Die SPD ist dabei, die Erfolge der Kommunalwahl zu verspielen. Der Grund liegt in ihrer intellektuellen Beschränktheit.
Das Ruhrgebiet ist wieder rot – das war die einhellige Meinung aller Kommentatoren nach der Kommunalwahl im August. Und es war ja auch was dran: Selbst schwache SPD-Kandidaten vom Format des berühmten roten Besenstiels, der im Revier gewählt wird, solange er in der SPD ist, konnten die Rat- und Kreishäuser im Ruhrgebiet erobern. Und auch wenn die SPD in fast allen Städten Stimmen verloren hatte, reichte es doch, um Schwarz-Grün beispielsweise in Essen oder Duisburg zu beenden. In Bochum und Dortmund verteidigte man souverän die Koalitionsmehrheit von Grünen und SPD.
Das ist jetzt fast drei Monate her, und schaut man jetzt auf die politische Landschaft des Ruhrgebiets, so hat die SPD nahezu alles, was sie im August gewonnen hat, wieder verspielt.
In Dortmund hielt die Begeisterung über den gemeinsamen Sieg keine 24 Stunden an: Als Langemeyer urplötzlich den Haushaltsnotstand verkündete, der vor der Wahl noch vehement abgestritten worden war, kamen auch die Grünen nicht umhin, die Umstände der Wahl des SPD Kandidaten Ullrich Sierau als Wahlbetrug zu bezeichnen. Die Stimmung zwischen den Koalitionären war danach nicht mehr die beste, und die Koalitionsverhandlungen schleppten sich dahin – bis SPD Fraktionschef Prüsse glaubte, er käme auch gut ohne die Grünen zurecht und die Dortmunder Sozialdemokraten in einer Pressemitteilung gar von Rot pur träumten – was bei einem Wahlergebnis von noch nicht einmal 38 Prozent von einem erheblichen Realitätsverlust zeugt. Für die SPD waren „fundamentalistische Kräfte“ bei den Grünen Schuld am Krach zischen SPD und Grünen. Nun reden die mit der CDU.
Rot-Grün kam auch in Essen nicht zustande: SPD und Grüne konnten sich nicht auf eine gemeinsame Zusammenarbeit einigen. Nun wählen Grüne, CDU, FDP und einige Kleine gemeinsam Andreas Bomheue, gegen den Willen der roten Wahlsieger zum neuen Kulturdezernenten. Bomheue ist im zur Zeit Kulturdezernent in Hattingen und hat einst das soziokulturelle Zentrum Zeche Carl mit aufgebaut. Für die SPD ganz klar ein Verrat. Die Zustimmung der kleinen Parteien zum neuen Kulturdezernenten seien mit einer Änderung der Fraktionsfinanzierung gekauft worden. Dabei beruht die nach wie vor auf alten Ratsbeschlüssen, die nur der neuen Sitzverteilung im Rat angepasst wurde. Mehrdad Mostofizadeh, Fraktionssprecher der Grünen: „Wir rechnen nach dem alten Modell, sparen 70.000 Euro ein, weil wir die Ausgaben gedeckelt haben, aber es ist nun einmal zu berücksichtigen, dass es eine Fraktion mehr gibt.“
In Duisburg kam Rot-Rot-Grün nicht zustande – die Grünen vertrauten weder der SPD noch den Linken in Duisburg, die vor allem mit den antisemitischen Ausfällen ihres Fraktionsvorsitzenden bundesweit für Aufmerksamkeit sorgten.
Das Gejammer der SPD von Wahlbetrug, Vertrauensbruch und Fundamentalismus zeigt, dass die SPD Probleme mit einem neuen grünen Selbstbewusstsein hat, das sich dadurch speist, dass die Grünen auch im Ruhrgebiet zunehmend als moderne Großstadtpartei wahrgenommen werden. Ein Bild, das die zumeist provinziell agierende SPD, die vor allem in den Vororten verwurzelt ist und kaum eine Antwort darauf findet, wie sich die schrumpfenden Städte im Ruhrgebiet in den nächsten Jahrzehnten entwickeln könnte. Schon solche Fragen sind den meisten Sozialdemokraten fremd.
Die SPD im Ruhrgebiet sieht intellektuell alt aus – mit Ausnahmen des Gelsenkirchener Oberbürgermeisters Frank Baranowski und dem – allerdings angeschlagenen – Dortmunder OB Ullrich Sierau. Das ist für die Sozialdemokraten im Ruhrgebiet keine neue Situation. Ihre Wähler wollten ohnehin lieber solide Handwerker als Visionäre. Und die SPD vor allem viele Posten und Pöstchen für die eigenen Genossen. Aber seitdem der Aufstieg der Linkspartei die SPD Stimmen kostet, wird die Lage langsam ernst.
In vielen Städten der Republik begegnen sich Grüne und SPD heute schon auf Augenhöhe. Und auch wenn ein solcher Zustand im Ruhrgebiet noch weit entfernt ist, hat sich das Bild der Grünen von sich selbst gewandelt. Sie sehen sich nicht als kleiner Partner, sondern als Ideengeber. Und sie wollen in der Regel gestalten – die SPD in den meisten Fällen am liebsten weiterwurschteln. Muss man den Haushalt konsolidieren, greifen die Genossen, wie in Bochum, gerne zum Rasenmäher anstatt mit einer aktiven Einsparpolitik Akzente zu setzen. Jedem wohl und keinem weh ist meist das Motto sozialdemokratischer Politik und allzu oft glauben die Genossen noch, es sei ihre Stadt, die sie da regieren würden. Das Bewusstsein, durch den Wähler Macht auf Zeit erhalten zu haben, ist ebenso wenig ausgeprägt wie das Wissen um den Willen der Wähler, der für seine Stimme Politik erwartet und nicht nur reines Handwerkertum.
Mit ihrer Mischung aus Arroganz und intellektueller Beschränktheit ist die SPD dabei, die Gestaltungskraft in den Räten des Reviers zu verspielen – und die Grünen auf Landesebene in die Nähe der Union zu treiben.