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Gastarbeiter, Islamismus und die aufgeklärten Deutschen

Unser Gastautor Werner Jurga beschäftigt sich mit der Frage, ob Kritik am Islamismus sowie das Thematisieren von Parallelgesellschaften rechtspopulistischen Tendenzen in Deutschland in die Hände spielt.
Dr. Werner Jurga ist Sozialwissenschaftler und lebt in Duisburg. Er betreibt eine politische Website und ist Mitglied der SPD.

Türken beim Public-Viewing Foto: Flickr/ak42

1964 – ich besuchte die Grundschule – zog der erste Türke zur Untermiete bei uns ein. Etwas später folgte ein mit ihm befreundetes Ehepaar. Nein, ich komme nicht aus besserem Hause, wie man so sagt. Im Gegenteil: unser Haus war sogar ziemlich klein. Folglich waren die beiden Zimmer, in denen die Türken wohnten, auch verdammt klein. Aber meine Großeltern konnten die Mieten als Zubrot gut gebrauchen, und die Türken waren heilfroh, bei uns untergekommen zu sein. Sonst wären sie wohl in so einem Gastarbeiterheim gestapelt worden, mit denen sich windige Immobilienspekulanten eine goldene Nase verdient hatten.

Obgleich man schon etwas verunsichert war, ob so ein Südländer nicht einfach mal so auf die Idee kommen könnte, den armen, kleinen, blonden, blauäugigen Jungen, also mich, abzustechen, zumal „die ja alle immer ein Messer dabei haben“, lehrte man mich, freundlich zu den Mohammedanern zu sein. Erstens seien dies auch Menschen, und zweitens wollte man sich nichts nachsagen lassen. Schließlich waren es noch nicht bzw. eben gerade mal zwanzig Jahre her, dass sich Deutsche gegenüber einer anderen Minderheit extrem unfreundlich verhalten hatten. Also die Parole: „Wir verhalten uns anständig gegenüber den Mohammedanern!“ Für diese sprach immerhin, dass sie ziemlich fromm waren. Ganz puzzelig: „So wie wir an Gott glauben, glauben die an ihren Allah.“ Den gab´s natürlich nicht in echt, trotzdem: „Lach da bloß nicht drüber!“ Ich hatte verstanden: die sind zwar nicht ganz dicht. Aber man darf es denen nicht sagen, weil die alle ein Messer haben. Ansonsten sind sie ganz possierlich, so ähnlich wie unsere Haustiere, allerdings schon auch Menschen.

So oder so ähnlich wurde das auch im Fernsehen erzählt. So oder so ähnlich stand das auch in allen Zeitungen. Kurioserweise ist aus den ehrenhaften Absichten dann doch nicht so richtig was draus geworden. Erstens bedeutete nämlich der Umstand, dass die Gastarbeiter auch Menschen waren, dass sie sich nicht dauerhaft damit zufrieden gegeben hatten, sich als Hilfsarbeiter, Müllmann oder Straßenfeger ausbeuten und als Mieter abziehen zu lassen. Damit hatte man eigentlich nicht gerechnet und zog die üblichen Konflikte nach sich, die notwendig auftreten, wenn Zugezogene auf Eingeborene treffen. Zweitens wollten einige, ehrlich gesagt: eine ganze Menge Deutsche es nicht mehr einsehen, dass sie auch bei Konflikten mit den Kanaken – wie man sich inzwischen angewöhnt hatte, die Türken liebevoll zu nennen – freundlich zu sein hätten, „nur weil wir den Krieg verloren haben.“

Langer Rede kurzer Sinn: diese Generation der Deutschen erwies sich im Großen und Ganzen nicht als aufnahmebereit. So etwas wie Integration konnte überhaupt nicht gelingen, weshalb die Politik sicherheitshalber der Nachkriegsgeneration verschwiegen hatte, dass die Gastarbeiter in großer Zahl im Lande bleiben werden. Die nachwachsende Generation, die sich – wie ich – das ganze Elend ansehen und feststellen musste, sah ein, dass die Alten doch sehr stark von der Hitlerzeit geprägt wurden. Ihre Eltern und Großeltern waren folglich wieder einmal Opfer, weil ihnen ein menschlicher Umgang mit denen, die so anders waren, nicht gelingen konnte.
Die nächste, also meine Generation ist dann in der Demokratie groß geworden. Viele von uns konnten sogar die höhere Schule besuchen. Es konnte also alles nur noch besser werden! Wir waren nämlich direkt international. Wir gingen in ausländische Restaurants essen. Sogar beim Türken. Später kamen auch noch Araber, also auch Moha…, Quatsch – natürlich: Muslime. Haben Sie schon einmal beim Ägypter gegessen? Klasse!

