JUNKIES OF LOVE

Unser Leben wird dominiert von der Sucht. Abhängig, ausgeliefert – Menschen sind Junkies der Liebe. Liebe ist der Stoff, aus dem die Träume sind. Liebe ist die perfekte Droge. Einmal angefixt können wir ohne sie nicht existieren. Wir müssen lieben. Jeder Erniedrigung, jeder Verletzung, jeder Narbe zum Trotz schenken wir uns einander immer wieder. Nackt und voller Hingabe in der Hoffnung, dass Seelen miteinander tanzen werden. Doch Liebe ist ein teures Gut. Sex dominiert die Gesellschaft. Sex ist das Methadon im Individualismus. Es geht um Youporn, Flatrate-Puffs und den schnellen Fick auf dem Kneipenklo. Im Jetzt herrscht die Egomanie, der Voyeurismus, die Selbstdarstellung beim Maskenball. Romantiker fallen durch dieses Raster aus Narzissmus und Ellenbogen. Sie werden auf ihrer Suche nach Liebe verzweifeln. Wir gehören dazu. Glauben Sie uns – wir waren bei einer Ehe- und Partnervermittlungsagentur. Ein Erlebnisbericht von Herrn Schlange und Herrn Joswig.

Schlange und Joswig haben in ihrem Leben schon viele Aschenbecher gesehen: die Klassiker, die Styler, die Improvisierten. Leere Bierflaschen randvoll mit Zigarettenstummeln, zugeaschte Blumentöpfe, Spülbecken und alte Pommesschalen, in deren zähem Sud Kippenreste aufquellen. Das Exemplar vor ihnen auf dem Tisch ist ein gläserner Familienbottich. Groß wie eine Toffifee-Packung, schlicht gehalten, Fassungsvermögen gut sieben Schachteln. Schlange und Joswig sitzen im Beratungszimmer einer Ehe- und Partnervermittlungsagentur und warten.

„Und vergiss nicht, du hast seit fünf Jahren keine Frau mehr gefickt.“

„Verdammt.“ Joswig schaut seinen Freund an. „Was für ne Kack-Rolle.“

Schlange nickt ihm zu und packt seine Kippen und Brillenetui auf den Tisch. „Das ist halt unsere bekackte Geschichte. Du bist der hoffnungslose Fall, ich bin dein Finanzier. Punkt.“

Liebe ist ein gefährliches Business. Als die zwei die kleine Backsteinvilla in dem abgelegenen Industriegebiet betraten, irritierte sie das massive Schloss an der Eingangstür. Dann die Treppe hoch, auf der Zwischenetage zum Liebesinstitut ein großer Konvexspiegel. So aufgehängt, dass man von der Wohnungstür aus den gesamten Flur im Blick hat. An der Wohnungstür wiederum drei Sicherheitsschlösser. In der Liebe darf es keine Überraschungen geben. Man weiß nie, wer zu Besuch kommen kann. Schlange hatte bei vier Partneragenturen angerufen, die er im Branchenverzeichnis gefunden hatte. Keine der Nummern war noch vergeben. Das Geschäft mit der Liebe ist schnelllebig und hart. Darum auch Sicherheitsvorkehrungen, die jede Dealer-Bude im Amsterdamer Rotlichtviertel zum Kinderzimmer degradieren.

Die beiden Undercover-Journalisten atmen durch und gehen in sich. Ihr Liebesdealer lässt auf sich warten. Sie fühlen sich allein, betrachten dreizehn leere Stühle, die den Tisch säumen. Der Tisch füllt fast den gesamten Raum. Groß, leer und kalt – ein Konferenztisch für einsame Herzen.

Junkie of Love: Auch Du kennst einen Liebesjunkie, glaub es mir. Du kannst ihm überall begegnen. Im Freundeskreis, im Café, auf der Arbeit oder in der U-Bahn. Manchmal ist er berauscht und vom Glück beseelt, manchmal antriebslos und verzweifelt. Manchmal sieht er aus wie jeder andere und manchmal siehst Du ihn über den Bildschirm flimmern. Betrachte Dein Spiegelbild und Du wirst ihn auch dort erkennen. Jeder Mensch, den einmal Amors Pfeil gestreift hat, bleibt ein Junkie der Liebe. Was sonst soll Deinem Leben Sinn geben? Liebe ist stärker als reines LSD. Und Seelenpartner gibt es. Garantiert. Höre nie auf zu suchen. Wenn du ihn hast, halte ihn fest. Erst in der Einsamkeit entdeckst Du, wie süchtig Du wirklich bist. Ohne die Droge Liebe wirst Du gequält und getrieben wieder und wieder nach neuem Stoff suchen.

In der Mitte des Tisches liegt neben dem Ikea-Katalog und mehreren Magazinen über das moderne Eigenheim und den gepflegten Garten ein laminierter Zeitungsartikel über das Liebesinstitut – „70 Prozent unserer Kunden sind bereits nach drei Monaten glücklich. Bei uns liegen Sie goldrichtig“. Neben dem gläsernen Familien-Ascher stehen ein Blumenarrangement und eine Schale mit 123 Zucker- und Milch-Päckchen. Die Belegschaft einer Notaufnahme könnte hier locker drei Nächte durchmachen. Im Ascher fängt sich das Sonnenlicht, das durch die großen Fenster in Schlanges und Joswigs Rücken scheint, und fällt durch sein blaues Glas auf die Tülldecke, die über der Tischplatte ausgebreitet liegt. Der Schatten des Aschers gibt dem apricotfarbenen Stoff eine Note Ultramarin. Fast alles in dem Raum ist angenehm mediterran – abgesehen von der deprimierenden Leere.

„Schwammtechnik ist echt fürn Arsch“, mault Joswig und betrachtet kritisch die gegenüberliegende Wand. An der ockerfarbenen Tapete hängt ein Kunstdruck von Picassos „Cover for Verve“.

„Auf jeden.“ Schlange zeigt auf die große Regalwand zur Rechten. „Hast du schon ma herzchenförmige Kakteen gesehen?“ Joswigs Blick wandert zu den drei Pflanzen, die in süßen roten Töpfchen auf dem mittleren Brett stehen. „Geil, und sonst kein einziges Buch.“

„Das ist trist.“ Joswig nickt.

Die beiden fühlen sich verloren. Dreizehn leere Stühle, Magazine über Dinge, die nur zu zweit Spaß machen, Milch und Zucker für eine lustige Runde mit Freunden und ein Aschenbecher, den ein Mann allein niemals füllen könnte. Die Einsamkeit ist erdrückend. Die zwei sind endlich bereit die Liebe zu kaufen.

„All you need is love“: Zivilisationskrankheit Einsamkeit – Leiche nach Jahren in Wohnung entdeckt. Verendet, verrottet und vergessen. Quält Dich die Angst allein zu verrecken? Anonym unter Millionen? Liebe hat tausend Gesichter: Sie kann Dich mit den Augen Deiner Mutter anschauen, sie kann in der Umarmung eines Freundes liegen, sie klingt im Lachen Deiner Kinder, oder stinkt nach der triefenden Schnauze Deines Yorkshire Terriers. Nur die Liebe gibt Dir Sicherheit, Liebe schenkt Dir Wärme und lässt Dich all die Scheiße ertragen. Du brauchst sie, Du kannst nicht anders. Alles wirst Du versuchen. Und mit jeder Verletzung und Zurückweisung wirst Du weiter verzweifeln. Die Wege der Liebe sind unergründlich. Irgendwann wirst Du Dich vielleicht bei einer Partneragentur wiederfinden – in der Hoffnung einen Weg aus der Einsamkeit zu finden. Liebe ist schließlich alles was Du brauchst, hab nur Vertrauen.

Im Vorzimmer schlagen spitz ein paar Absätze auf steinerne Fliesen – edle Stöckelschuhe, die Tür öffnet sich, Frau L tritt ein. Eine Erika Berger mit schwarzer Gucci-Brille, die Liebesgöttin aus dem Schnäppchenmarkt.

„So, um wen von Ihnen geht es denn heute?“, fragt Frau L routiniert, reicht den Herren zwei Gläser Mineralwasser, legt eine Mappe vor sich auf den Tisch und setzt sich. Zwei leere Stühle trennen sie und Joswig. Der räuspert sich.

„Ich bin der hoffnungslose Fall“, seufzt er und lässt die Schultern sinken.

„Verstehe.“ Ihr Blick schwenkt irritiert zu Schlange. Er lächelt sie an und nickt. „Ja, ja, das ist unser Sorgenkind. Deswegen hatte ich auch angerufen und mit Frau O gesprochen. Wir sind eine Clique aus sieben Mann, kennen uns schon seit knapp zehn Jahren. Mittlerweile ist jeder von uns unter der Haube – bis auf Herrn Joswig.“ Er klopft ihm väterlich auf die hängende Schulter. Joswig atmet tief durch. Frau L schaut verständnisvoll. „Naja, können Sie sich ja vorstellen, dass n gemeinsamer Grillnachmittag nur halb so lustig ist, wenn jeder seine Frau im Arm hat, und einer bedröppelt in der Ecke hockt.“

„Selbstverständlich“, haucht L mitfühlend.

„Wir haben alles mit ihm versucht. Singleparties, Speeddating, Internet und Kuppeleien im Freundeskreis. Alles erfolglos. Deswegen haben wir jetzt zusammengeschmissen, damit wir den Mann endlich an die Frau bringen. Sie sind quasi unsere letzte Hoffnung.“ Joswig schaut sie betreten an.

„Ungewöhnliche Geschichte. Aber ich finde es schön, dass Sie sich so um Ihren Freund kümmern.“ Frau L schenkt ihren Kunden ein Lächeln. „Gut, dann erst einmal zu uns. Wir sind seit fast dreißig Jahren eines der renommiertesten Partnerunternehmen in Deutschland. Unsere Kunden kommen aus dem gesamten Bundesgebiet. Ich hatte letztens erst einen Herrn aus München hier…“ Frau L kann jeden bedienen. In ihrer Kartei finden sich Menschen zwischen 18 und 88 Jahren. Durchschnittsalter sei 24, meint sie. Hauptsächlich Diplomingenieure, Maschinenbauer, Ärzte und Theologen. L erzählt Joswig und Schlange von Glücks- und Erfolgsgeschichten, von der tollen Berichterstattung in der Presse, von angeblich 12.000 Singles in ihrer Datenbank und von der wahren Liebe, die jeder Mensch braucht. Ihr Institut vermittelt nur dauerhafte Beziehungen, für den schnellen Sex sei man bei ihr falsch.

Sex als Surrogat – der Analogkäse der Liebe: Ein echter Liebesjunkie zieht sich selbst das billigste Zeug durch die Nase – nur um ein einziges Körnchen reiner Liebe zu erwischen. Egal wie sehr das Pulver brennt und das Hirn zerfrisst. Die gestreckte Line muss nur auf dem Tisch liegen. Der One-Night-Stand ist fades Gefühleschnüffeln, flüchtige Selbstbestätigung, ätherische Nähe und Sex auf der untersten Stufe. Hast Du schon mal einen PEP-Kater gehabt? Der schale Geschmack, die zerhackten Erinnerungen, die Leere, die über Dich hereinbricht? In Deinem Bett liegt ein Mensch, den Du nicht kennst. Machen wir uns nichts vor: In der Einsamkeit frisst der Mensch jeden Scheiß. Er fickt aus Verzweiflung – in der Hoffnung, dass ihn ein Hauch Liebe berührt.

L sieht Joswig tief in die Augen. „Wollen Sie wirklich, dass Ihr Freund hier bleibt? Einige Fragen werden sehr persönlich.“

Joswig hat sich in seiner Rolle gefunden. Traurig und lethargisch hockt er auf seinem Stuhl und knibbelt verlegen an seinen Fingernägeln. „Das ist für mich kein Problem, denke ich. Wir haben keine Geheimnisse. Willst du denn bleiben?“

Schlange zu Joswig: „Klar.“ Dann zu L: „Schließlich bin ich ja auch derjenige, der zahlt.“ L nickt. Mit ernstem Gesicht schlägt sie ihre Mappe auf und nimmt ein Formular zur Hand. Sie wendet sich an Joswig. „So, seit wann sind Sie denn schon Single.“

„Seit fünf Jahren.“

„Ooh, das ist aber extrem lang.“ Sie wirft ihre Stirn in Falten und rückt ihre Brille zurecht. „Wie alt sind Sie denn jetzt?“

„33.“

„Hmm.“ Sie hält kurz inne. „Aber Sie hatten schon mal eine Beziehung.“

„Ja, ja, langjährige Beziehungen.“

L lächelt erleichtert. „Das ist gut. Andernfalls stellen die Frauen Fragen, was mit dem Mann nicht stimmt.“

Liebe 2.0: Noch nie konnte der Mensch gleichzeitg an so vielen Orten, in so vielen Welten mit so vielen Namen, Gesichtern und Geschlechtern sein wie jetzt. Die Zerstreuung ist allgegenwärtig. Fernsehen, Handy, Internet – wir sind immer und überall. Myspace, Facebook, W-Lan und Iphone. Der Mensch präsentiert, er inszeniert, er prostituiert – sich und seine verdammte Seele. Wir tragen uns nach Außen. Twitter mir den Seelenstrip, Baby. Deine Freundesliste fasst tausend friends. Du bist einsam, aber nicht allein. Sag mir, weißt Du noch, wie ein Kuss schmeckt? Liebe geht nach Innen. Das ist ihr Wesen. Aus tausend virtuellen Berührungen wird keine Zärtlichkeit.

Joswig wird katalogisiert. Hobbies, Haustiere, eigene Wohnung, Kinder. Dann die Frage zum Beruf. Joswig lässt sich treiben, improvisiert: „Joah, ich bin Schauspieler …“ Schlange hustet. Joswig macht eine Pause und schwenkt um. „ … ab und zu … und äh Dekorateur…“ Pause. Joswig kratzt sich demonstrativ am Kinn. Frau L macht still Notizen. „… und Bildhauer.“

Schlange zuckt zusammen. Frau L schaut auf und sieht zufällig, wie ihm ein gequältes Lächeln über das Gesicht huscht. Ein Ausdruck, den Ehemänner aufsetzen, wenn sich ihre Grazien der katholischen Landfrauenbewegung anschließen und anfangen, ihre Holzskulpturen mit Blattgold zu überziehen. Ein wohlwollendes Lächeln für den Versuch seinem Leben mit lächerlichem Kunsthandwerk einen höheren Sinn zu geben. Schmuckdesign, Seidenmalerei und Serviettentechnik. Im Falle von Joswig ist es lediglich die Begabung, sich um Kopf und Kragen zu reden.

Frau L versteht Schlanges Mundwinkel falsch und hakt mit gespielter Neugierde nach. „Ach, was machen Sie denn für Skulpturen?“ Was für ein teuflisches Weib.

Joswig schubbert seinen Adamsapfel. „Joah, aus Ton…“ Pause. „… und aus Beton. Ich mach auch viele Skulpturen aus Beton.“ Schlange beobachtet amüsiert Joswigs Windungen und spielt mit seiner Zigarettenschachtel. Der Mann kann mit Beton soviel anfangen wie ein Straightedger mit einem Kasten Bier. Bildhauen mit Beton – was für ein Schwachsinn. 

L tut fasziniert. „Oh“, sagt sie. „Was kostet denn so eine Skulptur. Kann man die auch irgendwo sehen?“

„Selbstverständlich. Im Internet kann man die sehen und im Unperfekthaus in Essen werden die gerade ausgestellt. Kennen Sie das?“

L schüttelt den Kopf. Joswig weiter: „Zwischen ganz klein fürn Tisch und bis zu zwei Metern fürn Garten können die groß sein. Manchmal mehrere tausend Euro kosten die bei mir.“

Als sich Ls und Schlanges Blicke kurz treffen, nickt er ihr lächelnd zu. Sie hält Joswig für einen Idioten, das spürt er. Kein Wunder bei Joswigs Verkleidung, den ausgelatschten Lederstiefeln und dem verzogenem Vespa-Hemd. Frau L fragt den Hungerkünstler nach seinem Einkommen.

