Für Forsa-Chef Manfred Güllner stehr fest: Die SPD hat gute Gründe der Kommunalwahl am 30. August mit Sorge entgegen zu sehen. Der Partei fehlen die Kümmerer, die sie einst groß machte.
Rurbarone: Am 30. August finden in NRW Kommunalwahlen statt. SPD-Landeschefin Hannelore Kraft erhofft sich von dieser Wahl ein Aufbruchsignal. Wie schätzen sie die Perspektiven der SPD ein?
Manfred Güllner: Das Problem der SPD ist, dass sie das Vertrauen vor Ort verloren hat. Sie war in NRW stark, weil die Wähler ihr in den Städten vertraut haben. Das lokale Vertrauen war die Basis des Erfolgs der SPD im Ruhrgebiet und in NRW auch bei Landtags und Bundestagswahlen. Das ist heute völlig anders. Bei den Bundestagswahlen schneidet die SPD in NRW noch ganz gut ab, aber bei den Kommunalwahlen ist der Vertrauensverlust spürbar. Das wird auch das Problem der bevorstehenden Kommunalwahl sein. Wir müssen uns dabei aber jede Stadt sehr genau anschauen – die Unterschiede sind sehr groß.
Leidet die kommunale Ebene der SPD in NRW nicht unter dem schlechten Ansehen der Bundespartei?
Nein, das versucht die SPD sich einzureden. Die Entfremdung zwischen der SPD und ihrer Klientel begann in den 70er und 80er Jahren, als sich die Partei akademisierte und anfing, Kommunalpolitik ideologisch zu betrachten. Anstatt sich darum zu kümmern, dass kein Dreck auf den Straßen lag oder die Schulen in gutem Zustand waren, rückte eine Symbolpolitik immer mehr in den Mittelpunkt. Da wurden Städte zu atomwaffenfreien Zonen erklärt und jeder wusste, dass das Nonsens ohne jede Bedeutung war. Oder das immer knapperer Geld wurde nicht mehr für soziale Projekte oder Wohnungsbau ausgegeben, sondern für Konzerthäuser oder wie in Köln in überdimensionierte Müllverbrennungsanlagen. Das wollten die SPD Wähler nicht. Die SPD ist auch heute noch stark, wo sie die Kümmerer hat, die die vielen Sorgen der Bürger vor Ort ernst nehmen und sich für sie engagieren. Ein Problem ist, dass es von diesen Kümmerern immer weniger gibt, ein anderes, dass die SPD viel zu spät gemerkt hat, dass sie Probleme an ihrer kommunalen Basis hat.
Aber das kann man an Wahlergebnissen erkennen.
Nicht immer. Weil die Kommunalwahl 1994 mit der Bundestagswahl auf einen Termin fiel, bekam die SPD, außer in Städten wie Mülheim oder Gladbeck, wo die SPD sich zum Teil unmöglich verhalten hatte, noch sehr gute Ergebnisse. Als dann 1999 Essen, Gelsenkirchen und viele andere Städte an die CDU fielen, glaubten alle, es läge an Schröder. Das war aber zu einfach. Die SPD hat ihre Basis vernachlässigt.
Ist nicht die Politik der Agenda 2010 für den Niedergang der SPD gerade im Ruhrgebiet verantwortlich?
Nur indirekt. Die meisten Menschen, das zeigen Umfragen, haben eingesehen, dass es zur Agendapolitik keine Alternative gab. Aber die SPD stand nicht hinter dieser Politik und das hat sie geschwächt. Damit wurde unklar, wofür die SPD steht. Überall wo die Sozialdemokraten von der Agendapolitik abgewichen sind, haben sie, wie in Niedersachsen, schwere Niederlagen erlitten. Schröders Problem war also nicht, dass die Agenda 2010 in der Bevölkerung unbeliebt war, sondern der mangelnde Rückhalt in seiner Partei. Das war ja auch 2005 seine Begründung für die Neuwahlen.
Wer wird von der Schwäche der SPD profitieren?
Den großen Profiteur wird es nicht geben. Die meisten ehemaligen SPD-Wähler werden nicht zur Wahl gehen – das tun sie nun schon seit langer Zeit nicht mehr. Dadurch werden alle Parteien proportional gewinnen, denen es gelingt, ihre Klientel zur Wahl zu motivieren. Je schwächer die SPD, je niedriger die Wahlbeteiligung, umso wertvoller wird jede Stimme für eine andere Partei.
CDU und Linkspartei profitieren nicht von der SPD-Schwäche?
Güllner: Kaum. Die CDU hat es in NRW nicht geschafft, eine Volkspartei zu werden. Sie ist noch immer sehr stark in ihrer traditionelle klerikalen Klientel verankert – hat aber nur wenig Strahlkraft über dieses Milieu hinaus entwickelt.
Und die Linkspartei?
Im Osten hat sie die Kümmerer, die der SPD fehlen – im Westen hat sie die nicht. Das Personal der Linkspartei besteht hier oftmals aus stadtbekannten Querulanten oder ehemaligen K-Gruppen-Leuten. Für viele ehemalige SPD-Wähler ist das abschreckend.
Wäre die Welt für die SPD bei den Kommunalwahlen nicht einfacher, wenn die Bundespartei gut dastehen würde?
Das ist eine Binsenweisheit. Wenn die Stimmung für eine Partei gut ist, profitiert sie bei allen Wahlen davon. Aber die bundesweite Stimmung ist für die Kommunalwahl nicht entscheidend. Politiker neigen dazu, die Wähler zu unterschätzen. Die können sehr wohl die verschiedenen Wahl unterscheiden und handeln sehr bewusst, sowohl bei der Stimmabgabe als auch bei der Entscheidung, ob sie überhaupt zu Wahl gehen.
Müntefering hat die Nichtwähler unlängst noch als an der Demokratie uninteressiert beschimpft.
Damit macht er es sich zu einfach. Nichtwähler sind nicht automatisch an der Demokratie uninteressiert, sondern sie finden oft kein Angebot, das ihnen passt. Und bevor sie irgendwas wählen, wählen sie dann lieber nicht. Herr Müntefering sollte sich lieber fragen, wie ein Angebot für diese Wähler aussehen sollte, als sie zu beschimpfen.
Wie sehen sie die langfristigen Perspektiven der SPD? Hat sie noch das Personal, um wieder zur alten Stärke zu kommen? Steinmeier scheint ja als Kandidat nicht gut anzukommen.
Zu Steinmeier gibt es keine Alternative. Die SPD hat niemanden außer ihm. Aber das ist ein Problem. Die SPD ist personell ausgezehrt. Sie hat ab Anfang der 80er Jahre ein Nachwuchsproblem – viele eher linke junge Leute gingen damals in die Grünen. Heute, wo diese Generation die Spitzenpositionen einnehmen müsste, macht sich ihre Fehlen bemerkbar. Verschärft wird es auch dadurch, dass ehemalige Juso-Vorsitzender wie Andrea Nahles sich kaum um die Mitgliederwerbung gekümmert haben. Man konnte den Eindruck gewinnen, sie waren ganz froh, dass es nicht viel Konkurrenten um die Posten gab, sicherte das doch auch die eigene Karriere.