröffentlichte Gutachten zur Kommunalwahl im August. Doch egal was sie beschliessen: Der Stadt könnten jahrelange rechtliche Auseinandersetzungen bevorstehen.

Dortmund ist seit Jahren die, politisch gesehen, spannendste Stadt des Ruhrgebiets – und das gestern vorgelegte Gutachten zur Kommunalwahl 2009 wird dafür sorgen, dass sich daran auch in den kommenden Jahren nichts ändern wird.

Das Gutachten forderte, für viele überraschend eindeutig, Neuwahlen des Oberbürgermeisters, des Rates und der Bezirksvertretungen der Stadt. Dass es dazu nach dem Gutachten automatisch kommen wird, sieht Grünen-Ratsherr Martin Tönnes nicht: "Es kommt jetzt darauf an wie sich die Union verhält. Setzt sie auf einen poilitischen Neuanfang oder will sie in eine große Koalition mit der SPD einsteigen?" Wäre letzteres der Fall, sagt Tönnes, wird sie sich kaum für Neuwahlen ausprechen: "Die Verhinderung von Neuwahlen wäre der Preis, den die Union zahlen müsste."

Der Flurfunk des Dortmunder Rathauses sieht eine große Koalition kommen – allerdings erst nach der Landtagswahl im kommenden Jahr.

Aber es kommt nicht nur auf die Fraktionen an, denn auch wenn der Rat Neuwahlen beschliessen sollte, kann dagegen geklagt werden. Udo Bullerdieck, Sprecher der Stadt auf Nachfrage: "Jeder Betroffene kann gegen die Neuwahl des Gremiums in dem er sitzt oder gegen die Neuwahl seines Amtes klagen, ohne die anderen Wahlen damit zu blockieren." Beispiel: Klagt ein Mitglied einer Bezirksvertretung gegen Neuwahlen seiner Bezirksvertretung, wäre die Wahl des OB, des Rates und der anderen Bezirksvertretungen davon nicht betroffen. Kommt es zu neuen Wahlen, geht man auf Seiten der Stadt davon aus, das es betroffende Mandatsträger geben wird, die klagen. Bullerdieck: "In dem Fall hätten wir nicht einen Wahltermin sondern mehrere, die sich wahrscheinlich auf mehere Jahre verteilen werden." Denn der Klageweg über die verschiedenen Instanzen wird lange dauern – sehr lange.