„…Puhhh, so tausend…“ Pause. Der joswigsche Kinnkratzer. Luft holen. „…zweihundert?“

L: „Aber netto?“

„Ja, ja, natürlich.“

„Das heißt, Sie sind Dekorateur und der Rest ist Hobby für Sie.“

Schlange hat das Gefühl eingreifen zu müssen: „Ja, der Mann ist unser Lebenskünstler, dekoriert Schaufenster, macht da seine Skulpturen, dort ma ein Theaterstück. Ist faszinierend. Aber auf sein Geld kommt er immer, ne?“

Joswig nickt brav.

Fragebogen zwei. Jetzt legt L Joswigs Such-Kriterien für die perfekte Frau fest. Ls Institut arbeitet nach dem Prinzip der Rasterfahndung: Verschiedene Kriterien werden in die Datenbank eingespeist. Mittels der Übereinstimmungsrate und der Wohnortnähe erstellt der Computer dann ein Ranking der Liebeskandidaten. Alter, Größe, Haarfarbe, Kinder, Kinderwunsch, besondere Ansprüche.

Joswig: „Besondere Ansprüche? Naja, ein Mindestmaß an Intelligenz sollte sie schon mitbringen.“ L entrüstet: „Selbstverständlich. Wir haben ausschließlich deutsche, intelligente Frauen. Keine – das soll jetzt nicht überheblich klingen – die nur „Ey, weißte“ sagen können.“

Schlange hakt sofort nach. „Nur deutsche Frauen?“

„Ja.“

Schweigen. Ein Auto verlässt den Hof der benachbarten Lagerhalle. Ein Vogel zwitschert. Frau L raschelt in ihren Unterlagen.

Einen Augenblick später wendet sie sich an Joswig. „Sie sind katholisch?“

Er nickt.

„Gut, dann wird es gar kein Problem sein, eine Frau für Sie zu finden. Wenn religiös, dann haben wir nur Katholiken und Evangelen bei uns in der Kartei. Keine Zeugen Jehovas und keine Muslime.“

Schlange zieht die Brauen zusammen. „Warum?“

„Ach, die Zeugen heiraten sowieso nur unter sich, und mit den Muslimen haben wir es am Anfang versucht, aber das hat nicht funktioniert.“

„Kulturelle Unterschiede?“

L nickt. „Kulturelle Unterschiede.“

Verständlich. Eheschließungen nach dem deutschen Reinheitsgebot.

Der Mensch braucht die Liebe, um Mensch sein zu können, meint L. Sie hat mal innerhalb eines Monats für eine 50-Jährige den Lebenspartner gefunden. Die Frau schickte daraufhin ihre beste Freundin ins Institut. Die Vermittlung erfolgte in vergleichbarer Rekordzeit. Frau für Frau tröpfelte nach und im Handumdrehen hatte L ein ganzes Kaffeekränzchen alter, verschrumpelter Herzen zu neuem Glück verholfen. Als Krönung des Ganzen kam sogar die Küsterin des Dorfes, die L verzweifelt um Hilfe ersuchte. Küster sind in bestimmten Gesellschaftskreisen angesehene Menschen. Wenn Joswig nun eine treue Kirchgängerin wäre, hätte L ihn mit dieser Geschichte an den Eiern gehabt. Wie könnte man besser die älteren Generationen betören als in einem Netz aus Gläubigkeit und verstaubten Wertvorstellungen, aus Hörigkeit und verzweifelter Romantik. L fand schließlich für jede Mutti das Richtige. „Die ganze Runde saß dann hier bei mir. Alle waren wie ausgewechselt, strahlten und hatten einen wundervollen Glanz in den Augen. Es ist unfassbar, was die Liebe aus den Mensch machen kann.“

Eine Droge namens Liebe: Sie raubt Deinen Verstand. Break on through to the other side. Kafka, Coitus, Crack-Wahn. Synapsen platzen, Dein Hirn wird geflutet. Hormone, Neurotransmitter, Electro-Party ohne Leinenzwang. Dein Dopamin verteilt die Glücks-Pillen, Adrenalin setzt die Teile-Fresser unter Strom – feuchte Hände, Herzrasen. Eskalation! Realität auf XTC! Kontrollverlust und Rauschgelage. Wahnsinn betritt den Dancefloor – eingeschleust von Endorphin und Cortisol. Dämme brechen, und Du ertrinkst in purem Glück. Das Opfer ist Dein Verstand. Dein Serotoninspiegel qualifiziert Dich für die Zwangsjacke. Manche Psychologen setzen den Zustand im Liebesrausch mit geistiger Unzurechnungsfähigkeit gleich. Dein Gehirn ist verliebt und feiert Party. Du bist bereit, eine lebenslange, monogame Sexualbeziehung einzugehen.

L kann nur Menschen helfen, die bereit sind, von ihren Vorstellungen los zu lassen. Starre Ideale würden den Weg zur Liebe verbauen. Die Frau ist seit Anfang der Achtziger im Geschäft, sie muss es wissen. Täglich betreut sie fünf bis sechs Kunden. „Ich hatte mal einen Mann hier, der partout keine Rothaarige wollte. Ich habe ihm eine vermittelt.“ Laut L verliebten sich die zwei noch bei ihrem ersten Date. „Und als sie sechs Wochen später bei mir saßen, schauten sie sich noch immer so zärtlich an wie am ersten Tag.“

Das Wesen der Romantik: Welche Sphären soll Deine Liebe betreten? Nicht jeder Stoff ist rein. Brauchst Du den Kick für eine Nacht? Suchst Du immer wieder neue Schmetterlinge in Deinem Bauch? Oder willst Du die Liebe, die Dich unzertrennlich bis in den Tod begleitet? Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) hält der hormonelle Extremzustand im Hirn 24 bis 36 Monate an – höchstens. Es kommt der Punkt, an dem musst Du entscheiden! Kannst Du entscheiden? Kurzer Kick für eine Nacht, frischer Rausch mit rosa Brille, oder der magische Trip Deines Lebens. Lässt Du Dir einen Zaubertrick erklären, ist die Magie zerstört. Wen hältst Du im Arm, wenn Du morgens aufwachst? Hast Du wirklich Deine wahre Liebe gefunden? Sid Vicious gab sich den goldenen Schuss im selben Zimmer des Chelsea Hotels, in dem Nancy starb. Cash verließ uns vier Monate nach dem Tod seiner June. Walk the line – die schönste aller Liebesgeschichten. Den ultimativen Trip gibt es. Sag mir, an was willst Du glauben? Romantik ist Utopie, der Glaube an die absolute Unwahrscheinlichkeit, unter 6,8 Milliarden Menschen die einzig wahre Liebe gefunden zu haben.

Für L ist Liebe zeitlos. Sie kann überall erblühen, wo sie etwas Licht und Zuwendung bekommt. Nur sollte Sie nicht zu lange vergessen werden. Sonst verdorrt die Saat und wird nie wieder aufkeimen, meint Frau L. Eine 58-Jährige wandte sich einmal an Ls Institut. Sorge verzerrte ihr Gesicht, als sie die Geschichte einer Bekannten erzählte. Seit zehn Jahren habe die Freundin um ihren verstorbenen Ehemann getrauert, ihm einen Altar errichtet und sei in der Liebe zu dem Toten immer mehr vereinsamt und verbittert. So wolle die 58-Jährige niemals enden, das habe sie sich geschworen. Das Leben müsse weitergehen. Also suchte sie Hilfe und fand mit L zur Liebe zurück. Lückenfüllen statt Trauerbewältigung. Für L ist es mit der innigen Liebe wie mit Haustieren: Stirbt das Schoßhündchen, sollte man sich schleunigst ein neues kaufen. Zu viel Trauer macht einsam. Zeit ist für L sowieso ein entscheidender Faktor. Sie nimmt ihre Gucci-Brille ab und schaut Joswig tief in die Augen.

„Es ist gut, dass Sie jetzt gekommen sind. Je älter die Menschen werden, desto schwieriger ist es, einen Partner zu finden. Wären Sie erst in zehn Jahren zu uns gekommen, hätten Sie noch mehr Mukken und Macken gehabt.“

Joswig schürzt beipflichtend die Lippen und nickt. „Das wird wahrscheinlich so sein.“

„Ja.“ L scheint bestärkt. „Ich will ja nicht überheblich klingen, aber ich habe hier zum Teil Kunden, die nicht einmal wissen, dass Mann und Frau unterschiedliche Geschlechtsteile haben.“

Schlange und Joswig ziehen ungläubig die Brauen hoch. L ist zufrieden.

„Ja, ja, Anfang des Jahres saß hier ein 40-Jähriger mit seiner Mutter, mit dem mussten wir erst einmal vier Wochen lang telefonieren üben.“ Sie zu Joswig gewandt: „Können Sie denn telefonieren?“

Er: „Joah.“

„Sehen Sie.“ L triumphiert.

Die erste Propagandaregel lautet: Abwertung der einen Gruppe führt zur Aufwertung der anderen und hat ein stärkeres Gemeinschaftsgefühl sowie Verbrüderungseffekte innerhalb der sozialen Gefüge zur Folge.

L lehnt sich zurück und zieht weiter an ihren Fäden, als wären Schlange und Joswig ihre liebessüchtigen Marionetten, abhängig, von ihr den Schlüssel zum Paradies zu bekommen. „Der Mann war wirklich ein schwieriger Fall. Ich finde es toll, wenn Männer mit vierzig, die noch nie eine Frau hatten, endlich eine wollen. Mit der Zeit verschließen sich die Menschen einfach und kommen nicht mehr aus sich heraus.“

Der Narbenmensch: Jede Enttäuschung und Zurückweisung reißt Dir eine Wunde ins Herz. Körbe, Betrug, Streit und Kompromisse. Je älter Du wirst, desto mehr Verletzungen wirst Du erleben. Jede Wunde, die heilt, hinterlässt eine Narbe, sie verhärtet und wird starr. Als Kind unschuldig, als Jugendlicher unbedarft, als Erwachsener unbeweglich – das ist die Evolution des Herzens. Streiche mit Deinem Finger über eine Narbe, und Du wirst ihre Geschichte sehen. Diese Erinnerungen werden zur Angst vor jeder neuen Beziehung. Keine Kompromisse, engstirnige Ansprüche, tiefes Misstrauen. Wir sind Narbenmenschen! Kannst Du Dich allen Narben zum Trotz jemals wieder fallen lassen, oder verschließt Du Dein Herz für immer?

L zieht aus ihrer Mappe einen zusammengehefteten Katalog mit Fotos hervor und schiebt ihn Joswig rüber. Knapp fünfzehn Bögen, vier Bilder pro Seite: alt, jung, blond, brünett, fett, adrett, Frettchenfresse, Knollennase, dicke Titten, androgyn. Bis auf schön ist alles dabei. Und jede der Grazien scheint aus einer Folge Denver Clan entstiegen zu sein. Dauerwelle, Spießertolle, lila Lidschatten und pinker Lippenstift.

„Welche der Frauen würde Ihnen denn zusagen, Herr Joswig?“

Joswig zögert, betrachtet das erste Frauen-Quartett und entscheidet sich schließlich für eine Perle Typ Eighties-Snow White. Vielleicht hat ja die Maus die vergangenen 20 Jahre im Glassarg verpennt, hofft er.

„Das wusste ich“, sagt L direkt. „Das hatte ich sofort im Gefühl.“ Sie blättert weiter. „Dann ist diese Frau auch etwas für Sie, nicht wahr?“ Sie zeigt auf eine weitere Brünette in jungen Jahren. Joswig nickt. Dass er von den ersten vier vorgestellten Frauen das kleinste Übel gewählt hat, ist verständlich. Dass L auf den folgenden Seiten mit dem kleinsten Übel immer richtig liegt, ist logisch.

L nach der sechsten Seite triumphierend. „Sehen Sie, ich hab ein Gespür für meine Kunden.“

Frau L ist Profi – in jeder Hinsicht: kompetent, erfahren und gewieft. Sie weiß, wie man ein Verkaufsgespräch führt. Etwas zum Anfixen hier, eine kleine Liebesgeschichte da, Erfolgsstories, etwas Romantik, Herzschmerz und Zucker für den Gaul. Der Kunde – egal was für ein Freak ihr gegenüber sitzt – ist König und auf dem besten Wege zum Glück. Er ist keiner dieser Sozial-Autisten, die nicht mal wissen, dass Mumu und Penis ineinandergesteckt werden müssen, damit Strom fließt. L gibt jedem das Gefühl, etwas Besonderes zu sein. Und sie gibt jedem das Gefühl, mit dem Gang zur Liebesagentur das einzig Richtige getan zu haben.

„Die Frau fürs Leben finden Sie nicht an der Wursttheke, sie schellt nicht bei Ihnen an, auch das Internet können Sie vergessen.“ L reißt beschwörend die Augen auf. „ Im Netz weiß man nie, was kommt. Da wird gelogen und betrogen. Das habe ich vergangene Woche noch in dieser Verbrauchersendung „Markt“ gesehen. Neu.de oder elitepartner – das können Sie alles vergessen. Und als Frau würde ich das sowieso nicht machen. Wie oft hört man denn von vergewaltigten und abgestochenen Mädchen, die dann im Wald verscharrt werden?“ Knallharte Fakten, die L präsentiert: Das Fernsehen hat immer Recht, das Internet ist Scheißdreck und hinter jeder Ecke lauern mordlustige Vergewaltiger. Eine Alternative bietet nur ihr Institut. Bei L gibt es keine Fake-Profile: Nur deutsche Christen auf der Suche nach ernsthaften Beziehungen, so schön, als hätten sie seit Mauerfall die Wunder der Kryogenik genutzt.

„So, Sie haben gesehen, was ich Ihnen bieten kann, kommen wir nun zum Vertrag.“ L setzt ihre Brille auf und beugt sich nach vorn. „Ich kann Ihnen nicht die Garantie geben, dass Sie die große Liebe beim ersten Mal finden werden. Aber ich kann Ihnen die Garantie geben, dass Sie sie bei uns finden.“

Sie zieht die Vertragsunterlagen aus ihrer Mappe. „Ihr Profil kommt in unsere Kartei. Sie können so oft und so schnell Frauen treffen, wie Sie wollen. Sagt Ihnen eine Dame zu, setze ich Ihre Akte sozusagen auf Stand-by Modus. Normalerweise ist unser Vertrag auf ein Jahr begrenzt. Ich schreibe aber immer den Zusatz drüber „auf unbestimmte Zeit“, das heißt, sollte es dann mit der Frau nach einem Jahr oder so nicht funktionieren, rufen Sie einfach bei mir an. Ich aktiviere Ihre Akte, und die Suche geht weiter. Ein Vertrag auf Lebenszeit also.“ L setzt ein verführerisches Lächeln auf.

Schlange und Joswig schrecken zurück. Der Bund fürs Leben? Bis dass der Tod uns scheidet? Für viele die Erfüllung – doch im Angesicht des diabolischen Lächelns fühlen Schlange und Joswig kalten Schweiß auf der Stirn. Wie kann man sich hemmungslos in der Liebe verlieren, wenn man am Sicherheitsseil hängt? Wie kann man an die große Liebe glauben, wenn ständig die Option besteht, über L eine neue Frau bestellen zu können? Der Pakt mit dem Teufel hat immer einen Haken.