Es musste endlich Schluss sein mit dieser Ausländerfeindlichkeit! Die gab es nämlich immer noch. Bei den Alten, klar. Und auch bei den – ach, wie sagt man: einkommensschwachen und bildungsfernen Schichten. Die wohnten und wohnen zwar in denselben Vierteln wie unsere muslimischen Einwanderer, die wir sicherheitshalber zunächst einmal Zuwanderer nennen wollen. Niemanden verschrecken! Aber da gibt es halt Reibereien, und die einfachen Leute sind halt nicht so weltoffen wie wir.
Gehen wir ins Jahr 1989! Ein Vierteljahrhundert später als 1964, heute vor zwanzig Jahren. Schon seit einiger Zeit ist das Wort „Ausländerfeindlichkeit“ – auch bei cleveren Einwanderern – zum Kampfbegriff mutiert, gegen den sich ein anständiger Deutscher, der ja auch anständig gegenüber Muslimen zu sein hat, zu wappnen hatte. Aber es gab 1989 auch Ausländerfeindlichkeit. Und zwar mächtig! Kein Vergleich mit der heutigen Situation.
Zur Erinnerung: als 1990 die deutsche Nationalmannschaft Fußballweltmeister geworden war, wurden in etlichen deutschen Städten wahllos Türken verprügelt. Die Wiedervereinigung war in vollem Gange, Weltmeister: wir waren wieder wer.

Im Februar 1989 verurteilte der iranische Staatschef Khomeini den indisch-britischen Schriftsteller Salman Rushdie zum Tode. Khomeini rief die Moslems in aller Welt zur Vollstreckung auf. Um die Durchführung zu beschleunigen, wurde ein Kopfgeld von drei Millionen US-Dollar ausgesetzt.

Obwohl das Kopfgeld zwischenzeitlich verdoppelt wurde und das iranische Mullah-Regime bis heute an dem Mordaufruf festhält, lebt Salman Rushdie bekanntlich noch heute – gut versteckt und strengstens bewacht. Einige Übersetzer der Satanischen Verse sind allerdings islamistischen Anschlägen zum Opfer gefallen.
Auch in Deutschland herrschte große Aufregung allerorten. In der Duisburger WAZ debattierten Politiker wie Leserbriefschreiber wochenlang – in der Regel hochemotional. Eine sozialdemokratische Ratsfrau mahnte alle Seiten zur Besonnenheit und gab zu bedenken, dass einen streng gläubigen Muslim eine Beleidigung des Propheten tief verletzen müsse.

Damit hatte sie selbstverständlich nicht den Mordaufruf legitimieren wollen, doch die mit ihrem Verständnis für das muslimische Seelenleben verbundene Schuldzuweisung war freilich weder zu übersehen noch zu überhören. Sie bildete ja den Sinn der Wortmeldung.

Der „Fall Rushdie“ ist das erste mir erinnerliche Beispiel in einer langen Kette von Ereignissen, die in den zwanzig Jahren bis heute folgen sollten. Und wie in dem Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“ schließt sich daran eine Reaktion an, die mich an die zitierte Duisburger Stadträtin erinnert. Es könnte doch alles so schön sein, wenn …
… ja wenn da nicht ewig diese Störenfriede wären! Was muss der Herr Rushdie auch über den Herrn Mohammed herziehen?! Warum müssen diese dänischen Karikaturisten auch unbedingt den Herrn Mohammed zeichnen?! Das ist doch allen ausdrücklich gesagt worden, dass das streng verboten ist. Das haben die uns doch so gesagt! Oder vor einem Vierteljahr in Duisburg dieser antideutsche Student, der israelische Flaggen in die Fenster seiner Wohnung gehängt hat. Das war doch die reinste Provokation. Da darf man sich doch nicht wundern! So ein Schnösel: bringt aus ideologischen Gründen alle möglichen unschuldigen Menschen, die Polizeibeamten und nicht zuletzt sich selbst in Gefahr!
Wie leicht dieses Argumentationsmuster inzwischen in die Tasten geht! Vor einigen Tagen brachte es der Polizeigewerkschaftler Frank Richter in den Streit um den Duisburger Flaggenskandal ein. Und zwar mit einer Bräsigkeit, die – als sei es nicht ohnehin schon allen klar – jedem vor Augen hält, wie selbstverständlich eine solche Sicht der Dinge inzwischen geworden ist. Wie gesagt und wie man weiß: die genannten drei Beispiele könnten beliebig ergänzt werden.