L schlägt den Vertrag auf. „Die Höchstsumme für die Dienste unserer Agentur liegt bei 6600 Euro.“

Holy shit! Ls Umworbene werden kreidebleich. Knapp sieben Mille für die Liebe? Wenn 6600 Euro ein Indikator für den Grad der Verzweiflung ist, kann L natürlich eine Garantie auf Vermittlung geben. Schlange versucht zu scherzen, doch seine Mundwinkel bleiben starr. „Da müssen wir mal schauen, ob er uns so viel wert ist.“

L macht eine beschwichtigende Handbewegung. „Es gibt hier noch eine weitere Agentur. Da bekommen Sie die Frau für vier acht. Allerdings gibt’s da nur Polinnen und Russinnen – natürlich alle aus dem Rotlichtmilieu. Verstehen Sie? Wir müssen so teuer sein, sonst kommen die Luden und kaufen uns die Frauen weg.“

So viel Menschenverachtung lässt die beiden Liebesjunkies still werden. Frauen sind etwas Wundervolles. Liebe wird hier verscherbelt, wie eine Tüte H-Milch an der ALDI-Theke. Romantik und Menschenhandel, Glück in kleinen Dosen, ein Vertrag auf Lebenszeit, gestrecktes Koks im Plastiktütchen und die immer währende Liebe. Wie können Luden die Frauen wegkaufen, wenn alles so verdammt seriös ist? Das schwere Schloss, der Sicherheitsspiegel im Hausflur, das lange Warten einsam im Beratungszimmer – langsam macht alles Sinn. Psychospiele, um verzweifelte Herzen mürbe zu machen. Eine Festung gegen die Vermittlungsmafia. Ls Jargon passt besser an die usbekische Grenze, ihre Miene wirkt hart, Schlange und Joswig fühlen sich unwohl.

„Sie können ruhig rauchen. Ich hab damit kein Problem.“ L zeigt auf den großen Aschenbecher in der Mitte des Tisches und lächelt kühl. Schlange und Joswig greifen hastig nach ihren Schachteln und stecken sich eine an.

„Über das Geld brauchen Sie sich keine Gedanken zu machen. Über die Zahlungsmodalitäten können Sie sich mit unserem Buchhalter verständigen. Herr K ist sehr locker, Anfang fünfzig, fährt Motorrad, hat immer einen flotten Spruch parat.“ Sie macht eine bedeutungsvolle Pause. Joswig schnauft. Als ob ihm irgendein Buchhalter in der Midlife-Crisis, der seinen fetten Arsch auf eine Goldwing pflanzt und unentwegt dumm schwätzt, als hätte er das komplette Mario Barth-Programm gefressen, 6600 Euro aus den Rippen leiern könnte. Arschlecken. L fährt fort. „Normalerweise veranschlagen wir immer eine Ratenzahlung von 100 Euro pro Monat. So viel geben manche Frauen schon allein für Schnittblumen aus, sag ich da immer.“ Sie lacht blechern. „Mach ich ja selber.“

Kurz überschlagen: Rund 12.000 Personen haben bei Ls Institut einen Liebes-Leasingvertrag laufen. Zwar sagt sie, das sechs sechs nur die Höchstsumme sei, doch wird ein Vertrag auf Lebenszeit immer auf den kompletten Preis kommen. Sechs sechs Sex – die Zahl des Teufels. Würden alle Kartei-Karten ihre Liebesgebühr zahlen, käme das Institut auf 79,2 Millionen Euro Umsatz. Liebeskartei – Karteiliebe – Karteileiche.

L redet weiter: „Wir bräuchten dann noch eine Selbstauskunft und Ihre Schufa-Daten. Das verstehen Sie ja sicherlich. Wir müssen ja auch nach den Vorstrafen schauen. Nicht dass „Er“ ein Zuhälter ist, oder „Sie“ eine Heiratsschwindlerin.“ L lacht.

Schlange und Joswig stecken sich neue Kippen an. Ls Witz ist aussagekräftig: Wenn sie befürchtet, dass sich Heiratsschwindlerinnen in ihre Kartei mogeln könnten, führt sie in erster Linie reiche naive Geldsäcke. Sorgt sie sich um Zuhälter, die ihr die Frauen abwerben könnten, sind die weiblichen Kunden in ihren Augen potenzielle Nutten.

Als sie Joswig den Vertrag zur Unterzeichnung rüberschiebt, greift Schlange ein. „Ähm, ich denke, ich muss da erstmal mit unseren Jungs drüber reden. Mit sechs sechs hatten wir nicht gerechnet. Vielleicht machen wir fifty-fifty, müssen wir nochma durchrechnen.“

Joswig pflichtet bei. „Ich würd da auch gern eine Nacht drüber schlafen. Ist ja doch ne Stange Geld.“

Ls Stimme wird schnippisch: „Normalerweise haben sich das unsere Kunden sehr genau überlegt, bevor sie zu uns kommen.“

Schlange: „Das konnten wir ja nicht wissen. Am Telefon haben Sie ja keinen Preis genannt.“ L klappt den Vertrag zu. „Damit ist dann unser Gespräch beendet. Aus datenschutzrechtlichen Gründen muss ich jetzt hier Schluss machen.“ Sie zieht eine Visitenkarte aus ihrer Mappe. Elfenbeinfarben mit verschlungener, grüner Schrift. „Sie können mir Bescheid geben, wenn Sie endlich wissen, was Sie wollen.“

 

Das wissen wir. Die Liebe ist da draußen. Wir suchen weiter.

Ihre Wattenscheider Schule.

 

 

 

 

 

Very special thanx to:

Christian Turk (illustration)

Matt Dolibog (fotos)

ARD – vom Elend der öffentlich-rechtlichen Programmierung

Ehrlich vorausgeschickt: ich bin Fußballfan, seit 1964, da war ich 7. Mit 8 entschied ich mich für den VfL 1900 Borussia Mönchengladbach. Heute um 19 Uhr spielt "mein Verein" ein total bedeutendes Sechzehntelfinalspiel im DFB-Pokal gegen den MSV Duisburg. Und die ARD sendet, zwischen 22.15 h und 23.30. Ist das nicht toll? Nein, ist es nicht. Normalerweise ist 22.15 Uhr Tagesthemen-Zeit. Grundversorgung für die Millionen GebührenzahlerInnen. Heute nicht. Das ist eine Sauerei, eine ganz spezielle Sauerei von einem teuer von uns bezahlten öffentlich-rechtlichen Sender. Offentlich-rechtlich heisst: der Sender gehört uns, uns allen. Warum verarscht er uns fortwährend?

 Seit Jahren wird in der ARD diskutiert, wie man die Tagesthemen aufwerten kann, schliesslich sind sie ein Juwel ihres Programms. Für Tagesschau und Tagesthemen arbeitet in Hamburg eine große teure Redaktion unter der Bezeichnung "ARD-aktuell". Und im internationalen Vergleich von TV-Programmen macht sie eine ziemlich gute Arbeit für das viele Geld. Wobei das Bessere natürlich immer ein Feind des Guten ist ….

Folgerichtig wird seit Jahren in der ARD der Programmplatz der Tagesthemen diskutiert. Es bestand – theoretisch – Einigkeit, dass es für die Publikumsakzeptanz der Sendung sehr wichtig sei, dass sie täglich am gleichen Sendeplatz wiederzufinden ist. Sicher, das gilt weniger für ruhrbarone-NutzerInnen, die wissen Bescheid, wie man sich zeitsouverän sein Informationsbouquet selbst zusammenstellt. Wer weiss, wie es geht, ist heute sein eigener Programmdirektor. Aber die ARD-ZuschauerInnen sind im Durchschnitt 60, die wollen das nicht mehr lernen.

Bei den Tagesthemen ist es nun so: montags und dienstags sind sie um 22.15, mittwochs um 23 h, donnerstags wieder um 22.15, freitags um 23.15, samstags sehr verschieden, sonntags um 22.45 h. Ausser es ist Fußball, und sei es ein Sechzehntelfinale. Das ist doch einfach zu merken, oder?

Die ARD scheisst heute mal wieder auf ihren öffentlich-rechtlichen Auftrag und sendet Fußball, weil dann die Quote höher ist, und das die privaten Fußballsponsoren, der DFB und die Vereine so wollen. Sie soll nur bloss nicht wieder damit kommen, dass es wegen der armen Kinder sei, die ins Bett müssen. Denn dann könnte sie meine Gladbacher ja auch schon um 21 Uhr zeigen und ein Elfmeterschiessen zur Not live übertragen. Da bliebe ich gerne Kind.

Heimatdesign 6

Die sechste Ausgaben des Magazins Heimatdesign ist erschienen.

In dem schönsten Magazin des Ruhrgebiets geht es in der aktuellen Ausgabe um Kulturhauptstädte im Vergleich, Galerien im Ruhrgebiet und Mode. Heimatdesign  liegt wie immer umonst und in viel zu kleiner Auflage an den üblichen Orten aus. Wer eins sieht sollte es sofort einpacken, denn bislang war jede Ausgabe schnell vergriffen.  

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3 für 7 – Ausgehtipps am Dienstag

Tja, diesmal ganz einfach drei ganz okaye Veranstaltungen. Kein Riesenhype, keine Massenverhaftungen, nichts worüber eine Titelstory geschreiben werden müsste: WhoMadeWho, Dortmunder Museumsnacht, Kreative Klasse Ruhr.

Große Booking-Künste müssen nun walten im FZW. Eine große Halle will bespielt und mit ausreichend Publikum gefüllt sein, und das durchaus öfters mal. Ein weiterer äh Lackmustest für Dortmund, wie popverrückt also da alle sind – und bereit dafür gutes Geld auszugeben – das zeigt sich mit WhoMadeWho (Foto: FZW), die durchaus immer für eine gute (Konzert-)Party gut sind, aber nun nicht gerade vollneu oder Norbert Normaldortmund ein Begriff. Der Sound wird schon stimmen jedenfalls.

Von der neuen Pracht in der Mitte zum restaurierten Glanz alter Tage: Museumsnacht in Dortmund bedeutet ein richtig knallbuntes Programm, wie es so schön heißt "für die ganze Familie". Mehr auf der entsprechenden Homepage.

Es begann mit einem "Tag der offenen Tür" auf Zollverein, dann kam "Essens Kreative Klasse", und nun "Kreative Klasse Ruhr". Im Endeffekt sind das nun für dieses Jahr erst einmal 100 Kreativunternehmen, die sich vorstellen, kooperieren, netzwerken. Genaues auch hier am besten über die HP ersichtlich. Mögen es nächstes Jahr ein paar mehr sein!

WhoMadeWho schon ab 19.30 Uhr am Donnerstag im FZW.
Die Dortmunder Museumsnacht findet von Samstag auf Sonntag statt.
Die Kreative Klasse Ruhr zeigt sich am Samstag.

Schalkes Ende ist kein Ende

Ich hab immer mal wieder in der Vergangenheit über Schalker Finanzprobleme geschrieben. Auch die jetzige Krise ist nicht überraschend. Sie rührt daher, dass Schalke seit Jahren mehr ausgibt als einnimmt. Früher musste sogar mal der  Stadion Wachdienst die Trikots auslösen, weil kein Bares mehr da war.

Foto: flickr / cerberusofcologne2008

Deswegen will ich was zu der aktuellen Krise sagen. Sie bedeutet immer noch nicht, dass Schalke Pleite ist. Und es heißt nicht, dass Schalke aufhören muss zu kicken. In der Vergangenheit hat die kreative Finanzbuchhaltung immer wieder Schlupflöcher gefunden, die nur gangbar waren, weil alle die Augen zugedrückt haben. Ein Ermittlungsverfahren wegen Bilanzfälschung wurde gegen eine geringe Strafzahlung eingestellt. Damals wurde das Parkstadion umgebucht, von der linken in die rechte Tasche verkauft und plötzlich konnte ein Buchgewinn ausgewiesen werden. Einer der Leute, die damals für das halsbrecherische Geschäft verantwortlich waren, ist heute noch im Amt. Peter Peters. In jedem normalen Betrieb wäre Peters nach so einer Nummer gefeuert worden und die Geschäftsführung hätte die Notbremse gezogen, um nicht alles zu riskieren.

Nicht in Schalke.

Hier wurde quasi direkt im Anschluss das nächste Harakiri-Ding gedreht. Alle Rechte wurden in eine Schalke-Konzern-Interne Agentur verkauft. Wieder ein Geschäft von der linken in die rechte Tasche. Diesmal mit einem höheren Luftgewinn. Letztlich aber wieder kein reales Geschäft. Und somit ein weitere Schritt Richtung Konkurs.

So ist es auch jetzt. Allen war lange klar, dass Gazprom schon gezahlt hat und nicht weiter zahlen wird. Trotzdem wurde wie blind auf die Russland-Karte gesetzt. Vielleicht auch deshalb, weil mittlerweile Schalkes Präsident Tönnies Fleisch in die russische Föderation exportiert? Was weiß ich.

Ich denke trotzdem, dass noch nicht Schluss ist. Denn es wird weiter von den alten Strippenziehern an den alten Strippen gezogen.

Ich rechne damit, dass der nächste Bilanztrick kommt. Vielleicht wird eine Beteiligung an der Schalke AG verkauft, an eine Versicherung oder so. Das wird dann als Notrettung für den Verein ausgegeben. Die aufgefrischte Schalke AG, die seit langem im Handelsregister der Stadt Gelsenkirchen lagert, könnte dann kurzfristig das Profigeschäft übernehmen und die Gehaltszahlungen garantieren. Die Fans würden das hinnehmen.

Es geht schließlich um die letzte Rettung ihres Clubs.

Wie beim Parkstadion-Deal und dem Agentur-Geschäft.

Es wird weiter gewirtschaftet, bis Schalke irgendwann in ein paar Jahren richtig abgebrannt ist. Dann werden die alten Strippenzieher gehen und sagen:

Wir wollten doch nur Meister werden.

Kinder Verboten – eine lange Geschichte über SPD-Kanzlerkandidat Steinmeier, Human Rights Watch und eine Villa in Amerika

Ich will eine Geschichte erzählen. Eine lange Geschichte. Eine Geschichte, in der es um die Wahrheit geht, um das Recht eines Menschen auf seine Würde und einen Freund. Diese Geschichte handelt von der Organisation Human Rights Watch, ihrer deutschen Direktorin Marianne Heuwagen und von der Villa Aurora, aber auch vom Auswärtigen Amt des SPD-Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier. Es ist eine verwickelte Geschichte, mit Handlungsorten in Zentralasien, Bochum und Los Angeles.

SPD-Kanzlerdanidat Steinmeier mit der Direktorin von Human Rights Watch Deutschland, Marianne Heuwagen Foto: Reuters

Ich erzähle diese Geschichte, weil sie einen Blick in die Werteordnung eines deutschen Spitzenpolitikers erlaubt, wie das nur selten der Fall ist.

Wenn ich Franz Müntefering, den SPD-Chef, sehe, wie er bei der Notlandung kürzlich seinem Nächsten hilft, fühle ich mich gut aufgehoben.

Münte wird uns nicht verraten. Münte kümmert sich.

Diese Geschichte, die ich zu erzählen habe, zeigt, wie anders das Büro von Außenminister Frank-Walter Steinmeier handelt. Sie zeigt, dass Steinmeier nicht nur den Deutsch-Türken Murat Kurnaz in Guantanamo verrotten lies. Diese Geschichte zeigt, dass diese Haltung Steinmeiers gegenüber dem Schicksal des Einzelnen auf seine ganze Umgebung abfärbt. Dass diese Berater aus seinem direkten Umfeld die Macht des Systems über den Menschen stellen. Ich weiß nicht, ob irgendeiner die Geschichte hier liest. Sie ist persönlich, mit Details überfrachtet, anklagend und viel zu lang.

Hier geht es nicht um Folter und Tod. Nicht um Gefangenschaft und Mord. Dies ist die Geschichte eines kleinen Mädchens, gerade sechs Jahre alt, das ihre Tante besuchen will. Das Mädchen heißt Asha.

Galima Bukharbaeva und ihr Mann Marcus Bensmann sind unbequem. Sie stören vor allem die Mächtigen in Zentralasien. Sie durchkreuzen hier und da ihre Pläne. Zumindest versuchen sie das.

Galima Bukharbaeva und ihr Mann Marcus Bensmann haben bis vor ein paar Jahren in der usbekischen Hauptstadt Taschkent gelebt, der Heimat von Galima. Die beiden sind Journalisten. Sie haben über das Massaker von Andischan als Augenzeugen berichtet. Damals, als im Mai 2005 in der usbekischen Stadt ein paar hundert Menschen niedergemetzelt wurden.

Sie schrieben, dass der Diktator Islam Karimow hinter der Bluttat steckt, dass er damit seine Herrschaft sichern wollte. Sie haben dafür gekämpft, dass die Europäische Union Sanktionen gegen den Mörder nicht aufhebt. Galima Bukharbaeva und ihr Mann Marcus Bensmann mussten aus Usbekistan flüchten, weil sie nicht schweigen wollten. Sie waren in Lebensgefahr. Eine Kalaschnikowkugel durchschlug einmal den Rucksack von Galima, durchschlug ihren Pass und durchschlug ihren Presseausweis. Ich habe die Durschüsse, den Weg der Kugel an Galimas Rückgrat vorbei, mit eigenen Augen gesehen.

Galima und Marcus haben bei Ihrer Flucht aus Usbekistan alles zurückgelassen. Galima wurde in einem Diplomaten-Wagen aus der Gefahrenzone geschmuggelt. Es war kein deutscher Diplomat. Galima und Marcus mussten ihre Wohnung in Taschkent aufgeben und alles was darin war. Die Kleidung, die Bücher, die Ohrringe, die Urlaubsfotos, alles, was ein Mensch hat.

Aber sie haben auch die Familie von Galima verlassen. Die Freunde und alle anderen, die ihnen dort nahe standen.

Das war 2005.

Galima und Marcus leben seither aus dem Koffer. Sie haben versucht, eine neue Heimat zu finden. Sie haben in Aserbajdschan gelebt, oder in anderen Nachbarstaaten Usbekistans, wie Kirgistan oder Kasachstan. Sie wollten Usbekistan nah sein, um aus dem Land, das sie nicht mehr betreten dürfen, besser berichten zu können. Aber sie müssen die lange Hand des usbekischen Diktators fürchten. Oft genug schlägt dessen Geheimdienst auch im Ausland zu.

Die Angst hört nicht auf. Bekannte wurden gefangen, in Gefängnisse gesteckt, gefoltert und vergewaltigt.

Ihr Freund Alisher Saipov wurde im Oktober 2007 vom usbekischen Geheimdienst in Kirgistan ermordet. Mit Schüssen in die Knie und in den Kopf. Alisher und Galima waren die beiden wichtigsten Journalisten aus der Region.

Galima und Marcus mussten weiter flüchten. Sie kamen nach Deutschland, das war Ende 2007. Hier ist das Leben schwer. Fern von Galimas Heimat, fern der usbekischen Familie und Freunde. Galima und Marcus schlagen sich durch. Eigentlich wollten die beiden nur kurz in Deutschland bleiben. Nach den Präsidentenwahlen in Usbekistan zu Weihnachten 2007 hofften beide, sie könnten zurück nach Zentralasien, wenn der Verfolgungsdruck abnehmen würde.

Marcus versuchte es als Erster. Er flog im Januar 2008 alleine nach Kasachstan, um zu sehen, ob dort vielleicht ein Leben für beide möglich sei.

Der Plan scheiterte. Marcus wurde in der kasachischen Hauptstadt Astana gekidnappt, geschlagen, getreten. Seine Gesichtknochen zersplitterten, bevor ihn die Täter ohne Jacke und Schuhe in die nächtliche kasachsische Steppe warfen. Mitten im Winter, 20 Grad unter Null.

Marcus hat überlebt. Im Bochumer Bergmannsheil wurde er aufgepäppelt. Galima saß an seinem Bett, monatelang. Es war knapp.

Marcus und Galima sind meine Freunde. Ich kenne die beiden als engagierte Reporter. Ich habe angefangen, mich für diese Geschichte hier zu interessieren, weil ich mitbekommen habe, was ihnen widerfahren ist.

Nach Jahren auf der Flucht und dem mörderischen Anschlag waren Marcus und Galima erschöpft, ausgepowert. Trotzdem lernte Marcus wieder gehen und greifen. Trotzdem fing Galima wieder in Deutschland an zu Schreiben. Gegen die Macht des Herrschers in Usbekistan, jenen irrsinnigen Diktator Islam Karimow, in dessen Foltergefängnissen Menschen zu Tode gekocht werden.

Ich habe hier ein vertrauliches Dokument verlinkt aus dem Jahr 2002. Der britische Botschafter Craig Murray beschreibt darin die Lage damals. Die USA und mit ihnen auch die Deutschen haben sich mit dem usbekischen Diktator einen Verbündeten gesucht für ihren Krieg in Afghanistan, der abscheulich ist. Nicht nur der Krieg in Afghanistan selbst ist falsch, auch seine Folgen sind es. Seither hat sich nichts zum besseren verändert. Im Gegenteil. Danach passierte das Andidschan-Massaker und all die anderen Morde.

Ich bin kein Freund von Verschwörungstheorien. Und man könnte denken, ich schweife jetzt ab. Aber vielleicht gibt es doch einen Zusammenhang. Beachten Sie bitte den folgenden außenpolitischen Hintergrund, um die ganze Geschichte zu verstehen. Am Ende passt alles irgendwie zusammen. Oder auch nicht.

Im deutschen Außenministerium von Frank-Walter Steinmeier können die Geschichten von Galima und Marcus über den usbekischen Diktator nicht beliebt sein. Denn Karimow ist ein Verbündeter des SPD-Ministers und der deutschen Regierung im unseeligen Krieg in Afghanistan.

In Karimows Diktatur Usbekistan liegt ein Stützpunkt der deutschen Armee, er heißt Termes. Hierhin kommen die deutschen Panzer und Soldaten, bevor sie weiter nach Afghanistan geschickt werden, um dort zu kämpfen.

Die Deutsche Regierung gibt Karimow deswegen Geld. Die Deutsche Regierung hofiert Karimow. Die deutsche Regierung bildet usbekische Soldaten aus. Aber wichtiger noch: Das Außenministerium von Frank-Walter Steinmeier setzt sich für den Diktator in Usbekistan politisch ein.

Nach dem Massaker von Andischan hatte die EU Sanktionen gegen Usbekistan verhängt. Karimows Apparatschiks durften nicht mehr nach Europa reisen.

Eigentlich. Denn die Deutsche Politik brach die Sanktionen und ließ im November 2005 trotz Einreiseverbot der EU den usbekischen Innenminister Sokir Almatow in einer Spezialklinik nach Hannover behandeln. Almatow war einer der Hauptverantwortlichen für das Massaker von Andischan. Das auswärtige Amt, damals noch unter Joschka Fischer, rechtfertigte die Einreise des Schlächters mit humanitären Gründen.

Danach dann setzte sich Steinmeier in der Europäischen Union dafür ein, dass die Sanktionen aufgehoben wurden. Und diesem Wunsch der Deutschen widersetzte sich die EU nicht lange.

Als Steinmeier das geschafft hatte, reiste als einer der ersten Karimow-Funktionäre der usbekische Stasi-Minister nach Deutschland. Er kam nicht mit leeren Händen: Der Stasi-Minister brachte die Geständnisse angeblicher Terroristen mit. In Deutschland wurden diese Geständnisse im Terrorprozess gegen die Sauerland-Gruppe benutzt.

Ich weiß nicht, ob die Geständnisse aus den usbekischen Folterkellern der Wahrheit entsprechen. Ich weiß aber, dass ich Foltergeständnissen nicht glaube. Und ich weiß, dass ich es widerlich finde, wenn deutsche Ermittler nach Usbekistan in die Folterkeller fahren, um die Geständnisse zu überprüfen, indem sie die Folteropfer vor Ort vernehmen.

Marcus und Galima haben über diese Sachen berichtet. Und über mehr. Sie haben über die Sanktionen geschrieben, haben aufgeklärt, dass sich vor allem das deutsche Außenministerium unter Steinmeier für den Diktator Karimow einsetzt.

Im vergangenen Jahr wurde Galima nun ein Stipendium angeboten. Sie sollte als „writer in exile“ in die Villa Feuchtwanger nach Los Angeles fahren. Dort sollte sie sich erholen. Und mit ihr Marcus. Die beiden wollten ein Buch über Zentralasien schreiben. Sie freuten sich auf die Ruhe, auf einen Zwischenstopp ihrer ständigen Flucht, sie wollten ihr Leben ordnen. Galima und Marcus traten ihr Stipendium in diesem Mai an.

Eingeladen hatten zu dem Stipendium ein Verein: er nennt sich Freunde der Villa Aurora. Eingeladen hatte vor allen die Kuratoriumschefin der Villa Aurora: Marianne Heuwagen.

Die Fast-Rentnerin war mal Journalistin. Seit ein paar Jahren ist sie Chefin der deutschen Sektion von Human Rights Watch und nebenbei ist sie wie gesagt Kuratoriumschefin der Villa.

In der Villa Aurora in Los Angeles hatte einst der deutsche Schriftsteller Lion Feuchtwanger und seine Ehefrau Martha Zuflucht vor den Nazis gefunden. Die Villa wurde während der Diktatur in Deutschland eine Anlaufstelle für deutsche Exilanten. Viele hatten es schwer sich in der Fremde zurechtzufinden. Die Villa Aurora und das Ehepaar Feuchtwanger boten ihnen eine Insel an. Nach dem Tod der Feuchtwangers sollte der Gedanke an das Exil Aufrecht erhalten werden. Deshalb hat sich in den USA und Deutschland jener Freundeskreis gegründet, der aus der Villa eine Künstlerresidenz machte. Unter anderem wird jedes Jahr ein Schriftsteller oder Journalist aus einer Diktatur eingeladen. Dieser „writer in exile“ soll in der Villa Feuchtwangers fern der täglichen Kämpfe im Exil Ruhe finden, um sich einem langfristigen Projekt widmen zu können. Die Villa schreibt auf ihrer Webseite zu dem Writer in Exile Programm:

In Zusammenarbeit mit wichtigen Menschenrechtsorganisationen und der Feuchtwanger Memorial Library an der University of Southern California (USC) vergibt die Villa Aurora jährlich ein bis zu zwölfmonatiges Aufenthaltsstipendium für einen in seinem Heimatland verfolgten Schriftsteller (Feuchtwanger Fellowship). Mit diesem Programm erinnert die Villa Aurora an die historische Verfolgung und macht gleichzeitig auf die weltweit andauernde Unterdrückung freier Meinungsäußerung aufmerksam.“

Galima war bis zum Massaker von Andischan 2005 in der usbekischen Karimow-Diktatur eine der einflussreichsten Journalistinnen. Mutig hat sie trotz ständiger Drohung des Geheimdienstes gegen Folter, Korruption und Machtwillkür angeschrieben. Als sie nach dem Massaker fliehen musste, hat sie ihre Arbeit im Ausland fortgesetzt. Sie hat vor dem US-Kongress in Washington und vor dem EU Parlament in Brüssel Zeugnis über das Massaker abgelegt. Sie hat in der Herald Tribune und in der Süddeutschen Zeitung über das Regime in Usbekistan berichtet. Zudem verantwortet Galima aus dem Exil heraus die usbekische Webseite uznews.net. Diese Seite gehört zu den wichtigsten, unabhängigen Quellen über die Diktatur in Usbekistan. Für ihre Berichterstaatung erhielt sie in New York den Freedom of Press Award.

Galima organisiert, wo sie kann, den Informationsfluss über verhaftete und gefolterte Menschen in Usbekistan. Das usbekische Regime hasst sie dafür. Regelmäßig entfachen die regierungshörigen Medien in Usbekistan Hetzkampagne gegen Galima. Knapp ein Jahr nach dem Mord an Alischer Saipov bezeichnete die Sprecherin der usbekischen Staatsanwaltschaft Galima und Marcus auf einer von der EU inszenierten Medienkonferenz als

Informationsterroristen“.

Usbekische Freunde und Kollegen von Galima schweben in ständiger Angst, verhaftet zu werden, weil sie Galima kennen. Nicht zuletzt sorgt sich Galima immer um ihre Familie, die in Usbekistan geblieben ist.

Wenn die Freunde der Villa Aurora ihr Programm ernst nehmen, haben sie mit Galima die richtige Person eingeladen.

Allerdings war sich die Villa unter Heuwagen nicht sicher, ob sie Galima einladen soll. Streng genommen lebte sie ja schon nicht mehr in Usbekistan, und musste nicht erst ins Exil geholt werden. Andererseits muss ein Mensch immer sein Heimatland verlassen, um in ein Exil zu gehen und dann als „Writer in Exile“ zu gelten. Und das Programm heißt ja auch so. Wie dem auch sei, schließlich verzichtete das Kuratorium unter Heuwagen auf Haarspaltereien und lud, wie gesagt, Galima und ihren Mann Marcus ein.

Die Villa ist ein schöner Ort. Am Rand von Los Angeles stehen die drei Stockwerke im Stadtteil Palisades. Umgeben von Palmen und Ruhe. Ab und an eine Lesung oder ein Konzert. Ab und an eine Feier der deutschen Filmschaffenden – wenn zum Beispiel der Oscar verliehen wird.

An diesen Ort verfolgte Schreiber aus aller Welt zu holen, ist sicher eine gute Idee. Seit das Programm im Dezember 1995 ins Leben gerufen wurde, kamen Reporter und Schriftsteller aus Nigeria, Birma, Pakistan, Kongo, Turkey, Afghanistan, China und Algerien.

Die Villa ist aber auch ein Ort mit dem sich eitle Menschen schmücken können. Und damit komme ich zurück zu meiner Geschichte.

Asha ist die Nichte von Galima. Ein liebes Kind, aufgeweckt, lachend, interessiert, verspielt. Ein Kind mit dem Galima und Marcus gerne ihre Zeit verbringen.

Seit ihrer Flucht aus Usbekistan versucht Galima ihre Schwester und die Nichte Asha einmal im Jahr zu sehen. Irgendwo auf der Welt. In Indien, in Deutschland, in Kasachstan, in England. Meist haben sie es geschafft.

In diesem Jahr wollten sie sich in Los Angeles treffen. Galima und Marcus fragten bei der Villa nach, ob Asha mit ihrer Mutter, Galimas Schwester, bei ihnen in der Villa übernachten könnte. Für ein paar Tage nur. Zunächst sah alles gut aus. Galima und Marcus wollten für die Flugkosten und die Übernachtungen bezahlen, die Villa sollte damit nicht behelligt werden.

Zwar heißt es in der Hausordnung der Villa, dass Kinder nicht erwünscht sind im Haus von Lion Feuchtwanger, aber man werde vielleicht eine Ausnahme machen. Das sagte eine Mitarbeiterin zu Marcus und Galima, eine der leitenden Angestellten der Villa. Zunächst half die Organisation von Marianne Heuwagen sogar dabei, der Nichte von Galima und ihrer Mutter Visa zu besorgen für die USA.

Für Menschen, die im Exil leben, ist es wichtig, die Verbindung in die Heimat zu halten, in die Familie. Sie sind nicht freiwillig weg, im Urlaub. Sie sind dazu gezwungen, in der Fremde wie in einem Gefängnis zu leben, ohne Aussicht auf Heimkehr.

Exil und die Sehnsucht nach der zurückgebliebenen Familie gehören zusammen, wie Einsamkeit und Schmerz. Das muss gerade eine Organisation wissen, die sich der Erinnerung an das Exil-Elend auf die Fahne geschrieben hat. Zudem war Galima ja nicht wie die anderen eingeladenen Künstler nur für drei Monate in Los Angeles, sondern sollte für viele Monate bleiben.