Die Serie islamistischer Einschüchterung hat dabei ihre Wirkung bei denjenigen, welchen sie gegolten hat, keineswegs verfehlt. Die Rede ist von der aufgeklärten Intelligenzija, den Lehrern, Journalisten und Intellektuellen, den Linken und Liberalen. Die Rede ist von all denen, die in jedem neuen Computer für die Polizei einen Überwachungsstaat Orwellschen Ausmaßes wittern, und die sich bei jeder x-beliebigen reaktionären Einlassung irgendeines x-beliebigen CSU-Zweitligapolitikers berufen fühlen, vor einem vermeintlichen Wiedererstarken des Faschismus zu warnen. Die Zivilcouragierten pflegen dann Unterschriften gegen die Zensur zu sammeln und mobilisieren zum Kampf gegen Rechts.
Doch viele von ihnen haben es vorgezogen zu schweigen, als die Schere der Zensur in einem bislang nicht für möglich Ausmaß Einzug in unsere politische Kultur hielt. Eine Rezension der Satanischen Verse? Das Publizieren – sagen wir – einer einzigen Mohammed-Karikatur? Oder auch nur eine beiläufige – bislang als Zeichen der Selbstidentität unerlässliche – religionskritische Äußerung. Über den Koran? Oder auch nur über einen reaktionären Geistlichen. Ich meine: einen muslimischen? – Fehlanzeige.
Nun gut, ließe sich sagen, was soll´s. Auf derartigen nicht einmal akademischen Schnickschnack reagieren wir ganz aufgeklärt säkular nach dem Motto: lieber einmal feige als immer tot. Okay.
Aber auch Beobachtungen wie Zwangsheiraten – etwas vornehmer: arrangierte Ehen – oder „Ehrenmorde“ – wobei sich die „Ehre“ durch vollständige Abschottung von der europäischen Gesellschaft und deren Kultur definiert – konnten, jedenfalls bis vor Kurzem, das Schweigen nicht brechen. Und es waren auch nicht die linken und liberalen, „multikulturell“ gesonnenen deutschen Mittelschichtler, die derartige Themen auf die Tagesordnung setzten.

Es waren türkische Intellektuelle, in den meisten Fällen Frauen, die das Schweigen in der deutschen Öffentlichkeit und in der türkischen Community einfach nicht mehr länger hinnehmen wollten. Es sind türkische – und damit meine ich selbstverständlich auch türkischstämmige – Schriftstellerinnen und Rechtsanwältinnen, Künstlerinnen und Politikerinnen, die ein ungleich höheres Maß an Mut und Courage aufbringen, als das einen deutschen Durchschnittslinken kosten würde, wenn er (oder sie) einfach einmal sagen würde: „Du ey, irgendwie finde ich das nicht so gut, dass die MigrantInnen so für die Frauenbewegung und so Sachen noch nicht das Feeling haben.“
Folglich wäre es zu kurz gegriffen, erklärte man das Schweigen der kritischen Öffentlichkeit allein mit Feigheit. Es ist auch die (richtige) Lehre der Eltern, dass die muslimischen Einwanderer als Menschen in all ihren Facetten zu respektieren sind. Und dazu gehört nun einmal auch die Tradition, die Kultur und die Religion. Und so erinnerte man sich an den Hinweis der Großeltern, freilich ohne dies derart angestaubt zu formulieren, dass Türken nun einmal eine ganz andere Mentalität hätten. Und genau deshalb durfte man gegen die nichts sagen und über die nicht lachen. Alles andere wäre ja mehr als ausländerfeindlich. Es wäre rassistisch.

Die kritischen Intellektuellen scheuen aber nichts mehr als den Vorwurf, rassistisch zu sein. Und weil es nun einmal in der ganz anderen Mentalität der Muslime begründet liege, schweigen deutsche Linke und Liberale auch dann, wenn die Ehefrauen geschlagen und die Töchter sexuell ausgebeutet werden. Man greife diese Grässlichkeiten ja durchaus auf und an, ohne sie freilich einer bestimmten Bevölkerungsgruppe zuzuordnen. Wer will denn auch bezweifeln, dass Gewalt gegen Frauen und sexuellen Missbrauch auch in der deutschen Mehrheitsbevölkerung anzutreffen sind? Dasgleiche gilt auch für die Kriminalität unter – vorwiegend männlichen – Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Auch hier lassen sich die Beispiele beliebig fortführen …bis das Problem tabuisiert und das Phänomen verschwunden ist.

Abgesehen von der Wirklichkeit: da hat die Welle der Islamisierung in der muslimischen Welt die türkische Bevölkerung in Deutschland längst erreicht. Umfragen belegen, dass die Frömmigkeit unter den Türken erheblich zugenommen hat. In der Wirklichkeit gibt es, wie jeder weiß, auch Erscheinungsformen wie (das Entstehen einer) Parallelgesellschaft, also Gettobildung. Es gibt islamistische Netzwerke, die antidemokratisches und antisemitisches Zeug unter die Leute bringen, auch einige wenige, die heilige Kriege für den Dschihad in Zentralasien oder den Terrorismus hier rekrutieren. Und es gibt die jugendlichen Kleinkriminellen, die ihre Opfer freilich vorwiegend unter den (sozial) Schwachen finden.
Weil Demokraten nicht darüber schreiben oder reden wollen, ist das Feld – im Grunde zwingend – den Antidemokraten überlassen: den Ausländerfeinden, den Rassisten, also, wie man seit einiger Zeit zu sagen pflegt, den Rechtspopulisten.
Selbstverständlich ist von den Braunen nicht zu erwarten, dass sie klar machen, was eben auch zur Wirklichkeit gehört, nämlich dass

•    die überwältigende Mehrheit der Türken in Deutschland, auch der nach eigenem Bekunden gläubigen bzw. stark gläubigen, mit islamistischen Netzwerken und Ideologien nichts am Hut hat,
•    fast alle Türken in Deutschland ein „normales“, sprich: westliches Leben führen wollen,
•    die meisten Türken ihren Kindern eine gute Bildung und Ausbildung anstreben, und
•    sich die türkischen Erwachsenen, und in ganz starkem Maße die frommen, sich schämen, weil recht viele türkische Jungs auf die schiefe Bahn geraten sind.

Insofern lassen die aufgeklärten Deutschen die „integrationsbereiten“ Türken ein zweites Mal im Stich. Erst sehen die, denen die Frauenemanzipation ein besonders wichtiges Anliegen ist, weg, wenn Frauen unterdrückt, misshandelt oder gar ermordet werden. Nämlich dann, wenn es sich um muslimische Frauen handelt. Und als zweites überlassen sie die – ohnehin notwendige, im Superwahljahr wahrscheinlich intensiv geführte – politische Diskussion über die Schwierigkeiten, Defizite und Rückschläge im Prozess der Integration denen, die der türkischen Bevölkerung alles Mögliche wünschen, nur eben nichts Gutes.

Aber was will man erwarten? Soll man auf die Solidarität derer setzen, die sich selbst nicht viel zu bedeuten scheinen? – Ja, man soll. Und man soll nicht nur. Man muss!
Den Zuwanderern oder Einwanderern, Türken und Türkischstämmigen oder – das ist das Neueste – „Neuen Inländern“ bleibt gar nichts Anderes übrig, als auf ein Bündnis mit den kritischen, demokratischen und aufgeklärten Intellektuellen zu setzen.
Diese wiederum werden nicht darum herumkommen, noch einmal gründlich nachzudenken, um zu erkennen, dass das Böse auch dann böse ist, wenn es türkisch spricht.
Und dass, wenn man drüber nachdenkt, ein Mädchen auch dann ein Recht auf eine gewaltfreie Erziehung und eine gute Schulbildung hat, selbst wenn es weder blonde Haare noch blaue Augen vorweisen kann.

Zum Tag der Pressefreiheit: Erinnerung an die Toten

Über all auf der Welt werden Reporter umgebracht. Weil sie recherchieren, weil sie nachdenken, weil sie schreiben und die Wahrheit sagen. Die Wahrheiten, die den Menschen mit den Waffen nicht passen.

Ob im Irak, in Birma, in Mexiko, Russland, Usbekistan oder Kolumbien. Reporter werden getötet.

Im Dezember 1993 rief die UNO-Vollversammlung den 3. Mai zum Tag der Pressefreiheit aus. In diesem Jahr wird er zum 15. Mal begangen.

Über 827 Reporter haben seither ihr Leben verloren. Sie wurden erschossen, erschlagen, geköpft.

In den wenigsten Fällen wurden die Täter bestraft.

Ich hab mit Thorben Korpel, Andreas Schmitz und Hilger Tintel einen Kurzfilm gemacht. Wir wollen an die toten Reporter erinnern. Sie starben auch für unsere Freiheit

Sie sind nicht vergessen.

Der Film kann auf for-freedom.cc runtergeladen werden. Dort gibt es auch Banner.

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Café Sachs: Neustart mit Niwo

Nach mehrmonatiger Pause hat das Sachs, die angebliche Mutter aller Szenecafés, am Donnerstag wieder seine Pforten geöffnet. Es gibt bestimmt Menschen, die sich darüber freuen.

Ausriss Sach-Homepage

Es war schon ein wenig traurig, den Niedergang des Sachs in den letzten Jahren zu beobachten – auch wenn die Tränen bei mir, der das ganze in gewohnter Lässigkeit aus dem benachbarten Intershop beobachtete, nicht ganz so dick flossen. Immerhin: Das Sachs war in Bochum eine Institution, ich war gerne ab und an mal tagsüber drin, mied es am Abend und fand es schade, wie der Laden seinem Ende entgegenlitt.

Doch nach Problemen, neue Pächter zu finden, fanden sich dann doch noch drei junge, hoffnungsvolle Gastronomen, die das Lokal an der Viktoristrasse übernehmen wollten, und am Donnerstagabend konnte man das Ergebnis ihrer Mühen bewundern. Kennt ihr die Verzehrbereiche der aufgehübschten Backstuben in Rüttenscheid? Dort hatte man sich, was das Konzept der Inneneinrichtung angeht, wohl inspirieren lassen. Eine Brötchentheke konnte ich allerdings nicht ausmachen.

Aber es war voll am Donnerstag – das konnte man vom Stromkasten vor dem Intershop gut beobachten, war aber auch keine besondere Leistung, denn am Donnerstag war in Bochum alles heillos überfüllt. Nicht hinein kamen jedoch zum Teil  langjährige Stammgäste des alten Sachs, die aus Neugier und alter Verbundenheit einen Blick in das neue Sachs werfen wollten. Sie scheiterten schon an den schwerst wichtigen Türstehern. Ein etwas genauerer Blick durch die Fenster gab vielen von ihnen jedoch Trost: Herner-Paris-Hilton-Verschnitte sollen das Lokal in großer Zahl bevölkert haben. Schön, dass sich die neuen Inhaber den verspotteten Minderheiten unserer Gesellschaft öffnen und das Konzept des eher snobistischen Szenelokals gegen eines der Offenheit gegenüber jenen, die einen tiefergelegten Dreier noch zu schätzen wissen, großzügig austauschen.