Was ich damit sagen will: Ich denke, den Wunsch die Familie zu sehen, kann jeder verstehen, der mitfühlend ist.

Die Villa hat ein Gästezimmer. Wenn dieser Raum nicht von einem zusätzlichen Sitpendiaten genutzt wird, können Gäste dorthin eingeladen werden. So ziemlich jeder darf da schlafen. Für 75 Dollar die Nacht. Man muss sich nur mit der Führung der Villa verstehen. Mit Marianne Heuwagen etwa. Immer wieder kamen dorthin Leute wie Führungspersonal des Goethe-Instituts beispielsweise. Dieses Gästezimmer sei je nach Verfügbarkeit zum Besuch frei, sagte man Marcus und Galima. Die Nichte Asha und die Schwester könnten dort sicher die wenigen Tage schlafen. Galima und Marcus freuten sich auf die Nichte, auf ihr Lachen.

Alles schien gut zu sein.

Doch es kam anders.

Die Villa unter Marianne Heuwagen hat sich, wie gesagt, eine Hausordnung geschaffen, in der Kinder verboten werden. Und Marianne Heuwagen war entschlossen, die Hausordnung, die unter ihrer Verantwortung entstanden ist, über Gefühle zu stellen.

Heuwagen ließ mittteilen: Hausordnung ist Hausordnung – Basta. Insbesondere die sechsjährige Asha sei unerwünscht. Das Kinder-Verbot gelte.

Das ist dumm, aber nachvollziehbar. Verbohrte Kleingeister, die den Maßstab für Güte verlieren und Hausordnungen über Menschlichkeit stellen, gibt es überall.

Nicht nachvollziehbar ist allerdings, wie es weiterging.

Als man Galima schließlich den Beschluss mitteilte, dass der Besuch der Nichte und der Schwester nicht gestattet werde, sagte Galima, dass sie dann ebenfalls nicht in der Villa bleiben könne. Sie wolle nicht an einem Ort sein, der ihrer Schwester und ihrer Nichte Asha verboten werde, obwohl sie tausende Kilometer aus dem Verfolgerland anreisen würden. Für einen Besuch von vielleicht zehn Tagen.

Galima und Marcus sagten, sie würden aus der Villa ausziehen und zu Asha und ihrer Mutter gehen.

Die Villa-Mitarbeiter waren überrascht. Eine Mitarbeiterin bat, doch noch eine Woche mit dem Auszug zu warten – bis Montag, dann würde die Führung der Villa eine endgültige Entscheidung fällen.

Dann hieß es plötzlich, die Keine-Kinder-Regel hätten die Behörden von Los Angeles als Bauauflage verhängt. Wenn die Villa dagegen verstoße, bestünde die Gefahr, dass die Nachbarn der Villa den Regelverstoß sähen und ihn zu Anzeige brächten. Daher sei wohl keine Ausnahme vom Kinder-Verbot in der Hausordnung möglich.

Marcus und Galima wurden hingehalten. Man warte auf eine Entscheidung aus Berlin, hieß es immer wieder, ob Asha bei ihrer Tante übernachten dürfe.

Marcus und Galima gerieten in Stress. Jeden Tag, jede Nacht. Darf die Nichte kommen? Darf sie nicht kommen? Was sollen wir tun? Der Tag der geplanten Anreise rückte näher. Keine Reaktion.

Marcus schrieb Briefe an die Geschäftsführerin der Villa und an den damaligen Vorsitzenden der Villa, Freimuth Duve, Briefe, in denen er deutlich machen wollte, warum der Familienbesuch für einen im Exil lebenden Menschen wichtig sei und die Villa, sollte sie das „Writer in Exile“-Programm ernst nehmen, dieses verstehen müsste. Er versuchte seinen Standpunkt klar und deutlich zu machen. Auch um sich und seine Frau Galima zu schützen, vor dem emotionalen Stress einer Flucht aus dem Haus von Lion Feuchtwanger.

Mitch Markowitz ist ein Freund der Villa. Er wohnt nicht weit weg und kommt gerne auf einen Sprung vorbei.

Mitch Markowitz ist nicht irgendwer. Er hat bis vor wenigen Jahren als Drehbuchautor gearbeitet. Er schrieb Skripte für die Serien „Monk“ und „MASH“. Er hat das Drehbuch für „Good Morning Vietnam“ geschrieben und andere Filme.

Mitch Markowitz fühlt sich als Jude der Idee verbunden, Menschen auf der Flucht vor Unterdrückung zu helfen, indem sie im Haus eines vor den Deutschen geflüchteten Juden eine vorübergehende Heimat finden.

Mitch hat die Geschichte von der angeblichen Keine-Kinder-Regel gehört; er hat von der Sorge Galimas und Marcus gehört und er hat an die Villa Aurora einen mitfühlenden Brief geschrieben:

I was just informed that a visiting journalist from Uzbekistan who had to escape from that country and having been denied her basic human rights there and had to flee and seek political refugee status, and is staying at Villa Aurora has been denied by the Villa to have have her six year old niece a short stay at the villa of two weeks.

This is astonishing to me. I know it is the policy of the Villa Aurora not to allow children to stay at the villa, but this woman is a political refugee who has fled her country because of political repression; she was marked for murder.

Her friends have been murdered.

Her husband was kidnapped and beaten and left for dead.

Now they are staying at the Villa as part of a program designed in part by the German government to aid political refugees like her.

Lion Feuchtwanger himself was a political refugee.

Do you think if he was staying at the house now it would be appropriate for a free government like the US or German to deny a young family member the right of a brief of two weeks if there was room in the house to give a political refugee some brief comfort?

I believe the Villa Aurora has been a great refuge for artists and writers and journalists for a long time and is a great resource both for our community and for the European and the world community, and it is a great treasure.

I admire the work you have done, and i been privileged all these years to have been and invited artist filmmaker, and have attended many wonderful gatherings there.

I have met many wonderful artists and journalists and these people have enriched my life immearsurably.

I hope you can prevail upon the German government to make an exception for Galima Bukarbhaeva and her husband Markus and allow a child, Galima’s niece, a brief stay at the villa.

Galima is not simply an artist who is staying at the villa at the pleasure of the German government.

She and her husband are people who have suffered greatly at the hands of one of the most corrupt and brutal dictatorships in the world — a distinction that government shares with the likes of Burma (where I have spent a great deal of time working with impoverished musicians), North Korea, and Iran.

Having escaped from the brutality of the Karimov regime, I believe Galima and her husband are refugees who deserve to be treated with a special brand of compassion and for whom certain rules, perhaps, need not necessarily apply.

I believe that for certain people who have been through a great deal of terror in their lives, we must be especially kind and especially generous and put certain rules aside.

Such people have suffered at the hands of history. We must honor them instead. Mr. and Mrs. Feuchtwanger, and other Jews during the war, writers, journalists, dissidents from various repressive regimes from around the world and all other displaced persons who have not been free to do in their home countries what they should have been free to do should, perhaps be shown a degree of courtesy the rest of us do not perhaps deserve.

As a Jew who did not live through the holocaust, for example, I do believe that people who did deserve more than I deserve. For someone who had to escape terror in their nation, I do believe they deserve a degree of courtesy I, or other artists perhaps do not.

Won’t you Please ask the German government to make an exception to their rules and allow this lady’s child to stay at the Villa for perhaps a week or two. It will be a very good deed. It’s rules, after all, that forced these people to flee their country in the first place. Can we show these people we are better than that?

Sincerely yours, and with great respect to you, the Villa Aurora, and the German government whom I admire and respect greatly,

Mitch Markowitz, Screenwriter

Es kam der entscheidende Montag, irgendwann im Juni.

Es kam allerdings immer noch keine Reaktion aus Berlin – keine Reaktion von Marianne Heuwagen und der Villa. Noch nicht mal der Hinweis, dass die Freunde der Villa und ihr Vorstand von dem Problem gehört hätten, und noch einige Zeit zur Beratung bräuchten.

Selbst am Abend, als der Arbeitstag in Berlin schon lange zu Ende war, kam keine Reaktion. Marcus und Galima gingen in das Büro der Angestellten, um nach dem Entscheid zu fragen. Noch am Freitag, hatten die Angestellten gesagt, sie seien nur Messanger, „Überbringer der Botschaft“, doch es kam keine Botschaft.

Es hieß nur von den Angestellten der Villa, man wisse nicht, wann die Entscheidung aus Berlin komme.

Berlin schweigt.

Man würde schon Bescheid geben, vielleicht morgen, vielleicht übermorgen. Galima und Marcus mögen sich gedulden.

Dann drehten sich die Angestellten der Villa ab und unterhielten sich untereinander über einen Film oder so, vielleicht auch über das Wetter.

Sie ließen Marcus und Galima stehen. Dumm stehen. Traurig stehen. Wütend stehen.

Galima und Marcus waren mit den Nerven am Ende. Galima schrie die Angestellten der Villa an, wenn sie nur Botschaften überbrächten, sollten sie endlich eine Botschaft überbringen und sagen, was los ist.

Nachher legte man Galima diese Erruption der Enttäuschung als „gestische Gewalttätigkeiten“ aus. Und man versuchte ihre Wut als „masslose Aggressivitäten bis hin zu fast körperlicher Bedrohung“ auszulegen. So steht es in Emails, die mir vorliegen.

Was für Worte. Ich kenne Galima. Sie ist sehr schlank, sehr weiblich. Was soll das sein: „eine fast körperliche Bedrohung“ eine „gestische Gewalttätigkeit“?

Galima hat die Angestellte der Villa beschimpft, ja. Sie hat sie angeschrien, ja.

Hatte sie ein Recht dazu? Bestimmt nicht.

Aber sie war auf jeden Fall ein Mensch in einer Notlage, machte sich Sorgen um ihre Nichte und hat sich mit Worten gewehrt. Sie hat keinen Stein geschmissen und keinen Menschen geschlagen.

Die Villa schmückt sich mit einem „Writer in Exile“-Programm. Ein „Writer im Exile“, wie Galima, hat im Kampf um die Freiheit des Wortes schlimmes erlebt. Die Diktatur, ein Massaker, die Flucht, der Kampf im Exil, die Drohungen des Staates, die verhafteten und ermordeten Freunde und Kollegen.

All das bleibt im Menschen, formt einen Menschen.

Wenn ich höre, wie arrogant die Villa und vor allem Marianne Heuwagen mit Galima und Marcus umgegangen sind, denke ich, die Leite wissen nicht, welche seelischen und psychischen Belastungen das Exilschicksal mit sich bringt.

Doch das war nicht alles. Heuwagen hat nachgelegt:

Am nächsten Tag kam ein Brief von der Geschäftsführerin der Villa, Mechthild Borries-Knopp. In einem Rundschreiben an alle möglichen Leute hieß es dort:

„Dear Galima and dear Marcus,

I am writing this letter to you on behalf of the Board of Directors of Villa Aurora and the Chair of our Kuratorium, Marianne Heuwagen, who is the director of Human Rights Watch in Germany.

….

Let me remind you also of the concept of our Feuchtwanger Fellowship Feuchtwanger Fellowship. Each year, together with important human rights organizations and the Feuchtwanger Memorial Library at the University of Southern California (USC), the Villa Aurora awards the Feuchtwanger Fellowship. This is a grant for up to twelve months residency for a writer who is persecuted in his or her homeland. The program was founded in honour of the European exiles of the past who found refuge in Los Angeles. It is also intended to remind us of the intellectual repression that continues today.

Galima is the first fellow whom we granted the fellowship, although she already has found refuge in Germany since 2005, and is not in actual danger of being persecuted in Germany.

….

When XY (Namen unkenntlich gemacht d. Autor) proposed Galima as the Villa Aurora fellow for 2009, we had a lot of doubts first, because she already had lived in Germany since 2005, being married to a German, and thus not fitting in our concept (in accordance with the German Foreign Office) of helping writers who are living in their countries under continuous persecution or observation as dissidents.

But we were finally convinced by the project which Galima wanted to realize at the Villa: to write a book about her traumatic experiences in Usbekistan. We decided to make one exception in her case, and to grant this working fellowship to a journalist living in refuge in Germany in order to help Galima to be able to write this book and to reach a broader public in communicating her tragic experiences.

All the discussions, the tensions and misunderstandings have nothing to do with this fellowship and the conditions under which they are granted. If these discussions continue in this violent and insulting way, we might be forced to cancel the program for Galima, and grant the fellowship to a writer who needs it desperately, -unfortunately there are so many persecuted writers even nowadays in many countries, and this is such a generous and precious fellowship that we would like to grant it to somebody who can really appreciate and honour it.”

Haben sie den Brief von Frau Dr. Borries-Knopp verstanden?

Ich fass den langen Atem mal mit meinen Worten auf das Wesentliche zusammen:

Die Villa dient dem Gedenken Feuchtwangers. Wir sind wichtig und haben lange Namen. Galima passt nicht ins Konzept. Sie ist gar kein richtiger Flüchtling. Aber wir haben beide Augen zugedrückt. Und wenn Galima nicht die Klappe hält, fliegt sie raus. Der Wunsch seine Familie zu sehen ist kein Menschenrecht. Es gibt genügend andere erbärmliche Kreaturen, die wir uns holen können, die kein Ärger machen. Und unsere Wohltaten zu würdigen und zu ehren wissen.

Diese Aussage finde ich nicht nett. Es geht frei nach dem Motto: Tanz nach unserer Pfeife, Kaninchen. Wir bezahlen Dich schließlich.

Aber das ist nicht alles.

Bitte beachten Sie folgendes: Der Brief spielt mit Unwahrheiten.

Galima lebt gar nicht seit 2005 in Deutschland. Wie oben beschrieben lebte Galima damals mit Marcus in Kasachstan, in Aserbajdschan, in Kirgistan. Sie waren nach dem Massaker und der Entkommen aus Usbekistan vielleicht drei oder viermal in Deutschland – zu Besuch, um ein paar Wochen von ihrer ständigen Flucht zu verschnaufen. Erst nachdem Alisher Saipov ermordet wurde, kamen die beiden Ende 2007 für längere Zeit nach Europa.

Und welche Rolle spielt es überhaupt, ob Galima mit einem Deutschen verheiratet ist?

Die Geschäftsführerin der Villa verbreitet weiter Unsinn.

Frau Dr. Borries-Knopp besteht mir gegenüber darauf, dass dies ein interner Brief gewesen sei. Aber warum schickt sie dann den Brief nicht nur an den Vorstand sondern auch an Menschen, die nichts mit der Villa-Organisation zu tun haben. Der Adressenverteiler liegt mir vor. Ihre Rundmail bekamen alle möglichen Menschen, die sich für den Fall interessieren könnten und die sich mit Galimas Fall beschäftigt haben.

Diese Menschen, auch die honorigen Vorstände des Trägervereines mussten den Eindruck gewinnen, Galima sei eine ungebührliche, keifende Schnorrerin. Diese Menschen mussten denken, Galima sei gar keine Exilatin im Sinne des „Writer in Exile“-Programms.

Dieser Brief ist der Versuch einen Ruf zu ermorden.

Die Menschen, die den Brief bekamen, erfuhren nicht, dass man Galima und Marcus hingehalten hat. Über Tage und über Wochen. Sie erfuhren nicht, dass die Villa zunächst dem Aufenthalt von Asha und Galimas Schwester eher positiv gegenüberstand.

Bitte merken Sie sich das, weil das Erwecken von Eindrücken noch eine Rolle spielt in der Geschichte. Die Villa Aurora arbeitet mit Zwischentönen, um Leute ins schlechte Licht zu rücken.

Denn diese Attacke sollte nicht reichen. Die Villa hat weiter auf den Ruf von Galima geschossen.

Ich bringe jetzt einen Brief von Marianne Heuwagen, den Frau Dr. Borries-Knopp ebenfalls in ihrer Rundmail an alle möglichen Interessierten verschickt hat.