Vom Verfall eines Solarriesen

Foto: Flickr.com / conergyus

Diese Geschichte handelt von einem ehemaligen Vorzeigeunternehmen der Solarbranche. Es geht um den einst größten Konzern für erneuerbare Energien in Europa. Conergy. Doch das ist vorbei. Die Aktien des Unternehmens sind verfallen zu einem Penystock, dessen Kurs von Spekulanten getrieben flattert wie ein Lämmerschwanz. Zehn Jahre nach der Gründung stehen die Aktionäre der TecDax-Firma vor einem Scherbenhaufen. Trotz Finanzspritzen in dreistelliger Millionenhöhe, Entlassungen und einer Schrumpfkur ist Conergy nicht saniert. Noch immer drücken satte Verluste die Stimmung und die Umsätze schwinden. Und die Aussichten sind trüb, Besserung ist nicht in Sicht. Der Vorstandschef des Konzerns, Dieter Ammer, sagte vor wenigen Tagen: „Wir haben unsere Ziele nicht erreicht.“

Damit nicht genug: Die Krise auf dem Solarmarkt verschärft die Lage. Nach einem Umsatzeinbruch von 70 Prozent im Auftaktquartal hat Ammer keine Hoffnung mehr auf schnelle Erholung. Es werde ein „außerordentlich schwieriges Jahr“, sagte der Manager. Der Solarmarkt in Spanien trug einst mit 16 Prozent zum Konzernumsatz bei. Heute sind dort kaum noch Verkäufe zu beobachten. Erst 2010 sei wieder mit Wachstum zu rechnen, sagt Ammer.

Dabei hatten die Conergy-Aktionäre großes Vertrauen in Ammer gesteckt, als er im Herbst 2007 den Vorstandssessel übernahm. Der Konzern stand damals kurz vor der Pleite. Die Banken hätten jederzeit einen 600 Mio Euro Kreditrahmen kündigen können und damit Conergy ruiniert. Altvorstand Hans-Martin Rüter hatte sein Unternehmen mit hastigen Zukäufen und einer riskanten Finanzierungsstrategie überfordert. Nur das Eingreifen Ammers rettete den Laden.

Der Volkswirt brachte frisches Kapital. Zunächst überredete er seine Bekannten, den Metall-Unternehmer Otto Happel und die Hexal-Gründer Andreas und Thomas Strüngmann, mit Millionenbeträgen bei Conergy einzusteigen. Er versprach Ihnen Hoffnung in einem Zukunftskonzern. Dann trotze Ammer der Commerz- und der Dresdnerbank einen Überbrückungskredit in Höhe von 240 Mio Euro ab. Damit nicht genug. Er konnte später sogar die Commerzbank überreden, während einer schleppenden Kapitalerhöhung rund 170 Mio Euro in den maroden Konzern zu pumpen. Heute hält die Bank 37 Prozent an Conergy.

Das Wort Ammers zog, weil die Investoren ihm vertrauten. Als Visionär hatte er die Nordzucker AG aus einem Kleinbetrieb von Bauern entwickelt. Er war Chef der Brauerei Beck und leitete den Tchibo-Konzern. Ammer ist dabei eine imposante Erscheinung mit blauen Augen und einer lebendigen Sprache, die Zuhörer fesseln kann. „Wenn sich Ammer nicht persönlich engagiert hätte, wäre Conergy Pleite“, sagt ein Vertrauter des Unternehmens.

Ammer beließ es nicht bei schönen Worten. Fast die Hälfte der 2500-Mitarbeiter starken Belegschaft schmiss er raus, entledigte sich riskanter Nebengeschäfte und fokussierte das Unternehmen auf das Kernbusiness. Dem Verkauf von Solaranlagen. Ammer versprach innerhalb von einem Jahr die Wende zum Guten schaffen. Ende 2008 sollten wieder Gewinne gemacht werden.

Daraus wurde nichts. Im Katastrophenjahr 2007 lag der Verlust bei rund 250 Mio Euro. Nach einem Jahr unter Ammer lag der Verlust bei 307 Mio Euro – obwohl der Umsatz auf rund 1 Mrd. Euro wuchs. Ammer sagte, zwar seien die Ziele nicht erreicht worden, „aber wir haben deutlich aufgeräumt.“ Seit dem Börsengang im Jahr 2005 hat Conergy weit über eine halbe Mrd. Euro verbrannt.

Und es ist unsicher, ob der Konzern das kommende Jahr noch erlebt. Zwar beteuert Conergy-Finanzchef Jörg Spiekerkötter, der Konzern verfüge noch über 30 Mio Euro Cash, allerdings gibt er zu, dass die Barmittel allein aus den Krediten der Banken stammen. Alle wesentlichen Vermögenswerte sind verpfändet, beliehen oder übereignet. Spiekerkötter selbst ließ sich vertraglich einen Sonderbonus in Höhe von 500.000 Euro garantieren, „soweit sich die Liquiditätslage der Gesellschaft mittelfristig entspannt.“ Sprich, wenn er es schafft, die Pleite zu verhindern.