Ich zitiere die Passage, mit der Borries-Knopp eine Art juristische Stellungnahme von Heuwagen ankündigt:

“I am attaching a letter from Marianne Heuwagen, who is devoting all her work to human rights issues, to clarify the situation for Villa Aurora from the legal side of our situation.

Später hat Frau Dr. Borries-Knopp behauptet, Heuwagen habe keine juristische Stellungnahme abgegeben. Aber im ernst: wie ist der obige Satz anders zu verstehen? Es hieß: Heuwagen wolle “clarify the situation for Villa Aurora from the legal side of our situation.”

Aber egal: Bitte lesen Sie den folgenden Brief von Heuwagen aufmerksam durch. Denken sie daran, dass Galima ein Flüchtling ist, denken sie an die Kugel durch ihren Rucksack, denken sie an ihren erschossenen Freund Alisher Saipov und an ihren fast erschlagenen Mann Marcus.

Lesen Sie jetzt diesen Brief und denken Sie daran, dass ihre Nichte und Schwester in ein paar Tagen anreisen. Denken Sie daran, dass Sie in einem fremden Land sind und nicht wissen, wo ihre Verwandten oder sie selbst schlafen sollen. Denken Sie daran, dass ein Vertreter der Villa Aurora zuerst gesagt hat, es könne eine Ausnahme gemacht werden und die beiden können in der Villa bleiben. Denken Sie daran, dass dieser Vertreter der Villa Aurora zuerst geholfen hat, ein Visum zu besorgen, und dann weitere Hilfe verweigerte, weil „Berlin“ anders entschieden habe.

Denken sie an das Lachen eines sechsjährigen Kindes, ihrer Nichte.

Und jetzt lesen Sie den Brief:

„Dear Mechthild,

as you know, I know Marcus and Galima from my work with HRW (Human Rights Watch). You should stress in your conversation with them the following points:

It is not the VA, that does not allow children stay there, it is the City of LA and/or the Coastal Commission. It took us years to get the permits; it took us even more years to get the Villa running and operating. We cannot risk loosing any of those permits because one writer in exile wants his family and/or children to stay.

During all the 15 years we have been working on this, never once did anybody from the board or the dedicated volunteers who set up VA stay there for vacation purposes, not once, never. Their request has nothing to do with human rights and we should not allow them to misuse the issue of human rights and prosecution in this context, it is despicable

Last but not least, someone at VA should explain to them, that they better keep the ball low – as they say in German soccer, because Galima is really not the “writer in exile” the program was set up for and I would hate to see anyone in the press or German parliament raise that issue. She has been living in Germany already for four (!) years in a safe heaven: and she is by no means threatened, only if she would return to Uzbekistan, which she does not need to do, because her husband is German!

As you know, the program was set up for writers who are currently threatened.

We are already very generous in letting a couple stay and letting Marcus stay with her. There is no need to extend our hospitality to further family members, particularly children.

You can mention my name, if you wish, but I do not want to hear from Marcus or anybody else in that matter again, its is too annoying.

Kind regards

Marianne

Marianne Heuwagen;

Direktorin des Deutschland-Büros, Human Rights Watch”

Ich will auf diese Punkte eingehen:

Marianne Heuwagen hat diesen Brief mit der Autorität einer Direktorin von Human Rights Watch geschrieben. Von der Kanzel herab. Sie hat diesen Brief von der Villa-Geschäftsführerin über eine Rundmail verschicken lassen. Das ist zunächst intrigant geschickt, denn so könnte sie immer nachher sagen, ich wollte den gar nicht rumschicken – die Frau Dr. Borries-Knopp hat das auf eigene Rechnung getan.

Dann die Details: Marcus wurde ein knappes Jahr zuvor fast erschlagen. Nicht in Usbekistan, sondern in Kasachstan. Überhaupt, was spielt es für eine Rolle, was der Mann von Galima für eine Nationalität hat?

Gar keine. Galima kann in Deutschland leben, weil Galima gemäß des UN-Abkommen vom 28. Juli 1951 einen Flüchtlingpass besitzt. Die deutschen Asylbehörden haben in Galima das gesehen, was sie ist: ein politischer Flüchtling. Galima hätte nach ihren Berichten über das Massaker in Andischan in jedem freien Land Asyl bekommen. Deutschland war hier weder besonders gnädig, noch hat die Asylentscheidung mit der Ehe zu einem Deutschen zu tun.

Was will Heuwagen dann damit sagen, dass Galima einen Mann in Deutschland hat? Ich höre einen Zwischenton. Meint Heuwagen, Galima habe sich einen Mann aus Deutschland geangelt, um hier im Westen rumzuschnorren? Soll die Behauptung, Galima sei eine Schnorrerin, zwischen den Zeilen verfestigt werden,  so wie es schon im Brief von Mechthild Borries-Knopp stand?

Vielleicht will Heuwagen aber auch sagen, dass sich die Probleme des Exils in Luft auflösen, wenn man mit einem Deutschen verheiratet ist?

Und wieder Unwahrheiten in den Zwischentönen. Galima hat nicht vier Jahre in Deutschland in einem sicheren Hafen gelebt. Was für ein verlogener Unsinn. Sie ist erst seit Ende 2007 dauerhaft im Land. Seit dem Anschlag auf Marcus in Kasachstan und den Mord an Alisher Saipow in Kirgistan ist klar, dass Galima auch in anderen Ländern als Usbekistan bedroht ist.

Auf einer Medienkonferenz, die das Auswärtige Amt in Bischkek organisiert hat, traf wenige Monate vor dem Mord an Alisher Saipov eine Delegation aus Usbekistan auf Marcus. Ein usbekischer Delegierter sagte, usbekische Dienste wüssten, dass Galima in Aserbaidschan ihre propagandistische Arbeit gegen Usbekistan fortsetzte. Marcus hat das als Drohung aufgefasst. Sie gaben ihr Quartier in Aserbaidschan auf. Alisher wurde wenig später im kirgisischen Exil erschossen.

Nachdem Marcus auf der Konferenz über das Massaker in Andischan berichtet hatte, stand ein usbekischer Delegierter auf und zeigte auf Marcus. Er sagte unwidersprochen im Beisein hochrangiger deutscher Diplomaten, die Tatsache, dass Marcus noch am Leben sei, wäre der Beweis für seine Lügen. Denn hätten die Usbeken in Andischan ein Massaker verübt, dann hätten sie als ersten Marcus erschossen.

Egal, zurück zum Brief von Heuwagen.

Wie gesagt: In der Villa gibt es ein Gästezimmer, in denen jeder Freund der Villa, oder sollte ich sagen, jeder Freund von Heuwagen und deren Freunden, für 75 Dollar schlafen kann. Dort haben immer wieder verschiedenen Gäste gewohnt, die zu Besuch kamen, um ein paar Tage abzuhängen. Das nur zum Satz:

During all the 15 years we have been working on this, never once did anybody from the board or the dedicated volunteers who set up VA (Villa Aurora) stay there for vacation purposes, not once, never.”

Das Gästeprogramm steht sogar im Internet. klick

Und hören sie die Drohung:

Last but not least, someone at VA should explain to them, that they better keep the ball low – as they say in German soccer, because Galima is really not the “writer in exile” the program was set up for and I would hate to see anyone in the press or German parliament raise that issue.”

Will Heuwagen Galima ausweisen lassen? Will sie Galima im Parlament und in der Presse als Sozialbetrügerin verunglimpfen, als Schnorrerin? Ihren Ruf ruinieren? Was soll das heißen?

Aber richtig will ich unten auf einen anderen Punkt eingehen. Heuwagen schreibt:

It is not the VA, that does not allow children stay there, it is the City of LA and/or the Coastal Commission. It took us years to get the permits; it took us even more years to get the Villa running and operating. We cannot risk loosing any of those permits because one writer in exile wants his family and/or children to stay.

Heuwagen schiebt hier die Verantwortung für das Kinder-Verbot in der Villa auf andere ab. Und zwar auf die amerikanischen Behörden. Genau auf die Behörden, die einst Feuchtwanger und seine Frau auf ihrer Flucht vor den Deutschen aufgenommen haben.

Heuwagen sagt, es ist nicht die Hausordnung, die Kinder verbietet. Eine Hausordnung kann der Hausherr, also sie selbst als Kuratoriumschefin, ändern, anpassen oder ignorieren.

Es sind aber laut Heuwagen die übermächtigen Behörden, die Kinder verbieten. Die amerikanischen Behörden sind es, die uns wohl meinenden Deutschen Milde und Mitgefühl untersagen.

Mitch war einer der Empfänger der oben angesprochenen Rundmail. Mitch hat auf den Brief von Heuwagen reagiert:

„Dear Marianne Heuwagen:

I have thought long and hard, and for days, about your letter concertning the journalist Galima Boukharbaeva printed above. While I can understand how it can be taken as a triviality as to whether or not the Villa Aurora would allow or not allow her small niece to stay with her for two weeks, I have heard both sides, from both sides, and I found the comments in your letter demeaning, arrogant, inappropriate, and very damaging considering your position at Human Rights Watch.

I was shocked by your words because you are speaking from a high public platform.

Words like that should not come from that platform.

If words like yours become public, they could, in fact damage an organization I believe has done a great deal of good work in a world of bad deeds.

Human Rights Watch is an organization that does not need any bad press.

I myself do some humanitarian work abroad in Burma, I teach the Karen people every year, gratis. My work is unsubsidized by any organization, or government, and I have been doing the work since 2001. I started two orchestras in Burma and this work, along with the work of other dedicated professionals, has resulted in a number of talented Karen students to receive scholarships and study at music conservatories abroad in places like Austria, Thailand, and Singapore. Some lives of impoverished and oppressed people, in other words, have been changed forever.I recieve no help whatsoever.

A letter like yours makes me glad I have not taken money from anyone because I have always been afraid of large organizations and the people who rise to the top within them. Who are they? What are their motives?

For example, an in all modesty, I think Human Rights Watch should maybe have a second look at who you are.

Who are you to decide what is a trifle in the life of someone who has been forced into political exile, whose friends have been tortured and murdered, whose husband has been beaten and left for dead, and who has to live in a country without her family?

Who are you to decide whether a visit from her niece is a bother or not, or for how many years she has lived somewhere or whom she married?

This is not any business of yours, and these are shocking words coming from some someone at Human Rights Watch. Just shocking.

It is one thing to take a side.

It is quite another to take an ATTITUDE, a condescending attitude, an arrogant attitude, and to EXPRESS that attitude to someone who has suffered greatly, particularly when you are doing that from the platform of a humanitarian organization. From the helm of a district office of an organization that espouses values that are defined to be high minded and humane, I don’t think it is appropriate.

If this issue was a bother to you, if ANY issue concerning ANY political refugee AT ANY TIME, and FOR ANY REASON, is a BOTHER TO YOU,

excuse my presumptive reasoning, but you may have the wrong job.

I once paid a visit a temple which is considered by Burmese, about an hour outside Rangoon, and which sits on a very serene lake, to be among the holiest Buddhist sites in Burma. A simple sign there, translated in English, Burmese, and Pali, reads, “The most important things in life are patience and tolerance.” In all of Buddhist thought, at the most holy of Buddhist sites in Burma, one of the most troubled, disgusting, military dictatorships in the world, as well as one of the most devout Buddhist nations, this is what the monks chose to say on the modest sign, erected there.

Let me leave you with this.

I choose to forgive you for what you have said to Galima.

But I also want to say that in doing so, you have done some damage, that you have misrepresented a great organization, and you left, in my mind, anyway, a great deal of doubt, about what your organization stands for, what you stand for, and why you have the job you have.

Mitch Markowitz

Screenwriter“

Gute Worte. Treffende Worte. Galima und Marcus haben die Villa nach dem Brief von Mariane Heuwagen verlassen. Sie sind in ein Motel gezogen. Sie haben auf eine Entschuldigung gewartet. Sie haben bei Freunden von Human Rights Watch nachgefragt, was die davon halten, dass die Deutschland-Chefin der Organisation so einen Brief an eine verfolgte Journalistin im Exil schreibt. Marcus und Galima haben gewartet. Nichts passierte.

Aber Marcus und Galima haben in den Staaten Freunde gefunden, die ihnen geholfen haben, Galimas Nichts und Schwester aufzunehmen.

Von der Villa Aurora und Marianne Heuwagen kam keine Reaktion.

Oder, nein, das ist nicht richtig. Eine Reaktion gab es – eine einzige. Die Villa Aurora hat Galimas und Marcus US-Visum offiziell kündigen lassen. Ausreise in maximal vier Wochen. Verpisst Euch.

Als ich das Ganze gehört habe, dachte ich spontan, dass es die von Heuwagen behauptete Keine-Kinder-Regel nicht geben kann. Nicht in Amerika.

Die dürfen da Waffen tragen, um zur Not die Regierung zu stürzen. Und dann soll im Land der Freien die Regierung irgendwem verbieten dürfen, Kinder aufzunehmen? An so eine Regel können nur Deutsche glauben, dachte ich.

Ich habe angefangen zu bohren. Zu suchen. Zu fragen.

Amerika ist frei.

Ich habe die Umbaugenehmigungen für die Villa Aurora bekommen. Ich habe die Betriebgenehmigungen bekommen. Ich habe die Änderungsgenehmigung bekommen und die Anhörungen. Einfach alles. Ich habe die Coastal Comission, die City of LA und den Bezirk Pacific Palisades genervt. Ich habe alle Stellen und Ämter durchstöbert.

Falls es jemanden interessiert: Hier habe ich alle Dokumente der amerikanischen Behörden zur Villa Aurora, die ich bekommen habe, in einem Zip-Ordner zum Download zusammengefasst. Klick.

Da kann man alles nachlesen.

Es gibt Beschränkungen, wer wann wo parken darf, wie viele Menschen in der Villa wohnen dürfen und wie viele dort arbeiten. Von einer Herberge, in der man sich Zimmer mieten kann, ist zwar nicht die Rede, aber von Gästezimmern und Künstlern, die man einladen wolle.

Soweit so gut.

Nirgendwo habe ich die Keine-Kinder-Regel gefunden. NIRGENDWO.

Stattdessen schrieb Al Padilla von der Coastal Comission:

I cannot think of any governmental agency, State or City, that would place such a restriction. ”

Edgar Garcia von der Cultural Heritage Commission, die für den Denkmalschutz in der Villa verantwortlich ist, sagte:

The Cultural Heritage Commission does not have any authority to issue any kind of recommendation or finding that would prohibit children from entering a property. Therefore, the Commission never prohibited children from accessing the property.”

Valerie Cameron vom verantwortlichen Baudezernat der City of LA schrieb:

There is no agency in the City of Los Angeles, or any other government agency that I can think of, that discriminates against children as residents, whether their tenancy is permanent or temporary. As a matter of fact, landlords cannot deny tenancy to anyone because they have children; THAT is against the law.”

Nate Kaplan vom 11 Bezirk in Los Angeles, zu dem Pacific Palisades gehört, rief sogar die Villa selbst an, um zu hören, was das für eine Regel sein soll. Danach schrieb er:

It is in fact true that this is not a policy set by the City of Los Angeles or the Coastal Commission, rather one set by the Villa Aurora in the Pacific Palisades. I have confirmation from Corolla from the VA. (führende Angestellte der Villa Aurora d.A.)”

Amerika – das Land der Freien eben.

Das einzige, was die wirklich interessiert in den Genehmigungen, ist die Frage, wie viele Parkplätze auf der Straße benutzt werden dürfen. Was im Haus los ist, ist denen ziemlich egal.

Ich habe Marianne Heuwagen vor ein paar dutzend Tagen angeschrieben, ob Sie irgendein Dokument vorlegen kann, dass die Keine-Kinder-Regel bestätigt.

Sie hat es bis heute nicht getan.

Ich habe Sie gefragt, warum sie Unsinn als juristische Stellungnahme verbreitet hat.

Sie hat mir geschrieben:

wie schön, dass Sie gründlich recherchieren. … Was Kinder anbetrifft, so reicht es völlig aus, dass deren Aufenthalt in der Hausordnung nicht vorgesehen ist.“

Gut. Nur hat Heuwagen das Kinder-Verbot NICHT mit Bezug auf die Hausordnung verhängt, dann hätte sich kaum einer beschweren können. Man hätte das nur als kleingeistige Arroganz einer engstirnigen Frau auslegen können. Aber Frau Heuwagen schrieb in ihrer Art juristischer Stellungnahme:

It is not the VA, that does not allow children stay there, it is the City of LA and/or the Coastal Commission.

Eine Hausordnung kann man ändern, gesetzliche Regeln nicht. Heuwagen und die Villa haben sich mit Verweis auf ein staatliches Verbot aus der Verantwortung gestohlen – nichts anderes.

Aber es wird noch perfider. Marcus und Galima wurde von einer Angesellten gesagt, man müsse Rücksicht auf die Nachbarn nehmen, die seien Einflussreich und könnten durch die Kinder gestört werden. Die wären so mächtig, die könnten die Betriebsgenehmigung für die Villa in Frage stellen.

Wegen Kindern in der Villa. Wegen der sechsjährigen Nichte von Galima

Ich glaube Marcus und Galima. Trotzdem habe ich die entsprechende Angestellte der Villa angeschrieben und gefragt, ob sie tatsächlich diese Sätze gesagt hat. Ich habe keine Antwort bekommen.

Dafür habe ich mir den Heuwagen-Brief noch mal durchgelesen und auch dort wird gesagt, ein Kind in der Villa könne die Genehmigungen gefährden. Der Gedanke der Denunzianten aus der Nachbarschaft scheint also zumindest latent in der Villa zu herrschen.

Ich habe Human Rights Watch gefragt, was sie davon halten, dass Marianne Heuwagen als Direktorin des Deutschland-Büros von Human Rights Watch eine juristische Stellungnahme abgibt, in der sie behauptet, die amerikanischen Behörden würden Keine-Kinder-Regeln aufstellen.

Ich bekam auf diese Frage keine Antwort von Human Rights Watch. Es hieß dort nur, man habe keine „eigenen Kenntnisse“ von einer solchen Regel.

Dafür bekam Galima eine Antwort von Heuwagen. Überraschenderweise schrieb ihr jetzt nach gut zwei Monaten die Human-Rights-Watch-Angestellte. Und zwar unmittelbar nachdem ich im Hauptquartier von Human Rights Watch angefragt hatte, was vom Heuwagen-Statement zu halten sei.

Heuwagen versuchte sich jetzt gegenüber Galima für ihren Brief zu entschuldigen. Sie schrieb: Galima sei doch irgendwie eine richtige Exilantin und habe schlimmes erlebt, und sie habe Galima nicht beleidigen wollen.

Tja, bleiben die anderen Punkte. Vor allem die Sache mit der erfundenen Keine-Kinder-Regel.

Ich habe weiter nachgebohrt. Ich habe gefragt, was mit der Regel ist. Und Frau Dr. Borries-Knopp schrieb mir abschließend:

Selbstverständlich gibt es die schriftlichen strengen Auflagen der Stadt Los Angeles bezüglich des conditional use permit der Villa Aurora als Künstlerresidenz – sonst hätten wir uns darauf nicht bezogen. Und von nun an: no further comments!

Gut, ich habe diese conditional use permit der Villa Aurora. Hier können Sie sich das Dokument herunterladen. Klack. Sie finden dort kein Wort zu einer irgendwie gearteten Kinderregel.

Warum auch, wie ich mittlerweile erfahren habe, waren andere Kinder schon in der Villa. Die Afghanin Mary Ayubi aus dem „Writer in Exile“-Programm war mit einem Kind da. Genauso wie Steffi Weismann aus dem Künstlerprogramm im Jahr 2008.

Was also steckt hinter dem Kinder-Verbot für Galima und Marcus?

Ich kann es mir nicht erklären, ich habe nur eine Vermutung. Eine Spekulation. Ich denke jetzt laut nach.

Und komme zurück auf den Brief von Marianne Heuwagen, den Außenminister und SPD-Kanzlerkandiaten Frank-Walter Steinmeier und auf Geld.

Heuwagen schreibt:

I do not want to hear from Marcus or anybody else in that matter again, its is too annoying.”

Warum ist das Annoying? Warum ist es nervig, wenn sich jemand für die Gefühle seiner Frau einsetzt?

Oder geht es um etwas anderes, womit Marcus Heuwagen nervt? Human Rights Watch setzt sich seit Jahren für die Menschenrechte in Usbekistan ein.

Und Marcus hatte in dieser Sache mit Heuwagen zu tun. Vor fast einem Jahr etwa wurde der mit Marcus und Galima befreundete Journalist Salijon Abdurahmanov in Usbekistan vom Diktator Karimow verhaftet, ihm wurden Drogen untergeschoben und er wurde zu 10 Jahren Haft verurteilt. Abdurahmanov hat für Galimas Webseite gearbeitet.

Reporter ohne Grenzen haben zügig über den Fall berichtet. Doch Human Rights Watch hat zu dem Fall lange geschwiegen. Das ist unüblich, denn gerade Human Rights Watch ist dafür bekannt, schnell und umfassend über Menschenrechtsverletzungen und Verhaftungen in Usbekistan zu berichten. Marcus hat daher öfter Heuwagen und Human Rights Watch in New York angeschrieben. Er wollte wissen, warum Human Rights Watch in diesem Fall schweigt, und keine Erklärung zu Gunsten des verhafteten Freundes abgibt.

Heuwagen und Human Rights Watch haben ihn immer wieder vertröstet. Immer wieder gab es Ausreden, man könne nun keine Erklärung abgeben, weil jemand im Urlaub sei oder verhindert. Was weiß ich. Vielleicht stimmen die Erklärungen ja sogar.

Allerdings lief in der Zwischenzeit etwas anders ab. Gegen Usbekistan hatte die EU auch dank der Berichte von Marcus und Galima Sanktionen verhängt. Deutschland und Steinmeier störte sich an den Sanktionen, da sie die Beziehungen zu Usbekistan erschwerten, dem Gastland der Deutschen Truppen.

Das usbekische Regime änderte sich jedoch aufgrund der Sanktionen nicht. Menschenrechte wurde weiter unterdrückt, es gab keine Aufklärung über das Andischan-Massaker und keine Bewegung in Fragen der Pressefreiheit.

Da erfand Steinmeier den Menschenrechtsdialog mit Usbekistan. Er gaukelte Fortschritte mit dem Despoten in Taschkent vor. Das Büro von Human Rights Watch in Usbekistan war zum Beispiel in Folge des Andischan-Massakers unbesetzt geblieben. Die Mitarbeiter von Human Rights Watch erhielten schlicht kein Visum mehr.

Nun erreichte die EU während der Embargo-Verhandlungen von Usbekistan die Zusage, die Mitarbeiter von Human Rights Watch wieder ins Land zu lassen (klack) und schrieb dies auch in den EU Beschluss, der die Sanktionen bis auf das Waffenembargo gegen Usbekistan aufhob (klick).

Genau in dieser Zeit entschied sich das Schicksal von Abdurahmanov. Und Human Rights Watch schwieg. Einige Menschrechtler wurden freigelassen, andere festgenommen.

Erst als die Verhandlungen mit Uskebistan über die Neubesetzung des Human Rights Watch Büros in Taschkent scheiterten, kam die erste Erklärung der Menschenrechtler zu Abdurahmanov. klick

Bis heute hat Human Rights Watch keinen Mitarbeiter in Usbekistan.

Das deutsche Außenministerium und die EU haben die Menschenrechtsorganisation schlicht für ihre diplomatischen Spielchen benutzt.

Anfang diesen Jahres hat Marcus dann wochenlang versucht, von Heuwagen und Human Rights Watch eine Statement zu bekommen, als die usbekische Präsidententochter Gulnara Karimova und gleichzeitige usbekische Botschafterin bei der UN in Genf zusammen mit Chopard eine Schmucklinie herausgab.

Die Präsentation wäre eine Gelegenheit gewesen, auf die menschenverachtende Diktatur in Zentralasien aufmerksam zu machen. Eine der wichtigsten Repräsentantin des Folterstaates wollte sich schließlich im Westen mit ihrem Blutschmuck profilieren.

Heuwagen und mit ihr Human Rights Watch haben eine Stellungnahme schriftlich abgelehnt. Es schien, als sei eine Konfrontation mit dem Unterdrückerstaat, um den sich Steinmeier bemüht, nicht gewünscht.

Warum diese Milde gegen das usbekische Regime? Sollte man nicht erwarten, dass eine Menschenrechtsorganisation, die sich für die Menschenrechte in Usbekistan einsetzen will, dies auch nachhaltig tut, zumindest mit zwei Erklärungen oder Briefen?

Heuwagen ist die wichtigste Vertreterin von Human Rights Watch in Deutschland. Sie hat oft und viel mit dem Außenministerium von SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier zu tun.

Als Vertreterin von Human Rights Watch muss sie Druck machen, das ist ihr Job. Sie muss unabhängig sein und stark. Um Interessenskonflikte zu vermeiden, hat sich Human Rights Watch deshalb strikte Regeln gegeben.

Auf der Webseite der Organisation heißt es:

Um unsere Unabhängigkeit zu bewahren, lehnen wir jegliche direkte oder indirekte finanzielle Unterstützung von Regierungen ab.“

Mit diser Regel wird um Spendengelder geworben.

Die Regel ist simpel: Führende Mitarbeiter sollen sich nicht korrumpierbar machen und nicht dem Einfluss von Regierungen verfallen. Auch nicht dem Einfluss des SPD-Kanzlerkandidaten und deutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeier. In der Vergangenheit hat Human Rights Watch auch die deutsche Politik und deren Haltung zu Usbekistan oft und scharf kritisiert.

Aber erinnern sie sich an die Geschichte am Anfang? Die Rolle Usbekistans in der deutschen Außenpolitik?

Nun, es gibt eine Verbindung zwischen Heuwagen und dem Außenministerium von Steinmeier, die seltsam ist und auch hinterfragbar.

Nach den Angaben von Offiziellen der Villa Aurora finanziert das deutsche Außenministerium die Aktivitäten der Villa Aurora in Los Angeles.

Heuwagen als Chefin des Kuratoriums der Villa lässt sich als Mitgründerin, als Ideengeberin der Villa feiern. Die Villa ist so was wie ihr Kind.

Aus einem Brief einer Heuwagen Untergebenen:

Frau Heuwagen hat sich um den Erhalt der Villa Aurora sehr verdient gemacht, und wir sind ihr alle sehr dankbar für ihr großes Engagment in der Gründerphase der Villa Aurora. Denn ohne ihr aufopferungsvolles Engagement als ehrenamtliche Mitgründerin gäbe es das Artist-in-Residence-Center heute nicht, von dem so viele Künstler und auch Exilschriftsteller seit über 14 Jahren profitieren. Sie ist sozusagen die Mutter des Projekts.“

Heuwagen genießt also eine Ehre, die ihr das Außenministerium finanziert, bezahlt, schenkt. Auch mit Ehre kann man korrumpieren.

Damit nicht genug: Das Außenministerium bezahlt nicht nur die Show in LA. Im Kuratorium der Villa Aurora sitzt zudem Michael Zenner. Er ist ein Vertreter von SPD-Kanzlerkandidat und Außenminister Steinmeier. Und zwar ist Zenner sein Beauftragter für Kommunikation in Zentralasien.

Das ist einer der Männer, der die PR für Steinmeier macht, damit Usbekistan nicht mehr als eine der schlimmsten Diktaturen in der Welt da steht, sondern als Partner der Deutschen.

Ich zitiere nochmal aus dem Brief der Geschäftführerin der Villa Aurora.

When XY (Name gekürzt d. A) proposed Galima as the Villa Aurora fellow for 2009, we had a lot of doubts first, because she already had lived in Germany since 2005, being married to a German, and thus not fitting in our concept (in accordance with the German Foreign Office) of helping writers who are living in their countries under continuous persecution or observation as dissidents.”

Verstehe ich recht, dass nicht die Freunde der Villa alleine die „Writer in Exile“ auswählen, sondern, dass die „Writer in Exile“ den Ansprüchen des deutschen Außenministeriums entsprechen müssen?

Das deutsche Auswärtige Amt unter der Führung Steinmeiers hat sich den usbekischen Despoten Islam Karimow zum Partner ausgeguckt, in dessen Reich von Panzerwagen auf Frauen und Kinder geschossen wird, über sechstausend politische Häftlinge in Lagern in den Wahnsinn gefoltert werden, Journalisten und Menschenrechtler verhaftet, verfolgt und getötet werden.

Und dieses auswärtige Amt entscheidet darüber, wer im Haus von Lion Feuchtwanger, der vor den Nazis aus Deutschland flüchten musste, als Exilant anzusehen ist und wer nicht?

Und gerade die vielleicht wichtigste Stimme des unterdrückten Usbekistan, Galima Bukharbaeva, soll diesen Regeln des deutschen Auswärtigen Amt eigentlich nicht entsprechen, so schreibt die Geschäftsführerin des Villa-Vereins?

Ich fass mal die Fakten zusammen.

Marcus und Galima haben Steinmeier und seine Politik in Zentralasien scharf angegriffen. Galima hat aus der Villa Aurora heraus weiter gegen Usbekistans Diktator gearbeitet.

Heuwagen hat sich als Direktorin von Human Rights Watch in Deutschland mindestens zweimal zögerlich gezeigt, wenn es darum ging auf Anfrage von Marcus und Galima Vorgänge in Usbekistan zu kommentieren.

In ihrer zweiten Rolle als Kuratoriums-Chefin der Villa Aurora hat sie Druck gegen Marcus und Galima gemacht. Und Galimas Ruf angegriffen.

Ich frage mich:

Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Finanzier der Villa, dem Außenministerium von SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier, der behaupteten Keine-Kinder-Regel, Marcus und Galima sowie Marianne Heuwagen?

Es gibt ein Indiz, dass darauf hindeutet.

Ich habe weiter nachgefragt, was mit der Keine-Kinder-Regel ist, ob Heuwagen oder die Villa Aurora eine Verfügung der Behörden vorlegen können.

Überraschenderweise bekam ich zum Schluss Post und zwar direkt und unterschrieben aus dem Hauptquartier von Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier, SPD-Parteivorstand, Willy-Brandt-Haus, Wilhelmstraße 141, 10963 Berlin.

Markus Klimmer schrieb mir da in seiner Rolle als direkter Berater von Steinmeier und als neuer Vorstandsvorsitzender der Villa Aurora.

Die Villa habe über die Jahre

seinen Entscheidungen immer die Rechtsauffassung zugrunde gelegt, dass in den USA alles, was nicht ausdrücklich erlaubt ist, nicht durch den Permit abgedeckt ist.“ Angesichts der großen Schwierigkeiten, unter denen die Betriebserlaubnis für die Villa erteilt worden sei, „werden wir diese Rechtsauffassung auch künftig vertreten“.

Und weiter schreibt der Steinmeier-Berater und Freund.

Alle Stipendiatinnen und Stipendiaten werden vor Reiseantritt ausführlich auf diese Rahmenbedingungen aufmerksam gemacht. Ich füge hinzu: Die Villa ist als denkmalgeschütztes Haus eine Art historisches Museum. Da sich dort jeder frei bewegen kann, ist die Villa nicht für den Aufenthalt von Kindern ausgelegt. Besuch von Verwandten ist gleichermaßen ausgeschlossen. Dies werden und müssen wir auch künftig so handhaben.“

Kein Wort davon, dass in der Villa schon Kinder geschlafen haben, kein Wort von dem Gästezimmer, das man für einen Tripp mieten kann. Kein Wort dazu, dass bisher immer behauptet wurde, es gebe eine behördliche Auflage keine Kinder in der Villa schlafen zu lassen.