Ammer kann seine Strategie aus der Krise heute in wenigen Worten erklären. Er will an die Kunden ran, aus der Produktion raus. Im Solarhandel werde in Zukunft das Geld verdient. Und Conergy sei immer noch eine gute Marke.

Die Signale dafür, das dieser Weg der richtige ist, sehen allerdings schlecht aus. Zunächst ist da ein Familienzwist. Conergy-Gründer ist Hans-Martin Rüter. Er hat die die Firma aufgebaut und seinen Onkel zweiten Grades, Dieter Ammer, in den Aufsichtsrat geholt. Gemeinsam verabredeten die beiden Vertrauten die wichtigsten Verträge mit Lieferanten. Rüter wurde "Entrepreneur des Jahres 2007".

Dann kam die Krise. Rüter wurde abgesetzt, Onkel Ammer wechselte vom Aufsichtsrat in den Vorstand. Eigentlich hätte es so bleiben können, wenn nicht die Zahlen bei Conergy so schlecht gewesen wären. Der neue Aufsichtsrat beschloss Rüter und seine ehemaligen Vorstandskollegen auf Schadensersatz zu verklagen. Das sieht aus, wie ein Kampf Onkel gegen Neffen. Ammer will davon nichts wissen. Er sagt, dies sei ein „normaler Vorgang“. Sein Verhältnis zum Familienmitglied sei gut. Ein Vertrauter von Rüter sagt, es handele sich bei dem Angriff lediglich um ein Ablenkungsmanöver, um von den echten Problemen abzulenken.

Tatsächlich gibt es für Ammer Gründe Sand auszustreuen. Denn sein wichtigstes Sanierungsvorhaben droht zu scheitern. Um Conergy flott zu kriegen, muss Ammer die Solarfabrik in Frankfurt an der Oder verkaufen. Die ersten Gespräche mit einem koreanischen Investor scheiterten in letzter Minute. Seither wurden alle Leiharbeiter rausgeschmissen und die Fabrik produziert bei unter 50 Prozent Auslastung Verluste. Besserung ist nicht zu erwarten, der gesamte Solarmarkt bricht ein, die Preise verfallen und Absätze stagnieren. Um die Fabrik doch noch loszuschlagen, muss Ammer ein zweites Problem loswerden.

Er muss den Liefervertrag mit dem wichtigsten Lieferanten MEMC beenden. Einst hatte Ammer den Vertrag gemeinsam mit seinem Neffen Rüter abgestimmt. Ursprünglich sollte MEMC bis 2018 Rohstoffe im Wert von sieben bis acht Mrd. Dollar für die Conergy-Fabrik in Frankfurt liefern. Ammer konnte das Volumen des Vertrages im vergangenen Jahr auf vier Mrd. Dollar reduzieren. Aber nun weigert sich MEMC noch weiter runterzugehen. Selbst wenn dabei Conergy drauf geht.

Ammer hat nun gegen den Vertrag, den er selbst unterschrieben hat, Klage in New York wegen Wettbewerbswidriger Inhalte eingelegt. Es ist unsicher, ob er damit durchkommt. Er selbst will nichts zu der Klage sagen.

Doch es sind nicht nur die großen Probleme, die ständig Nerven kosten. Selbst die kleinen Schwierigkeiten konnten noch nicht aus dem Weg geräumt werden. Conergy gleicht damit einer ausgetrockneten, kokelnden Wiese. Hat man eine Flamme gelöscht, lodern zwei neue auf. Und immer droht das ganze Heu auf einmal abzufackeln.

Hier fordert ein Kunde Rückzahlungen und Schadensersatz in Höhe von rund 9 Mio Euro für schadhafte Solarmodule. Dort haben Banken einen Kreditrahmen in Höhe von 450 Mio Euro, den sie nahezu beliebig fällig stellen können. Selbst das Verhältnis zu Conergy-Investor Otto Happel scheint nicht mehr ungetrübt. Zumindest hat der Milliardär aus der Schweiz immer noch nicht seine Aktienoptionen gezogen. Warum auch? Schon jetzt hat Happel nahezu 50 Mio Euro in der Solarfirma verloren. Der Kurs von Conergy sackte in der Amtzeit von Ammer von knapp über 9 Euro je Papier auf unter einen Euro.

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Dortmunder Nazikrawall: Randale für alle…Der Westen

Dortmunder Nazikrawall II: 280 Festnahmen…Ruhr Nachrichten

Dortmunder Nazikrawall III: Nazis greifen Mai-Kundgebung an…Hometwon Glory

Dortmunder Nazikrawall IV: Neonazies greifen Mai-Feier an…BZ

Dortmunder Nazikrawall V: Neonazies greifen Demonstranten an…Focus

Flaggenskandal: Entschuldigung, die Polizei…Jurga

1. Mai: Pfiffe für Rüttgers…Der Westen

Opel: Fiat will über Opel reden…Spiegel

Raumfahrt: Wer war der Erste im All?…Kueperpunk

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„Rechte Demonstrationen künftig anders bewerten“

Künftig sollen Demonstrationen von Rechtsextremisten in Dortmund nicht mehr so schnell genehmigt werden. Opfer der Übergriffe auf die DGB-Demo sollen sich bei der Polizei melden.