Stattdessen präsentiert der Kanzlerkandidaten-Berater eine Rechtsauffassung, die mich erschauern lässt.

Alles was nicht „ausdrücklich“ erlaubt ist, ist verboten. Auf dem Rasen spielen? Nicht „ausdrücklich“ erlaubt – also verboten. Eine Oskarparty feiern? Nicht „ausdrücklich“ erlaubt – also verboten. Sekt trinken, Zigarre rauchen? Nicht „ausdrücklich“ erlaubt – also verboten.

Ein Gästeprogramm wie die Villa es auf ihrer Webseite anpreist? Nicht „ausdrücklich“ erlaubt – also verboten. Oh, das wird aber trotzdem gemacht. Hab ich was übersehen?

Mein Gott, diese Rechtsaufassung vertritt ein Mann, der unser Land anleiten will.

Wer ist überhaupt dieser Dr. Klimmer.

Vor ihm war Freimut Duve Vorstandschef der Villa. Duve ist wegen seines Einsatzes für die Menschenrechte seit Jahrzehnten bekannt. Markus Klimmer hat früher bei McKinsey gearbeitet und ist jetzt Wirtschaftsfachmann in Steinmeiers Wahlkampfteam. Was versteht dieser Mann vom Exil und vom politischen Kampf für die Freiheit des Wortes?

Und wieso wird gerade er Vorstandschef in der Feuchtwanger Villa?

Falls Herr Dr. Klimmer bis hierhin liest: Sie und Ihr Chef, Herr Dr. Steinmeier, Sie wollen überzeugte Sozialdemokraten sein? Sozialdemokraten, wie wir sie im Ruhrgebiet kennen? Freundliche, warme Menschen, die wissen, dass Menschen immer wichtiger sind als dumpfe Regeln.

Herr Dr. Klimmer, es gibt nicht mal eine Regel, die es Ihnen verbietet, Kinder in der Villa aufzunehmen. Es ist Ihre „Rechtsauffassung“, die sie sich einreden, Kinder seien Bah.

Herr Dr. Klimmer, sie sind ein Apparatschik.

Da sich dort jeder frei bewegen könne, sei die Villa nicht für den Aufenthalt von Kindern ausgelegt, schreiben Sie.

Herr Dr. Klimmer wollen Sie Kinder an die Leine legen? Stören Sie etwa Kinder. In der Kirche? Im Museum? Auf der Wiese vor Ihrem Haus? Was zur Hölle haben Sie gegen Kinder, Herr Dr. Klimmer?

In den Betriebsgenehmigungen für die Villa wird die Aufnahme von Menschen als Gästen „ausdrücklich“ erlaubt. Sind für Sie, Herr Dr. Klimmer, Kinder keine Menschen?

Überhaupt: Herr Dr. Klimmer, wo ist Ihre „ausdrückliche“ Erlaubnis zu atmen?

Sie wissen, was das nach ihrer Logik heißt, wenn Sie keine Erlaubnis fürs Atmen vorweisen können? Verboten.

Mich erschreckt das totalitäre Antlitz hinter der „Rechtsauffassung“ von Herrn Dr. Klimmer. Was für einen Anspruch an Recht hat dieser Mann an der Spitze unseres Staates. Wie will er sich um das große Ganze kümmern, wenn er im Kleinen so versagt.

Wie anders ist das in den USA. Dort darf niemand diskriminiert werden. Dort gibt es sogar ein entsprechendes Gesetz dazu, dass niemand wegen seines Alters, seiner Rasse, seines Geschlechtes wegen diskriminiert werden darf.

Wie Valerie Cameron vom verantwortlichen Baudezernat der City of LA schrieb:

As a matter of fact, landlords cannot deny tenancy to anyone because they have children; THAT is against the law.”

Ich habe Al Padilla von der Coastal Comission nochmal gefragt, was er von der Rechtsauffassung des persönlichen Steinmeier-Beraters Dr. Klimmer hält. Ist tatsächlich alles verboten, was nicht „ausdrücklich“ erlaubt ist? In einer Email hatte Dr. Klimmer mir geschrieben, er habe als McKinsey-Berater entsprechende Erfahrungen in den Staaten gemacht. Sind Kinder also wegen ihrer Nicht-Erwähnung in der Erlaubnis verboten. Al hat geantwortet:

Well, that’s a bunch of rubbish. If there is not a specific condition, ordinance, rule, restriction, etc., then absence or silence does not mean a prohibition. As I told you and you can clearly see in our permit, we have no such restriction. And based on what the City has permitted and has told you, neither does the City. I can not speculate why the Germany Villa Organization would say such a thing, but based on the facts, as presented up to now, it is not true. Unless they come up with something in writing that specifically says „no children“, then children are allowed.

You must have written an article in the past that got them mad. 🙂

Ich weiß nicht was ich dazu noch sagen soll.

Eigentlich ist es auch egal.

Weil der Kern der Story immer noch der ist:

Die Chefin von Human Rights Watch Deutschland lässt sich ihr Hobby vom Deutschen Staat bezahlen. Sie lässt sich als „Mutter“ der Villa ihr Kind von dem Ministerium finanzieren, dass sie überwachen soll. Sie kontrolliert die Einrichtung mit den Bürokraten, auf die Sie Einfluss nehmen soll, damit sich diese für die Durchsetzung der Menschenrechte einsetzen. Und ausgerechnet in Zentralasien tun diese Bürokraten das mit angezogener Handbremse.

Und als Krone dieser Geschichte erzählt die Chefin von Human Rights Watch Deutschland ein Märchen von einem verbotswütigen Amerika, in dem angeblich Bürokraten Kindern den Besuch von Verwandten in irgendwelchen Häusern verbieten würden.

Ich habe die Human Rights Watch Zentrale in den USA gefragt, was Sie von dieser Nummer halten? Dass sich ihre deutsche Direktorin ihr Hobby von Steinmeiers Ministerium bezahlen lässt, dass sie ihr Ehrenamt auf Rücken der Behörden wahrnimmt.

Der Human Rights Watch Zentrale ist das egal, ob ihre Direktorin vom deutschen Außenministerium gepampert wird. Es heißt:

HRW does not consider it a conflict of interest as neither she nor HRW derives any material benefit from it, nor does this position have a role in making determinations as to the fellowships or other benefits granted by Villa Aurora. Ms. Heuwagen does not determine policy for HRW on Russia and Central Asia, and it is far-fetched to suggest that her role as an honorary chair or this dispute, which does not involve HRW in any way and about which HRW expresses no opinion, would have any effect on our work in those regions.

Es ging es nur um ein Mädchen, sechs Jahre alt, das seine Tante besuchen wollte für zehn Tage in einem fremden Land. Ein Mädchen, das in die Wogen der Weltpolitik gerät und von den Interessen Steinmeiers, seiner Berater und Frau Heuwagen überrollt wird.

– Nachtrag –

Die Geschichte steht nun schon ein paar Tagen online. Ich habe von der Villa Aurora eine Reaktion erwartet. Irgendeine. Es kam bis jetzt nichts.

Stattdessen fiel mir folgender Brief in der Endphase des Wahlkampfes im Jahr 2009 auf: klack.

Zehn Tage vor der Abstimmung zum Parlament trafen sich da Frauen in kleiner Runde zum Kaffeeklatsch mit Frank-Walter Steinmeier (SPD). Es heißt in dem Brief:

Rund 20 Frauen aus den unterschiedlichen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens sind heute der Einladung des Bundesaußenministers und SPD-Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier gefolgt und haben bei einem gemeinsamen Frühstück über frauenpolitische Themen diskutiert.

Dann haben die Damen Steinmeier den Aufruf: „Frauen für Frank-Walter Steinmeier“ vorgestellt. Die Anhängerinnen des Ministers fordern darin die Gleichberechtigung „in der Wirtschaft auch in Führungspositionen“ und „keine Herdprämie und keinen Küchenbonus“. Zitat:

Das geht nur mit einem Kanzler, der aus der Gleichberechtigung des Grundgesetzes eine Gleichstellung in der Wirklichkeit schafft. Frank-Walter Steinmeier trauen wir das zu. Deswegen unterstützen wir ihn.

Zwanzig Frauen als Vertreterinnen der Frauenbewegung. Eine der Unterzeichnerinnen hat zumindest ihren Job auch, weil ihr Brötchengeber vom Ministerium Steinmeiers finanziert wird.

Mechthild Borries-Knopp, Geschäftsführerin der Villa Aurora Berlin/Los Angeles.

Danke an Leser # Kommentar 29

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Jamiris neues Ding ist raus – kaufen!

Gerade ist Jamiris neuer Comic erschienen. Jamiri? Ja genau, das ist dieser Zeichner aus Essen, der früher immer ins "De Prins" ging. Gut, der Laden ist abgebrannt, aber das ist eine andere Geschichte. Genauso wie die, dass Jamiri der Cousin von Mehmet Scholl ist. Nur nicht so schlank, und Fußball kann Jamiri auch nicht spielen. Und den FC Bayern findet er auch doof. Dafür ist Jamiri komischer. Aber auch das ist – wie die Nummer mit der Familienfeier, Uli Hoeneß und Wiglaf Droste – eine gänzlich andere Geschichte.

Hier geht es um folgendes: Jamiri hat einen neuen Comic, Band 11, gezeichnet, geschrieben, getextet, wie auch immer. Der Comic ist klasse. Er heißt Arsenicum Album. Und jeder sollte ihn sich kaufen. Der Comic ist in der Edition 52 erschienen. In Wuppertal. Es geht diesmal um den Kopstadtplatz, verrückte Fans, einen alten Fiat. Apple-Rechner und das Elend im Leben, oder das lustige eben. Je nachdem. Ach ja – und um das Rauchen geht es auch.

Ich mag die Zeichnungen – für ein großes Bild einfach auf das kleine klicken. Sie gehören zu dem Besten, was es in Deutschland gibt. Vor einiger Zeit habe ich mal ein Comic-Heft herausgegeben, in einer beachtlichen Auflage. Das Heft wurde wegen der Krise leider eingestellt. Und weil es kein Geld verdient hat. Dafür war es aber verdammt gut. Wenn ich könnte, würde ich weitermachen und nur solche Dinger raushauen, wie Jamiri sie macht, oder Sten Sakai. In Millionenauflage und irgendwann die Weltherrschaft……

Wer weiß, vielleicht kommt ja noch mal die Gelegenheit dazu.

Jamiri, "Arsenicum Album", Edition 52

Ruhr2010: Mit Geld verachten

Das 2010Lab will das digitale Medium der Kulturhauptstadt sein. Die Internetseite soll auch noch Bestand haben, wenn das letzte Schachtzeichen geplatzt, und den Chören längst die Luft ausgegangen ist – und die Autoren sollen bereit sein, für ein Brot ohne Butter zu arbeiten.

Ach, das klingt alles immer so gut: 2010lab.com – Die digitale Kreativstadt Ruhr
Bei diesem Projekt geht es darum, eine IP-TV Plattform zu entwerfen bzw. zu programmieren, die neue zeitgenössische Kunst, Kultur und Kreativität vermittelt, ihre ökonomischen Auswirkungen auf die zukünftige Entwicklung urbaner Ballungsräume debattiert und zugleich auch selbst eine neue digitale Kunst- bzw. Kommunikationsform ist. Auch für das Projekt Kulturhauptstadt sind dies zentrale und spannende Fragen, weil sie dem Aspekt der Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit Nachdruck verleihen. Es ist offensichtlich, dass für den zukünftigen ökonomischen wie identifikatorischen Erfolg der Metropole Ruhr Kommunikation und Vernetzung grundlegende Voraussetzungen sind. Ohne das passende (digitale) Medium fehlt nicht nur der Kulturhauptstadt, sondern auch der Kultur und Kreativität insgesamt der kommunikative Keilriemen, der Ideen, Kreativität und Content in Kommunikation, Ökonomie und Identität umsetzt.“

Und für dieses Projekt werden im Augenblick Autoren gesucht. Heute war das Treffen in den Räumen der Ruhr2010 GmbH in Essen nahe des Aalto-Theaters, und ein paar der Anwesenden kannte ich: Ehemalige Chefredakteure, freie Journalisten mit zum Teil jahrzehntelanger Erfahrung und Autoren, die international unterwegs sind. Bei denjenigen, die ich nicht persönlich kannte, sagten mir die Namen was. Gute Leute.
Dann gab es einen schönen Vortrag: Man setze bei dem Portal vor allem auf Videos, klar, geschrieben werden kann auch, ist aber eher zweitrangig. Gut, es geht um eine IP-TV-Plattform. Registrierte Benutzer sollen kommentieren, man will sich natürlich vernetzen, weil alles vernetzt ist, und weil es natürlich gut klingt. Auch ein Bullshit-Bingo soll es geben.

Das Design war ansprechend und die Technik noch hakelig. Gut, man liegt ja auch erst ein knappes halbes Jahr hinter dem ursprünglichen  Zeitplan zurück. Wirtschaftskrise und so. Und natürlich, wurde uns erklärt, sei Idealismus gefragt. Als das Wort Idealismus zum dritten Mal fiel und das Wort Honorar trotz einiger Anspielungen von Seiten der anwesenden Autoren, im Neusprech Scouts genannt, nicht, wurde ich langsam aber sicher skeptisch und griff schnell zum letzten Keks auf dem vor mit stehenden Teller.

Einer fragte schließlich nach, wie es denn mit dem Geld aussehen würde. Eine junge Dame hob zu einem mittellangen Vortrag über das Elend der Welt und die Armut der Ruhr2010 GmbH an. Ich hörte "4-6 Texten", "Monat" und "150 Euro".
Mein Nachbar lehnte sich zu mir rüber: „Ist doch OK, 150 Euro für einen kurzen Beitrag.“ Mein Einwurf, ich hätte 150 Euro für alle Beiträge pro Monat verstanden, wurde bei Seite gewischt.
„Quatsch.“ Es kam eine weitere Nachfrage, und ich hatte mich nicht verhört: 150 Euro für vier bis sechs Beiträge. Die allerdings sollten exklusiv sein, Videos wären besonders schön. IP-TV und so.

Jetzt einmal kurz gerechnet: Will man wirklich auch nur etwas Qualität haben, fährt man für jeden dieser Beiträge raus. Dann redet man mit Jemanden. Idealerweise hat man sich vorher auch noch schlau gemacht, worüber man redet. Dann fährt man wieder nach Hause. Sagen wir drei bis vier Stunden im günstigsten Fall. Bei sechs Beiträgen reden wir also von einem Zeitaufwand von 20 Stunden. Bei vier noch von zwölf und bei fünf – der goldenen Mitte, von 15. Für 15 Stunden Arbeit wurden 150 Euro angeboten. Klar, brutto. Und dazu hat man ja noch Fahrkosten. Es gab ein wenig Gemurre als alle rechneten. Wir wurdenberuhigt: „Aber vergessen sie nicht: Sie sind Teil der Kulturhauptstadt. Das hebt ihren Marktwert.“

Das ganze ist Zynismus pur. Klar, ein paar der Anwesenden werden es machen. Weil sie müssen. Weil sie die Kohle dringend brauchen. Weil sie sich ein Nein nicht erlauben können. Und die Ruhr2010 GmbH freut sich, dass es ein paar arme Teufel gibt, die für diese Kohle arbeiten, dieses komische und wahrscheinlich teuer programmierte und designte System füllen mit etwas, für dessen Erstellung man nur Verachtung übrig zu haben scheint: Inhalte.
Mir ist übrigens ein schöner Begriff für das Bullshit-Bingo eingefallen: Kreativwirtschaft.