Hans Schulze Foto: Polizei Dortmund

Der Sprecher der Polizei Dortmund, Manfred Radeck, hat gesagt, dass die Polizei Dortmund künftig Genehmigungen von rechten Demonstrationen kritischer als bislang prüfen werden. Hans Schulz, Dortmunds Polizeipräsident, war in der Vergangenheit immer wieder für seine liberale Genehmigungspolitik rechten Gruppen gegenüber kritisiert worde. Auf einer Pressekonfenerenz heute Abend hat Schulz angesichts der Ausschreitungen von Nazis gegenüber einer DGB-Kundgebung angekündigt, die Genehmigung von rechte Kundgebungen neu zu bewerten. Das soll auch für eine von Rechtsextremen für den 6. September geplante Demonstration in Dortmund gelten.

Radeck ist sich sicher, dass die Geschehnisse des heutigen Tages – neben Dortmund gab es auch in anderen Städten Angriffe von Rechtsradikalen auf – Auswirkungen auf die Genehmigungspraxis der Gerichte haben werden: "Bislang hat der Bundesgerichtshof ausgesprochene Demonstrationsverbote häufig mit dem Hinweis aufgehoben, dass es auf den Demonstrationen nur selten Gewalttaten von den Rechtsextremen gab. Dieses Argument gilt seit heute nicht mehr."

Die Polizei hat 280 Rechtsextremisten vorläufig festgenommen – 20 von ihnen waren noch Jugendliche und wurden den Eltern übergeben. Noch immer befinden sich zahlteiche der Festgenommenen im Gewahrsam der Polizei. Auf sie wartet mindestens eine Anklage wegen Landfriedensbruch. Es könnten aber auch noch weitere Anklagpunkte dazukommen: "Wir suchen Zeugen der Vorfälle und vor allem Menschen, die von den Rechtsextremen angegriffen und verletzt wurden. Alleine von unseren Beamten wurden fünf verletzt. Betroffene sollen sich bei der Polizei Dortmund melden. Wir brauchen die Informationen der Opfer um auch wegen Körperveletzung und andere Delikte effektiv ermitteln zu können.       

„Die Sicherheitsbehörden haben versagt!“

Foto: Frederik Görges

Rechtsradikale Banden haben die Worte von den sozialen Unruhen wohl ernst genomen. Jedenfalls stürmte ein Trupp von über 200 Nazis heute den Maiumzug der Gewerkschaften in Dortmund.

Es ging heute morgen gegen 9:00 Uhr los, sagte die Polizei den Ruhrbaronen. Gut 40 Neonazis hätten sich in der Dortmunder Innenstadt versammelt. Innerhalb von nur einer Stunde wuchs die Gruppe nach Informationen der Polizei auf 300 Personen an. Die Nazis sagten der Polizei, sie wollten vom Hauptbahnhof aus zu einer Demo nach Siegen fahren. Es gab keine große Bewachung. Das war naiv: Im Internet hatten Nazigruppen zu „kreativen Aktionen“ und dem Besuch „anderer Demos“ aufgerufen, nachdem ein geplanter Aufmarsch von Autonomen Nationalen in Hannover verboten worden war.

Und so kam es, dass die Nazis nicht nach Siegen fuhren, sondernvom Bahnhof weg stürmten und  marodierend in die Dortmunder Innenstadt zogen. Die Polizei Dortmund rief  Polizeikräfte aus anderen Ruhrgebietsstädten zu Hilfe – unter anderem waren Beamte aus Recklinghausen und Bochum vor Ort – aber die kamen zu spät, um den Angriff verhindern zu können.   Ab 11 Uhr griffen die Nazis dann an.

Norbert W. vom Dortmunder Bündnis gegen Rechts erlebte den Nazisturm aus der  Nähe: „Man hat sie vorher schon gehört. Sie kamen aus der U-Bahn-Haltestelle Stadtgarten, sammelten sich in der Nähe der DGB-Demonstration und griffen dann an.“ W. hörte auch Explosionen wie von Knallkörpern oder Schreckschusspistolen. „Dann ging alles sehr schnell. Die Polizei konnte sie nicht aufhalten und sie prügelten auf die Menschen ein.“

Vermummte Schläger warfen Knallkörper und Steine auf Passanten. Der Maizug der Gewerkschaften wurde angegriffen. Es kam zu Schlägereien. Die Nazis haben mit Lehmklumpen geworfen in denen Glassplitter steckten. SPD-Unterbezirkschef Franz-Josef Drabig hat einen verletzten Kurden eigenhändig versorgt. Es gab weitere Verletzte. Die Dortmunder Polizei bestätigte,  dass mehrere Beamte verletzt sind und  es erhebliche Sachschäden an  Polizeifahrzeugen gab. Das es auf Seiten der Deomonstranten Verletzte gab wusste Polizeisprecher Peter Schulz Stunden noch immer nicht.

Zu den Teilnehmern der DGB-Kundgebung gehörte auch der SPD-Oberbürgermeisterkandidat und Dortmunder Stadtdirektor Ulrich Sierau. Er  sagte den Ruhrbaronen. „So etwas hat es in der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte noch nie gegeben. Wir werden das nicht auf sich beruhen lassen. Wir werden mit der Polizei Gegenmaßnahmen einleiten.“ Augenzeugen berichten, dass SS Siggi unter den Angreifern war. SS Siggi war Chef der Nazi-Borussenfront.

Zunächst wurden 150 Personen auf dem Brüderweg festgesetzt, sagte die Polizei. Die  Leute wurden eingekesselt. Eine weitere Gruppe von 40 Nazis wurde auf dem Westenhellweg gestellt.  Die Nazis sitzen auf dem Boden herum oder stehen. Sie feixen über ihren gelungenen Coup. Nach und nach werden sie unter dem Vorwurf des Landfriedensbruch abgeführt, erkennungsdienstlich behandelt und danach festgenommen. Über der Stadt kreist ein Hubschrauber. Die Innenstadt ist abgeriegelt.

Bericht zur Lage

Der Dortmunder SPD-Chef Franz-Josef Drabig besuchte die DGB-Kundgebung gemeinsam mit seiner Familie und war Zeuge der Naziattacke. Drabig: „Ich war entsetzt, mit welcher Brutalität die Rechtsradikalen zugeschlagen haben. Den wenigen Polizeibeamten vor Ort kann man keinen Vorwurf machen. Sie wurden von dem Angriff überrascht. Ich frage mich allerdings, wie unter den Augen von Polizei und Verfassungsschutz eine solche Zusammenrottung von Nazis unbemerkt bleiben konnte. Da haben die Sicherheitsbehörden versagt.“ Er habe sich schützend vor seinen siebenjährigen Sohn stellen müssen. Angesprochen auf die Aussage des Polizeipressesprechers Peter Schulz gegenüber den Ruhrbaronen, die heutige Attacke sei nichts anderes gewesen als die Ausschreitungen durch Autonome vor zwei Jahren in Dortmund, sagte Drabig: „Eine solche Bemerkung ist für mich absolut nicht nachvollziehbar. Der Angriff von mehr als 200 Nazis auf einer DGB-Demo zeigt die große Gefahr, die von den Rechtsradikalen heute ausgeht. Das heutige Ereignis wird Konsequenzen haben.“

Dietmar Krempa, Mitglied der Vertrauensleute-Leitung der Stadtverwaltung Bochum, war auch dabei, als die Nazis die Demonstration stürmten. Er fordert politische Konsequenzen: „Es kann nicht sein, dass in Dortmund weiterhin Nazi-Demos genehmigt werden. Damit muß jetzt Schluß sein.“ Die Gesellschaft müsse den Rechten entschieden entgegentreten: „Wir brauchen ein Verbot von Naziorganisationen inklusiver der NPD. Ich weiß, dass wird alleine nicht helfen, aber was wir tun können, muß getan werden.“ Krempa war wie viele andere nach dem Geschehnissen in der Dortumder Innenstadt auf dem 1. Mai Fest des DGB im Westfalenpark. Er findet es gut, dass die Veranstaltung nicht abgesagt wurde: „Wir haben gute Gründe, Flagge zu zeigen.“

Martin Tönnes, Ratsherr der Grünen fordert ein Umdenken des Dortmunder Polizeipräsidenten, sieht aber auch die demokratischen Parteien in der Pflichr: Martin Tönnes: „Der gezielte Gewaltakt der Nazis und die Brutalität gegen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der 1.Mai-Kundgebung in Dortmund muss alle Demokraten und das gesamte Ruhrgebiet betroffen machen. Der Auftritt der Rechten in Dortmund erreicht damit eine neue Dimension. Mit dem heutigen Tag sind alle demokratischen Parteien aufgefordert, geschlossen und ohne Wenn und Aber den braunen Mob politisch zu bekämpfen. Wer hierbei jetzt noch politische Ausflüchte sucht oder die Hände in den Schoß legt, schafft den zukünftigen Raum für weitere Angriffe der Rechten in dieser Stadt. Aus diesem Grund muss auch der Polizeipräsident in Dortmund endlich den Ernst der Lage begreifen.“

 

Die Stadt hat eine lange Tradition rechtsradikaler Schlägertrupps. Früher gab es zum Beispiel die Borussenfront unter SS Siggi. Die WR hat mal einen Hintergrund zum Thema gemacht. Den gibt es hier: klack

Erst vor Kurzem hat die Westfälische Rundschau bekannt gemacht, dass die Nazis Todeslisten kursieren lassen, auf denen sie zukünftige Opfer aus Holzwickede eingetragen haben. Holzwickede liegt in der Nähe von Dortmund.